Zum Inhalt der Seite

Götterhauch

Löwenherz Chroniken III
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Verräter oder nicht?

„Ich kann vollauf verstehen, dass du wütend bist“, sagte ich zu Russel, der mich immer noch wütend anstarrte. „Aber lass mich doch erklären.“

Ich konnte ihn wirklich verstehen, aber das änderte nichts daran, dass diese ganze Annahme vollkommen falsch war und möglicherweise wurde es Zeit, dass ich endlich alles aufklärte. Dabei ging es mir weniger um mich, sondern mehr um den Jungen, in dessen Körper ich lebte und der unter alldem zu leiden hatte.

„Fein.“ Russel klang beleidigt, zeigte aber auch, dass er gewillt war, mir zuzuhören, wofür ich dankbar war.

„Möglicherweise ist es vonnöten, weiter auszuholen“, begann ich und lehnte mich zurück. „Der Dämon, gegen den wir gekämpft haben, war nicht einfach nur irgendein bösartiges Wesen aus der Anderswelt. Er war ein Teil jener Entität, die ihr unter dem Namen Ladon kennt.“

Der Junge, der den Namen Marc trug, blieb davon unbeeindruckt, aber die anderen Versammelten sogen erstaunt die Luft ein. Russel neigte den Kopf. „Ladon? Aber ... du bist doch seine Reinkarnation! Wie kann es da noch einen Teil geben?“

„Ich kann es dir auch nicht wirklich erklären“, gab ich zu. „Ladon starb in einer anderen Welt als seiner, getötet von einer Person, die er geliebt hat. Dadurch muss sich sein Hass von seinem normalen Geist gespalten haben und beides wurde in unterschiedlichen Form reinkarniert.“

Ein trauriger Schimmer erschien in Selines Augen, sie ergriff eine ihrer Haarsträhnen und zwirbelte sie zwischen ihren Fingern. Es war mir kaum möglich, den Blick von ihr zu nehmen, auch wenn ich nicht so recht wusste, weswegen. Ich selbst verspürte keinerlei Verlangen nach ihr, aber es war gut möglich, dass der ruhende Teil von Ladon in mir da anderer Ansicht war.

„Noch einmal langsam“, meldete Vincent sich und riss meine Aufmerksamkeit nun doch brutal von Seline fort. „Du sagst also, Melzesa war in Wirklichkeit ein Teil von Ladon? Woher weißt du das?“

Ich war empört darüber, dass er mir eine derartige Frage stellte, obwohl ja bereits längst festgestellt war, dass ich die Reinkarnation des Gottes war und damit solche Dinge eben wusste. Aber gleichzeitig verstand ich auch, dass er skeptisch war. „Fleera könnte es besser erklären, wenn sie hier wäre.“

Nach der letzten Begegnung des Jungen mit dem Mädchen war ich mir aber sicher, dass es noch eine Weile dauern würde, bis sie sich wieder genau an jenes Detail erinnerte, das ich für diese Erklärung benötigte. Deswegen blieb mir nichts anderes übrig als selbst fortzufahren: „Aber unsere Resonanzen und Schwingungen sind dieselben. Daran ist eindeutig auszumachen, dass er und ich eigentlich ein Teil des Ganzen sind. Und ...“

Ich zögerte, unsicher ob ich diese Erklärung wirklich hinzufügen sollte, weil sie mich wieder ins Spektrum eines Verräters einordnen könnte. Aber vielleicht war Ehrlichkeit in diesem Moment auch wichtig. „Melzesa hat es mir außerdem gesagt.“

Russel und Vincent zogen sofort wieder die Brauen zusammen, um mich misstrauisch anzusehen.

„Er hat mit dir gesprochen?“, fragte Rena rasch und lenkte mich von den beiden Männern ab. „Ich erinnere mich nur ungenau, aber ... als ich ihm gegenüberstand, hat er kein Wort gesagt.“

Ich schüttelte mit dem Kopf, hielt dann aber auch gleich wieder inne. „So direkt hat er das nicht, nein. Aber ich konnte ihn in meinen Träumen sehen und dort sagte er mir das.“

„Warum?“, fragte Ryu tonlos. „Wollte er dich damit zu einem Verräter machen?“

Ich hob die Schultern. „Vielleicht. Er hat es mir nicht gesagt, nur, dass wir zwei Seiten derselben Medaille wären und deswegen zusammenhalten müssten. Ich habe ihm nicht geglaubt, aber Fleera hat es bestätigt.“

Die anderen nickten verstehend, bis auf Maryl, die mich immer noch ratlos ansah. „Aber was hat das nun damit zu tun, dass du uns verraten hast?“

Auf diese Frage hatte ich gewartet, weil sie mich zu dem Thema führte, von dem ich nicht wusste, wie die anderen darauf reagieren würden. Aber es führte kein Weg darum herum. „Ihr erinnert euch sicher an das, was geschrieben stand? Dass es nur eine einzige Sache gab, die helfen würde, Melzesa zu töten?“

„Der Götterhauch“, sagte Vincent sofort.

„Was ist das?“, fragte Marc, der sich im Moment sicherlich absolut fehl am Platz fühlte, da er an dieser ganzen Sache nicht beteiligt gewesen war und nichts darüber wusste.

Seline übernahm es glücklicherweise, ihn sanft lächelnd aufzuklären: „Der Götterhauch ist eine Fähigkeit, die nur dem Göttlichen, Ladons Reinkarnation, zusteht. Es heißt, sie soll alles Böse vernichten und die Menschen in ein Zeitalter des absoluten Friedens führen.“

Bei ihrer Erklärung wirkten die anderen geradezu verträumt, ich dagegen verkrampfte regelrecht, als ich das wieder einmal hörte und mir bereits vorstellte, wie ich gleich alle Hoffnung zerschmettern müsste.

Mit leuchtenden Augen blickte Marc mich wieder an. „Warum hast du das nicht gemacht? Das klingt zu schön, um wahr zu sein!“

„Ist es auch“, erwiderte ich trocken, worauf die Gesichter der anderen sofort einfroren. „Habt ihr euch wirklich nie gefragt, wie ein Zeitalter des absoluten Friedens aussehen würde? Bei eurer Reise habt ihr damals selbst erlebt, wie verschieden Menschen sind und über welche Kleinigkeiten sie in Streit geraten können. Was denkt ihr, was es brauchen würde, um in solche Zustände Frieden einkehren zu lassen?“

Bis auf Ryu und Seline warfen sich alle verwirrte Blicke zu. Er war es, der schließlich, erschreckend gleichgültig, antwortete: „Man bringt sie einfach alle um. Wenn es keine Menschen mehr gibt, existiert immerhin endlich Frieden.“

Ich nickte. „Exakt. Der Götterhauch ist nur eine schöne Umschreibung für die vollständige Vernichtung der Menschheit.“

Für einen Moment waren tatsächlich alle still, bis auf Ryu und Seline sahen auch alle schockiert aus, sogar Marc. Ich dagegen war erleichtert, dass es endlich draußen war und mir auch alle zu glauben schienen – bis auf Russel, der plötzlich den Kopf schüttelte. „Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Warum sollte Ladon, gerade Ladon, das tun wollen? Er hat damals genau gegen solche Umstände gekämpft!“

Ich spürte ein Ziehen in meinem Herzen, es war eine geradezu traurige Freude, als ob ein alter Freund einen an fröhliche Zeiten erinnerte, die einen nun unglücklich stimmten. Ladon mochte im Augenblick schlafen, aber er reagierte zweifelsohne auf viele Dinge.

„Ich kann dir nicht sagen, was ihn dazu bewogen hat, aber sein Plan sah vor, mich dazu zu bringen, den Götterhauch anzuwenden und alle Menschen auszulöschen ...“

Mein Blick fiel unvermittelt wieder auf Seline, deren Lächeln endgültig erloschen war.

„Was könnte er dadurch erreichen?“, fragte Maryl ratlos. „Warum sollte er all seine Anhänger auslöschen wollen?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Aber es kümmert mich auch nicht weiter. Mein einziger Plan ist es, ihn davon abzuhalten, es umzusetzen. Deswegen musste ich Melzesa versiegeln, denn nur so konnte ich mit ihm verschmelzen, Ladon wieder zusammensetzen und die Kontrolle über ihn gelangen.“

Es kam mir vor als würden meine Worte noch nachhallen, als ich wieder den Mund schloss. Die anderen sahen mich schweigend an und ich glaubte regelrecht, sehen zu können, wie sie ihre Meinung über mich und meine letzte Tat änderten oder wie sie geradezu krampfhaft versuchten, weiter daran festzuhalten. Besonders Russel schien mir nach wie vor nicht glauben zu wollen, aber es gab nichts mehr, was ich von meiner Seite aus hätte tun können, um seine Bedenken weiter zu zerstreuen. Fleera könnte mehr dazu sagen, wenn sie erst einmal vollständig erwacht war, aber das könnte, wie ich ja bereits festgestellt hatte, noch eine Weile in Anspruch nehmen.

„Du hast Ladon also unter Kontrolle?“, fragte Vincent schließlich und brach damit die Stille wieder.

Es verwunderte mich ein wenig, dass gerade er mir zu glauben schien, aber vielleicht hatte er auch nur beschlossen, das vorerst einmal zu tun, bis er Grund zur Annahme fand, dass ich log.

Als ich nickte, schaltete sich der besorgte dreinblickende Marc ein: „Geht es Tony dabei gut?“

Ich lächelte ihm versichernd zu. „Ja, keine Sorge. Anthony bekommt gar nichts von dem mit, was ich in seinem Inneren tue.“

Marc atmete wieder auf – und dann fiel ihm wohl noch eine Frage ein: „Aber eines verstehe ich nicht so ganz ... wer bist du denn überhaupt?“
 

Kaum wandte das Gespräch sich nur noch der Klärung von Marc Fragen bezüglich Kais Identität zu, beschloss Seline, die Gruppe zu verlassen. Mit einem halbherzigen Lächeln stand sie auf und ging die Treppe hinauf, um ihr Zimmer aufzusuchen.

In ihrem Inneren rumorte ein Sturm aus Sorge und Schuldgefühl und sie wollte nicht, dass die anderen davon etwas mitbekamen. Nicht nur weil sie einen großen Teil dieser Leute nicht einmal – wirklich – kannte, sondern auch weil keiner von ihnen ihre Beherrschung und Autorität in Frage stellen sollte, nachdem sie so lange für ihren Ruf gearbeitet hatte. Nie wieder wollte sie als das schwache Prinzesschen angesehen werden, das bei jedem Schritt beschützt werden musste und das wollte, dass man ihm die Hand hielt.

Aber das, was sie nun erfahren hatte, drohte geradewegs, sie wieder in diese Situation hineinzuschleudern.

Erst in ihrem Zimmer blieb sie wieder stehen, sie machte sich nicht einmal die Mühe, die Tür zu schließen, da sie genau hörte, dass jemand hinter ihr stehenblieb – und sie musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer das sein könnte.

„Es ist alles meine Schuld“, murmelte sie. „Alles nur meine, genau wie damals.“

„Wie kommst du denn darauf?“ Russels Stimme klang genauso sanft und beruhigend, wie damals, wann immer er ihr erneut versichert hatte, dass er sie wieder nach Hause bringen würde.

Und damit trug er im Moment ebenfalls dazu bei, dass sie sich wieder an früher erinnert fühlte.

„Ladon hat es mir gesagt, bevor ich ihn getötet habe“, erklärte sie. „Er sagte, dass er die Menschen auslöschen und mit mir als seine Gefährtin eine neue Rasse errichten will.“

„Aber dann ist es doch nicht deine Schuld.“

Sie zog die Schultern hoch, wollte seine Worte aussperren, um sich nicht trösten zu lassen.

„Doch, ist es!“ Obwohl sie es nicht wollte, schrie sie fast. „Wenn ich nicht wäre, wenn ich nicht diesen Pakt geschlossen hätte, dann hätte er niemals diesen Plan gefasst! All diese Personen wären nicht gestorben und dann-“

Es gelang ihr nicht den Satz zu beenden. Sie musste überrascht innehalten, als Russel sie plötzlich von hinten umarmte und sein Gesicht in ihrem Haar vergrub. In den letzten Tagen hatte er sie oft umarmt oder zumindest versucht es zu tun, aber niemals hatte sie so sehr das Gefühl, ihm nah zu sein wie in diesem Moment und zum ersten Mal verspürte sie auch nicht den Impuls, ihn mit irgendeinem Spruch wieder auf seinen Platz zu verweisen, nur um ihm zu zeigen, dass sie auch ohne ihn zurechtkam und er sich mehr nach ihr verzehrte als sie sich nach ihm.

„Es ist nicht deine Schuld“, murmelte er schließlich undeutlich.

Sein Atem tanzte auf ihrem Haar und ließ einen wohligen Schauer auf ihrer Haut entstehen.

„Du hast getan, was du konntest, um deinen Bruder zu retten. Es ist Ladons Schuld, dass er das alles überhaupt geplant und von dir verlangt hat. Niemand macht dir Vorwürfe.“

Ich mache sie mir aber!“, beharrte sie.

„Ladon wollte den Menschen bereits schaden, bevor es dich gab. Deswegen haben die anderen Götter gegen ihn rebelliert. Aber ... ich hatte bislang immer geglaubt, dass es dafür einen anderen Grund gab.“

Sie erinnerte sich deutlich an jene Zeit zurück, in der Russel sich wieder an seine gemeinsame Vergangenheit mit Ladon erinnert hatte, an seinen Schmerz, als er den Wandel seines einstigen Freundes bemerkt hatte.

„Ich hoffe immer noch, dass es eine Erklärung gibt, warum er sich gegen jene stellt, die an ihn glauben. Auch wenn Kai sie mir nicht geben konnte, hoffe ich weiter.“

Er drückte sie ein wenig fester an sich. „Und du solltest dir keine Sorgen oder Gedanken mehr machen. Wir werden herausfinden, was in Ladon vorgeht, aber bitte mach dir keine Vorwürfe mehr.“

Sie wusste, dass diese Worte nicht nur ihrer Beruhigung dienen sollten, sondern auch seiner eigenen. Dass er ebenfalls jemanden benötigte, der ihn einfach umarmte und ihm versicherte, dass alles gut werden würde. Also hob sie die Hände so gut es ihr möglich war und legte sie auf seine Arme, ehe sie die Augen schloss. „Ja, wir werden das zusammen schaffen, ganz sicher. Ab sofort werden wir uns nicht mehr trennen.“

Sofort schien es ihr, als würde die Anspannung von ihm abfallen, sie glaubte sogar, ein leises, gehauchtes Danke hören zu können und lächelte ein wenig darüber.

An der Möglichkeit ihres Vorhabens zweifelte sie keine Sekunde. Sie beide könnten sogar Ladons wahre Hintergründe aufdecken, davon war sie überzeugt – und sie freute sich sogar schon darauf, da es immerhin versprach, dass sie beide viel Zeit miteinander verbringen und neue Abenteuer erleben würden.

Aber bevor sie bereits in die Zukunft schweifte wollte sie diese besinnliche Zweisamkeit genießen, solange sie anhielt und sich dabei an all die guten Zeiten erinnerten, die sie zusammen verbracht hatten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  MarySae
2014-06-18T09:11:14+00:00 18.06.2014 11:11
Okay, das macht Sinn. Schön ist es zwar nicht, aber es macht irgendwie Sinn. O.o
Auch, wenn ich alles (noch) nicht komplett verstehe. Das wird sich wohl erst nach und nach zeigen :)

Aber schon heftig, dass mal eben die gesamte Menschheit ausgelöscht werden soll. Aus einem Grund, den niemand versteht.
Nett, dass im Grunde niemand den Menschen zutraut, in Frieden leben zu können. Egal in welcher Geschichte bzw. in welchem Film. ^^'
Aber wahrscheinlich ist das wirklich so. Traurig. :/

Ich kann Selines Zweifel verstehen. Ich würde mir wahrscheinlich auch Vorwürfe machen. :/ Auch, wenn sie wirklich nichts für all das kann...
Und trotzdem verliert sie nie die Hoffnung.
Aber bevor sie bereits in die Zukunft schweifte wollte sie diese besinnliche Zweisamkeit genießen, solange sie anhielt und sich dabei an all die guten Zeiten erinnerten, die sie zusammen verbracht hatten.
Sehr schöne Einstellung! Beeindruckend, dass sie nach alldem noch so stark sein kann :)

vG, Mary
Antwort von:  Flordelis
18.06.2014 13:17
Auch hierfür Danke.
Ja, Seline ist schon beeindruckend. ;D
Was die Gründe für die geplante Auslöschung angeht: Die werden noch genauer ergründet.


Zurück