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Eine Liebesgeschichte aus Edo

von

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Herbstgedicht - Teil 4 -

Die Tage flossen wie flüssige Seide dahin. Da Yukio sich erholte, verblasste das Interesse des Hofes etwas an seinem Fall. Wenngleich noch immer genug Besucher in den Garten strömten, um ab und an einen Blick auf ihn zu erhaschen. Alle kleinen Ersuche sich zu einem Genesungsbesuch bei ihm einzufinden, wurden jedoch von Minoru oder seinen Männern streng abgelehnt, was Yukio ein wenig verstimmte. Er langweilte sich in seiner Abschottung und spürte deutlich, dass er wieder unbekümmert selbst durch die Gärten spazieren wollte, ohne dass jeder seiner Schritte eingeschränkt wurde. Die Kraft war in seine Glieder zurückgekehrt und einzig die Überfürsorglichkeit des Arztes, hätte ihn noch länger ans Bett gefesselt, wenn Yukio nicht darauf bestanden hätte, dass es genug wäre. Dennoch drängte ihm der Arzt zumindest einen Sonnenschirm auf, damit seine blasse Haut nicht zuviel von der Herbstsonne abbekam, die seit Yukios Krankheit überraschend intensiv zu scheinen begonnen hatte.

Suzuki-san begleitete seinen kleinen Ausflug, der allerdings schon an einer Bank endete, als Yukio ein kleiner Kieselstein in den Zori rutschte und sich partout nicht rausschütteln lassen wollte. Es blieb nichts anderes, als sich zu setzten, um den Zori auszuziehen, um den Stein los zu werden. Einige Höflinge nutzen die Gunst der Stunde, um auf Yukio zuzugehen und ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Schon zu bald hatte sich eine kleine Traube von Menschen, um Yukio gesammelt, die zwar oberflächlich Konversation machen wollten, in Wirklichkeit jedoch nur Klatsch und Tratsch suchten, um sich das Maul über ihn zerreißen zu können. Schließlich bot Suzuki-san dem ganzen Einhalt und brachte Yuki wieder zurück, der die ganze Aufregung nicht verstand. Nach den langen Tagen der Langeweile, waren ihm selbst diese flachen Gespräche als Gipfel der Konversation vorgekommen.

„Ich verstehe wirklich nicht, warum wir so schnell wieder gehen mussten“, sagte er mindestens zum dritten Mal zu Suzuki-san, der aussah, als würde er über Yukios Uneinsichtigkeit nur den Kopf schütteln wollen.

„Der Arzt sagte doch, dass Ihr euch nicht überanstrengen solltet. Ohnehin war es Zeit Euch zurück zu bringen, da das Mittagessen nicht mehr fern war“, antwortete Suzuki und machte keinen Hehl daraus, dass es ihm am meisten Recht gewesen wäre, wenn Yukio wieder auf seinem Futon liegen würde.

Es war sinnlos mit dem Samurai zu streiten, entschied Yukio, da dieser ihn einfach nicht verstehen wollte. Das aufregende Leben am Hofe, wie es sich Yukio auf seiner langen Reise vorgestellt hatte, entpuppte sich immer mehr, als ein langweiliger Alltag, aus dem es kein Entkommen gab. Alles worauf er hoffen konnte, war einige Freiheiten sich am Hof erobern zu können, um sein Dasein etwas erträglicher zu machen. Er überlegte, ob man ihm auch erlauben würde, ab und an in Edo spazieren zu gehen, als ein Schatten auf die verschlossene Shojitür fiel. Suzukis Kopf ruckte zur Seite und fast meinte Yukio zu sehen, dass seine Hand sich auf den Schwertgriff legen wollte, während Shiro aufstand, um die Tür aufzuschieben Doch es war lediglich Minoru, der eintrat. Er sah nicht sonderlich glücklich aus, aber Yukio band kein Gewicht daran, da Minoru selten so etwas wie Freude oder Entspannung zeigte.

„Guten Tag, Yoshida-san“, begrüßte er ihn daher. „Ist es etwa schon Zeit für die Wachablösung?“

Suzuki verneigte sich leicht gegen Minoru und verließ dann das Zimmer, bevor Minoru sich auf seinen Platz setzte.

„Ihr seid heute entgegen dem Rat des Arztes spazieren gegangen?“ fragte er sogleich spitz, was Yukio im Geiste seufzen ließ. Er hatte mittlerweile schon mitbekommen, dass Minoru nur wenig für Vergnügen übrig hatte.

„Wenn Ihr so fragt, muss ich annehmen, dass Ihr es schon wisst, was mich fragen lässt, warum Ihr dann noch eine Bestätigung von mir braucht.“ Yukio hatte nicht das Bedürfnis sich zu rechtfertigen, wo er immerhin nichts Falsches getan hatte. An Minorus Schläfe zuckte es gefährlich.

„Es wäre besser gewesen, wenn Ihr diese zwei Tage noch abgewartet hättet“, sagte er steif. „Tokugawa-sama hat von euere Genesung gehört und wünscht Euch heute Abend zu sehen. Nach dem Abendessen.“

So. Das saß. Yukio wurde blass und leckte sich nervös über die Lippen, während er nach Worten suchte, die ihn beruhigen würden.

„Nach dem Abendessen?“ fragte er noch einmal, als würde er hoffen, dass Minoru sich geirrt hätte. Doch dieser nickte lediglich und kramte in seinem Ärmel nach dem offiziellen Brief, der für Yukio bestimmt war. Er überreichte ihm das Schreiben, das Yukio mit zitternden Händen öffnete. Der Brief war sehr höflich formuliert, ließ aber keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Befehl handelte, welchem Yukio gehorchen musste.

„Ich sehe, dass Ihr euch nur wenig freut, Matsumoto-san“, kam es von Minoru, woraufhin Yukio den Blick zu dem Samurai hob. Ihm wurde übel, wenn er daran dachte, dass er durch seine eigene Torheit zwei Tage verloren hatte, in welchen er sich nicht hätte fürchten müssen. Ihm wurde fast übel bei dem Gedanken. Doch von Minoru war kein Mitleid zu erwarten. Er ließ den Brief auf den Tisch fallen, als hätte er sich die Hände daran verbrannt.

„Gewiss wollt Ihr euch nun in aller Ruhe für den Abend fertig machen“, fuhr Minoru mit neutraler Stimme fort, aber Yukio hatte nicht die Kraft sich über diese Gefühllosigkeit aufzuregen. „Ich werde Euch nach dem Abendessen abholen“, fuhr er weiter fort und verneigte sich leicht vor Yukio, der zu paralysiert war, um diese Verneigung zu erwidern. Er hörte wie die Tür sich öffnete und schloss, bekam aber nicht wirklich mehr etwas mit. Wie lange es genau dauerte, bis er endlich Kumikos Stimme hörte, konnte er nicht abschätzen.

„Wünscht Ihr noch ein Bad zu nehmen, um die letzten Spuren der Krankheit abzuwaschen?“, fragte sie und lächelte Yukio aufmunternd an, was diesen nur stumm nicken ließ.

Es gab kein Entkommen und wenn man es genau betrachtete, dann war es auch seine Pflicht die er auszufüllen hatte. Seine Eltern hatten ihm eingeschärft, dass wenn die Möglichkeit sich bot, die Zuneigung des Shoguns zu erringen, er nicht zögern sollte. Doch, wenn er an diesen alten Mann dachte, überkam ihn ein fürchterlicher Schauer, dem er nicht entkommen konnte.
 

Der Nachmittag verging für Yukio wie im Traum. Er ließ sich von Suzuki und Kumiko ins Bad begleiten und gab sich Kumikos Händen hin, die ihn von oben bis unten in eine zarte Wolke Schaum schrubbte, bevor sie ihn mit warmem Wasser übergoss. Dann saß er im heißen Wasser und versuchte an alles andere zu denken, nur bloß nicht an den Shogun. Das erwies sich jedoch als sehr schwierig, da Yukios Gedanken immer wieder zu dem Punkt glitten, was in der Nacht geschehen würde. Hatte Minoru etwa recht gehabt, als er ihm gesagt hatte, dass Yukio gute Chancen dafür hatte der neue Favorit zu werden? Das war das letzte was Yukio wollte.

All seine guten Vorsätze, die er sich die ganze, lange Reise nach Edo immer wieder vorgesagt hatte, waren nun nichts weiter, als Schal und Rauch. Die Realität hatte nichts mit süßer Romantik zu tun, die so gerne in Kabukistücken glorifiziert wurde. Hier herrschte die Wirklichkeit und der Shogun würde sich nicht in einen wunderbaren Mann verwanden, dem Yukio gerne seine Hand reichen würde, jemanden wie… Saburo. Yukio tauchte etwas mehr in den Bottich ein, als er an den Hauptmann dachte. Gewiss war er nicht mehr jung, aber er war noch immer anziehend und er hatte freundliche Augen, vor denen man sich nicht fürchten musste. Einem solchen Mann hätte Yukio sich gewünscht. Doch das Leben war nun einmal kein Wunschkonzert und so würde er im Notfall die Augen schließen und seine Pflicht tun müssen.

Nach dem Bad fühlte sich Yukio wirklich erfrischt. Durch seine Gedanken wieder ein wenig aufgebaut, fiel er allerdings wieder etwas in sich zusammen, als er vor dem Spiegel saß und sein Haar zusammenbinden ließ. Er sah die Schönheit und Jugend, die ihn aus dem Spiegel anblickte und wusste, dass sie nicht zu den Altersflecken passen würden, die Tokugawas Haut zierten. Wäre Kumiko nicht um ihn gewesen, er hätte vielleicht die Nerven verloren. Kumiko puderte Yukio gerade den Nacken, um seine Blässe noch zu unterstreichen, als Shiro mit dem Tee und Konfekt kam. Yukio war viel zu nervös, um zu essen, aber er hatte sich überreden lassen, zumindest einige Stückchen Konfekt zu essen, wenn er schon das Abendmahl verschmähte.

Allerdings rührte Yukio weder den Tee, noch den kandierten Ingwer an. Nachdem er hübsch zu Recht gemacht auf einem Seidenkissen saß und mit seinem Fächer spielte, war an Essen nicht zu denken. Bei jedem, noch so leisem Geräusch zuckte er zusammen, als würde er jeden Moment einen Attentäter erwarten. Schließlich kam doch Minoru.

„Seid Ihr soweit, Matsumoto-san?“, fragte er an der Tür, während Yukio das Gefühl hatte, nicht aufstehen zu können. Er musste all seinen Mut zusammen nehmen, um sich zu erheben und zu Minoru auf die Veranda zu treten. Einen Moment dachte er, dass es Saburo war, der vor ihm stand. Das Mondlicht, hatte kurzzeitig Minorus Gestalt größer und kräftiger wirken.

„Ja, ich bin soweit. Bitte führt mich, Yoshida-san“, wisperte Yukio und ließ dem Samurai den Vortritt, der voranging.

Yukio hatte nicht das Gefühl den Boden zu berühren und heftete seine Augen auf Minorus Rücken vor sich, ohne nach links oder Rechts zu blicken. Er wollte nicht die Menschen sehen, die an ihnen vorbeigingen, oder zu ihnen blickten. Er wollte sich aus dieser Situation stehlen, bis nur sein Körper zurückbleiben würde. Doch es gab kein Entkommen vor dem Ganzen. Sie betraten den privaten Bereich und Yukios Herz schlug so laut, dass er schon fürchtete, dass es alle in der Nähe hören mussten! Dann öffnete sich die Tür und er betrat den privaten Raum, des Shoguns.
 

An der Tür ließ Minoru Yukio den Vortritt, doch der Junge trat so zögerlich ein, dass sich der junge Samurai sogar fragte, ob er nicht einfach in sich zusammenfallen würde. An dem schmalen Hautrand, an den Ohren, konnte er sehen, dass Yukio auch ohne Puder ganz weiß geworden war. Wahrscheinlich waren seine Hände nun so kalt wie Eis geworden und wieder rührte sich so etwas wie Mitleid in Minoru dem Jüngling gegenüber, der keine Sekunde geahnt hatte, was ihm widerfahren könnte, wenn er zu schnell genesen würde. Nun war es jedoch zu spät und als Minoru die Tür hinter sich zuzog, um auf seinen Platz in der Ecke zu gehen, konnte er gar nicht anders, als einen Blick auf Tokugawa zu werfen, der Yukios Näherkommen mit wohlwollen betrachtete. Die dünne Shojitür, die sich hinter Yukio schloss, war lediglich ein Sichtschutz und kein Lärmschutz, so dass Minoru zum ersten Mal verstand, was es bedeutete hier die ganze Nacht ausharren zu müssen.

Er hörte Tokugawa auf Yukio einreden, konnte aber nicht jedes Wort verstehen. Yukio dagegen antwortete so leise, das man nichts verstand. Die Worte erstarben und für einen Augenblick herrschte vollkommene Stille. Dann hörte Minoru Seidengeraschel und stellte sich vor, wie Tokugawa Yukio an sich zog. Seine Kehle wurde trocken, bei der Vorstellung was nun folgen sollte. Er fühlte sich unwohl und hätte sich am liebsten aus dem Raum gestohlen, was aber absolut untolerierbar gewesen wäre. Es war das erste Mal, dass Minoru vor seiner Pflicht flüchten wollte.

Gerade wollte er damit beginnen sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als auf dem Flur eilige Schritte erklangen. Automatisch spannte sich Minorus Körper an, seine Hand legte sich auf den Schwertgriff und auch die beiden anderen Wachen brachten sich in Alarmbereitschaft. Die Schritte wurden an der Tür jedoch langsamer, bis sie vor der Tür stehen blieben, während eine Wache die Shojitür aufzog.

Minoru war überrascht ausgerechnet Saburo zu sehen, sowie den Vorsteher des Inneren Palastes, in welchem die Konkubinen untergebracht waren. Ohne auf Minoru zu achten, betrat Saburo den Raum, ging weiter zu dem mit Stoff bespannten Sichtschutz und sprach Tokugawa an.

„Verzeiht, dass ich Euch störe, Tokugawa-sama. Aber man brachte gerade die Nachricht, dass es eurer Mutter schlecht geht“, informierte er den Shogun, während Minoru das besorgte und angespannte Gesicht seines Meisters betrachtete. Aus dem inneren Schlafgemach, kam ein Grunzen, oder zumindest ein ähnlicher Laut, bis Tokugawa sich endlich hinaus bequemte. Sein Kimono war etwas verzogen und er betrachtete ärgerlich den gesenkten Kopf seines Hauptmanns.

„Was ist mir ihr?“, fragte Tokugawa deutlich ungehalten,w as den Vorsteher auf den Plan rief.

„Der Arzt ist der Meinung, dass sie den Sonnenaufgang nicht mehr erleben wird“, erklärte er und hielt den Kopf ebenfalls gesenkt, während Tokugawa abermals schnaufte.

Minoru hatte Tokugawas Mutter nie gesehen, aber er hatte viel von ihr gehört und zwar nicht nur gutes. Sie neigte dazu wisch in die Politik einzumischen und wäre sie ein Mann, wäre sie gewiss offizieller Berater des Shoguns geworden. Aber sie war auch alt und in regelmäßigen Abständen wurde Tokugawa dann gezwungen zu ihr zu eilen und die ganze Nacht bei ihr zu sitzen. Wundersamerweise erholte sich die Dame allerdings jedes mal wieder, dass schon die Gerüchte im Palast die Runde machten, dass sie wohl unsterblich wäre und nicht zu sterben wünschte.

Tokugawas Miene war ganz finster, als er sich an Saburo wandte, um ihm Anweisungen zu geben. „Ich werdet Matsumoto-san zurück in sein Zimmer bringen“, brummte er, bevor er aus dem Raum rauschte. Minoru konnte sich gerade noch so beherrschen, ihm nicht hinterher zu sehen. Doch sein Interesse galt ziemlich schnell dem inneren Gemach, in welches er nicht blicken konnte. Aber Saburo konnte es und er hatte sich erhoben und hielt Yukio die Hand hielt. Es dauerte lange, bis der Junge nach Saburos Fingern griff und endlich hinaus trat. Mit einer Hand hielt er seinen Kimono zusammen, während er die andere auf Saburos Finger legte. Minoru presste die Lippen zusammen, denn Yukio wirkte nicht wie jemand, der wusste was er tat. Viel mehr wirkte der Jüngling verschreckt und erleichtert, dass es nicht bis zum Ende gegangen war.

Nur ein Blick von Saburo genügte, um ihn aufstehen zu lassen. „Wir bringen Matsumoto-san zurück und du bliebst die Nacht über als Wache bei ihm“, sagte Saburo, obwohl es nicht nötig war. Minoru hatte das Gefühl, dass er es nur sagte um Yukio zu beruhigen, der den Kopf gesenkt hielt und sich ohne Gegenwehr auf den Flur führen ließ. Sie hatten kaum drei Schritte gemacht, als der Jüngling einknickte. Kein Wunder, der Schreck musste ihm wohl noch in den Knochen sitzen.

„Ich hole einen Diener.“ Minoru wollte sich gerade abwenden, als Saburo ihn aufhielt.

„Nein. Das ist nicht nötig. Kumiko wird sich schon um ihn kümmern können“, sagte er kurz angebunden und hob Yukio einfach hoch. So fürsorglich hatte Minoru seinen Vorgesetzten noch nie erlebt und folgte ihm daher auch tief irritiert.
 

Minorus Verwirrung wuchs noch weiter an, als er sah, wie behutsam Saburo Yukio auf seinen Futon bettete, wo Kumiko sich sofort daran machte, ihn auszukleiden. Yukio war nicht ohnmächtig geworden, aber seltsam mitgenommen und als er nur noch mit einem dünnen Juban bekleidet auf dem weichen Futon saß und den Blick zu Subaro hob, da meinte Minoru etwas zu sehen, was ihn alarmierte. Sein Kopf drehte sich zu seinem Vorgesetzten, doch es war bereits zu spät, da dieser sich schon abwandte und ohne ein Wort zu verlieren, den Raum verließ.

Was mochte zwischen diesen beiden sein? Minoru war zutiefst beunruhigt. Er hatte das Gefühl etwas aufgefangen zu haben, was nicht hätte sein dürfen.

„Bitte bleibt hier“, bat Yukio ihn, als Minoru sich verabschieden wollte, um seinen Platz vor der Tür einzunehmen. Es wäre ihm lieber gewesen fortgehen zu können, aber Saburo hatte ihn angewiesen Yukio ihm Auge zu behalten und so blieb er sitzen. Als Yukio nichts weiter sagte, fühlte sich Minoru genötigt etwas zu sagen. Eigentlich machte ihm schweigen sonst nichts aus, aber jetzt konnte er es kaum ertragen.

„Es wäre doch besser gewesen, wenn Ihr noch einige Tage geruht hättet“, sagte er, über überhaupt etwas zu sagen, während Yukios Gesicht gegen die Decke gerichtet war.

„Ja…vielleicht habt Ihr recht…“, sagte er leise, bevor er Minoru doch ansah. „Wie kommt es eigentlich, dass Ihr Fukuwara-san unterstellt worden seid?“

Die Frage überraschend gestellt, entriss Minoru seiner Verwirrung. Er musste zwinkern, um sich auf das neue Thema einzustellen.

„Fukuwara-san war so freundlich mich auch, mich auch nach meiner Ausbildung bei ihm, bei sich zu behalten und in den Kreis seiner Vertrauten aufzunehmen“, sagte er daher ein wenig knapp, noch vollkommen ahnungslos, was Yukio mit der Frage bezwecken wollte.

„Ihr seid also sein Liebhaber?“ Auf Yukios Gesicht spiegelte sich Interesse, was Minoru bis in die Haarwurzeln erröten ließ.

„Natürlich nicht!“ erwiderte er heftig. „Fukuwara-san war mein Lehrer und jetzt bin ich ihm ein loyaler Samurai. Im Übrigen wüsste ich nicht, was Euch das alles anzugehen hätte.“ Wie konnte es dieser Grünschnabel auch nur wagen, ihm solche Fragen zu stellen? Minoru war wirklich ärgerlich. Saburo war ein sehr guter Vorgesetzter und Minoru bewunderte ihn zutiefst, doch so sehr er ihn auch mochte, waren da keine romantischen Gefühle für ihn. „Warum stellt Ihr mir überhaupt solche Fragen?“ erkundigte er sich reichlich barsch, ohne seinen angefallenen Ärger zu verbergen.

„Ich war einfach nur neugierig“, war die schlichte Antwort, die Minoru nur bedingt gefiel und die Stirn runzeln ließ. Yukio setzte sich auf. Da Kumiko sein Haar gelöst hatte, fiel es ihm nun über die schlanken Schultern und ließ ihn zerbrechlich wirken. Nein, so sah kein Samuraischüler aus, dachte Minoru abgelenkt, wenngleich ihm auch klarer wurde, wieso er auf Tokugawa einen solchen Reiz haben musste.

„Außerdem wundert es mich, wie es sein kann, dass jemand der so jung wie Ihr seid, einen Posten in der Wache des Shoguns erhalten haben kann.“ Das war eine Frage, die sich gewiss nicht weniger gestellt haben und gleichzeitig der Grund, warum sich Minoru solche Mühe gab, seinen Pflichten gerecht zu werden, was ihm früh jegliche Leichtigkeit genommen hatte, die viele andere junge Männer, in seinem Alter noch hatten. Um den Erwartungen gerecht zu werden, hatte er vieles andere aufgegeben, dass ihn selbst Tanaka oft damit neckte, dass er sich wie ein alter Mann verhielt.

„Und darum habt Ihr angenommen, dass ich mir diesen Posten, durch eine Liebschaft mit Fukuwara-san erschlichen habe?“ zischte er nun wahrlich verärgert und bemühte sich sichtlich darum die Fassung nicht zu verlieren, um am Ende für diese perfide Unterstellung, nicht noch Genugtuung zu fordern. Yukio war klug genug, dazu nichts zu sagen, sondern lediglich mit den Schultern zu zucken.

„Es mag sein, dass ich diesen Posten erhielt, weil Fukuwara-san mir ein gutes Auskommen hatte geben wollen, aber ich kann Euch ebenso gut versichern, dass er mich nicht behalten hätte, wenn ich meines Postens nicht wert gewesen wäre!“ Wie konnte dieses Kind nur so etwas annehmen? Wäre er ein echter Samurai gewesen, hätte Minoru ihn gewiss zum Duell gefordert.

„Ich wollte Euch nicht beleidigen…“, versuchte Yukio Minoru zu beruhigen, was jedoch nicht ganz funktionierte.

„Ihr solltet Euch nun ausruhen“, sagte Minoru, verneigte sich knapp und verließ dann Yukios Zimmer, um auf der Veranda seinen Platz einzunehmen. In ihm kochte es! Er war ärgerlich, nicht zuletzt, weil er für den Hauch eines Moments tatsächlich Mitleid mit dem Jungen gehabt hatte. Nun er kannte er, dass dieser Einfallspinsel es nicht verdient hatte.
 

So fürchterlich der Abend geendet hatte, so friedlich begann der nächste Tag. Kumiko berichtete Yukio schon am nächsten Morgen, dass die Mutter des Shoguns wieder wohlauf war und wahrscheinlich nur einen von ihren Momenten gehabt hatte, in welchen sie sich dem Jenseits besonders nah fühlte. Die Besuche ihres Sohnes ließen sie dann nach ein paar Stunden immer genesen, was den Verdacht nah legte, dass die Dame genau durch diese Art von Schwächeanfällen und Nahtoderfahrungen, ihren Sohn in ihre Nähe zwang. Seine seltenen Besuche waren daran schuld und so hatte niemand wirklich Mitleid, um ihn, dass er in solchen Fällen die ganze Nacht in einem stickigen Zimmer des Inneren Palastes sitzen und der dünnen Stimme seiner Mutter lauschen musste.

Yukio hatte allerdings andere Probleme und daher keinen Kopf, um sich über die erste Dame des Reichs Sorgen zu machen. Viel mehr machte er sich Sorgen um sich selbst. Unweigerlich würde wieder eine Einladung in das Schlafgemach des Shogun folgen und Yukio war sich nicht ganz sicher, ob er würde ertragen können. Sich noch einmal überwinden, um dorthin zu gehen, war einfach unmöglich! Ihn schauderte es, wenn er daran dachte, wie Tokugawa ihn an sich gezogen hatte, um seine Wange zu küssen. Yukio hätte den Göttern danken müssen, dass dann die schlechte Nachricht eingetroffen war und nicht weiter hatte passieren können! Übelkeit stieg in ihm auf, weswegen er das Frühstück verschmähte und einen Tee wollte. Er hatte die erste Schale noch nicht ganz an die Lippen gehoben, als auch schon Masahiro angekündigt wurde. Der kleine Junge, schien ein besonders Interesse an Yukio entwickelt zu haben, da er so fröhlich auf ihn zusprang, dass er Yukio beinahe umgestoßen hätte.

„Guten Morgen, Kamaguchi-chan“, begrüßte er das Kind, dass ich nah an ihn setzte und zu ihm hochblickte.

„Ihr seht heute blass aus, Matsumoto-san“, sagte der Junge und streckte seine Hand nach Yukios Wange aus, was zwar unhöflich war, aber Yukio nur wenig störte. Er beneidete Masahiro, der aufgrund seiner Jugend, weit entfernt von den Intrigen und Wirrungen des Hofes war. „Ihr werdet doch nicht krank, oder? Das wäre schlecht, denn ich bin gekommen, um euch zum Spielen zu bitten.“ Er sagte es so ernst, als würde er Yukio förmlich zum Duell fordern wollen, was ein Lächeln auf die Lippen des Jünglings zauberte.

„In dem Fall, werde ich das krank sein verschieben müssen“, antwortet er nachdenklich und strich dem Kind, dass sich so zutraulich an ihn geschmiegt hatte, über den Rücken. Wie gerne er doch mit Masahiro getauscht hätte! Doch dauerte es leider nicht lange, bis der Grund für Masahiros frühen Besuch, sich ebenfalls bei Yukio eingefunden hatte. Es handelte sich dabei um einen älteren Mann, der Masahiros neuer Lehrer in Kaligraphie war und Imada hieß.

„Verzeiht, aber es ist Zeit für euren Unterricht, Kamaguchi-san“, informierte er den Jungen, der das Gesicht verzog und flehend zu Yukio hochblickte, als würde ihn dieser retten können.

„Aber ich versprach Matsumoto-san gerade ihm den Vormittag über Gesellschaft zu leisten“, versuchte sich das Kind zu retten, was Imada die Stirn runzeln ließ und Yukio in eine schwierige Lage brachte. Es war besser den Lehrer nicht zu verärgern, zumal es nicht gut gewesen wäre Masahiro seinen Unterricht versäumt hätte.

„In dem Fall würde ich mich freuen, wenn Ihr nach dem Unterricht zu mir kommen würdet.“ Als Yukio sah, wie Masahiros Hoffnungen, auf eine Rettung vor dem Unterricht eingingen, bekam er dann doch Mitleid mit ihm. „Doch damit Euch der Kaligraphieunterricht leichter fällt, werde ich euch diese kandierten Ingwerstückchen mitgeben, damit sie Euch den Unterricht versüßen.“ Das war etwas, was Masahiros Laune etwas hob und so ließ sich Yukio ein Taschentuch geben, legte dorthinein einige der kandierten Köstlichkeiten und überreichte es Masahiro, der sich artig bedankte, bevor er mit seinem Lehrer fort ging.
 

Es war gerade einmal Mittag und Yukio dabei seine Finger an einer Shamisen zu üben, als er vor der Tür zu seinem Empfangszimmer Stimmen hörte. Verärgert über die Störung legte er das Instrument fort und erhob sich selbst, um zu sehen, was dieser Lärm zu bedeuten hatte, als Tanaka-san auch schon die Shojitür aufzog.

„Was hat dieser Lärm zu bedeuten“, fragte Yukio und blickte auf die fünf Wachen die formeller Kleidung gekommen waren.

„Man hat mich gerade darüber informiert, dass man Euch, zu einem Gespräch geladen hat, Matsumoto-san“, erklärte Tanaka ein wenig steif und überreichte das Schreiben Yukio der es flüchtig las. Er verstand nicht, warum er gebeten wurde, den Soldaten zu folgen, obwohl das Schreiben keine Unterschrift trug. Hilflos blickte er zu Tanaka, der jedoch keine Regung zeigte und auch nicht andeutete, was Yukio machen sollte. Also blieb ihm nichts anderes, als den Wachen zu folgen.

Was mochte geschehen sein, fragte er sich unsicher und versuchte sein klopfendes Herz damit zu beruhigen, dass er sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Umso beunruhigter wurde er, als man ihn in einen der Inneren Räume des Palastes brachte, die nichts mit der leichten Eleganz zu tun hatten, die Besucher und Tokugawas Vertraute genießen durften. In diesem Teil des Palastes war alles schlicht gehalten. Hier war alles funktionell und als er den Raum betrat, wo man ihn erwartet, spürte er wie die Angst ihm die Kehle zuschnürte. Der Raum wurde von Öllampen erhellte und in dem gelben Schein der Lampen saßen, Fukuwara-san und zwei andere Samurai die Yukio nicht kannte. Die Wachen die an den Seiten saßen nahm er nicht wahr und so entging ihm, dass auch Minoru unter ihnen war. Was war nur los, fragte Yukio sich mit echter Angst.

„Bitte setzte Euch, Matsumoto-san“, sagte ein älterer Mann, dessen Haar an den Schläfen weiß war und der streng auf Yukio blickte. „Ist Euch klar, warum man Euch hierher gerufen hat?“ fragte er weiter, nachdem Yukio sich hingekniet hatte.

„Nein, das weiß ich nicht.“ Die Antwort wurde von einem leichten Zittern durchzogen, woraufhin der dritte Samurai, ein Mann der noch keine grauen Haare hatte, Yukios Taschentuch hervor zog und es vor ihn hinlegte.

„Aber dieses Taschentuch erkennt Ihr doch, nicht wahr?“, fragte wieder der Älteste, woraufhin Yukio das Taschentuch in die Hände nahm und es von allen Seiten betrachtete.

„Ja, natürlich erkenne ich es“, sagte er erstaunt und faltete es zusammen. „Es ist mein eigenes. Ich packte Kamaguchi-san darin Konfekt ein, ehe er zum Unterricht ging.“ Wie waren sie nur an das Taschentuch gekommen? Yukio hätte gerne gefragt, doch diese Möglichkeit blieb ihm nicht.

„Dann behauptet Ihr also auch nicht zu wissen, dass das Konfekt vergiftet war?“ Die Frage ließ Yukio zusammenzucken. Sprachlos saß er da und schüttelte den Kopf. Er selbst hatte von dem Konfekt nichts gegessen, aber er hatte es Masahiro gegeben, um ihm eine Freude zu machen. Wie hatte es nur geschehen können? Oder waren die vergifteten Süßigkeiten für Yukio selbst bestimmt gewesen.

„In dem Fall, müssen wir Euch bitten, Euch von Fukuwara-san befragen zu lassen“, hörte Yukio noch einen der beiden Männer sprechen, während er das Gefühl hatte, dass vor seinen Augen alles verschwimmen würde. Er hörte wie Männer sich erhoben und den Raum verließen und sagte es dennoch nicht zu zwinkern, um alles wieder klar sehen zu können.

„Matsumoto-san?“, sprach ihn endlich jemand mit sanfterer Stimme an, woraufhin er die Augen öffnete und in Saburos Augen blickte. „Ist alles in Ordnung?“ fragte er besorgt, was nur bedeuten konnte, dass Yukio ganz blass geworden war.

„Wie kann etwas in Ordnung sein, wenn man mir unterstellt, dass ich Masahiro-chan zu vergiften versucht hätte.“ Als er merkte, was er gesagt hatte, schlug er sich die Hand vor den Mund und starrte Saburo aus großen Augen an. Nein, er hatte es nicht getan, doch nun wo er es ausgesprochen hatte. Doch wollte ihm Fukuwara aus der Sache scheinbar keinen Strick drehen, denn er berührten Yukios schlanke Schulter und deutete ein Lächeln an.

„Bitte, berichtet mir genau, was geschehen ist“, forderte er sanft von ihm und Yukio von der Stimme ein wenig beruhigt berichtete, dass das Konfekt schon vom Abend zuvor in seinem Zimmer stand und von niemandem angerührt worden war. Er selbst hatte davon nichts gekostet und er hatte auch nicht geahnt, dass Masahiro-san ihn besuchen würde. Alles war nur ein Zufall gewesen und Yukio vollkommen unschuldig. Saburo hörte sich das alles sehr genau an.

„Mir scheint fast, dass Ihr unter keinem guten Stern zu stehen scheint, Matsumoto-san.“ Er tätschelte Yukios Hand, als dieser den Kopf senkte. „Doch glaube ich Euch, denn ich sehe weder einen Grund, warum ihr ein Kind vergiften solltet, noch warum Ihr ihm dann euer Taschentuch hättet geben sollen. Leider bleibt damit dennoch die Frage, wessen Tat es war und wer Euch damit schaden wollte.“ Er machte eine kleine Pause in welcher Yukio ihn hoffnungsvoll anblickte. „Ich werde versuchen die Wahrheit ans Licht zu bringen, doch Ihr solltet Euch vorerst mit niemandem treffen.“

Yukio, von dem Gefühl überwältigt, dass ihm zumindest eine Person glaubte, ergriff Saburos Hand und drückte sie.

„Ich danke Euch, dass zumindest Ihr mir Glauben schenkt“, murmelte er und blickte eine Spur zu lange in Saburos Augen, ehe ihm dieser seine Hand wieder entzog.

„Yoshida-san wird Euch zurückbringen und vergesst meinen Ratschlag nicht“, ermahnte er Yukio noch einmal, der sich vor Saburo verneigte und dann mit ihm zurückging.
 

Es gefiel Minoru ganz und gar nicht Yukios Kindermädchen spielen zu müssen, aber er wollte sich Saburos Befehlen nicht widersetzten. Trotzdem war er leicht verärgert, als er neben Yukio her ging, der den Kopf gesenkt hielt und auf seine Füße zu starren schien. Konnte er nicht gerade und neutral gehen, sondern musste jeden Blick auf sich ziehen und seine Last so der Welt zeigen?

Nur zu gerne hätte Minoru ihn zu Recht gewiesen, aber er durfte es nicht und führte Yukio in sein Zimmer, wo man das Konfekt längst fortgenommen hatte und mit ihm Shiro, der es immerhin gebracht hatte. Auch Kumiko war fort. Offensichtlich wollte man auch sie zu der Angelegenheit vernehmen.

„Ich danke Euch, dass Ihr mich zurückgebracht habt“, murmelte Yukio und wollte gerade eintreten als ihn Minoru dann doch aufhielt.

„Dafür brauche ich euren Dank nicht, doch wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, dann haltet Euch von Fukuwara-san fern“, sagte Minoru ziemlich schroff und ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Nur schein Yukio das nicht zu verstehen, was die Verwirrung auf seinem Gesicht bewies.

„Wie meint Ihr das?“, fragte er tonlos, woraufhin Minorus Geduld riss. Er stieß Yukio in den Empfangsraum und schob die Tür geräuschvoll hinter sich zu, mühsam sich beherrschend, nicht doch ausfallender zu werden.

„Ich habe eure Blicke und Berührungen Fukuwara-san gegenüber gesehen und auch, wenn Ihr euch keine Gedanken darüber macht, werde ich es nicht zulassen, dass Ihr ihn in irgendeine hässliche Geschichte verwickelt“, fuhr er Yukio wütend an, obwohl er wusste, dass es sich nicht hätte einmischen sollen. Doch Minoru konnte einfach nicht. Wenn es um Saburo ging, sein Vorbild und seinen Mentor, konnte er nicht still daneben sitzen, nichts sagen und nichts tun!

„Ich weiß nicht was Ihr meint“, versuchte Yukio sich zu wehren, doch Minoru durchschaute die Lüge nur zu schnell und runzelte die Stirn ärgerlich.

„Ihr wisst sehr wohl, was ich meine und sollte Fukuwara-san, wegen Euch in Tokugawa-samas Auge geraten, dann werde ich euren Kopf fordern!“ So aufbrausend hatte sich Minoru noch nie verhalten! Aber er hatte die Nerven verloren und bereute es nur einen Augenblick später, als er Tränen in Yukios Augen sah. So heftig hätte er gar nicht werden müssen und war es nicht verständlich, dass Yukio jemanden bei sich wissen wollte, der ihm glaubet und auf seiner Seite stand?

Er erinnerte sich an den Abend zuvor, als Fukuwara Yukio mühelos hochgehoben hatte, um ihn in sein Zimmer zurück zu tragen. War das nicht ein Zeichen, gewesen, dass er Yukio unterstützten würde? Minoru war sich nicht mehr sicher, ließ den Gedanken jedoch fahren, als er sah wie zwei dicke Perlen über Yukios Wangen flossen.

„Verzeiht, ich wollte nicht...“ weiter kam er gar nicht, da Yukio seine Hand fort schlug, mit der er ihn hatte berühren wollen. Vor Schreck zog Minoru diese Hand zurück und sah Yukio stumm an.

„Geht! Ich will Euch hier nicht in meinem Zimmer haben“, warf er ihm mit aufgelöster Stimme entgegen, die Minoru erschreckte. Sein Ärger verflog und obwohl er wusste, dass er sich hätte entschuldigen müssen, ahnte er, dass Yukio ihm nicht zuhören würde. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich vor Yukio zu verneigen und dann das Zimmer wieder zu verlassen.

So hart hatte er ihn gar nicht anfahren wollen und doch hatte er es getan. Das war unverzeihlich, doch Yukio wollte jetzt keine Entschuldigung hören, was Minoru sehr wohl wusste. Ihm blieb nichts anderes übrig, als vor der Tür zu sitzen und auf den abendlichen Garten zu blicken. Schon bald kam Kumiko, doch noch ehe sie zu Yukio konnte, hielt er sie auf und befragte sie noch einmal wegen des Konfekts. Die ältere Frau kniete sich daraufhin neben Minoru und seufzte.

„Ich verstehe selbst nicht wie das geschehen konnte. Ich war die ganze Zeit dabei, als Matsumoto-san sich fertig machte und am Morgen, als ich ihn weckte, war das Konfekt noch immer so abgedeckt, wie ich es zugedeckt hatte. Ich kann mir wirklich nicht erklären, warum man ihn verdächtigen sollte. Im Grunde ist er doch noch ein unbekümmerter junger Mann, der gegen Kamaguchi-chan sicherlich nichts hat“, sagte sie und sah zu Minoru der ihr aufmerksam zugehört hatte. Auch er glaubte nicht so recht daran, dass Yukio Masahiro hatte vergiften wollen, aber es war Konfekt aus seinem Zimmer und sein Taschentuch.

„Und sonst hätte niemand ins Zimmer kommen können?“ befragte er die Frau weiter, die darauf hin den Kopf schüttelte.

„Nein, vollkommen unmöglich. Tanaka-san hat die ganze Nacht vor der Tür gewacht und er hätte ganz sicherlich niemanden hineingelassen. Nein, es ist unmöglich, dass jemand in der Zwischenzeit betreten hat, von mir oder Shiro abgesehen“, teilte Kumiko ihm weiter mit. „Und wir waren es nun ganz sicherlich nicht. Shiro stand die ganze Zeit in der Küche, als das Konfekt vorbereitet worden war und der Koch hatte noch geschimpft, weil ein Diener sich ein Stück genommen hatte und dem ist nichts unwohl bekommen. Ihr seht, es ist eigentlich unmöglich.“

Ja, wenn man die Sache so betrachtete, dann war es wirklich unmöglich und dennoch war es geschehen. Immerhin war es unmöglich, dass sein Lehrer oder einer von seinen Dienern Masahiro hatten töten wollen. Vollkommen absurd, wo der Junge lediglich eine politische Geisel war und sonst keinen Einfluss hatte. Und dennoch hatte sich jemand seiner angenommen, warum nur?

„Wenn Ihr keine weiteren Fragen habt, dann würde ich nun gerne zu Matsumoto-san“, rief die alte Dienerin Minoru aus seinen Gedanken.

„Oh, gewiss. Lasst Euch nicht von mir aufhalten.“ Es gab nichts aus Kumikos Worten zu zweifeln und trotzdem hatte Minoru das Gefühl, als wenn er etwas übersehen würde. Doch eigentlich hätte es ihm gar nicht zugestanden, sich darüber größere Gedanken zu machen, denn immerhin wurde bereits eine öffentliche Untersuchung durchgeführt, die alles ans Licht bringen sollte.

Es dauerte nicht lange bis Minoru sich den Grund dafür eingestand, warum er das Geheimnis des Konfekts lösen wollte. Würde sich die Angelegenheit noch länger hinziehen, dann würde Saboru noch öfters zu Yukio kommen müssen und Minoru fühlte schon jetzt Magenschmerzen, wenn er an den Moment dachte, wo es jemanden auffallen sollte, mit welchem Blick Yukio Saburo betrachtete. Wie ein Lauffeuer würde es sich verbreiten, dass der möglicherweise neue Favorit des Shoguns Gefallen, an seinem Hauptmann fand und nicht an Tokugawa selbst. Es würde weniger ein Skandal geben, als viel mehr würde es Tokugawas Zorn auf Saburo lenken, der nichts getan hatte und dennoch im schlimmsten Fall dafür würde bezahlen müssen. Minoru presste die Lippen zusammen und nahm sich vor Yuikio die Stütze zu sein, die der Jüngling in Saburo zu sehen meinte. Ihm würde man es hoffentlich weniger nachtragen.
 

Halb in Gedanken versuchen, wie er Yukio von Saburo ziehen könnte und halb auf die Umgebung achtend, sah Minoru am späten Abend Ryo zurückkehren. Er saß noch immer vor Yukios Tür, als er Ryo wütend den Garten betreten sah. Die sonst so weichen und schon fast hochmütig gesetzten Schritte, waren einem nahezu unangemessenen Trampeln gewichen. Er war so schnell, dass selbst sein Diener kaum hinterher kam. Der Zorn war nicht zu verbergen und Minoru brauchte auch nicht lange, bis er erfuhr, was der Grund für diesen Zorn war. Ryo warf einen Blick zu Yukios Räumen und ab da war alles klar. Was immer auch geschehen sein mochte, es hatte Ryo nicht nur verärgert, sondern seinen Hass auch auf Yukio gelenkt. Was mochte nur geschehen sein?

Nun von Ryo würde er ganz sicher nicht erfahren, aber die Chance, dass der Hof am nächsten Tag darüber tratschen würde, lag mehr als gut. Minoru wollte sich schon fast entspannen, als er Saburo sah, der nach Ryosuke den Garten betrat und langsam auf ihn zukam. Er wirkte ruhig und beherrscht, ohne Arg in seinen Schritten, genauso wie Minoru ihn auch kannte. Sobald sein Vorgesetzter nah genug gekommen war, verneigte er sich vor ihm.

„Schläft Matsumoto-san schon“, erkundigte sich der Hauptmann, nachdem er sich neben Minoru niedergelassen hatte.

„Ich denke schon. Zumindest ist er schon eine ganze Weile ruhig. Ich nehme an, dass Kumiko über ihn wacht“, erklärte er und behielt den Grund für Yukios frühen Rückzug für sich. Er hatte sich nicht gut verhalten und darum wollte er seinem Vorgesetzten darüber nicht berichten. Saburo nickte leicht.

„Das ist wahrscheinlich auch besser so. Der heutige Abend ist kein guter Abend und auch die Nacht wird für einige nur wenig erholsam werden.“ Er sagte es in einem fast prophetischen Ton, der Minoru ein wenig beunruhigte.

„Geht es Kamaguchi-san besser?“ erkundigte Minoru sich höflich, da er annahm, dass das der Grund für den ganzen Ärger sein musste.

„Ja, es geht ihm besser. Zum Glück hat er nur ein Stück des Konfekts gegessen, darum war die Vergiftung auch nicht sehr groß. Er sollte dankbar sein, dass sein Lehrer ihn davon abgehalten hat sich mit den Süßigkeiten vollzustopfen, wenngleich er sicherlich nicht diesen Grund dazu aufgeführt hatte.“ Saburo schüttelte den Kopf und betrachtete Minoru eingehender, was diesen unruhig werden ließ. „Hast du etwas auf dem Herzen? Du siehst etwas blass aus.“ fragte er dann sehr direkt, woraufhin Minoru fast zusammengezuckt wäre.

„Vielen Dank, mir geht es gut, ich bin nur etwas beunruhigt, da ich Ikomo-san vorhin in schlechter Laune den Garten habe betreten sehen und frage mich daher, woher diese rühren könnte.“ Er wusste, dass er sich damit als ein neugieriger Kerl entpuppte, aber das war immer besser, als zugeben zu müssen, dass er sich mit Yukio in die Haare gekriegt hatte.

„Ah, das… Ich verstehe.“ Saburo nickte leicht und blickte zu der verschossenen Tür, hinter welchen Licht flackerte und Ryo gewiss tobte. „Tokugawa-sama wünschte heute Nacht seine Gesellschaft nicht. Ich nehme an, dass es daran lag, weil er etwas zu leidenschaftlich sich dafür eingesetzt hatte, dass man Matsumoto-san, während er Untersuchung gefangen setzten sollte.“

Nun konnte Minoru seinen Lehrer nur noch sprachlos anstarren. Nie und nimmer hätte er gedacht, dass Ryo soweit gehen könnte, zumal man immerhin auch annehmen konnte, dass da Gift für Yukio selbst bestimmt gewesen sein konnte. Dafür lag die Wahrscheinlichkeit sogar höher, als dass Yukio, grundlos Masahiro hätte vergiften sollen.

„Das hört sich an, als…“ Minoru wagte es nicht auszusprechen und sah zu Saburo, der auf den stillen Garten hinaus blickte, als würde er weit weg nach etwas suchen.

„Es hört sich danach an, als würde Ikomo-san nicht mehr lange seinen Platz halten können. Mit dieser Forderung hat er Tokugawa-sama heute sehr verärgert. Wenn er vorher noch keinen Grund hatte Matsumoto-san schaden zu wollen, so hat er diesen jetzt.“ Der Hauptmann drehte den Kopf langsam zu Minoru und blickte ihn mit einem unergründlichen Blick an. „Du solltest heute Nacht in Ruhe schlafen, Yoshida-kun, denn du siehst müde aus. Ich werde deine Wache übernehmen, bis mich Tanaka-san ablöst“, sagte er freundlich, jedoch nachdrücklich genug, dass Minoru nichts anders übrig blieb als zu gehorchen.

Nachdem er sich verabschiedet hatte, durchquerte er den Garten, wobei ihn das Bedürfnis sich umzudrehen und noch einmal zu Saburo zu blicken überwiegte. Er hatte schon fast den Garten verlassen, als er doch einen vorsichtigen Blick über die Schulter warf und erschrak dann. Saburo hatte sich zur Tür gewendet und öffnete diese leise.

Minoru machte das er fort kam, aber die Frage, was Saburo zur so späten Stunde, bei Yukio nur wollen konnte, wollte ihn nicht mehr loslassen. Nicht einmal als er schon auf seinem Futon in der Kaserne lag.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Seiya-Chan
2011-04-09T16:52:40+00:00 09.04.2011 18:52
Schon wieder so ein spannendes Kapitel! Bin mal gespannt warum Saburo reingegangen ist!


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