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Cod3s

von

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Pläne

Mit aufeinander gebissenen Zähnen streifte ich mir das Kleid, was ich die ganze Zeit über getragen hatte, vorsichtig von den Schultern, sehr darauf bedacht, nicht all zu oft an die etlichen, bereits verkrusteten Schrammen zu kommen- allerdings ohne großen Erfolg. Neue Tränen rannen mir über die Wangen, diesmal jedoch wegen dem körperlich hervorgerufenen Schmerz.

Stumm betrachtete ich mich im Spiegel und verfluchte auch gleich darauf meine Endscheidung, dies getan zu haben. Ich sah schrecklich aus…

Meine Schultern und Arme waren fast gänzlich bedeckt von leichten Wunden und dunklen Blutergüssen und meine Beine sahen auch nicht besser aus. Das Gesicht, in das ich schaute, konnte unmöglich mein eigenes sein- es würde eher zu einer Drogenabhängigen passen, dachte ich bitter. Schmutz und Tränen hatten meine Wangen rot gefärbt, genauso wie meine Augen, die nun von dunklen Schatten eingerahmt waren, als lägen sie tief in meinen Schädel. Irgendwann schaffte ich es, den Blick abzuwenden und stieg endlich in die Dusche. Das Wasser war heiß, doch das störte mich nicht… es ließ mich nicht mehr die vielen Verletzungen spüren und auch das spannende Gefühl auf meinem Gesicht, das durch die getrockneten Tränen entstanden war, ließ nach und nach einer Weile gab mein Körper jeden Widerstand auf und genoss einfach nur noch die intensive Wärme. Ich schloss die Augen und spürte sofort die Müdigkeit in mir wieder aufsteigen, doch das war mir egal. Wenn ich jetzt hier auf der Stelle eingeschlafen wäre, wäre mir das nur recht gewesen- ich fühlte mich zum ersten Mal, seit dieser Alptraum begonnen hatte, wieder wohl.

Als ich nach einer ganzen Weile wieder aus der Dusche stieg, sah ich meinen Rucksack mitten im Badezimmer stehen- offensichtlich hatte ich vergessen, abzuschließen. Ich versuchte nachzuvollziehen, wie er hierher gelangt war. Ich war mir sicher gewesen, dass ich ihn unterwegs verloren hatte, spätestens bei unserer überstürzten Flucht aus dem Hotel. Ich seufzte und hob lächelnd die Schultern. Ich hatte mehr Glück, als Verstand, wahrscheinlich hatte Nero die ganze Zeit über-

Ich brach den Gedanken ab. Bitter dachte ich an das Geschehende zurück.

Nero… warum hatte er gerade nichts gesagt? War ich ihm so egal? Hatte ich nicht ein Recht darauf, zu wissen, in welche Gefahren er sich stürzen wird und wie er da wieder raus kommen will? Ganz egal ob ich nun mitkomme oder nicht- obwohl ich eigentlich einen Anspruch darauf hatte, mitzukommen, nach alldem, was wir durchgestanden hatten- hatte ich doch zumindest das Recht zu erfahren, was Persephone und Ares mit ihm vorhatten…

Energisch schüttelte ich den Kopf. Das war nun das letzte, woran ich denken sollte, denn für diesen Abend hatte ich genug Tränen vergossen. Nach kurzer Suche fand ich zu meiner eigenen Verwunderung in der Tasche den viel zu großen New York- Pullover, den ich von meinen Großeltern geschenkt bekommen hatte. Ich musste über mich selbst lachen. Ich war in größter Aufregung gewesen, als ich diesen Rucksack gepackt hatte, hatte Angst vor der Zukunft gehabt und ich nahm ein dummes Souvenir meiner Familie mit. Was hatte ich noch eingepackt? Eine Hand voll Fotos aus meiner Kindheit? Da ich nichts anderes brauchbares fand, was als Nachthemd dienen könnte, streifte ich kurzerhand den Pullover über.

Leise verließ ich den Raum und trat auf den Flur, der nun mindestens 20° kälter zu sein schien- und verharrte kurz. Die Küche war dunkel, es fiel dennoch schwaches Licht herein, wahrscheinlich aus einem angrenzenden Raum. Langsam ging ich den Flur hinunter zur Küche, die tatsächlich in einen anderen Raum führte. Der Lichtkegel war nicht besonders groß, aber ab und zu begann er zu flackern, als ginge jemand vor der Lichtquelle auf und ab. Langsam näherte ich mich der Küche.

„Was ist das?“ Aus irgendeinem Grund erstarrte ich bei dem Klang von Neros Stimme und blieb wie angewurzelt in der Dunkelheit stehen. Ich stand in dem Durchgang, der zum Flur führte, sodass ich nichts sehen konnte.

„Die passenden Klamotten zu deinem Mantel.“, brummte Ares’ Stimme, dann war es still, bis sich wieder Nero zu Wort meldete. „Meint ihr nicht, dass wir damit nicht ein bisschen… auffallen?“ Das Klicken von Absätzen war zu hören.

„Glaub mir, in diesem Viertel der Hauptstadt ist das die normale Alltagskleidung“, ertönte Persephones helle Stimme.

„Hier.“, sagte Ares wieder. „Und das solltest du auch bei dir tragen.“

Kurz war es still, doch ich glaubte ein Geräusch zu hören, als würde man Metall über etwas streifen lassen. Es hörte sich auf jeden Fall so ähnlich an, als würde Ares sein Schwert ziehen. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter, bei dieser Erinnerung.

„…Das werde ich nicht benutzen, Ares.“, erwiderte Nero ernst.

„Das verlange ich auch nicht, dafür werde ich dich ja begleiten, damit du dir darüber keine Gedanken machen brauchst.“ Ares schien auf eine Antwort zu warten, die aber nicht kam, sodass er seufzend weitersprach: „Hör zu, schon allein der Gedanke daran, etwas bei sich zu haben, womit man sich verteidigen kann, beruhigt einen schon.“

„Außerdem wissen wir nicht hundertprozentig, was uns da genau erwartet.“, fügte Persephone hinzu. „Vielleicht brauchst du es doch.“

Niemand antwortete ihr und es wurde wieder für Sekunden still. Betrübt starrte ich einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand an, der in der Dunkelheit der Nacht lag. Sie rechneten also doch damit, dass sie angegriffen werden…

Eine Angst stieg in mir hoch, die mich erzittern ließ. Jemand murmelte etwas, das ich jedoch nicht ganz verstand, dann vernahm ich durch das laute Pochen meines aufgewühlten Herzens hindurch Persephones Stimme, die so etwas wie „Gute Nacht“ sagte und plötzlich tauchte sie in der dunklen Küche auf. Sie schien mich nicht sofort gesehen zu haben, denn sie erstarrte urplötzlich in ihrem Schritt und schaute mich für einen Moment lang erschrocken an, ehe sie auf mich zutrat. Behutsam legte sie mir ihre Hand auf meine Schulter.

„Du solltest jetzt schlafen gehen.“, flüsterte sie sanft. „Ich glaube, es ist besser für dich, wenn du das nicht länger mit anhörst…“ Ich leistete keinen Widerstand, als sie mich mit in den Flur zog.
 

Ares ging schweigend vor mir im Raum auf und ab, dann nahm er sich einen Stuhl und setzte sich mir gegenüber. Ich kam mir vor, wie ein Sohn, der gleich von seinem Vater irgendein peinlich intimes Thema erklärt bekam. In meinen Händen lag immer noch der kurze Dolch, den er mir gerade gegeben hatte. Er war ebenso schwarz, wie Ares’ Schwert, nur besaß er nicht den rötlichen Schimmer, der die Klinge des Zweihänders noch unheimlicher erschienen ließ.

„Bist du dir sicher, dass du das wirklich tun willst, Nero?“

Unschlüssig schaute ich auf und lächelte gequält. „Glaubst du nicht, dass es für diese Frage nicht ein wenig spät ist?“

In Ares’ Gesicht spiegelten sich Ernst und – was mich sehr verwirrte- Sorge wider.

„Ich werde es machen!“, fügte ich ernst hinzu, als Ares nichts erwiderte.

„Für sie…“, brummte er und ich konnte nicht genau sagen, ob das eine Frage oder eine Feststellung war. Mein Gesicht verfinsterte sich.

„Ich will, dass sie friedlich weiterleben kann. Sie soll nicht weiter leiden müssen- weiter Angst haben.“

Ares schüttelte den Kopf. „Nero, verstehst du nicht?“ Er deutete hinter sich aus dem Fenster. „Wir werden nicht da einfach reingehen, ein paar Tasten drücken und wieder rausspazieren können- nicht mehr, nach alledem, was passiert ist…“

Er bemühte sich, ruhig zu sprechen, doch das gelang ihm nicht ganz. Ich schaute weg. Natürlich wusste ich das, das musste er mir nicht noch mal erklären.

„Nero…“, begann er wieder ernst. „Im schlimmsten Fall stehen wir da morgen einer Überzahl gegenüber, der wir nicht Herr werden können- Olymp mag geschwächt sein, aber es ist immer noch stark genug, um mit vier Leuten fertig zu werden. Finja hat gefragt, wie unser Plan aussehe- es gibt keinen!“, zischte er. Bitter biss ich mir auf die Lippen. „Wir werden alles daran setzen, dich zu Judgement zu bringen, damit du das Programm löschen kannst. Was danach passiert-“ Ares brach den Satz ab und beließ es bei einem Schulterzucken. „Es kann Tote geben, Nero… Wir werden das wahrscheinlich nicht alle überleben- bist du wirklich bereit dafür?“

Ich antwortete nicht sofort. Ich wusste, was ich sagen wollte- natürlich hatte ich Angst… Wieder blitzten meine Visionen von der zerstörten Stadt in meinem Kopf auf.

„Ich tue das für Fin. Ich will nur, dass sie in Frieden lebt.“, wiederholte ich monoton.

Ares ballte wütend die Fäuste. „Hör auf, den Helden zu spielen!“, zischte er, dass ich erschrocken aufblickte. „Was hat sie davon, wenn du dich für sie in Gefahr bringst? Du willst, dass sie glücklich ist? Du würdest nur das Gegenteil erreichen.“

„Was weißt du denn schon davon?“, fuhr ich ihn an. Meine Hände hatten sich um den Dolch geschlossen. „Das einzige, was ich will, ist Fin in Sicherheit zu wissen und das ist sie nicht, solange dieses Programm existiert!“

Blitzschnell packte mich Ares an den Schultern, sodass ich mich nicht mehr bewegen konnte und schaute mir noch tiefer in die Augen. „Ich weiß sehr wohl, was es bedeutet, sich für jemanden aufzuopfern, der einem was bedeutet- ich weiß das ganz genau...“

Seine Hände packten noch fester zu und in seine Augen trat ein seltsamer Glanz. Er schaute kurz weg und versuchte sich zu sammeln. „Und glaub mir, es ist für alle schwer damit fertig zu werden.“ Als Ares mich nun wieder anschaute, waren seine Augen so kalt wie immer. „Lass sie nicht in dem Glauben, dass du das wegen ihr tust. Wenn… wirklich etwas passiert, dann wird sie sich dafür die Schuld geben.“ Ich schwieg.

„Lass sie gehen, Nero…“

Ich schaute auf. „Was?“ Meine Stimme war nur ein Flüstern.

Ares ließ mich los und wich wieder von mir zurück. Er lächelte traurig.

„Nero… es ist für uns alle angenehmer, wenn wir niemanden hinterlassen, der um uns trauern würde. Lass sie gehen, noch hast du sie nicht allzu stark an dich gebunden.“

Ich schluckte hart. Als ich keine Antwort gab, stand Ares auf und schaute aus dem Fenster. „Vielleicht sollten wir auch zu Bett gehen…“ Er begab sich zur Tür und ließ mich stumm zurück. Doch ehe er das Wohnzimmer verlassen konnte, rief ich seinen Namen, sodass er wieder stehen blieb. Auch ich stand auf.

„Du sagtest, dass du genau wüsstest, was es bedeutet, sich für jemanden zu opfern…“

Ares nickte. „Ja, weil es schon einmal jemand für mich getan hat.“

Ich nickte ihm zu. „Und du?“

Diesmal schwieg er für einige Sekunden, bevor er mir antwortete. „Ich habe es vor, zu tun…“, sagte er ernst.

Ich zuckte unter seinen Worten zusammen- ich verstand die Botschaft die dahinter stand. Es fiel mir schwer zu sprechen.

„Dann widersprichst du dir aber selber…“

Ares lächelte und kam auf mich zu. „Nein, um mich wird niemand trauern, denn dafür bin ich ein viel zu großer Mistkerl.“

„Ich würde um dich trauern…“ Mit Mühe versuchte ich überzeugt und ernsthaft zu klingen, doch meine Stimme war zu brüchig und schwach geworden. Ich verstand den Sinn hinter den Worten, ich wusste was Ares vorhatte; dass er bereit war, mit seinem Leben abzuschließen, um mich zu beschützen… ich verstand ihn, denn mir wurde auf einmal klar, wie ähnlich wir uns doch eigentlich waren. Und wie wichtig er mir geworden ist.

Ares lachte, kam noch näher und tätschelte mit seiner großen Hand meinen Kopf wie ein kleines Kind. „Aber nicht sehr lange.“, sagte er und sah mich mit einem Blick an, der so voller Wärme war, wie ich noch nie in seinen Augen gesehen hatte. Jetzt, in diesem Augenblick, hatte ich nicht das Gefühl, einem gewissenlosen Mann gegenüberzustehen, sondern vielmehr jemanden, der sich um mich sorgte, dem ich blind vertrauen konnte. Als sei ich sein kleiner Bruder.

Als wäre nichts gewesen, grinste er mich keine Sekunde später aus verräterisch leuchtenden Augen an. „Schon vergessen? Ich habe deiner Kleinen einen riesigen Schrecken eingejagt und sie auf einem Stuhl gefesselt- und ich töte Menschen. Ich bin schon lange kein guter Mensch mehr, Nero.“

Ich wollte noch etwas sagen, ihm widersprechen, doch ich fand auf einmal keine Worte für das alles. Ares ging, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Schweigend stand ich in dem Raum und in meinen Ohren echoten Ares’ Worte wie ein fesselnder Singsang.

Es ist für uns alle angenehmer, wenn wir niemanden hinterlassen, der um uns trauern würde…

Um mich wird niemand trauern…

Ich bin schon lange kein guter Mensch mehr…

Wir waren uns sehr ähnlich. Wir hatten beide jemanden, den wir mit unserem Leben beschützen wollten. Ich spürte wieder den Schmerz, den ich gerade bei seinen Worten verspürt hatte, das Gefühl von Machtlosigkeit und Verzweiflung, nichts ändern zu können.

Und immer wieder vermischte sich Fins helles Lachen mit meinen Gedanken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  blacksun2
2012-03-27T14:20:18+00:00 27.03.2012 16:20

Komm wir spielen „Wetten dass“ . . .
Wetten dass, wennn ich 20 Leuten diese Geschichte zeige, MINDESTENS 20 ^^ hellauf begeistert sein werden
Anders kann es gar nicht sein

*hach* eine warme Dusche ist schon eine Wohltat für Körper und Seele
Armer Nero, selbst wenn er sich nun entscheiden würde, Fin zurückzulassen, er kann ja schlecht sagen „War nett dich kennenzulernen, Bye“ und Finja lässt sich sicher auch nicht so leicht abschütteln

Das Gespräch zwischen Ares unde Nero war herzergreifend und angsteinflößend – ich möchte nicht, dass jemand stirbt *Tränen in die Augen bekomm*, ich hab sie alle so lieb gewonnen, dass ich sie zu meiner nächsten Geburtstagparty einladen wollte
*breit grins* ich stell auch Alkohol bereit (und dann füll ich Ares ab und dann hehehe ^_-)

die griechischen Götter würden platzen vor Stolz, wenn sie wüssten, dass ihre Namen in so einer tollen Geschichte eine Verwendung finden
moment mal, warum ist mir das nicht eher aufgefallen: Nero bildet ja eine Ausnahme, interessant . . .

glg


Von:  Thuja
2011-08-14T14:22:54+00:00 14.08.2011 16:22
OOHHHHHHHHHHHHHHHH
Das war mal wieder großartig
Okay Mädchen. Wir brauchen ein neues Wort, um das zu beschreiben. Weil mir reicht der deutsche Wortschatz dafür nichts aus. Und zwar absolut nicht.
Inzwischen bin ich fest überzeugt. Das ist das Beste, was ich in den letzten Jahren gelesen habe.
Ich liebe die Geschichte so sehr!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Wie du alles beschreibst, deine Art den Leser in die Situation hineinzubringen ist perfekt.
Fin tat mir so Leid. Das Gespräch zu belauschen, muss ein Scheiß Gefühl in ihr ausgelöst haben. Sie muss sich ausgeschlossen gefühlt haben, wie jemand der nicht dazu gehört.
Und Fakt ist. So richtig tut sie das wirklich nicht. Alle sind oder waren Teil der Organisation und können kämpfen, es mit Gegnern aufnehmen. Sie hingegen ist ein normales Mädchen, dessen brutalste Tat bisher vielleicht war, ein Insekt zu zertreten.
*seufz*
Nero muss da wirklich eine schwere Entscheidung fällen. Was macht er jetzt mit ihr? Soll er sie zurück lassen. Geht das so einfach. Sie ist doch bereits ein Teil seines Lebens. Sie braucht ihn und er braucht sie

Das Gespräch mit Ares hat mich auch fasziniert. Eine sehr geniale Szene. Ares Wortwahl war so genial, dass ich eine Gänsehaut hatte.
*mir auf den Arm sehe*
Entschuldigung. Ich meine habe.

lg



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