Farewell.
Es waren schon 24 Wochen und elf Tage vergangen, seid er seine beste Freundin zum letzten Mal gesehen oder auch nur gehört hatte. Diese Zeit kam ihm jetzt schon wie eine halbe Ewigkeit vor, die von Tag zu Tag langsamer zu vergehen schien. Er wusste, dass er sie auch in naher Zukunft nicht wieder sehen würde, auch wenn sie das Gegenteil behauptet hatte, denn sein Gefühl hatte ihn, in solchen Dingen, noch nie getäuscht und das würde auch dieses Mal sicher nicht der Fall sein. Und dennoch zählte er die Tage seit dem letzten Treffen, in ihrem Lieblingscafé, am anderen Ende der Stadt.
Es war ein kleines, eher mäßig besuchtes Café, dass sich versteckt in Mitten einer Grünanlage befand und das man nur durch Zufall entdecken konnte. Sie waren oft hier gewesen, denn dort war es erholsam, nach einem anstrengenden und nervenaufreibenden Arbeitstag im Krankenhaus einen Kaffe zu genießen, fern von jeglichem Großstadtlärm und den gestressten Menschen auf den überfüllten Gehwegen. Im Sommer haben sie immer stundenlang in den weichen Ledersessel auf der Dachterrasse gesessen und hatten sich über Gott und die Welt unterhalten, während sie in den frischeren Monaten des Jahres lieber drinnen gesessen hatten und Seattle durch eine der vielen Fensterscheiben beobachteten.
Er hätte es in solchem Momenten niemals für möglich gehalten, dass sich ihre Wege irgendwann einmal trennen würden. Ganz im Gegenteil, er hatte gehofft - nein, er hatte daran geglaubt, dass sie den Rest ihres Lebens, jeden Abend hier sitzen würden und den Tag einfach noch mal Revue passieren lassen. Nun war dieser Traum zerplatzt, wie eine Seifenblase, die man mit den Fingerspitzen berührt hatte. So etwas Zartes konnte man noch so vorsichtig berühren, es würde selbst unter dem geringsten Druck vergehen.
Doch war ihre Freundschaft, die sie schon seit dem Kindergarten verband, auch so dünnhäutig gewesen?
Das konnte er sich nicht vorstellen. Sie hatten immer offen über alles geredet und niemals etwas vor dem Anderen geheim halten wollen. Sie waren vertrauter als manche Paare es von sich behaupten können. Sie beide hatten nie eine richtige Familie gehabt und so waren sie für den jeweils Anderen zur Familie geworden und gaben sich gegenseitig den Halt, den sie brauchten.
Und nun saß er hier mit seinem Kaffee und betrachtete den Platz an dem er sie zum letzen Mal gesehen hatte. Eine gemütliche Sitzecke, mit zwei kleinen gemütlichen Sofas und einem dunklen Holztisch in der Mitte, die sich genau an einem der großen Fenster befand. Hier hatten sie gesessen und ihren Feierabend genossen. Er auf der einen Couch und sie auf der Anderen. Jetzt wo er hier saß und still auf die andere Seite des Tisches und somit auch auf das weiße Sofa ihm gegenüber blickte, konnte er ihre Gestalt vor seinem inneren Auge sehen.
Ihre helle verwaschene Jeans und ihren dünnen, mintgrünen Pullover, den er ihr zum letzten Weihnachtsfest geschenkt hatte. Er sah ihr hübsches Gesicht; ihre zarte, helle Haut und ihre weichen Gesichtszüge, ihren vollen Mund und ihre kleine Stupsnase. Doch das Schönste an ihr waren ihre strahlenden, grasgrünen Augen, umrahmt von ihren langen, schwarzen Wimpern und ihr langes, seidiges rosafarbenes Haar, dass ihr in leichten Wellen über ihre Schultern fiel. Ihr Lächeln war das Wundervollste, dass er je gesehen hatte und er liebte es, seitdem er es das erste Mal gesehen hatte.
Er war keinesfalls in sie verliebt, auch wenn das alles so danach klingen mochte. Für ihn war sie so etwas wie seine kleine Schwester und er liebte sie auch wie eine Schwester. Er hatte niemals andere Gefühle für sie gehabt.
Doch als er an ihr Lächeln dachte, fiel ihm auf, dass sie am besagten Abend nicht wie sonst für ihn gelächelt hatte. Sie hatte nicht einmal ihren schwarzen Mantel ausgezogen; ihn lediglich ein Stück weit geöffnet. Ihr Gesicht hatte sie zum Fenster gewand, als sie zu sprechen begann. Er konnte damals nur erahnen an was sie dachte und wie sie fühlte, da er ihr Gesicht nur als Spiegelung im Fenster sehen konnte.
“Ich habe den ganzen Tag überlegt wie ich anfangen soll und doch sitze ich hier und habe keine Ahnung was ich dir sagen soll - wie ich es dir erklären soll.“ Ein kühles Lachen verließ den Mund der jungen Frau, nachdem sie ihren Satz beendet hatte. „Es ist kompliziert und ich möchte eigentlich nicht darüber reden. Ich bin lediglich hier, weil ich der Meinung bin, dass du ein Recht darauf hast zu wissen, dass dies' unser letzter gemeinsamer Abend sein wird, Naruto.“ Der Blick des jungen Mannes änderte sich schlagartig. Er konnte nicht verstehen was sie da gerade gesagt hatte und er wollte es auch nicht glauben. Sie erlaubte sich sicher nur einen dummen Scherz mit ihm, dass tat sie öfters. Doch als er ihre Augen im Fenster sah, wusste er, dass sie es todernst meinte. Dieser entschlossene Blick ließ keinerlei Platz für Zweifel. Sie meinte es ernst und würde sich von nichts und niemanden zum bleiben überreden lassen.
„Du meinst das wirklich ernst? Aber warum? Und vor allem, warum jetzt?“
Er hörte seine eigene Stimme und doch war es nicht seine. Sie klang stumpf und auf eine seltsame Weise kühl und monoton. „Ich werde gehen und Seattle verlassen. Mein Flieger geht noch heute und ich weiß nicht wann ich wieder kommen werde, aber wir werden uns wieder sehen, okay?“ Ihre Stimme hatte gegen Ende nicht mehr so hart und distanziert geklungen, sondern hatte einen weichen Unterton der Trauer angenommen. „Ich warte schon mein Leben lang, dass irgendetwas passiert und jetzt will ich nicht mehr warten, Naruto. Ich möchte neue Grenzen sehen und endlich auf meinen eigenen Beinen stehen. Ich möchte mein Leben nicht mehr so weiter leben und du weißt, dass du mich nicht aufhalten kannst.“ Ein Lächeln umspielte kurz ihre Züge und Naruto war sich sicher, dass dies' das aufrichtigste Lächeln gewesen war, dass sie ihm in all den Jahren jemals geschenkt hatte.
Naruto war sich nicht sicher, ob er ihr Lächeln noch einmal wieder sehen würde. Vielleicht war dies' auch das letzte Lächeln gewesen, dass er von seiner besten Freundin zu sehen bekommen hatte. Der restliche Abend verlief schweigend. Beide waren mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Langsam sackten die Worte der jungen Frau in sein Unterbewusstsein. Sie würde ihn einfach so verlassen und vielleicht nicht wieder zu ihm zurückkehren. Es war ein furchtbarer Schock für Naruto, auch wenn er es noch immer nicht wahrhaben wollte. Seine einzige, wirkliche Bezugsperson zu verlieren, ohne auch nur den wahren Grund dafür zu erfahren? Das klang für ihn nach einem schlechten Film, aber niemals nach der Realität - Seiner Realität. Er konnte nicht glauben, dass ihr Freiheitsdrang der einzige Grund für ihr verschwinden war. Irgendetwas war da, von dem er nichts wusste. Und diese Unwissenheit schmerzte ihn sehr.
Warum hatte sie ihm an diesem Abend nicht genügend vertraut? Warum war sie Hals über Kopf aus dem Café verschwunden und hatte ihm mit einer kurzen, stürmischen Umarmung und den Worten 'Ich werde immer bei dir sein, solange du mich nicht vergisst. ' stehen lassen? Er hatte nicht einmal die Chance gehabt sie aufzuhalten, so überraschend passierten diese zwei Minuten. Natürlich hätte er ihr nachlaufen können und sie bitten können bei ihm in Seattle zu bleiben, doch er wusste, dass sie niemals geblieben wäre, egal wie sehr er sie angefleht hätte. Doch war es wirklich zu viel verlangt gewesen, von ihr ein paar Worte zum Abschied zu hören? Von ihr, seiner besten Freundin? Anscheinend schon. Hatte er einen Fehler begangen? War er der Grund für ihre plötzliche Abreise? All seine Gedanken verliefen in einem Nichts aus tiefer Dunkelheit. Sakura war weg und er musste einfach damit leben.
Das Leben spielte manchmal komische Spiele. Und wir alle waren nur die Schachfiguren auf einem Spielfeld voller Gefahren und Geheimnisse. Und nun war Sakura es, die vom Leben für eines seiner seltsamen Spiele ausgewählt worden war und er, Naruto Uzumaki, hatte plötzlich keine Bedeutung mehr darin. Er wurde nicht zu einem Teil dieses Spiels gemacht und wenn doch, dann hatte jemand vergessen ihm die Spielregeln mitzuteilen. Es war schwer zusammenhänge zu finden und somit etwas Licht in sein Leben zu bringen, dass plötzlich dunkler als die Nacht war. Zudem hatte er lange nichts mehr von Sakura gehört und er fragte sich ständig welchen Weg das Leben wohl für sie vorgesehen hatte.
Sakura war schon immer etwas Besonderes gewesen. Sie besaß ein hohes Maß an Wissen und eine erstaunlich genaue Intuition und dennoch hatten ihre Eltern sie in ein Weisenheim abgeschoben. Dort hatten sie sich kennen gelernt und dort waren sie zu Freunden geworden. Der fröhliche, kleine, blonde Junge und das ruhige, seltsame Mädchen, das von allen anderen Kinder gehänselt und geschlagen wurde, weil sie Angst vor dem Mädchen hatten. Auch er hatte immer gemerkt, dass Sakura von einer Art 'Aura' umgeben war, die man nur schwer einschätzen konnte. Sie konnte lachen und glücklich sein, doch irgendwie war da immer etwas, dass einem das Gefühl von Kälte vermittelte, deswegen wurde sie immer gemieden, egal ob im Waisenhaus, im Kindergarten oder in der Schule, die Menschen konnten sie nicht akzeptieren und können es heute als erwachsene Menschen, die mit beiden Beinen fest im Leben stehen, immer noch nicht. Nur er war immer für sie da gewesen. Zwei Außenseiter, die sich gegenseitig beschützten und auf sich Acht gaben. Er war die Stärke und sie war der Verstand gewesen. Ein Verstand, der schärfer war als das schärfste Messer, der genialer war, als der, der meisten Genies und der berechnender war, als jeder Computer.
Naruto erinnerte sich an einen alten Mann, der während seiner Assistensarztausbildung für einige Wochen, sein Patient gewesen war, bevor er schließlich an einer Lungenembolie gestorben war. Dieser alte Mann hatte während des zweiten Weltkrieges als Soldat gedient und hatte damals seine kleine Schwester in den Flammen des Krieges sterben sehen, ohne ihr helfen zu können. Er hatte einfach nur zusehen können wie sie verbrannte. Noch heute erinnerte Naruto sich an die Worte des Mannes, der so tapfer gewesen war und dennoch ein solches Leben hatte führen müssen. Seine Geschichte ging dem jungen Arzt unter die Haut, viel tiefer als alles andere, viel tiefer als eine Tätowierung jemals gehen würde. Und warum? Weil er sich diesem Mann und seiner Geschichte irgendwie verbunden gefühlt hatte – jetzt noch mehr als damals. Und auf eine seltsame Art und Weise hatte Naruto jetzt das Gefühl gerade etwas Ähnliches mit seiner besten Freundin zu durchleben, auch wenn es nur im übertragenen Sinne war. Er bekam eine Gänsehaut. Sollte so etwa seine und auch Sakuras Zukunft aussehen?
"Junge, hast du jemanden jemals so intensiv geliebt, dass du für diese Person eine Hand ins Feuer legen würdest? Nicht nur sprichwörtlich, nein, ich meine sie wirklich ins Feuer legen? Wenn diese Person weiß, dass sie in deinem Herzen ist und das du ihr Schutzschild bist und sie sich darauf verlässt, dass du jeden umhauen wird, der ihr zu nahe kommen will? Doch was passiert, wenn sich das Karma umkehrt und nach dir schnappt und somit alles woran du glaubst, sich gegen dich wendet. Deine Bekannten, deine Freunde und deine Familie? Was ist wenn du plötzlich der Auslöser für das ganze Leid der Anderen bist?"
Nein, das Leben mischt dir die Karten, aber du spielst das Spiel.
Er würde Sakura nicht aufgeben und auf sie warten. Er hoffte, dass es ihr gut ging. Irgendwann würde sie sicher wieder vor seiner Tür stehen und er würde sie mit offenen Armen empfangen. Mit Sicherheit würde es nicht mehr so wie früher sein, dafür hatte sie sein Vertrauen zu sehr erschüttert, doch man konnte an allem arbeiten. Sie würde immer ein Teil von ihm bleiben, da war er sich sicher. Und wenn es sein musste, würde er ihr auch in die Flammen des Untergangs folgen, dafür war sie seine beste Freundin und er ihr bester Freund.
To be continued [...]