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Dicembre

26 Tage Weihnachten
von

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Siebter Dezember

Der kleine Junge mit den roten Augen würgte, als der alte Mann mit der freien Hand um seinen Hals griff. Er schielte nach oben, wo sich der eiskalte Lauf der Waffe gegen seine Stirn drückte. Die Luft blieb ihm weg, er wollte nicht gehen, doch er wehrte sich nicht.

Der Schuss zerfetzte nicht nur die Stille.
 

Er drehte sich auf die Seite, zog die Bettdecke hoch bis zu seinem Hals. Xanxus döste, erinnerte sich diffus und unterbewusst an den vergangenen Tag. Daran, wie er noch gut eine Stunde lang auf dem Balkon gestanden und in den Garten gestarrt hatte. Daran, wie Sawada später im großen Saal ein paar Worte zu Nikolaus verloren hatte – der an der Varia natürlich völlig vorübergegangen war. Daran, wie Luss das erschreckt und wie Bel das erfreut hatte. Und daran, wie er sich danach in sein Zimmer verzogen hatte.

Xanxus hatte den gesamten restlichen Tag dort verbracht. Er hatte zwei Gläser Whiskey geleert, mehr hatte er nicht getrunken. Stattdessen hatte er sich auf sein Bett geworfen und den großen Fernseher im Zimmer genutzt, um Leuten dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig anbrüllten.

Und die ganze Zeit hatte er sich geärgert, und er wusste immer noch nicht, worüber.

Er hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Dass sie geöffnet worden war, er hatte er nicht gehört. Auch nicht das Klopfen. Ja, er hatte es sogar geschafft, die Stimme zu überhören.

Bis jetzt.

Die Wärme der Decke verschwand von einer Sekunde auf die andere von seinem gesamten Körper und nahm die wohlige Ruhe seins Halbschlafs brutal mit sich.

»VOOOOOOOOOOOOI!«

Oh, Scheiße.

Xanxus gab einen müden Laut von sich, drehte den Kopf dann gänzlich der Matratze zu und versenkte sein Gesicht darin. Er wusste, dass auf seinem Nachttisch noch das leere Glas von gestern stand, und hatte Lust, es zu greifen und nach Squalo zu werfen, aber dafür war er noch nicht wach genug.

»Du kannst froh sein, dass ich deine verfickte Uhr nicht an deinem verfickten Kopf zerstöre. Steh auf, Mann. Es ist viertel vor vier. Nachmittags.«

Xanxus öffnete die Augen und blinzelte gegen das Bettlaken. Oh, okay, jetzt fühlte er sich gleich viel wacher.

… Na ja, ein bisschen zumindest.

Er wälzte sich wieder auf den Rücken, lag auf dem großen Bett wie gekreuzigt, ohne seine Decke und nur in Boxershorts, rieb sich die schmerzenden Augen und sah dann blinzelnd in Squalos Richtung. Der stand am Fußende des Bettes, hatte die rechte Hand in die Hüfte gestemmt, und so aggressiv, wie er wirkte, hatte Xanxus fast damit gerechnet, dass ein Schwert aus seinem linken Ärmel schaute. Aber das sparte er sich logischerweise.

»Was zur Hölle hast du gestern schon wieder angestellt?«

»Gar nichts«, antwortete Xanxus wahrheitsgemäß, er war heiser und seine Lippen brannten.

Ich hab mich von deiner Freundin zusammenscheißen lassen, antwortete er nicht.

Einen Augenblick lang sah Squalo ihn nur an, dann seufzte er hörbar und drehte sich wortlos zu Xanxus‘ Kleiderschrank, und im nächsten Moment flogen eine Hose und ein Hemd auf ihn zu.

Die nächsten Sekunden vergingen wortlos. Xanxus rappelte sich auf und zog sich an, und Squalo besaß die Höflichkeit, dezent aus dem Fenster zu sehen, während er das tat. Erst, als Xanxus sich wieder auf die Bettkante setzte, schielte er zurück zu ihm – bevor er sich bewegte und einfach neben ihn setzte.

»Hast du wieder geträumt?«, fragte er.

Xanxus verzog das Gesicht. Bastard. Manchmal hasste er Squalo dafür, dass er in ihm lesen konnte wie in einem offenen Buch, seit er… na ja, seit er Bescheid wusste.

»Ja.«

Squalo ließ ein kurzes Seufzen hören. »Die ganze Woche hast du also gesoffen und gevögelt und warst deshalb müde, und kaum tust du das mal eine Nacht lang nicht, verpennst du.«

»Ich hasse dich.«

Xanxus wäre am liebsten wieder zur Seite gekippt und eingeschlafen, während er beobachtete, wie Squalo sich neben ihm die Augen rieb. »Voooi – warst du nicht früher mal derjenige, der sich für den Ruf der Varia den Arsch aufgerissen hätte?«

Oh, wow. Sah aus, als bekäme er gleich die nächste Standpauke.

»Was willst du, Squalo…?«

»Ich will, dass du dich zusammenreißt. Hast du mir nicht noch gesagt, ich müsse dich nicht aus irgendwelchen Betten kratzen? Jetzt schau dich an. Muss ich sehr wohl. Du trinkst zu viel und das weißt du. Du hast Schlafstörungen und das weißt du. Warum zur Hölle tust du nichts?«

»Das wird nichts ändern an dem, was passiert ist.«

»VOOOI! Heilige Scheiße, Xanxus! Du bist fast dreißig! Du kannst mir nicht erzählen, dass du dich bis an dein Lebensende an diesen verfickten acht Jahren festklammern willst. Das ist dreizehn Jahre her. Und Japan war jetzt auch schon vor einem halben Jahrzehnt. Diese Sachen sind keine verdammte Entschuldigung. Und außerdem ändert dein Alkoholkonsum auch nichts…«

Xanxus hatte große Lust, seine Waffe zu schnappen und sie so lang gegen Squalos Kopf zu drücken, bis er die Schnauze hielt. Aber er wusste, dass er das nicht tun würde. Er würde ja nicht einmal abdrücken. Er würde Squalo nicht töten und er würde ihn nicht zum Schweigen bringen, weil er in Wahrheit genau dafür da war. Dass er hier saß und mit ihm redete. Weil das sonst keiner tat, und auch, wenn er sich sagte, dass er Squalo hasste für das, was er hier von sich gab, wusste er, dass er ihm dafür kein Haar würde krümmen können.

»Im Moment legst du eher alles daran, unseren Ruf in den Dreck zu ziehen«, fuhr Squalo leiser fort. »Hast dir doch gestern von Cat hinreichend anhören können, wie du auf die Leute da draußen wirkst, oder? Sie sehen dich jeden Abend mit einer anderen Tussi verschwinden, und jeden Morgen mit Augenringen bis zum Fußboden wieder aufkreuzen. Und heute haben sie dich bisher überhaupt nicht gesehen, du weißt ganz genau, wie schnell die beschissensten Gerüchte die Runde machen. Du solltest als Boss der Varia hier sein, und stattdessen bist du hier wie… Scheiße, keine Ahnung, Mann. Wären wir noch sechzehn, und die da draußen auch, dann würden sie vielleicht cool finden, was du hier abziehst. Aber je älter du wirst, desto erbärmlicher sieht es aus.«

Okay, er konnte ihm doch ein Haar krümmen. Xanxus biss die Zähne zusammen, atmete aus und schlug Squalo dann mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf – nichts Schlimmes an sich, jedoch kräftig genug, dass sein ganzer Oberkörper ein Stück nach vorn flog, bevor er sich wieder fing.

»Nenn mich nicht erbärmlich«, sagte Xanxus leise.

»Ich bin der letzte, der dich für erbärmlich hält«, erwiderte Squalo genauso leise, nachdem er sein Haar wieder in Ordnung gebracht hatte, und zum ersten Mal, seit er begonnen hatte, zu sprechen, sahen sie sich in die Augen. »Ich sage nur, dass du auf den ganzen Rest so wirken könntest. Weil du Dingen nachhängst, die vorbei sind, die hier kein Schwein mehr interessieren, und dir von diesen Dingen dein eigenes Leben versauen lässt. Du kannst mir nicht erzählen, dass es dir gut geht bei dem ganzen Scheiß, den du treibst, seit wir hier angekommen sind.«

Xanxus rümpfte die Nase und schwieg. Nein, es ging ihm nicht gut. Ja, es ging ihm scheiße. Aber Gott, er hatte doch auch allen Grund dazu, es sich scheiße gehen zu lassen. Oder?

»Du bist ein erwachsener Mann, Xanxus«, stellte Squalo fest, während er sich langsam erhob. »Und noch dazu mein Vorgesetzter. Du solltest dir nicht von mir sagen lassen, wie du deinen Job zu machen hast. Richtig?«

»Richtig«, murmelte Xanxus, obwohl er noch nicht ganz verstanden hatte, was diese Rede sollte. Er begann, zu begreifen, aber er war einfach noch nicht fertig.

»Voooi – wenn du dich zum Abendessen auch nicht blicken lässt, schick ich Cat nochmal hier rein, die frisst dir die Haare vom Kopf.«
 

Squalo grinste, Xanxus grinste zurück und warf ihn aus dem Zimmer.

Xanxus ließ sich zum Abendessen blicken. Cat fraß ihm nicht die Haare vom Kopf.

Xanxus betrank sich nicht und ließ gleich zwei potenzielle Settimas abblitzen.

Xanxus ging zurück in sein Zimmer, ließ den Fernseher aus und dachte nach.

Xanxus begriff.

Und Xanxus war wütend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  dumm
2010-12-07T18:52:27+00:00 07.12.2010 19:52
Mit zwei Worten weniger, wären es 1337 Wörter.
Und 1337 beschreibt das Kapitel auch ziemlich gut.

Der Schluss ist irgendwie traurig. Xanxus ist traurig. Und ein Idiot. D:
Ich freu mich auf morgen! 8D

Die Katzte, frisst mir die Haare vom Kopf! 8D


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