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Cod3s

von

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Die Realität

Ich könnte heute nicht mehr sagen, wie lange ich Zeus angestarrt habe- was vielleicht auch daran lag, dass ich in dem Moment damit beschäftigt war, nicht den Verstand zu verlieren.

„Sie sind verrückt…“, hauchte ich irgendwann fassungslos. Mein Gegenüber verzog keine Miene.

„So würde ich das nicht nennen. Es ist eher eine natürliche Reaktion.“

Ich brachte tatsächlich das Kunststück fertig, zu lachen. „Ach ja? Auf was?“

Ich wartete vergeblich auf eine Antwort. Zeus stand schweigend auf und schlenderte zu einer kleinen Kommode, auf der einige Flaschen standen- vermutlich Alkohol. Er schenkte sich ein und blieb, mit dem Rücken zu mir, an dem Schrank stehen. Meine Verzweiflung, die aus meiner Ratlosigkeit resultierte, verwandelte sich langsam in Wut um.

„Warum das alles? Warum wollen Sie das zerstören, was Sie selbst mit erschaffen haben? Und was hat das gottverdammte Programm damit zu tun?!“

„Olymp ist nicht mehr das, was ich damals aufgebaut habe. Hades ist derjenige, der Olymp vernichten wird, ich rette lediglich das, was noch zu retten ist. Und was das Programm angeht…“, sagte er und drehte sich um. „… Judgement- oder Memoria- ist der Schlüssel zu allem.“ Er schwieg kurz, doch dann fuhr er lächelnd fort: „Dein Blick schreit förmlich nach einer Erklärung. Und ich werde sie dir geben…“ Ich erwiderte nichts, die Frage nach dem warum sparte ich mir.

„Es ist jetzt schon zwei Jahre her, dass Hades mich aus Olymp verbannte. Vermutlich dachte er, dass er mich dadurch los sei, allerdings hatte ich immer noch Verbündete…“

Er machte eine Pause, als erwarte er einen Kommentar von mir. Ich zögerte, doch dann ergänzte ich: „…Persephone… und auch Ares.“ Zeus nickte.

„Hades hatte schon in der Zeit, als ich noch an seiner Seite gestanden habe, angefangen, das Ruder an sich zu reißen. Ares war schon immer gegen Hades gewesen und Persephone verdankte mir einiges, also hatte ich auch ihre Unterstützung sicher. Sie versorgten mich in meinem Exil mit Informationen und ich begann, meinen Plan in die Tat umzusetzen.“

„Mit Judgement…“

„Genau. Ich wusste, dass Hades an einem geheimen Programm interessiert sein würde, besonders wenn es der Regierung gehörte. Ich brauchte also nur noch zu warten.“ Er verzog das Gesicht. „Allerdings lief nicht alles wie geplant- ich denke, du weißt, wovon ich rede. Die Sache mit Nero war aber nur eine kleine Komplikation. Dass Nero gleich sein Gedächtnis verlieren sollte, hatte ich nicht geahnt und zwang mich dazu, einige Umwege zu gehen…“

Ich wurde innerlich immer unruhiger. Die Art, wie Zeus über Nero sprach, war erschreckend kühl und gleichgültig. Ich hatte das Gefühl, dass er mehr über einen Bauer beim Schach sprach, als über einen lebendigen Menschen.

„Doch dank dir“, fuhr er fort, „hat sich die Situation ja wieder zum besseren gekehrt. Ich danke dir, dass du dich um ihn gekümmert hast. Nero wird das Programm rechtzeitig löschen und Hades wird machtlos sein.“

„Und wie soll er das anstellen? Sie haben gesagt, der Code sei unvollständig.“

Wieder grinste Zeus und er fuhr sich durch die grau werdenden Haare. „Ich habe Persephone von dem restlichen Teil des Codes erzählt, sie wird also alles regeln. Nero und Judgement stehen in enger Beziehung zueinander. Neros Existenz war schon immer der wahre Schlüssel zu Judgement gewesen- dass er den Code gelesen hat, kam mir eigentlich ganz recht. Ich hatte zu Anfang vorgehabt, das ganz ohne Neros Hilfe zu lösen… Persephone sollte für mich den gestohlenen Code sicherstellen, sobald Hades in dessen Besitz gewesen wäre. Danach hätte er sich natürlich auch das Programm selbst geholt und dann wäre alles schnell vorbei gewesen. Das Programm wäre gelöscht worden und Hades hätte mittellos dagestanden- aber so?“ Er lachte. „Hades wird am Boden sein, nachdem Nero alles erledigt hat. Der große Herrscher wird mit Pauken und Trompeten untergehen. Geschlagen von einem Jungen- seinem kleinen Diener.“

„Wie können Sie da so sicher sein?“, rief ich aufgebracht. „Hades wird alles aufbringen, was ihm geblieben ist, nur um Nero aufzuhalten. Und Nero? Sie sind nur zu viert!“ Schon allein dieser Gedanke ließ mich erzittern. Zeus schienen meine Bedenken kalt zu lassen. Zum ersten Mal nippte er an seinem Glas. „Ich versichere dir, dass er in den besten Händen ist. Ares ist stark, genauso wie Äneas. Und auch Persephone solltest du-“

„Sie sind verrückt!“, fiel ich ihm mit einer wütenden Handbewegung ins Wort. „Ich weiß nicht, wie viele Mitglieder Olymp hat, aber es werden mehr als Vier sein. Es ist egal, wie stark Ares und die anderen sind, es wird nicht reichen! Sie schicken sie in den Tod.“ Tränen stiegen mir in die Augen. „Und wofür das alles? Aus Rache? Weil Sie gekränkt wurden, benutzen Sie die Vier als Kanonenfutter? Ihr Plan wird nicht aufgehen, er kann es einfach nicht! Sie sind kein Stück besser als Hades!“

Ich zuckte krampfhaft zusammen, als in dem Moment Zeus’ freie Hand polternd auf der Tischplatte aufschlug.

Wage es nicht, meinen Intellekt mit dem von Hades gleichzusetzen!!“, donnerte Zeus’ Stimme durchs Zimmer. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Meine Tränen liefen immer noch.

„Er wäre gar nichts ohne mich!“, polterte Zeus weiter. „Als ich ihn damals als Mitgefangenen kennen lernte, war er nichts weiter, als ein Feigling. Hätte ich mich nicht ihm angenommen, hätte er in der harten Hierarchie des Gefängnisses nicht einen Tag überlebt. Ohne mein Wissen würde er heute noch an billigen Computern rumschrauben! Ich habe ihn zu dem gemacht, was er heute ist und mit mir wäre er auch heute nicht in der Situation, in der er sich jetzt befindet. Man ist alleine nicht in der Lage, eine so große Macht, wie Olymp sie einmal war, zu halten, das habe ich immer eingesehen. Ich hatte verstanden, dass ich auf Hades angewiesen war, genauso wie er auf mich. Aber dieser undankbare Stümper wollte mehr und hat sich mit meiner Verbannung sein eigenes Grab geschaufelt!“

Er atmete schwer während er sprach, doch dann schien er sich wieder gefasst zu haben, denn kaum eine Sekunde später entspannte sich sein hassverzerrtes Gesicht.

„Ich habe mir geschworen ihn dafür büßen zu lassen und das habe ich durch Judgement erreicht. Er klammert sich so sehr an dieses Programm, dass er durch dessen Verlust zu Fall gebracht wird. Ich werde ihm alles nehmen- alles, wofür wir so hart gekämpft haben und was er so verkommen hat lassen.“

„… Weiß Nero davon? Für wen er das alles tut und warum?“ Ich versuchte vergeblich mein Zittern unter Kontrolle zu bringen. Ich war zu aufgebracht und wütend, um ruhig zu bleiben und darüber nachzudenken, was ich genau sagte. Ich verspürte nur noch Hass für diesen Mann, der mir gegenüber saß.

„Nein, das Risiko konnte ich nicht eingehen.“, antwortete Zeus nüchtern. „Nero war Hades’ Goldjunge gewesen und er hat den Jungen immer gut behandelt. Ich konnte mir nicht sicher sein, dass Nero durch die enge Freundschaft zu Ares auch mir treu ergeben sein würde. Hades hat mich damals als Verräter hingestellt und Nero keinen Anlass gegeben, an diesem Bild von mir etwas zu hinterfragen.“

Ich schluckte hart. „Das heißt, Nero ist nichts weiter als ein Mittel zum Zweck…“

Zeus zuckte mit den Schultern. „Das ist etwas sehr hart ausgedrückt- aber ja.“

Ruckartig stand ich auf. „Sagen Sie mir, wo Olymps Hauptsitz ist.“

„Wieso sollte ich?“

„Sie haben Nero die ganze Zeit nur benutzt- Sie haben alle wie Spielfiguren behandelt!“ Erneut liefen mir die Tränen. Nero hatte mich verlassen, um für diesen Mann seine Rache zu vollstrecken und er selbst wusste davon nichts. Er war bereit für eine Sache zu sterben, die so sinnlos und unnütz war- für einen Streit zwischen zwei Männern, für die ein Menschenleben keinen Wert hatte. „Ich werde nicht zulassen, dass sich meine Freunde für Sie opfern!“, vollendete ich meinen Satz.

„Das sehe ich anders.“, knurrte Zeus und drückte einen Knopf an seinem Tisch. Ein paar Sekunden später wurden die zwei Türflügel aufgerissen und zwei Schwarzgekleidete Männer traten ein. Ehe ich etwas tun konnte, hatten sie mich schon an den Armen gepackt, sodass ich mich nicht mehr bewegen konnte.

„Ich werde genauso wenig zulassen, dass eine dahergelaufene Göre wie du meinen Plan so kurz vorm Ziel noch vereitelt.“, sagte er gelassen und winkte auch Rose hinein, die etwas verdattert in der Tür stand. „Rose, sei so lieb und kümmere dich um Finja. Sie wird für heute Nacht unser Gast sein.“

„Nein!“, schrie ich aufgebracht und wandte mich in dem Griff der beiden Männer wie ein Fisch an der Angel. Wütend funkelte ich Zeus an. „Ich bleibe ganz bestimmt nicht hier! Du hast mir versprochen zu sagen, wo Olymp ist!“

„Ich habe dir gar nichts versprochen. Du bist hierher gekommen, um Informationen über Olymp zu erhalten. Die hast du bekommen und da du mir ja gerade gesagt hast, dass du mir in meine Pläne pfuschen willst, kannst du von Glück reden, dass ich dich am Leben lasse.“

Wütend stemmte ich mich gegen den Griff der Männer.

„Ich war bereit, Ihnen zu vertrauen!“, schrie ich ihn an. Zeus zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe dich nie dazu gezwungen, mir zu vertrauen…“ Sein Blick wurde wieder weich und seine Stimme war so sanft wie zu Anfang. „Ich bin kein Unmensch, Finja. Ich mag es nur nicht, wenn man mich hintergeht. Es wird alles gut werden- das verspreche ich dir…“

Meine Wut stieg immer weiter. Noch bevor ich etwas erwidern konnte, gab Zeus den Männern ein Zeichen, worauf sich die beiden mit mir in Bewegung setzten. Erneut versuchte ich mich zu befreien.

„Nein! Lasst mich los!“, schrie ich und tat alles daran, meiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Ich trat wie wild in der Luft herum, riss meine Arme nach links und rechts und biss nach meinen Bewachern- vergebens. Ungehindert marschierten sie weiter in Richtung Ausgang. Zeus saß immer noch hinter dem riesigen Tisch und schaute mir stumm bei meinen Gebärden zu. Seine Hände hatte er vor seinem Gesicht zusammengelegt, sodass ich seinen Mund nicht mehr sah. Dennoch glaubte ich ihn triumphierend grinsen zu sehen.

Immer wieder schrie ich hasserfüllt seinen Namen, wiederholte meine Forderung, mir das Versteck zu verraten, doch es war zwecklos. Ich weinte- aber diesmal vor Wut.

Hinter uns ging Rose in einigem Abstand, vermutlich um keinen meiner Tritte abzubekommen. Sie schaute kein einziges Mal auf.

Langsam schloss sie die beiden Flügel der Türe.

„ZEUS!“ Ein letztes Mal sammelte ich meine Kräfte und versuchte mich zu befreien.

Dann schlugen die Türen fast lautlos zusammen.
 

„Hier.“, durchbrach ihre sanfte Stimme die Stille, die schon gefühlte Stunden anhielt. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich die dampfende Tasse, die sie mir entgegenhielt. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, sie näher zu betrachten, geschweige denn Rose auf irgendeine Art klarzumachen, dass ich weder durstig noch hungrig war. Im Moment war mir so gut wie alles egal.

Durch die großzügige Fensterfront des Zimmers, in dem wir saßen und von dem ich wusste, dass es abgeschlossen war, drangen die wärmenden Sonnenstrahlen der Abendsonne herein, die sich quälend langsam über den Horizont schleppte. So wie ich Ares und Persephone einschätzte, werden sie wahrscheinlich die Nacht abwarten, bevor sie Olymp stürmten- ich konnte mir also sicher sein, dass er, zumindest im Moment, in Sicherheit war… Wirklich beruhigend war der Gedanke dennoch nicht.

Nero wurde von allen nur benutzt. Alle wurden von ihm benutzt…

Rose seufzte, stellte den Kaffe weg und setzte sich neben mich. „Hey, jetzt mach dir keinen Kopf. Zeus hat Recht- du könntest eh nichts tun. Es ist viel zu gefährlich für dich. Und du kannst Ares vertrauen. Ich kenn’ ihn.“, sie lächelte und legte mir einen Arm auf meine Schulter. „Er würde niemals zulassen, dass Nero-“ Sie stockte, vermutlich weil sie bemerkte, dass mir egal war, was sie sagte. Dieses ganze Gerede von Sicherheit… von Vertrauen- es kam mir so falsch vor, als sei das alles nur gesagt, um Zeus’ Aktion zurechtfertigen.

Ich starrte immer noch aus dem Fenster und sah der Sonne dabei zu, wie sie unterging. Wieder seufzte Rose neben mir. „Du scheinst ihn echt zu mögen, hm?“

„…Ich liebe ihn.“, hauchte ich, zu mehr war ich nicht in der Lage.

Stille.

Auf einmal fing Rose leicht an zu lächeln, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Plötzlich zog sie mich am Arm. „Ja, das sieht man.“, antwortete sie verspätet. „Komm.“

Sie zog mich in die Höhe und verdattert starrte ich sie an. „W- wie?“

„Ich muss mal… kommst du mit?“, sagte sie etwas lauter als nötig und zwinkerte. Ich blinzelte erst verwirrt, doch dann sah ich das Blitzen in ihren Augen und dann verstand ich. „J- ja. Ich muss auch aufs Klo.“, erwiderte ich genauso deutlich und folgte ihr zur Tür. Sobald Rose an diese geklopft hatte, wurde die Tür geöffnet und schon baute sich auch die gewohnte Mauer von Oberkörper vor uns auf uns schaute uns misstrauisch an. „Wo soll’s hingehen?“, brummte der Mann.

„Dahin, wo du ganz sicher nicht mit hingehst!“, konterte Rose sofort und wollte sich an ihm vorbeischieben, als der Mann auf einmal den Arm ausstreckte und sich damit gegen den Türrahmen lehnte- direkt auf Augenhöhe von Rose.

„Hey, werd’ nicht patzig, klar?“

Rose schob grimmig die Unterlippe nach vorne. „Soll ich mir etwa in die Hose machen? Lass uns vorbei!“

„Ihr habt auf dem Zimmer ebenfalls eine Toilette.“

„Die ist verstopft.“

Der Mann lachte. „Dann mach sie sauber.“ Sein Partner gluckste ebenfalls. Nun baute sich Rose vor dem ohnehin viel größeren Mann auf.

„Seh’ ich wie `ne Putze aus? Mach’s doch selber- dir würde so `ne rosa Schürze bestimmt stehen.“ Sie schielte zu dem anderen Mann und grinste. „Würde deinem Partner hier bestimmt auch gefallen…“

Der Angesprochene hörte sofort auf zu lachen und schaute sie pikiert an. Ich hielt die Luft an. Der Mann vor ihr funkelte sie ebenfalls an und beugte sich zu ihr runter. „Jetzt hör mal zu, Miststück. Nur weil du unseren Boss flachlegst, heißt das noch lange nicht, dass du dir alles leisten kannst.“

Roses Grinsen wurde breiter. „Eifersüchtig? Tja- du hattest deine Chance, Ed.“

Der Mann stockte, starrte sie kurz verdattert an und schielte zu dem anderen Mann, der ihn genauso erschrocken betrachtete. Rose zog nur erwartungsvoll die Brauen hoch.

„Dürften wir jetzt zur Toilette gehen?“, fragte sie höflich. Ed knirschte mit den Zähnen und senkte den Arm, sodass wir vorbeikonnten. Kaum waren wir auf dem Gang, brach hinter uns eine hitzige Diskussion aus, von der ich aber nicht mehr alles verstand.

„Ich kann dir alles erklären…“, rief Ed aufgebracht, dann waren wir zu weit entfernt und die beiden Stimmen der Männer wurden zu einem einheitlichen Brummen. Ich runzelte die Stirn und schaute Rose im Gehen von der Seite an. Diese lächelte zufrieden.

„Rose, was…?“, fragte ich etwas verwirrt. Sie hob nur unschuldig die Schultern.

„Er wollte mal etwas von Zeus, aber der hat dankend abgelehnt… und so wie’s aussah, hatte er es seinem Freund noch nicht erzählt.“

Ich schaute über meine Schulter zurück in den Gang. „Ist… ist das dein Ernst? Die beiden sind schwul?“ Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass diese beiden Schränke in einer gemeinsamen Beziehung leben sollten, aber das würde ihr Verhalten erklären. Rose lachte neben mir. „Die Situation damals war zum tot schreien und sein enttäuschtes Gesicht war goldwert.“ Damit schien das Gespräch für sie beendet zu sein- ich für meinen Teil wollte auch nicht weiter nachfragen. Nach Roses schmunzelndem Gesicht zu urteilen, schien die Geschichte zumindest einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.

Wir hatten inzwischen den Fahrstuhl erreicht und Rose drückte den Knopf für den 2. Stock. Die Kabinentüren schlossen sich und Rose drehte sich zu mir. In ihrem Gesicht las ich jetzt nur noch Ernst. „Okay, hör mir zu. Im zweiten Stock gibt’s nen Klo an der Seite des Hotels. Da ist eine Notleiter, die du hinunterklettern kannst.“

Ich nickte energisch. „Okay.“

Wenig später hatten wir die Toiletten erreicht, aber Rose blieb davor stehen.

„Ich hoffe, du schaffst das. Es ist ein ganzes Stück bis Olymp, aber ich bin mir sicher du wirst es finden!“, lächelte sie und in ihrem Blick las ich Freude, aber auch Sorge. Ich drückte ihre Hände.

„Danke, Rose. Aber…“, ich stockte und sah zu Boden. Sie schaute mich erwartungsvoll an. „Aber warum hilfst du mir? Du hintergehst damit Zeus.“, beendete ich meinen Satz. Rose seufzte tief. „Weil ich nun mal ne Schwäche für tragische Liebesgeschichten habe. Du liebst Nero, das sieht ein Blinder. Du willst bei ihm sein und das sollst du auch.“ Dann zwinkerte sie. „Damit wird zwar Zeus’ Plan etwas durcheinander gebracht, aber er wird’s verkraften- überlass das ruhig mir." Ihr Blick wurde eine Spur härter. „Aber du musst mir eins versprechen, Fin… du darfst nichts unternehmen, das Zeus` Vorhaben verhindern könnte. Das ist meine Bedingung, ansonsten kann ich es nicht verantworten, dich gehen zu lassen.“

Ich sah verzweifelt zu ihr hoch und schüttelte den Kopf. „Weißt du, was du da von mir verlangst?“

Rose lachte freudlos. „Unmögliches.“, antwortete sie verständnisvoll und umfasste meine Schultern. „Aber du musst es mir dennoch versprechen. Du darfst niemanden- nicht Ares, nicht Persephone und vor allem nicht Nero- von Judgements Geheimnis erzählen. Diese Intrige geht schon zu lange, sie muss endlich ein Ende finden…“ Rose machte eine Pause, holte tief Luft und sah mir flehend in die Augen. „Wenn das Programm heute gelöscht wird, dann ist es vorbei- alles wäre vorbei. Hades wäre gestürzt, Zeus hätte seine Rache und alle wären frei. Aber wenn jemand die Wahrheit erfährt, stünden wir wieder am Anfang- verstehst du? Es würde alles nur noch schlimmer werden…“ Rose seufzte. „Ich kann nicht von dir verlangen oder erwarten, dass du Zeus` Beweggründe gutheißt, aber sein Plan ist das einzige, was dieser Geschichte jetzt noch zu einem guten Ende verhelfen kann. Steh an Neros Seite, bleib bei ihm, aber versprich mir, dass du nichts davon weiter trägst, was Zeus dir heute anvertraut hat.“

Schweigend sah ich zu Boden. Ihre Bitte war in meinen Augen immer noch ein Ding der Unmöglichkeit. Es entzog sich vollkommen meinem Verständnis, wie sie allen Ernstes Zeus so sehr unterstützen konnte- sie schien vieles, wenn nicht sogar alles, über Olymp zu wissen und dennoch verurteilte sie Zeus` Racheplan nicht, verteidigte ihn sogar...

Ich schaute auf und verlor mich in ihren flehenden grünen Augen. Ob sie Zeus liebte? Wollte sie mir deshalb helfen, weil sie mich verstand, weil sie ebenfalls alles für jemand anderen tun würde und tat? Sie war bereit, auf mein Wort zu vertrauen- wäre es dann nicht auch fair, auf ihres genauso zu vertrauen…?

Ich schloss kurz die Augen und dachte einen Moment lang nach, dann sah ich wieder auf und nickte. „Ich verspreche es dir.“, sagte ich und Rose begann zu lächeln.

„Danke- und jetzt geh!“

Rose öffnete die Tür und schob mich rein, dann schloss sie diese wieder. Etwas verdattert stand ich in dem kleinen Vorraum, der zu den einzelnen Toiletten führte. Vor Kopf war ein Fenster, gerade groß genug, einer zierlich schmalen Person die Flucht zu ermöglichen. Noch einmal drehte ich mich zur Tür um und lehnte mich dagegen.

„Rose, warte! Wo liegt Olymp genau? Wo muss ich hin?“

„Geh auf die große Hauptstraße und halte nach der Sonne Ausschau!“, kam es gedämpft durch das Holz zurück. „Geh jetzt!“

Sinnloser Weise nickte ich kurz.

„Danke, vielen Dank.“, sagte ich noch einmal, doch ich wartete vergebens auf eine Antwort. Es dauerte einige Sekunden, doch dann drehte ich mich um und ging zu dem kleinen Fenster. Mein Herz begann wieder schneller zu schlagen. Vorsichtig zog ich das Fenster auf und sofort blies mir ein kräftiger Wind durchs Gesicht und ließ meine Haare wild umherfliegen. Zögernd lugte ich hinaus und entdeckte zuerst gar nichts. Stirnrunzelnd schaute ich nach links und wollte meinen Augen nicht trauen. Ich hatte die Leiter, von der Rose gesprochen hatte, gefunden- obwohl ich dieses Gestell niemals als Leiter bezeichnet hätte. Die rostige Notleiter neben mir hatte ihre besten Jahre schon lange hinter sich gehabt…

Unsicher schaute ich zur Tür zurück. „Rose? Bist du dir sicher, dass das Ding mich aushält?!“

Wieder keine Antwort. Ich biss mir auf die Lippen. Wahrscheinlich beobachtete sie gerade den Gang oder stand gar nicht mehr neben der Tür. Ich war also auf mich allein gestellt.

Wehleidig fiel mein Blick auf die Leiter und mein Pulsschlag beschleunigte noch einmal. Es half nichts, ich musste da runter. Mit zitternden Händen stieg ich aufs Fensterbrett, hangelte nach den eisernen Stangen der Leiter und versuchte nicht nach unten zu schauen. Obwohl ich wusste, dass ich mich im zweiten Stock befand, spielte mir mein Kopf vor, an einer Klippe zu hocken, die mehrere Hundert Meter hoch war. Ich nahm allen Mut zusammen und schwang mich zur Leiter, die unter meinem Gewicht gefährlich laut zu ächzen begann, dass ich es nicht mehr wagte mich zu bewegen. Der aufkommende Wind lies die Leiter zudem auch noch zittern und leicht hin- und herschwanken.

Ich will hier weg, dachte ich wimmernd und schloss die Augen. Erst der kurze Ruck, der einen Moment später durch die Eisenstäbe fuhr, ließ mich erschrocken aufblicken.

Nein!

Unter meinem zusätzlichen Gewicht hatten sich die Halterungen aus dem bröckeligen Putz gelöst und ich konnte dabei zusehen, wie sie immer weiter rausrutschten.

Mir blieb nicht einmal mehr die Zeit, wieder nach der Fensterbank zu greifen, denn nur einen Augenblick später gaben die Schrauben endgültig nach, es gab einen erneuten Ruck und ich stürzte samt Leiter in die Tiefe.
 

Irgendwann kam ich benommen zu mir. Über mir rieselte immer noch der staubige Putz herunter; ich konnte also nicht lange bewusstlos gewesen sein…

Blinzelnd rappelte ich mich hoch und rieb mir mein schmerzendes Steißbein. Ich hatte Glück gehabt. Irgendwie hatte ich es geschafft, mir nichts zu brechen- ich war immerhin aus drei Metern Höhe in einen Berg von Müllsäcken und Pappkartons gefallen…

Kurze Zeit später war das Zittern aus meinen Beinen verschwunden, sodass ich gefahrlos aufstehen konnte. Ein weiterer Schutzengel hatte dafür gesorgt, dass die Leiter etwas weiter links von mir aufgekommen war. Vorsichtig ging ich aus der Gasse hinaus auf die Straße und schaute mich um. Die Leute schienen mich nicht zu beachten, was mir aber auch ganz recht war…

Ich drehte mich einmal um mich selbst und versuchte, die Orientierung wiederzuerlangen. Ich musste mich beeilen! Zeus würde bald bemerkt haben, dass ich verschwunden war und außerdem war es dunkel geworden, also müssten auch Ares und Nero bald mit ihrer Mission anfangen- wenn sie es nicht schon längst getan haben. Ich versuchte mich zu erinnern, was Rose genau gesagt hatte. Halte nach der Sonne Ausschau!

Alarmiert schaute ich in den Himmel. Verdammt! Die Sonne war schon lange untergegangen. Was sollte ich jetzt machen?! Verzweifelt fuhr ich mir durchs Haar und schaute gedankenversunken die Straße hinunter und verfluchte meine mangelnden Kenntnisse über Geografie, meinen fehlenden Orientierungssinn- und stockte.

Weit entfernt, am anderen Ende der Straße, ragte ein riesiges Gebäude in den Himmel. Groß und mächtig stand es da und an seiner Hauswand leuchtete eine hellgelbe Sonne auf, dessen Strahlen in regelmäßigen Abständen aufblinkten und ein Muster ergaben.

Halte nach der Sonne Ausschau!

Hatte Rose etwa das damit gemeint? Das schien mir zu einfach –und vor allem zu auffällig– für ein Geheimversteck zu sein…

Aber welche anderen Hinweise und Möglichkeiten hatte ich denn noch? Ich fasste neuen Mut, wenn auch zögerlich. Ich musste es versuchen.

Ich lief los, immer das Gebäude mit der Sonne im Auge behaltend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  blacksun2
2012-05-15T09:07:44+00:00 15.05.2012 11:07

man könnte denken es ist nachts, denn in meinen Augen strahlen zwei Sterne vor Entzückung ^^
ja ich bin begeistert, ja ich liebe diese Fanfic
ja, ich würde sie gern in meinen Händen halten, mit einem Cover und dem Aufdruck Bestseller

Zeus rächt sich auf eine relativ friedliche Weise, wenigsens keine Explosionen und Massenmorde
Irgendwie verstehe ich Zeus . . .

*grinst* die Stelle mit den beiden Wächtern war ja voll geil, na den Streit hätte ich gerne gesehen

und wieder kann ich nur den Kopf schütteln, über Finjas Mut, und gleichzeitig ihren unendlichen Leichtsinn
hoffentlich verschlimmert sie die Situation nicht

ich kann es nur wiederholen: dein Ausdruck ist bombastisch, die Story hervorragend

glg

Von:  Thuja
2011-10-24T15:41:46+00:00 24.10.2011 17:41
Ich halte es nicht mehr aus
ICH HALTE ES NICHT MEHR AUS
WAAAHHHH
Es ist so spannend. So verdammt spannend.
Und die ganze Geschichte ist so ausgeklügelt und durchdacht. Das hätte ich am Anfang der Geschichte nie erwartet. Hier ist wirklich nichts so wie es scheint
Rose ist toll. Sie hat sich von den großen bösen Männern in Schwarz nicht einschüchtern lassen, sondern ihnen gut die Stirn geboten
Und das sie Fin hilft, ist natürlich auch super von ihr. Ich hoffe nur, sie kriegt nicht allzu sehr Ärger deswegen.
Meine Güte. Ich weiß wirklich nicht, was ich über Zeus denken soll:
a) das miese Schwein
b) er könnte mieser sein
jedenfalls war er zu Fin angesichts der Umstände ganz nett

ich bin mal wieder sehr gespannt wie es weitergeht. Nero wird Augen machen, wenn Fin auftaucht, aber freuen wird er sich wohl nicht



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