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Sonnenbrand

"Unverantwortlich war das von Ihnen!"
von

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„Unverantwortlich war das von ihnen!“ schimpfte er mit mir. Meine Wangen glühten. Wahrscheinlich hatten die Nachbarinnen doch Recht gehabt.

In meinem ganzen Leben werde ich diesen peinlichen Moment nicht vergessen.
 

Aber ich erzähle die Geschichte besser von Anfang an.
 

Es war ein schöner, sonniger Tag, und zunächst sah es auch so aus als wäre in bester Ordnung. Der Mann der die Heilkräuterführung machte, erzählte ein bisschen von sich. Arzt war er von Beruf, aber sein ‚Steckenpferd’ war die ‚Botanik’.
 

„Er meint sein Hobby“ erklärte mir Chantal. Sie war wirklich ein aufgewecktes Mädchen. Ich machte mir manchmal Sorgen, die dauernde Leserei könnte ihren Augen schaden, aber noch brauchte sie keine Brille. „Er beschäftigt sich mit Pflanzen.“
 

Ah. Ein Fachmann also. Da konnte ich ja noch was lernen. Eigentlich war ich ja nur hier, damit Chantal mal an die frische Luft kam. Eine Heilkräuterführung, damit konnte man sie vor die Tür locken. Auf der Straße spielen wollte sie nicht, die anderen Kinder waren ‚gemein’ zu ihr – halt etwas grob, wie das bei Jungen so ist.
 

Chantal nahm sich das so zu Herzen, dass sie am liebsten drinnen blieb und las. Ein komisches Kind, fanden die Nachbarn. Sie waren sich einig, dass das Kind halt eine Mutter brauchte.

Die Frau die sie zur Welt gebracht hatte, war einfach weggelaufen, da war Chantal grade mal ein paar Monate alt. Ihr Pech, fand ich. Also, das von Tina.
 

Chantal war ein fröhliches Baby gewesen, und jetzt war sie ein fröhliches Kind. In ihrem Lieblings-T-Shirt mit den fallschirmspringenden Gummibärchen hüpfte sie auf dem schmalen Holzpfad übers Moor und sah überhaupt nicht aus, als würde ihr eine Mutter fehlen.
 

„Wenn Sie in die Hocke gehen und genau hinschauen, können Sie den rundblättrigen Sonnentau sehen.“
 

Chantal legte sich flach auf den Holzweg und starrte angestrengt auf das Moos.
 

„Guck mal Papa!“
 

Das Pflänzchen war so winzig, dass ich es selbst nie bemerkt hätte.
 

„Der Name Sonnentau leitet sich von den vielen kleinen Tröpfchen von Flüssigkeit her, die auf den Blättern des Sonnentaus kleben und wie Tautropfen aussehen. Damit fängt er Insekten, um im nährstoffarmen Moor überleben zu können“ erklärte der Fachmann. Meine Tochter hörte so aufmerksam zu, dass mir vor Stolz die Brust schwoll. Nachher, das wusste ich genau, würde sie mir alles wiederholen können, was der Mann gesagt hatte.

Nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem Bau war es die reinste Erholung, Chantal zuzuhören wie sie vom Dschungel erzählte, oder von einheimischen Tieren von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
 

Und zu sehen wie glücklich sie war, wenn sie wieder etwas Neues gelernt hatte, war überhaupt die größte Freude.
 

Wie gesagt, es schien alles ganz gut zu laufen. Aber nach so gut zwei Stunden im Moor kam das böse Erwachen.
 

Chantals sonst so schneeweiße Haut war tomatenrot. Sonnenbrand! Das bekam man doch nur am Strand!
 

„Du musst sofort in den Schatten“ entschied ich.
 

„Es geht schon“ sagte sie tapfer. „Ich will die Führung mitkriegen.“
 

„Sei vernünftig, Chantal. Der Sonnenbrand wird nur noch schlimmer“ sagte ich. Zum Glück waren wir auf dem schmalen Holzpfad genau hinter dem Führer. „Lassen Sie uns bitte vorbei“
 

„Ich will aber die Führung mitkriegen!“ rief Chantal trotzig.
 

Jetzt sah der Führer mich an. „Haben sie das Kind etwa nicht eingecremt? Zwei Stunden in der prallen Sonne, und die Kleine hat nicht mal einen Sonnenhut auf.“
 

Betreten starrte ich auf den Pfad unter meinen Füßen. Er war mit Maschendraht überzogen. Vielleicht, damit man nicht ausrutschte?
 

„Unverantwortlich war das von Ihnen“, schimpfte er mit mir. (Der Führer, nicht der Maschendraht)
 

Und er hatte ja Recht. Ich hatte das arme Kind vernachlässigt, und jetzt verdarb ich ihr auch noch den Spaß an der Führung.
 

„Gerade in der Kindheit erhöht jeder Sonnenbrand das Risiko, später an Hautkrebs zu erkranken“ fuhr er fort.
 

Bestimmt würde er gleich fragen, wo Chantals Mutter war, und dann könnte ich mir anhören, was für ein verantwortungsloser Mensch ich war, das Kind allein aufzuziehen.
 

„Jetzt aber schnell ab in den Schatten“ er ging etwas in die Hocke und sah Chantal streng an. „Sonst wird dein Sonnenbrand noch schlimmer. Ich erzähle dir auch alles noch mal, versprochen.“
 

Jetzt war Chantal ganz folgsam und rannte über den Holzpfad, dass ich kaum hinterherkam.
 

„Gleich morgen kauf ich dir einen Sonnenhut“ versprach ich, als wir den schattigen Tannenwald erreicht hatten. Reuevoll erinnerte ich mich an die vielen Hüte die ich beim Ein-Euro-Laden gesehen hatte. „Was ist dir lieber, gelb, grün oder rosa?“
 

Chantal überlegte kurz. „Gelb“ meinte sie dann. „Ist Hautkrebs sehr schlimm?“
 

Ich schluckte. Wie hatte ich nur so verantwortungslos sein können? Das war ja nicht der erste Sonnenbrand. Erst vorletzten Sommer auf Mallorca hatte sie sich einen geholt. Aber da hatte ich sie eingecremt!
 

„Du bekommst keinen Hautkrebs“ sagte ich entschieden. „Morgen schreib ich dir eine Entschuldigung für die Schule und wir gehen in die Bücherei. Es gibt bestimmt ein Buch wo drinsteht, was man tun kann um keinen Hautkrebs zu kriegen.“
 

Chantal strahlte, und mir ging es auch wieder etwas besser. Irgendwo hatte ich doch mal was gelesen, dass Tomaten helfen sollten…ab jetzt würde es jeden Tag Tomaten geben!

Und wenn ich sie in der Mittagspause höchstpersönlich auf dem Markt kaufen musste, statt ein Bier zu trinken und etwas zu essen.
 


 

„…die Führung ist jetzt zu Ende, wenn Sie noch Fragen haben, können Sie sie jetzt stellen.“
 

Die dumme Frau mit dem Arschgeweih wollte wissen, ob man aus dem Sonnentau den es im Gartencenter zu kaufen gab Hustentee machen konnte, aber sonst hatte zum Glück niemand Fragen.
 

„Hast du die kleinen rosa Blüten im Moor bemerkt?“ fragte der Führer jetzt Chantal, die natürlich eifrig nickte.
 

„Das sind Moosbeeren, die heimischen Verwandten der amerikanischen Cranberrys“ erklärte er. Und dann noch eine ganze Menge mehr.
 

Alles konnte ich mir nicht merken, nur, dass die Dinger irgendwie gegen Karies helfen sollen. Aber das macht nichts. Ich kann ja Chantal fragen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  yume-ko
2014-07-10T14:37:18+00:00 10.07.2014 16:37
Ich hab gerade wahllos herum gesucht und ich hab wirklich keine Ahnung wie, aber ich bin hier gelandet.
Und das hat mich echt gefreut. Die Geschichte hat mir ein richtig wohliges Gefühl gegeben. Irgendwie behütet. Und mochte es dass man nicht sofort mit bekommet wer der Erzähler ist :)

Schade fast, dass sie so kurz war. Auf jeden Fall ist es eine wirklich schöne und außergewöhnliche Kurzgeschichte geworden.
Von:  Ekolabine
2010-05-20T20:31:56+00:00 20.05.2010 22:31
Niedliche Geschichte =)
So aus der Sicht des Vaters erzählt, der seine kleine Tochter bewundert. Hat wirklich Spaß gemacht sie zu lesen, obwohl eigentlich nichts großartiges passiert war. Du hast wirklich einen eigenen Stil, der charmant und lesenswert ist. Vorallem die Absätze erleichtern einem das Lesen. Also ich hab wirklich nichts auszusetzen. Ist eine nette Gute Nacht Geschichte für große Mädchen ;)

Viele Grüße


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