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Mississippi Dreams

von

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Gewinner und Verlierer

Autor: desertdevil
 

Teil: Prolog
 

Beschreibung: June ist ein Junge der auf einer Plantage im Mississippi Delta aufgewachten ist und mit seiner Stiefmutter zusammenleben muss. Ihren Launen ausgesetzt muss er sich ziemlich viel gefallen lassen, da sein leiblicher Vater nicht ihm, sondern seiner zweiten Frau die Plantage hinterlassen hat. Diese lässt keinen Mann aus und bringt schließlich sogar einen Liebhaber mit nach Hause, den sie gedenkt zu heiraten. June ist damit überhaupt nicht einverstanden, stellt sich quer und macht sich damit nicht nur weiter seine Stiefmutter zum Feind, sondern auch ihren Liebhaber.

Sooo.. mehr will ich gar nicht voraus nehmen, ist eigentlich schon viel zu viel. ^^

Viel Spaß beim Lesen…
 

Disclaimer: Die Geschichte ist frei erfunden und gehört mir, einschließlich aller Personen die darin vorkommen. Wer ausleihen möchte, bitte vorher fragen.
 

Rating: PG-16
 

Warnung: lemon/lime, rape, romantik, yaoi
 


 

Prolog
 

Gewinner und Verlierer
 


 

Tanner Cloud spielte Stud Poker. Er rekelte auf seinem bevorzugten Stuhl. Mit dem Rücken zur Wand saß er an einem runden Tisch in dem kleineren drei der öffentlichen Salons auf dem Flussschiff Mississippi Belle.

Ein dünner Stumpen hing in seinem Mundwinkel, das dunkle Halstuch war gelockert und die langen, mit schwarzen Stiefeln bekleideten Beine waren lässig ausgestreckt. Die schöne, spärlich bekleidete Frau mit der fülligen Figur, die hinter ihm stand, ließ ihre Finger durch sein welliges, schwarzes Haar gleiten.

»Lass das, Alice!«, sagte er gedehnt. »Du raubst mir die Konzentration.«

Er warf ihr einen Blick über die Schulter zu und bemerkte, wie sie zufrieden auf ihn herab sah, mit einem wollüstigen, anzüglichen Lächeln, das den anderen drei Männern am Tisch neidvolle Blicke entlockte. Doch Alice ignorierte sie. Ihre Aufmerksamkeit galt ausschließlich Tanner.

»Ach was.. nichts könnte dir die Konzentration rauben, Süßer«, flötete sie und fuhr mit ihren Finger liebevoll und einschmeichelnd über seine mit dunklen Bartstoppel überzogene Wange. Dann zog sie die Hand zurück, blieb aber hinter ihm stehen. Ihre Augen, wurden schmaler, als sie das Blatt in seiner hand betrachtete. Seine Augen, die von einem hellen und verblüffenden Himmelblau waren, wandten sich nun wieder vollkommen ausdruckslos den Karten zu. »Verdammt noch mal, Cloud, was haben sie vor?«

Der Mann zu seiner Linken, der Tanner nur als Hulton bekannt war, war gereizt, das lag klar auf der Hand. Der größte Teil seiner Scheine lag mitten auf dem Tisch. Die wenigen, die noch vor ihm lagen würden aller Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen, und dann musste er eben ausscheiden. Er hatte bereits versucht seine Taschenuhr anstelle von Bargeld einzusetzen, doch es war ihm verweigert worden. Hier wurde professionell gepokert, man spielte um hohe Einsätze. Nur Bargeld wurde angenommen.

Hulton war in die Runde aufgenommen worden, weil er die erforderlichen zehntausend Dollar aufweisen konnte, die als Mindesteinsatz verlangt wurden. Wenn ihm das Geld ausging, und dazu würde es sicherlich in den nächsten Minuten kommen, schied er aus dem Spiel aus. So einfach war das. Und wie die übrigen Mitglieder hatte er diese Regeln gekannt ehe er sich an diesen Tisch gesetzt hatte.

Nervöse Verzweiflung spiegelte sich in den Augen des Mannes und ließ ein seltsames Mitleid in Tanner aufsteigen, in das sich Verachtung mischte. Aus den hohen Einsätzen des Mannes war deutlich ersichtlich, dass er das Blatt seines Lebens in der Hand hatte, oder es zumindest glaubte. Doch seine guten Karten würden sich für ihn nicht auszahlen, weil er nicht länger mitbieten konnte. In dieser Situation war Tanner selbst schon ein paar Mal gewesen, deswegen konnte er Hultons Enttäuschung nachvollziehen. Trotzdem.. Der Mann hätte gar nicht erst spielen sollen, wenn er nicht mit einem Achselzucken und einem Lächeln auf den Lippen verlieren konnte. Dann hatte er unter Kartenspielern absolut nichts verloren.

Tanner hoffte nur, dass er nicht irgendwo eine Frau und eine Horde Kinder hatte, die fest mit dem Geld rechneten, das Hulton gerade verspielt hatte. Andererseits ging ihn das überhaupt nichts an.

Tanner war jetzt schon seit zehn Jahren professioneller Spieler, seit er als junger Kerl von sechszehn Jahren mit einem Flaum im Gesicht an Bord seines ersten Schaufelraddampfers gegangen war. Derart ablenkende Gefühlsregungen – wie Mitleid mit einem Gegner – hätten ihm fern liegen müssen. In diesem Augenblick hätte nur eins seine Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen – nämlich das Spiel!

In der letzten Zeit neigte seine gerühmte Konzentration jedoch zum Abschweifen und das war überhaupt kein gutes Zeichen. Nach diesem Spiel würde er vielleicht eine Zeit lang aussetzen, überlegte Tanner. Wenn es der Gewinn hergab vielleicht eine Reise unternehmen. Und das ganz sicher nicht auf einem Flussschiff! Inzwischen hatte er Flussschiffe so satt wie das Pokern. Diese Erkenntnis, die ihm ausgerechnet jetzt kam, kurz vor einem Gewinn, vor einem sehr großen Gewinn noch dazu, machte ihm Sorgen.

Nahezu unmerklich runzelte Tanner die Stirn und gab sich dann innerlich einen Ruck, um sich wieder in den Griff zu kriegen. Jetzt darüber nach zu denken… Das konnte er sich beim besten Willen nicht leisten! Er musste sich ganz auf das Spiel konzentrieren.

Wenn Tanner richtig rechnete – und er hatte für Zahlen fast ein ebenso gutes Gespür wie für Karten – dann lagen jetzt einundvierzigtausendzweihundertundsechs Dollar auf dem Tisch.

Das war ein Vermögen! Und wenn seine Glückssträhne noch ein klein wenig länger anhielt und er sich nicht von Hultons misslicher Lage zu Tränen rühren ließ, gehörte es ihm.

»Ich gehe mit und erhöhe um zweihundert.« Tanner nahm von den Scheinen vor sich und warf sie auf den Stapel in der Mitte. Er wandte sich nicht direkt an Hulton, sondern richtete seine Bemerkung an Davis, der rechts neben ihm saß.

Hulton war jetzt an der Reihe. Finster sah er seine Karten an, bevor er sie fluchend auf den Tisch knallte.

»Ich bin draußen«, sagte er bitter, schnappte die wenigen Scheine, die ihm noch geblieben waren, während er den Haufen in der Tischmitte so ansah, als hätte er ihn ebenfalls gerne sofort eingesteckt. Geräuschvoll kippte sein Stuhl um, als der Mann aufsprang und sich halb abwandte. Dann drehte er sich aber doch noch einmal um, beugte sich vor, stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte und ließ seine Blicke mit loderndem Hass über die drei verbliebenen Spieler gleiten. Unter den Zuschauern erhob sich ein Raunen und Murren, manche wichen vor Hulton zurück.

Tanners Augen drückten täuschende Gleichgültigkeit aus, als er von seinen Karten aufblickte und Hulton ausdruckslos ansah. Ein Mord wegen wesentlich geringerer Verluste als der, den Hulton gerade erlitten hatte, war nichts Ungewöhnliches. Das hatte Tanner im Laufe der Jahre oft genug erlebt. Aus diesen Gründen war das Tragen von Waffen an Bord verboten. Der Kapitän der Mississippi Belle legte größten Wert darauf, doch Tanner war trotzdem vorbereitet.

Die kleine Pistole, die er sich speziell hatte anfertigen lassen, steckte in einem Halfter in seinem Stiefel. Sollte Hulton auch nur eine falsche Bewegung machen, hatte er nur noch wenige Sekunden zu leben!

Im Gegensatz zu Tanner, war Hulton anscheinend unbewaffnet. Lediglich sein finsterer Blick glitt über die Spieler der Runde und dabei arbeitete sein Kiefer unaufhörlich, ehe er einen abscheulichen Fluch ausstieß und sich wieder abwandte. Ein wenig ängstlich machten die Zuschauer ihm sofort Platz und Tanner behielt ihn im Auge. Hulton hatte einen verzweifelten Eindruck gemacht und ein Verzweifelter konnte gefährlich sein. Allerdings.. Wenn Hulton mit dem Gedanken an Gewalttätigkeit gespielt hatte, hatte er es sich anscheinend doch noch anders überlegt. Im Herausgehen griff sich Hulton seinen Hut vom Ständer, drückte in sich in einer immer noch wütenden Bewegung auf den Kopf und verließ mit eiligen Schritten den Salon, ohne noch einmal einen Blick zurück zu verschwenden.

Sowie die Türen hinter ihm zuschlugen, wandte sich Tanner wieder seinen Karten zu und das Spiel wurde ohne weitere Verzögerungen fortgesetzt.

Als es vorbei war, war Tanner wie erwartet rund fünfundvierzigtausend Dollar reicher.

»Und das mit einem Pärchen Dreier«, hauchte Alice ihm ins Ohr, als sie ihm einen leidenschaftlichen Siegerkuss gab. Nun, da das Spiel aus war, konnte Tanner sich entspannen. »Tja.. was zählt ist nicht so sehr, was man hat..« Er zwinkerte ihr zu. »Sondern wie man es einsetzt«, meinte er mit einem anzüglichen Grinsen, während sich seine Hände auf ihren rundlichen Hintern legten und leicht zukniffen, um seinen Worten den richtigen Ausdruck zu verleihen. Sie kicherte hell, begann zart an seinem Hals zu knabbern und Tanner nahm einen Packen Scheine und stopfte diesen in den verführerischen Spalt ihrer Brüste.

»Oh, Cloud…«, hauchte sie erstaunt und mit großen Augen, als sie das kühle Knistern der Banknoten spürte. Augenblicklich wandte sie sich von seinem Hals ab, um das Geld aus ihrem Ausschnitt zu fischen.

»Als Anerkennung, dass du mir Glück gebracht hast«, sagte er und kniff sie noch einmal leicht in den Hintern. Automatisch quietschte sie auf, gab ihm noch einen Kuss und wandte sich ab, um ihr Geld zu zählen. Tanner grinste breit, während er sie musterte. Alice hatte einen mindestens so harten Schädel wie er auf den Schultern sitzen.

Das sie Männer mochte, lag zweifelsfrei auf der Hand, vor allem ihn mochte sie. Aber noch lieber war ihr Geld. Bereits bei der bloßen Berührung der Banknoten lief ihr ein Schauder über den Rücken.

Als Tanner sich erhob, wurden ihm viele Glückwünsche entgegen geworfen. Mit einem Nicken und ein paar Scherzen nahm er sie entgegen. Dabei war ihm bewusst, dass ihn fast alle Anwesenden im Salon beobachteten, während er seine Gewinne in seinen Hut schaufelte.

Es war ein guter Gewinn und noch dazu ein sauberer. Bereits vor Jahren hatte er gelernt Asse verschwinden zu lassen, Karten von unten aus zu geben, aber auch alle anderen Tricks die ein Spieler können musste, wenn er überleben wollte. Er machte es nicht gerne, nur wenn es sein musste. Aber diesmal war es ja nicht nötig gewesen und deshalb freute er sich umso mehr über seinen Sieg. Noch ein paar solche Gewinne und er konnte sich ein Stück Land kaufen. Dann konnte er endlich den Fluss und den Gestank des Mississippischlamms hinter sich lassen und vergessen!

Schließlich verließ Tanner den Salon, sah sich vorsichtig auf dem Deck nach allen Seiten um. Eine so große Summe wollte er nicht länger als nötig bei sich behalten. Es war spät am Abend, nein, besser gesagt früh am Morgen. Die meisten Passagiere hatte sich längst in ihre Kabinen zurück gezogen. Ein einziger Unbekannter stand an der Reling und hielt diese umklammert, während er auf das Ostufer des Flusses hinaus starrte.

Es war Dezember und der Regen hatte den Strom anschwellen lassen, der seltsam nach Würmern roch. Keine einzige Wolke war am Himmel, die Sterne funkelten am blauschwarzen Himmel und ein leichter Wind fegte über das Deck. Der Vollmond warf genügend Licht, sodass das schlammige braune Wasser und auch die unteren Decks zu sehen waren. Nur das rhythmische Plätschern des Schaufelrades und die Stimmen aus dem Salon , den er gerade verlassen hatte, störten die Ruhe der Nacht. Alles schien in Ordnung zu sein, doch Tanner war nur so alt geworden, weil er nie ein Risiko einging. Er bückte sich, zog die Pistole aus seinem Stiefel und legte sie auf das Geld in seinem Hut. Erst dann machte er sich auf den Weg zu seiner Kabine. Gleich am Morgen würde er seine Gewinne im Büro des Zahlmeisters abgeben und dann würde das Geld die weitere Reise über bis nach New Orleans im Tresor der Mississippi Belle zurücklegen.

In New Orleans würde er das Geld zur Bank bringen und damit würde sich der nette kleine Notgroschen, den er sich angespart hatte mehr als verdoppeln. Irgendwann, nicht mehr allzu weit in der Zukunft würde er das Leben als Spieler aufgeben, sich ein Stück Land kaufen und sich den Lebensunterhalt auf redliche Weise verdienen.

Wenige Stunden später schlief Cloud in seiner Kabine. Er erwachte von dem Gefühl, dass etwas nicht stimmte und das er in Gefahr war. Augenblicklich war er hellwach, denn sein Lebensstil als Spieler hatte über mehrere Jahre seine Sinne geschärft. Daher spürte er genau, dass außer ihm noch jemand in der Kabine war. Und bei diesem Jemand handelte es sich nicht um Alice, die nackt neben ihm lag und tief und fest schlief. Dieser Jemand, schlich sich gerade in dem Moment auf das Bett zu, wenn er sich nicht irrte.

Es war stockfinster in der Kabine, weswegen er nicht das geringste erkennen konnte. Lautlos griff Tanner unter sein Kissen. Seine Hand schloss sich um die Pistole, zog sie heraus und richtete sie auf den Eindringling, dessen Gegenwart er spürte, wenn er ihn auch nicht sah.

»Wer Sie auch sind… bleiben Sie auf der Stelle stehen, oder ich…«, weiter kam er nicht, denn als seine Augen endlich den dunklen Umriss erkennen konnten, der sich durch die finstere Kabine schlich, brach der Teufel los. Tanner entsicherte die Waffe, während plötzlich ein Schatten auf dem Boden vor dem Bett zum Leben erwachte und dort aus der Dunkelheit aufragte, wo er nichts vermutet hatte. Der Mann fluchte heiser.

In seiner Verblüffung reagierte Tanner mit einem Reflex, setzte sich blitzschnell auf und riss die Mündung der Pistole zu der neuen Gefahr herum. Ehe er sich jedoch orientieren konnte, , ehe er sich so weit von seinem Schock erholt hatte, um das Ziel zu erkennen und einen Schuss abzugeben, sah er, wie das Licht auf der Klinge eines Messers schimmerte, das gefährlich schnell näher kam, zu nah…

»Ahhh!«, schrie Cloud auf, als sich das Messer durch das Fleisch seiner Hand schnitt, in der er die Pistole hielt. Am Anfang spürte er die Klinge eiskalt, dann schien die verwundete Stelle zu explodieren vor Hitze und Schmerz, als seine Hand mit der Handfläche auch noch nach unten gegen die Matratze gepresst wurde. Einen zweiten Aufschrei unterdrückte Cloud mühsam, verzog nur gequält das Gesicht.

»Cloud!« Neben ihm erwachte Alice jäh aus ihrem Schlaf.

»Jetzt komm endlich! «, rief der Mann nervös, der näher an der Tür stand, riss sie auf und winkte seinen Partner hektisch zu sich.

Als das matte Licht durch die geöffnete Tür fiel, erkannte Tanner den zweiten Mann. Es war Hulton. Dann sah er den Umriss seines eigenen großen Stiefels, in dem er seine Gewinne versteckt hatte.

»Verdammt und zum Teufel!«, fluchte er und jeglicher Schmerz war vergessen. Hart schloss sich seine unverletzte Hand um das Messer und zog es aus der Wunde. Nur eines herrschte in seinem Kopf vor. Das Geld! Er musste sein Geld wieder an sich bringen…

Sobald seine Hand frei war, sprang er aus dem Bett, schnappte sich die Pistole, die auf das Laken gefallen war und rannte so schnell er konnte hinter den Dieben her, die ihm seinen Gewinn abspenstig gemacht hatten. Er war so auf sein Ziel fixiert, dass er gar nicht merkte, wie das Blut aus seiner Handfläche strömte und warm auf seine Beine tropfte. Nichts drang zu ihm durch, weder der Schmerz, noch dass er splitterfasernackt über das Deck rannte.

Mit großen Sätzen verfolgte er die Kerle, die ihn natürlich bemerkt hatten und aufs untere Deck flüchteten. Er schrie, wusste aber nicht, was er sagte.

Hinter ihm kreischte Alice, die hinter ihm herlief und alarmierte mit ihrem Geschrei den Wachoffizier. Dieser kam daraufhin von der Brücke, war aber zu weit weg um Tanner eine Hilfe zu sein. Die Mistkerle hatten ein Boot an die Reling gebunden. Tanner verfluchte dieses Pack, als er das Boot zu Gesicht bekam.

»Riplay!«, rief Hulton seinem Komplizen zu, der gut zwei Meter vor ihm war. Der Mann drehte den Kopf um, ohne jedoch langsamer zu laufen. Als Tanner gerade die Hand hob und stehen blieb, um sein Ziel anzupeilen, da er mit der linken Hand nie so gut hatte schießen können wie mit der rechten, warf Hulton den Stiefel. Der Mann, der ihm voraus lief, fing ihn auf, hatte die Reling gerade erreicht und wollte ins Boot springen.

Im gleichen Moment hatte Cloud die Mündung seiner Waffe herum gerissen und zielte nun auf den Mann, der jetzt den Stiefel in der Hand hielt.. auf den Mann mit SEINEM Geld.

Er drückte ab. Der Schuss hallte noch laut in seinen Ohren wieder, als der getroffene Dieb aufschrie, im Kreis taumelte und mit einem lauten Poltern auf dem Deck zusammenbrach. Trotz der keineswegs optimalen Vorraussetzungen hatte Tanner seinen Hinterkopf genau getroffen.

Während der Mann sich noch im Todeskampf wand, sprang Hulton mit einem Satz über ihn hinweg, löste das Tau von der Reling und hechtete ins Boot. Die Mississippi Belle tuckerte weiter voran, während Hulton heftig in die entgegen gesetzte Richtung ruderte, bis er schließlich im dunstigen Morgengrauen verschwand.

Cloud schenkte den Schritten, die sich ihm von hinten näherten, keine Beachtung, ebenso wenig wie Hultons Flucht. Der Stiefel war nirgends zu sehen, doch er ging zu dem Toten, drehte ihn um und entdeckte ihn unter ihm.

Eine Woge der Erleichterung spülte über ihn hinweg, als er sich hinkauerte, um sich sein Geld zurück zu holen. Zum ersten Mal nahm er nun auch den Schmerz in seiner Hand wahr.

Verdammte Hölle noch mal, wie das weh tat!!

Aber das war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der ihn durchzuckte, als er in den Stiefel sah, mit der linken Hand tief hinein griff und feststellen musste, dass er leer war.

»Diese gottverdammten Dreckskerle!!«, schrie er wie von Sinnen und sprang fuchsteufelswild auf. Er rannte an die Reling und sah finster in die Richtung, in die das Beiboot verschwunden war.

Ihm wurde in diesem Moment nur allzu klar, dass dieser miese Betrüger Hulton den Stiefel nur geworfen hatte, um ihn irrezuführen, dass er das Bargeld jedoch bei sich behalten hatte. Wütend darüber, so reingelegt worden zu sein, ballte er ungeachtet der Schmerzen beide Hände zu harten Fäusten und schlug auf die Reling.

»Sie haben ihn erschossen, Mr. Tanner…«, hörte Cloud die Stimme des jungen Unteroffiziers wie durch einen Nebel. Die Ehrfurcht und Besorgnis, die in dem Tonfall lagen, ignorierte er geflissentlich. Hart malmten seine Kiefer aufeinander und er starrte noch immer in die Dunkelheit. Allmählich kämpfte sich jedoch der Schmerz zurück in sein Bewusstsein und Tanner öffnete die Fäuste und ließ die Hände sinken.

»Dieser Scheißkerl!«, fluchte er voller Abscheu. Wenn er sich nicht entschloss seinem Geld hinterher zu schwimmen, würde keine Verfolgung aufgenommen werden – das wusste er. Es war keine Sache von Minuten einen Raddampfer umkehren zu lassen. Selbst unter den besten Bedingungen war es verzwickt und konnte eine Stunde, wenn nicht länger dauern.

Die Mississippi Belle würde die Verfolgung des Diebes nicht aufnehmen.

Cloud konnte nur hoffen, dass sie in der nächsten Stadt anhalten würde, damit er den Diebstahl melden konnte. Doch selbst das würde ihm wohl kaum etwas nutzen.

So schwer es für ihn auch war.. Er musste sich eingestehen, dass sein Gewinn wohl verloren war. Tief atmete er ein paar Mal ein und aus, um keinen Tobsuchtanfall zu bekommen. Dann wandte er sich von der Reling ab, drehte sich zu dem Toten um und konnte kaum wiederstehen, der Leiche einen Fußtritt zu verpassen. Wütend schnaubte er. Es war aber auch das einzige, was er an Emotion zeigte. Den Rest seines tobenden Inneren hielt er gut hinter seiner versteinerten Miene verschlossen.

»Hier, Liebling.«

Alice war schnaufend hinter dem Schiffsoffizier aufgetaucht, der neben der Leiche kniete, die er immer noch verächtlich und voller Hass betrachtete. Sie hielt ihm ein Bettlaken hin. Tanner sah, dass sie sich in die Bettdecke gehüllt hatte, unter der sie beide gelegen hatten, und er stellte fest, dass er splitternackt im kühlen Morgengrauen auf dem Deck stand und sich bereits neugierig Hälse aus den offenen Türen der nächsten Kabinen nach ihm verrenkten.

Ruppig nahm er das Laken und schnürte es sich um die Taille, während sein Blut auf den weißen Stoff rann und ihn leuchtend rot färbte.

»Oh Cloud… deine Hand…«, jammerte Alice.

»Zum Teufel mit meiner Hand!«, fauchte er und unterbrach sie barsch.

»Diese Scheißkerle haben mein Geld gestohlen… Hulton und der hier! Wer zum Teufel ist das überhaupt? Ich hab den Kerl in meinem ganzen Leben noch nie gesehen.«

Mit zornesfunkelnden Augen sah er auf den Toten hinunter und konnte sich gerade noch beherrschen ihm nicht doch einen Tritt zu verpassen.

»Ich glaube er heißt Riplay. Logan Riplay. Er ist in St. Louis an Bord gekommen.«

Der Schiffsoffizier stand auf.

»Mr. Tanner, ich spreche sie ungern gerade jetzt darauf an, aber da wäre die Sache mit ihrer Pistole…« Leichte Unsicherheit schwang in der Stimme des jungen Mannes mit, doch seine Augen zeigten Anteilnahme und Verständnis.

Dennoch. Entweder streckte er aus Tollkühnheit oder aus Dummheit die Hand nach Clouds Waffe aus. Der Dunkelhaarige sah ihn einen Moment lang ungläubig an, überließ ihm dann aber kopfschüttelnd und ohne ein Wort zu sagen mit zusammengepressten Lippen die Pistole.

»Vielen Dank. Ich bin sicher, dass man sie nicht gerichtlich belangen wird…«

»Gerichtlich belangen?«, echote Cloud böse lachend, als ihm die Worte zu Ohren kamen und es war kein angenehmes Geräusch. Seine rechte Hand, von der das Blut immer noch tropfte, hing matt an ihm herunter und pochte und schmerzte, als hätte der Teufel persönlich mit seine Mistgabel zugestochen, aber das war Clouds geringste Sorge.

»Gerichtlich belangen? Mir sind gerade fünfundvierzigtausend Dollar gestohlen worden, und Sie glauben, ich mache mir Sorgen gerichtlich belangt zu werden, weil ich den Mistkerl erschossen habe, der das getan hat? Mir macht nur Sorgen, wie ich mein Geld wieder bekomme!«, schnaubte er und war drohend und mit vernichtendem Blick einen Schritt auf sein Gegenüber zugegangen.

»Ja, gewiss…« Voller Respekt trat der Schiffsoffizier zurück und hob beschwichtigend die Hände. Gerade wollte er etwas sagen, als plötzlich eine andere Person übers Deck brüllte.

»Mr. Smithers! Mr. Smithers, was um Himmels Willen geht hier vor?«

Jemand hatte anscheinend den Kapitän aus seiner Kajüte geholt, denn er kam schnellen Schrittes auf sie zu und knöpfte noch im Gehen sein Hemd zu.

Mr. Smithers, der Offizier, schien darüber erleichtert zu sein, seinen Vorgesetzten zu sehen. Er beendete seinen Satz nicht, wie immer er auch gelautet haben mochte und eilte auf den Kapitän zu, um sich flüsternd mit ihm zu besprechen.

Alice stellte sich neben Tanner und tätschelte beschwichtigend seinen kräftigen nackten Arm, während er erneut finster auf die Leiche des Mannes herab schaute, den er getötet hatte.

»Du schuldest mir noch etwas, Logan Riplay«, knurrte er an die Leiche gewandt. »Du schuldest mir noch etwas, du mieser Dieb, und du kannst dich drauf verlassen, dass ich es mir wieder hole!«
 

Tbc…
 

Soo.. der Prolog ist fertig. Doch jetzt geht’s erst richtig lohoooos.. ^^ *freu*

Ist so eine Story, die eher zwischendurch entstanden ist. Trotzdem liegt sie mir inzwischen sehr am Herzen.

Kommis und Kritik sind wie immer sehr erwünscht.

*Kekse verteil*
 


 

© by desertdevil

Begegnungen

Autor: desertdevil
 

Teil: 1/?
 

Beschreibung: June ist ein Junge der auf einer Plantage im Mississippi Delta aufgewachten ist und mit seiner Stiefmutter zusammenleben muss. Ihren Launen ausgesetzt muss er sich ziemlich viel gefallen lassen, da sein leiblicher Vater nicht ihm, sondern seiner zweiten Frau die Plantage hinterlassen hat. Diese lässt keinen Mann aus und bringt schließlich sogar einen Liebhaber mit nach Hause, den sie gedenkt zu heiraten. June ist damit überhaupt nicht einverstanden, stellt sich quer und macht sich damit nicht nur weiter seine Stiefmutter zum Feind, sondern auch ihren Liebhaber.

Sooo.. mehr will ich gar nicht voraus nehmen, ist eigentlich schon viel zu viel. ^^

Viel Spaß beim Lesen…
 

Disclaimer: Die Geschichte ist frei erfunden und gehört mir, einschließlich aller Personen die darin vorkommen. Wer ausleihen möchte, bitte vorher fragen.
 

Rating: PG-16
 

Warnung: lemon/lime, rape, romantik, yaoi
 


 

Kapitel 01
 

Begegnungen
 

Er war gerade reichlich zerzaust und verschwitzt von seinem morgendlichen Ausritt zurück gekommen, sprang vom Pferd und führte seinen treuen Freund in den Stall. Dort sattelte er den Braunen ab, füllte den Bottich in der Box mit frischen Wasser und brachte noch eine Gabel Heu hinein.

Dann trat der Blondschopf wieder in die Sonne, die bereits trotz des zeitigen Vormittags schon ziemlich heiß auf alle nieder brannte. Es wehte kaum ein Lüftchen und die Luft war ein bisschen schwül, doch June war dieses Wetter gewohnt und kam gut damit klar.

Die Sonne zauberte goldene Reflexe in seine hellen Haare, die sich aus dem Knoten in seinem Nacken gelöst hatten und ihm lockig über Schultern und Rücken fielen. Eine Strähne war in seinen Kragen gefallen und kitzelte ihn am Hals. Er schnitt eine Grimasse und kratzte sich, ohne es zu bemerken oder sich überhaupt etwas daraus zu machen, dass die Schlammschmierer von seinen Fingern dabei auf seine rechte Wange gelangten.

Die Reitkleidung die er trug, war für ihn geschneidert worden als er dreizehn gewesen war, folglich vor vier Jahren. Ursprünglich war sie von einem schönen saftigen Grün gewesen, doch der Stoff war durch die Abnutzung von Jahren so verschlissen, dass er an manchen Stellen nur noch die Farbe von staubigen Gras im Frühjahr aufwies.

Noch schlimmer war, dass er vor vier Jahren noch sehr viel kleiner gewesen war. Nun, jetzt war er auch nicht besonders groß, doch die Hosenbeine waren trotzdem noch etwas zu kurz und es sah einfach nur lächerlich aus. Zu seinem Verdruss hatte sein Brustumfang und seine Schulterbreite auch nicht sonderlich zugenommen, sodass er sich immer noch wie ein kleiner Junge fühlte. Dadurch passte ihm das Oberteil seiner Reitkleidung zwar noch, doch das war nur ein schwacher Trost.

Aber June ärgerte sich nicht weiter darüber, denn es brachte sowieso nichts. Trotz seiner heruntergekommenen Kleidung und seiner Stiefmutter unter der er manchmal sehr zu leiden hatte, war er eine Frohnatur und ließ sich eigentlich durch nichts so leicht die Laune verderben.

Von der Straße, die sich am Haus vorbei wand, war ein Holpern und Knarren zu hören und June drehte sich um. Ein Einspänner kam in sein Blickfeld und er beobachtete interessiert, wie er näher kam. Als June sah, dass er in die lange Auffahrt abbog, die zum Haus führte, statt zum nahe gelegenen Fluss weiterzufahren, runzelte er die Stirn.

Das konnte nur einer der Nachbarn sein, und er wollte keinen von ihnen sehen. Sie mochten ihn nicht und machten auch keinen Hehl daraus.

»Der wilde kleine Johnson…« So nannten ihn die benachbarten und befreundeten Pflanzer der Gegend. Mit den Mädchen hatte er sowieso nie etwas zu tun haben wollen, doch dass ihn auch die Söhne dieser Familien ablehnten, schmerzte einfach nur. Sie hatten ihm damals deutlich genug gemacht, dass er nicht willkommen war. Es tat immer noch weh, wenn er daran zurück dachte, doch inzwischen hatte sich June damit abgefunden.

Mit schnellen Schritten machte er sich auf zum Haupthaus, warf aber noch einmal einen Blick über die Schulter, weil er sehen wollte, wer etwas von ihnen wollte. Als June in der zierlichen, exquisit herausgeputzten Frau, die neben dem Kutscher thronte jedoch seine Stiefmutter Cecile erkannte, erwartete er deren Eintreffen mit noch weniger Begeisterung, als er sie für einen der Nachbarn aufgebracht hätte.

Dann glitt sein Blick auf den dunkelhaarigen Kutscher, blieb an ihm hängen und er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Ihn kannte June überhaupt nicht. Und in einer Gegend, in der man all seine Nachbarn vom reichsten Pflanzer bis zum ärmsten Kleinbauern kannte, löste das Erstaunen aus.

»Wer ist das?«, fragte der Blondschopf sich nun selber und war stehen geblieben. Er folgte dem Wagen nun mit neugierigen Blicken, der durch die eingesäumte Allee kam. Da er die Nachbarn wie einen riesigen Schlangentopf mied, wusste er nicht, ob diese vielleicht Besuch bekommen hatten, den er noch nie gesehen hatte. Es ließ sich jedoch deutlich erkennen, dass dieser Mann, wer auch immer er sein mochte, Cecile kein Fremder war.

Cecile saß so dicht neben ihm, dass ihre Körper einander berührten. Das konnte June selbst aus dieser Entfernung erkennen und er verzog angewidert das Gesicht. So saß seine Stiefmutter nicht mit einem Kavalier da und um das zu erkennen musste man auch kein besonders guter Beobachter sein. Dazu kam, dass Cecile lächelte und charmant mit ihm plauderte und ständig über den Ärmel des Mannes strich oder seine Hand tätschelte.

Und wenn man bedachte, dass June seine Stiefmutter kannte, dann hatte er eine scheußliche Vorahnung, wer der Fremde sein musste!

Nämlich Ceciles neuer Liebhaber!!

Mit dem würde es Ärger geben. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche, dachte June, als er den Kerl genauer musterte. Er wusste schon seit Wochen, dass Cecile einen neuen Mann hatte. Nachdem er zehn Jahre mit seiner hübschen brünetten Stiefmutter zusammen gelebt hatte, merkte June so etwas. Junes Vater war seit neun Jahren tot, und in dieser Zeitspanne hatte Cecile es mühelos auf die doppelte Anzahl von Männern gebracht.

Cecile war zwar vorsichtig genug, um ihre Taktlosigkeit vor den scharfen Augen ihres Stiefsohnes zu verbergen, aber so leicht ließ der Blondschopf sich nichts vormachen, seit er zufällig einen Brief gefunden hatte, den Cecile vor Jahren an ihren ehemals neuesten Liebhaber geschrieben hatte. Daran hatte June sich dann auch ihre ausgedehnten Ausflüge erklären können. June wusste zwar, dass es sich nicht gehörte anderer Leute Post zu lesen, aber er tat es doch.

Die schlüpfrige Ausdrucksweise und der leidenschaftliche Tonfall des Schreibens hatte bei dem unschuldigen kleinen Jungen, der er damals gewesen war, einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Als ihm erst einmal die Augen geöffnet worden waren, hatte June schnell gelernt in seiner Stiefmutter zu lesen wie in einem Buch. Die Rastlosigkeit und die kleinen Gehässigkeiten, wenn Cecile gerade keinen Mann hatte, die Heimlichtuerei und die unbesorgte Reaktion auf Junes übelste Schandtaten, wenn Cecile sich mit jemandem eingelassen hatte.

In den letzten Wochen war Cecile mit einem verschlagenen Halblächeln durchs Haus gelaufen, das deutlich ausdrückte, dass sie ein Geheimnis hatte und sich mit einem neuen Liebhaber etwas anbahnte.

June war aus Erfahrung davon ausgegangen, dass Cecile bald wieder einmal nach Jackson fahren würde, um Einkäufe zu erledigen, oder sie würde zu einer Party nach New Orleans eingeladen, oder sie würde sich sonst einen Vorwand ausdenken, unter dem sie wochenlang verschwinden würde, ohne einen Skandal auszulösen, während sie ihr neues Interesse weit ab von wachsamen Augen und den Einschränkungen verfolgte, die ihr der Anstand auferlegte.

Damit konnte sie die Nachbarn vielleicht zum Narren halten, die schockiert gewesen wären und sie lauthals verdammt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass die charmante Witwe Johnson es mit mehr Männern getrieben hatte als eine rollige Katze.

Aber June ließ sich nicht so leicht täuschen. Nachdem er sein halbes Leben damit zugebracht hatte, seine Stiefmutter zu beobachten, war er grundlegend mit der wahren Cecile vertraut, die nur oberflächliche Ähnlichkeit mit dem reizenden, etwas dümmlichen Frauchen aufwies, als das sie sich ausgab.

»Das erste Mal, dass sie einen von denen nach Hause mitbringt…«, murmelte June mit finsterer Miene, als der Wagen vor dem Haus vorfuhr. Das hatte seine Stiefmutter noch nie gemacht und es bereitete dem Blondschopf richtig Unbehagen, als der hier jetzt auftauchte.

Der Fremde sprang vom Wagen und June ließ ihn nicht mehr aus den Augen.

Cecile und ihr neuer Liebhaber bemerkten ihn nicht, da June noch hinter ein paar Sträuchern etwas entfernt vom Weg stand, den er hätte überqueren müssen, wenn er ins Haus wollte. Feindselig beobachtete er den Fremden, der selbst von hinten ein Bild von einem Mann war.

Er war groß mit breiten Schultern und langen muskulösen Beinen und hatte dichtes schwarzes Haar, dass in der Sonne bläulich schimmerte. Soweit June das erkennen konnte, waren seine schwarze Jacke und die braune Hose völlig frei von Staub und Falten, was an sich schon ausgereicht hätte, um ihn gegen die Pflanzer und deren Söhne abzusetzen, die Cecile offiziell besuchten.

Es war das Jahr 1845 und es war Mitte Mai und noch nicht so heiß und schwül, wie es im späteren Sommer im Deltagebiet werden sollte, aber es war heiß genug, dass die Männer aus der Gegend bereits gegen Mittag zerknitterte Kleidung hatten und nach Schweiß rochen.

Aber dieser Mann dort… selbst seine Stiefel glänzten, bemerkte June bei seiner weiteren Musterung und wusste im gleichen Moment, dass er diesen Kerl nicht leiden konnte.

Finster beobachtete er, wie der Fremde die Hände ausstreckte, um Ceciles Taille zu umfassen und sie vom Kutschbock zu heben. Obwohl diese Geste normal war und jeder Gentleman einer Dame in dieser Form behilflich gewesen wäre, legte sich die in schwarzen Lederhandschuhen steckenden langfingrigen Hände viel zu vertraulich um Ceciles zierliche Taille und er hielt sie wesentlich länger fest, als es sich schickte.

Beim Zusehen verspürte June eine gewisse Peinlichkeit in sich aufkommen, als sähe er etwas mit an, was nicht für seine Augen bestimmt war. Wenn er ehrlich war, hätte er auf diesen Anblick auch verzichten können. Doch er wollte ins Haus und dafür musste er an den beiden Turteltäubchen vorbei. June war jedoch schlau genug noch abzuwarten, denn er verspürte nicht die geringste Lust, diesem eitlen Kerl jetzt schon über den Weg zu laufen.

Obwohl er sich die Szene eigentlich nicht weiter anschauen wollte, blieb er stehen, wo er war.

Es war einfach nur ekelerregend, wie seine Stiefmutter diesen Kerl anstrahlte. Wenn dieser Typ wirklich Ceciles Liebhaber war, und diese Überzeugung verstärkte sich mit jeder verstreichenden Sekunde weiter, dann war es klar, dass sie ihn anlächelte.

Und dann hätte er sie auch mit ekelerregender Glut angeblickt und nur widerwillig seine Hände zurück gezogen. Mit anderen Worten: Er hätte sich genau so benommen, wie er es eben tat!

Cecile kicherte über irgendwas, was er sagte, und ihre Hände blieben auf den ausgezeichnet geschnittenen Ärmeln seiner modischen Jacke liegen, als er sie auf die Füße stellte und endlich die Hände von ihrer Taille nahm.

Mit einem verzückten Lächeln sah sie hinauf in sein Gesicht, hatte ihre Hände besitzergreifend auf seinen Armen liegen und beugte sich beim reden unmerklich zu ihm vor.

Für June war der Fall entschieden!

Der Mann war Ceciles neuester Liebhaber, und sie war wirklich so geschmacklos, ihn nach Hause mitzubringen. Jetzt stellte sich nur die Frage, warum?

Wie er auch heißen mochte und woher er auch kommen mochte – dieser Mann würde ihm Ärger machen. June konnte es in seinen Knochen spüren und ein kalter Schauder lief ihm bestätigend den Rücken hinunter.

June spielte mit dem Gedanken zurück in den Stall zu gehen und sich für eine Weile nicht blicken zu lassen. Doch als sich der Fremde plötzlich umdrehte, genügte ein Blick, um den Blondschopf erstarren zu lassen. Seine Gedanken waren vergessen, als er den Mann mit wachsendem Unwillen anstarrte. Sein Herz setzte einen Schlag aus, bevor es seine Tätigkeit mit doppelter Geschwindigkeit wieder aufnahm. June fasste sich unbewusst mit einer Hand an die Brust. Selbst für seinen kritischen, ungeübten Blick war der Mann einfach faszinierend. Seine Züge waren gut geschnitten und gleichmäßig. Als er den Kopf zurück warf und über etwas lachte, was Cecile gesagt hatte, sah June, dass seine Augen unter den dichten schwarzen Augenbrauen auffallend blau waren, so blau wie der Himmel an wunderschönen Sommertagen

Glücklicherweise drehten sich beide kurz darauf um, um zum Haus zu gehen und June ließ seine Hand sinken, die er in sein Oberteil gekrallt hatte.

Fest presste er die Lippen aufeinander und schüttelte unmerklich den Kopf.

Er musste irgendetwas unternehmen, um diesen Mann wieder loszuwerden, koste es was es wolle. So wie er das im Gefühl hatte, und das hatte ihn noch nie betrogen, würde der Kerl nicht so schnell wieder abreisen, wie er gekommen war. Und dann würde Cecile nicht die einzige sein, die ihm das Leben zur Hölle machte.

Entschlossen ballte June die Hände zu Fäusten, setzte eine unnachgiebige Miene auf und stampfe auf das Paar zu, das gerade Arm in Arm die Treppe hochging. Dabei bemühte er sich nicht besonders leise zu sein und als er über den Weg lief, verursachte er ein eindeutiges Geräusch, was seine Stiefmutter dazu veranlasste einen desinteressierten Blick über die Schulter zu werfen, bevor sie sich schließlich zu ihm umdrehte.

»Du meine Güte, June! Du siehst ja gottverboten aus! Nun, dagegen lässt sich wohl nichts machen. Logan, mein Lieber, das ist mein widerspenstiger Stiefsohn.«

Cecile verdrehte die Augen, als wolle sie noch einmal nachdrücklich betonen, was sie dem Mann alles über June erzählt hatte.

Er lächelte June an.

Es war ein äußerst entwaffnendes Lächeln, das ihn noch besser aussehen ließ. Als Reaktion darauf, ballten sich Junes Hände noch fester zu Fäusten, bis die Knöchel sogar weiß hervor traten und der Blondschopf schluckte hart, während sein Herz noch schneller begann gegen seine Brust zu pochen. Obwohl er sich dagegen zu wehren versuchte, reagierte er scheinbar automatisch auf den mächtigen Charme des Mannes.

Auch sein Gesicht verkrampfte sich, und June wusste, dass es den gewohnten schmollenden Ausdruck angenommen hatte, gegen den sich aber leider nichts machen ließ, wenn Cecile in seiner Nähe war. Cecile, die so beiläufig wie man es sich nur irgend vorstellen konnte, immer wieder die Aufmerksamkeit auf die zahllosen Mängel ihres Stiefsohnes lenken musste, lächelte June nun ebenfalls an – und das war an sich schon ungewöhnlich genug, um seine üblen Vorahnungen noch zu bestätigen.

Wie immer war Cecile von Kopf bis Fuß makellos gekleidet, von dem süßen kleinen Hut, bis zu den Spitzen der winzigen Satinschühchen, die gerade noch unter ihrem Rock hervor schauten.

In ihrem hellblauen Kleid sah Cecile hübsch und schlank und erstaunlich jung aus, das musste June ohne Neid zugeben.

Allerdings fragte sich June erbarmungslos, ob ihr derzeitiger Liebhaber sich auch nur die geringste Vorstellung davon machte, dass Cecile im vergangenen Winter dreißig geworden war.

Versteinert starrte June in das lächelnde Gesicht des Fremden, während Cecile mit künstlich süßer Stimme vor sich hinplauderte, die sie annahm, wenn sie in Gesellschaft von Männern war.

»June, das ist Logan Riplay.. Also wirklich, mein Lieber! Du siehst aus, als wärst du rückwärts durchs Gebüsch geschleift worden«, kritisierte sie ihn typischerweise im gleichen Atemzug , was June hart die Zähne aufeinanderbeißen ließ.

»Du musst dir wirklich mehr Mühe mit deinem Äußeren geben. Ich weiß… so ein eleganter junger Mann wirst du nie, aber du könntest es wenigstens anstreben, halbwegs präsentabel auszusehen.«

Dann wandte sie sich an ihren Liebhaber und lächelte entschuldigend.

»Normalerweise hat er wenigstens ein sauberes Gesicht. Du musst ihm verzeihen, Logan. Meine Güte, June… du siehst aus wie ein heruntergekommener Bauernjunge. Logan findet mich jetzt sicherlich scheußlich und glaubt ich wäre eine grässliche Stiefmutter und obendrein noch furchtbar alt. Aber ich war jahrzehnte jünger als mein verstorbener Mann, und altersmäßig könnte ich June eher eine Schwester sein als eine Stiefmutter«, plapperte sie. Bei den letzten Worten sah sie June finster an, bevor sie dann trällernd und mit einem Seitenblick auf Logan Riplay gekünstelt lachte.

»Jeder der Augen im Kopf hat, muss sofort erkennen, dass du fast gleichaltrig mit dem Jungen bist«, fiel ihr Riplay galant ins Wort. »Es freut mich, sie kennen zu lernen, junger Johnson«, richtete der Mann schließlich das Wort an ihn.

Cecile freute sich über das Kompliment, klapperte mit den Wimpern und hauchte ekelerregend: »Oh Logan…« Riplay lächelte sie an, ehe er sich höflich vor June verbeugte, der seinen Charme mit steinernem Schweigen aufnahm. Schmeicheleien mochten Cecile zuckersüß werden lassen, doch bei ihm waren sie vergeudet. Er legte keinen Wert darauf diesen Kerl kennen zu lernen und einwickeln ließ er sich schon gar nicht.

Hinter Riplays Rücken warf seine Stiefmutter ihm einen drohenden Blick zu, der ihm Vergeltung für seine Unhöflichkeit zusicherte, sowie sie allein waren. June ignorierte die Drohung, die dieser Blick ausdrückte. Zwar würde ihm das nachher sicher teuer zu stehen kommen, weil Cecile gerne mal die Hand ausrutschte, aber damit konnte der Junge leben.

»Also wirklich, June! Hast du denn gar kein Benehmen? Du kannst doch wenigstens „Guten Tag“ sagen, wenn du jemandem vorgestellt wirst.«

June wusste, dass Cecile ihn in diesem Moment am liebsten geohrfeigt hätte. Dennoch sagte er nichts und sah nur mit einem Blick zu dem Paar auf, der dazu gedacht war, seine Abscheu deutlich auszudrücken. Cecile packte Riplay am Arm und wollte ihn fortziehen.

»Sei so gut und ignorier seine mangelnden Manieren. Ich habe mein Bestes versucht, aber wie du siehst, hat es nichts genutzt. Vielleicht wird er ja jetzt, wenn er wieder einen Vater hat…«

»Was hast du gesagt?«, brachte June heraus und unterbrach Cecile mitten im Satz..

Ungläubig riss er die Augen auf, bevor er sie zu schmalen Schlitzen zusammen kniff und seine Stiefmutter feindselig anstarrte. Er musste sich verhört haben.

Nervös und flehendlich blickte Cecile zu dem Mann an ihrer Seite auf und June erkannte, dass er sich wohl nicht verhört hatte. Langsam ging er einen Schritt zurück und schüttelte dabei unablässig den Kopf.

Nein, nein, NEIN!!

Das durfte doch alles nicht wahr sein!

Er wollte das nicht glauben und es dauerte etwas, bis June sich wieder einigermaßen gefasst und den ersten Schock überwunden hatte.

Fest presste er die Lippen aufeinander und trat wieder auf Cecile zu. Er war zwar nur ein wenig größer als seine Stiefmutter und nur wenig breiter gebaut, aber seine plötzlich aufkeimende innere Wut ließ ihn viel größer wirken und sein Verhalten wirkte alles andere als liebevoll. Riplay schien sich zwischen sie beide stellen zu wollen, tat es dann aber doch nicht und June ignorierte ihn.

Sein Blick war nur auf seine Stiefmutter gerichtet. Sie stand mit dem Rücken zu Riplay und blickte mit einer Gehässigkeit zu June auf, die ihre übliche Haltung gegenüber ihrem Stiefsohn aufzeigte, wenn sie miteinander allein waren.

»Also, June… mein Lieber.. Ich hatte gefürchtet, dass es dich aus der Fassung bringt, aber verstehst du denn nicht? Logan und ich sind verliebt und…«

Die künstlich süße Stimme klang für den Blondschopf wie Fingernägel auf einer Tafel und er ballte die Hände erneut zu Fäusten.

»Ihre Stiefmutter hat mir die große Ehre erwiesen, meine Frau zu werden, Mr. Johnson«, fiel Riplay ins Wort und rückte näher zu Ceciles und seine Stimme und seine blauen Augen wurden hart, als er sie verteidigte.

»Wir hoffen, dass sie uns viel Glück wünschen.«

Es klang kein bisschen nett, sondern eher wie eine Forderung, der June auf keinen Fall nachgeben würde. Wortlos sah er die beiden lange an. Sein Magen drehte sich um und rebellierte und sein Gesicht wurde mit jeder Sekunde blasser.

»Du willst… wieder heiraten?«, krächzte er schließlich.

»Sobald es sich einrichten lässt«, kam die Antwort von Riplay, obwohl die ungläubige Frage an Cecile gerichtet gewesen war. June ignorierte den Mann, als wäre er gar nicht da.

»Soll das heißen, dass du… fortgehst?«

Er sprach immer noch mit Cecile und seine Stimme klang, als würde er gerade erdrosselt werden. Doch schon als er die Frage stellte, hätte June es besser wissen müssen. Cecile würde niemals fortgehen.

»Wir werden natürlich eine kleine Hochzeitsreise machen, aber länger kann ich dich doch nicht allein lassen, oder, mein Lieber? Nein, ganz gewiss nicht! Dein guter Vater hat dich mir anvertraut, und dieses große Vertrauen werde ich niemals verletzen, wenn du mich auch noch so sehr dafür hasst. Logan wird hier einziehen und mir einen Teil der Last von den Schultern nehmen, die es für mich bedeutet, die Plantage zu führen. Vielleicht wird ja seine Führung den Einfluss auf dich haben, den ich nicht geltend machen konnte. Ich…«

»Das kannst du nicht machen!«, brach es aus June heraus.

In seiner Brust pochte es schmerzhaft bei den Worten dieser unmöglichen Frau. Sein Vater hätte sich nie für ihn gewünscht, dass er mindestens zweimal in der Woche von ihr Schläge kassierte, dass sie ihn schlechter behandelte, als einen Hund und jetzt auch noch das…

Diese Heucheleien machten ihn unendlich wütend!

»Oh June, wieso musst du bloß alles so schwierig machen? Ich wollte doch nur das beste für uns alle…«

Ceciles kläglicher Ausruf raubte June jeden Rest von Selbstbeherrschung, die er eben noch mühevoll aufrecht erhalten hatte. »DAS-KANNST-DU-NICHT-MACHEN!«, fauchte er wütend und voller Hass, während er hastig noch einen Schritt auf sie zutrat. Cecile schrie auf und wich genauso hastig zurück. Mit zornesblitzenden Augen packte der Blondschopf seine Stiefmutter an den schmalen Oberarmen und schüttelte sie.

»Hast du gehört? Das kannst du nicht tun.. das lasse ich nicht zu!«, schrie er sie an, während ihm Tränen der Verzweiflung in die Augen stiegen.

»Reißen sie sich zusammen, Johnson!«

Diesmal stellte sich Riplay zwischen June und Cecile, und seine Hände legten sich so fest auf Junes Schultern, dass es richtig weh tat. Mit einem leisen Schrei riss June sich los und gab dabei, wie es zweifellos Riplays Absicht war, Cecile frei.

»June, mein Lieber…«, jammerte sie und rieb sich die Arme, während sie kurz davor zu stehen schien in Tränen auszubrechen. Da June jedoch wusste, was für eine Heuchlerin sie war, sah er sie mordlustig an.

»Ich schlage vor, wir sollten jede weitere Auseinandersetzung verschieben, bis dein Stiefsohn wieder etwas zu sich gekommen ist«, schlug Riplay vor und legten einen Arm beschützend um Ceciles schmale Schultern, während er June einen Blick zuwarf, in dem sich Ablehnung und eine deutliche Warnung abzeichneten.

Dieser Blick jagte einen neuen Schmerz durch seine Brust und June senkte den Kopf, weil er seine Verletzlichkeit nicht zeigen wollte. Eigentlich war es sowieso egal, was er sagte, denn der Fremde würde ihm eh kein Wort glauben. Cecile hatte ihn dermaßen schlecht gemacht, dass er sowieso keine Chance hatte und die wollte June auch gar nicht!

»Der Junge ist bei sich!«

Ceciles Stimme klang verzweifelt, als sie zu ihm aufsah und ihre kleinen Hände sich an seiner Hemdbrust auf eine Weise festklammerten, die selbst June gerührt hätte, wenn er Cecile nicht so gut gekannt hätte.

»Er ist immer so. Er hasst mich schon, seit ich seinen Vater geheiratet habe. Er… er will nicht, dass ich glücklich werde…«

Angewidert verzog June das Gesicht, als Cecile geräuschvoll in Tränen ausbrach. Riplay fiel natürlich auf diesen widerlichen Auftritt rein, zog sie in seine Arme und flüsterte ihr beschwichtigend ins Ohr. June kam sich vor, als wäre er kopfüber in einem Alptraum gelandet. Noch einmal nahm June seinen ganzen Mut zusammen und sagte erneut: »Das kannst du nicht tun!«

»Ich werde ihre Stiefmutter heiraten, Johnson«, sagte Riplay mit ruhiger, aber harter Stimme und seine Augen waren eiskalt, als er ihn ansah. »Sie sollten sich am besten an diese Vorstellung gewöhnen und uns mit ihrer Theatralik verschonen. Ich muss sie warnen, das sie, sobald ich mit ihrer Stiefmutter verheirat bin, meiner Kontrolle unterstehen und ich bin durchaus in der Lage ungezogene Kinder so zu behandeln, wie sie es verdient haben!«

June starrte den Mann an und sah tief in seine Augen, die so kalt und unnachgiebig wie Eis waren. Ein kalter Schauder fuhr ihm über den Rücken, doch er war so besessen von Wut und Hass, dass er zitterte vor Anspannung. Und er war so außer sich, dass er nach Luft schnappte und es fast wie ein Schluchzen klang. Aber June konnte nicht weinen. Er war ein Junge und weinte nie! Eher würde er sich von einer Klippe stürzen, als sich vor diesem Kerl so zu erniedrigen.

Hartnäckig biss er die Zähne zusammen und reckte das Kinn in die Luft.

June wusste es nicht, aber er sah plötzlich sehr kindlich aus, wie ein hilfloses Mädchen, das nicht wusste, was es tun sollte. Riplay Mundwinkel zogen sich unwillig herunter, als er den verräterischen Glanz in den Augen des Jungen sah und er machte eine Bewegung, als wolle er ihm eine tröstende Hand auf die Schulter legen.

June erkannte das Mitleid, das plötzlich in seine Augen getreten war und funkelte ihn daraufhin wütend an. Wie konnte dieser Kerl es wagen Mitleid mit ihm zu haben!

»Johnson…«

Seine hand legte sich tatsächlich auf Junes Arm und tätschelte ihn kurz, doch June schlug seine Hand brutal zur Seite.

»Wagen sie es nicht mich noch mal anzufassen!«, schrie er außer sich und sah ihn genauso hasserfüllt an, wie seine Stiefmutter zuvor. Dann drehte er sich mit einem wuterfüllten Schnauben um und sprang mit einem Satz die Treppe runter, die er vorhin unbewusst hinauf gegangen war.

Cecile hatte inzwischen aufgehört zu weinen und schniefte nur noch kläglich an der Brust des Mannes, was June zum Glück nicht mehr mit ansehen musste. Genauso wenig wie den triumphierenden funkelnden Seitenblick, den ihm seine Stiefmutter zuwarf.

Rennend floh der Blondschopf zu den Ställen, wobei ihm nun doch die Tränen heiß über die Wangen perlten.
 

Die Abenddämmerung war schon angebrochen, als June auf das Haus zuritt. Firefly, sein einziger treuer Freund war mit schwarzem Schlamm bespritzt und das Tier lief langsam, obwohl sie fast zu Hause waren. Der wilde Galopp durch den Panther-Sumpf bereitete June plötzlich Gewissensbisse. Jasper, der riesige Hund undefinierter Abstammung, der ihm gehörte, seit er ein Welpe war, war noch schmutziger als Firefly.

Die Zunge hing ihm weit heraus, aber er hatte seine helle Freude daran gehabt Opossums und Eichhörnchen zu jagen. Das war halb so schlimm, aber June hätte seinem Hengst den Ritt durch den Sumpf ersparen sollen. Daran hatte er jedoch keinen Gedanken verschwendet, als er aufgebrochen war.

Während das Haus immer näher kam, schweiften die Gedanken des Blondschopfes zu der Begebenheit von heute früh zurück. Cecile würde wieder heiraten… Die Vorstellung war einfach nur schockierend und sie erschien June irgendwie unwirklich. Er hatte den ganzen Nachmittag mit dieser Neuigkeit gerungen, aber er akzeptierte sie jetzt genauso wenig wie noch vor Stunden, als er vom Hof geflüchtet war. Eigentlich war es ja nicht weiter erstaunlich, dass seine Stiefmutter schon wieder einen neuen Liebhaber hatte, aber heiraten? Das passte überhaupt nicht zu ihrem bisherigen Lebenswandel…

Sie hätte nicht mehr die Freiheit sich einen anderen zu suchen, wenn sie ihren Ehemann dann überdrüssig wurde. Und das würde sie werden, so wie June sie kannte. Cecile war einfach keine Frau, die es lange mit einem Mann aushielt. Soviel Erfahrungen hatte er in den letzten Jahren schon sammeln können.

An der Abzweigung des Weges, der auf der einen Seite einen Kreis vor dem Haus beschrieb und auf der anderen Seite zu den Ställen führte, ritt June zum Stall. Große alte Eichen bildeten mit ihren verwobenen Ästen, die über dem Weg hingen und schon neue Blätter hatten, einen Baldachin bis hin zum Stall und den Hütten der Sklaven und dem Vorarbeiterhaus dahinter.

Aus der Küche neben dem großen Haus und aus der Gemeinschaftsküche der Sklaven stiegen Rauchsäulen auf und die Luft roch nach Rauchsalz.

Als June auf das haus zukam, leuchteten nach und nach die Lichter hinter den Fenstern auf.

Sissi, Rosas kleine Tochter, die eines Tages die Stelle ihrer Mutter als Köchin einnehmen sollte, lief von einem Zimmer ins andere und zündete die Lampen und Kerzen an, wie sie es jeden Abend tat.

Der Lichtschein aus den Fenstern, hüllte den weißgetünchten Backsteinbau in einen warmen Schimmer. Das Haus war vor der Jahrhundertwende erbaut worden und seitdem war es von einem Rechteck aus Backsteinen zu einem T gewachsen, dessen Querbalken aus Holz errichtet waren. Das ganze war weiß angestrichen worden. Im ersten Stock ragten auf der Galerie zwölf imposante dorische Säulen bis über die mit Schnitzereien verzierten Dachtraufen auf. Die lange Treppenflucht, die von der Auffahrt bis zum oberen Säulengang führte, unterstrich die majestätische Erscheinung des Hauses.

June liebte sein zu Hause mit einer Inbrunst, die ihm erst jetzt bewusst wurde. Die Plantage war über Generationen im Besitz der Familie seiner Mutter, den Hodges, gewesen. Als seine Mutter, Elizabeth Hodge, ein Einzelkind, Thomas Johnson aus Virginia geheiratet hatte, hatte sich anscheinend nie die Frage gestellt, wo das frisch verliebte Ehepaar leben würde.

Das Anwesen würde, wenn die Dinge ihren natürlichen Lauf nahmen, eines Tages an Elizabeth fallen. Mit den Jahren konnte Josiah Hodge, seinem Schwiegersohn in aller Ruhe beibringen, wie man ein Unternehmen verwaltete, dass mehr als zehntausend Morgen Baumwollfelder umfasste, aber auch eine Sägemühle, eine Spinnerei, eine Schmiede und neunhundertzweiundneunzig erwachsene Sklaven, die dort arbeiteten.

Was niemand hatte voraus sehen können, war, dass Elizabeth Hodge-Johnson ihre Eltern nur um zwei Jahre überleben würde.

Thomas Johnson hatte kaum ein Jahr später wieder geheiratet – Cecile Bradshaw war ein hübsches kleines Mädchen, das er auf einer Reise nach New Orleans kennen gelernt hatte – und war rund ein Jahr danach gestorben. In der Verliebtheit in seine Kindfrau hatte Thomas das Anwesen testamentarisch mit allem Drum und Dran Cecile hinterlassen und nur zwei Bedingungen gestellt. Erstens, dass June, sein Sohn von Elizabeth auf Lebenszeiten dort wohnen könne, falls er dieses Recht in Anspruch nehmen wollte, und zweitens, dass keiner der Sklaven, die zur Zeit seines Todes zum Anwesen gehörten verkauft werden dürfte.

Damals war June erst acht Jahre alt gewesen, als sein Vater gestorben war und daher hatte es ihm nichts weiter ausgemacht, dass das Anwesen an Cecile gefallen war. Aber es war sein zu Hause, würde es immer sein. Daran konnte sich durch irgendwelche rechtlichen Verfügungen nichts ändern.

Erst der Schock, den Ceciles Ankündigung am Nachmittag hervorgerufen hatte, hatte dem Jungen klargemacht, wie ungewiss seine Zukunft in Bezug auf die Plantage eigentlich war. Irgendwie war er nie auf den Gedanken gekommen, dass Cecile je wieder heiraten könnte. Natürlich hätte er sich das denken können, aber bisher hatte seine Stiefmutter ja auch nicht den Anschein erweckt, dass sie sich eine feste Beziehung wünschte und insgeheim wusste June, dass sie nicht lange bei diesem Mann bleiben würde, ob nun verheiratet oder nicht. Cecile mochte eben Männer und zwar so viele, dass sie sich nie für einen einzelnen entscheiden konnte, egal wie gut der auch aussah.

Nur leider war er selbst auch ziemlich dumm gewesen, musste der Blondschopf sich schmerzlichst eingestehen. Wie ein Strauß hatte er den Kopf in den Sand gesteckt und sich schlicht geweigert unerfreuliche Dinge zu erkennen. Und noch viel dümmer war er gewesen, als er auch nur einen Moment lang gehofft hatte, dass Cecile fortgehen würde.

Natürlich würde sie die Plantage nie verlassen.

Sie gehörte ihr.

Und deswegen konnte sie auch ungestraft mitbringen wen sie wollte, ob nun Ehemann, Liebhaber, oder sonst wen und sie konnte diesem Kerl dann die Plantage überlassen, die von der Blutsverwandtschaft her an June hätte fallen müssen.

Im gleichen Moment kam ihm ein anderer Gedanke in den Sinn und er schluckte.

Konnte Cecile die Plantage verkaufen? Das wäre entsetzlich, aber June konnte sich die Frage nicht beantworten. Er hatte nie daran gedacht sich zu erkundigen. Mit dem blinden Vertrauen der Jugend hatte er daran geglaubt, das Leben würde ewig so weitergehen wie bisher.

Er hatte nie auch nur in Betracht gezogen, dass sie etwas ändern würde, bis er am heutigen Morgen ziemlich schmerzhaft mit der Nase darauf gestoßen worden war und June wurde sich sehr deutlich bewusst, wie viel er eigentlich zu verlieren hatte.

Die Plantage, sein zu Hause, gehörte dieser intriganten Frau und er stand dieser Tatsache machtlos gegenüber. Wenn Cecile diesen Logan wirklich heiratete und Kinder bekam, dann würden diese Kinder so gut wie sicher die Erben sein und nicht etwa June.

Und allein die Vorstellung war qualvoll, lähmend und unerträglich.

Doch June hatte keineswegs die Absicht, das alles bis dahin geschehen zu lassen. Er war zwar klein und nicht besonders stark, aber er war eine Kämpfernatur und hatte vor, verbissen und bis zum letzten um sein zu Hause zu kämpfen!

Im Laufe des Nachmittags hatte June beschlossen, dass er alles tun würde was nötig war, um diese Eheschließung zu verhindern. Selbst wenn er gezwungen sein sollte mit Firefly über den zukünftigen Bräutigam zu galoppieren. Allein die Vorstellung, Riplay makellose Erscheinung zertrampelt im Staub vor sich zu sehen, zauberte dem Blondschopf das erste Lächeln des Tages auf seine ebenmäßigen Züge.

Wenn es sein musste, würde er ihn erschießen, um sein zu Hause zu retten. Aber es war anzunehmen, dass wahrscheinlich keine derart drastischen Maßnahmen erforderlich waren. June brauchte sicherlich nur von Ceciles überaus großer Schwäche für Männer, und zwar viele Männer, zu erzählen, um ihn so weit zu schockieren, dass er Hals über Kopf wieder aufbrach.

June hasste es eigentlich Dinge auszuplaudern, aber er hatte das Gefühl in diesem Fall keine andere Wahl zu haben.

Cecile verdiente seine Loyalität sowieso nicht, so hinterhältig wie sie sich ihm gegenüber immer verhielt und ihn demütigte. Noch bestand zwar kein Grund zur Verzweiflung, sagte er sich immer wieder, denn Cecile und ihr Liebhaber waren noch nicht verheiratet, aber allzu viel Zeit konnte er sich nicht lassen.

Schließlich hatte June den Stall erreicht und entdeckte Aban, der dürr, gebeugt und alt wie immer in der Stalltür stand und ihn mit besorgter Miene musterte. Sein kaffeebraunes Gesicht entspannte sich sichtlich, als er June sah und ein sanftes Lächeln erschien auf seinen runzligen Zügen.

»Das war aber auch an der Zeit, Mr. June«, begrüßte ihn der Alte.

June lächelte herzlich zurück, denn er mochte den Mann. Er war wie ein zweiter Vater für ihn geworden, seit sein richtiger Vater verstorben war, trotzdem er ein Sklave war.

»Ich war mit Firefly im Sumpf, Aban. Er ist vollkommen verschmiert…«

Beschämt senkte June den Kopf, nachdem er dem anderen die Zügel gereicht hatte.

»Ja, das sehe ich, Mr. June«, meinte er ruhig und mit sanfter Stimme.

Normalerweise hätte er sich die Freiheit herausgenommen und sein Missfallen deutlich ausgedrückt. Er gehörte schon von Junes Geburt an zur Familie und besaß einfach diese Freiheit und June wäre ihm nicht im mindesten böse gewesen, wenn er ihn ausgeschimpft hätte wie ein kleines ungezogenes Kind. Er wusste, dass es bei diesem einen Mal geblieben wäre und die Sache wäre abgehakt, nicht wie bei Cecile, die noch eine Woche später darauf herumhacken musste.

Doch Aban sagte kein Wort, was darauf schließen ließ, dass er von der Sache heute früh gehört haben musste.

»Mach sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich schon um Firefly…«, versprach er verständnisvoll und tätschelte dem Pferd den Hals, ehe er es in den Stall führte.

June seufzte.

Die Neuigkeiten mussten sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben, wenn sogar Aban davon wusste, der eigentlich nur im Stall beschäftigt war. Vom Haus bis zum Stall war der Weg aber auch nicht weit. Erneut seufzte der Blondschopf, als der alte Mann noch einmal in der Tür erschien und ihm den Ratschlag gab: »Wenn ich sie wäre, würde ich in der Küche essen und gleich ins Bett gehen. Sie sollten Miss Cecile bis morgen früh aus dem Weg gehen.«

Verwundert zog June die Augenbrauen zusammen.

»Weshalb denn? Ich habe ihr noch einiges zu sagen!«, meinte er daraufhin und war leicht verwundert. Wusste Aban etwas, was ihm entgangen war?

Aban biss sich nun nachdenklich auf die Unterlippe und die Worte kamen so widerwillig heraus, als sei er nicht sicher, ob es richtig war zu sagen, was er sagen wollte.

»Er ist noch da – Miss Ceciles Kavalier. Ich glaube es führt zu nichts, wenn sie sich heute Abend noch einmal auf einen Streit mit den beiden einlassen.«

»Er ist noch da?«, schoss es ungläubig aus Junes Mund und er starrte das Haus mit geballten Fäusten an. »Bildet der Kerl sich etwa ein, all das gehört schon ihm?«, knirschte der Blondschopf mit den Zähnen und er konnte spüren, wie erneut Übelkeit in ihm aufstieg.

»Ich weiß nicht, was er denkt, Mr. June. Ich weiß nur, dass sie sich einen Haufen Ärger einhandeln, wenn sie… Mr. June, seien sie jetzt bloß nicht zu vorlaut!«

Die letzten Worte rief ihm der alte Mann nach, denn June marschierte bereits auf das Haus zu. Kopfschüttelnd murrte Aban vor sich hin, als er June nachblickte und geistesabwesend mit einer Hand über den Türrahmen strich. Dann richtete er den Blick zum Himmel, als erwartete er von dort göttliche Hilfe für den kleinen Wildfang, denn er wusste, dass man eher einen Flusslauf eindämmen konnte, als den Jungen zu stoppen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. June vergaß völlig seine Erschöpfung und seine schmutzige Kleidung, während er mit kriegerischen Schritten und kämpferisch erhobenem Kinn auf den Haupteingang zustapfte. Sein Zorn, der sich im Laufe des Nachmittags abgekühlt hatte, war neu entfacht.

Er würde nicht zulassen, dass sich dieser Eindringling kampflos in seinem Haus einrichtete!!

Wahrscheinlich setzten sie sich gerade im Esszimmer an den Tisch. Cecile wollte ihren Liebhaber bestimmt beeindrucken, und daher würde es sicherlich ein großartiges Mahl geben. Da June den ganzen Tag nichts gegessen hatte, knurrte sein Magen schon bei dem Gedanken an etwas zu Essen.

Siedend vor Wut stieg er die Stufen hinauf und legte sich bereits seine Worte zurecht. Wortgewandt würde er Riplay von der Plantage vertreiben und zwar so, dass er nie mehr zurückkam. Ceciles Hass auf ihn würde dann natürlich größer denn je sein und seine Steifmutter würde ihm das Leben zur Hölle machen, aber das war ein vergleichsweise kleiner Preis dafür, um die Plantage und sein zu Hause zu retten.

Jedenfalls bis zum nächsten Mann… Aber darüber wollte June jetzt nicht nachdenken.

Wenn er erst gesehen hatte, wie entsetzte dieser Kerl war, wenn er die Wahrheit erfuhr, würde Cecile vielleicht die Vorstellung aufgeben wieder zu heiraten. Und wenn nicht…

Schön der Reihe nach, dachte June. Jetzt musste er sich erst mal mit dem aktuellen Fall befassen.

June nahm nichts um sich herum wahr, nicht den nächtlichen Gesang der Grillen und auch nicht das vereinzelte Quaken der Frösche. All seine Gedanken drehten sich nur um die bevorstehende Auseinandersetzung… darum, was er zu tun hatte, um den Eindringling von der Plantage zu vertreiben, der eine Bedrohung darstellte.

Daher entging ihm auch die Glut des Stumpens auf der Veranda und er nahm auch den Mann nicht wahr, der an einer Säule lehnte und rauchte und aus zusammengekniffenen Augen zu ihm herüber sah.

»Guten Abend, Johnson.«

Die leise Stimme überrumpelte ihn unerwartet. Sie schien aus dem Nichts zu kommen und als June auf der obersten Treppenstufe erschrocken herumschwang, brachte ihn die plötzliche Bewegung aus dem Gleichgewicht. June wankte mit weit aufgerissenen Augen und wäre fast die Treppe heruntergestürzt, die er eben hinaufgestiegen war. Doch blitzschnell bewegte sich eine Hand durch das Dunkel, umfasste seinen dünnen Oberarm und bewahrte ihn vor dem Sturz. June stolperte jetzt vorwärts und fiel seinem Retter an die Brust. Seine Hände und seine Stirn pressten sich an seine Hemdbrust, während sein Herz heftig klopfte. Einen Moment blieb er so stehen und rang um Luft. Die Treppe war steil und ein Sturz hätte mit ziemlich großer Sicherheit beträchtliche Verletzungen mit sich gebracht. Davor hatte dieser Mann ihn bewahrt, aber schließlich war es seine Schuld, dass er beinahe gestürzt wäre, daher bestand für den Blondschopf kein Grund zur Dankbarkeit.

Der Mann roch nach Leder und guten Zigarren und seine Brust unter den Leinen fühlte sich unglaublich warm und kräftig an. June war zwar etwas größer als seine Stiefmutter, aber gegen diesen Kerl mit den unverschämt breiten Schultern wirkte er einfach nur zierlich und schwach.

All das nahm June innerhalb von Sekunden wahr, bevor er sich kräftig von dem anderen abstieß und auf Abstand ging.

Bereit ihn zu beschimpfen, hob June den Kopf, doch in der Haltung und seinem Gesichtsausdruck stand etwas, was ihn augenblicklich vergessen ließ, was er hatte sagen wollen.

Ein seltsames Gefühl machte sich in dem Blondschopf breit, das er überhaupt nicht einordnen konnte. Vorsichtig sah er dem Mann in die Augen, die in der späten Dämmerung fast farblos waren. Augen, die verschleiert, wachsam und so räuberisch wie die eines Wolfes waren.

Als er in diese Augen blickte, erkannte June plötzlich, dass der Mann ein Feind war, der sich dieses Begriffes würdig zeigen würde.

Trotz seines schönen Gesichts und seiner eleganten Kleidung, trotz seiner leisen und höflichen Art im Auftreten, verrieten ihn diese Augen. Allein der Blick bescherte June eine Gänsehaut und die kleinen Härchen in seinem Nacken stellten sich sträubend auf.

Das hier war mit eindeutiger Sicherheit kein vornehmer Pflanzer und auch kein Landadel, den ein Polster aus Reichtum verweichlicht hatte. Dieser Mann war eine Kämpfernatur, genau wie June. Und er befürchtete, dass dieser Kerl weitaus erfahrener im Kampf war als er selbst.
 

Tbc...
 

Hach.. ich war fleißig.. merkt ihrs...??

*grins*

Auch hiermit viel Spaß, nach dem spannenden Prolog.. ^^

Ich hoffe meine krative Phase ist nach der Prüfung dann nicht mit meinen ganzen Gehirnzellen gemeinsam völlig erschöpft.
 


 

© by desertdevil

Intrigen

Autor: desertdevil
 

Teil: 2/?
 

Beschreibung: June ist ein Junge der auf einer Plantage im Mississippi Delta aufgewachsen ist und mit seiner Stiefmutter zusammenleben muss. Ihren Launen ausgesetzt muss er sich ziemlich viel gefallen lassen, da sein leiblicher Vater nicht ihm, sondern seiner zweiten Frau die Plantage hinterlassen hat. Diese lässt keinen Mann aus und bringt schließlich sogar einen Liebhaber mit nach Hause, den sie gedenkt zu heiraten. June ist damit überhaupt nicht einverstanden, stellt sich quer und macht sich damit nicht nur weiter seine Stiefmutter zum Feind, sondern auch ihren Liebhaber.

Sooo.. mehr will ich gar nicht voraus nehmen, ist eigentlich schon viel zu viel. ^^

Viel Spaß beim Lesen…
 

Disclaimer: Die Geschichte ist frei erfunden und gehört mir, einschließlich aller Personen die darin vorkommen. Wer ausleihen möchte, bitte vorher fragen.
 

Rating: PG-16
 

Warnung: lemon/lime, rape, romantik, yaoi
 


 

Kapitel 02
 

Intrigen
 

»Sie sind hier nicht erwünscht, Mr. Riplay. Es wäre einfach für alle Beteiligten, wenn sie sich einfach in ihren Wagen setzen und abfahren würden.«

June biss die Zähne zusammen vor wieder aufkeimender Wut, als der Mann sich mit seiner linken Hand nur den Stumpen seiner Zigarre wieder in den Mund steckte und ihn einen Moment lang musterte, ohne ein Wort zu sagen. Mit spöttischem Gesichtsausdruck lehnte er an der Säule. Seine rechte Hand hing regungslos an ihm herunter, nur die Finger krümmten sich gelegentlich, als würde diese Hand ihm Schwierigkeiten bereiten, doch darauf achtete er nicht weiter.

Es ärgerte June nur noch mehr, wie der Kerl lässig an der Säule lehnte und allein das schon war beleidigend genug, dass sich die Härchen in seinem Nacken noch weiter aufstellten.

»Ein höfliches kleines Ding, das muss ich schon sagen. Aber schließlich kann ich nicht behaupten, Cecile hätte mich nicht gewarnt. Johnson, da wir uns gerade mit dieser reizenden Offenheit unterhalten, will ich Ihnen eins sagen: Ich beabsichtige Ihre Stiefmutter zu heiraten! Wenn hier etwas für alle Beteiligten einfacher wäre, insbesondere jedoch für Sie, dann wäre das, dass Sie sich mit den Tatsachen abfinden und uns mit Ihren Auftritten verschonen.«

Diese herablassende Art war einfach abscheulich und versetzte June einen schmerzhaften Stich in der Brust, sagte ihm dieser Kerl doch indirekt, dass seine Anwesenheit nicht erwünscht war. Doch er zeigte nicht, wie ihn das verletzte, konzentrierte sich auf die Wut, die in seinem Inneren brannte und blendete alles andere aus.

»Ich habe nicht die Absicht Ihnen irgendetwas leichter zu machen. Im Gegenteil! Ich plane, die Dinge so schwierig wie möglich zu machen!«, versprach June und funkelte sein Gegenüber aus blitzenden Augen an.

Der Mann seufzte und zog erneut an seinem Stumpen und als er weiter sprach, war seine Stimme fast zu sanft. »Johnson, offensichtlich haben Sie sich noch nicht klar gemacht, dass ich nach der Hochzeit eine gewisse – nein, eine ganze Menge – Autorität haben werde. Ich hoffe, dass unsere Beziehung wenigstens halbwegs erfreulich verläuft, aber wenn nicht…«

Er machte eine kurze Pause und sah June mit plötzlich kaltem Blick an.

»Dann werden Sie der Leidtragende sein. Das sollten Sie sich ganz schnell klar machen.«

June biss die Zähne noch fester zusammen.

»Wenn Sie so entschlossen sind, Cecile zu heiraten – und DAS ist mir völlig gleichgültig!! – warum nehmen Sie sie dann nicht mit zu sich und leben dort mit ihr? Ich dachte, man erwartet von einem Mann, dass er seine Frau ernährt und ihr ein Dach über dem Kopf bieten kann, und nicht anders herum«, fauchte er mit einem stichelnden Unterton zurück.

Das ärgerte sein Gegenüber offensichtlich sehr. June konnte es daran erkennen, dass er seine Augen etwas zusammenkniff, aber sonst ließ er sich nichts anmerken. Als er weiter sprach, klang seine Stimme ärgerlicherweise so unbesorgt wie bisher.

»Nicht, dass es Sie etwas angeht, aber zu meinem Besitz gehört nun mal kein Anwesen, das sich zur Gründung eines Hausstands eignen würde. Außerdem… Cecile fühlt sich hier wohl, und mir gefällt es hier auch – sehr sogar!«

»Die Plantage gehört mir!«, brachte June verkrampft heraus.

»Sie sind uns hier immer willkommen, auch wenn sie etwas mehr auf Ihre Manieren achten sollten«, meinte er betont ruhig und wandte den Blick ab, als wäre das Gespräch für ihn beendet, doch so nicht! So konnte dieser Kerl nicht mir ihm umgehen!

»Sie können Cecile doch nicht im Ernst heiraten wollen! Schließlich ist sie schon über dreißig!«, versuchte es June auf einer anderen Schiene.

»Ein ziemliches Alter, das stimmt schon. Doch Ihre Stiefmutter macht ihr vorgerücktes Alter voll und ganz mit ihrem Charme wett«, hielt er dagegen, nahm erneut einen Zug von seiner Zigarre und ließ die Hand wieder sinken. Voller Unmut beobachtete June das und er überlegte fieberhaft, was er noch sagen konnte, um diesen Kerl los zu werden.

»Sie lieben sie nicht!«

»Und wie sollte ein Kind wie Sie etwas über die Liebe wissen?«

Das tat weh und June senkte den Blick. Tja.. so unrecht hatte dieser Mann eigentlich nicht. Viel Liebe hatte er in den letzten Jahren ja auch nicht erfahren. Seit er mit Cecile alleine lebte, hatte er nur Zuflucht bei den Sklaven suchen können. Sie waren die einzigen, die immer nett zu ihm waren, aber das ersetzte noch lange nicht die Liebe, die man von seinen Eltern empfing und auch zurückgab.

»Sie können sie einfach nicht lieben! Cecile ist… ist… Sie können sie nicht lieben! Niemand könnte sie lieben! Weshalb also wollen Sie sie heiraten?«

June klang nicht mehr ganz so sicher, wie er es sich gewünscht hätte und er zwang sich, sich zusammen zu reißen. Vor diesem Mann durfte er sich keine Schwäche erlauben, weil er sie schamlos ausnutzen würde.

»Meine Gründe, Johnson, gehen sie, ebenso wenig wie meine Gefühle, nicht das geringste an.«

»Sie heiraten doch nur, weil Sie die Plantage haben wollen, oder etwa nicht? Sie wollen doch überhaupt nicht Cecile haben, sondern nur ihr Geld! Sie sind nichts weiter als ein elender Mitgiftjäger!«, beschuldigte er den Mann und war felsenfest überzeugt davon und das hörte man ihm auch an. Es war nämlich einfach unvorstellbar, wie jemand Cecile lieben konnte.

Einen Moment lang herrschte eisiges Schweigen. Riplay zog an seinem Stumpen, bis die Spitze rot aufglühte. Dann nahm er ihn aus dem Mund.

»Sie sind wirklich ein verzogenes, ausverschämtes kleines Gör. Ich habe mir heute einiges von Ihnen gefallen lassen, Johnson, weil mir klar ist, dass Sie verständlicherweise außer sich sind, aber jetzt reicht es mir!«

Blitzschnell griff er June am Kragen, zog ihn erbarmungslos zu sich heran, sodass sie auf gleicher Augenhöhe waren und bohrte seinen eisigen Blick in die weit aufgerissenen Augen des Kleineren.

»Sehr bald werde ich die Vaterrolle bei Ihnen einnehmen, und ich habe vor, die Vorrechte eines Vaters für mich zu beanspruchen und meinen neuen Sohn zu erziehen. Mit anderen und für Sie verständlicheren Worten: Jede Grobheit von Ihrer Seite wir eine entsprechende Strafe nach sich ziehen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

Der Griff war hart und unnachgiebig und June merkte schnell, dass er sich kaum daraus befreien konnte. Von den Worten ließ er sich trotz des Überraschungseffekts nicht einschüchtern und erwiderte das eisige Funkeln genauso kalt und furchtlos, obwohl sein Bauchgefühl ihm sagte, dass er es nicht zu weit treiben sollte. Dieser Mann war gefährlich!

»Sie glauben, Sie könnten mir mit Strafe drohen? Versuchen sie es doch!«

Entgegen seinem Instinkt, nahm June eine herausfordernde Haltung an so gut es ihm in dem Griff möglich war. »Die Leute hier werden Sie in Stück reißen: Es sind meine Leute, und es ist mein Haus! Versuchen Sie doch die Hand gegen mich zu erheben!«

»Nach der Hochzeit wird das hier MEIN Haus sein«, antwortete er nun wieder ruhiger und ließ June mit einem unsanften Schubs wieder los. Der Blondschopf gab sich nicht die Blöße sich an die abgequetschte Haut am Hals zu fassen, sondern starrte seinen Feind weiterhin unerschrocken und voller Hass an, als Riplay auch schon weiter sprach.

»Und es werden meine Sklaven sein. Wenn Sie sich auch nur das geringste aus ihnen machen, werden Sie sie bestimmt nicht dazu anspornen, die Hand gegen ihren neuen Herrn zu erheben.«

Dagegen konnte June so wenig einwenden, dass er fast an seinen Worten erstickte.

»Sie… sie sind ein abscheuliches Ekel!«, schimpfte er außer sich und hatte die Hände wieder zu Fäusten geballt.

»Und Sie setzen zu viel aufs Spiel, Johnson. Wenn Sie so weiter machen, werden Sie es bereuen, das verspreche ich Ihnen.« Seelenruhig nahm er wieder einen Zug von seinem Zigarrenstumpen, bevor er June erneut eines Blickes würdigte.

»Nun, Mr. Johnson, wollen wir uns nicht anfreunden? Ich habe vor Ihre Stiefmutter zu heiraten, und nichts, was sie sagen und tun könnten, wird mich von diesem Entschluss abbringen. Aber es besteht kein Anlass dafür, dass wir uns ständig in den Haaren liegen. Ich habe nicht die Absicht den strengen Stiefvater zu spielen, solange Sie mich nicht dazu zwingen.«

»Stiefvater! Sie… das…«

Ehe June die richtigen Worte fand, um diesem Kerl zu sagen, dass er ihn nie als Teil seiner Familie akzeptieren würde, ging die Haustür auf und Cecile trat auf die Veranda. Sofort ging sie lächelnd auf Logan zu und bemerkte June im ersten Moment gar nicht, der sie nur finster musterte.

»Du warst so lange hier draußen, Logan. Ich habe mir schon Sorgen gemacht!«

»Ich habe mich nur näher mit deinem netten Stiefsohn bekannt gemacht.« Während er das sagte, deutete er mit seinem Stumpen auf June, der nur angewidert das Gesicht verzog. Von wegen nett!

June sah ihr den Unwillen deutlich an, als Cecile in seine Richtung blickte. »Du bist also endlich wieder zu Hause? Das Abendessen hast du jedenfalls verpasst. Sissie hat den Tisch abgeräumt. Vielleicht gelingt es dir in Zukunft pünktlicher zu kommen.«

Bei dieser Predigt, biss June die Zähne fest aufeinander und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Ich habe sowieso keinen Hunger!«, gab er verdrossen zurück.

Doch diese Verdrossenheit ließ ihn schwach wirken und das ärgerte June ungemein.

»Naja.. ist ja nichts neues, dass du nicht regelmäßig isst. Da kannst du ja auch schlecht wachsen und ein stattlicher Mann werden. Aber vermutlich ist es dir ja sowieso lieber ein unscheinbarer Stalljunge zu bleiben. So findest du aber nie eine Freundin, das lass dir gesagt sein. Deswegen solltest du vielleicht doch noch etwas essen. Wenn du gleich in die Küche läufst, wird Rosa dir sicher noch eine Kleinigkeit richten.«

Wieder einmal traf Cecile mit unglaublicher Genauigkeit einen wunden Punkt bei ihm nach dem anderen und June hatte keine Möglichkeit etwas dagegen zu sagen. Sie wusste eben genau, wie sie ihn fertig machen konnte. Noch so ein Grund, warum er gemeinsame Mahlzeiten meistens mied.

»Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich keinen Hunger habe!« Mit glühenden Wangen sah June verkniffen zu seiner Stiefmutter, die die Aufmerksamkeit eines Fremden auf seinen schlanken Körper gelenkt hatte. Es stimmte ja, dass er nicht gerade das Musterbeispiel eines Pflanzersohnes war, dazu hatte er viel zu viel von seiner Mutter geerbt, die ebenso zierlich und schlank gewesen war. Manchmal vermutete er einfach nur, dass Cecile einfach eifersüchtig war, aber nun spielte sie schon wieder mit ihm und schaffte es tatsächlich ihn wie einen armseligen kleinen Jungen aussehen zu lassen.

Anmutig zuckte Cecile auf seine Worte die Achseln.

»Tu, was du willst.« Dann wandte sie sich an ihren Liebhaber.

»Komm jetzt ins Haus, Logan. Es wird kühl draußen.«

Cecile hing sich bei ihm ein und als June den Charme sah, mit dem er sie anlächelte, geriet er außer sich. Sie ließen ihn einfach stehen, als wäre er einfach nur ein Störfaktor und behandelten ihn wie ein Kind, wobei doch June – June, und nicht Cecile und schon gar nicht dieser Riplay – der rechtmäßige Besitzer der Plantage war!

Erneut schäumte Wut in ihm auf und June war zu allem entschlossen.

»Es gibt da etwas, was Sie nicht über meine Stiefmutter wissen, Mr. Riplay«, sagte er laut und mit eiskalter Stimme. Wenn er jedoch erwartet hatte, dass die beiden erstarrt stehen blieben, war June dazu verdammt, enttäuscht zu werden. Sie liefen weiter, als hätten sie nichts gehört, vollkommen vertieft ineinander.

»Mr. Riplay!«

Er warf ihm einen unwilligen Blick über die Schulter zu, doch Cecile antwortete.

»Also wirklich, June, du kannst einem ganz schön auf die Nerven gehen. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann kannst du mir das morgen früh ungestört erzählen.«

»Ich habe Mr. Riplay etwas zu sagen und nicht dir!«, gab June zurück und trat entschlossen in den Lichtschein, der durch die offene Tür fiel.

Cecile und Riplay musterten ihn verdrossen.

»Wie Cecile schon sagte, Johnson. Sie gehen uns auf die Nerven. Warum laufen Sie nicht in die Küche und holen sich etwas zu Essen und legen sich dann wie ein braver Junge schlafen, statt sich in Schwierigkeiten zu bringen?«

»Noch… nicht.«

Riplays herablassende Haltung erboste ihn fast so sehr wie seine Anwesenheit. Dennoch kostete es June Mühe die Worte heraus zu bringen. Er stammelte, holte tief Atem und stellte erstaunt fest, dass seine Hände zitterten. Es fiel ihm schwerer Cecile zu verpetzen, als er erwartet hatte, doch es musste sein!

Er rang die Hände, reckte das Kinn in die Luft und sah Riplay fest in die Augen.

»Wenn Sie vorhaben, sie zu heiraten, gibt es vorher etwas, was sie wissen sollten.«

»Und das wäre?« Riplay klang mehr als gelangweilt und June merkte, dass er sich über ihn lustig machte. Er hörte es aus der Stimme des Mannes heraus, aber er nahm auch wahr, dass dieser Kerl jetzt bereit war zuzuhören.

Cecile, die neben Riplay stand, sah June fest an. Doch June wagte es nicht ihr ins Gesicht zu sehen. Cecile konnte nicht wissen, was jetzt kam, denn sie ahnte schließlich nicht mal, dass June alles über ihr abscheuliches heimliches Leben wusste. Allerdings würde sie ihn für das, was er jetzt tat, bis in alle Ewigkeit hassen.

Noch einmal holte June tief Atem. Jetzt oder nie!

»Was würden Sie dazu sagen, wenn ich Ihnen erzähle, dass Cecile männliche Freunde hat?« Nein, so edel konnte er das nicht sagen, sonst klang es, als wollte er damit sagen, dass Cecile bloß absolut ehrbare Freier hätte. June wusste, dass er sich deutlicher ausdrücken musste, doch seine bisherige Erziehung hatte ihm nicht die Mittel in die Hand gegeben, das auszudrücken, was er zu beschreiben versuchte. Cecile riss jedoch jetzt schon die Augen weit auf, und Riplay schüttelte nur den Kopf und schien überaus belustigt zu sein.

Verzweifelt suchte June nach den richtigen Worten und sprudelte dann heraus, ehe Cecile ihm ins Wort fallen konnte. »Was ich meine ist, dass Cecile eine… eine… Hure ist.«

June verschluckte sich zwar fast an dem Wort, doch es kam ihm über die Lippen. Cecile keuchte, wurde weiß und schlug sich geschockt die Hand vor den Mund.

Riplay blinzelte einmal, als sei das die Zeit, die das Wort brauchte, um bei ihm anzukommen. Dann ballte er seine linke Hand zu einer Faust und schlug sie June direkt ins Gesicht.

Mit einem Schmerzensschrei taumelte June zurück, bekam noch zwei Stufen, stolperte bei der letzten, fiel unsanft rückwärts ins Gras. Mit Tränen in den Augen hielt June sich das Kinn und unbändiger Hass spiegelte sich in seinen dunkelgrünen Augen.

»Wie kannst du es wagen?«, brachte Cecile erstickt hervor, und ihre Wangen zeigten leuchtend rote Flecken. Ihre Augen funkelten June an und versprachen ihm grässliche Vergeltung für diese Worte.

»Du undankbarer Bengel, wie kannst du es wagen?«

Keuchend vor Schmerz richtete June sich auf, hielt sich immer noch das Kinn und versuchte das quälende Stechen in seinem Rücken zu ignorieren, das ihn bei jeder Bewegung peinigte. Er war genau aufs Steißbein gestürzt und der Schmerz zog sich bis in seine Finger- und Fußspitzen. Kaum hatte er sich ein bisschen gefasst, wurde er grob am Kragen hochgerissen, sodass er auf gleicher Augenhöhe mit Riplay war. Das Hemd schnürte ihm die Luft ab und June schlug und kratzte panisch an der stahlharten Faust, die ihn festhielt.

»Wenn du jemals wieder so etwas über deine Stiefmutter sagst, dann bekommst du von mir eine Tracht Prügel, die du nie vergessen wirst.«

Riplay stieß die Worte zwischen zusammen gebissenen Zähnen aus und starrte ihn wutentbrannt an. »Hast du mich verstanden?«

Er ließ June noch ein Weilchen zappeln.

»Aber es… ist wahr…«, krächzte der Blondschopf und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

»Du hast gerade die Grenzen dessen überschritten, was ich dulde.«

June wartete schon auf einen weiteren Fausthieb, doch zu seinem Entsetzen mischte sich Cecile ein. »Nicht, Logan. Ich bin sicher, dass er gar nicht weiß, was er sagt. Er ist noch ein Kin!«

Beistand von Cecile…

Das war noch nie da gewesen und June war wie erstarrt.

»Du lässt dir von diesem Gör und seinem bösen Mundwerk mehr gefallen, als ich es täte«, meinte Logan, der June immer noch am Kragen festhielt und durch die Zähne zischte. Seine Faust spannte sich noch mehr an und June jappste. Schwarze Punkte tanzten schon vor seinem inneren Auge.

»Wäre Ihre Stiefmutter nicht, würde ich Sie für diese Worte töten. Aber so wie die Dinge stehen, kommen Sie ungeschorener davon, als Sie es verdient haben. Doch ich warne Sie: Von jetzt an werden Sie ihrer Stiefmutter Respekt entgegen bringen. Wenn sie so etwas von Ihnen duldet, dulde ich das noch lange nicht. Und in Zukunft, haben Sie es mit mir zu tun, Johnson. Vergessen Sie das nicht!«

Mit einem abfälligen Blick stieß er June zurück und der Kleine ging erneut zu Boden, hielt sich diesmal jedoch den Hals und schnappte hastig nach Luft. Jetzt schmerzte zu dem ganzen Rest auch noch sein Hals und das furchtbar. Trotz allem rappelte sich June wieder auf.

»Ich habe…«

»Es reicht… Sie werden sich jetzt bei Cecile entschuldigen, Johnson!«

»Nein!«, erwiderte June so fest er in seiner misslichen Lage konnte. »Ganz sicher nicht! Ich denke gar nicht daran!«

Cecile hatte die vor der Brust gefaltet und beobachtete diesen einseitigen Kampf zwischen ihrem Verlobten und ihrem Stiefsohn. Dabei brachte sie es fertig, wie ein Engel zu wirken und sich gleichzeitig verletzt von Junes Anschuldigungen zu geben. June wusste zwar, dass er nichts als die Wahrheit gesagt hatte, doch er wusste auch, dass er verloren hatte. Ceciles Geheimnis war die Hoffnung gewesen, an die er sich geklammert hatte. Er war so sicher gewesen, so absolut sicher, dass kein Mann Cecile heiraten würde, wenn er erst etwas über ihre Männergeschichten erfuhr. Aber Logan Riplay hatte ihm nicht geglaubt! Er hatte keinen Moment in Betracht gezogen es könnte…

»Was ist?« Seine Stimme klang bedrohlich und June trat einen Schritt zurück, bevor er erneut den Mund aufmachte. »Was soll sein?«, gab er genauso anmaßend zurück.

»Cecile erwartet eine Entschuldigung!«

»Da kann sie lange warten!«, meinte er entschlossen. June würde sich nicht klein kriegen lassen. Niemals. Da konnte sich dieser Kerl noch so bedrohlich vor ihm aufbauen, ihm mit Schlägen drohen und ihn verprügeln. Das würde er alles ertragen. Doch die Wahrheit würde er niemals leugnen und sich auch nicht entschuldigen. Lieber würde er sterben!

Riplays Lippen wurden schmaler. Er trat wieder einen Schritt auf June zu, doch der Kleine blieb trotz seiner Furcht, die ihm Bauchschmerzen verursachte, auf der Stelle stehen und zeigte keine Schwäche. Doch ehe der Mann erneut handgreiflich werden konnte, mischte sich Cecile sich ein zweites Mal ein.

»Ich bin ganz sicher, dass er sich morgen früh entschuldigen wird. Komm jetzt, Logan. Sein nicht mehr so grob zu ihm. Ich sagte dir doch schon, dass er im Grunde genommen noch ein Kind ist.«

»Ein verzogenes Kind mit schlechten Manieren und einem dreckigen Mundwerk«, knurrte Logan. »Da es Ceciles ausdrücklicher Wunsch ist, können Sie sich morgen bei ihr entschuldigen. Und Sie werden sich entschuldigen, das versichere ich Ihnen!!

Und bis dahin werden Sie sich in Ihr Zimmer zurück ziehen und nicht vor morgen früh wieder heraus kommen. Und dann auch nur, wenn Sie bereit sind, sich zu entschuldigen.«

June schluckte, doch er war weit davon entfernt klein bei zu geben.

»Hier geben Sie keine Befehle!«, fauchte June. »Und dazu wird es auch nie kommen. Ich tue, was ich will, Sie… Sie schmutziger Mitgiftjäger!«

Riplay wollte ihn packen, aber er war bereits aus seiner Reichweite verschwunden. June rannte zum dunklen Rasen, als sei der Teufel hinter ihm her. Und so war es auch. Logan Riplay lief ihm nach und ein Blick in sein Gesicht ließ June weiter in die Nacht hinaus fliehen.

Am Rand des Obsthains holte Riplay ihn ein. Dort hatte er sich wie ein Feigling zwischen den Hunderten von Bäumen verstecken wollen, doch eine kräftige Hand packte ihn hart an der Schulter und June schrie auf.

Riplays Gesicht war verzerrt vor Wut. June schrie erneut auf, als sich dessen Finger schmerzhaft in seine Oberarme bohrten. Der Mann schien so wütend zu sein, dass er ihm wirklich etwas antun wollte. Der Blondschopf dachte nur noch an Flucht. Der Selbsterhaltungstrieb flammte in ihm auf und brachte ihn dazu, sich auf Riplay zu stürzen, statt sich loszureißen. Seine schmalen Finger bogen sich zu Klauen, die die Wangen des Mannes aufrissen, während er auf seine Augen aus war.

»Du teuflisches kleines Miststück«, brüllte Logan und ließ ihn los, um sich die Hände vors Gesicht zu schlagen. Ehe June jedoch fortlaufen konnte, hatte er ihn schon wieder gepackt. Er trat um sich und schrie, als er hochgehoben wurde.

»Zum Teufel mit dir du undankbarer Bengel. Ich sollte dich verprügeln, dass du wochenlang nicht mehr sitzen kannst.«

Riplay hielt ihn so, dass er die Arme nicht mehr bewegen konnte und trug ihn auf diese Weise zum Haus zurück. June hatte schon die Zähne gebleckt, um ihn beißen zu können. Es war seine einzige Waffe im Moment. Doch da sah er über der kräftigen Schulter eine schmächtige Gestalt, die mit einer erhobenen Hacke aus der Dunkelheit des Obstgartens auf sie zueilte. Der Anblick versetzte ihm solch einen Schock, dass seine Gedanken sofort wieder klar wurden.

Nicht aus Angst um sich selbst, sondern um den Sklaven und um alle, die bald in Logan Riplays Gewalt sein würden, schrie er so laut er konnte.

»Nein! Aban, NEIN! Es ist alles in Ordnung! Mir fehlt nichts, hast du gehört? Das ist mein Kampf – überlass ihn mir!«

Logan wirbelte herum, als Junes Aufschrei ihn auf die drohende Gefahr aufmerksam machte. Er konnte nur den Umriss eines alten, gebeugten Mannes erkennen, der eine Hacke hob, auf der der Mond bedrohlich funkelte.

»Geh weg, bitte, geh weg! Ich befehle es dir!«

Junes Worte klangen verzweifelt. Zu seiner Erleichterung zögerte Aban und senkte dann die Hacke. Logan Riplay ließ ihn keine Sekunde lang aus den Augen. Als Aban die Hacke gesenkt hatte, wandte er sich wieder ab, kehrte dem Sklaven den Rücken zu und setzte mit June über der Schulter seinen Weg zum Haus fort.

Diesmal wehrte der Blondschopf sich nicht mehr. Er fürchtete, wenn er es täte, könnte es Aban das Leben kosten. Wenn sich ein Sklave gegen einen Weißen auflehnte, wurde das mit dem Tode bestraft.

»Du magst sie also leiden, stimmt´s? Das ist bisher der einzig nette Zug, den ich an dir entdecken konnte«, meinte Logan. Dann schwiegen beide, als er die Treppe erreichte, die Stufen hinauf stieg und das Haus betrat. An Cecile gerichtet, die mit gerunzelter Stirn und den Armen eng um sich geschlungen auf der Terrasse stand, fragte er nur: »Wo ist sein Zimmer?«

Cecile wies ihm den Weg und Logan trug ihn in das Haus, vorbei an Sissie und Rosa, die mit weit aufgerissenen Augen zusahen, zum Glück aber den Mund hielten. Dann ging es die Treppe hoch zu seinem Zimmer und nachdem er die Tür geöffnet hatte, ließ er June ohne weitere Umstände fallen, fast so, als wäre er ein lästiges Stück Gepäck.

Das zweite Mal an diesem verfluchten Abend fiel er schmerzhaft auf den Boden, doch die Blöße zu zeigen, wie weh ihm alles tat, gab er sich nicht. Stattdessen bis er die Zähne zusammen und versuchte krampfhaft die Tränen zurück zu drängen, die ihm in die Augenwinkel traten.

»Für den Rest des Abends wirst du nicht aus deinem Zimmer kommen. Und morgen früh wirst du dich bei Cecile entschuldigen«, sagte Riplay mit eisiger Stimme und einem kalten Blick auf June.

Der Blondschopf war jedoch so sehr damit beschäftigt, sich seine Schmerzen nicht anmerken zu lassen, dass er kaum ein Wort verstand. Als er sich einigermaßen gefangen hatte, sah er nur noch Riplays breiten Rücken, der hinter der Tür verschwand, nachdem dieser den Schlüssel aus dem Schloss gezogen hatte. Dann hörte er von der anderes Seite der Tür das Klicken, als er ihn einsperrte. Nun hielt ihn nichts mehr davon ab, seinen Tränen einfach freien Lauf zu lassen. Er hatte schon lange nicht mehr geweint, doch nun konnte er nichts mehr gegen die Tränen tun, die sich unaufhaltsam einen Weg über seine blassen Wangen suchten.

Weinend rollte er sich auf dem Boden zu einer kleinen Kugel zusammen. Die Kraft aufzustehen und zum Bett zu gehen brachte June einfach nicht mehr auf. Er fühlte sich vollkommen kraft- und hilflos. So hatte er sich erst einmal gefühlt… nämlich als sein Vater damals gestorben war. Zwar überflutete nun kein Verlustgefühl sein Herz, doch der Schmerz darüber, dass ihm nie jemand glaubte und die Missgunst seiner Stiefmutter, die er schon so lange ertragen musste, quoll einfach über und sein schmaler Körper wurde von Schluchzern geschüttelt.
 

Als sich der Schlüssel das nächste Mal im Schloss drehte, war schon heller Morgen. Sissie war im Laufe der Nach gekommen, hatte leise an der Tür gekratzt und sich erkundigt, ob June etwas fehlte. Tudi und Rosa hatten sie geschickt. Die Versuchung war zwar groß gewesen, doch June hatte Sissies Angebot abgelehnt, ihn mit dem Nachschlüssel freizulassen, den Tudi als Haushälterin bei sich tragen durfte.

Wenn er entkommen wollte – und er hätte es liebend gern getan – dann musste er es eigenständig schaffen. Fiel ihm kein Mittel ein, dann würde bald dieser Riplay Hausherr und Herr über alle Sklaven sein. Auch wenn er noch so zornig über diesen Fakt war, war es nicht Junes Absicht, Tudi oder andere in Schwierigkeiten zu bringen, indem er zuließ, dass sie ihm halfen. Es waren seine Leute und er war für sie verantwortlich. Außerdem… sie waren das einzige, was er noch an Familie hatte.

Als die Tür sich öffnete, wandte sich June von dem hohen Fenster ab, an dem er gestanden und sich seine Chancen ausgerechnet hatte, einen Sprung zu überleben, ohne sich das Genick oder ein Bein zu brechen. Am meisten graute ihm davor Logan Riplay zu sehen, doch er konnte nicht der Eindringling sein. Er war am Abend zuvor, gut zwei Stunden, nachdem er ihn eingeschlossen hatte, aufgebrochen und June war so gut wie sicher, dass er in der Zwischenzeit nicht zurück gekommen war. Von seinem Fenster aus, konnte er die Auffahrt genau einsehen und wenn er nicht querfeldein geritten war, hatte er Riplay Ankunft todsicher bemerkt.

»Ich hoffe du hast gut geschlafen, June.«

Cecile trat mit einem gehässigen Lächeln ein und schloss die Tür hinter sich ab. Heute morgen trug sie ein bezauberndes Kleid aus weißem Satin mit blauen Streifen und das Haar fiel ihr in jugendlichen Ringellöckchen um Schultern und den natürlich wie immer sehr gewagten Ausschnitt.

Bestimmt versuchte sie sich für ihren Liebhaber jünger zu machen, dachte June missgelaunt, als Cecile den Schlüssel einsteckte und dann demonstrativ auf ihre Tasche klopfte. June musterte sie abschätzend. Er war nicht unbedingt viel größer als sie, doch an Kraft dürfte es ihm nicht gerade fehlen, und wenn er es darauf angelegt hätte, wäre es ihm bestimmt gelungen Cecile den Schlüssel abzunehmen. Doch er hatte seine Stiefmutter noch nie körperlich bedroht und das würde er auch nie tun.

Da Cecile keine Antwort zu erwarten schien, sah sie sich mit mäßigem Interesse in dem Zimmer um, das sie selten betrat. Das Zimmer hatte sich kaum verändert, seit June klein war. Die Wände waren weiß und schmucklos, die Vorhänge aus einfacher Baumwolle, die Möbel aus hochwertigem Mahagoni, jedoch schlicht verarbeitet. Der einzige edlere Gegenstand in diesem Zimmer war das vierpfostige Bett, das ehemalige Ehebett seiner Eltern. Stirnrunzelnd musterte Cecile es.

»Dieses Bett sieht hier drin einfach albern aus. Es ist viel zu aufwendig für einen Jungen.«

»Ich mag es«, meinte June einfach und seine Stimme klang mürrisch, so sehr er auch versuchte anders zu klingen. Er wusste genau, dass er dadurch jünger wirkte, aber Ceciles bloße Gegenwart ließ ihn jedes Mal in diesen Tonfall abgleiten. Bekümmert biss June sich auf die Unterlippe, senkte den Kopf und wartete, was seine Stiefmutter von ihm wollte.

»Das glaube ich sofort…«, lachte sie ihn aus. »Dein Blick für Möbel ist etwa so gut entwickelt wie dein Blick für passende Kleidung. Sie dir doch bloß diesen… diesen Anzug an, den du trägst. Du bist viel zu dürr dafür und an den Beinen und Armen ist er dir zu kurz und selbst wenn er richtig säße, wäre er noch scheußlich!«

Selbstgefällig strich sich Cecile den Rock ihres Kleides glatt, dessen Passform einfach nur perfekt war.

June sah an seinem ausgeblichenen Reitanzug hinunter. Seine übrigen Kleidungsstücke waren ebenso abgenutzt. Seit vier Jahren hatte er nichts Neues bekommen. Doch selbst wenn er eine so umfangreiche Garderobe wie Cecile besitzen würde, hätte er doch seinen geliebten Reitanzug getragen.

»Naja.. wie dem auch sei. Ich bin nicht gekommen, um mich mit dir über dein Äußeres zu unterhalten. Wir sollten miteinander reden, du und ich.« Mit einem höhnischen, abfälligen Blick sah Cecile noch einmal an June herunter, ehe sie ihm ins Gesicht schaute.

»Gestern Abend hast du mich mit einem Ausdruck beschimpft, den ich nie wieder von dir hören will.« Die Stimme, mit der Cecile sprach hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Honigsüßen Gurren, das sie diesem Riplay vorspielte. Und June war sich ebenso sicher, dass die Kälte in ihren Augen und der verkniffene Mund Dinge waren, die noch kein Mann je zu Gesicht bekommen hatte, außer ihm natürlich. Diese Frau, die jetzt in seinem Schlafzimmer saß, war die wahre Cecile. Sie war diejenige, die außer June und den Dienstboten nie jemand zu sehen bekam.

»Aber das brauche ich dir ja wohl kaum zu sagen, oder? Ich bin sicher, dass du nicht so dumm bist, so etwas ein zweites Mal zu sagen. Es kann keine angenehme Erfahrung gewesen sein, eine Faust von Logan ins Gesicht zu bekommen. Er war ja so wütend! Ich fand das wirklich höchst erfreulich. Er sieht so gut aus und er ist so verliebt in mich. Man muss sich das einmal vorstellen! Er hätte dich für deine Worten getötet, wenn ich nicht so heldenhaft dazwischen gegangen wäre. Aber du wirst natürlich nie verstehen, wovon ich rede. Es ist eh stark anzuzweifeln, dass sich je jemand in die verlieben wird.«

Bedachte man den Umstand, dass die Jugendlichen hier in der Gegend Junes Existenz gar nicht zu bemerken schienen, war das eine treffende, wenn auch unfreundliche Äußerung. Es tat weh, fast so, als hätte Cecile ein Messer in sein Inneres gestoßen und würde es genüsslich hin und her drehen. June konnte nur hoffen, dass sie nicht wusste, wie sehr sie ihn immer mit ihren Worten verletzte.

»Solltest du so etwas noch einmal sagen, dann lässt sich wirklich nicht abschätzen, wie wütend Logan würde. Er könnte dich verprügeln – oder er könnte dich sogar fort schicken. Hoch in den Norden, in ein Pensionat für schwer erziehbare Jungen beispielsweise, auch wenn du bereits ein wenig zu alt dafür bist. Aber ich bin sicher, dass sich da etwas machen ließe.«

Die Panik, die bei diesen Mutmaßungen in ihm aufstieg, drängte June erfolgreich zurück, starrte seine Stiefmutter kalt an und meinte dann:

»Du weißt, dass ich die Wahrheit gesagt habe.«

June wusste aus Erfahrung, dass es das Beste gewesen wäre, wenn er den Mund gehalten hätte, aber er konnte die Worte nicht länger hinunterschlucken. Es mochte sein, dass Logan Riplay die Wahrheit nicht kannte, dass er auf Junes Vorwürfe mit rechtschaffener, wenn auch verfehlter Entrüstung reagiert hatte. Aber Cecile wusste, dass June nicht log. Wahrscheinlich war sie mit noch mehr Männern zusammen gewesen, als er vermutet hatte.

Lächelnd musterte ihn seine Stiefmutter.

»Das ich eine Hure bin? Das bin ich ganz gewiss nicht!«, leugnete sie lebhaft.

»Eine Hure nimmt Geld dafür, dass sie mit den Männer tut, was diese eben wollen, und das tue ich nie. Was sollte ich denn mit dem ganzen Geld anfangen? Als das…«, sagte sie mit einer ausholenden Geste, die die gesamte Plantage umfasste, »gehört mir.«

Junes Miene verfinsterte sich bei diesen Worten. Doch Cecile würdigte das mit keinem Blick, sondern schüttelte lächelnd und vollkommen unbeeindruckt den Kopf. Die braunen Ringellöckchen tanzten dabei um ihren Nacken.

»Du bist ein solches Kind, June! Du hast weder Ahnung von Frauen, noch von Männern. Männer sind so groß und kräftig, solche Tiere, und doch kann einen gute Frau sie an der Nase herum führen. Ein verliebter Mann tut alles, aber auch alles… Vor allem dann, wenn eine Frau sich weigert, ihm das zu geben, was er will. Darin besteht das Geheimnis, June. Aber du wirst eh nie solch ein Prachtexemplar von Mann. Demzufolge wird sich auch nie eine vernünftige Frau mit dir abgeben.

Dein Vater hat mich geheiratet, weil er mich in seinem Bett haben wollte und wusste, dass er mich mit keinem anderen Mittel dort hinbekommt, außer mit einer Heirat. Und sieh dir an, was für mich dabei herausgesprungen ist.: Die Nächte eines Jahres war ich ihm gefällig – und dazu hat er auch noch gut ausgesehen – und nun gehört all das hier mir!«

Erneut kamen June die Worte seiner Stiefmutter wie vergiftete kleine Speere vor, die sich in seine Brust bohrten und mitten in sein Herz drangen, um dort qualvolle Schmerzen entstehen zu lassen. Wie verletzlich er in diesem Moment wirkte, war June nicht klar, er wollte es auch gar nicht wissen.

»Aber dieser Riplay… er hat dir überhaupt nichts zu bieten…«

June bekam die Worte kaum heraus. Als Cecile seinen Vater so beiläufig erwähnt hatte, als sei er nichts weiter als einer ihrer zahllosen Männer gewesen, hatten sich seine Hände hinter seinem Rücken so fest um die Fensterbank geklammert, dass die Knöchel schmerzten. Cecile wollte ihm mit jedem einzelnen Wort niedermachen und ihm psychische Schmerzen zufügen.

»Ach, nein?«

Cecile lächelte ihr verschlagenes Lächeln und schien wirklich amüsiert zu sein. »Logan sieht so gut aus, dass mir bei seinem Anblick Schauder über den Rücken laufen. Findest du etwa nicht, dass er gut aussieht? Natürlich findest du das, ob du es nun zugibst oder nicht! Alle finden ihn attraktiv, nicht nur die Frauen. Und er ist so gebieterisch.«

Während sie von diesem Kerl schwärmte, senkten sich anzüglich ihre Lider und June spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er hatte schon immer gewusst, dass Cecile einen Hang zur Lüsternheit besaß, doch bisher hatte sie ihn nie so offen gezeigt.

Trotz seiner neu erlangten Reife ließ sich June von dieser Freimütigkeit in Verlegenheit bringen, wenn es um ein so intimes Thema ging. Vor allem aber, weil Cecile eine Frau war, die sich ihm so präsentierte. Mit einem gleichgeschlechtlichen Gegenüber hätte er sich sicher nicht so geschämt. Allein schon diese Tatsache reichte aus, um das Rot auf seinen Wangen noch zu vertiefen, es war ihm peinlich und June konnte nichts dagegen tun.

Als Cecile June erröten sah, strahlte sie noch heiterer.

»Angesehen von seinen körperlichen Vorzügen, die auf der hand liegen, kommt er aus einer guten Familie, und wenn ich auch bezweifle, dass er so reicht ist wie ich, hat er doch eine hübsche Summe angespart. Er könnte sicherlich jede Frau heiraten, jede beliebige – und doch hat er mich all den süßen Dingern vorgezogen, die herumlaufen, obwohl doch etliche sehr hübsche darunter sind. Ihn dazu zu bringen, mir einen Heiratsantrag zu machen, war eine bravouröse Leistung«, lobte sie sich selbst in den Himmel und June konnte es schon gar nicht mehr hören. Für ihn klang das ganze so, als hätte dieser Kerl es tatsächlich nur auf die Plantage abgesehen. Es war die größte in der ganzen Gegend. Anders konnte es gar nicht sein. Warum sollte Riplay sonst Cecile gewählt haben? Da dürfte es ihr dann ja auch nicht schwer gefallen sein, ihn zu einer Hochzeit zu überreden. Das lag sicher nicht an ihren Reizen!

»Reicht es dir denn nicht, dass du ihn dazu gebracht hast und dass es alle wissen? Du brauchst ihn doch nicht auch noch zu heiraten. Weshalb solltest du das wollen? Er würde deinen… deinen Reisen doch nur im Wege stehen. Und deinen M-männern und.. und…«

Trotz seiner Verlegenheit brachte June die Worte heraus. Wenn es ihm gelang, Cecile die Nachteile, die ein Ehemann mitbrachte, vor Augen zu führen, war es vielleicht doch noch möglich eine Heirat abzuwenden.

»Hm.. so ungern ich es auch zugebe, aber ich bin dreißig geworden. Dafür habe ich mich äußerlich fantastisch gehalten, aber früher oder später wird man mir mein Alter ansehen. Ich spiele schon seit einer ganzen Weile mit dem Gedanken, wieder zu heiraten. Von einem gewissen Alter an, wird eine Frau bemitleidet, wenn sie keinen Mann hat. Aber die meisten Männer, die den entsprechenden Hintergrund haben, sind so langweilig! Oder sie sind unattraktiv, oder gar beides! Aber Logan…«, seufzte sie und legte sich eine Hand aufs Herz und die Geste sagte mehr als tausend Worte es vermocht hätten.

»Eine Ehe mit Logan kann ich mir vorstellen. Es wird aufregend sein. ER IST aufregend!«

June hatte zugehört, auch wenn er eigentlich gar kein Interesse an Ceciles Schwärmereien hegte. Und das was er hörte, erweckte bei ihm nicht den Anschein, als wäre seine Stiefmutter bis über beide Ohren verliebt. So hatte er sie schon öfter gesehen und da war es auch bloß anfängliche Schwärmerei für einen Kerl gewesen, die schneller wieder vergangen war, wie ein Mondzyklus. »Aber eine Ehe ist fürs Leben. Die Spannung lässt zwangsläufig nach und dann könnte es sein, dass du… dass du dich wieder für andere Männer interessierst. Nach allem was ich gesehen habe, glaube ich nicht, dass dein toller Logan seiner Frau Seitensprünge erlauben würde.«

Noch während er sprach, nahm June wahr, dass seine Worte wie Wassertropfen an Cecile abperlten.

»Weißt du… ich glaube Logan könnte genau der Mann sein, der mir genügt. Und wenn nicht…« Lächelnd zuckte Cecile die Schultern. »Ich bezweifle, dass er mir etwas verbietet. Wie könnte er das auch – solange er nichts davon weiß?«

Ihre Stimme wurde kälter und stahlhart.

»Sollte allerdings jemand so dumm sein und ihm erzählen, dass meine Ausflüge gelegentlich nicht nur einem Einkaufsbummel beinhalten, oder dass ich in den letzten Jahren etwas anderes als eine keusche Witwe gewesen bin, dann kann ich dir versichern, dass die Folgen für diese Person äußerst unangenehm sein werden.«

Die Drohung zeigte bei June keine Wirkung. Er hatte längst keine Angst mehr vor Cecile, auch wenn dieser Riplay nun hinter ihr stand und wahrscheinlich wie ein Schoßhündchen nach ihrer Pfeife tanzen würde. Viel schlimmer als die Prügel und die Demütigungen gestern Abend konnte es sowieso nicht werden, dachte er zumindest.

»Du musst doch wissen, dass er dich nicht liebt. Er heiratet dich doch nur, weil er die Plantage will!« Für June war es die einzige Wahrheit, doch schon während er die Worte aussprach, wusste er, dass es nichts nutzte. Cecile war entweder nicht bereit das einzusehen, oder es störte sie nicht.

Dann lächelte sie ihn an.

»Logan und ich werden am Sonntag in zwei Wochen heiraten. Ich bin reichlich verliebt in ihn, und ich wüsste nicht, warum ich länger warten sollte. Die Damen Riplay, das sind übrigens Logans Tanten aus Charleston, und hochnäsig sind sie auch noch – sind ganz begeistert darüber, dass er heiratet und dabei auch noch in der Gegend bleibt. Sie veranstalten heute Abend auf Tulip Hill ein kleines Fest für uns. Eine Art Verlobungsfeier. Du wirst mitkommen und du wirst zu allen nett und höflich sein, aber ganz besonders zu Logan. Wir wollen doch nicht, dass jemand glaubt, dass dir die Situation nicht passt, oder? Klatsch und Tratsch ist doch immer so unerfreulich! Und zu der Hochzeit wirst du ebenfalls erscheinen. Ich könnte dir sogar erlauben mein Trauzeuge zu sein!«

Ceciles Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, als dächte sie gerade über diesen Fakt nach. »Jaa, ich bin sicher, dass das eine gute Idee ist. Du wirst mein Trauzeuge sein. Und du wirst lächeln, June.«

Voller Abscheu sah June seine Stiefmutter an. Sie beugte sich beim Reden vor und war dabei so zart und hübsch wie immer. Ein kleines Lächeln spielte auf ihren Lippen, als sie June Anweisungen erteilte, von denen sie selbst wissen musste, dass er sie niemals befolgen würde. Ungeachtet aller Drohungen hatte June die feste Absicht ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen.

»Und wenn du nicht nett und höflich bist, une, wenn du nicht tust, was ich gesagt habe…« Cecile unterbrach sich und ihr Gesicht nahm einen scharfen, boshaften Ausdruck an, der June an einen besonders schönen Stein erinnerte, den er einmal aufgehoben hatte, nur um festzustellen, dass auf seiner Unterseite tausende von Maden herumkrochen. Genauso war einem zu Mute, wenn man den Unterschied zwischen dem Anschein entdeckte, den sich Cecile gab und dem, was sie tatsächlich war.

»Wenn du nicht ganz genau das tust, was ich dir gesagt habe, dann werde ich diesen dreckigen Köter, den du so gern hast erschießen lassen und deinen tollen Hengst gleich mit. Vergiss das nicht!«

»Jasper – erschießen? Und Ferefly? Wenn du so etwas auch nur versuchst, werde ich…«

Entsetzte trat June mit geballten Händen einen Schritt vor und zitterte vor aufkeimender Wut.

»Du wirst gar nichts tun, mein lieber Stiefsohn, weil du nämlich nichts tun kannst! Dein guter Vater hat all das hier mir hinterlassen. Ich kann mit diesen Tieren umspringen wie ich will, denn von Rechts wegen gehören sie mir!!«

»Wenn du ihnen etwas antust, bring ich dich um!«, schrie June und konnte sich kaum noch zurückhalten, um sich nicht auf seine Stiefmutter zu stürzen, die ihm so etwas schreckliches antun wollte. Das war eiskalte Erpressung. Doch er war hilflos, denn sie hatte Recht, so weh es auch tat.

»Also wirklich, June. Jetzt wirst du schon wieder theatralisch, wie Logan sagen würde. Du wirst mich ganz bestimmt nicht umbringen. Du wirst brav tun, was ich sage.«

Mit diesen Worten stand Cecile zufrieden auf.

»Von mir aus können wir vergessen, dass es gestern Abend zu dieser unerfreulichen Szene gekommen ist.« Nun ging sie zur Tür, schloss auf und öffnete sie weit, den Schlüssel im Schlüsselloch stecken lassend.

June hätte in seinem ganzen Leben nicht geglaubt, dass er jemals jemanden so hassen könnte, wie er seine Stiefmutter jetzt hasste. Cecile stand schon im Korridor, als sie sich noch einmal zu June umsah und die Augenbrauen hochzog.

»Ach ja… Ich werde Logan sagen, dass du dich bei mir entschuldigt hast, nicht wahr?«, hauchte sie hämisch lächelnd und schlenderte durch den Korridor davon, ohne eine Antwort abzuwarten.

June konnte ihr nur hasserfüllt und vor Wut zitternd hinterher sehen. In ihm tobten die Gefühle und um sich wenigstens ein bisschen abzureagieren, trat er mit einem Aufschrei gegen die Tür, die daraufhin mit einem ohrenbetäubenden Knall ins Schloss fiel.
 

© by desertdevil

Ein Unglück kommt selten allein Teil 01

Hinweis:

Es tut mir wirklich leid, aber ich hab beim letzten Mal hochladen statt des zweiten Kapitels das dritte hochgeladen. Hab das geändert, aber die Änderungsquote ist zu hoch und deswegen muss es noch mal freigeschaltet werden.

Das dritte hier kennt ihr also schon.

Ich wäre euch total dankbar, wenn ihr das zweite Pitel lesen würdet, wenns denn online ist.

Ich bitte nochmal vielmals um Entschuldigung.

*allen Kekse zum Wartezeit vertreib hinstell*
 


 

Kapitel 03
 

Ein Unglück kommt selten allein Teil 01
 

Um vier Uhr am selben Nachmittag stand June vor dem Spiegel in seinem Schlafzimmer, und Tudi versuchte die Nähte der viel zu kleinen Anzugjacke auszulassen, damit sie ihm überhaupt passte, während Sissie dabei war, die Beine der dazu passenden Hose zu verlängern.

June schnitt eine Grimasse. Er sah schlimmer aus, als die Sklaven, die den ganzen Tag auf den Baumwollfeldern schufteten.

Das weiße Baumwollhemd hatte ihm Tudi von ihrem Mann mitgebracht. Das war das einzige Kleidungsstück, was ihm zu groß war. Er sah darin aus wie ein Schluck Wasser.

Es nutzte alles nichts. Als June sich im Spiegel sah, wurde ihm flau im Magen.

»Ich sehe einfach grässlich aus«, sagte er aus tiefer Überzeugung.

»Nein, Lämmchen, ganz bestimmt nicht«, protestierte Tudi, die nun hinter ihm stand und sein Spiegelbild betrachtete, indem sie über ihn hinwegschaute, weil sie einen halben Kopf größer war als er selbst.

»Du siehst gut aus, June«, fügte Sissie hartnäckig hinzu, doch June ließ sich nichts vormachen. Seufzend drehte er sich vom Spiegel weg und setzte sich aufs Bett. In der kurzen Zeit war es sowieso nicht möglich aus ihm, dem hässlichen Entlein etwas zu machen. Und wenn er ehrlich war, war es ihm auch egal wie er aussah. Die anderen würden eh über ihn lästern und ihn schlecht machen, allen voran seine Stiefmutter. Und er war dazu verdammt gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Am liebsten wäre er weggelaufen. Doch alles aufgeben…? Die Plantage, die sein zu Hause war, um das er sich geschworen hatte zu kämpfen?

Im Moment erschien June alles hoffnungslos. Zusammengesunken und entmutigt saß er da und bemerkte nicht mal die zweifelnden Blicke, die Sissie und Tudi austauschten.

Die beiden gaben sich alle Mühe das beste aus dem alten Anzug herauszuholen. Der Stofff war einmal von einem schönen Blauton gewesen, als sein Vater damals mit ihm einkaufen gewesen war. June erinnerte sich daran, als wäre es erst gestern gewesen.

Dann verblassten die Erinnerungen jedoch und die Realität holte ihn wieder ein. Bereits acht Jahre lag das zurück und es war klar, dass er nicht mehr in den Anzug passte. Nach einer Weile reichte Sissie ihm die Hose und June schlüpfte herein. Trotz ausgelassener Nähte und angenähtem Stoff, damit die Beine ihm wenigstens bis zu den Knöcheln reichten, fühlte er sich darin total eingeengt. Auch die Anzugjacke, die er über das viel zu große schlabbrige Hemd streifte war viel zu klein, zwickte überall und war furchtbar unbequem.

Abermals kam ein Seufzend über seine Lippen und June wagte es nicht, noch einen Blick in den Spiegel zu werfen. Es sah bestimmt noch schrecklicher aus, als er sich fühlte.

Kaum war der Gedanke zu Ende gedacht, erschien Ceciles fragile Gestalt in der Tür.

Zu allem Überfluss trug sie auch noch Spitzenhandschuhe und einen bemalten Fächer.

»Gütiger Himmel!«, rief sie aus, als ihr Blick auf June fiel und sie die Augen belustigt aufriss. Sofort kam June sich wie eine hässliche Sumpfkröte vor und wäre am liebsten im Boden versunken.

»Ich nehme an, da lässt sich nichts machen«, höhnte Cecile, bevor sie einen freundlicheren Tonfall anschlug. »Jedenfalls bin ich froh, dass du fertig bist. Logan wartet schon auf uns.«

Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Tudi.

»Vergiss nicht mein Bettzeug morgen zum Bleichen in die Sonne zu legen. Es ist schrecklich vergilbt. Allerdings hält dieser ausgeblichene Anzug den June trägt eindeutig den Rekord!«

»Ja, Mam.«

Tudis Gesicht wurde finster, doch Cecile hatte sich schon abgewandt.

»Kom jetzt, June. Und denk daran, was ich dir gesagt habe, mein Lieber.«

Cecile war bereits auf der Treppe und ihre Stimme klang plötzlich wie Zuckerwatte so süß - June vermutete, zu Recht, wie sich heraus stellen sollte, dass Logan Riplay sie unten in Hörweite erwartete.
 

»Du darfst mich küssen, June, denn schließlich gehörst du ja bald zur Familie.« In diesem Moment hielt ihm Miss Flora Riplay auch schon die verknitterte Wange hin und June tat sein Bestes, um sie nicht allzu finster anzusehen. Letztendlich blieb ihm nichts anderes übrig als ihr einen Kuss zu geben.

»Mich darfst du auch küssen, wenn du magst, June«, sagte Miss Laurel Riplay, als June sich gerade wieder aufrichtete. Tief holte er Atem, ehe er der anderen älteren Dame einen flüchtigen Kuss auf die Wange hauchte. Dann nahm Miss Laurel seine Hände und die beiden Damen strahlten ihn an, während June krampfhaft versuchte das Lächeln auf seinem Gesicht beizubehalten. Es kostete ihn richtig Mühe, weil ihm überhaupt nicht nach Lächeln zu Mute war, eher zum Gegenteil und June bezweifelte nicht, dass sein aufgesetztes Lächeln überzeugend genug wirkte.

Das Pinknick, dass die Damen Riplay anlässlich der Verlobung ihres Neffen veranstaltet hatten, hatte bei anbrechender Dunkelheit nun endlich seinen Abschluss gefunden. Die Gesellschaft, zu der alle Nachbarn und auch ein paar Freunde aus der Umgebung eingeladen worden waren, hatte sich dann ins Haus zurück gezogen. Das Picknick war schon schlimm genug gewesen, doch als June festgestellt hatte, dass jetzt getanzt wurde, hatte er sich in eines der hinteren Zimmer geschlichen, um dem ganzen Trubel zu entkommen, der sich immer weiter zum Desaster entwickelte. Doch zu seinem Entsetzen war er dort den alten Damen in die Arme gelaufen, die eine hitzige Auseinandersetzungen führten, wessen Schuld es sei, dass das Eis geschmolzen war, ehe es serviert werden konnte.

Er kannte Miss Flora und Miss Laurel von Geburt an, wenn auch nur wenig und wie man eben Nachbarn kennt, die ein paar Kilometer weiter weg wohnen. Bis zu diesem Moment hatten sie nie sonderlich Interesse an ihm gezeigt. Aber jetzt betonten sie deutlich, da sich ihr Neffe mit seiner Stiefmutter verheiratete, sei June ja (mehr oder weniger ) ihr Großneffe.

Sie schweiften dauernd vom Thema ab und fielen einander noch häufiger ins Wort, als die beiden June zu verstehen gaben, dass es ihn sehnlichster Wunsch sei, ihren Neffen in ihrer Nähe zu haben, denn er war ihr nächster männlicher Verwandter, der noch am Leben war.

Das war auch der Grund, weswegen sie Logan eingeladen hatten. Nicht nur einmal, nein! Unzählige Male. Man musste sich ihre Begeisterung vorstellen, als er endlich doch vor der Tür gestanden hatte!

Und dann war er auch noch so charmant und gutaussehend, ihrem kleinen Bruder, der sein Vater gewesen war, wie aus dem Gesicht geschnitten! Natürlich würde Tulip Hill eines Tages an ihn übergehen. Allerdings war ihre Familie äußerst langlebig. Ihre Mutter war einundneunzig geworden, und deren Mutter war erst einen Monat vor ihrem hundertsten Geburtstag verstorben. Daraus schlossen Miss Flora und Miss Laurel mit einem verschwörerischen Blick, dass es noch ein paar Jährchen dauern konnte, bis Logan sie beerbte, denn sie waren beide erst in ihren Sechzigern.

»Und warum tanzt du nicht, mein Kind?«, fragte Miss Flora June unerwartet, der darauf im ersten Moment überhaupt keine gescheite Antwort parat hatte.

»Ich.. ich…«, stammelte June, der sich einfach hatte überrumpeln lassen. Tatsache war, dass er nicht tanzen konnte. Noch schlimmer war aber, dass er sich überhaupt nicht vorstellen konnte jemanden aufzufordern. Bei seinem Anblick ergriffen die Mädchen sowieso gleich die Flucht. Außerdem schien er für sie unsichtbar zu sein, was June insgeheim begrüßte. Er wollte nicht unnötig Aufmerksamkeit auf sich und seine schäbige Gestalt lenken. Und selbst wenn sich jemand für ihn interessiert hätte, hatte er überhaupt keinen blassen Schimmer, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte. Mit Mädchen hatte er noch nie etwas zu tun gehabt und fühlte sich ihnen gegenüber einfach nur unbeholfen.

Das Picknick war schon reichlich unangenehm gewesen, denn all die jungen Leute hatten ihn, der ihnen mehr oder weniger ein Fremder war, höflich in ihrer Mitte aufgenommen. Aber natürlich hatten sie alle ihre speziellen Freunde und Freundinnen, denen sie sich auch gleich wieder zugewandt hatten, als sich das anfängliche Erstaunen über Junes Erscheinung gelegt hatte.

Gleich nach ihrer Ankunft, war die Verlobung verkündet worden, und die beiden Tanten hatten gemeinsam mit dem Paar die Glückwünsche entgegen genommen, die kaum den Neid der Frauen auf Cecile verhehlen konnten, weil sie diesen Mann bekommen hatte. Als June sah, wie sich die Damen jeden Alters nach Logan verzehrten, gelang es ihm kaum, seinen Hohn zu verbergen. Wie dumm sie doch alle waren, nur sein gutgeschnittenes Gesicht zu sehen, aber nicht, was dahinter steckte!

Er hatte sich hinter dem gelben Forsythienhain ganz wohl gefühlt, während er die Festlichkeiten beobachtet hatte, ohne selber gesehen zu werden. Und selbst dort war er sich fehl am Platze vorgekommen. June fand einfach, dass er nicht zu dieser vornehmen Gesellschaft passte.

Doch schließlich hatte es sich Oscar Castel in den Kopf gesetzt zu seiner Rettung beizutragen. Der braunhaarige Oscar, den er wie alle anderen fast von klein auf kannte, war ein schlanker, recht gut aussehender junger Mann geworden, doch vom Charakter her konnte man ihn recht genau mit Cecile vergleichen. Von außen schleimig nett und einschmeichelnd und innerlich stahlhart. June hatte ihn noch nie gemocht und Oscar hatte schon vor langer Zeit von seinem Vater zu hören bekommen, dass ein wohlerzogener junger Mann sich nicht mit so einem Bauerntrampel wie June abzugeben hatte. Daher war June sehr erstaunt, als Oscar um den Forsythienhain herumsteuerte und ihn in scherzhaften Tonfall ausschalt, sich so abzusondern.

June hatte nicht einmal die Chance sich gegen diesen Kerl zu wehren, der ihn auch gleich fast schon schmerzhaft am Oberarm gegriffen und mit sich gezerrt hatte.

Bess Lionel, Oscars Begleiterin musterte June mit einem interessierten Blick, aber June war das nur peinlich. Er senkte den Blick und starrte krampfhaft zu Boden. Innerlich hatte er gebetet, dass es bald vorbei sein möge.

Oscar hatte ihn an den langen Tisch gezogen, den man für die jungen Leute aufgestellt hatte. Mit einer kurzen fröhlichen Vorstellung durch Oscar wurde dann schließlich alle Aufmerksamkeit auf June gelenkt, der am liebsten im Boden versunken wäre, als sich alle Augenpaare auf ihn und seine bedauerliche Gestalt richteten. Als die anderen ihn begrüßten, blieb June nichts anderes übrig, als sich zu einem Lächeln zu zwingen, so elendig es ihm auch ging, und sich ihnen anzuschließen.

Dort hatte er die schier endlos erscheinende Mahlzeit hinter sich gebracht. Während des Essens redete niemand mit ihm. Es wurden nur die plattesten Höflichkeiten ausgetauscht. June hatte sich so elend wie noch nie in seinem Leben gefühlt und war sich unendlich fehl am Platze erschienen, aber wenigstens hatte er sich mit dem Essen abgelenkt, es von einer Seite des Tellers auf die andere geschoben und ein paar Muster gebastelt. Heruntergebracht hatte er nichts, dazu war ihm viel zu schlecht gewesen.

Aber der anschließende Tanz – oder besser der Umstand, dass er sowieso niemanden finden würde, der mit ihm tanzte, während alle zusehen konnten und ihn zurecht als Außenseiter abstempeln würden – war eine Tortur, die er glaubte nicht verkraften zu können, nicht nach allem, was er heute schon durchgestanden hatte.

»Ist das nicht süß, wie schüchtern er ist«, schwärmte Miss Laurel und zwinkerte ihrer Schwester zu. June verdrehte nur die Augen und verkniff sich einen Kommentar. Es brachte ja sowieso nichts zu widersprechen. Innerlich seufzte er tief.

»Keine Sorge, June, wir werden uns um dich kümmern. Komm mit, mein Lieber…«

»Bitte… ich…« Jeder Protest war zwecklos. Miss Laurel hing sich bei June ein, als wäre er ihr Kavalier, und zog ihn ans andere Ende des Hauses. Die Musiker auf der kleinen Bühne spielten gerade eine Quadrille.

Auf kleinen Stühlen an den Wänden des Raumes saßen zurückhaltend gekleidete verheiratete Frauen jeden Alters und unterhielten sich leise miteinander.

Sie würden den ganzen Abend damit zubringen, den tanzenden Paaren zuzusehen und an den Mädchen und ihren Kavalieren Kritik zu üben, und sie würden nur mit ihren Ehemännern oder mit ihren Brüdern tanzen. Vor ihnen ängstigte sich June am meisten, denn sie hatten die schärfsten Zungen und konnten genauso verletzend daher reden wie Cecile.

Die älteren Herren, die zweifellos ohne Ausnahme von ihren Frauen dazu überredet worden waren, mitzukommen, hatten sich um die Punschschale herum versammelt, die zusammen mit anderen Erfrischungen in einem kleinen Vorraum stand. Sie diskutierten über erlegtes Wild und das Fallen der Baumwollpreise. Mitten im Raum tanzten vielleicht zweiundzwanzig Paare. June kannte sie natürlich alle, kannte sie schon von Geburt an, aber… aber…

Die Mädchen wiesen in ihren pastellfarbenen Kleidern wenig Ähnlichkeit mit den verspielten Kindern auf, an die er sich noch aus alten Zeiten erinnerte, ehe ihre Mütter beschlossen hatten, dass June für sie wohl doch kein so angemessener Freund für ihre reizenden Töchter war. Jede einzelne von ihnen sah so hübsch aus und die schimmernden Haare waren so raffiniert zurück gebunden, dass June gar nicht wusste, wo er zuerst hinschauen sollte.

Sie hatten sich zum Tanzen anscheinend umgekleidet und trugen nicht mehr das, was sie beim Picknick angehabt hatten. Dann schweifte sein Blick weiter zu den jungen Männern. Vorhin schon waren sie alle in schönen schwarz glänzenden Anzügen erschienen, die bis zur Fliege hin perfekt saßen und deren schlanke hochgewachsene Gestalten noch betonten.

Im Vergleich dazu fühlte June sich noch viel deplazierter als vorher.

Schon beim Zuschauen spürte June gewaltige Hemmungen in sich aufsteigen. Er selbst war sich nur allzu klar über die Unvollkommenheit seiner äußeren Erscheinung.

Hätten ihn doch bloß alle in Ruhe gelassen, denn dann hätte er sich davon geschlichen und irgendwo unbemerkt abgewartet, bis es an der Zeit war, sich auf den Heimweg zu machen.

Doch die Damen Riplay hatten ihre eigenen Vorstellungen.

Miss Flora hing sich auf Junes anderer Seite ein. Sie zogen ihn mitten ins Getümmel.

»Soo.. dann wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht eine Partnerin für dich finden können«, meinte Miss Flora zu Junes Entsetzen und blieb stehen, um sich umzuschauen. Da er sich weder losreißen konnte, noch eine Möglichkeit sah, den beiden Damen auszuweichen, ohne allzu unhöflich zu wirken, war June gezwungen, zwischen ihnen stehen zu bleiben. Ihm war jämmerlich bewusst, wie schrecklich er zwischen den beiden aussehen musste.

Die Damen Riplay waren genauso klein wie June, aber sehr rundlich. Nichts desto trotz trugen sie wunderschöne Satinkleider, Miss Laurel in Lavendel und Miss Flora in bordeaux.

Die Musik wurde lauter. Gelächter und Stimmengewirr hingen in der Luft.

Chancey Dart tanzte mit Eleanor Bidswell, die in einem Kleid aus apfelgrüner Gaze einfach fantastisch aussah an ihnen vorbei. Im Alter von sieben Jahren hatte June ihn als Chance gekannte, doch der stattliche Rothaarige wies kaum noch Ähnlichkeit mit dem Kindheitsfreund auf, den er damals gekannt hatte. Der Dunkelhaarige Lewis Russel tanzte mit der gertenschlanken Susan Latow, die in einem blaugesprenkelten Musselinkleid steckte und Howie Duke, der durch seinen gut geschnittenen Anzug seine Molligkeit gut kaschieren konnte, hatte Margaret Culpepper als Partnerin.

Am Rand des Saales saß Michele Flake und wartete offensichtlich auf ihren Tanzpartner, der gerade etwas zu trinken holen musste. Michele war schon immer ein hübsches Mädchen gewesen und sah in ihrem gelben Satinkleid einfach wundervoll aus. Sie hatte braune Locken und unter langen Wimpern musterten himmelblaue Augen die Umgebung.

Ohne sich weiter umsehen zu können, um einen Fluchtweg zu finden, wurde June plötzlich zu Michele gezogen.

»Oh hallo, Michele…«

Voller Entsetzen hörte June, dass Miss Flora gerade dieses Mädchen ansprach. Er drehte sich zu der alten Dame um, wollte Einspruch erheben, denn das ging nun wirklich nicht. Michele war eines der schönsten Mädchen auf dieser Feier und es würde ein ausnahmsloses Desaster werden, wenn ausgerechnet er mit ihr tanzte. Sie hatte doch schon längst einen Freund!

Doch es war schon zu spät.

»Ja, Miss…« Mit gewohnt guten Manieren drehte sie sich um und zog fragend die Augenbrauen hoch, als sie Miss Flora sah. Sie beugte sich ein wenig zu der alten Dame hinunter, um sie besser zu verstehen, da der Geräuschpegel im Saal bereits beträchtlich angestiegen war. Dann wandte sie den Blick von Miss Flora ab und sah stattdessen ihn an und June glaubte sterben zu müssen vor Scham.

»Komm, meine Liebe… tanz mit June.« Bei diesem Befehl wäre der Blondschopf am liebsten im Erdboden versunken. Sein Gesicht wurde mit einem mal ganz heiß, als Michele kurz zögerte. Ihr Blick glitt in das Gemenge auf der Tanzfläche. Dann zuckte sie die Achseln und kam mit einem Lächeln auf ihn zu…

Wenn ein Tornado durchs Land gefegt wäre und Tulip Hill samt seinen Gästen in ein anderes Lang geweht hätte, hätte June das als Erlösung empfunden. Wie gesagt, wenn…

Doch es blieb keine Zeit mehr für ein Wenn und Aber. Michele stand vor ihm und June war in seiner Verlegenheit derart erstarrt, dass er sie nicht ansehen konnte. Und noch weniger gelang es ihm, das zu verhindern, was ihm jetzt bevor stand.

Von Miss Laurel bekam er einen kräftigen Stupser in die Seite und nahm die zarte Hand, die Michele ihm bereits hinhielt. Seine Handflächen waren feucht vor Nervosität und er war wie gelähmt, als er in ihr Gesicht blickte. Was konnte er bloß tun? Was sollte er bloß sagen? Er wollte nicht, dass sie nur mit ihm tanzte, weil ihm nichts anderes übrig blieb.

»Nun… wollen wir dann tanzen, oder hast du es dir anders überlegt?«

Hilflos sah er zu Miss Laurel und Miss Flora.

»Nun geh schon, June. Hab deinen Spaß und mach dir um uns keine Sorgen. Natürlich hatten die beiden sein Zögern bemerkt und, sei es aus Unwissenheit oder aus Herzensgüte, hatten es auf seinen Unwillen zurückgeführt, seine beiden Gastgeberinnen allein stehen zu lassen.«

»Ich…« June machte den Mund auf, um abzulehnen, um Michele zu sagen, dass sie glimpflich davongekommen war, weil er nämlich nicht tanzen konnte und auch gar nicht tanzen wollte, und wenn schon, dann am allerwenigsten mit ihr. Doch Michele schien das alles ernster zu nehmen als es war und zog ihn nun ihrerseits zur Tanzfläche, ohne das ihm eine große Wahl blieb.

»June wir jetzt bald unser Neffe sein!«, rief Miss Flora – oder war es Miss Laurel? – noch nach, als Michele mit ihm auf die Tanzfläche ging. Dann wandte sie sich lächelnd zu ihm um, während ihm kalter Schweiß über den Rücken lief und seine Füße fühlen sich plötzlich genauso gelähmt an wie seine Zunge.

Ein neues Stück begann mit einem lebhafteren Rhythmus. Ein Murmeln zog über die Tanzfläche.

»Ein Reel!«, tönte es plötzlich von allen Seiten. Jubelnd wurde Beifall gespendet, und dann gingen alle auseinander, um sich für den Tanz in Reihen aufzustellen. Michele sah ihn lächelnd an und June war nahezu benommen vor Erleichterung, weil ihm das grässliche Eingeständnis erspart blieb, dass er nicht tanzen konnte. Ganz zu schweigen von dem Anblick, den er mit Sicherheit geboten hätte, wenn er es versucht hätte und daher gelang ihm das so ziemlich erste echte Lächeln an diesem bescheidenen Tag. Es kam zu neunzig Prozent aus reiner Erleichterung zustande, doch es war immerhin ein Lächeln.

Als June gerade dachte, es müsse wohl doch einen Gott im Himmel geben, als er gerade seinem Schutzheiligen, seinem Glücksstern oder sonst wem danken wollte, nahm Michele ihn erneut an der Hand und sie schlossen die Reihen. Die Herren stellten sich auf der einen Seite auf, die Damen auf der anderen.

Der Reel war allgemein beliebt. Deshalb tanzten jetzt nicht nur die jungen Leute, sondern auch die älteren. Zu seiner Linken stand Howie Duke, zu seiner Rechten Chancey Dart. Der Geiger trat an den vorderen Rand der Bühne und begann zu spielen.

Cecile und Logan tanzten als Ehrengäste als erstes durch den Korridor aus lachenden und klatschenden Paaren. Als er die beiden ansah, vermutete June, dass sie gemeinsam ein gutes Bild abgaben. Für Cecile stellte dieser Abend einen Triumph dar und es war ihr deutlich anzumerken, dass sie jeden einzelnen Moment vollkommen auskostete. Mit Sicherheit war sie hübscher, als June sie bisher überhaupt gesehen hatte und was Logan Riplay anging… June musste zugeben, auch wenn er es sich auch noch so ungern eingestand, dass er in seinem eleganten schwarzen Abendanzug ein Anblick war, der einem den Atem rauben konnte. Und das nicht nur den Frauen…

Nur das bewies mal wieder, wie recht das alte Sprichwort hatte, Schönheit ginge nicht unter die Haut. Doch er war sicher das einzige Wesen in diesem Raum, das sich nicht in den Bann seiner schönen Fassade ziehen ließ. Seit Riplays Ankunft waren ihm die Blicke der Frauen unablässig gefolgt. Die Kühneren hatten ganz offensichtlich mit ihm geflirtet, wenn sie auch widerwillig anerkennen mussten, dass Cecile bereits Anspruch auf ihn hatte. Dennoch versuchten sie nachdrücklich ihr Glück und June fand das so was von ätzend. Er verstand die Frauen einfach nicht, würde es nie tun.

Sogar manche der älteren Damen hatten ihn mit mehr als nur einem flüchtigen Blick bedacht. Man musste Riplay zu Gute halten – und June wollte sich nur ungern eingestehen, dass es überhaupt etwas gab, was für ihn sprach, und er suchte immer noch nach einem Motiv, mit dem sich seine Zurückhaltung erklären ließ – dass er keiner der Damen mehr als höfliche Aufmerksamkeit entgegen gebracht hatte. Er war den ganzen Tag an der Seite seiner Verlobten geblieben, wie es sich gehörte, während Cecile ihn herumgezeigt hatte wie eine Jagdtrophäe und sich mit ihm vor allen Frauen gebrüstet hatte, weil sie ihn bekommen hatte und die anderen sich nur wünschen konnte, ihn zu haben.

June konnte das kaum mit ansehen, ohne Übelkeit in sich aufsteigen zu spüren. Aber über Ceciles wortloses Prahlen und das betont charmante Lächeln konnte man kaum hinweg sehen.

Cecile und Logan wurden bejubelt als sie durch die Reihen getanzt waren. Darauf folgte ein älteres Paar, das June nicht beim Namen kannte. Zu seinem Erstaunen hatte Miss Flora in dem verwitweten Dr. Angus Maguire einen Partner gefunden und dieses ältere Paar wurde ebenfalls bejubelt.

June war derart in den Anblick vertieft, dass er nicht bemerkte, dass Michele und er an der Reihe waren, bis Chancey Dart mit seiner Partnerin vortrat. Zweifelnd sah er den beiden hinterher und allmählich keimte Entschlossenheit in ihm auf. Er musste es schaffen, und er würde sich nicht vor allen Leuten lächerlich machen und schon gar nicht vor Michele, die das Übel auf sich genommen hatte, mit ihm zu tanzen. Wenigsten sie wollte er nicht blamieren.

Die Musik war gar nicht so schlecht und ein bisschen ließ sich June von dem heiteren Gelächter anstecken.

Michele lächelte ihn die ganze Zeit über an und für June sah die Welt nun nicht mehr ganz so trostlos aus. Er begann sogar die Hoffnung zu hegen, dass Michele ihn vielleicht doch nicht so schrecklich fand und es schaffte den Jungen in ihm zu sehen, der hinter den verschlissenen Sachen steckte.
 

Micheles Hände waren warm, ihre Haut zart und trocken. Er hielt ihre Hände fest in seinen und lächelte sie an und irgendwie schaffte er es ans Ende der klatschenden Reihen. Seine Wangen waren leicht gerötet, während er alle Gedanken verbannte. June ließ sich von dem Lachen der anderen mitreißen, klatschte und tanzte durch den Gang, wenn er an der Reihe war und wusste nur, dass es an diesem Tag, der so schrecklich angefangen hatte, doch noch ein paar angenehme Momente für ihn gab. Das hätte er nicht zu hoffen gewagt.

Als der Tanz vorbei war, senkte June ein wenig verlegen den Kopf. Jetzt würde Michele ihn bestimmt stehen lassen. Kurz kaute er unsicher auf seiner Unterlippe herum, bevor er ihr seinen Arm anbot, den sie zu seiner Überraschung mit einem Lächeln annahm.

June wagte einen scheuen Seitenblick und hoffte darauf einen Einstieg in ein Gespräch zu finden, doch ihm fiel absolut nichts ein, über das er mit ihr reden konnte. Dennoch lächelte er sie an.

»Ähm… soll ich dir vielleicht einen Becher Punsch holen?«, fragte June immer noch unsicher und nun wieder etwas nervöser.

»Das wäre sehr nett«, gab Michele zurück und bedachte ihn mit einem koketten Augenaufschlag. Gesittet verschlang sie ihre Hände ineinander und June nickte einfach nur, bevor er sich umdrehte und am Rande des Saals zu den Tischen mit den leicht alkoholischen Getränken strebte. Eine gewisse Erleichterung überkam ihn, sowie er aus Micheles Reichweite war. Gott sei dank hatte er jetzt einen Moment Zeit, sich etwas gescheites einfallen zu lassen, was er sagen konnte.

Worüber redeten Frauen wohl gerne? Kleider? Schmuck? Verzweifelt versuchte sich June an die Gesprächsfetzen zu erinnern, die er aufgeschnappt hatte, ehe Miss Flora ihn zu Michele geschleppt hatte. Während seiner Gedankengänge war June unabsichtlich stehen geblieben. Wegen seiner schäbigen Erscheinung hatte er sich instinktiv am Rand bewegt und trat nun in eine Nische zurück, als er Cecile in Begleitung von Mrs. Latow herannahen sah.

»… kann einfach nicht glauben, dass du das Kind in dieser Aufmachung auftreten lässt! Er sieht einfach lächerlich aus.«

»Also wirklich Cynthia, was erwartest du denn von mir? Er ist siebzehn, verstehst du – ja, tatsächlich! – und er hat den ganzen Schrank voller eleganter Anzüge, aber er weigert sich, sie zu tragen! Ich kann ihn schließlich nicht dazu zwingen. Und auch wenn ich das noch so ungern über meinen Stiefsohn sage, hat er eine gewalttätige Veranlagung die mir manchmal Angst macht. Aus diesem Grunde traue ich mich schon gar nicht, etwas gegen seine Kleidungswünsche zu sagen. Es grenzt schon an ein Wunder, dass ich ihn überhaupt dazu gebracht habe, heute mitzukommen. Ich musste ihn ganz schön unter Druck setzen, das kann ich dir versichern!«

»Jedenfalls wird er nie ein Mädchen finden, solange er sich so zurecht macht. Er sollte sich ein Beispiel an deinem Verlobten nehmen. Könnte seine Mutter ihn so sehen, würde sie sich bestimmt im Grabe umdrehen.«

Cecile und Mrs. Latow schlenderten ziemlich nahe an ihm vorbei. Die beiden hätten ihn sofort entdeckt, wenn sie auch nur den Kopf gedreht hätten. June sah zu Boden und die ganze fröhliche Stimmung war mit einem Mal verflogen. Er wusste, dass Cecile ununterbrochen Lügen über ihn verbreitete und dass er sich nichts daraus machen sollte, doch es tat jedes Mal von neuem weh. Mrs Latows Kommentar über seine Kleidung machte ihm noch mehr zu schaffen. Insgeheim wusste June, dass die Frau nichts als die pure Wahrheit gesagt hatte und er überlegte, ob er sich nicht einfach in einer Ecke verstecken sollte.

Doch dann schüttelte er energisch den Kopf.

Michele wartete bestimmt noch auf ihn und er wollte sich nicht auch noch vor ihr die Blöße geben. Also holte er schnell den Punsch und machte sich auf den Rückweg. Er sah Michele von weitem schon. Er musste nur noch ein Stück um eine Säule herum, doch ein Tanzpärchen schwebte förmlich an ihm vorbei, sodass June kurz stehen blieb und sie vorbei ließ. Gerade wollte er weiter gehen, da bemerkte er, dass Michele nicht mehr allein war.

James Scott war bei ihr.

»Siehst du, was habe ich dir gesagt? Er kommt nicht zurück. Ihm hat wahrscheinlich genauso sehr davor gegraut mit dir zu tanzen, wie dir, als du ihn plötzlich am Hals hattest. Ich wette er war froh, als er eine Chance hatte sich zurückzuziehen.«

»Nun ja… Ich glaube er würde nicht einfach davon laufen. Er kommt bestimmt noch zurück«, mutmaßte Michele und sah sich um. June war unbemerkt hinter den Vorhang getreten, der die Nische hinter der Säule verdeckte, durch die man seitlich auf die Terrasse kam.

»Der kommt nicht zurück… Wenn ich er wäre, würde ich mich in einem Mauseloch verkriechen und den Rest des Abends nicht mehr rauskommen«, meinte James gehässig.

»Das ist nicht nett von dir, James.« Michele sah den Schwarzhaarigen vorwurfsvoll an. Dieser verzog das Gesicht.

»Ja… Du hast natürlich Recht, und es tut mir leid«, entschuldigte er sich halbherzig. »Aber es war einfach mies! Ich hatte dir den Tanz versprochen, bin nur etwas zu Trinken holen gegangen und dann hast du mit ihm getanzt!«

»Ich weiß, James.« Michele hörte sich reumütig an. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich nichts daran ändern konnte. Was hätte ich denn sagen können, wenn Miss Flora es mir geradezu befiehlt?«

»Ja, sicher, du bist eben eine Lady. Aber wahrscheinlich hätte ich dich nur halb so gern, wenn du keine wärst.«

Gequält ballte June die Fäuste und presste sich dicht an die kühle Hausmauer. All seine Instinkte drängten ihn dazu fortzulaufen, damit er sich nicht noch mehr anhören musste, doch er konnte sich einfach nicht von der Stelle rühren.

»Und du bist manchmal ganz schön ungehobelt.« Micheles Stimme klang keineswegs missbilligend.

»Und genau das gefällt dir, das weißt du selbst.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so verschwunden ist«, meinte Michelle nun noch einmal. Es genervtes Seufzen war zu hören, das anscheinend von James kam. Dann herrschte eine Weile Funkstille zwischen den Beiden.

»Vielleicht brauchte er einen Moment Zeit für sich. Oder vielleicht hat er jemand anderes zum Tanzen gefunden.«

Michele schien ungeduldig zu werden und schließlich lachten sie beide.

»Schon gut. Ich muss dir lassen, dass das ziemlich unwahrscheinlich ist. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er nicht mehr wiederkommt, mein kleiner Sonnenschein. Und jetzt möchte ich tanzen! «

Mit einer scherzhaften Verbeugung bot James Michele den Arm an. June konnte es genau sehen, als er kurz den Kopf ein Stück zur Seite neigte und an der Säule vorbei schaute.

»Darf ich um diesen Tanz bitten, Miss Flake?«

»Sie dürfen…« Michele lächelte, knickste und nahm seinen Arm, ohne sich noch einmal umzusehen und schließlich verschwanden beide auf der Tanzfläche.

June lehnte sich wieder an die Wand und blieb einfach wo er war. Er war zutiefst dankbar für die schützende Dunkelheit, die ihn umhüllte. Plötzlich war ihm die zu kleine Anzugjacke viel zu eng und June streifte sie sich langsam von den Schultern. Trotzdem drehte sich die Welt um ihn herum auf einmal und er drückte die Stirn gegen die kalte Steinsäule. Ein trostloses Seufzen entkam seinen Lippen und er schloss die Augen, denn der Schmerz in seiner Brust war gerade so groß, dass er es kaum noch aushielt.

Dann umfassten von hinten zwei große Hände seine Oberarme. Eine Stimme, die er augenblicklich erkannte, brummte ihm ins Ohr.

»Ich hoffe du hast nicht vor wie ein Mädchen in Ohnmacht zu fallen.«
 

Tbc…
 

© by desertdevil

Ein Unglück kommt selten allein Teil 02

Anmerkung des Autors:

Hallo ihr Lieben.

Endlich lass ich auch mal wieder etwas von mir sehen ^^

Hat ja auch lange genug gedauert, aber die Zeit vergeht momentan schneller, als ich gucken kann. Naja.. ich hoffe ihr habt viel Spaß mit diesem Kappi.

Tippelfehler sind selbstverständlich kostenlos mit inbegriffen und ihr dürft sie behalten, falls ihr sie findet ^^
 


 

Kapitel 04
 

Ein Unglück kommt selten allein Teil 02
 


 

Logan Riplays Worte gingen ihm durch Mark und Bein und June war so erschrocken über seine Anwesenheit, dass die Übelkeit, die er bis eben noch in sich aufsteigen gespürt hatte zurückgedrängt wurde. Ehe er reagieren konnte, hatte der andere auch schon seine Hand gegriffen und zog ihn die Treppe hinunter in den Garten, fort von den Liebespaaren auf der Terrasse. Dieses Gezerre vertrug sein Magen überhaupt nicht und June stolperte seinem Bald-Stiefvater nur so hinterher, ohne zu wissen wohin es ging und was dieser mit ihm vorhatte. Er sah nur verschwommenes Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen. Als er den Kopf hob, bemerkte er, dass Riplay ihn zu einer abgelegenen Bank in einer Weinlaube zog.

Wenn man nicht direkt davor stand, konnte man die Bank nicht sehen, da sie hinter einem Spalier verborgen war, an dem sich zarte duftende Reben rankten.

Nachdrücklich wurde June auf die Bank gedrückt. Vor ihm baute sich Riplay auf, stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn verärgert und mit schmalen Lippen an.

Gequält sah June zu ihm auf und zuckte vor seinem grimmigen Gesicht zurück. Was hatte er denn nun schon wieder verbrochen? Konnte dieser Kerl ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Wollte er sich jetzt auch noch in die lange Schlange einreihen und ihn verspotten und demütigen? Es war ja auch noch nicht genug gewesen, dachte June bitter.

All das ging ihm durch den Kopf und sein Magen rebellierte heftig. Dennoch begegnete er Riplays verärgerten Blick erneut, wollte sich nicht alles gefallen lassen, egal wie schlecht es ihm ging. Ein bisschen Stolz hatte er auch noch zu verteidigen, wenn nach diesem Tag auch nicht mehr so viel davon übrig war.

June wusste es zwar nicht, aber seine Augen waren groß und drückten Hilflosigkeit aus. Sein Gesicht war so weiß, wie der bleiche Mond, der über ihnen hing. Seine blonde Mähne hatte sich, wie erwartet, aus dem Lederband gelöst und fiel ihm unordentlich über die Schultern.

Riplay sah ihn immer noch finster an, und so viel offene Abneigung, nach allem was ohnehin schon passiert war, ließ Junes letztes bisschen Entschlossenheit sich zu verteidigen dahinbröseln und gab ihm den Rest.

Ergeben schloss er die Augen und lehnte den Kopf an die Girlande aus schmiedeeisernen Rosen, die die Rückenlehne der Bank bildete.

»Steck den Kopf zwischen die Knie!«, befahl Riplay, doch June schenkte den Worten keine Beachtung. Wenn er ihn eh nur demütigen wollte, sollte dieser Mistkerl verschwinden. Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, legte sich Riplays Hand in sein Genick und half nach.

»Lassen Sie mich los! Finger weg!«, protestierte der Blondschopf sofort und fuchtelte wild mit den Armen herum, mit dem einzigen Effekt, dass ihm noch schlechter wurde.

»Hör auf zu reden und atme durch!«

June gab auf. Kraftlos ließ er seine Arme sinken und fügte sich dem Druck in seinem Nacken. Er hatte im Moment einfach keine Energie mehr übrig sich gegen diesen Kerl zu wehren. Ergeben ließ er den Kopf bis dicht über den Boden sinken. Seine hellen Locken hingen bis auf die Steine und legten sich über Riplays blitzblanke Schuhspitzen wie eine Seidendecke. Es war ein seltsam beunruhigender Anblick, der June wieder zum Leben erwachen und den Kopf so weit wie möglich zurückreißen ließ. Erneut versuchte er sich zu befreien.

»Atmen, habe ich gesagt!«, fuhr Riplay ihn daraufhin barsch an.

Die Hand in seinem Genick bog seinen Kopf wieder unnachgiebig nach unten. Diesmal ließ June sich nicht mehr von seinem Haar auf den Stiefeln dieses Mannes beunruhigen. Er dachte nur noch daran, wie sehr er diesen herrischen Kerl verabscheute, dessen Gefangener er zu sein schien.

Tief atmete er ein. Die frische Luft tat ihm wirklich gut und sowie sich seine Lungen ein paar mal damit gefüllt hatte, fühlte er sich wieder wohler. Jedenfalls wohl genug, um Riplay zum Teufel zu wünschen. Warum hatte er, ausgerechnet er, diese ganzen Demütigungen mitanhören müssen. June wäre es lieber gewesen, er hätte Ceciles Worte zu Ohren bekommen. Dann hätte er nämlich gemerkt, was für eine heuchlerische Pute sie war. Ob das allerdings etwas an seiner Entscheidung geändert hätte, wusste der Blondschopf auch nicht. Dieser Mann schien wild entschlossen zu sein, seine Stiefmutter zu heiraten, egal was er schlechtes über sie zu hören bekam. Er seufzte und richtete sich schließlich auf, als die herrische Hand aus seinem Genick verschwand. Leicht schüttelte June den Kopf, um durch seine Locken wieder etwas sehen zu können. Wild fielen sie ihm über den Rücken und die Schultern. Anscheinend war das Haarband verloren gegangen, dachte er ein wenig deprimiert. Das hatte er sich ja von Anfang an gedacht.

Abermals glitt ein Seufzen über seine Lippen, doch er war erleichtert, dass die Übelkeit wenigstens einigermaßen verflogen war. Einen Moment lang blieb er still sitzen und war dankbar für die Dunkelheit, die sein Gesicht vor Riplay verbarg.

Er schämte sich unglaublich. Schlimm genug, dass er sich eingebildet hatte, Michele hätte hinter die verschlissene Kleidung geblickt und etwas anderes in ihm gesehen als einen heruntergekommenen Bauernjungen. Wer interessierte sich schon für jemanden wie ihn? Niemand eben und das hatte er wieder einmal deutlich zu spüren bekommen. Aber der Gipfel war, dass es ihn schrecklich verletzt hatte die Wahrheit zu hören, die er ja eigentlich schon kannte. Und dieser Mann, den er so absolut hasste, hätte nicht merken dürfen, wie sehr es schmerzte. Immerhin war er ein Junge und sollte über diesen Dingen stehen. Aber er hatte sich bereits den ganzen Tag über zusammengerissen, die Tuscheleien und abwertenden Blicke sowie Kommentare über sich ergehen lassen, dass es in diesem Moment einfach zu viel geworden war.

Jetzt musste er sich etwas einfallen lassen, um das Gesicht vor Riplay zu bewahren. Wie viel wusste er? Den Worten nach zu urteilen, hatte er fast alles mitbekommen. Trotzdem versuchte es June mit einer Ausrede.

»Ich hätte nicht so viel Essen dürfen…«, sagte er so leichthin, wie möglich. Sehr schnell merkte er jedoch, dass das ziemlich daneben war. Er hatte am Abend bisher überhaupt nichts gegessen und so dünn wie er war, nahm Riplay ihm das bestimmt nicht ab. Und so war es dann auch.

»Johnson, für wie dumm halten Sie mich? Ich habe auf der Terrasse gestanden und geraucht, als Sie durch die Tür gekommen sind. Ich habe meine Zigarre weggeworfen und bin auf Sie zugegangen, um sie auf einen Drink zu bitten. Daher war es mir vergönnt, jedes abschätzige Wort mit anzuhören, was diese Dame von sich gegeben hat. Aber wenn Sie ein richtiger Mann werden wollen, dann müssen Sie lernen damit umzugehen. Viele Frauen sind so und besser sie gewöhnen sich früher daran, als zu spät.«

Das war wie ein Schlag in den Magen und das mit voller Wucht. Genauso gut hätte Riplay ihn richtig verprügeln können, das hätte sicherlich die gleiche Wirkung gehabt.

June sah wieder zu Boden und kam sich immer jämmerlicher vor. Er konnte kaum noch die Tränen unterdrücken. So viel Schwäche wollte er sich zwar nicht eingestehen, aber es war genug! Wenn dieser Kerl ihn nur demütigen wollte, bitte. Es hackten gerade sowieso alle auf ihm rum und er konnte einfach nicht mehr. Doch gerade in diesem Moment erklang erneut die tiefe Stimme Riplays, der sich eine Zigarre angezündet hatte.

»Das Mädchen ist eine vorlaute dumme Gans, die Stroh im Kopf hat und der Junge mit dem sie geredet hat, ist ein großmäuliger Dummkopf. Es wäre absurd, wenn Sie sich von so etwas verletzen ließen, was einer von den beiden sagt.«

June blieb stumm und wandte sich ab.

Jetzt auf einmal wollte der Kerl nett zu ihm sein?

Das konnte er sich schenken. »Ich war nicht verletzt, dass Sie´s nur wissen«, meinte er, stand auf und trat auf den Weg. Zurück wollte June zwar auch nicht, aber es war immer noch besser, als noch länger mit Riplay allein hier zu sein.

Der Mann musterte ihn einen Moment wortlos, zuckte die Achseln und steckte sich den Stumpen wieder in den Mund. »Nein, natürlich nicht. Ich habe mich sicher getäuscht.«

Die leichte Ironie in der Stimme des anderen ließ June die Lippen zusammenpressen, bevor er wortlos den Rückweg antrat und Riplay einfach stehen ließ.
 

Im Saal hatte sich nicht viel verändert. Die Kapelle spielte nach wie vor und auf der Tanzfläche bewegten sich die Pärchen schwungvoll zu den fröhlichen Melodien. June kniff die Augen zusammen, als er eintrat, denn das helle Licht der Kronleuchter blendete ihn im ersten Moment. So fröhlich wie die Musik war seine Stimmung lange nicht, aber was sollte er schon anderes tun?

Im Garten sitzen und sich verstecken? Dann hatte er nur wieder Riplay am Hals. Sein erster Versuch sich zurück zu ziehen war auch von den beiden Riplay Damen vereitelt worden. Es sollte wohl nicht sein, dass er eine ruhige Minute an diesem Tag hatte. Mit hängenden Schultern ging er am Rand des Saals entlang, während er überlegte, was er tun sollte. Zum tanzen bekam ihn niemand mehr, soviel stand fest!

Da erblickte er durch die doppelte Flügeltür den etwas abgesonderten Raum, in dem die Getränke aufgestellt worden waren, unter anderem auch die Punschschale, von der er vorhin schon einmal ein Glas geholt hatte. Aber vorhin war es nicht für ihn gewesen und deshalb bediente er sich jetzt noch einmal. Durch die Blicke der älteren Herren ließ er sich nicht stören. Es war ihm inzwischen egal, was alle dachten. Dann sah er eben wie ein Bauerntölpel aus… na und? Ändern konnte er daran jetzt sowieso nichts. June wünschte nur, dass er diese Einstellung schon am Anfang gehabt hätte.

Mit dem Punschglas in der Hand setzte er sich in eine Ecke und ignorierte alles um sich herum, wohl wissend, dass sowieso niemand Kontakt zu ihm suchen würde und wartete einfach, dass der schreckliche Tag endlich ein Ende nahm.
 

***
 

Veni, vidi, vici; Ich kam sah und siegte. Diese Worte hatte einmal Julius Caesar ausgesprochen und Cloud Tanner wiederholte sie mit stummer Zufriedenheit, als er feierlich vor dem blumenbedeckten Altar der kleinen Kirche stand und zusah, wie seine zukünftige Frau hinter ihrem Stiefsohn durch den Gang geschritten kam.

Der Hochzeitsmarsch schwoll an, die Zuschauer beugten sich vor, um Cecile in ihrem Brautkleid besser sehen zu können, und Cloud lächelte. Alles, was er sich schon immer gewünscht hatte, stand kurz vor seiner Erfüllung.

Cecile Johnson und ihre Plantage entsprachen zwar nicht ganz den Reichtümern des alten Roms, aber ihm genügte sie. Oh ja, sie würde ihm durchaus genügen! Sie war hübsch, wohlerzogen, von guter Herkunft und gefügig, und sie war eine Dame. Nicht zu vergessen, dass sie reich war. Sehr reich sogar. Ohne die Plantage als Köder hätte Cloud ihr nie die Ehe angeboten. Vielleicht wäre er mit ihr ins Bett gegangen, aber geheiratet hätte er sie ganz bestimmt nicht. Er gestand sich ein, dass der Stiefsohn in gewisser Weise Recht gehabt hatte, als er ihn als Mitgiftjäger beschimpft hatte. Aber er hatte vor dafür zu Sorgen, dass Cecile bei diesem Geschäft nicht zu kurz kam. Und der Stiefsohn auch nicht, was das anging.

Er hatte vor sein Bestes zu geben, um Cecile ein guter Ehemann zu sein und wenn je ein kleiner frecher Bengel die sprichwörtliche eiserne Hand im samtenen Handschuh gebraucht hatte, dann war das June Johnson. Sie würden beiden davon profitieren, dass sie ihm die Plantage und ihr Leben anvertrauten.

So, wie sich die Dinge entwickelt hatten, konnte man von nicht mehr und nicht weniger als ausgleichender Gerechtigkeit sprechen. Er hatte an jenem unvergesslichen Morgen an Deck der Mississippi Belle gelobt, dass jemand dafür büßen würde, dass ihm sein Geld gestohlen worden war. Und es hatte sich heraus gestellt, dass derjenige, der diese Schuld wiedergutmachte, Logan Riplay war, der unwissentlich zurückgezahlt hatte, was er gestohlen hatte, indem er Cloud etwas gab, wofür er selbst keine Verwendung mehr hatte. Nämlich seine Identität! Und den unbenutzten Teil seines Lebens noch dazu.

Natürlich war es nicht Clouds ursprünglicher Plan gewesen „Riplays“ Identität anzunehmen. In der Hoffnung, irgendetwas zu finden, was ihn zu Hulton und zu seinem Geld führen würde, hatte er unwillig jedes Angebot zurückgewiesen, seine Hand zu behandeln. Stattdessen hatte er sorgfältig Riplays Habe durchwühlt. Er hatte ein wenig Bargeld gefunden, ein paar Kleinigkeiten – und einen Brief.

Den Brief hatte er ursprünglich wegen der Adresse eingesteckt. Als Absender war die Tulip Hill Plantage im Yazoo-Tal, Mississippi angegeben. Vielleicht würde sich Hulton dorthin begeben.

Dann war Alice mit einem Arzt im Schlepptau angerückt und hatte darauf beharrt, dass der Mann sich seine Hand ansah. Anschließend hatte Cloud tagelang nichts anderes getan, als zu fluchen, zu trinken und Hulton und sein Geld zu suchen, doch beides schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein.

Als Cloud endlich dazu kam, den Brief zu lesen, erfuhr er, dass er von Riplays beiden alten – und so wie es klang, etwas dämlichen – Tanten kam. Er hatte das Ding schon beinahe weggeworfen, weil es ihm völlig unbrauchbar erschien. Aber dann hatte er den Brief aus unerklärlichen Gründen doch behalten. Erst später, nachdem ihm die besten Ärzte in New Orleans versichert hatte, sie hätten alles getan, was in ihrer Macht stand, doch es sei zu bezweifeln, dass er die volle Beweglichkeit seiner Finger je wieder erlangen würde, fielen ihm Riplays Tanten wieder ein.

Der Messerstich hatte mehrere Nerven, Muskeln und Sehnen beschädigt. Für den Rest seines Lebens würde er gewisse Lähmungserscheinungen in der rechten Hand zurück behalten.

Die Hände eines Spielers waren sein ein und alles, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Seit seiner Kindheit hatte Cloud alles mit Karten anstellen können. Er hatte sich mit Kartentricks am Leben erhalten. Die Fingerfertigkeit und die Geschicklichkeit hatten es dem einstigen »schmutzigen Bauernbuben« ermöglicht, sich das Drum und Dran eines bequemen, manchmal auch luxuriösen Lebens zu leisten. Noch ein paar Jahre und er hätte für den Rest seines Lebens ausgesorgt gehabt.

Aber das war jetzt aus. Gleichzeitig mit seinem Geld hatte man ihm die Mittel geraubt, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Die Idee war ihm erst gekommen, nachdem er wochenlang zwischen betrunkenem Selbstmitleid und Wutausbrüchen infolge noch größerer Trunkenheit geschwankt hatte. Hektisch hatte er nach dem Brief gesucht und ihn noch einmal gelesen, diesmal jedoch aufmerksamer.

Riplays Tanten besaßen eine Baumwollplantage, was zweifellos hieß, dass sie reich waren. Und sie wollten diesen ganzen Klimbim ihrem Neffen vermachen, wenn er bloß käme und sie besuchen würde. Sie waren alt und einsam und er war ihr einziger männlicher Verwandter, der noch am Leben war. Sie liebten ihn so sehr, obwohl sie ihn nicht mehr gesehen hatte, seit er ein Wickelkind gewesen war.

Zu diesem Thema stand noch einiges da. Drei Seiten mit wirren, zittrigen Zeilen, die so sprunghaft das Thema wechselten, dass es schwer war, sich aus dem Brief etwas zusammen zu reimen. Doch es gelang Cloud das zusammen zu fassen, was für ihn die entscheidenden Tatsachen waren.

Zwei alte Damen, die nicht ganz klar im Kopf waren und keinen anderen Verwandten auf Erden hatten, waren gewillt, ihren – gewaltigen – weltlichen Besitz ihrem Neffen zu vermachen, wenn er sie bloß endlich besuchte.

Sie hatten nur das Pech, dass ihr Neffe tot war. Aber Cloud war nicht tot. Logan Riplay hatte ihm fünfundvierzigtausend Dollar und seine entscheidensten Voraussetzungen genommen, die er brauchte, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Logan Riplay war ihm etwas schuldig.

Cloud trieb jede Schuld ein, wenn es sich irgendwie machen ließ.

Er zweifelte keinen Moment daran, dass sich bei der Durchführung seiner Pläne ein paar unerwartete Komplikationen ergeben würden, doch er zweifelte auch nicht daran, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen würde. In den vielen Jahren, in denen er sich von seiner Geistesgegenwart ernährt hatte, hatte er gelernt, dass die Leute nur das sahen, was sie erwarteten, und im großen und ganzen fast alles glaubten, was man ihnen erzählte.

Wenn er sich bei den beiden tattrigen, alten Damen auf der Plantage Tulip Hill als verlorener und endlich heimgekehrter Neffe einführte, wer hätte das schon bestreiten sollen?

Cloud hatte sich das Hirn zermartert, aber das einzige, was ihm zu dem verstorbenen Logan Riplay einfiel, war, dass er groß gewesen war und schwarzes Haar gehabt hatte. Cloud hatte nicht die geringste Vorstellung davon, welche Augenfarbe dieser Kerl besessen hatte, aber wenn die alten Damen ihren räuberischen Neffen nicht mehr gesehen hatte, seit er ein Säugling war, dann würden sie sich an solche Kleinigkeiten wahrscheinlich auch nicht mehr erinnern.

Außerdem standen die Chancen, dass Riplay blaue Augen gehabt hatte, fünfzig zu fünfzig. Das war gar kein so übler Prozentsatz, wenn man es einmal näher betrachtete.

Und falls sich zufällig doch irgendwelche Fragen zu seiner Identität ergeben sollten, konnte Cloud zum Beweis dafür, der zu sein, der er behauptete, den Brief vorweisen, der an ihn, Logan Riplay, in Charleston, South Carolina gerichtet war.

Dazu kam sein flinker Verstand, der ihn in sechsundzwanzig Jahren noch nie im Stich gelassen hatte. Es sollte lachhaft einfach sein zwei alte Damen hinters Licht zu führen. Zudem würde er ihnen sicherlich ein besserer Neffe sein, als Logan Riplay, Dieb und fast auch Mörder, es ihnen je gewesen wäre.

Cloud hatte den Plan gefasst, sie eine Zeitlang zu besuchen, sich als Logan Riplay in ihrer Nähe nieder zu lassen, und dann, wenn die alten Damen aus dem Diesseits geschieden waren – der Tonfall ihres Briefs ließ darauf schließen, dass es nicht mehr allzu lange dauern konnte) zurückzukommen und sein Erbe anzutreten, und die gesamte Umgebung würde sich dafür verbürgen, wer er war.

Die besten Pläne waren immer die einfachsten. Es hatte alles noch besser geklappt, als er es erwartet hatte. Miss Flora und Miss Laurel waren ihm sofort um den Hals gefallen, als ihr Verwalter ihnen mitgeteilt hatte, wer er war, und sie hatten ihn auf der Stelle als ihren Neffen anerkannt. Seine Identität war nicht einen einzigen Moment in Frage gestellt worden.

Der einzige Haken war der, dass die beiden alten Damen trotz all ihrer Tattrigkeit bei bester Gesundheit zu sein schienen. Cloud wurde deutlich klar gemacht – es ging aus dem Plaudern der Damen Riplay über ihre langlebigen Vorfahren nur allzu deutlich hervor – dass es noch eine beträchtliche Anzahl an Jahren dauern konnte, ehe seine Intrigen endgültig Früchte tragen würden.

Nicht etwas, dass er den alten Damen etwas Böses gewünscht hätte, aber doch…

Und dann hatte er Cecile Johnson kennen gelernt, die reiche Witwe.

Solange ihm Miss Flora, die gerissenere seiner beiden Tanten, nicht deutlich dargestellt hatte, wie es um ihren Familienstand und ihre Finanzen bestellt war, hatte Cloud ihr kaum Beachtung geschenkt. Sie sah zwar recht gut aus, aber unter einer Horde von taufrischen Debütantinnen wäre sie ihm nicht gerade ins Auge gefallen.

Es gab jedoch viel, was für eine reiche Witwe sprach. Und wenn ihn eine reiche Witwe noch dazu mit allen Mitteln versuchte in ihr Bett zu locken, dann machte sie es ihm gerade lachhaft einach.

Cloud zeichnete sich mehr als durch irgendetwas anderes durch seine Anpassungsfähigkeit aus. Statt abzuwarten, bis die Damen Riplay aus dem Diesseits schieden, hatte er beschlossen seine Pläne zu ändern. Er würde seinen vielgerühmten Charme bei Mrs. Johnson spielen lassen, sie restlos betören und ohne weitere Umschweife sie und ihre Plantage heiraten. So kam er an das Land, das er sich immer erträumt hatte, und zu einem Lebensstil, der weit über seine kühnsten Träume hinaus ging.

Die Vorstellung, Cloud Tanner – nein, das musste natürlich Logan Riplay heißen – könne zum Landadel gehören und reicher Pflanzer und feiner Herr sein, gefiel ihm doch sehr gut.
 

***
 

»Geliebte Gemeinde…«

June stand etwas weiter links hinter seiner Stiefmutter und hielt Ceciles Brautstrauß aus weißen Rosen und Lilien und seine Finger zitterten dabei leicht. Der Süße Duft der Blumen stieg ihm in die Nase, als er die Worte hörte, die die Plantage der Aufsicht von Logan Riplay unterstellten. Wie schon auf der Feier war ihm einfach nur schlecht, als er das Hochzeitspaar beobachtete und er hätte alles dafür gegeben zu Hause bleiben zu können und sich das nicht antun zu müssen.

Dennoch musste June sich eingestehen, dass Riplay bisher die ganze Zeit nach der Verlobungsfeier recht nett zu ihm gewesen und auch nicht mehr handgreiflich geworden war. Was vorrangig wohl daran lag, dass June so wenig wie möglich in seiner und Ceciles Nähe gesprochen hatte. Aber er hatte auch gemerkt, dass dieser Mann eine weit freundlichere Natur besaß als Cecile sie je besessen hatte.

In den vielen schlaflosen Nächten, die er seit der Verlobungsfeier verbracht hatte, war June zu dem Glauben gelangt, dass Logan Riplay das Anwesen und die Menschen, die dazugehörten, weit besser beaufsichtigen würde, als Cecile es je getan hatte. Obwohl ihm dieser Gedanke wiederstrebte und es tief in seinem Inneren schrecklich weh tat darüber nachzudenken, war June ehrlich zu sich. Vielleicht würden sie ja irgendwann so etwas wie Freunde werden. Daran glaubte er zwar nicht so sehr, aber sie konnten sich ja nicht immer nur aus dem Weg gehen.

Jetzt stand er jedoch erst einmal hier und musste den Trauzeugen seiner Stiefmutter mimen. Diesmal trug er einen viel zu großen und etwas vergilbten weißen Anzug. Praktisch das Gegenteil seiner letzten Aufmachung. June hatte keine Ahnung wo Cecile diese Kleidung hervorgekramt hatte, doch es hatte sich praktisch in sein Hirn gebrannt, wie sie ihm den Anzug mit gönnerhaftem Gesichtsausdruck und zuckersüßer Stimme überreicht hatte.

Der vergilbte weiße Stoff vertrug sich überhaupt nicht mit seinem blonden Haar, doch June hatte es bereits aufgegeben sich über seine Aufmachung zu ärgern.

Es war ja doch immer dasselbe.

Cecile dagegen sah fantastisch aus. Ihre zarte Gestalt kam in einem schulterfreien, eisblauen Satinkleid sehr vorteilhaft zur Geltung. Wenn er es auch noch so ungern zugab, musste June eingestehen, dass sie sehr jung und sehr hübsch aussah. Wäre doch ihr Charakter bloß ein wenig ihrem Äußeren ähnlich, dachte er insgeheim.

»Willst du Cecile Elizabeth Johnson, diesen Mann zum…«

Sie legten ihre Gelübde ab. June beobachtete sie dabei und bemühte sich, seine Sorge nicht zu zeigen, als Cecile gelobte, ihren Mann zu lieben und zu achten und ihm gehorsam zu sein.

Dann war Logan an der Reihe.

»Willst du, Logan Michael Riplay…«

Seine Stimme war fest, als er vernehmlich gelobte, Cecile für den Rest ihres Lebens zu lieben und zu ehren.

»Den Ring, bitte.«

Seth Chandler hatte sich bereit erklärt, Logan beizustehen, und jetzt fummelte er einen Moment lang in seiner Tasche herum, ehe er den Ring fand.

Logan steckte ihn Cecile an. Seine Hand war groß und langfingrig, braun und kräftig, und nur eine rötliche Narbe, die sich diagonal über den Handrücken und die Handfläche zog, entstellte deren männliche Schönheit. Ceciles Hand dagegen war, schmal, zart, lilienweiß und im Vergleich zu seiner einfach winzig. Als er diese beiden Hände sah, durchzuckte June etwas, das sich nur als Sehnsucht beschreiben ließ. Dieses Gefühl kam tief aus seinem Inneren und er versuchte es zu unterdrücken. June wusste ganz genau wonach er sich sehnte. Nach allem, was er in den letzten Jahren bei Cecile nicht bekommen hatte, nämlich Zuneigung, aber das würde ihm wahrscheinlich auch jetzt nicht zuteil werden. Schließlich war er nun noch unerwünschter als vorher, ein Störfaktor in Ceciles perfekter Welt aus Lügen und Gehässigkeiten.

»Ich erkläre euch hiermit zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«

Logan küsste Cecile und sein dunkler Schopf beugte sich über ihren Brünetten. June konnte genau sehen, wie sie ihn einen Moment an den Schultern festhielt und ihre Nägel sich in seinen taubengrauen Frack gruben. Dann richtete sich Logan wieder auf. Cecile sah sich um, lachte und strahlte. Erneut durchzuckte June dieses seltsame Gefühl, diese Sehnsucht, doch er verdammte es in den hintersten Teil seines Kopfes.

Dann reichte er seiner Stiefmutter den Brautstrauß, und Cecile und Logan schritten Arm in Arm durch den Gang zur Tür, der Inbegriff eines glücklichen Brautpaares.

Seufzend beobachtete June, wie die ersten Gäste hinter den beiden hergingen und er reihte sich einfach ein. Als er auf die Kirchentreppe trat, hörte er auf einmal jemanden aufgeregt sprechen.

»Sie gehört mir! Ich sage euch, sie gehört mir! Sie hat sich mir hingegeben… Sie hat sich mir versprochen…!« June musste sich etwas durch die Leute kämpfen, bevor er sah, wer der Mann war und er schluckte. Es war Mr. Brantley, der Aufseher der Plantage. Ein kurzer Blick auf das Brautpaar zeigte June, dass beide regungslos erstarrt waren, während sie noch auf den Stufen standen. Dann wurde ihm bewusst, wie bedeutsam dieser Zwischenfall war und ihm wurde ganz flau im Magen.

Sollten Ceciles Lügen sie in diesem Augenblick in Gestalt von Ted Brantley einholen? Jahrelang hatte sie sich heimlich zum Haus des Aufsehers geschlichen. June hatte sogar selbst beobachtet, wie sie Abends nach dem Essen in diese Richtung gelaufen war. Das einzige was June jetzt noch wunderte, war, dass er nicht schon eher darauf gekommen war, was diese einsamen Spaziergänge zu bedeuten gehabt hatten. Aber schließlich hatte er geglaubt Cecile sei nicht so dumm das eigene Nest zu beschmutzen.

Offensichtlich hatte er sich getäuscht.

Auf dem Kirchplatz hatten sich die Arbeiter von Tulip Hill und Ceciles beziehungsweise nun der unter Logans Aufsicht stehenden Plantage versammelt. Nur den langjährigsten Hausangestellten war es gestattet gewesen, in der Kirche auf den hinteren Bänken zu sitzen. Alle übrigen hatten draußen gewartet, um dem Brautpaar zuzujubeln, wenn es aus der Kirche kam. Die meisten waren zu Fuß gekommen, aber ein paar Wagen standen auch da.

»Sie gehört mir! Sie ist schon seit Jahren die Meine!«

Mr. Brantley saß auf seinem Pferd. Er war von einem Meer von Gesichtern umgeben, vorwiegend Schwarze, die das Brautpaar beglückwünschen wollten. Er war so deutlich sichtbar wie ein Berg in der Ebene. Der Mann wankte im Sattel, was nur den Schluss zuließ, dass er sehr betrunken war, und zwar so sehr, dass er sich kaum im Sattel halten konnte. Aber Cecile auf der Treppe zu erkennen, das war ihm noch möglich.

»Cecile! Cecile, mein Liebling! Und was ist mit mir? Du liebst doch mich und nicht ihn! Das hast du doch selbst gesagt!«

Cecile stand regungslos, stumm und mit weißen Gesicht da, während sie krampfhaft den Arm ihres Bräutigams umklammerte und dabei über die Menge hinweg ihren einstigen Liebhaber anstarrte.

»Er ist übergeschnappt!«, sagte sie abschätzig. Dann fuhr sie mit ruhiger Stimme und kaltem Blick fort. »Schafft ihn fort!«

Die Sklaven, die Brantley am nächsten standen, traten voller Unbehagen von einem Fuß auf den anderen, sahen zu ihm auf und versuchten mit Gesten und gesenkten Stimmen, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber keiner von ihnen, nicht mal diejenigen, die am meisten an ihrem Leben auf der Plantage hingen, wagte es, die Hand gegen den weißen Aufseher zu erheben.

Keiner von ihnen machte sich genug aus Cecile, um dieses Risiko einzugehen.

Hinter June drängten immer mehr Besucher aus der Kirche und blieben auf den Stufen stehen. Diejenigen, die keinen Platz mehr fanden, stellten sich auf die Zehenspitzen und versuchten den anderen über die Schultern zu gucken. Von allen Seiten erhob sich ein schockiertes Murmeln.

»Ich soll also übergeschnappt sein, was? Du bist mit mir ins Bett gegangen und du hast gesagt, dass du mich liebst! Das kannst du nicht leugnen! Was ist mit den vielen Malen, die du zu mir gekommen bist, mit den Dingen, die du gesagt hast? Du gehörst mir, mir mir!!!«

Alle sahen fasziniert zu und lauschten gespannt. Die Gunst der Menschenmenge teilte sich in diejenigen, die entrüstet, und die anderen, die belustigt über das Geschehen waren. Aber niemand schien zu wissen, was er tun sollte, um dieser grässlichen Szene ein Ende zu bereiten.

Schließlich riss sich Logan mit vollkommen ausdruckslosem Gesicht von Cecile los und lief leichtfüßig die Stufen hinunter und auf den stämmigen, dunkelblonden Betrunkenen zu. Die Menge teilte sich wie das rote Meer. Logan erreichte Brantley, blieb neben ihm stehen, streckte die Hand aus und packte den Mann an seiner Jacke.

»Hee… was zu Teufel…!«, wehrte sich Brantley, als er aus dem Sattel gezerrt wurde. Dann erkannte er anscheinend die Gefahr, in der er schwebte und holte mit einem Heuwender aus, der Logan den Kopf abgerissen hätte, wenn er getroffen hätte.

Er traf jedoch nicht. Kurz darauf schlug Logan dem Mann eine Faust ins Gesicht, die den Kopf in seinen Nacken fliegen und Blut aus seiner Nase auf die Umstehenden spritzen ließ. Dieser eine Hieb reichte aus, um Brantley in sich zusammen sacken zu lassen.

»Du da«, winkte Logan einen Feldarbeiter heran, der in der Nähe stand. »Schaff diesen Lumpen fort!« Dann ließ er den bewusstlosen Brantley wie lästigen Müll zu Boden fallen.

»Ja, klar…« Sofort setzte der Arbeiter in Bewegung, während er mit weit ausgerissenen Augen für einen Moment seinen neuen Herrn ansah, bevor sein Blick auf den Aufseher glitt. Ein Wagen wurde geholt und Brantley, der nach wie vor bewusstlos war, aufgeladen.

Das Summen der Stimmen hinter June schwoll immer mehr an. Es legte sich jedoch abrupt, als Logan sich umdrehte und zur Treppe und zu seiner Braut zurück kehrte.

Eigentlich hätte June sich über diese Offenbarung freuen müssen, doch er tat es nicht. Vielleicht, wenn das früher passiert wäre, aber nun? Jetzt lag die Plantage eh schon in Riplays Händen und er glaubte nicht, dass dieser Mann sich das wieder nehmen lassen würde. Allerdings musste er Cecile tatsächlich irgendwie lieben, um über diese Sachen einfach hinweg zu sehen. June war gespannt, was nun passierte, wie Riplay sich Cecile gegenüber verhalten würde.

Als seine Stiefmutter ihren Mann auf sich zukommen sah, stand sie so weiß und reglos wie eine Marmorstatue da. Fast hätte June Mitleid mit ihr gehabt, aber nur fast. Schadenfreude empfand er aber auch nicht über die Situation. Er empfand gar nichts. Höchstens Bedauern darüber, dass sein zu Hause auf diese Weise einen schlechten Ruf bekam, aber das hatte es ja schon durch seine schäbige Erscheinung.

Cecile fürchtete sich mit jedem Schritt mehr, den ihr Mann auf sie zukam, das konnte June an ihren bebenden Nasenflügeln erkennen, und er roch es an ihrem Schweiß.

Wer hätte sich unter diesen Umständen nicht gefürchtet, dachte June mit teilnahmslosem Blick auf seine Stiefmutter. Dann musterte er Riplay, den er bereits wütend kennen gelernt hatte und er war schon ein bisschen froh, diesmal nicht derjenige zu sein, der das Objekt des Zornes dieses Mannes war.

Doch Logan versetzte alle Anwesenden in Erstaunen. Er schrie Cecile nicht an, er schlug sie nicht, und er widerrief zu Junes Leidwesen auch nicht die Gelübde, die er gerade abgelegt hatte.

»Du musst etwas an dir haben, was die Männer vor Liebe in den Wahnsinn treibt«, sagte er leichthin, als er wieder neben Cecile stand. »Ich sollte mich hüten, das mich dieses Schicksal nicht auch noch ereilt.«

Dann lächelte er Cecile zu Junes Verblüffung an, so, als hätte er nicht den geringsten Glauben, dass in Brantleys Behauptungen auch nur ein Fünkchen Wahrheit steckte.

Ein paar Minuten ließ er sich zum Narren halten, beobachtete Riplay ganz genau aus leicht zusammengekniffenen Augen. June spürte, wie die Spannung in der Menge nachließ, wie alle enger zusammen rückten und sich zu dem Zwischenfall äußerten, als sei es ein Tribut an Ceciles Schönheit gewesen.

Cecile ihrerseits hielt sich prachtvoll. June sah zu, wie seine Stiefmutter und Logan Glückwünsche der Menge entgegen nahmen und die unvermeidlichen Scherze über sich ergehen ließen. Dennoch wunderte sich June. Cecile war um Haaresbreite einen Skandal um ihre Tugend entgangen, der ihren Namen für alle Zeiten beschmutzt hätte. Und ihr frischgetrauter Ehemann, derjenige, den ihre Tugend, oder ihr Mangel an Tugend direkter betraf, als irgendjemand anderen, hatte sie am Rande des Abgrundes gerettet und anscheinend gar nicht gemerkt, wie tief dieser Abgrund gewesen war.

Daher fragte er sich, ob Logan vielleicht, ganz vielleicht wirklich glaubte, an Brantleys Prahlereien sei nichts dran gewesen. Das es nichts weiter war als das leere Gefasel eines Betrunkenen, der Liebeskummer hatte. Sicherlich… Logan hielt sich für einen unwiderstehlichen Kerl, das wusste June, aber für dumm hielt er ihn eigentlich nicht.

Schließlich hatte Logan Cecile beim Einsteigen geholfen, und als er sich umdrehte, sah er in Junes Augen.

In diesem Moment las June in den eisblauen Tiefen die Wahrheit: Als er erst vor kurzem seine Stiefmutter als Hure bezeichnet hatte, hatte Logan ihn beschuldigt, ein Lügner zu sein, und er hatte ihn dafür geschlagen. Jetzt war er offensichtlich bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass June eventuell doch die Wahrheit gesagt hatte.
 


 

Tbc...
 

© by desertdevil

Das pure (Un)Glück der EHE!

Hallöchen...

Ich kann mich ja nur entschuldigen, dass es so lange gedauert hat *seufz*

Aber mit dem nächsten Kappi gehts wieder ein wenig schneller, da hab ich wenigstens schon angefangen ^^

*Schokokuchen hinstell*

Viel Spaß beim Lesen.

Hoffe es gefällt noch wem, auch wenns noch kein Lemon gab. Aber das kommt noch, versprochen!!
 


 

Kapitel 06
 

Das pure (Un)Glück der EHE!
 


 

Die Hochzeitsreise dauerte nicht länger als drei Wochen. Sie hätte doppelt so lange dauern sollen, doch am ersten Juli sah June, als er gegen Mittag auf dem Balkon im Schatten saß, den Einspänner näher kommen, der ihm inzwischen mehr als vertraut war.

Auf gespenstische Weise wiederholte sich die Szene, die er mitangesehen hatte, als Logan Riplay ihm das erste Mal unter die Augen gekommen war. Und wieder verspürte er ein gewisses Unbehagen, wenn auch nicht so sehr, wie zu Anfang.

Obwohl er eigentlich nicht wollte, stand June auf und ging zum Geländer, lehnte sich an und beobachtete die Ankömmlinge.

Der Stallknecht Thomas kam herausgerannt. Logan stieg ab und mit seinem dunklen Anzug, Hut und Mantel schien er bei achtunddreißig Grad gar nicht zu wissen, was schwitzen hieß. Mit dem Ärmel seines viel zu großen Baumwollhemdes wischte June sich den Schweiß von der Stirn und zog verdrossen die Augenbrauen zusammen, ehe er ein leises Seufzen ausstieß.

Logan ging nun um die Kutsche herum, um Cecile beim Absteigen behilflich zu sein. Diese ließ seine Hand in dem Moment los, in dem ihre Füße den Boden berührten und June konnte selbst auf diese Entfernung die Feindseligkeit spüren, die zwischen den beiden herrschte. Na das war bestimmt eine tolle Hochzeitsreise gewesen, dachte June. Schließlich hatte Cecile sich benehmen müssen, nach dem Skandal, den es beinahe schon nach der Trauung gegeben hatte.

Dann bemerkte er, dass sie zu dritt gekommen waren. Der Besucher war ein großer, schlaksiger Mann mit braunem Haar. Er war fast so elegant gekleidet wie Logan, doch die Ausstrahlung war einfach nicht dieselbe, stellte June fest und schalt sich einen Dummkopf. Jetzt verglich er schon andere Männer mit seinem ungebetenen »Stiefvater«.

Cecile sagte etwas zu ihm und er nickte. Anschließend kamen sie zu dritt die Treppe herauf, Cecile voran und die beiden Männer hinterher.

Eigentlich hatte June sich verkrümeln wollen, denn er konnte darauf verzichten, die Ankömmlinge freundlich zu begrüßen. Dafür schaltete er jedoch zu spät und ihm blieb nichts weiter übrig.

Mit einem knappen »Hallo« gab er ihnen zu verstehen, dass er sie zur Kenntnis genommen hatte, drückte aber auch aus, dass es ihn überhaupt nicht freute, sie schon so zeitig zu sehen. Kritisch sah er seine Stiefmutter an. Cecile war zwar wie immer tadellos gekleidet und trug ein apfelgrünes Reisekleid mit einem raffinierten Hut, der tief in der Stirn saß. Aber sie wies wenig Ähnlichkeit mit der glücklichen Braut auf, die gerade aus den Flitterwochen gekommen war. Ihr Gesicht war blass und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Als sie June ansah, waren ihre Lippen fest zusammengekniffen.

»Logan hat die Vorstellung gar nicht gefallen, dass wir die Plantage ohne jemanden zurücklassen, der genügend damit vertraut ist, um die Aufsicht zu führen. Daher mussten wir zurück kommen. Ich verstehe allerdings nicht, warum wir nicht einfach Graydon vorausschicken und unsere Hochzeitsreise wie geplant fortführen konnten«, gab sie eine bissige Erklärung ab, die June eigentlich gar nicht hatte hören wollen. Er nahm an, dass Cecile das nur tat, um Logan zu verärgern. Und prompt fuhr Logan auch dazwischen.

»Das haben wir eindutzendmal ausdiskutiert, Cecile. Solange dein Cousin nicht eingearbeitet ist, kann man nicht von ihm erwarten, dass er eine Plantage von dieser Größenordnung ohne Anleitung führt. Außerdem will ich mir die Bücher ansehen und mir selbst ein Bild davon machen, wie die Dinge stehen.«

Logans Erwiderung war höflich, aber man konnte klar erkennen, dass seine Geduld kurz vor dem Zerreißen stand.

»Und ich habe dir ebenso oft gesagt, dass Graydon auf Bascomb Hall in den letzten sechs Jahren alles organisiert hat. Um Himmels willen, er hat Erfahrung genug. Du machst nur Schwierigkeiten, um mir eins auszuwischen!«

»Ich glaube dieses Gespräch sollten wir lieber unter vier Augen weiterführen, meinst du nicht auch?« Logans Tonfall war immer noch freundlich, aber seine Augen waren plötzlich so stahlhart, wie June sie bereits am Anfang kennen gelernt hatte. Cecile warf ihm einen nahezu hasserfüllten Blick zu.

»Ich werde mich jetzt hinlegen! Ich habe Kopfschmerzen. Wenn du auch nur das geringste Einfühlungsvermögen besessen hättest, hättest du nicht von mir verlang bei dieser Hitze zu reisen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Cecile ins haus, setzte ihren Hut ab und rief nach Minna, ihrer persönlichen Zofe.

June sah seiner Stiefmutter zweifelnd hinterher, bevor sein Blick auf Logan fiel. Er wusste nicht, wie dieser Mann es geschafft hatte, aber es bestand jetzt schon kein Zweifel daran, wer in dieser Ehe das Sagen hatte. June wusste, wie sehr Cecile darauf versessen war, ihren Kopf durchzusetzen. Und wenn er die Oberhand so schnell gewonnen hatte, dann musste das von seiner Seite aus einiges erfordert haben.

»Hallo, June.« Logan sah Cecile nach und lächelte den Blondschopf dann matt an. June blieb stumm, denn er hatte vorhin schon gegrüßt. Außerdem war es ihm unangenehm so vor den beiden Männern zu stehen und unheimlich noch dazu, weil Logan ihn anlächelte. Das war bisher nur ganz selten vorgekommen, obwohl er bereits vor der Hochzeitsreise recht nett gewesen war. Trotzdem fühlte er sich in dessen Gegenwart immer noch unwohl.

»June, das ist Mr. Graydon. Er ist Ceciles Cousin und der neue Aufseher dieser Plantage. Graydon, das ist Mr. Johnson, Ceciles Stiefsohn.«

»Guten Tag, Mr. Johnson.« Graydon reichte ihm die Hand, doch June, der vor einem Verwandten Ceciles instinktiv auf der Hut war, nickte lediglich und ignorierte die angebotene Hand, obwohl er wusste, dass es unhöflich war.

Logan sah ihn mit einem undefinierbaren Blick an, der wohl bedeuten sollte, dass sie darüber nachher noch reden würden und June verdrehte innerlich die Augen, ließ sich aber vorerst nicht weiter davon irritieren.

»Gibt es jemanden, der Mr. Graydon zum Haus des Aufsehers begleiten und ihm fürs erste helfen kann?«, fragte er an June gerichtet und machte sich dadurch nicht gerade beliebter bei dem Blondschopf.

June zögerte eine Weile, maß den Fremden mit einem weiteren Blick, bevor er unwillig antwortete. »Ich werde jemanden holen, der sich drum kümmert.«

Kurz verschwand June im Haus. Sonst hatte sich Charity immer um den letzten Aufseher, Mr. Brantley gekümmert. Sie war daran gewöhnt und würde nichts dagegen haben. Er fand sie kurze Zeit später in der Küche und erklärte ihr freundlich, dass Logan etwas von ihr wollte. Sogleich kam sie mit nach draußen, stellte sich mit gesenktem Kopf vor und wies dann in Richtung des alten Aufseherhauses.

»Wenn sie mir bitte folgen würden, Mr. Graydon.«

»Es war mir ein Vergnügen, ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Johnson«, sagte Graydon beim Gehen, tippte sich leicht an seinen Hut und June nickte ihm leicht zu.

Nun war er allein mit Logan und fühlte sich noch unwohler, als vor einem Moment, wo Graydon noch da gewesen war.

»Mein Gott, diese Hitze…«, sagte Logan nach einer Weile des Schweigens und ließ sich auf einen Stuhl im Schatten fallen. »In der Hölle kann es nicht heißer sein, als im Sommer im Mississippi.« Er setzte seinen eleganten Hut ab und fächelte sich Luft zu, während er das Gepäck im Auge behielt, das Thomas und Fred, ein gleichaltriger Junge vom Wagen luden und im Gras neben der Auffahrt stapelten.

»Es ist noch nicht annähernd so heiß, wie es im August sein wird…«, meinte June in neutralem Tonfall, aber nichts desto trotz ein wenig belehrend.

»Gott behüte«, erwiderte Logan daraufhin und June konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. War dieser Mann der Hitze gegenüber doch nicht so gelassen, wie er sich die ganze Zeit gegeben hatte.

»Und? Was hast du in den letzten Wochen mit dir angefangen?«

Nach der Frage blieb es kurz still. June war überrascht, dass der Schwarzhaarige Interesse an ihm zeigte. Er wusste nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte. Es war etwas ganz neues für ihn, denn bisher hatte sich niemand sonderlich darum gekümmert, was er tat.

»Hm… na ja… ich bin geritten. Und sonst habe ich die meiste Zeit mit Jasper gespielt…«, erzählte June langsam. Logans Augen ruhten nun auf ihm und allzu wohl fühlte er sich immer noch nicht unter dem musternden Blick.

»Jasper?« Fragend zog der Mann die Augenbrauen hoch.

»Das ist mein Hund«, erklärte June schnell.

»Du meinst doch nicht etwa, dass dieser riesige, verlauste Köter, den ich bei den Ställen gesehen habe, dir gehört, oder doch?«

»Er hat keine Läuse!«, schnauzte June sofort zurück. So eine Beleidigung seiner Freunde konnte er sich einfach nicht bieten lassen und er war sauer darüber, dass dieser Kerl sich anmaßte überhaupt über seine Tiere zu urteilen, obwohl er sie noch nicht mal richtig kennen gelernt hatte. Und jetzt grinste er auch noch!

»Aber alles andere gibst du zu. Und jetzt sieht mich nicht so böse an. Ich mag Hunde.«

Allein diese Äußerung schaffte es, June wieder zu beruhigen.

»Ach so…« Einen Moment lang hatte er nämlich befürchtet, Logan könnte Tiere genauso hassen wie Cecile sie hasste. Aber eigentlich hätte er sich denken können, dass es nicht so war. Logan war nämlich ganz anders als seine Stiefmutter und ein klitzekleines bisschen mochte er ihn auch, selbst wenn er sich das noch nicht wirklich eingestehen konnte.

»Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.«

Er sagte die Worte ganz beiläufig, doch seine Augen beobachteten June lächelnd, während er auf eine Reaktion wartete.

»Du hast… was?« Seine Worte kamen für June weit mehr als unerwartet. Seit dem Tod seines Vaters hatte ihm niemand außer den Dienstboten je ein Geschenk gemacht. Zuerst war er misstrauisch, beäugte den Mann vor sich, weil er rausfinden wollte, ob dieser ihn nur auf den Arm nehmen wollte. Doch schließlich fragte er leise: »Wirklich?«

Eine seltsame Anspannung hatte von ihm Besitz ergriffen und er biss sich immer noch zweifelnd auf seine Unterlippe. Der Gedanke, dass ihm jemand etwas schenkte, war einfach so abwegig, dass er irgendwie nicht daran glauben konnte.

»Hand aufs Herz. Wenn ich’s doch sage.«

Sein Misstrauen hatte sich immer noch nicht ganz gelegt und June dachte fieberhaft nach, welche Vorteile sich Logan erhoffte, wenn er ihm ein Geschenk machte. Doch er fand nichts und bald schon siegte seine Neugier.

»Was.. was ist es denn?«, fragte er leise und war etwas verlegen, aus welchen Grund wusste er allerdings auch nicht.

Logan schüttelte den Kopf. »Willst du nicht lieber abwarten, bis du es siehst? Es ist im Gepäck. Wenn ich mich nicht irre, ist es sogar in genau der Kiste, die diese Jungen gerade unter dem Sitz hervorgezogen haben.«

June folgte Logans Blick und erspähte die Schachtel, die gerade auf eine der anderen gestellt wurde. Er zögerte. War es richtig sich von jemandem Geschenke machen zu lassen, den er nicht leiden konnte? June wusste es nicht. Zweifelnd sah er Logan wieder an und überlegte intensiv, was er nun tun sollte. Eine Seite in ihm wollte einfach nur hinrennen und das Geschenk auspacken, die andere blieb weiterhin misstrauisch und vermutete einen Köder dahinter. Noch lagen beide Seiten im Streit darüber, wie er handeln sollte, doch schließlich siegte seine Neugier.

»Darf… darf ich hingehen und es mir ansehen?«, fragte June zurückhaltend, ohne sich jedoch zu rühren. Ein verständnisvoller Blick aus blauen Augen traf auf ihn und June sah schnell zur Seite, weil ihn erneut so ein seltsames Gefühl durchrieselte.

»Geh hin und holt das Päckchen, aber mach es hier oben auf, damit ich zusehen kann.«

Obwohl June dem anderen immer noch nicht ganz traute, entschloss er sich, nicht bei jeder Kleinigkeit, die Logan ihm zukommen ließ einen Hintergedanken zu vermuten.

Langsam ging er die Treppe hinunter und hob das Päckchen auf. Es war eine große, flache Schachtel, aber sie war nicht besonders schwer.

Was konnte das bloß sein?

Noch langsamer kehrte er zum Balkon zurück. Logan erwartete ihn bereits mit einem sanften Lächeln und als June es sah, vergaß er beinahe sein Geschenk wieder. Er schluckte, konzentrierte sich schnell wieder auf die Pappschachtel und konnte eine gewisse Vorfreude nicht unterdrücken. Es war ebenfalls ein Gefühl, das ihm fast vollkommen neu war und June musste gestehen, dass es ihm gefiel.

»Na mach schon, pack es aus«, wies Logan ihn ungeduldig an, als June die Schachtel auf den Boden legte, sich daneben kniete und die dezenten silbernen Schleifen bewunderte. Mit einem scheuen Lächeln sah June zu dem anderen auf, bevor er die Bänder löste.
 

Die Bänder gelöst, hob der Blondschopf den Deckel von der Schachtel und blieb dann einen Moment lang reglos sitzen und starrte den Inhalt an. Das, was in der Schachtel lag, war zusammen gefaltet und daher konnte er nicht sicher sein, aber es schien sich um einen Anzug zu handeln. Er berührte ihn fast zögernd. Der Anzug war aus dem feinsten Stoff, den June jemals gesehen hatte und er war natürlich modisch schwarz.

»Nimm ihn raus und schau ihn dir an«, forderte Logan ihn auf, der sachte auf seinem Stuhl vor und zurück schaukelte und June sanft anlächelte.

Der Aufforderung folgend zog der Blondschopf die Anzugjacke aus der Schachtel, stand damit auf und hielt sie auf Armeslänge von sich , um sie besser ansehen zu können. Sie hatte einen einfachen Schnitt, war an der Taille ein bisschen eingenäht, um die schlanke Figur des Trägers zu betonen.

»Die Hose liegt noch in der Schachtel«, wies Logan ihn darauf hin und nickte in besagte Richtung. June sah von der Jacke zur Hose und schließlich wanderte sein Blick zu Logan. Kurz zweifelte er, ob er sich überhaupt dafür bedanken sollte, doch seine gute Erziehung siegte. »Der Anzug sieht sehr schön aus, danke… Aber Sie hätten mir kein Geschenk mitbringen müssen.« Es klang fast mürrisch, wie June das sagte und es war ihm irgendwie peinlich von dem anderen etwas geschenkt zu bekommen, wo sie sich doch gar nicht kannten und noch nicht mal richtig leiden konnten.

»Ich weiß, dass ich das nicht zu tun brauchte. Aber ich wollte es tun. Schließlich gehören wir ja jetzt zu ein und derselben Familie. Und außerdem ist der Anzug ebenso sehr ein Geschenk von Cecile wie von mir«, erklärte der Schwarzhaarige, doch June wusste, dass das nicht stimmte. Zumindest der letzte Teil nicht. Cecile war mehrfach im Jahr fortgefahren und hatte ihm noch nie auch nur die kleinste Kleinigkeit mitgebracht. Die Vorstellung Cecile könnte in ihren Flitterwochen an ihren ungeliebten Stiefsohn denken, war einfach lachhaft. Aber das sprach June wohlweislich nicht aus. Er hatte dazugelernt, und zwar, dass es besser war seinen Mund zu halten, wenn er sich nicht noch einen größeren Feind schaffen wollte.

Es fiel ihm immer noch schwer sich klarzumachen, dass Cecile jetzt Logans Frau war. Wenn er vorher die unerfreuliche Wahrheit über sie nicht hatte hören wollen, dann würde er sich jetzt zweifelsohne noch mehr dagegen wehren.

Und noch mal wollte er den Dunkelhaarigen nicht unbedingt gegen sich aufbringen.

»Wo… wo haben Sie bloß so etwas Schönes her?« Bewundernd strich er mit einer Hand erneut über den feinen Stoff und ignorierte Logans letzte Äußerung. Die Anzugjacke sah wirklich großartig aus und June konnte sich gar nicht daran satt sehen. Wenn der Anzug an ihm auch nur halb so gut aussah, wie in der Hand…

»Aus Jackson. Cecile hat mich durch so viele Geschäfte geschleift, dass ich dir wirklich nicht sagen kann, aus welchem der Anzug kommt.«

»Hm…« Das glaubte June ihm aufs Wort. Obwohl er nie mit Cecile einkaufen war, konnte er sich blendend vorstellen, wie sie Ihre Zeit verbracht hatte, denn die Stapel an Kartons, die sie bisher jedes Mal mitgebracht hatte waren ebenso monströs wie der, der sich bereits auf dem Rasen stapelte. Dann kam dem Blondschopf jedoch eine andere Sache in den Sinn und er runzelte die Stirn.

»Woher.. woher haben Sie gewusst, wie… also welche Größe der Anzug haben muss?« In June keimte der entsetzliche Verdacht auf, dass das Kleidungsstück zu klein oder zu groß für ihn sein könnte. Wenn Cecile bei der Bestellung auch nur ein Wort mitgeredet hatte, war es bestimmt zu klein. June ein hübsches Geschenk zu machen, dass er nie anziehen konnte, das hätte Cecile ähnlich gesehen. Wenn der Anzug nicht unmöglich geschnitten war, und das war er nicht, dann bestand ja vielleicht noch die Möglichkeit etwas aus den Säumen auszulassen.

»Ich habe der Schneiderin gesagt, deine Maße seien…« Logan zeigte mit den Händen eine Höhe und eine Breite und grinste June frech an, auf dessen Wangen sich daraufhin eine leichte Röte zeigte, als er dem anderen zusah. Der Blondschopf verfluchte sich dafür, überhaupt gefragt zu haben, senkte den Blick und kaute unsicher auf seiner Unterlippe herum, als Logans Stimme erneut erklang.

»Nein, das habe ich natürlich nicht getan. Ich gebe zu, dass ich bestimmte Maße sehr gut schätzen kann.«

Zum Glück hatte Logan nicht »weibliche Maße« gesagt, dann wäre es June sicher noch peinlicher gewesen. Aber er konnte schon aus dem Tonfall heraus hören, was der andere eigentlich hatte sagen wollen und seufzte leise.

»Aufgrund von viel Erfahrung bei Frauen, vermute ich?«, konnte er sich ein Sticheln nicht ganz verkneifen. Erneut wurde er ein wenig rot um die Nase, wollte sich aber Logans leichtem Spott nicht beugen. Logan lehnte sich daraufhin in seinem Stuhl zurück, ohne ihm eine Antwort zu geben, aber sein vielsagender Blick reichte June als Antwort vollauf. Er hob seine gerade kleine Nase vorwurfsvoll und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder der Anzugjacke zu. Er hielt sie an sich. Wenigstens stimmte schon mal die Länge.

»´tschuldigung, Massah Riplay, aber wohin soll ich Ihre Sachen bringen?« Thomas stand mit einem Reisekoffer in jeder Hand auf der Treppe und sah erwartungsvoll zu ihnen auf, während Fred gerade den Wagen wegbrachte.
 

»In Miss Ceciles Zimmer. Wenn du nicht weißt wo es ist, dann lass es dir von jemandem zeigen.«

»O doch, das weiß ich ganz genau.« Thomas grinste. »Ich kenne mich bestens in diesem haus aus. Bin unterm Parterre geboren worden.«

»Ach, wirklich?« Logans Stimme drückte gebührende Achtung aus.

»Ja, das stimmt. Rosa – das ist unsere Köchin – ist seine Mutter und hat es nicht mehr rechtzeitig zum Krankenrevier geschafft. Das ist Thomas«, stellte June ihn nachträglich vor. Thomas neigte den Kopf.

»Es freut mich, dich kennen zu lernen, Thomas. Da du den Weg kennst, kannst du die Sachen ja ins Haus bringen.«

»Ja, klar. In Miss Ceciles Zimmer.«

Damit verschwand der Junge im Haus und Logans Aufmerksamkeit wandte sich wieder June zu. »Na jetzt geh schon, probier den Anzug mal an«, forderte er ihn auf und June fühlte sich völlig überrumpelt. »Oh, aber, ich…«, stotterte er unsicher und fürchtete plötzlich, der Anzug könnte ihm wirklich nicht passen. Außerdem musste er das ja dann Logan gegenüber eingestehen und das wäre ihm viel zu peinlich.

»Nun geh schon. Sonst bekomme ich noch den Eindruck, dass dir mein Geschenk nicht gefällt.«

June blieb noch eine Weile zögernd stehen, war sich unschlüssig, was er nun tun sollte. Aber aus irgendeinem Grund, den er selber nicht verstand, wollte er dem Mann den Gefallen tun. Seufzend, und mit ungefähr so viel Freude, als würde er einen Strick aufheben, mit dem er sich erhängen sollte, hob June die Schachtel mit den anderen Kleidungsstücken auf und wandte sich zur Tür.

»Komm wieder her und lass dich ansehen, wenn du den Anzug anhast«, rief Logan ihm nach und June verzog nur das Gesicht zu einer Grimasse. Wenn er fürchterlich in dem Anzug aussah, würde er sich von nichts auf der Welt vor die Tür zerren und von dem anderen betrachten lassen. Soviel stand schon mal fest!

Trotz seine Befürchtungen stellte sich heraus, dass der Anzug recht gut saß. Anscheinend hatte Logan wirklich eine Menge Erfahrung im Abschätzen von bestimmten Maßen. Als er mit allem fertig war und auch seine Haare noch ein bisschen in Ordnung gebracht hatte, wandte sich June dem Spiegel zu.

Der junge Mann, der ihn aus dem Spiegel ansah, war eine Offenbahrung. Sicherlich war er klein, aber selbst mit der kühnsten Fantasie hätte man ihn nicht als mager bezeichnen können. Der weiche Stoff schmiegte sich schmeichelnd um seine schlanke Gestalt und dadurch, dass die Taille ein wenig gerafft war, sah er zwar schlank, aber dennoch sehr elegant aus. Außerdem fühlte sich der Stoff sehr angenehm an, nichts zwickte oder schnürte ihm die Arme ab und June konnte den Blick gar nicht von seinem Ebenbild abwenden. Eigentlich hatte er sich nie besonders attraktiv gefunden, doch durch die fast perfekt sitzende neue Kleidung wirkte auch sein Gesicht sehr hübsch. Seine Augen leuchteten in einem funkelnden satten Grün und strahlten vor Aufregung, wirkten dadurch viel interessanter als sonst. Zum ersten Mal nahm June auch seine langen hellen Wimpern wahr und war einfach nur sprachlos über sein Erscheinungsbild. Was ein eleganter Anzug doch aus einem Menschen machen konnte, dachte er insgeheim und seufzte leise.

Das einzig unpassende waren jetzt nur noch seine langen blonden Locken, die bereits wieder anfingen sich aus dem Zopf in seinem Nacken zu lösen. Vielleicht sollte er sie einfach abschneiden? Energisch schüttelte June den Kopf. Er mochte seine Haare und würde sich nie so einfach davon trennen können, egal was die Leute redeten. Bisher hatte ihm immer Rosa die Spitzen geschnitten, oder wenn er keine Lust gehabt hatte sich jemand anderem auszuliefern, hatte er sie sich auch selbst schon einmal ein Stück gestutzt.

Unschlüssig stand June noch eine Weile vor dem Spiegel und überlegte, ob er runter gehen und sich zeigen sollte, so wie Logan es verlangt hatte. Letztendlich zuckte er jedoch mit den Schultern. Es war ja nichts dabei. Er sah gut aus, besser, als in seinem bisherigen Leben und brachte sich dafür nicht zu schämen. Mit einem letzten Blick in den Spiegel, verließ June sein Zimmer. Aus dem hässlichen Entlein war zwar nicht wirklich ein Schwan geworden, oder doch zumindest ein vorzeigbares kleines Entlein.

Logan saß noch da, wo er ihn zurückgelassen hatte, und lehnte sich behaglich auf dem Schaukelstuhl zurück. Jemand hatte ihm ein Pfefferminzgetränk gebracht, an dem er ab und zu nippte. Sein Hut lag neben dem Stuhl auf dem Boden.

Er hörte June nicht auf die Veranda kommen. Einen Moment lang stand der Blondschopf stumm da und war unentschlossen. Sollte er vielleicht doch ins Haus zurück gehen, ohne dem anderen den Anzug zu zeigen? Bestimmt hatte Logan nur aus Freundlichkeit gesagt, dass er ihn in seinem neuen Anzug sehen wollte. Er hatte ihm zwar den Anzug gekauft, aber das musste ja noch nicht heißen, dass er ihn auch mochte. Möglicherweise wollte Logan sich auch nur bei ihm einkaufen, meldeten sich wieder Zweifel in June und er wollte sich gerade wieder auf dem Ansatz umdrehten, als er die tiefe Stimme des Mannes vernahm.

Ein leichter Schauder lief ihm über den Rücken, doch June ignorierte das.

Logan drehte sich um und sah ihn an.

June spürte eine seltsame Nervosität in seiner Magengrube aufsteigen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Er holte tief Atem und ging entschlossen ein paar Schritte auf den Mann zu.

Wortlos sah Logan ihm entgegen. Sein Gesicht war ausdruckslos und sein Blick undefinierbar.

Mit keiner anderen Reaktion hätte der andere ihn derart verunsichern können. June blieb stehen und verschränkte instinktiv die Arme vor der Brust, sah leicht trotzig zu ihm rüber.

Logan sagte noch immer nichts, sondern musterte ihn nur mit diesen himmelblauen Augen, die so unergründlich wie Glas waren.

»Was ist?«, fauchte June fast schon ungehalten, weil er das Schweigen kaum ertrug. Wahrscheinlich hatte er sich in seinem Spiegelbild doch geirrt und war einer Fata Morgana unterlegen. Oder es war ein Streich gewesen, der ihm das Licht gespielt hatte, wie auch immer. Gerade wollte June sich umdrehen, als erneut die tiefe Stimme erklang.

»Du siehst sehr elegant aus, wie ein Gentleman«, sagte Logan anerkennend und lächelte.

Das flaue Gefühl in seinem Magen legte sich, genauso wie die Unsicherheit, die von ihm Besitz ergriffen hatte und auf seinen Lippen erschien sogar ein scheues Lächeln.

Dann herrschte wieder für einen Moment Schweigen und June knetete seine Finger, weil er sonst nichts mit ihnen anzufangen wusste.

»Das… das liegt nur an dem Anzug«, meinte er dann bescheiden und hatte sich soweit wieder im Griff, dass er Logan ansehen konnte.

Dieser schüttelte nur den Kopf.

»Nein, June. Es liegt nicht nur an dem Anzug. Du steckst in dem Anzug, und du siehst wirklich wunderbar aus. Du darfst dich nicht unterschätzen.«

Junes Kehle schnürte sich zu. Aus irgendwelchen absurden Gründen brachte das Kompliment dieses Mannes ihn fast zum Weinen. In der Welt, in der er aufgewachsen war, war Freundlichkeit etwas Rares und Kostbares, ja, geradezu unbezahlbar. Und jetzt war dieser Fremde auf einmal so nett zu ihm. June konnte das gar nicht fassen. Vor allem, weil ihr Start ja nun wirklich nicht sehr gut gewesen war und June sich eigentlich vorgenommen hatte, sich nicht von dem Kerl einwickeln zu lassen.

Nachdem seine großen Augen eine Weile überrascht auf Logan geruht hatte, wandte sich June ab und lief eilig auf die Tür zu, ehe er sich noch mehr in Verlegenheit bringen konnte.

»June…«

Er sollte nie er fahren, was Logan sagen wollte, denn in exakt dem Moment kam Cecile durch die Tür und hielt ein halbvolles Glas Tomatensaft in der Hand. Als sie June sah, blieb sie entgeistert stehen. Sie musterte June von Kopf bis Fuß und dabei wurden ihre Augen erst größer, dann kleiner und verzogen sich schließlich zu schmalen Schlitzen, als sie den Blick auf Junes Gesicht heftete.

Hilflos und angreifbar wartete der Blondschopf auf die Breitseite, die sicherlich gleich kam.

»Es freut mich, dass es dir gelungen ist, dich in diesen Anzug zu zwängen. Logan hat darauf bestanden, ihn für dich schneidern zu lassen, obwohl er natürlich ein Jammer ist«, sagte sie. »Allein der teuere Stoff, den Logan ausgesucht hat…« Sie winkte ab. »Naja.. wenigstens scheint er dir ja halbwegs zu stehen.«

Betreten hatte June den Kopf gesenkt, versuchte, sich die Worte nicht ganz so sehr zu Herzen zu nehmen. Das war typisch Cecile. Sie konnte wahrscheinlich gar nicht anders. June wollte ihr gerade ein paar gepfefferte Worte an den Kopf werfen, als Logan aufsprang und hinter ihn trat. Die großen dunklen Hände legten sich tröstlich auf seine Schultern und er sah seiner Frau über Junes Kopf hinweg in die Augen.

»Er sieht sehr elegant in dem Anzug aus, Cecile. Und was den Preis angeht… Du brauchtest dich auf unserer Reise ja wohl am wenigsten um irgendwelche Kosten sorgen.«

Obwohl June selbst manchmal sehr aufbrausend war und sich wenig gefallen ließ, hätte er Logan aus Erfahrung sagen können, dass geheuchelte Taubheit und verbissenes Schweigen die beste Verteidigung gegen Ceciles scharfe Zunge waren. Widersprach man ihr, suchte sie nur nach noch heimtückischeren Waffen, die sie gegen ihr Opfer richten konnte.

Aber Logan hatte diese grundlegenden Regeln im Umgang mit Cecile entweder noch nicht gelernt, oder er dachte gar nicht daran sich danach zu richten.

Ceciles Augen wurden hart, als sie sich betont auf Logans Hände richteten.

»Wolltest du etwas bestimmtes von mir, Cecile?«, fragte er kühl und ließ seine Hände nach wie vor auf Junes Schultern ruhen. Seine Stimme gab keinen Hinweis darauf, dass er nicht die Ruhe selbst war. Nur June bekam seinen aufsteigenden Zorn zu spüren, und das auch nur, weil sich die Finger etwas fester um seine Schultern spannten.

Eine stille Missachtung ihrer verbalen Brutalität wirkte auf Cecile normalerweise wie Benzin, das man ins Feuer schüttete und June war nicht überrascht, als er Wut in Ceciles Augen aufblitzen sah.

»Ja, allerdings. Ich wollte zwar mit dir allein darüber reden, aber da du mit meinem Stiefsohn auf einem derart vertraulichen Fuß stehst, kann ich wohl genauso gut jetzt gleich vorbringen, was ich dir zu sagen habe. Dann haben wir es wenigstens hinter uns.«

June stieg noch mehr die Röte in die Wangen, als er das hörte und war schon versucht sich loszureißen und dem ganzen zu widersprechen, was seine Stiefmutter da behauptete, doch Logans Hände spannten sich noch fester um seine schmalen Schultern und June blieb stocksteif stehen.

»Ja, bitte, meine Liebe.« Logans Stimme klang nahezu gelangweilt. Am liebsten hätte sich June diesem anbahnenden Ehekrach entzogen, weil es ihm peinlich war genau zwischen den Fronten zu stehen, aber das ging ja nicht, weil Logan ihn festhielt, ob bewusst, oder unbewusst, konnte der Blondschopf nicht sagen.

»Nun gut… Ich würde es vorziehen, dass du deine Sachen in deinem Zimmer unterbringst, in dem du auch schlafen wirst. Aber stattdessen weist du das Personal an sie kreuz und quer in meinen Räumen zu verteilen.«

Logan Finger gruben sich so fest in Junes Schultern, dass er fast zusammengezuckt wäre. Energisch kämpfte er gegen diesen Impuls an, denn aus irgendeinem Grund wollte der Blondschopf nicht, dass Cecile merkte, das Logans ruhiger Anschein nur eine Maske war.

»Ich muss mir wohl gedacht haben, dein Zimmer sei auch mein Zimmer. Wir sind verheiratet, falls du das vergessen haben solltest«, erinnerte Logan sie daran.

Cecile lächelte aufgesetzt.

»Oh ja, das weiß ich wohl. Ich weiß es nur zu gut! Trotzdem ziehe ich getrennte Schlafzimmer vor, obwohl ich dir deine ehelichen Rechte nicht streitig mache, falls du darauf bestehen solltest sie einzufordern.«

June zuckte nun doch zusammen, als Logans Finger sich fast in seine Knochen gruben. Außerdem errötete er und senkte verlegen den Kopf, weil er Zeuge einer derart privaten Auseinandersetzung wurde. Logan hatte sein Zusammenzucken natürlich gespürt, ließ ihn los und gab ihm einen Schubs zur Tür.

»Geh ins Haus, June.«

Diesmal nahm er den Mann beim Wort, ohne zu protestieren, denn er hatte keine Lust sich diesen Ehestreit noch länger anzuhören. Er machte einen großen Bogen um Cecile…

»Oh nein…«

»Du tollpatschiger Trampel! Jetzt habe ich meinen Saft verschüttet!«

Beide Rufe wurden gleichzeitig ausgestoßen, als sich Ceciles Saft über Junes Anzug ergoss. Der leuchtend rote Tomatensaft rann über den schwarzen Stoff der Anzugjacke und tropfte auch noch auf die Hose. Gierig sog der Stoff den Saft auf und June versuchte vergebens, das Schlimmste zu verhindern. Er hatte das schreckliche Gefühl, der Anzug sei nicht mehr zu retten.

»Das hast du mit Absicht gemacht!«

Vorwurfsvoll und voller Hass sah er von seinem Anzug zu Cecile auf, wobei June nicht verhindern konnte, dass ihm Tränen in die Augen traten.

»Ganz sicher nicht! Das war deine eigene Schuld, du Bauerntrampel! Du bist an meinen Arm gestoßen!«

»Bin ich nicht!«, widersprach June, ballte die Hände zu Fäusten und biss die Zähne so fest aufeinander, dass sein Kinn zitterte. Cecile strahlte nur so vor Zufriedenheit mit sich selbst und kostete ihren Triumph genüsslich aus, das wusste June ganz genau. Am liebsten hätte er Cecile in diesem Moment umgebracht und war schon dabei einen Schritt auf sie zuzumachen, als er plötzlich an den Armen zurückgehalten wurde. Zwei starke Hände verhinderten, dass er sich auf seine Stiefmutter stürzte, ehe er auch nur wusste, was er tat. »June, geh ins Haus!« Die autoritäre Stimme jagte ihm einen Schauder über den Rücken, doch June war nicht bereit sich diesmal zu beugen.

Unsanft riss er sich los, starrte Logan enttäuscht an und schnaubte.

»Das ist nicht fair!«

»Ich weiß. Geh jetzt ins Haus.« Diesmal klang der Mann verständnisvoller und June beruhigte sich ein bisschen, protestierte aber trotzdem noch.

»Aber…«

»Tu, was ich sage!«

June ging. Er war wütend und fühlte sich elend, verstand nicht, warum er jetzt weggeschickt wurde, immerhin war das nun auch seine Auseinandersetzung, obwohl er in einem Wortgefecht gegen Cecile wahrscheinlich sowieso den kürzeren gezogen hätte. Wie eigentlich immer…

In seinem Zimmer riss er den Anzug fast in Fetzen, während er ihn auszog und schlüpfte wieder in seine bequemen Sachen. Diese verdammte Cecile! Der Teufel sollte sie holen. Er würde sie bis ans Ende seines Lebens hassen! Deprimiert rollte sich June auf seinem Bett zusammen und versuchte die Tränen zurückzuhalten, die ihm schon die ganze Zeit über in den Augen brannten. Doch es gelang ihm nicht wirklich und schon bald perlten sie klaren Tropfen über seine blassen Wangen.

Unterdessen sah Logan auf der Veranda seiner Frau mit funkelnden Augen ins Gesicht.

»Warum hast du das getan?«

Sie lächelte. »Das war ein Versehen. Du glaubst doch nicht etwa, ich hätte den Anzug dieses Tollpatsches absichtlich ruiniert.«

»Ich weiß, dass du zu so etwas in der Lage bist«, meinte Logan ungerührt.

»So spricht ein lieber Gatte.«

Logans Lippen pressten sich zusammen. »Ich warne dich, Cecile. Ich werde nicht tatenlos dastehen und zusehen wie du June oder irgendjemand anderes verletzt. Du hast mich geheiratet, aus welchem Grund auch immer. Und es steht in meiner Macht, dir das Leben schwer zu machen«, erklärte er leise und warnend.

»Ich hasse dich!«

»Welch ein Jammer!«

»Ich muss verrückt gewesen sein, dich zu heiraten.«

»Merkwürdig, dasselbe dachte ich mir auch gerade.«

»Wenn du glaubst, du könntest hier alles an dich reißen und mir vorschreiben, wie ich mit meinem Stiefsohn umzugehen habe, du könntest meinen Besitz verwalten und…«

»Genau das glaube ich«, unterbrach er Cecile scharf. »Und genau das werde ich auch tun. Ich bin dein Mann, meine Liebe. Alles, was dir früher gehört hat, ist somit in meinen Besitz übergegangen. Oder hast du etwa in deiner Eile, mich in dein Bett zu kriegen, die Tatsache übersehen, dass verheirateten Frauen kein eigener Besitz zusteht?«

»Du… du bist gemein!«, fauchte Cecile und starrte ihren Mann hasserfüllt an.

»Noch nicht!«, knurrte Logan grimmig und streckte seine Hände aus, um sie an den Armen festzuhalten.

»Rühr mich nicht an! Ich hasse dich!« Cecile schlug seine Hände zur Seite, lief ins Haus und schluchzte hysterisch. »Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!«

»Und ich«, sagte Logan erbittert zu der Tür, die gerade krachen zufiel, »hasse dich. Gott steh mir bei, aber es ist die Wahrheit.«

Unten in der Vorratskammer hörte Trudi den Trubel, der von oben kam. Sie hob den Kopf, lauschte einen Moment und schüttelte den Kopf, als die Laute verstummten.

»Sieht ganz so aus, als hätten wir keine paradiesische Ruhe«, murmelte sie vor sich hin und wandte ihre Aufmerksamkeit dann wieder ihrer Arbeit zu.
 

Tbc...
 

© by desertdevil

Manchmal kommt alles anders als Man(n) denkt

Kapitel 06
 

Manchmal kommt alles anders als Man(n) denkt
 


 

In den nächsten Wochen kristallisierte sich auf der Plantage ein Alltagstrott heraus, der äußerlich reibungslos abzulaufen schien. Doch unter der Oberfläche brodelten die Spannungen. Cecile versuchte sich abwechselnd bei Logan einzuschmeicheln, nur um dann ihren Hass wieder lautstark Luft zu machen. Beides schien jedoch von dem Dunkelhaarigen abzuprallen. Er schien nahezu gegen jede Laune Ceciles immun zu sein.

Falls in dieser Ehe je von Liebe die Rede gewesen war, musste sie sich schon kurz nach der Hochzeit in Luft aufgelöst haben. Sämtliche Hausangestellten wusste, dass Mr. Logan sich von Ceciles Bett beharrlich fernhielt. Und wenn die Hausangestellten etwas wussten, dauerte es nicht lange, bis June etwas davon erfuhr, ob er es nun wissen wollte, oder nicht.

Die Vorstellung, dass Cecile und ihr Mann sich entfremdet hatten, war ihm peinlich, da er auch von den Einzelheiten zu hören bekam. Gleichzeitig musste er sich jedoch schamvoll eingestehen, dass er es tröstlich fand. Vielleicht lag es daran, dass er sich seitdem immer besser mit Logan verstand.

Er war ihm in der letzten Zeit viel sympathischer geworden und June fand ihn von Tag zu Tag attraktiver und anziehender. Er sehnte sich sogar schon nach den kleinen Berührungen, wenn Logan ihm lächelnd durch die Locken wuschelte, oder ihn einfach nur flüchtig am Arm berührte. June war nie klar gewesen, wie sehr er einen Menschen vermisst hatte, der nett zu ihm war. Logan behandelte ihn jetzt immer freundlich – wenn es auch seltsam sein mochte, dass jemand, der Cecile geheiratet hatte, überhaupt nett sein konnte – und sein Umgang mit June war zwanglos und liebevoll. June sog diese Zuneigung so sehr in sich auf, wie ein trockener Schwamm. Er half sogar bei der Arbeit auf den Feldern mit, damit er dem anderen nahe sein konnte.

Nachdem sich heraus gestellt hatte, dass die Ehe einer Katastrophe glich, ergoss sich Ceciles Erbitterung wie ätzende Säure über alle, die auf der Plantage lebten. In Logans Gegenwart zügelte sie ihr böses Mundwerk, doch wenn er nicht da war, war June ihr liebstes Opfer.

Unter diesen Umständen verbrachte June das bisschen Zeit, was er sonst zu Hause gewesen war ebenfalls außerhalb des Hauses. Er ritt mit Firefly und Jasper täglich aus, half am Nachmittag auf den Feldern aus und ritt nach ein paar Stunden noch ein bisschen durch die Kiefernwälder. Er achtete im Allgemeinen darauf nicht vor dem Abendessen zurück zu sein und dann nahm er das Essen zusammen mit den Dienstboten in der Küche ein, denn angesichts der frostigen Atmosphäre, die allabendlich im Esszimmer herrschte, gab June sich gerne damit zufrieden, in der Küche die Reste zu essen.

Nach Angaben von Sissie, die die undankbare Aufgabe hatte, die Herrschaften zu bedienen, saßen der Herr und die Herrin einander an den Kopfenden des langen Tisches gegenüber und sagten beim Essen nicht mehr als unbedingt erforderlich war. Nur das Zischen des Ventilators und das Klappern des Geschirrs durchbrachen die unangenehme Stille, die schwer wie ein Schleier aus Blei über den Anwesenden lag.

Oft kam June zum Mittagessen gar nicht erst nach Hause, da Logan eh nie zu Tisch erschien und Cecile nur darauf wartete, sich auf ihren Stiefsohn zu stürzen wie eine ausgehungerte Spinne auf eine Fliege. Stattdessen gewöhnte sich June an einen Apfel und eine Scheibe Brot mitzunehmen und stellte fest, dass ihm das genauso ausreichte, als wenn er zu Mittag ein wenig etwas Warmes gegessen hätte.

Diese veränderten Essgewohnheiten und die vielen Stunden im Sattel und auf den Feldern hatten eine günstige Wirkung auf Junes Figur. Er nahm nicht ab, jedoch wurde er ein wenig kräftiger und seine helle Haut bekam durch das viele Draußensein einen goldenen Schimmer.

Jeden Morgen arbeitete Logan mit Mr. Graydon im Büro der Plantage. An den Nachmittagen riss er meistens umher und machte sich mit alles Arbeiten vertraut. Pharaoh, der Vorarbeiter der Sklaven, der jahrelang unter Brantley gearbeitet hatte, war gewöhnlich an Logans Seite. Pharaoh war groß gewachsen, so dunkel wie Ebenholz und sehr muskulös. Er kannte sich mindestens so gut mit den Arbeiten auf der Plantage aus wie Brantley es getan hatte. Wäre er kein Sklave gewesen, hätte die Plantage sicher keinen neuen Aufseher gebraucht.

Während Logan sich mit den verzwickten Einzelheiten in der Leitung der Plantage vertraut machte, war Mr. Graydon der offizielle Aufseher. Doch er begab sich nur äußerst selten in die glühende Hitze hinaus, die auf den Feldern herrschte.

June bekam wenig von dem adretten neuen Aufseher zu sehen, doch umso mehr hörte er von den Hausangestellten. Cecile verbrachte anscheinend auffallend viel Zeit damit, ihrem Cousin bei der Eingewöhnung behilflich zu sein. Da er Cecile kannte, behagte June das gar nicht. Dennoch hoffte er, dass selbst Cecile nicht so weit gehen würde, ihren Mann direkt unter seiner Nase mit einem Aufseher zu betrügen, der noch dazu ihr Cousin ersten Grades war.

Oder doch? Wenn sie derart verwerflich war, konnte June nur inbrünstig hoffen, dass sie diskret vorging. Der große Knall, zu dem es unweigerlich kommen würde, wenn Logan sie bei ihrem Liebesspiel ertappte, war zu erschreckend um ihn sich näher auszumalen. Bei all seiner Freundlichkeit, die June in den letzten Wochen erfahren hatte, war Logan doch sehr männlich, und Cecile war seine Frau, ob er sie nun leiden konnte, oder nicht.

June wusste nur allzu gut, dass Logan kein Mann von der Sorte war, die man ungestraft lächerlich machen konnte. Er hatte ihn selbst schon erlebt, wenn er aufbrauste. Wenn Cecile ein falsches Spiel mit ihm trieb und er dahinter kam, würde seine Stiefmutter die Konsequenzen noch bereuen, daran zweifelte June nicht.

Manchmal konnte June der Versuchung nicht widerstehen, und er ritt mit Jasper im Gefolge von Logan durch die Felder. Er nahm ihn und den großen Hund hin, ohne sich dazu zu äußern. Des öfteren stellte er June auch Fragen, die sich um die Bodenbeschaffenheit oder um die Ballen Baumwolle drehten, die ein Feldarbeiter täglich pflücken sollte. June staunte selbst darüber, wie viel er wusste. Logans meiste Fragen konnte er einigermaßen ausreichend beantworten.

»Solltest du nicht einen Hut tragen?«, fragte er June eines Tages, als seine Aufmerksamkeit auf die kleine gerötete Nase und die rötlichen Wangen fiel. Es war ein heißer Augusttag und die Sonne brannte erbarmungslos herunter. Soweit das Auge sehen konnte, erstreckten sich die Felder und die Sonne spiegelte sich auf der flauschigen weißen Baumwolle. Die Feldarbeiter hockten gebückt da und pflückten die Baumwolle mit blitzschnellen Bewegungen. June war viel langsamer, dachte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Aber ihm machte es einfach Spaß öfter mal mitzuarbeiten. Der leise, melodische Gesang der Männer gehörte ebenso sehr zum Sommer wie das Surren der Bienen und der Blondschopf fühlte sich einfach nur wohl in dieser Umgebung.

»Ich trage nie einen Hut«, erwiderte June verspätet und zuckte mit den Achseln.

»Mir wäre es lieber, wenn du es dir angewöhnen könntest. Fürs erste kannst du den hier haben. Wenn du nicht aufpasst bekommst du Sommersprossen, und das würde dir überhaupt nicht stehen. Deswegen dürfen wir das nicht zulassen.«

Bevor June überhaupt plinkern konnte, wurde ihm auch schon Logans breitkrempiger Strohhut auf den Kopf gedrückt und er verzog das Gesicht. Von der Geste war June zwar ein bisschen gerührt, wunderte sich aber gleichzeitig, denn er war es nicht gewohnt, dass jemand für ihn auf etwas verzichtete. Zweifelnd kaute er aus seiner Unterlippe herum und griff dann zögerlich nach dem Hut, um ihn Logan zurückzugeben.

»Ich brauche keinen Hut. Ich bin die Sonne gewohnt, wirklich. Und ich kriege keine Sommersprossen.«

Doch Logan hielt ihn mit einer Geste davon ab und beachtete den Hut gar nicht weiter, sodass June ihn sich kapitulierend wieder auf den Kopf setzte und dabei leise seufzte.

»Trag ihn. Du hast wunderschöne Haut. Es wäre ein Jammer sie zu ruinieren.«

Als er dieses unerwartete Kompliment hörte, riss June weit die Augen auf. Aber Logan sah ihn nicht mehr an, sondern ließ seinen Blick über die Felder schweifen. Sein Ausdruck war undefinierbar. Hatte der andere das eben ernst gemeint? June schüttelte unmerklich den Kopf und obwohl er sich eigentlich über das Kompliment freuen sollte, kam er sich blöd vor. Er war sich absolut sicher, dass Logan es so gemeint hatte, wie er es gesagt hatte, aber er war ein junger Mann und normalerweise bekamen nur Frauen solche Komplimente. Seine Gedankengänge wurden immer wirrer und zum Schluss gab June es auf, aus dem anderen schlau zu werden und nahm sich vor, sich einfach nur über die Geste zu freuen. Er bildete sich das alles bestimmt nur ein.

Dann fiel sein Blick wieder auf Logan.

Dessen Haut war viel dunkler als seine und sicher brauchte er den Hut viel mehr als June. Schließlich war er nicht sein Leben lang an die glühende Augusthitze in Mississippi gewöhnt. Aber es jagte June einen angenehmen Schauder über den Rücken und in seinem Bauch kribbelte es leicht, weil es ihm gefiel, etwas zu tragen, was Logan gehörte.

»Danke.. ist gleich viel angenehmer«, seufzte der Blondschopf nach einer Weile des Schweigens schließlich mit matter Stimme, denn er wusste, dass es nicht viel brachte dem Mann jetzt noch zu widersprechen und eigentlich wollte er das auch gar nicht.

»Bitte, gern geschehen…«

Er sah ihn jetzt wieder an, und er lächelte nicht, wie June das sonst kannte. Seine Augen nahmen sich gegen das schwarze Haar leuchtender aus, als der wolkenlose Himmel. Seine ausgeprägten Gesichtszüge waren so gleichmäßig, dass sie eine Münze hätten zieren können. Seine breiten Schultern in dem weißen Leinenhemd bezeugten seine verborgene Kraft. Junes Blick glitt über den offenen Kragen, die glatte haarlose Brust und die langen kräftigen Beine, ehe er sich wieder auf sein Gesicht richtete. Sein Mund zog Junes Blicke an. Er war deutlich gezeichnet, die Unterlippe war ein wenig voller als die Oberlippe und June war wie gebannt von diesem unwahrscheinlich schönen Mund. Er starrte ihn an wie hypnotisiert, ohne es selbst zu merken und er leckte sich kurz unbewusst mit seiner rosa Zunge über seine plötzlich trockenen Lippen, als ihm ein kleiner Schauder über den Rücken lief.

Jasper rannte kläffend hinter einem Kaninchen her, und dieser unerwartete Lärm ließ June wieder zu sich kommen. Ihm wurde klar, dass er ganz unverholten den Mund eines Mannes angestarrt hatte… des Mannes, der mit seiner Stiefmutter verheiratet war und in größer Verlegenheit riss er gewaltsam seine Blicke los und schaute mit roten Wangen auf seine Finger, die über dem Sattelknauf lagen. June schämte sich so sehr, und wusste mit dem eben passierten überhaupt nicht richtig umzugehen. Wie konnte er nur einen Mann derart anziehend finden und ihn so unverblümt anstarren? Wenn er das bei einer Frau getan hätte, gut, aber nicht bei einem Mann! Und schon gar nicht bei Logan, der ja nun verheiratet war!!

»Dir kann nicht kalt sein.«

Die Worte kamen plötzlich und rissen June aus seinen fieberhaften Überlegungen.

»Nein.« Trotz seiner Verlegenheit sah er Logan überrascht an. June konnte nur vermuten, dass er zusammengezuckt war, als ihm der Schauder über den Rücken gelaufen war – aber Logans Aufmerksamkeit war auf sein Oberteil gerichtet.

Verwundert folgte June seiner Blickrichtung. Ihm fiel nichts an seiner Kleidung auf, was seinen Gesichtsausdruck hätte er klären können, und sah ihn fragend an.

»Dein Oberteil ist zu eng.« Logans Worte klangen missbilligend und ebenso unfreundlich wie seine Stimme, sodass June erneut leicht zusammenzuckte.

»Nein, ganz bestimmt nicht«, wehrte der Blondschopf ab. Shirt und Hose waren ihm vor einer Weile zu eng geworden, aber jetzt saß zumindest das Shirt lose und war sehr bequem.

»Oh doch«, erwiderte Logan und diesmal war seine Stimme so grimmig, dass June die Augen weit aufriss. Wieso war er plötzlich so wütend auf ihn? Was hatte er denn getan? Erneut sah der Blondschopf an sich hinunter und bemerkte, was der Grund für seine Missbilligung war. Glühende Röte stieg ihm in die Wangen und er versuchte sofort den vor Schweiß feuchten Stoff ein bisschen von seiner Brust zu ziehen, denn auf seiner feuchten Haut schmiegte sich das Leinen sehr gut an. Aber das schlimmste von allem, das Beschämende war, dass seine Brustwarzen sich aufgestellt hatten und sich deutlich sichtbar durch den dünnen hellen Stoff abzeichneten.

In all seiner Unschuld wusste June doch gut genug über seinen eigenen Körper bescheid, um sich klar zu machen, was das bedeutete. Dieser angenehme Schauder, der ihn überlaufen hatte, als er Logans Mund angestarrt hatte, hatte eine unerfreuliche Nebenwirkung gezeigt und die war schrecklich klar zu erkennen. Der Kleine schämte sich immer noch, verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Schultern vor, um seine Schande zu verbergen.

»Sieh mich nicht so an!«, fauchte er mit erstickter Stimme, was sich zu seiner Frustration sehr kläglich anhörte. Genauso wie June sich gerade fühlte. Wenn er nämlich wusste, was die Reaktion seine Körpers zu bedeuten hatte, musste Logan es auch wissen und das machte ihn noch verlegener.

»Wann hast du das letzte Mal was neues zum Anziehen bekommen?«, fragte Logan und klang überaus gereizt. Vielleicht war er sich doch nicht über die grässliche Bedeutung des Anblicks im klaren, der sich ihm geboten hatte. Vielleicht glaubte er wirklich, dass Junes Knospen immer so aussahen und er es erst jetzt gemerkt hatte, weil sein Oberteil zu eng anlag.

Lieber Gott, lass es das sein, was er glaubt, betete June stumm und wäre am liebsten im Erdboden versunken, so peinlich war es ihm. Bestimmt musste Logan jetzt sonst was von ihm denken!

»Ähm… den Anzug, den du mir gekauft hast…«, stammelte der Blondschopf peinlich berührt. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Vielleicht konnte er das Schlimmste ja doch noch abwenden und Logan davon überzeugen, dass die Reaktion nicht auf ihn bezogen gewesen war.

»Und davor?«, unterbrach die gereizte Stimme nun seine Gedanken.

»Mit… mit vierzehn… vor drei Jahren.«

Logan presste die Lippen zusammen, als er June wieder ansah. Der Blondschopf hielt den Atem an und versuchte sein Gegenüber furchtlos anzuschauen, obwohl er die Arme weiterhin vor seiner verräterischen Brust verschränkte.

»Cecile war nachlässig. Ich werde dafür Sorgen, dass du bekommst, was du brauchst.«

June wollte etwas darauf erwidern, doch ehe er ein Wort heraus brachte, kam Pharaoh auf sie zugeritten und Logans Aufmerksamkeit richtete sich auf den kräftigen Vorarbeiter.

»Mr. Logan, es wird Regen geben. Wir sollten sehen, dass wir die gepflückte Baumwolle in Sicherheit bringen.«

Logan nickte. »Kümmern Sie sich darum. Ich komme sofort nach.«

Pharaoh ritt weiter und Logan sah June wieder an. »Du reitest jetzt nach Hause und ziehst dich um!« Es war nicht zu überhören, dass es ein strikter Befehl war, der keine Widerworte duldete.

June nickte nur mit gesenktem Kopf und hatte nichts anderes im Sinn, als Logans stechendem Blick zu entgehen. Dieser musterte June mit zusammengekniffenen Augen, bevor er seinem Pferd die Fersen in die Flanken presste und in einer Staubwolke davon ritt.

Das ferne Donnergrollen kündigte den nahenden Sturm an. June saß auf seinem Pferd und sah dem anderen nach, als er fortritt. Dann zog er an den Zügeln und wendete sein Pferd in Richtung nach Hause und machte sich auf den Heimweg, während seine Wangen immer noch vor Scham glühten.
 

Zwei Tage später kamen Miss Flora und Miss Laurel zu Besuch. Cecile hatte in paar spezielle Freundinnen eingeladen, die bereits mit ihr im Wohnzimmer saßen und Eistee tranken. Doch als die Tanten ihres Mannes vorfuhren, entschuldigte sie sich und lief eilig hinaus, um sie mit einem strahlenden Lächeln zu begrüßen.

June, der mit Jasper im Obstgarten gespielt hatte und sich ausgerechnet diesen unglücklichen Moment ausgesucht hatte, um einen Stock zu werfen, dem sein treuer Freund auf dem Rasen vor dem Haus hinterher jagte, sah, wie Ceciles Lächeln verschwand und ihr Gesicht bedrohlich finster wurde, während sie den alten Damen zuhörte.

June war sofort nervös, denn er nahm an, Jaspers kläffendes Auftauchen hätte etwas mit Ceciles schlechter Laune zu tun. Er rief den Hund mit einem leisen Pfiff zurück.

Jasper hob den Kopf, wedelte mit dem Schwanz und sprang in langen Sätzen auf sein Herrchen zu. Nicht nur Ceciles Blick, sondern auch der der beiden Tanten folgte dem Hund, bis alle drei Augenpaare auf June lagen, der immer noch zwischen den dichten Bäumen stand.

»June, mein Lieber, komm her«, trällerte Miss Flora.

June seufzte. Es ließ sich nicht ändern. Seine Hose hatte Grasflecken und Schlammspritzer, weil er mit Jasper gespielt und sich dabei hingekniet hatte. Und sein Haar… das war völlig zerzaust. Während er auf die beiden Tanten zuging, versuchte er es noch ein wenig mit den Fingern glatt zu kämmen, aber vergebens. Seine Lockenmähne ließ sich einfach nicht bändigen.

»Guten Tag, mein Lieber«, grüßte Miss Laurel, die nicht zu bemerken schien, wie ungepflegt June aussah.

»Guten Tag, Miss Flora, guten Tag Miss Laurel«, grüßte June und drückte pflichtbewusst einen Kuss auf die beiden Wangen, die ihm hingehalten wurden. Resigniert fügte er sich in dieses Zeremoniell. »Diese reizenden Damen haben dir einen… einen Vorschlag zu unterbreiten«, meinte Cecile und ihre Stimme klang dabei so zuckersüß, dass in June sofort die Alarmglocken zu schrillen begannen. Er konnte diesen speziellen Tonfall und der hatte, das wusste er aus Erfahrung, nichts Gutes zu bedeuten und ein Blick ins Gesicht seiner Stiefmutter sagte June überdeutlich, dass Cecile nicht, aber auch nichts von diesem Vorschlag hielt.

»Also, so was!«, empörte sich Miss Flora.

»Wir sind doch nur gekommen, um June nach Jackson mitzunehmen.«

»Der gute Logan sagte, dass der Junge nicht, aber auch nichts mehr zum Anziehen hat«, fiel Miss Laurel ein.

»Nach Jackson?!«

Voller Entsetzen sah June von einer der Damen zur anderen.

»Ich habe Ihnen natürlich gesagt, dass du unter keinen Umständen einfach deine Sachen packen und mitfahren kannst«, meinte Cecile daraufhin in ihrem üblich überheblichen Tonfall. June gestand es ungern ein, aber diesmal traf sich ihre Auffassung mit seiner Ansicht. Er wollte nicht weg, auch wenn er seiner Stiefmutter damit sicherlich eins auswischen konnte, weil sie derartig dagegen war. Aber ihm blieb gar keine Zeit zu protestieren. Gerade, als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, ergriff Miss Flora wieder das Wort.

»Natürlich wird June mitkommen!«, legte sie bestimmt fest und war Cecile erneut einen empörten Blick zu, bevor sie sich wieder June zuwandte. »Lauf schnell ins Haus, zieh dich um und pack eine kleine Tasche, mein Lieber.«

»Mehr als eine Hose und ein Hemd brauchst du nicht. Wir werden dich in Jackson ausstatten«, fügte Miss Laurel lächelnd hinzu und alles schien beschlossene Sache zu sein.

June sah wieder von der einen zur anderen.

»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber ich kann wirklich nicht einfach…«, versuchte June das Unvermeidliche doch noch abzuwenden, doch Miss Flora brachte ihn mit einer Geste ihrer Hand zum Schweigen.

»Cecile hat viel zuviel damit zu tun sich wieder an das Eheleben zu gewöhnen, um sich im Moment um die Garderobe eines jungen Mannes zu kümmern, verstehst du? Und wir sind jetzt schließlich deine Tanten! Du kannst ruhig mit uns kommen, das ist nicht unschicklich.«

»Aber ich kann doch wirklich nicht…«

Junes Einwände verstummte, als er Miss Floras entschlossenen Blick sah. Da ließ sich wohl überhaupt nichts machen. Die Damen waren anscheinend hergekommen Ihren Willen durchzusetzen und wie es aussah, würden sie ihn auch bekommen, denn June wollte sich nicht mit ihnen streiten, auch wenn ihm das Kommende überhaupt nicht passte. Die Vorstellung, Miss Flora und Miss Laurel auf einem Einkaufsbummel zu begleiten, der sich über Tage hinziehen konnte, war so grauenhaft, dass er gar nicht daran denken durfte. Die alten Damen schienen es zwar gut mit ihm zu meinen, aber June kannte sie doch kaum. Er war sicher, dass es ihn um den Verstand bringen würde, Ihr Geplapper Stunden über Stunden anhören zu müssen. Der Gedanke neue Sachen zu bekommen, war zwar im ersten Moment verlockend, aber nicht, wenn er zu diesem Zweck nach Jackson fahren musste.

Die Wahrheit war die, dass June in seinem ganzen Leben noch nicht eine einzige Nacht außerhalb der Plantage verbracht hatte und sich bei der Vorstellung irgendwie fürchtete.

»Es ist längst alles entschieden«, sagte Miss Flora streng, als June immer noch zögerte.

»Der gute Logan hat uns gebeten, dich mitzunehmen«, fügte Miss Laurel hinzu und nichte bekräftigend, als sei damit alles geregelt.

Und so war es leider auch, egal ob es June nun gefiel oder nicht.

Trotz seiner Bedenken wurde es ein vergnüglicher Ausflug. Sie waren rund zwei Wochen unterwegs und die Zeit verging mit ihren Einkäufen wie im Flug.

Überrascht und erfreut stellte June fest, dass Miss Flora einen untrüglichen Blick für die Farbe und den Schnitt von Kleidung besaß. June, der sich in keiner Hinsicht auf sein eigenes Gespür verlassen hätte, überließ Miss Flora die Entscheidung, was er brauchte. Das einzige, was er selbst aussuchte, war ein Reitanzug, dessen strengen Schnitt wiederum Miss Flora bestimmte, und bei der letzten Anprobe vor der Abreise stellte sich heraus, dass ihm nichts je besser gestanden hatte.

Miss Flora hatte beschlossen, June zwar in ziemlich dunklen, aber auch edlen Farben einzukleiden. Insgeheim hatte June das Urteilsvermögen der alten Dame in Frage gestellt, doch die Ergebnisse waren überzeugend.

Als June sein Spiegelbild betrachtete, fand er seine Haut gar nicht mehr so schlimm blass, was sicherlich von den vielen Ausritten herrührte. Der dunkelgrüne Freizeitanzug stand ihm ausgezeichnet, genau wie der schwarze Abendanzug davor und die marineblauen Hosen. Bei den vielen Anproben hatte June außerdem festgestellt, dass er nicht mehr so dürr und schlaksig war, sondern durch die vielen Stunden auf dem Pferd hatte er ein paar mehr Muskeln bekommen, die seinen kleinen Körper nicht mehr ganz so kindlich erscheinen ließen. Anfangs hatte er noch gedacht, die Schneiderinnen besaßen irgendwelche speziellen Spiegel, damit sich ihre Sachen besser verkaufen ließen, doch irgendwie hatte er es im Laufe des Sommers geschafft eine annähernd gute Figur zu bekommen.

»Meine Güte, mein kleiner June… aus dir ist ein richtig hübscher junger mann geworden…«, sagte Miss Laurel mit glänzenden Augen.

»Ich wusste, dass es so kommt«, erwiderte Miss Flora voller Zufriedenheit. »Er ist das Abbild seiner Mutter. Erinnerst du dich denn nicht mehr, dass Elizabeth Hodge Freier von überall abgewiesen hat, sogar auf New Orleans, ehe sie sich für Thomas Lindsay entschieden hat?«

»Richtig! Genauso war es«, nickte Miss Laurel.

June lächelte Miss Flora und Miss Laurel unsicher an.

»Sehe ich wirklich aus wie meine Mutter?« Es war ihm irgendwie peinlich, denn er war ja keine Frau, auch wenn ihn wahrscheinlich die meisten eher mädchenhaft fanden wegen seiner langen blonden Locken. Außerdem hatte er seine Mutter eher als dunkelhaarige Schönheit in Erinnerung. Er konnte sich unmöglich vorstellen, dass er jetzt so aussah.

»Jeder, der Elizabeth gekannt hat, würde in dir auf der Stelle ihren Sohn erkennen«, antwortete Miss Flora sanft. Zu seinem Verdruss verspürte June einen dicken Kloß im Hals. Plötzlich sehnte er sich so sehr nach seiner Mutter wie schon seit Jahren nicht mehr.

»Aber genug davon«, meinte Miss Flora abrupt, da sie die plötzliche Gefühlsregung bei dem Jungen gespürt hatte.

»Steh still, Kindchen, damit wir uns dein Haar ansehen können. Eine Verbesserung ist es ganz bestimmt. Jetzt hängt es dir wenigstens nicht mehr ins Gesicht!«

June war dankbar für diese Ablenkung, die gerade noch rechtzeitig gekommen war, ehe er sich in der Öffentlichkeit blamiert hätte, indem ihm Tränen über die Wangen gelaufen wären. Er hatte schon ewig nicht mehr geweint und er hätte sich in Grund und Boden geschämt, wenn er es jetzt getan hätte.

Er blieb gehorsam stehen und drehte seinen Kopf nach allen Seiten, um sich von seinen Tanten ausgiebig betrachten zu lassen.

»Gefällt es euch denn wirklich?«, fragte er zweifelnd, während er unsicher auf seiner Unterlippe herum kaute. Entgegen den Ratschlägen der Friseuse hatte er darauf bestanden, dass sein Haar lang blieb. Es reichte ihm auch jetzt noch recht weit über die Schultern, aber die gesamte unbändige Mähne war in Form gebracht und ausgedünnt worden, und kurze Löckchen umspielten sein Gesicht. Madame Fleur, die, trotzdem er ein junger Mann war und ihre Vorschläge die Länge betreffend zum Anfang gänzlich anders gewesen waren, war letztendlich doch begeistert von seinen blonden Locken gewesen und hatte ihm gezeigt, wie er sein Haar ganz einfach frisieren konnte, ohne, dass er allzu weiblich aussah und ohne, dass er sich viel anstrengen musste.

»Du siehst einfach reizend aus, ähm… na du weißt schon wie wir das meinen!«, sagte Miss Laurel strahlend, nachdem sie Junes Frisur von allen Seiten bewundert hatte. »Ja, diese Frisur ist äußerst kleidsam«, stimmte Miss Flora zu.

Auf dem Rückweg zum Hotel warf June häufig einen Blick in die vorbeiziehenden Schaufensterscheiben und kam beruhigt zu dem Schluss, dass die beiden Tanten Recht hatten. Jetzt sah er zwar auch noch ein wenig aus wie ein Mädchen, obwohl das auch mit an seiner schmalen, zarten Statur lag, aber er fühlte sich einfach total wohl, was vorher nicht oft der Fall gewesen war.

Trotz seiner vorherigen Bedenken hatte June so viel Spaß in Jackson, dass er es fast bedauerte, wieder aufbrechen zu müssen. Doch je näher die Kutsche der Plantage kam, desto eiliger hatte er es, wieder nach Hause zu kommen. Auf den allerletzten Meilen befiel ihn dann das Heimweh, vor dem er sich insgeheim beim Aufbruch schon ein bisschen gefürchtet hatte und June konnte es kaum erwarten wieder zu Hause zu sein. Es war schwer zu sagen, wen oder was er am meisten vermisst hatte: Trudi oder Sissie, Firefly oder Jasper oder gar… Logan?

Als die Kutsche jedoch vor dem Haus hielt, stellte June zu seinem eigenen Erstaunen fest, dass ihm die Tanten fehlen würden. Und das sogar sehr!

»Wir kommen nicht mit, mein Lieber«, sagte Miss Flora abrupt. June sah erst sie an und dann Miss Laurel, und plötzlich fühlte er sich irgendwie schrecklich sie von den beiden zu trennen. Impulsiv beugte er sich vor, um Miss Flora an sich zu drücken und dann zog er Miss Laurel fest an sich.

»Ich danke ihnen beiden sehr«, sagte er mit einem Kloß im Hals und er meinte es völlig ernst.

Miss Flora legte einen Finger auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen, und Miss Laurel klopfte June auf die Schulter.

»Vergiss nicht, dass wir jetzt zur Familie gehören!« Die beiden Damen nickten mit gewichtiger Miene. »Du musst uns unbedingt besuchen kommen«, sagte Miss Laurel und June musste über den leicht befehlenden Unterton, den er so lieben gelernt hatte lächeln. »Ich werde es nicht vergessen«, versprach June.

Als Ben, der ältere Kutscher von Miss Flora und Miss Laurel, der sie sicher nach Jackson und wieder zurück gebracht hatte, die Tür öffnete, lächelte June die beiden noch ein letztes Mal an und stieg aus.

»Auf Wiedersehen, June.«

»Auf Wiedersehen!«

Thomas und Fred hoben bereits Dutzende von Schachteln auf, die Ben von der Kutsche abgeladen hatte. Beide begrüßten June mit einem Wortschwall. June erwiderte ihren Gruß und freute sich aufrichtig, sie zu sehen und wieder zu Hause zu sein, doch innerlich war er zerrissen.

Er, der Gefühlsregungen hasste und für eine Schwäche hielt, kämpfte gegen den gewaltigen Drang zu Weinen an, als die Kutsche, die seine neuen Tanten fortbrachte die Auffahrt hinunter fuhr und auf die Straße einbog, die nach Tulip Hill führte. June spürte, dass seine Augen brannten und wenn Jasper nicht gewesen wäre, der ungestüm an ihm hochsprang und ihn damit ablenkte, wäre es ihm vielleicht nicht gelungen, die drohenden Tränen zurück zu halten.
 

Tbc…
 

© by desertdevil
 

Hallo ihr Lieben,

da bin ich mal wieder mit einem neuen Kappi, allerdings war es ja nicht allzu lang und besonders viel ist auch nicht passiert, aber das ist nur der Auftakt zu den nächsten Desastern die unweigerlich kommen müssen ^^

Ich hoffe ihr hattet genauso viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben

Viele Grüße an alle

*Schälchen mit Gummibärchen hinstell*

(Ehe)Männer reizt man nicht!

Autor: desertdevil
 

Teil: 7/?
 


 

Kapitel 07
 

(Ehe)Männer reizt man nicht!
 

Der September kam und damit auch Seth Chandlers Geburtstag. Alle im Tal kannten das genaue Datum – der Vierzehnte -, da Elmway alljährlich an diesem Tag der Ort war, an dem das größte Fest des ganzen Jahres gefeiert wurde. Lissa war eine ausgezeichnete Gastgeberin, und Gäste kamen aus einem Umkreis von Meilen zum Grillen, zum Feuerwerk und zum Tanz am Abend. Viele Besucher aus weiter abgelegenen Plantagen blieben über Nacht bei den Chandlers, und viele andere, vorwiegend Verwandte, blieben ein bis zwei Wochen. Miss May Chandler, Seths unverheiratete Cousine, war vor drei Jahren zu dem Fest gekommen und seitdem nie mehr abgereist. Dabei dachte sich niemand etwas, denn im Süden war es üblich, dass die Männer unverheirateten weiblichen Angehörigen den Schutz ihres Hauses zur Verfügung stellten. Und außerdem half Miss May mit und kümmerte sich um die Kinder.

June war nie zu Seth Chandlers Geburtstagsfest gegangen, zumindest nicht mehr, seit er ein kleiner Junge gewesen war, den die Eltern mitgenommen hatten. Er wäre auch von sich aus nie auf die Idee gekommen dieses Jahr hinzugehen, wenn Logan nicht darauf bestanden hätte.

»Natürlich geht er hin«, sagte er unwillig, als Cecile ihm am Morgen des Festes mitteilte, June sei nie mitgekommen. Cecile und Logan waren schon fertig angezogen, und eines der Dienstmädchen, Minna, folgte Cecile mit deren Ballkleid die Treppe hinunter. Das Kleid war sorgfältig mit Seidenpapier ausgestopft und zusammengefaltet, damit es nicht knitterte, und Minna trug es über dem Arm.

Logan erkundigte sich danach, wo er June finden könnte. Als er eine Antwort bekam, die ihm nicht passte, fluchte er leise vor sich hin und machte sich selbst auf die Suche nach dem Jungen. Er fand June im Stall, der gerade zu seinem morgendlichen Ausritt aufbrechen wollte. Der Blondschopf saß schon auf Firefly, als Logan durch die Tür kam. Der neue beigefarbene Reitanzug stand June ausgezeichnet und ließ ihn unglaublich schmal wirken. Die hellen Locken waren zu einem Zopf zurückgebunden worden und der Strohhut, den Logan June damals geschenkt hatte, trohnte auf dem hellen Schopf. Der Kleine bot wirklich einen hübschen Anblick, aber Logans Lippen waren so fest zusammengekniffen, dass man ihm deutlich ansehen konnte, wie wenig er das jetzt zu würdigen wusste.

»Wolltest du etwas von mir?«, fragte June sich keiner Schuld bewusst, nachdem er eine Zeitlang geschwiegen und Logan gemustert hatte. Er blieb mit Firefly direkt vor dem anderen stehen. Jasper begrüßte Logan temperamentvoll, denn er mochte ihn besonders gern. Doch Logan hielt sich Jasper schimpfend vom Leib, damit er seine makellose Weste und seine Hose nicht beschmutzen konnte, indem er seine großen Vorderpfoten mit beiden Händen festhielt. June stellte fest, dass er endlich einmal auf Logan hinunter sehen konnte. Er nutzte den ungewohnten Höhenunterschied und beobachtete ihn lächelnd, wie er Jasper ausschimpfte und dem Hund eine Hand auf den Kopf legte, damit er nicht wieder an ihm hochspringen konnte. Jasper fasste das als ein Streicheln auf und wollte augenblicklich mehr. Er ließ sich auf den Bauch fallen, rollte sich auf den Rücken und streckte alle Viere in die Luft, um sich den Bauch kraulen zu lassen.

June lachte, was Logan dazu brachte zu ihm aufzuschauen. Ihm war deutlich anzusehen, dass er sich nicht amüsierte.

»Steig ab«, befahl er.

»Ich will gerade ausreiten«, erklärte June das Offensichtliche und war erstaunt.

»Du wirst zu dem Fest bei den Chandlers mitkommen.« Logan stemmte die Hände in die Hüften und stand mit weit gespreizten Beinen in einer angriffslustigen Haltung da.

»Ich gehe nie mit«, meinte June aufklärend und uneinsichtig.

»Diesmal wirst du mitgehen!«

Als June einfach sitzen blieb und auf Logan hinunter sah, murmelte dieser etwas vor sich hin, was der Blondschopf nicht verstehen konnte, aber er war sich sicher, dass es irgendeine Unfreundlichkeit war. Dann trat Logan plötzlich vor, fasste ihn bei den Hüften und wollte ihn gewaltsam aus dem Sattel ziehen. Erschrocken schnappte June nach Luft, Firefly trippelte nervös, Jasper sprang auf und bellte und Aban trat eilig vor, um das Pferd festzuhalten.

»Aber ich will nicht mitgehen«, protestierte June und hielt sich an Logans Oberarmen fest, um das Gleichgewicht zu finden, als er ihn auf dem Boden abstellte. Logans Muskeln fassten sich stark und kräftig an und Junes Finger blieben für einen Moment aus eigenem Antrieb auf dieser atemberaubenden Kraft liegen, die er durch Logans Ärmel spürte, bevor er sich dessen bewusst wurde und seine Hände schnell wegnahm. Innerlich schämte er sich dafür, dass er Logan so anziehend fand, obwohl sie beide Männer waren, na ja… mehr oder weniger eben.

Seit jenem Tag in den Baumwollfeldern, als sein Körper ihn in eine so peinliche Situation gebracht hatte, hatte sich June geschworen in Logan nur noch eine Art Onkel zu sehen. Abgesehen von der Tatsache, dass er ihm ein Freund und Lehrer geworden war, war er der Mann seiner Stiefmutter. Und selbst wenn er das nicht gewesen wäre… allein der Gedanke an eine Beziehung zwischen Männern war geradezu verrucht!

June wollte das Prickeln nicht wahr haben, dass Logans Hände auf seiner Hüfte auslösten. Nein, niemals!

»Du wirst hingehen!«, legte Logan noch einmal bestimmend fest und sein Entschluss schien durch nichts ins Wanken gebracht werden zu können. June war dankbar sich auf Logans Worte konzentrieren zu können und damit von den großen Händen, die immer noch auf seiner Hüfte lagen, abgelenkt zu werden. June verschränkte missgestimmt die Arme vor der Brust und sah zu Logan auf, um zu protestieren.

Doch das war ein Fehler.

Er schaute finster auf ihn hinunter, aber Logans Augen waren so blau, dass sein Ausdruck kaum noch eine Rolle spielte. Sein Gesicht war unter dem leicht welligen schwarzen Haar hager, braun und so markant, dass Junes Herz sofort schneller schlug. Logans Mund war vor Ärger verkniffen, aber June fand, es war immer noch ein schöner Mund.

Dann wurde er sich erneut der warmen Hände auf seiner Hüfte bewusst und als er spürte, wie sie sich leicht in seine Haut pressten, fing June innerlich an zu glühen. Er biss sich auf die Unterlippe. Nein! So ging das nicht! Er musste sich von der verlockenden Berührung losreißen, solange er noch die Willenskraft besaß, es zu tun.

»Ich habe aber keine Lust hinzugehen«, brachte er heraus und gebot seinen Beinen, wieder Kraft zu finden. Aus Furcht, Logan könnte seine Reaktion in seinen Augen sehen, wandte June den Blick ab.

»Sieh mich an!« Logans Stimme klang unwillig und June kam der Aufforderung nur wiederstrebend nach.

Etwas in seinem Gesichtsausdruck musste Logan jedoch beschwichtigt haben, denn als er erneut die Stimme erhob, klang er sanfter.

»Hör mir zu, June. Es ist der pure Wahnsinn, wenn du dich zum Einsiedler machst, und ich will verflucht sein, wenn ich das zulasse. Hast du dir je Gedanken über deine Zukunft gemacht? Willst du denn nicht eines Tages heiraten und eine Familie gründen? Natürlich willst du das, wer möchte das nicht.«

June schüttelte den Kopf und machte den Mund auf, um es abzustreiten. Ehe er jedoch etwas sagen konnte, hatte Logan ihn schon an den Schultern gepackt und stand sehr dicht davor June zu schütteln.

»Es ist Ceciles Fehler, dass sie dich so hat aufwachsen lassen, aber du bist auch mit Schuld daran. Verdammt noch mal, June! Du bist kein Kind mehr!! Du bist ein hübscher, charmanter junger Mann und die Frauen werden dir scharenweise zu Füßen liegen, wenn du ihnen die Chance gibst deine Bekanntschaft zu machen. Und du WIRST ihnen eine Chance geben! Du wirst zu dieser Party gehen, und wenn ich dich über die Schulter werfen und dich zu Fuß hintragen muss!«

Logan hatte gesagt er sei hübsch. June wusste nicht, wie er das auffassen sollte, denn er war nicht sonderlich begeistert darüber als hübsch bezeichnet worden zu sein. Aber aus dem Mund des anderen klang es wie ein Kompliment. Sollte das etwa heißen Logan fand ihn hübsch? Dessen große Hände auf seinen Schultern schienen sich in Junes Haut zu brennen.

Er schluckte schwer und kämpfte gegen den Drang an sich an den anderen zu schmiegen.

»Einverstanden«, sagte June dann schnell und riss sich von Logan los. Ihm blieb nichts anderes übrig, denn andernfalls wäre er ihm in die Arme gesunken.

»Einverstanden?«, wiederholte Logan und ließ die Hände sinken. Es war eindeutig, dass der andere nicht ahnte, welche Wirkung er auf June hatte. Gott sei Dank, dass er es nicht ahnte!

»Was soll das heißen?«

»Einverstanden, ich gehe mit zu dieser Party.«

Wenn er seine Kapitulation in einer Form bekundete, die unwillig klang, dann lag das nur daran, weil er zum Zerreißen gespannt war und augenblicklich vor Logan davonlaufen musste. Er drehte sich um, ohne abzuwarten, ob der andere noch etwas zu sagen hatte und als er über den Rasen zum Haus lief, blieb Logan stehen und starrte June hinterher.
 

Auf der Fahrt fragte sich June, warum er so kampflos kapituliert hatte. Seit dem Tod seines Vaters war er eigene Wege gegangen, und selbst Cecile hatte ihm nichts vorschreiben können. Auf der Plantage wusste man, wie eigenwillig er war und selbst die Dienstboten, die ihn liebten, hatten längst gelernt, dass es das Beste war June seinen Willen zu lassen.

Aber in Logans Händen war June Wachs – so ungern er sich das auch eingestand und er würde wirklich fast alles tun, um es diesem Mann recht zu machen. Das war eine äußerst beunruhigende Feststellung. Und June wusste auch, dass es zwecklos war vor sich selbst zu leugnen, dass er Logan körperlich anziehend fand. So verrucht das auch sein mochte, June war immer ehrlich zu sich selbst gewesen und konnte sich in diesem Punkt einfach nichts vormachen. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass er seine Empfindungen auf jeden Fall für sich behalten musste, sonst würde man ihn wahrscheinlich aus seinem zu Hause vertreiben.

Diese Erkenntnis bescherte ihm ein mulmiges Gefühl im Bauch und er hatte gleich noch weniger Lust auf diese dumme Party.

Innerlich seufzte er schwer, während er unauffällig zu Logan hinüber sah, den Blick aber gleich wieder abwandte, weil er nicht wollte, dass der andere bemerkte, wie er ihn beobachtete.

Außerdem… Logan war ihm ein Freund geworden und diese Beziehung die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, schien ihm doch reichlich komplexer zu sein, als eine reine Freundschaft es war. Es war seltsam, das ein Mann, den er noch kein halben Jahr kannte – und den er am Anfang gehasst hatte – eine solche Bedeutung in seinem Leben erlangt hatte.

Lag es vielleicht nur daran, dass er nett zu ihm war, so freundlich und wahrhaft an seinem Wohlergehen interessiert? Seit dem Tod seines Vaters hatte sich außer den Dienstboten kaum jemand auch nur die Mühe gemacht, das Wort an ihn zu richten, es sei denn, um ihn zu beschimpfen oder ihn lächerlich zu machen. War es unter diesem Umständen ein Wunder, dass er sich von Logans Freundlichkeit derart beeindrucken ließ?

Nun ja… zumindest war er nicht der einzige, den Logan so weit gezähmt hatte, dass er ihm regelrecht aus der Hand fraß. Thomas folgte ihm ständig auf dem Fuß, wohin er auch ging, und Fred wetteiferte mit Thomas darum, wer dem neuen Herrn öfter etwas bringen oder holen durfte.

Tudi und die übrigen Hausangestellten sprach ihn schon lange mit der familiären Anrede »Mr. Logan« an, eine Ehre, in deren Genuss Cecile erst gekommen war, als sie schon mehr als drei Jahre auf der Plantage gelebt hatte. Selbst jetzt, nachdem sie seit zehn Jahren die Herrin über die Plantage war, redete man sich noch weitgehend mit »Ma´am« an.

Cecile, die in der Stadt aufgewachsen war, schien nie gemerkt zu haben, wie subtil sie dadurch vor den Kopf gestoßen wurde. Als selbst Aban sich soweit dazu herabließ »Mr. Logans« Pferd eine spezielle, selbst angerührte Kleie vorzusetzen, um es aufzupäppeln, wusste June, dass die Plantage kapituliert hatte. Logan hatte sie kampflos erobert. Und das merkwürdigste daran war, dass es June freute.

Elmway lag am Yazoo, mit der Fassade zum Fluss und der Rückseite zur Straße. Von hinten sah das Haus nicht annähernd so groß aus, wie es war. Als die Kutsche um die Biegung fuhr und Elmway zu sehen war, stellte June fest, dass in der Auffahrt bereits die Kutschen Schlange standen, während die Gäste ausstiegen. Der Empfang bei der Verlobungsparty fiel June wieder ein und er spürte Nervosität in sich aufsteigen. Würde man ihn diesmal auch wieder wie einen Ausgestoßenen behandeln? Oder würde man ihn besser aufnehmen als beim letzten Mal?

Sicherlich, er sah unendlich viel besser aus als auf der Verlobungsfeier, das wusste June selbst. Der dunkle Anzug saß perfekt. Die Haare hatte er sich zwar nur zu einem einfachen Zopf zurückgebunden, ein bisschen ordentlicher, als er ihn zum ausreiten gemacht hatte, aber die blonden Locken ringelten sich trotzdem teilweise um sein Gesicht, obwohl er versucht hatte sie mit Haarnadeln zu bändigen.

Als sie aus der Kutsche stiegen, schwirrte bereits eine Masse an Begrüßungen durch die Luft. In einer Kutsche, die vor ihnen angekommen war, musste auch Michele Flake gesessen haben, denn sie stieg gerade die Treppe hinauf. Chancey Dart und Billy Cummings liefen hinter ihr und einer der beiden rief ihren Namen, sodass sie sich umdrehte und die beiden anlächelte. Ein paar Worte wurden gewechselt und da June mit seiner Stiefmutter ebenfalls auf dem Weg ins Haus war, begrüßte er Michele ebenfalls freundlich. Er rang sich sogar zu einem Lächeln durch.

Sowohl die beiden jungen Männer als auch Michele starrten ihn völlig perplex an, bevor sie ihn zurückgrüßten.

»Meine Güte, June! Du hast dich ja ganz schön verändert«, rief Billy Cummings aus und streckte ihm seine Hand entgegen, die June annahm, sich jedoch schnell wieder zurückzog, weil ihm die Situation irgendwie skurril vorkam. Noch bei der letzten Feierlichkeit hatte man ihn nicht mal eines Blickes gewürdigt und nur weil er etwas anderes anhatte, das ihm besser stand, zog er nun Aufmerksamkeit auf sich, die er eigentlich gar nicht wollte.

»Ich dachte, Michele Flake hättest du besonders gern, June«, sagte Cecile abfällig, und ihre Augen funkelten gehässig, als sie an June vorbei stolzierte. Sie hatte sich nie auch nur mit einem einzigen Wort positiv zu seiner Verwandlung geäußert, die sich in ihrem Stiefsohn vollzogen hatte. Alle anderen auf der Plantage hatten ihn mit einem Schwall von Komplimenten überschüttet. June wusste schon seit langem, dass seine Stiefmutter ihn nicht mochte, aber in letzter Zeit schien es Cecile besonderes Vergnügen zu bereiten, zu tun, was sie nur irgend konnte, um June zu verletzen. Natürlich nur, wenn Logan nicht in der Nähe war.

Es war Cecile nämlich verhasst, dass June nun Beachtung zuteil wurde, während sie selbst in die Reihen der älteren Anstandsdamen abgeschoben wurde.

Es war erstaunlich, welchen Unterschied es machte einen modischen Anzug zu tragen, wenn es darum ging ein bisschen Spaß zu haben, dachte June Stunden später, nachdem das Barbecue vorbei war und die Damen sich zurückgezogen hatte, um ihre Ballkleider anzulegen.

Chancey und Billy hatten ihn aufgefordert sich beim Essen zu ihnen zu setzen. Sie waren sehr umschwärmt von den jungen Mädchen und daher erfuhr June zum ersten Mal in seinem Leben, was es hieß, von vielen Mädchen angeflirtet zu werden.

Bislang hatten sie June nur höflich behandelt, als sei er ein älterer Onkel, wenn sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatten, das Wort an ihn zu richten. Jetzt flirteten nicht nur die Mädchen mit ihm, hatte June den Eindruck.

Während des Essens sah June die meiste Zeit auf seinen Teller hinunter, den er auf dem Schoß hielt, weil er zu unsicher war, um sich an den leichten Plaudereien zu beteiligen, die Chancey und Billy so leicht über die Lippen zu kommen schienen. Aber weder die beiden jungen Männer noch die Mädchen schienen seine Schüchternheit befremdlich zu finden.

Wenn überhaupt gaben sich die weiblichen Gäste noch mehr Mühe und Billy stieß ihn freundschaftlich an und bedeutete ihm, sich einfach mal zu einer der vielen Mädchengruppen zu setzen und mit ihnen zu plaudern.

Wenn auch die frühere Freundschaft, die ihn in seiner Kindheit mit Billy und Chancey verbunden hatte, wieder aufgenommen worden war, und wenn er auch von den Mädchen freundlich behandelt wurde, fühlte June sich in ihrer Gegenwart doch nicht allzu behaglich.

Daher nutzte er die Möglichkeit, als sich die Frauen umzogen zu einer Atempause. Er brauchte das einfach, bevor er sich wieder auf diese raffinierten Spielchen und die verzwickten Höflichkeiten einlassen konnte.

Die Damen waren alle noch oben, mit Ausnahme von Lissa Chandler, die am Ende des Saales mit der Köchin sprach und gequält wirkte, und Miss May, die auf dem Rasen vor dem Haus die Kinder beschäftigte und auf sie aufpasste, während sie unter lautem Kreischen Versteck spielten.

June lauschte kurz dem Lärm, den die Kinder veranstalteten. Er konnte sich vage erinnern, früher selbst in der warmen Dämmerung des Altweibersommers so mit anderen Kindern gespielt zu haben, doch in diese Erinnerung mischten sich sofort Gedanken an seine Eltern. Er schüttelte sie ab und war nicht bereit, sich jetzt mit solchen Dingen zu befassen. Es konnte für nichts gut sein, jetzt melancholisch zu werden.

Die älteren Herren standen auf der großen Terasse, von der aus man auf den Fluss schauen konnte. Sie redeten über Politik und rauchten. Um ihnen und den lärmenden Kindern aus dem Weg zu gehen, lief June durch einen Seiteneingang, der zu einem gepflegten kleinen Kräutergarten führte. Am anderen Ende war ein kleiner Komposthaufen angelegt, bei dem June beim Vorbeigehen die Nase rümpfte. Dann lief er über den Weg, der an dem Kompost vorbei führte.

Es herrschte Zwielicht. Die ersten Glühwürmchen funkelten schon über den leuchtend bunten Blumen, die am Wegrand wuchsen. In der Ferne stand ein Hain aus Apfelbäumen, deren süßlicher Duft sich mit den kräftigen Gerüchen vermischte, den die Blumen verströmten. Grillen zirpten, als die Nacht näher rückte und die Luft kühlte ein wenig ab.

Etwas weiter vorn stand ein Gewächshaus neben dem Weg. Es war sehr klein und wahrscheinlich nur für Lissas Rosen gedacht. June hätte es nicht weiter beachtet, wenn er nicht durch das durchlässige Milchglas den Umriss eines Paares gesehen hätte, das sich umarmt hielt.

Er bemühte sich zwar nicht hinzusehen, doch June konnte es einfach nicht lassen. Wer das auch sein mochte – das Benehmen der beiden war wirklich total daneben.

Sie küssten einander leidenschaftlich. Die Arme der Frau hatten sich um den Hals des Mannes geschlungen, und die schattenhaften Umrisse ihrer Köpfe und Körper verschmolzen derartig miteinander, dass sie ein einziges Wesen hätten sein können.

Obwohl er es schockierend fand, war June doch irgendwie neidisch, als er sich fragte, was es für ein Gefühl sein musste, so geküsst zu werden. Er hatte es sich auch noch nie gewünscht, immerhin gab es bis jetzt niemanden, den er hätte küssen wollen. Dennoch war er neugierig.

Wenn er jemanden küssen würde, dann würde er die Augen schließen, die Lippen spitzen…

Doch in dem Moment, wo er genau das tat, stellte June zu seinem Entsetzen fest, dass er doch ein Gesicht durch seine geschlossenen Lider sah.

»Was zum Teufel tust du da?«, fragte Logans Stimme hinter ihm. Er klang belustigt, das lag klar auf der Hand. June zuckte erschrocken zusammen und wirbelte herum. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Logan an und sie wurden noch größer, als er genau das Gesicht nun tatsächlich vor sich sah, dass sich gerade noch in seine Gedanken geschlichen hatte. Sofort nahmen seine Wangen einen gesunden Rotton an.

»Äh… was hast du denn hier zu suchen?«

In seiner Verlegenheit fiel ihm keine zufriedenstellendere Erklärung dafür ein, dass er hier in der einbrechenden Dunkelheit stand und einen imaginären Partner küsste. Daher versuchte er das Thema zu wechseln.

Logan grinste ihn daraufhin nur an.

»Ich suche Cecile«, sagte er, und sein Blick drückte deutlicher als alle Worte aus, dass er genau wusste, was June gerade getan hatte.

»Tante Flora hat mich geschickt, um sie zu suchen. Sie möchte ein Rezept für ein Mittel zur Faltenbekämpfung, von dem sie schwört, Cecile hätte es.«

»Ich habe sie nicht gesehen«, brachte June heraus, während das Blut in seinen Adern stockte. Er wusste nämlich plötzlich mit einer Sicherheit, als wäre keine Milchglasscheibe dazwischen, wer wenige Meter von ihnen entfernt gerade einen Liebhaber im Gewächshaus küsste.

Cecile war dumm genug, wieder auf ihre alten Tricks zurückzugreifen.

»Wen hast du eigentlich geküsst?«

Unter den gegebenen Umständen hätte sich Junes Verlegenheit eigentlich abschwächen sollen, aber da sich seine Gedanken überschlugen, kam die Frage kaum bei ihm an.

»Ich habe überhaupt niemanden geküsst!«, stritt er verspätet ab und versuchte zu verdrängen, dass er Logan vor sich gesehen hatte.

»Ich erkenne einen Kuss, wenn ich ihn sehe.« Logan grinste breit, als er Junes Kinn in die Hand nahm und sein Gesicht musterte. Es wurde zusehends dunkler und dafür war June dankbar. Wenn es nur schnell genug dunkel wurde, erkannte Logan vielleicht nicht mehr, dass sich überhaupt jemand im Gewächshaus aufhielt. Und vielleicht würde er dann auch die Panik nicht bemerken, die in Junes Augen stand.

June dachte schnell nach, und es gelang ihm, täuschend echt so zu tun, als sein ihm kalt, obwohl ihm in dem Anzug höllisch warm war, was tatsächlich der Situation geschuldet war, in der er gerade bis zum Hals steckte und versuchte zu retten, was zu retten war.

»Gehen wir ins Haus. Ich friere«, sagte er und wollte schon losgehen, doch Logan hielt ihn zurück.

»Nicht ehe du mir gesagt hast, an welche junge Dame du dabei gedacht hast.«

Er hielt immer noch Junes Kinn fest. June war zu aufgeregt, um diese Berührung schuldbewusst genießen zu können. Er riss sein Kinn los und nahm Logan stattdessen am Arm, versuchte ihn in Richtung Haus zu ziehen.

»Cecile ist wahrscheinlich bei den Kindern vor dem Haus«, erzählte June das erste was ihm einfiel, um Logan dazu zu bewegen mit ihm zu kommen.

»Das bezweifle ich. Sie kann Kinder nicht ausstehen. Das hat sie mir selbst gesagt.«

June ging um ihn herum und versuchte Logan umzudrehen und von dem Gewächshaus wegzuschieben, doch der andere stand so fest da, wie ein Fels in der Brandung. Nur umdrehen hatte er sich lassen, was June schon einmal ein bisschen beruhigte, da er nun keinen direkten Blick mehr auf das Gewächshaus hatte.

»Wie heißt die junge Dame? Michele? Wenn ja, dann könntest du dir wirklich etwas besseres aussuchen.«

»Ich interessierte mich kein bisschen für sie«, fauchte June, und da er so nervös war, klang es ganz echt.

»Und wen hast du dann geküsst?«, beharrte Logan weiter darauf.

»Ich habe GEÜBT, verdammt! Würdest du jetzt vielleicht damit aufhören und mit mir ins Haus kommen?«

June zerrte wieder an Logans Arm, doch dieser stand so regungslos da wie ein Berg.

»Dieser Anzug steht dir wirklich gut. Wenn du wolltest, könntest du hier draußen mit Michele üben.«

Der Anzug war wirklich sehr edel und June war auch mit seinem Spiegelbild zufrieden gewesen. Aber im Moment konnte noch nicht einmal Logans Kompliment ihn von seinem Ziel ablenken, das er erreichen wollte. Er musste dafür sorgen, dass Logan augenblicklich aus der Nähe dieses Gewächshauses verschwand!

»Ich will nicht mit Michele üben! Ich will mit überhaupt niemandem üben. Ich will sofort zurück ins Haus gehen!«, murrte June immer nervöser werdend, weil er einfach keinen Erfolg mit seinem Vorhaben erzielen konnte.

Stattdessen funkelten Logans Augen belustigt und June konnte ihm deutlich ansehen, dass er ihn noch länger necken wollte. Seine Stiefel gruben sich hartnäckig in den Boden, als June ihn erneut in Richtung Haus schieben wollte. Allmählich stieg Ärger in June auf und am liebsten hätte er mit dem Fuß aufgestampft. Wie sollte er ihn nur je dazu bekommen, sich zu bewegen?

»Sag mir die Wahrheit, June: Du übst für deinen ersten Kuss. Wer wird die Glückliche sein?«

»Würdest du jetzt vielleicht aufhören, solchen Quatsch zu reden, und dich in Bewegung setzen? Die Mücken zerstechen mich bei lebendigem Leib.«

»Komisch, mich stechen sie überhaupt nicht. Na komm, stell dich nicht so an und sag es mir.«

»Ich stell mich überhaupt nicht an!«

»Wer es auch sein mag – für den Anfang reicht ein kleines Küsschen, sonst bekommst du noch eine Ohrfeige. Und achte darauf, dass deine Lippen fest geschlossen bleiben.«

»Wovon auf Erden sprichst du?«

»Vom Küssen natürlich«, antwortete Logan amüsiert und June knurrte.

»Ich will nicht vom Küssen reden. Ich…«

Aber es war zu spät. June blieben die Worte in der Kehle stecken und er riss vor Entsetzen die Augen weit auf, als Cecile aus dem Gewächshaus kam und über die Schulter lachte. Er konnte Ceciles Begleiter nicht sehen, denn er stand noch in der offenen Tür. Sein schockierter Gesichtausdruck musste Logan aufgefallen sein, denn er sah sich um. Als er Cecile entdeckte, zuckte er zusammen, das konnte June deutlich sehen.

Die Zornesröte, die bis zu Logans Wangen aufstieg, sagte June eindeutig, dass er es nicht einfach hinnehmen würde, seine Frau mit einem anderen Mann an einem verborgenen Ort ertappt zu haben. Sie konnte Gott danken, dass Logan die Umarmung nicht gesehen hatte.

»Was, zum Teufel…?« Es war ein leiser, unfreundlicher Ausruf. June versuchte, sich an Logans Arm zu klammern und ihn zurückzuhalten, doch der andere schüttelte ihn ab und ging mit energischen Schritten auf seine Frau zu.

»Logan!« Ceciles Stimme war kaum mehr als ein Piepsen. Sie warf einen schnellen Blick über ihre Schulter, als Logan auf sie zukam. In Junes Augen verkörperte sie die reine Schuld.

Seth Chandler trat aus dem Gewächshaus. Als er Logan sah, blieb er erstarrt stehen.

»Ich, äh, wir, äh…«, stammelte Chandler, und seine Augen traten hervor. Er zog an seinem Kragen, als säße er plötzlich zu fest.

Logan ließ ihm gar nicht erst die zeit, seinen Satz zu beenden. Er ging auf Chandler zu und holte, ohne auch nur ein Wort zu sagen, mit seiner Rechten zu einem Kinnhaken aus, der den Mann rückwärts durch die Tür des Gewächshauses wanken ließ.

Cecile schrie auf.

June rannte auf das Gewächshaus und auf Logan zu.

Logan packte seine Frau am Arm und zerrte sie mit einem Ruck zu sich. Seine Augen drückten Mordlust aus und Cecile zuckte zusammen. Da June Angst vor dem hatte, was Logan tun könnte, rannte er zu den beiden, packte Logans freie Hand und zerrte daran.

»Tu ihr nichts«, flehte June eindringlich.

»Du gottverdammtes Luder!!« Die Worte klangen wie pures Gift. Logan beachtete June überhaupt nicht. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich Cecile.

Bei dieser Beleidigung schien Cecile sich ein Herz zu fassen. Sie errötete und versuchte erfolglos, ihrem Mann ihren Arm zu entreißen. Als es ihr nicht gelang, hörte sie auf sich zu wehren und sah ihn böse an.

Cecile war klein und zierlich und Logan groß und muskulös. Beide waren in Wut geraten. Wenn es zu einer tätlichen Auseinandersetzung kam, stand von vornherein fest, wer der Sieger sein würde.

Als er Logan sah, der zornig über seiner Frau aufragte, fragte sich June, woher Cecile den Mut nahm, sich ihm zu widersetzen. Er sah aus, als könnte er sie mühelos in Stücke reißen.

»So, ich bin also ein Luder?«, zischte Cecile. »Und das nur, weil ich mich mit einem alten Freund meines verstorbenen Mannes allein unterhalte? Aber der liebe June darf sich hier mit dir im Dunkeln treffen, oder wie?«

»Lass June aus der Sache heraus.« Es war eine geknurrte Warnung.

Cecile lachte böse. Sie funkelte June an und musterte dann wieder Logan. Bei dieser Andeutung hatte June augenblicklich Logans Arm losgelassen, obwohl ja nun gar nichts dabei war, wenn zwei Männer im Garten standen, ganz im Gegensatz zu Cecile und ihrem Begleiter. Nichts desto trotz sammelte sich abermals an diesem Abend eine gesunde Röte auf Junes Wangen und er trat ein paar Schritte zurück, dankbar, dass die fortgeschrittene Dämmerung sein Gesicht weitgehend verbarg.

»Da! Siehst du? Du brauchst ihn doch nur anzuschauen! Die reinste Verkörperung des Schuldbewusstseins! Na, los, lieber Gatte, gestehe: Du hast dich an den süßen kleinen June rangemacht!« Ceciles Stimme versprühte Gift und June verkrampfte sich völlig bei der Anschuldigung seiner Stiefmutter. Wie kam sie nur auf solche Gedanken?

Logans Gesicht verkrampfte sich, bis die Muskeln deutlich hervor traten. Seine Hand musste sich fester um Ceciles Arm geschlossen haben, denn sie keuchte.

»Zwei Tage nach unserer Hochzeit habe ich dich mit einem Stallknecht im Heu ertappt. Du warst es damals nicht wert, jemanden deinetwegen zu töten, und heute bist du es genauso wenig wert!«

»Himmel, Mann, darum geht es doch gar nicht! Es war doch gar nichts – jedenfalls so gut wie nichts…«

Seth Chandler machte den größtmöglichen Fehler seines Lebens. Er stand auf, wankte durch die Tür und legte tatsächlich eine Hand auf Logans Schulter, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Diese Berührung veranlasste Logan, sich augenblicklich umzudrehen und ihn am Revers seines eleganten Jacketts festzuhalten. Er hob ihn fast vom Boden hoch.

Chandler war zwar stämmig und muskulös, aber angesichts der Wut, in die Logan geraten war, und seines eigenen Wissens um den Fehler, den er begangen hatte, war er so schwach wie ein getretener Welpe. June hielt gespannt die Luft an und erkannte, dass Chandlers unterwürfiges Auftreten selbst dann seine Schuld bewiesen hätte, wenn er die Umarmung nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.

»Wir haben nur miteinander geredet – es war alles ganz unschuldig«, stammelte Chandler und versuchte, Logans Hände von seinem Revers zu ziehen.

»Wenn sie noch einmal mit meiner Frau REDEN, dann schlage ich Sie zu Brei.« Es klang eher nach einem Versprechen, als nach einer Drohung.

»Verstanden?«

Chandler nickte ruchartig, und die Angst stand sichtlich in seinen Augen.

Logan verzog den Mund und ließ den Mann dann abrupt los.

Chandlers Knie sackten unter ihm zusammen, und er stolperte zurück. Es gelang ihm, sich am Rahmen der Gewächshaustür festzuhalten. Das bewahrte ihn davor, der Länge nach auf dem Boden zu langen.

»Kommen Sie mir nicht mehr unter die Augen«, knurrte Logan noch, während Chandler sich den schmerzenden Kiefer rieb und sich mit wackligen Schritten verzog.

Cecile hatte sich nicht von der Stelle gerührt und mit deutlicher Verachtung in den Augen diese Szene mit angesehen, die recht entwürdigend für ihren Liebhaber gewesen war. Als Logan sich wieder zu ihr umwandte, wie sie nicht zurück. June fand, ihre Haltung drückte sogar einen gewissen Triumph aus.

»Was stört es dich eigentlich, ob ich mich amüsiere oder nicht? Du hast mich doch nur geheiratet, um mein Geld in deine verdammten Finger zu kriegen!«

»Und du hast mich nur geheiratet, um zu beweisen, dass du mich kriegen kannst. Daher würde ich behaupten, dass wir einander verdient haben«, konterte Logan und streckte unerwartet, die Hand nach ihr aus, packte eine von Ceciles hüpfenden Ringellöckchen, schlang es sich um den Finger und zerrte daran.

»Ganz gleich, als welchen Gründen wir geheiratet haben – es ändert nichts an der Tatsache, dass wir miteinander verheiratet sind. Und ich lasse mich von meiner Frau nicht zum Gespött machen.«

»Und ich lasse mich von meinem Mann nicht versklaven!«

Logan lächelte ein kaltes, finsteres Lächeln, dass gehässig genug war, um wenigstens June zu erschrecken.

»Mach dir eins klar: Ich habe dich gewarnt. Wenn ich dich ein zweites Mal mit einem anderen Kerl im Bett erwische, dann bringe ich dich um!«

Er ließ ihre Locke los und zog seinen Finger so grob aus den Haaren zurück, dass Cecile schmerzvoll aufschrie und zurückwich. Schützend legte sich ihre kleine Hand sofort auf ihre Kopfhaut.

»Ich hasse dich!«, fauchte sie.

»Gut so!«

Die Worte klangen brutal. Cecile warf ihrem Mann einen mordlustigen Blick zu, ehe sie auf dem Absatz kehrt machte und zum Haus zurück lief.

»Luder«, murmelte Logan. Sein Gesicht war vor Wut gerötet. Er rammte die Fäuste in seine Jackentaschen, drehte sich in die entgegen gesetzte Richtung und lief los.

June sah ihm unentschlossen nach. Sollte er ihn jetzt besser in Ruhe lassen? Die Gehässigkeit dieser Szene, die er gerade miterlebt hatte, ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Logan hatte ganz gewiss nicht den Eindruck gemacht, als wäre er jetzt fern in Gesellschaft. Als June jedoch sah, wie dieser steife, stolze Rücken in der dichter werdenden Dunkelheit verschwand, wusste er, dass er Logan nachgehen musste. Es war ihm eine unerträgliche Vorstellung den anderen jetzt allein zu lassen. Trotzdem noch etwas unsicher biss er sich auf die Unterlippe, blieb noch ein Weilchen stehen, bevor er Logan schließlich folgte.
 

Tbc…
 

© by desertdevil

Der erste Kuss

Der erste Kuss
 

Suchend schaute June sich um, eilte ein Stück weiter und wäre beinahe mit Logan zusammen gestoßen, der an einem etwa hüfthohen Steinmäuerchen stand, das quer durch ein Feld verlief. Inzwischen war es so weit dunkel geworden, dass man nur noch wenig sah und da der andere einen schwarzen Anzug anhatte, war es kein Wunder, dass June ihn nicht gleich gesehen hatte.

Er stellte sich neben Logan und sagte erst mal kein Wort. Dem Blondschopf fiel einfach nichts ein, was er hätte sagen können, ohne dass es irgendwie dumm klang und er kam sich ein bisschen fehl am Platze vor. Vielleicht hätte er doch lieber zum Haus gehen sollen?

Logan schaute auf das Feld hinaus und gab mit keinem Ton zu verstehen, dass er Junes Anwesenheit wahrgenommen hatte.

Es dauerte etliche Minuten, bis er die Stimme erhob.

»Es tut mir leid, dass du das miterleben musstest«, sagte er schließlich.

»Das… das macht nichts.«

June schüttelte leicht den Kopf und biss sich auf die Unterlippe, weil die Situation irgendwie komisch war, während Logans Blicke sich auf den Dunst richteten, der sich gerade auf das Feld senkte.

»Du hast mir damals die Wahrheit über sie gesagt, stimmt´s? Und ich habe dich zur Belohnung dafür geschlagen. Dafür habe ich mich bis heute noch nicht bei dir entschuldigt. Ich tue es hiermit.«

June war zu perplex, um einen Ton heraus zu bringen. Damit hatte er ja nun überhaupt nicht gerechnet, doch ein warmes Gefühl machte sich kurz darauf in seinem Bauch breit und er spürte, wie die Zuneigung, die er für Logan empfand noch größer wurde.

»Ich hab das schon längst vergessen…«, sagte er etwas verspätet und senkte den Blick auf seine Fußspitzen, die er im Dunkeln gar nicht mehr erkennen konnte.

»Ich liebe sie nicht. Ich habe sie nie geliebt«, gestand Logan schließlich nach einer weiteren Phase des Schweigens.

»Ich weiß.«

»Du hast Recht gehabt. Ich habe sie nur geheiratet, weil ich die Plantage haben wollte.«

»Das weiß ich auch«, meinte June, ohne dabei besserwisserisch zu klingen.

»Aber ich dachte, es könnte klappen. Ich dachte, WIR könnten eine gute Ehe daraus machen. Gott im Himmel!«

Logan schloss einen Moment lang die Augen, und als er sie wieder aufschlug, starrte er vor sich hin, ohne etwas wahr zu nehmen. Hunderte von Glühwürmchen schwirrten durch die samtig blaue Dunkelheit, die sich nun vollständig über die Felder hinab gesenkt hatte. Es war ein Anblick von gespenstischer Schönheit, wie ein Feentanz.

»Wir sind erst ein paar Monate verheiratet, und ich hasse sie. Gott steh mir bei, aber ich hasse sie so sehr, dass ich sie umbringen könnte.«

Mit gesenktem Kopf lehnte sich Logan an das Mäuerchen.

Sachte legte June eine Hand auf seinen Ärmel und er konnte kaum mit ansehen, wie Logan sich fertig machte. Es tat ihm in der Seele weh, den anderen so leiden zu sehen und am liebsten hätte er ihm das abgenommen, aber das ging ja nicht.

»Mein Gott, ich habe alles verpfuscht«, murmelte Logan dann und hob den Kopf. June zuckte zusammen, als der andere seiner Hilflosigkeit Ausdruck verlieh und mit der Hand an die Mauer schlug.

Es war die vernarbte Hand, mit der er schon Chandler geschlagen hatte.

June überlegte nicht lange, schob seine Bedenken erst einmal in den hintersten Winkel seines Denkens zurück, nahm Logans geschundene Hand in seine und begann sie sachte zwischen seinen beiden Händen zu massieren.

»Das tut gut…«, seufzte Logan nach einer Weile und June lächelte. Er freute sich, dass er dem anderen ein wenig helfen konnte. Er spürte aber auch, dass der andere auf seinen gesenkten Kopf hinunter schaute und ihn beobachtete. Er konnte es spüren, war aber nicht bereit aufzublicken. Seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich der verkrampfen Hand.

»Woher… stammt diese Narbe?«, wollte June nicht nur aus Interesse wissen, denn er versuchte dadurch auch seine eigenen Gefühle etwas unter Kontrolle zu halten.

Logans Hand mit der breiten Handfläche und den langen Fingern war viel größer als seine eigene, und die Haut hatte Schwielen. Außerdem war sie sehr warm und um einige Nuancen brauner, als die von June.

Die Narbe auf seiner Handfläche war hässlich, rund und rot. Die Finger hatten sich nach innen gekrümmt und June massierte die Sehnen ein bisschen fester, sodass er einige Zeit später den Eindruck hatte, dass sie sich ein wenig lockerten. Währenddessen hielt er weiterhin den Blick gesenkt.

»Von einer Messerstecherei. Vor einigen Monaten.«

Die verspätete Antwort riss June aus seinen Gedanken und er hob überrascht den Kopf.

»Von einer Messerstecherei?«, wiederholte er ungläubig.

Logans Lippen verzogen sich.

»Überrascht dich das?«

June dachte darüber nach und schüttelte dann den Kopf.

»Nein, eigentlich nicht. Wenn ich es mir jetzt recht überlege, schein es mir absolut typisch für dich, in eine Messerstecherei zu geraten. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, fand ich, du sähst gefährlich aus.«

Auf dieses Geständnis hin lächelte Logan.

»Ach wirklich?«

»Ja«, bestätigte June ein wenig unwillig, denn er stellte fest, dass es ein Fehler gewesen war aufzusehen. Logan war ihm zu nah, viel zu nahe und sofort begann sein Herz schneller zu schlagen. Er nahm sogar den herben männlichen Duft deutlich wahr, den Logan verströmte.

June schluckte.

»June, mein Kleiner, mir scheint, du bist gerade dabei das Flirten zu lernen«, meinte der andere überrascht und nachdenklich zugleich. Sowie die Worte zu ihm durchgedrungen waren, machte der Blondschopf einen Satz zurück und das so hastig, dass er das Gleichgewicht verlor. Ein erschrockener Schrei wollte sich schon von seinen Lippen lösen, als sich kräftige Arme um seine Mitte schlangen und ihn vor dem Sturz bewahrten.

»Nana… nicht so hastig…«, warnte Logans dunkle Stimme und June leckte sich über seine plötzlich trockenen Lippen. Seine Finger hatten sich in die Oberarme des anderen verkrallt und er starrte ängstlich zu Logan hoch.

»Ich… ich flirte nicht…«, stritt er schwach ab, doch seine Stimme sagte ganz deutlich etwas anderes. June verspürte einen dicken Kloß im Hals. Er wusste nicht, was er tun sollte. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken. Er konnte nur hoffen, Logan würde ihn nicht voller Abscheu von sich stoßen, denn er musste ahnen, was in dem Blondschopf vorging.

»Wirklich nicht?«, kam dann überraschenderweise diese Frage und June sah wieder hoch in Logans Augen, die ihn genau musterten. Es stand eine ungewohnte Eindringlichkeit in ihnen, die June beunruhigte und zugleich elektrisierte.

»Nein…« Es war nur ein schwacher Hauch und der Blondschopf hasste sich für seine plötzliche Schwäche. Es war ihm peinlich und er wandte das Gesicht beschämt ab. Logan hatte bestimmt deutlich erkannt, wie es um seine Gefühle stand und es war sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis ihm tiefe Verachtung entgegen schlagen würde. Panik stieg in ihm auf. Panik und auch Angst, dass er mit seinen unbedachten Reaktionen vielleicht die einzige Freundschaft verlieren würde, die ihm je etwas bedeutet hatte. Es wollte sich schon Tränen in seinen Augen sammeln, weil ihn dieser Gedanke so sehr schmerzte, als ihn Logans Worte aus seinen schwarzmalerischen Überlegungen rissen.

»Nein? Bist du sicher?«

Verwirrt sah er Logan wieder an, bis er begriff, das dieser von ihm wollte.

»Nein!!«, stritt er sofort ab, diesmal vehementer. Er musste retten, was noch zu retten war und vielleicht hatte Logan ja doch noch keinen Verdacht geschöpft, denn bis jetzt hatte er ihn ja auch noch nicht von sich gestoßen. Dennoch blieb die Unsicherheit in seinem Inneren hartnäckig bestehen.

»Ach.« Diese eine Silbe war seltsam verwirrend. Doch Logan lächelte sanft und senkte seinen Kopf zu ihm hinunter. June spürte, wie sein Kopf plötzlich schwirrte. Seine Finger gruben sich tiefer an Logans Jackett und in dessen Fleisch und June kam gar nicht erst auf den Gedanken, dass er dem anderen womöglich wehtun könnte. Gespannt hielt er den Atem an, aber auch das nahm er nicht wirklich wahr. Die Nacht um ihn herum schien zu erstarren wie eine Momentaufnahme. Die Glühwürmchen und ihr Leuchten, die Insekten und das Zirpen, das Laub und sein Rauschen – all das existierte plötzlich nicht mehr. Jeder Nerv in Junes Körper konzentrierte sich nur noch auf das markante, dunkle Gesicht, das sich über seines beugte, auf die schön geschwungenen Lippen, die innerhalb von einem Sekundebruchteil seine berühren mussten…

Eine von Logans Händen hob sich und legte sich in Junes Genick. Junes Herz pochte heftig und es fühlte sich an, als könnte es jeden Moment aus seiner Brust springen und hakenschlagend davon hüpfen, wie ein aufgestörtes Kaninchen. June wankte und schloss die Augen…

Und dann streifte Logans Mund flüchtig seine Lippen.

Es war eine zarte Liebkosung, die kaum spürbar war. Und doch zog sie eine Glut nach sich, die das Blut heiß durch seine Adern rauschen ließ.

Seine Lippen öffneten sich leicht und June holte stockend Atem. Es schien ihm, als bekäme er kaum noch Luft.

Logans Hand spannte sich kurz fester um seinen Nacken und zog sich dann zurück. In einem Winkel seines Verstandes erkannte der Blondschopf, dass Logan auf sein benommenes Gesicht hinunter sehen musste.

Er zwang sich, die Augen zu öffnen.

Logan sah ihn wirklich an und sein Ausdruck war undefinierbar. In der Dunkelheit, die sie jetzt einhüllte, konnte June nichts in seinen Augen lesen. Der andere war ihm nah, noch näher als vorher, so nah, dass nur noch wenige Zentimeter zwischen ihren Oberkörpern lagen. Noch immer waren seine Finger in Logans Jackett verkrallt und er wusste zwar, dass er loslassen musste, konnte sich aber irgendwie nicht dazu durchringen.

»Das war schon ganz gut.«

»Was?«

June hatte keine Ahnung, wovon der andere redete. Logans Stimme klang leichtfertig. So leichtfertig, dass sie sich nicht mit der Glut vereinbaren ließ, die sich durch Junes Adern zog, so leichtfertig, dass der Blondschopf nicht verstehen konnte, was er gesagt hatte.

Der Kleine glühte vor lauter Empfindungen und Logans Stimme klang, als sei überhaupt nichts geschehen.

»Dein erster Kuss. Es war doch dein erster, oder nicht?«

Es war ein Alptraum! Es konnte nur ein Alptraum sein. So hätte Logan über ein Dutzend belanglose Themen mit ihm reden können. Aber dieser Kuss… der war für June alles andere als belanglos gewesen. Trotz all seiner Zartheit und Kürze, war er eine nachhaltigere Erfahrung als alles, was er bisher in seinem Leben erlebt hatte. Er war immer noch ganz aufgewühlt, aber allmählich, ganz allmählich ging ihm auf, dass Logan dieses Erlebnis vielleicht weniger nahegegangen war als ihm selbst. Schließlich war er ein erwachsener Mann und kein Junge mehr… ein verheirateter Mann, der zweifellos sehr viel Erfahrung darin hatte, Frauen und… so dumme Jungs wie ihn zu küssen. Das, was für June ein tiefgreifendes Erlebnis gewesen war, hatte Logan sicherlich nicht das geringste bedeutet. Und June wäre einfältig zu glauben, dass mehr hinter der Sache steckte, als ein schlechter Scherz.

Diese Erkenntnis verletzte ihn mehr und traf ihn härter, als ein kräftiger Schlag ins Gesicht es gekonnt hätte.

»June?«

Ihm in die Augen zu sehen und mit ruhiger Stimme zu sprechen, gehörte zu den schwierigsten Dingen, die June in seinem ganzen Leben je bewerkstelligt hatte. Er tat es trotzdem, weil es sein musste. Wenn er Logan zeigte, wie nah ihm dieser flüchtige Kuss gegangen war, würde er ihm nie mehr in die Augen sehen können. Sein dummes Herz mochte zwar nach solchen Berührungen und Zärtlichkeiten lechzen, doch sein Verstand fürchtete, er könnte Logans Freundschaft verlieren. Und ohne seine Freundschaft wäre sein Leben einfach nicht das, wozu es sich in den letzten Monaten entwickelt hatte.

»June, fehlt dir etwas?«

Logans Stimme klang plötzlich barsch und seine Augen kniffen sich zusammen, als er ihn musterte. Die großen, starken Hände, die bis eben noch auf seiner Hüfte geruht hatte, legten sich nun auf Junes Schultern und er wurde leicht geschüttelt.

June riss sich los und trat zurück, bevor er mit überzeugend fester Stimme antwortete:

»Nein, was sollte mir fehlen?«

Es war ihm hoch anzurechnen, dass er sogar ein kleines Lachen zustande brachte. Innerlich kam sich June jedoch vor, als wäre er von einem Dunstschleier eingehüllt, der all seine Sinne betäubte. Um jeden Preis wollte er verhindern, dass Logan etwas von seinen Gefühlen mitbekam, wenn er das bis jetzt noch nicht hatte. Außerdem… ein bisschen Stolz besaß er auch noch und allein schon aus diesem Grund fühlte June sich gezwungen dem anderen das Gefühl zu geben, dass ihm dieser flüchtige Kuss kein bisschen mehr bedeutet hatte, als ihm.

»Es mag zwar mein erster Kuss gewesen sein…« June stockte kurz und leckte sich über die Lippen. »Aber es war nicht das, was ich erwartet hatte.«

Logan riss daraufhin überrascht die Augen auf.

»Willst du etwa sagen, dass du enttäuscht bist? Du lernst das Flirten wirklich schnell«, stellte Logan mit leicht schief gelegtem Kopf fest.

»Wenn ich Michele oder irgendwer von diesen anderen Mädchen gewesen wäre und es wäre mir gelungen mich mit dir hinaus in die Dunkelheit zu schleichen, dann würde diese Äußerung ausreichen, um dir eine satte Ohrfeige zu verpassen.«

»Du bist aber keine Frau«, stellte June klar. »Und so gesehen müsste ich dir eine Ohrfeige geben, nachdem was du getan hast, denn du hast mich geküsst!«, murmelte er noch durch zusammengebissene Zähne, während sich ein starres Lächeln auf seinen Zügen befand.

Glücklicherweise stieg eine erlösende Wut in ihm auf, denn es war weitaus besser wütend auf Logan zu sein, als sich von einem Pferd in den Bauch getreten zu fühlen.

Auf seine unverständliche Antwort hin, runzelte der andere die Stirn.

»Was hast du gesagt?«

»Ich habe gesagt, dass du eine Ohrfeige verdient hättest…«

»Für dieses kleine Küsschen? Ich bitte dich, June. Das war nicht mehr als ein Dankeschön für deine sanfte Zuwendung. Unter Verwandten ist das durchaus zulässig, das kann ich dir versichern.«

»Ach ja?« June lächelte und ballte geschützt hinter seinem Rücken die Hände zu Fäusten.

»Es freut mich, dass ich dir nützlich sein konnte. Wenn du dich das nächste Mal über Cecile ärgerst, dann vergiss nicht, dich bei mir zu melden.«

Logan wollte gerade in seine Jacketttasche greifen, um sein Zigarrenetui heraus zu holen, doch jetzt hielt er inne, um June genauer anzusehen.

»Mein Güte. Du bist ja wütend! Auf mich?«

Der Blondschopf schüttelte jedoch nur den Kopf.

»Ich bin nicht wütend.« Verbissen hielt er das Lächeln auf seinen Lippen bei. »Aber wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, es ist ziemlich kühl. Ich gehe zurück ins Haus.«

Ohne noch einen Blick an Logan zu verschwenden, drehte sich June um und lief in die Richtung zurück, aus der er gekommen war.
 

Wut war wirklich ein großartiges Mittel, um seine Minderwertigkeitskomplexe einmal zu vergessen. June war wild entschlossen Logan und auch sich selbst zu beweisen, wie wenig ihm dieser Kuss bedeutet hatte – nämlich überhaupt nichts – dass sein Auftreten lebhafter und temperamentvoller wirkte, als es eigentlich seiner Natur entsprach.

Für den Rest des Abends schloss er sich den anderen jungen Männern an, unter denen sich auch Chancey und Billy befanden und lachte mit ihnen. Sein Selbstvertrauen war von seiner Wut außerdem derart angefeuert, dass June sich sogar traute eines der Mädchen zum Tanzen aufzufordern. Die Unerfahrenheit, die er dabei noch an den Tag legte, störte seine Tanzpartnerinnen ganz und gar nicht und so mangelte kam June eine ganze Weile gar nicht von der Tanzfläche herunter.

Außerdem trank er zum ersten Mal Alkohol. June hatte sich wieder zu seiner Gruppe gesellt. Seine Wangen waren noch leicht gerötet vom Tanz und er strahlte wie noch nie. Billy gab ihm ein Glas und grinste breit, während June den ersten Schluck davon kostete.

»Ich hab ja gewusst, dass es dir nicht schmeckt!«, grinste er noch breiter, als der Blondschopf das Gesicht verzog. Das Zeug schmeckte wirklich abscheulich, doch June hatte während des ersten Schlucks einen kurzen Blick auf Logan erhascht und dessen finstere Miene ließ ihn sich zusammen reißen. Mehr Ansporn brauchte er nämlich nicht, um diesen wenigstens ein bisschen zu ärgern.

Also behauptete er trotzig Geschmack an dem Getränk gefunden zu haben. Mit einem Mal kippte er sich den Rest des Glases hinter und Fragte Billy nach dem nächsten.

Als er beim dritten Glas angekommen war, gesellte sich Miss Flora zu ihm.

»June, es ziemt sich nicht zu viel auf einmal Trinken…«, ermahnte sie ihn flüsternd, sodass die anderen jungen Männer nichts davon mitbekamen und lediglich denken mussten, eines der Mädchen hätte sich nicht getraut ihn nach einem Tanz zu fragen und die liebe Miss Flora wolle ihr unter die Arme greifen, indem sie June an deren Stelle fragte.

Als er der älteren Dame jedoch über die Schulter sah, fiel Junes Blick auf Logan, der ihn quer durch den Raum finster musterte. Offensichtlich hatte er seine Tante geschickt, um ihn zurechtzuweisen. Aber June tat nichts falsches. Er war ebenfalls ein junger Mann und durchaus in der Lage selbst zu entscheiden, ob er Alkohol trinken wollte oder nicht.

Trotzig lächelnd neigte June den Kopf in Logans Richtung und trank noch einen viel zu großen Schluck aus seinem Schnapsglas, sodass er fast an der beißenden Flüssigkeit erstickt wäre. Aber es gelang ihm die Fassung zu wahren und schluckte das Zeug tapfer runter.

Der Schnaps brannte höllisch auf seiner Zunge und in seiner Kehle, aber nachdem er noch einen etwas kleineren Schluck genommen hatte, war es gar nicht mehr so schlimm.

Logan sah ihn nun so finster an, dass er sich angespornt fühlte, sein Glas zu leeren und sich ein weiteres zu holen.

Diesmal ließ er sich jedoch keinen Cognac geben, sondern beschloss Wein zu kosten. Der schmeckte nicht ganz so übel, wohingegen sein nächstes Glas, ein Bourbon überhaupt einfach nur ungenießbar war.

Logans Laune verschlechterte sich in Junes Verkostungsphase zusehends und der Blondschopf hätte vor Zufriedenheit schnurren können. Er hatte zwar für seine Begriffe schon ziemlich viel getrunken, aber seines Erachtens nach machte ihn die Wirkung des Alkohols nur lebhafter und charmanter. Jedenfalls konnte er sich vor Tanzpartnerinnen kaum retten.

Alles in allem war der Abend ein richtiger Triumph für June.

Warum also fühlte er sich unter der Fassade des Lächelns und Flirtens so elend?

Es war noch nicht ein Uhr und die Party war noch in vollem Gange, als Logans sich ihm von hinten näherte, während er gerade mit Oscar Kastel über Pferde redete. Bess Lippmann warf ihnen wütende Blicke aus einer Ecke des Saales zu, in der sie mit ihrer Mutter saß. Denn Oscar hatte es vorgezogen mit June zu plaudern, anstatt mir ihr zu tanzen. Das freute June umso mehr, denn dieses Weib war ein gehässiges Biest und er konnte sie weniger als gar nicht leiden.

June war eigentlich sonst nicht so, aber er durfte sich ja wohl auch mal amüsieren. Das tat er auch, bis er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Lächelnd sah er sich um und rechnete damit, dass Billy oder Chancey etwas von ihm wollten, doch stattdessen musste June feststellen, dass es Logan war und das Lächeln schwand aus seinem Gesicht.

Logans Lächeln schien ebenfalls aufgesetzt und es konnte das grimmige Funkeln seiner Augen nicht ganz verbergen. Ihm passte also nicht, wie June sich benahm, was? Gut so! Der Blondschopf dachte gar nicht daran etwas daran zu ändern. Er hatte von Anfang an nicht zu dieser Party gewollt und jetzt, wo er sich amüsierte, passte es seinem Stiefvater ebenfalls nicht.

»Guten Abend, Mr., äh… Kastel, das stimmt doch?«

Logans Stimme klang freundlich, aber dessen hand lag grob auf Junes Schulter.

»Ja, Sir. Guten Abend, Mr. Johnson. Ich habe gehört, dass sie dieses Jahr eine prächtige Baumwollernte haben.«

»Ja, allerdings. June, Cecile fühlt sich nicht wohl. So ungern ich dir den Abend auch verderbe, aber wir müssen aufbrechen.«

»Cecile…«, wollte June einwenden, weil er ganz genau wusste, dass es eine Lüge war, aber Logans warnender Blick und der harte Griff, der sich tiefer in seine Schulter grub, ließen ihn verstummen. Er wusste, dass es zu nichts führte jetzt öffentlich eine Szene zu machen. Damit hätte er nur sich selbst geschadet. June bezweifelte keinen Moment lang, dass Logan ihn hochgehoben und ohne zu zögern aus dem Haus getragen hätte wie ein ungezogenes Kind, wenn er sich weigerte. Diese Blamage wollte er sich ersparen.

Daher lächelte er Logan genauso falsch an wie dieser ihn und meinte: »Ach, du meine Güte.«

»Ja, das kann man wohl sagen.«

Dann sah Logan Oscar Kastel wieder an.

»Wenn Sie June und mich jetzt entschuldigen würden, Mr. Kastel?«

»Ja, natürlich.«

»Auf Wiedersehen, Mr. Kastel.«

June ließ sich von Logan fortführen. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Als ihm die kühle Nachtluft entgegenschlug wankte June, sodass Logan sich anscheinend dazu veranlasst fühlte nach seinem Arm zu greifen, damit er nicht hinfiel.

»Du bist angetrunken und zwar ganz schön!« Es klang engewidert.

Doch so schlecht ging es dem Blondschopf nun auch wieder nicht. Ruppig entriss er dem anderen seinen Arm.

»Nein, keineswegs!«, stritt Junes es ab und ging ein paar Schritte geradeaus, um es zu beweisen. Er lief alleine zur Kutsche, ohne auch nur einmal zu schwanken.

Cecile und Sissi waren bereits eingestiegen. Aban saß auf dem Kutschbock.

Logan reichte ihm eine Hand, um ihm beim Einsteigen zu helfen, doch June schlug sie aus und steig alleine ein. Sowie er saß, bedachte Cecile ihn mit einem feindseligen Blick. Seine Stiefmutter freute es sicherlich gar nicht so früh aufbrechen zu müssen und wahrscheinlich gab sie wieder ihm die Schuld daran. Oder sie war einfach nur immer noch wütend wegen des üblen Zwischenfalls, den June mitangesehen hatte. Wer konnte das wissen?

Wie dem auch sein mochte – June war es herzlich egal. Dieses eine Mal war ihm völlig gleich, wie Cecile aufgelegt war. Er war selbst viel zu wütend, zu müde, zu benommen und zu unglücklich, um sich etwas daraus zu machen, ob seine Stiefmutter wütend war oder nicht, oder gar weshalb sie wütend war.

»Dein Benehmen war eine Schande!«, zischte Cecile, als die Kutsche losfuhr.

»Hier schilt doch wohl ein Esel den anderen Langohr, oder nicht?«, konterte June mit süßlicher Stimme. Cecile riss die Augen auf.

Es sah June gar nicht ähnlich, sich zu wehren. Dann kniff sie die Augen wieder zusammen. Aber Sissi hätte als stumme Zeugin alles mitangehört, was sie oder June zu sagen gehabt hätten. Daher entschied sich Cecile zu einem weisen Schritt und sagte nichts mehr.

June vermutete, dass sie den Mund nur aus Angst heraus hielt, ihr Stiefsohn könnte ausplaudern, wie unangemessen sie sich mit Seth Chandler benommen hatte.

Logan war voraus geritten, deshalb sah June ihn erst, als sie die Plantage erreicht hatten. Als die Kutsche anhielt, erwartete er sie auf der Veranda und rauchte eine seiner Zigarren. Er rührte sich nicht von der Stelle, um wenigstens seiner Frau beim Aussteigen zu helfen, sondern überließ das Aban.

Cecile stieg die Stufen hinab und ging wortlos an ihm vorbei. Aber als June ihrem Beispiel Folge leisten wollte, hielt Logan ihn mit einer Hand am Arm zurück.

»Ich möchte mit dir reden, wenn es dir recht ist«, sagte er mit ruhiger Stimme.

»Ich bin müde.« June versuchte, sich von ihm loszureißen, als Sissi mit ein paar Schachteln vorbei kam, in denen Ceciles Kleider verpackt waren, die seine Stiefmutter am Nachmittag getragen hatte.

»Lass uns trotzdem miteinander reden.«

Logan war höflich und benahm sich mustergültig, doch seine Finger, die sich um Junes Arm spannten, hätten aus Eisen sein können. Er hatte eindeutig vor seinen Kopf durchzusetzen. June sah ihn finster an, kapitulierte dann aber mit einem Nicken. Wenn Logan glaubte, dass er ihm eine Strafpredigt halten konnte, dann hatte er sich aber geschnitten! June kochte vor Wut und er hatte vor sich nichts von ihm gefallen zu lassen, ohne es Logan heimzuzahlen.
 

Die Bibliothek war ein kleiner Raum recht weit hinten im Erdgeschoss, der kaum benutzt worden war, bis Logan auf die Plantage gekommen war. Er hatte den Raum, dessen Wände von Büchern gesäumt waren, für sich beansprucht, hatte ihn abstauben, durchlüften und mit einem massiven Mahagonischreibtisch, sowie mit bequemen Ledersesseln einrichten lassen.

Jetzt führte er June zur Bibliothek und trat höflich zur Seite, um dem Blondschopf den Vortrtt zu lassen. Dann schloss er die Tür hinter sich. Mit der Kerze, die er mitgenommen hatte, zündete er die beiden Lampen beidseits des Schreibtischs an. Das Licht ließ Schatten in allen Winkeln des Zimmers tanzen, bewirkte aber auch, dass June Logan nicht ins Gesicht sehen konnte, als er sich zu ihm umdrehte.

»Setz dich.« Er deutete auf den Stuhl der June am nächsten stand.

»Danke, aber ich ziehe es vor zu stehen. Ich vermute, es wird nicht allzu lange dauern?«

Er stand Logan trotzig gegenüber, reckte das Kinn empor und sah sein Gegenüber mit funkelnden grünen Augen an. Einen Moment musterte Logan ihn ohne etwas zu sagen. Dann setzte er sich auf eine Ecke des Schreibtischs und ließ die stiefelbedeckten langen Beine herunterbaumeln, sodass das blankpolierte schwarze Leder bei jeder Bewegung blinkte. Dieser Schimmer nahm Junes Blick gefangen. Von diesem Punkt aus ließ er seine Augen weiter wandern.

Wie immer war Logan makellos gekleidet. Trotz der Ereignisse dieses bewegten Tages war seine Hose faltenlos, und der beigefarbene Stoff schmiegte sich an seine kräftige Beinmuskulatur. Seine Brokatweste saß knitterfrei auf seiner breiten Brust und seiner schmalen Taille und der Frack mit den langen Schößen betonte seine breiten Schultern. Schultern, von denen June bei sich nur träumen konnte. June seufzte. Auch das Hemd und die Krawatte die Logan trug wirkten so frisch wie am Morgen als er sie angezogen hatte.

Nur sein Haar war ein wenig vom Wind zerzaust, aber das stand ihm umso besser. Eine Locke des blauschwarzen Haares fiel ihm in die Stirn und betonte den klassischen Schnitt seines schönen Gesichts. Im Kerzenschein funkelten seine Augen noch leuchtender Blau als sonst.

June selbst fühlte sich hingegen völlig zerzaust, sodass er die Vollkommenheit von Logans Erscheinung nur finster mustern konnte.

»Da du mich hergeholt hast, um mich auszuschimpfen, kannst du es auch gleich tun, damit ich bald ins Bett komme«, murrte June und fühlte sich irgendwie unsicherer als er sein sollte. Immerhin hatte er eigentlich nichts unrechtes getan. Nur ein bisschen zu viel getrunken vielleicht, aber das war ja normalerweise nicht verboten. Alle jungen Männer tranken auf Partys. Doch etwas schien Logan zu belustigen, jedoch konnte June nicht deuten, ob es seine Worte waren, oder sein schnippischer Tonfall.

»Du solltest auf Partys nicht allzu viel hochalkoholische Getränke zu dir nehmen, verstehst du? Die braven Leute hier aus der Gegend könnten sonst denken du bist kein anständiger junger Mann.«

Wenn Logan bei den Chandlers wütend auf ihn gewesen war, so schien sich sein Zorn nun gelegt zu haben. Seine Stimme schalt June nur sanft. Es klang sogar danach, als schelte ein besorgter Vater liebevoll sein ungezogenes Kind. Aber June war kein Kind!! Nicht mehr! Und Logan hatte ganz entschieden keine Vaterrolle bei ihm einzunehmen!

»Wage es nicht, mich zu kritisieren! Ich wäre gar nicht erst zu dieser dämlichen Party gegangen, wenn du nicht darauf bestanden hättest! Und mir scheint, dass dein Benehmen heute Abend weitaus tadelnswerter war als meines. Schließlich habe ich meinen Gastgeber nicht niedergeschlagen – oder meinen Stiefsohn geküsst!«

June hatte es nicht sagen wollen, aber seine Wut war so übermächtig, dass es von selbst heraussprudelte. Die Worte lagen zwischen ihnen wie ein Fehdehandschuh.

Logans Lippen wurden schmaler. Ihm war deutlich anzumerken, dass Junes Gegenangriff ihn überraschte und ärgerte.

»Nein, das hast du allerdings nicht getan. Du dich lediglich mächtig angetrunken und in deinem Rausch mit jedem halbwegs passablen Mädchen geflirtet. Ein schönes Benehmen für einen jungen Mann, der noch nass hinter den Ohren ist!«

»Nicht schlimmer als dein Benehmen! Oder Ceciles! Und hör auf mir in diesem gönnerhaft herablassenden Tonfall zu erzählen, ich sein noch nass hinter den Ohren!«

»Bestimmt nicht schlimmer als Ceciles Benehmen – außerdem erzähle ich dir, was ich will«, sagte Logan, und es klang ruhig, doch seine Augen straften seinen Tonfall Lügen. Sie fingen ganz entschieden an zu funkeln, und June bemerkte, dass er ihn in Wut brachte.

Aber gut so! Er wollte ihn wütend machen! So wütend, wie er selbst es war!

»Was geht es dich überhaupt an, was ich tue? Du solltest deine Energie lieber darauf richten, deine streunende Frau im Auge zu behalten! Schließlich hast du SIE im Gewächshaus vorgefunden und nicht mich, oder hast du das vergessen?«

Es musste wirklich noch ganz schon viel Restalkohol in seinem Blut zirkulieren, sonst hätte June sich sicherlich niemals getraut sich so direkt mit Logan anzulegen. Doch im Augenblick war ihm jedes Mittel recht, um Logan so richtig auf die Palme zu bringen.

»Ich hab dich nicht hierher geholt, um mit dir über Cecile zu reden!«

June lachte und freute sich insgeheim darüber die Wut immer heftiger in Logans Augen glühen zu sehen.

»Du nimmst viel zuviel Mühe auf dich, Logan. Ich lasse mir von dir nicht sagen, wie ich mich zu benehmen habe.«

»Ach wirklich? Du hast dieser einen jungen Schnepfe so schöne Augen gemacht, dass ich schon dachte, ihr beide würdet euch zusammen in die Dunkelheit hinausschleichen. Genauso, wie es deine Stiefmutter getan hätte!«

»Du bist gemein. Das hätte ich nie getan!«, wehrte June sofort ab, denn er wäre niemals auf die Idee gekommen, sich mit einem Mädchen hinaus in die Dunkelheit zu stehlen. Dafür hegte er bereits viel zu tiefe Gefühle für jemand anderen und darüber ärgerte sich June am meisten.

Jetzt lächelte Logan bedrohlich und stand auf. Plötzlich wirkte er sehr groß in dem kleinen Raum.

»Nicht halb so gemein, wie ich sein kann, das versichere ich dir. Und auch nicht so gemein, wie du mich erleben wirst, wenn ich dich in einer Situation ertappe, die auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit der hat, in der wir Cecile vorgefunden haben – oder falls ich hören sollte, dass du noch einmal Schnaps trinkst.«

Mit jedem drohenden Wort, kochte die Wut in June höher auf.

»Wage es ja nicht, mir zu drohen«, zischte er durch zusammengebissene Zähne.

»Ich lasse mich nicht bevormunden von dir. Du bist nicht mein Vater und ich bin alt genug, um meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Das einzige – wirklich einzige – was du tun kannst, sind mir Ratschläge zu geben, aber mehr auch nicht!!« In seinem Zorn war June sogar einen Schritt auf Logan zugegangen und wäre da nicht ein Fünkchen Vernunft zurückgeblieben, hätte er dem anderen auch noch mit einem Finger auf die Brust getippt. Aber das traute er sich dann doch nicht. Zu bedrohlich wirkte Logan bereits auf ihn.

Dessen Lippen pressten sich zusammen und er verschränkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf zur Seite und betrachtete June mit zusammengekniffenen Augen.

June erkannte, dass er die Selbstbeherrschung wieder gefunden hatte und darum kämpfte sich auch zu bewahren.

»Und diesen Koller – der überhaupt nicht mehr enden will – hast du nur gekriegt, weil ich dich geküsst habe, stimmts?«

»Absolut nicht! Und außerdem habe ich keinen Koller!«

»Ach nein? Du hast den ganzen Abend über einen Rappel gehabt. Das Flirten und der Alkohol… das hast du doch nur getan, um mir eins auszuwischen, oder nicht?«

June spürte, dass er rot wurde, doch er war außer sich und wusste nicht, ob es an seiner Wut oder an seiner Verlegenheit lag.

Logan stand da, lehnte am Schreibtisch und wirkte so schrecklich überlegen, während er selbst sich idiotisch nervös fühlte, während dieser schwarzhaarige Teufel, der sein gesamtes Leben durcheinander gebracht hatte, gefühllos in den tiefsten Geheimnissen seines Herzens herumstocherte. June biss die Zähne zusammen und in diesem Moment hasste er Logan beinah.

»Du bildest dir zu viel ein!«

»So, tue ich das?«

Er lächelte gütig, und dieses mitleidige Lächeln führte June ins Verderben. Mit einem unartikulierten Wutgeheul stürzte er sich auf ihn und hatte vor, Logan dieses selbstgefällige Lächeln mit seinen Fingernägeln vom Gesicht zu reißen.

»He!«

Er fing Junes Hände in der Luft und hielt ihn von sich fern, während der Blondschopf sich wand, zappelte, um sich trat und ihn mit allen Schimpfwörtern bedachte, die ihm je zu Ohren gekommen waren. Aber Junes Tritte trafen nur Logans Stiefel und seine Beleidigungen brachten ihn zum Lachen. Das Gelächter erboste June und machte ihn rasend, doch schließlich wurde er an den kräftigen Körper Logans gezogen, und zwar so fest, dass er sich kaum noch bewegen konnte.

»Lass mich los!«

»Benimm dich, dann lasse ich dich los.«

Logan grinste immer noch. Das spürte June, auch wenn er mit dem Rücken zu dem anderen stand.

»Ich hasse dich!«

»Na, na, jetzt reiß dich aber zusammen!«

»Du Heuchler! Du Schleimer!«

»Beruhige dich, June, dann lasse ich dich los.«

Da er merkte, dass er keine Chance hatte, wenn er sich weiter wand, holte June tief Atem und blieb ganz still stehen. Immer noch stand er mit dem Rücken zu Logan und spürte jetzt erst die Hitze, die von dem anderen Körper ausging. Sein Hinterteil presste sich an den Oberschenkel des anderen und Junes Arme waren vor seiner Brust gekreuzt, während Logan immer noch seine Handgelenke umklammert hielt. Aus dem Augenwinkel konnte er Logans breites Grinsen sehen.

»Also… ich finde nicht, dass ein winzig kleiner Kuss all das rechtfertigt, oder doch?«

Sein Tonfall war fast spöttisch und June bedachte ihn in Gedanken mit einem Schimpfwort, das so übel war, dass er wahrscheinlich errötet wäre vor Scham, wenn er es ausgesprochen hätte.

Außerdem wurde er sich langsam aber sicher immer mehr der Hitze in seinem Rücken bewusst, über die Nähe zu Logan, nach der er sich mehr als nur sehnte und sofort wurde er wieder unsicher.

»Würdest du meine Handgelenke bitte loslassen? Du tust mir weh«, beschwerte er sich und schaffte es, seine Stimme fest klinken zu lassen.

Oh ja. Logan tat ihm weh, aber nicht nur körperlich. Der Spott verletzte ihn weit mehr, aber das würde er ihn niemals wissen lassen.

»Dann benimm dich.«

Zur Warnung presste er Junes Handgelenke noch einmal zusammen, bevor er ihn langsam losließ. Kaum hatte er den Blondschopf freigegeben, als dieser auch schon auf dem Absatz herumwirbelte und ihm fest in sein belustigtes Gesicht schlug.

»Das hast du meiner Meinung nach für deinen Kuss verdient!«

Eigentlich hatte June das gar nicht tun wollen, doch Logans spöttisches Grinsen hatte ihn einfach zu sehr gereizt und auch verletzt, als dass es ihm möglich gewesen wäre anders zu reagieren. Es war einfach eine Art Reflex gewesen.

»Au!«

Logan trat einen Schritt zurück und hob eine Hand zu seiner Wange. Seine Augen wurden vor Erstaunen größer. Einen Moment lang sah er June nur an, und sein Ausdruck war so komisch, dass June vergaß sich zu fürchten. Er lächelte Logan mit triumphierender Gehässigkeit an, um ihm wenigstens ein bisschen von dem zurückzuzahlen, was er ihm mit seinem Spott angetan hatte und wie er damit auf seinen Gefühlen herumgetrampelt war. Und genau das war ein großer Fehler.
 

Tbc…
 

So… nach langen warten kommt endlich mal wieder was von mir. Ich hoffe Ihr habt noch nicht alle aufgegeben. *Konfetti verstreu*

Nu is ja bald Silvester. Ich wünsch euch allen einen guten Rutsch und ne tolle Feier dazu.

Habt Spaß, aber übertreibts nicht mit dem Rutschen ^^

Bis dann…
 

28/12/10

© by desertdevil

Ehekrach und andere Desaster

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ desertdevil ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Mississippi Dreams
 

Kapitel 10
 

Ehekrach und andere Desaster
 


 

»Du… kleines undankbares… Biest«, zischte Logan durch zusammen gebissene Zähne und streckte die Hände nach June aus. Seine Hände schlossen sich um Junes Oberarme, und er zog ihn an sich.

Einen Moment lang schien alles still zu stehen, und der Blondschopf sah wütend hinauf in Logans blaue Augen, die so kalt und hell wie Diamanten funkelten. Dann senkte Logan mit einem Laut, der Ähnlichkeit mit einem Knurren hatte, den Kopf.

Als er ihn diesmal küsste, hatte der Kuss nicht die geringste Gemeinsamkeit mit seiner vorherigen zarten Annäherung. Dieser Kuss war heftig und roh und gleichzeitig dazu gedacht, seine Wut an June auszulassen und dem Jungen eine Lektion zu erteilen.

Mit weit aufgerissenen Augen versuchte June seinen Kopf zur Seite zu drehen, doch Logan verhinderte diese Bewegung und presste Junes Kopf mit seinen Armen an seine harte, unnachgiebige Schulter. Gewaltsam teilte er dessen Lippen und stieß seine Zunge zu Junes ungläubigen Entsetzen in seinen Mund, forderte ihn für sich und ergriff Besitz von ihm, tastete sich über seinen Gaumen, die Innenseiten seiner Wangen und seine Zunge.

Dieses heiße, leidenschaftliche Eindringen erschreckte den Blondschopf und ließ ihn leise Wimmern. Mit aller Kraft wand er sich in Logans Armen, um frei zu kommen und zu Junes unsäglicher Erleichterung löste sich Logan plötzlich von ihm, hob den Kopf und blieb starr stehen.

Einen Moment lang starrten sie einander nur an.

Junes Augen waren weit aufgerissen und drückten eine gewisse Furcht aus.

In Logans Augen standen dagegen Empfindungen, die er nicht benennen konnte.

Dann wurde June ganz plötzlich losgelassen und Logan trat zurück.

»Jetzt kannst du mich ohrfeigen«, sagte er mit ruhiger Stimme.

June handelte blind, rein aus Instinkt, und nicht, weil der andere es ihm gesagt hatte. Er holte mit einem Arm aus und gab seinem Gegenüber eine Ohrfeige, die in dem kleinen Zimmer unheilvoll widerhallte und Logans Kopf zur Seite schleuderte. Dann wich er eilig aus seiner Reichweite zurück.

Eine Ewigkeit stand Logan da und sah ihn an, sah ihn einfach nur an.

Der Abdruck von Junes Hand zeichnete sich jetzt schon deutlich auf seiner Wange ab. Mit großen Augen und einem dicken Kloß im Hals starrte June einfach nur zurück, bis Logan das Schweigen schließlich brach.

»Geh ins Bett, June.«

Seine Stimme war vollkommen ausdruckslos. Auch sein Gesicht war nichtssagend, als er ihm in die Augen sah. Junes Instinkte drängten ihn, zu Logan zu gehen und sich zu entschuldigen, die Ohrfeige, die er ihm gegeben hatte irgendwie wieder gut zu machen.

Doch dann fiel ihm dieser abscheuliche Kuss wieder ein und ohne noch ein Wort zu sagen, drehte June sich auf dem Absatz um und floh aus dem Zimmer.
 

Im Laufe der nächsten zehn Tage verschlimmerten sich die häuslichen Verhältnisse auf der Plantage sichtlich. June verbrachte die meiste Zeit damit, Logan aus dem Weg zu gehen, und er hegte den Verdacht, dass auch er sein Bestes tat, um ihn zu meiden.

Cecile hingegen schwankte zwischen erbitterten sarkastischen Ausbrüchen und verdrossenem Schweigen, und fast über Nacht bildeten sich Falten der Unzufriedenheit und ließen ihr junges Gesicht altern.

Junes Schlafzimmer lag am anderen Ende des Hauses, weit ab von den getrennten, aber aneinander grenzenden Schlafzimmern von Cecile und Logan. Doch sie führten spät Nachts derart heftige Auseinandersetzungen, dass June sie nicht überhören konnte. Oder zumindest hörte er Cecile, die ihren Mann wütend ankreischte. Logans Erwiderungen hörte er im Allgemeinen nicht, doch einmal hörte er ihn schreiben: »Zum Teufel, habe ich gesagt, du sollst verschwinden, du Luder!«

Er war laut genug, um June aus dem Halbschlaf aufschrecken zu lassen. Bei einer anderen Gelegenheit hörte er ein nachhallendes Klatschen, als sei etwas Schweres auf den Boden gefallen, oder durch die Luft geworfen worden und direkt danach folge Cecile Aufschrei.

Diese Geräusche beunruhigten und ängstigten June. Er vergrub den Kopf unter dem Kissen und tat so, als hätte er nichts gehört. Da sämtliche Sklaven bei ihren Familien in den Unterkünften schliefen, war June der einzige Zeuge dieser Gewalttätigkeiten, zu denen es fast allabendlich kam. Wenn die Sonne aufging und die Dienstboten erschienen, liefen die Dinge etwa so weiter wie bisher, doch eine beträchtliche Spannung hatte sich über das Haus gesenkt. Diese spannungsgeladene Luft war so dick, dass June ihr Gewicht wie eine Decke spüren konnte, sowie er sich im Haus aufhielt. Auch die Dienstboten nahmen sie wahr und gingen ihren Pflichten ungewohnt still nach. Sie alle, June inbegriffen, neigten dazu zusammen zu zucken, wenn Cecile irgendwo auftauchte.

Als Gegengewicht hatte entgegen seiner Erwartungen des öfteren Besuch von ein paar Jugendfreunden. In den ersten Tagen nach der Party bei den Chandlers kamen Oscar Castel, Billy Cummings und Mitchell Todd alle mehr als einmal zu Besuch und wollten etwas mit ihm unternehmen. Gemeinsam ritten sie mal aus, plauderten über alte Zeiten, in denen sie noch gemeinsam gespielt hatten und ganz aktuelles Thema waren natürlich Frauen.

Bei diesen Gesprächen hielt June sich ziemlich zurück, denn was hatte er schon für Erfahrungen vorzuweisen? Richtig! Gar keine… und die, die er mit seiner Stiefmutter hatte – aufs Zwischenmenschliche bezogen natürlich – schätzte er nicht besonders. Und genau das hatte ihn auch nie besonderes Interesse für das weibliche Geschlecht entwickeln lassen.

Ansonsten konnte Erfahrung betreffend nur die beiden Küsse von Logan vorweisen, wobei der letzte nicht sonderlich erinnerungswürdig war. Außerdem hätte er eh niemandem jemals davon erzählt.

Es hatte Zeiten gegeben in denen er außer sich vor Glück gewesen wäre, wenn man ihn auf diese Weise an der Gesellschaft hätte teilhaben lassen. Doch jetzt war er so abgelenkt durch die unselige Stimmung, die auf der Plantage herrschte, insbesondere jedoch über die Entwicklung seiner Beziehung zu Logan, dass ihm die Erkenntnis kaum Freude machte, einen Traum verwirklicht zu sehen.

June hätte nicht sagen können, ob Logan wahr nahm, wie beliebt er plötzlich war. Der andere verbrachte seine Tage in den Baumwollfeldern, während die Arbeitskräfte sich damit abmühten, den Rest der Ernte vor dem ersten Nachtfrost zu pflücken. Die Baumwollblüten waren nicht mehr rosarot, sondern purpurn. Wenn die Blüten verwelkten und sich damit zeigte, dass die Pflanzen ausgereift waren, wurden sämtliche Bewohner der Plantage zur Feldarbeit eingesetzt, Männer, Frauen und Kinder. Wie ein Ameisenvolk zogen sie über die vielen Morgen Land, die mit weißbesprenkelten Pflanzen bewachsen waren. Das ferne Summen der Gesänge der Neger vermischte sich mit den Strömen des nahen Flusses, und beides gemeinsam bildete ein Hintergrundgeräusch, dass June es kaum noch hörte – so vertraut war es ihm. Niemand – außer Cecile und den Hausangestellten – war von der Feldarbeit freigestellt. Auch June hätte nicht mitarbeiten müssen, aber er wollte es so, schließlich hatte er das schon immer getan, solange er denken konnte und wollte auch gar nicht bevorzugt behandelt werden, auch wenn ihm das durchaus zustand. Aber es war auch sein zu Hause und da wollte er sich auch nützlich machen.

So verbrachte er die meiste Zeit auf den Feldern, wo es natürlich unumgänglich war, dass er Logan über den Weg lief, doch sie sprachen eh nie mit einander, außer dieser gab Anweisungen, die jedoch fast ausschließlich an die Allgemeinheit gerichtet waren.

Zweimal ritt er nach Tulip Hill, um den Nachmittag mit Miss Flora und Miss Laurel zu verbringen, die ihm jedes Mal weiter ans Herz wuchsen.

Fast immer war June bestrebt erst lange nach dem Abendessen zurück zu kommen, das Cecile und Logan nach wie vor mit grimmigem Schweigen gemeinsam einnahmen.

Chancey Dart machte Nell Bidswell schließlich einen Heiratsantrag, und die Bidswells veranstalteten eine Party, um die Hochzeit im großen Rahmen bekannt zu geben. Zu Junes Erstaunen lehnte Cecile die Einladung ab. Auch Logan nahm mit der Begründung Abstand, er habe zuviel Arbeit damit, die Baumwolle rechtzeitig einzulagern.

Junes Eigeninitiative wurde von dem Verlangen angespornt ihm zu zeigen, dass er gesellschaftlich nicht so zurückgeblieben war, wie Logan offensichtlich glaubte und er ging allein hin. Aban begleitete ihn und zu Junes großem Erstaunen machte ihm das Fest richtig Spaß. Er vermutete, dass Ceciles ungewohntes Ausschlagen einer Einladung zu einer Party auf Logan zurückging, der vermutlich darauf bedacht war, eine Wiederholung dessen zu vermeiden, was sich Cecile mit Seth Chandler geleistet hatte. June hielt solch vorbeugende Maßnahmen von Logans Seite allerdings für reine Zeitverschwendung.

Cecile war wild auf Männer, und sie würde so oder so einen willigen Partner finden. Zum Beispiel auf ihrer eigenen Plantage an den langen, heißen Nachmittagen.

Der Oktober kam. Es wurde kühler. Es war einer der Tage an denen June nur am Vormittag mit auf den Feldern gewesen und bei der Ernte geholfen hatte, weil Aban ihn am Nachmittag bei den Pferden gebraucht hatte. Bis zum Abendessen dauerte es nicht mehr lang, doch June hatte sich schon etwas zu Essen geholt und wollte gerade aus dem Haus schleichen, als Cecile ihn zu seinem Leidwesen erwischte.

»Willst du dich wieder einmal verdrücken?«, fragte sie gehässig und June senkte den Kopf. Er kannte Cecile. Es nutzte nichts, wenn er etwas sagte. Sie würde wie eine Wespe immer und immer wieder zustechen.

Sie hatte sich offensichtlich schon für das Abendessen umgezogen und trug ein lavendelblaues Kleid, dessen schmeichelhafte Farbe der Härte ein wenig entgegen wirkte, die ihre Gesichtszüge in der letzten Zeit angenommen hatten.

»Ich muss noch mal in den Stall…«, sagte June verspätet und vermied es seiner Stiefmutter in die bösartig funkelnden Augen zu blicken.

In dem Augenblick kamen zwei Reiter die Auffahrt hochgeritten und June erkannte, dass es sich dabei um Chancey Dart und Billy Cummings handelte. Sie waren ihn schon öfter besuchen gekommen und bisher war es immer eine nette Zeit gewesen. Meistens waren sie zusammen ausgeritten und hatten über belanglose Dinge geredet. Die Atmosphäre war locker gewesen und June hatte das mehr als genossen.

Sowie er die beiden sah atmete June auf, denn es war seine Rettung

Der große Gong begann ebenfalls zu läuten und kündigte das Ende des Arbeitstages auf der Plantage an.. Der erste Schlag war kaum verhallt, als Logan mit Graydon angeritten kam. In der Ferne konnte er sehen, wie die Felder sich leerten, und die Sklaven machten sich in einer langen Kolonne zu Fuß und auf Maultieren auf den Heimweg. Ihre Lieder schwollen wie nach jedem beendeten Arbeitstag zu größerer Lautstärke an, als die erschöpften Sänger näher kamen und dann am anderen Ende des Obstgartens zu ihren Unterkünften abbogen.

Chancey und Billy erreichten das Haus vor Logan und Graydon und stiegen ab. Thomas lief ihnen entgegen, um ihnen die Pferde abzunehmen.

Zuerst kam Chancey die Treppe hinauf und zog ihn in eine freundschaftliche Umarmung, die er sich – aus für June schleierhaften Gründen – angewöhnt hatte. Billy dagegen reichte ihm nur die Hand und erkundigte sich dann höflich nach Ceciles Befinden, nachdem er zuerst die Dame des Hauses begrüßt hatte.

June wollte sich gerade erkundigen, wieso die Beiden denn nun gekommen waren, vor allem zu dieser Zeit, als Logan und Mr. Graydon ebenfalls eintroffen. Auch ihnen wurden von Thomas die Pferde abgenommen.

Die beiden Männer kamen die Stufen hinauf und June trat einen Schritt zur Seite, um ihnen den Weg ins Haus frei zu machen. Er verabscheute sich zwar selbst dafür, doch wie jedes einzelne Mal, wenn Logan nach Hause kam, sogen seine Augen begierig dessen Anblick auf und er hatte seinen Besucht fast vergessen. Logan war verschwitzt, und das schwarze Haar lockte sich feucht um seinen Kopf. Die Stoppeln färbten seine gebräunten Wangen noch dunkler, und sein weißes Hemd wies einen langen Schmutzfleck auf. Die schwarze Hose und die üblicherweise makellos polierten Stiefel waren staubig. Inzwischen hatte June ihn des öfteren so gesehen, aber merkwürdigerweise raubte ihm das nicht ein bisschen von seiner Anziehungskraft.

Graydon, der Logan folgte, sah auch nicht gepflegter aus, doch June hatte nur Augen für Logan. Es war, als existierte Graydon überhaupt nicht.

In der Ferne ertönte der letzte Gongschlag. Die Gesänge verstummten allmählich.

»Du kommst wie üblich zu spät zum Abendessen.« Cecile sah Logan an, der gerade eben auf die Veranda getreten war. Ihre Stimme klang gereizt, und June hoffte, dass nur diejenigen, die sie gut kannten, es allzu deutlich merkten.

»Ich brauche nicht lange zum Umziehen. Gray, wenn Sie Lust haben, können sie gern mit uns essen. June, hast du deine Freunde zum Essen eingeladen?«

Die Frage rüttelte ihn aus seiner bewundernden Begutachtung und ihm wurde schon bei der Vorstellung ganz anders, er müsste mit Logan und Cecile, die aufeinander herumhackten, gemeinsam im Esszimmer sitzen, und gleichzeitig versuchen Chancey und Billy abzulenken, doch er konnte sich nicht aus seiner üblen Lage winden. Seine einzige Ausrede, er müsste noch in den Stall würde nicht ziehen, weil er ja Besucht hatte.

Daher zwang er sich zu einem Lächeln, ehe er sich an seine beiden Freunde wandte, die hinter ihm standen.

»Wir würden uns freuen, wenn ihr zum Abendessen bleibt, falls ihr mögt.«

Chancey und Billy sagten eifrig zu, und June konnte nur Vermutungen darüber anstellen, ob die beiden das geplant hatten oder nicht.

Nachdem er Höflichkeitsfloskeln mit ihnen ausgetauscht und Bradshaw fortgeschickt hatte, damit er sich umziehen konnte, wandte sich Logan an seine Frau und richtete ein paar leise Worte an sie. Cecile hatte ein paar Minuten lang Konversation mit Junes Gästen betrieben und dabei einen Charme an den Tag gelegt, der nur dazu gedacht war, Logan aufzubringen, soviel stand für June fest. June merkte auch, dass es diesem aufgefallen war und dass er sich ärgerte, denn sein Gesicht wurde eine Spur härter. Das Geschehen steuerte zielstrebig auf eine entsetzliche Auseinandersetzung zu, und da er das wusste, graute June sekündlich mehr vor dem bevorstehenden Abendessen.

Es war für keinen der Anwesenden verständlich, was Logan zu Cecile sagte, doch ihr Gesicht rötete sich bei seinen Worten vor Wut. June hielt den Atem an… der Ausbruch den er befürchtet hatte, stand deutlich bevor.

Aber Logan wandte die drohende Szene mit einem einzigen warnenden Blick ab, den er seiner Frau zuwarf. Dann stand er mit schnellen Bewegungen, die nicht im entferntesten den Eindruck von Eile vermittelten, neben Cecile und nahm ihren Arm. June vermutete, dass seine Geste auf einen Zuschauer der keine Ahnung hatte, wie die Dinge zwischen den beiden standen, liebevoll wirken konnte. Dann zog er sie mit sich zur Tür.

»June, du kannst Tudi sagen, dass wir in etwa zwanzig Minuten zum Essen kommen«, sagte er über die Schulter und seine Worte wirkten freundlich. June glaubte, dass nur jemand, der ihn so gut kannte wie er selbst, die Wut heraus hören konnte, die unter dem sorglosen Gebaren brodelte.

Flüchtige Bekannte hätte in seiner Hand auf Ceciles Arm wohl eher eine besitzergreifende Geste gesehen und nicht den eisernen Griff, mit dem er sie festhielt. Trotz ihrer Differenzen waren Cecile und er nach wie vor ein attraktives Paar, und ihre zierliche blonde Gestalt war die perfekte Ergänzung zu seiner dunklen Schönheit. Aber June zweifelte nicht daran, dass es innerhalb der nächsten Minuten zu einem Ehekrach kommen würde, und er konnte nur hoffen, dass es keine der allzu lauten Auseinandersetzungen werden würde. Er verspürte nicht den geringsten Wunsch, sich vor seinen Gästen in Verlegenheit bringen zu lassen.

Ein Ehekrach. Selbst derart unangenehme Vorgänge waren von einer Vertraulichkeit, die June bedrückte. Es machte ihm allzu deutlich die Tatsache bewusst, dass die beiden miteinander verheiratet waren, wenn Logan Cecile auch noch so sehr verabscheuen mochte und sie ihn ebenfalls. Aneinander gebunden, bis das der Tod sie scheide.

Logan hatte ihn zweimal geküsst. Einmal aus Dankbarkeit und einmal aus Wut. Aber er war mit Cecile verheiratet. June wusste nur zu gut, dass er sich das merken musste, es sich immer wieder einprägen musste, und nicht vergessen durfte. Alles andere wäre mehr als unklug gewesen.

Aber ganz gleich, was er wusste, es zog sich doch etwas in Junes Magengrube zusammen und verspannte sich, als er den beiden nachblickte, wie sie gemeinsam ins Haus gingen. Im aller ersten Moment war er überrascht. Bei dieser inneren Anspannung hatte er nicht damit gerechnet, dass er Hunger haben könnte. Doch dann wurde ihm klar, dass das, was er empfand, nichts mit Hunger zu tun hatte.

Es mochte lachhaft sein, und es mochte noch so dumm sein, aber er war eifersüchtig auf Cecile!
 

Zu Junes Erstaunen verlief der Abend recht freundlich. Falls Logan und Cecile miteinander gestritten hatten, und dessen war sich June ziemlich sicher, dann war ihnen nach außen hin nicht davon anzumerken. Cecile brachte es fertig, für die Dauer der Mahlzeit ihre Zunge im Zaum zu halten, und sie versprühte kein Gift gegen Logan, flirtete aber auch nicht mehr mit Chancey und Billy, als angemessen wäre. Sie richtete sogar tatsächlich ihre meisten Bemerkungen an Gray und überließ es June und Logan, Junes Gäste zu unterhalten.

Amüsiert stellte June fest, dass die beiden jüngeren Männer Logan mit einem Respekt behandelten, als gehörte er einer anderen Generation an und sei nicht kaum zehn Jahre alter als sie. Er dagegen behandelte sie mit einer gönnerhaften Art, die ebenso unangemessen war. Oder vielleicht doch nicht. Rein rechnerisch gesehen mochte der Altersunterschied vielleicht nicht allzu groß sein, aber in ihrer Haltung und in ihrem Erfahrungshorizont klaffte ein tiefer Abgrund zwischen den Männern.

Nach dem Abendessen zog sich die Gesellschaft mit Ausnahme von Cecile, die Kopfschmerzen vorgab, auf die Veranda zurück. Logan und Gray rauchten, während Chancey und Billy sich mit June unterhielten und endlich zum Grund ihres späten Auftauchens kamen, den der Blondschopf schon neugierig erwartet hatte.

June war sich bewusst, dass Logan ihn wachsam im Auge behielt, wahren er sich den Anschein gab, unbefangen mit Gray zu plaudern. Aber es war ja wohl nichts dabei, wenn er sich mit Freunden aus seiner Kindheit unterhielt und außerdem war er auch kein Mädchen, dass eine Anstandsdame gebraucht hätte. Doch so führte Logan sich im Moment auf. Der Gedanke belustigte June ein wenig, doch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, lenkte Billy ihn ab.

»Und? Hast du es dir überlegt? Kommst du nun am Wochenende zu der Party der Culpeppers?«

Um ehrlich zu sein, hatte June irgendwie keine Lust auf diese Feier. Schon gar nicht, wenn Billy ihn so sehr drängte. Die letzten Partys hatten sie immer zusammen besucht und deswegen schienen die Beiden jetzt davon auszugehen, dass er auch diesmal wieder mitkam. Aber es widerstrebte ihm auch in Logans Anwesenheit abzusagen. Der andere sollte ruhig sehen, dass er auch allein Spaß haben konnte, dass er unabhängiger geworden war. In Abwägung dieser beiden Gedanken, hielt June sich dann jedoch erst mal unabhängig.

»Das wirst du noch früh genug sehen.«

Als es dunkel wurde und Sissie die Lampen im haus anzuzünden begann, stand Logan auf und warf seinen Stumpen über das Geländer.

»Gray und ich haben noch zu tun. Ihr werdet doch nicht mehr all zu lange hier draußen sitzen, oder, June?«

»Ähm.. wir wollten gerade gehen, Mr. Edwards«, meinte Billy und erhob sich respektvoll.

»Und vielen Dank für die Essenseinladung«, bedankten sich beide fast gleichzeitig.

June hätte bei dem Unterton in Logans Stimme jedoch an die Decke gehen können. Der nicht allzu gut versteckte Hinweis, dass es schon spät war und die beiden June nicht mehr behelligen sollten hätte sich vielleicht für ein Mädchen geziemt. Aber das waren seine Freunde! Dennoch.. ein Pfiff von Logan reichte aus und alle fügten sich seinem Willen. Erneut kam dem Blondschopf der Gedanke der Anstandsdame in den Kopf und er murrte unzufrieden wegen der Bevormundung. Allerdings war er klug genug vor seinen Gästen den Mund zu halten.

Logan nickte ihnen nur freundlich zu und lud sie ein, jederzeit wieder zu kommen.

Dann begab er sich mit Gray ins Haus, höchstwahrscheinlich in die Bibliothek, denn dort erledigten sie den größten Teil der Büroarbeiten.

»Thomas, hol doch bitte schon die Pferde von den beiden Herren«, rief June dem Schatten zu, den er um die Hausecke schleichen sah. Er wusste, dass Thomas auf dem Weg zu Rosa in die Küche war. Nach dem Abendessen bettelte er am liebsten und wollte noch ein Häppchen zu essen haben.

»Ja, sofort…«, rief Thomas zurück, doch June glaubte einen leisen Widerwillen aus seiner Antwort herausgehört zu haben. Er feixte. Rosa hatte zum Abendessen frischen Schinken und Jamswurzeln gemacht und zum Nachtisch hatte es Pfannkuchen mit Zuckerrübensirup gegeben. Thomas liebte nichts auf Erden mehr als Zuckerrübensirup, und jetzt hatte er Angst etwas zu verpassen. Aber Rosa würde ihm zweifelsohne etwas aufheben, und daher empfand June kein allzu großes Schuldbewusstsein. Er würde den anderen nicht um diese Leckerei bringen.

»Und? Hast du es dir noch mal überlegt?«, fragte Billy mit gesenkter Stimme, als Chancey sich abgewandt hatte, um seinen Hut vom Schaukelstuhl aufzuheben. June stutzte. Nicht wegen der erneuten Frage, sondern weil Billy ihm auf einmal ziemlich nahe gekommen war. Und seine Stimme klang auch ganz anders, viel eindringlicher und ernster…

Bisher hatte June sich keinen Reim daraus machen können, wieso Billy ihn schon auf den ganzen letzten Treffen so seltsam angeschaut hatte, wenn er glaubte, dass June es nicht bemerkte. Beim Abendessen waren ihm diese Blicke ebenfalls ab und zu aufgefallen, doch er hatte sich nichts dabei gedacht. Allmählich glaubte er jedoch zu verstehen, was das ganze sollte. »Glaubst du es geht, dass ich noch einen Moment bleibe? Ich… ich möchte dir nämlich noch etwas sagen«, flüsterte Billy hastig, als Chancey mit dem Hut in der Hand zurückkam.

»Was habt ihr beide denn zu flüstern?«

Chancey musterte seinen Freund argwöhnisch und warf Billy dann den Hut zu, den er ihm mitgebracht hatte. Billy fing den Hut, machte aber keine Anstalten ihn aufzusetzen.

»Es geht dich nichts an, was ich June zu sagen habe. Und du kannst ruhig schon nach Hause reiten. Wir haben ohnehin nicht dieselbe Richtung.«

Nachdenklich schaute Chancey erst Billy und dann June an und schüttelte dann den Kopf.

»Du solltest es nicht zu weit treiben«, warnte er seinen Freund und warf June einen vielsagenden Blick zu. Dann verabschiedete er sich und lief die Stufen hinunter zu Thomas, der schon mit seinem Pferd wartete.

Billy sah finster hinter ihm her.

June war nun ebenfalls nachdenklich und legte den Kopf schief, während er Chancey hintersah, als dieser die Auffahrt hinunter ritt und dann um die Biegung verschwand.

Er konnte Billy Cummings recht gut leiden, aber für Billy schien da eindeutig mehr zu sein. June empfand es ja schon als Frevel, dass er überhaupt Gefühle für Logan entwickelt hatte, aber das Billy ihn anscheinend mehr als nett fand, das verunsicherte ihn ganz schön. Bisher hatte er in dem anderen nicht mehr als einen wiedergefundenen Kindheitsfreund gesehen.

»So, und was wolltest du mir nun sagen?«, fragte er schließlich, nachdem Chancey bereits eine Weile verschwunden war.

Billy sah sich unsicher um.

»Äh… können wir ein kleines Stück gehen? Es muss nicht weit sein, aber es, äh… es wäre mir lieber, wenn wir nicht gestört werden.«

Aha.. so war das also. June war nicht dumm. Er konnte sich denken, was Billy vorhatte, vor allem nach diesem vielsagenden und gleichzeitig warnenden Blick von Chancey. Unsicherheit machte sich in dem Blondschopf breit. Er wusste nicht, ob es wirklich klug war, sich anzuhören, was Billy zu sagen hatte.

Sein Problem war, dass er sich zu Logan hingezogen fühlte, einem Mann! Und das war schon sehr gefährlich, da hierzulande solche Beziehungen nicht gerne gesehen wurden.

Jetzt kam auch noch Billy, der ihn jahrelang nicht beachtet hatte und bei dem er nur vermuten konnte, was für ein Geständnis gleich kam. Sicherlich… Billy sah gut aus, war kräftig gebaut, auch wenn seine Schultern nicht ganz so breit waren, wie die von Logan. Er war groß, besaß ein markantes, aber noch etwas jungenhaft anmutendes Gesicht und seine braunen Haare waren modisch zurückgekämmt. Trotzdem hielt er einem direkten Vergleich mit Logan nicht stand.

June wünschte er hätte Logan nie kennen gelernt, dann hätte er trotz der Regeln vielleicht für Billy begeistern können.

Er war schon im Begriff dessen Bitte abzulehnen, gab sich dann aber einen Ruck und beschloss sich wenigstens anzuhören, was sein Freund ihm zu sagen hatte.

»In Ordnung. Gehen wir ein Stück.«

Es war jetzt schon fast dunkel, und der Mond stand hoch am Himmel, obwohl es erst kurz nach acht sein konnte. Mit dem Sonnenuntergang war ein leichter Wind aufgekommen, der June leicht frösteln ließ, als er mit Billy die Verandatreppe hinunter ging.

Thomas wartete immer noch mit Billys Pferd. Er sah sie beide erwartungsvoll an, als sie näher kamen.

»Mr. Cummings bleibt noch eine Weile, Thomas. Du kannst sein Pferd wieder in den Stall bringen.«

»Ja, mach ich…« Thomas reagierte angemessen, doch in seinen Augen konnte June deutlich die Frage erkennen, die er sich wohl gerade stellte.

»Worum geht es denn nun?«, fragte June, nachdem Thomas mit dem Pferd im Stall verschwunden war. Gemeinsam schlenderten sie nebeneinander her und June konnte nicht leugnen, dass er ein wenig nervös war.

»Tja, also…« Zu seinem Erstaunen schien sich Billy unsicher zu fühlen. Etwas, was er von dem anderen gar nicht kannte. Er sah sich unruhig um, ehe er June an der Hand nahm und ihn zu den Obstbäumen zog. Billys Finger fühlten sich warm an und June widerstand dem ersten Reflex seine Hand zurückzuziehen. Als das Haus durch die dichten Bäume nicht mehr zu sehen war, blieb Billy stehen.

June wurde sich immer sicherer mit seiner Vermutung, was der andere ihm sagen wollte. Es war zwar nicht unschicklich hier mit seinem Freund hinter den Obstbäumen zu stehen, aber jeder der sie zufällig gesehen hatte, würde sich so seine Gedanken machen. June wollte nicht das Gerüchte entstanden.

»Ich kann nicht allzu lange hier bleiben…«, sagte June und Billy nickte verständnisvoll.

»Ich weiß, aber es ist wichtig…«

Billy holte tief Atem. Er sah in Junes Gesicht hinunter, obwohl in der Dunkelheit kaum etwas zu erkennen sein musste und begann dann zu sprechen.

»June… ich… ich habe mich in dich verliebt.« Eine kleine spannungsvolle Pause entstand, bevor er gleich weiter redete, ohne das June überhaupt etwas dazu sagen konnte.

»Ich weiß… es ist nicht erlaubt, aber ich musste es dir unbedingt sagen.«

Obwohl er bereits mit so etwas gerechnet hatte, war June derart entgeistert, dass er kein Wort über die Lippen brachte. Er sah Billy ins Gesicht und fragte sich, ob er es ernstlich ins Auge fassen könnte, sich auf Billy einzulassen. Vielleicht sollte er zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, denn bisher hatte er sich wirklich nichts aus Frauen gemacht, schon gar nicht aus denen auf den Parties. Und Logan hatte ihn auch schon geküsst, zwar aus Dankbarkeit bzw. Wut, aber immerhin. Das hieß wohl, dass er für Männer mindestens genauso anziehend sein musste wie für Frauen, wenn sogar Billy ihm jetzt den Hof machte.

»Also… ich weiß nicht, was ich sagen soll…«, rang June sich nach einiger Zeit zu ein paar Worten durch, weil Billy unsicher von einem Fuß auf den anderen trat und sich anscheinend unwohl zu fühlen begann.

»Ich auch nicht…«, gestand Billy verlegen, und kratzte sich mit einer Hand am Hinterkopf. »Meine Güte, ich hab so was noch nie gemacht…«, sagte er dann leise und wohl eher zu sich selbst. »Bei einer Frau wäre mir das bestimmt leichter gefallen.«

»Bestimmt…«, gab June zurück und war ein bisschen erschrocken, als Billy ihm auf einmal näher kam und seine Hände umfasste.

»June, ich meins wirklich ernst.« Um dies offensichtlich zu beweisen, führte er Junes Hände an seine Lippen, um der Reihe nach zarte Küsse auf seine Knöchel zu drücken.

»Ach Billy…«

Die Berührung seiner Lippen auf Junes Haut war gar nicht unangenehm, löste aber auch nicht so ein Prickeln aus, wie es Logans Lippen bei seinem ersten Kuss getan hatten. Er kam auf den Gedanken, sich zu fragen, was wohl geschehen würde, wenn Billy ihn richtig küsste, ihn richtig auf die Lippen küsste. Vielleicht würde dann augenblicklich alles, was er für Logan empfand, für Billy entflammen, und er konnte dann möglicherweise einem Zusammensein mit ihm zustimmen.

Die Küsse auf seinen Knöcheln endeten und Billy kam ihm noch näher, so nah, dass June die Wärme spüren konnte, die der andere ausstrahlte. Er sah Billys Gesicht näher kommen und plötzlich fühlte er dessen Lippen auf den seinen. Zart küsste Billy ihn, bedrängte ihn nicht, sondern wartete einfach auf eine Reaktion von June.

Ehe der Blondschopf jedoch irgendwie reagieren konnte, bereitete eine grimmige Stimme, die vom Weg her kam, der Zärtlichkeit ein abruptes Ende.

»Das reicht jetzt wohl, Mr. Cummings«, sagte Logan und der Ärger, der in dessen Stimme mitschwang, ließ sogar June zusammen zucken. Noch schlimmer für ihn war jedoch, dass Logan sie überhaupt erwischt hatte.

»Mr. Edwards!«

Sofort wich Billy zurück und drehte sich mit einem derart schuldbewussten Gesichtsausdruck zu Logan um, dass June ihm am liebsten ans Scheinbein getreten hätte. Sicher, es war bestimmt nicht richtig was sie getan hatten, aber man sollte wohl nicht mit einer Spitzhacke auf dem Eis rumhacken, wenn man selber drauf stand. Also nahm June seinen ganzen Mut zusammen und straffte sich, um Logan deutlich zu zeigen, dass er sich für nichts schämte.

»Ich glaube, Sie sollten jetzt lieber aufbrechen, bevor ich Sie für das, was sie getan haben, eigenhändig vom Hof schleife.« Die unüberhörbare Drohung, die in den Worten mitschwang machte Billy Beine und June fand es schade, dass er sich so sehr von diesen paar Worten einschüchtern ließ. Sicherlich war Logan der Hausherr und hatte das Sagen, aber trotz allem musste ja wohl nicht alle nach seiner Pfeife tanzen!

June hatte er bis auf einen einzigen strafenden Blick noch keiner Aufmerksamkeit gewürdigt. Logan war keine zwei Meter von ihm entfernt, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und stand mit leicht gespreizten Beinen angriffslustig da. Er sah groß, kräftig und eindrucksvoll aus.

Und Billy war schneller verschwunden, als June gucken konnte.

Nun sah Logan ihn doch endlich an. Es war zu dunkel um seinen Gesichtsausdruck zu erkennen, aber June wusste, dass ihm das auch nicht allzu viel genutzt hätte. Wenn er wollte konnte er sein Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske versteinern lassen.

Wenige Minuten später hörten sie die Pferdehufe auf der Auffahrt klappern und da sie nun allein waren, entspannte sich Logans Haltung etwas. Er lehnte sich mit einer Schulter gegen den knorrigen Stamm eines alten Birnbaums und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Wenn du mich jetzt entschuldigst, gehe ich wohl besser wieder ins Haus«, sagte June kühl. Er fragte sich, warum er nicht schon früher gegangen war. Zwar nicht gemeinsam mit Billy, der wortwörtlich geflüchtet war, aber kurz danach hätte er die Chance wohl nutzen sollen.

»Oh nein, das wirst du nicht tun. Noch… nicht.«

Logan streckte die Hand nach seinem Handgelenk aus, als June an ihm vorbeischlüpfen wollte. June musste aufgeben, denn selbst wenn er sich gewehrt hätte, es hätte nichts gebracht. Logan war sowieso viel kräftiger und würde eh seinen Willen durchsetzen.

»Lass mich los! Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen und mir nach zu spionieren!«, fauchte June und ballte seine Hände zu Fäusten.

Logan zog die Augenbrauen hoch und richtete sich auf, stieß sich mit der Schulter vom Baum ab. Seine Hand klammerte sich wie eine Fessel um Junes Handgelenk, und er stand so dicht vor ihm, dass er furchteinflößend aufragte. June weigerte sich jedoch hartnäckig sich einschüchtern zu lassen. Er war wütend auf Logan, geradezu wutentbrannt.

»So, ich spioniere dir also nach?«, fragte er leise und es klang in Junes Ohren sehr gefährlich. June stellte fest, dass Logan mindestens genauso wütend war, wie er selbst. Diese blauen Augen glühten und loderten.

»Du kleine Schlampe, wenn du deine Haut retten willst, wirst du nicht in diesem Ton mit mir reden!«

»Schlampe!«, wiederholte June und hätte dem anderem dafür am liebsten ins Gesicht geschlagen.

»Wie sonst würdest du wohl jemanden nennen, der sich von einem Kerl unter Bäume führen lässt und ihn dann um Küsse anfleht?«

Junes Wangen glühten vor Wut, aber auch vor Verlegenheit, obwohl er sich klar, machte, dass er sich für nichts zu schämen brauchte.

»Du hast mir also wirklich nachspioniert! Wie ekelhaft! Und außerdem… ich habe ihn nicht angefleht. Er hat mich geküsst. Und noch was… ich bin kein Mädchen für das du die Anstandsdame spielen musst. Ich kann auf mich selber aufpassen!!«

»Ach wirklich?«, hakte er ironisch nach.

»Das sah mir aber ganz anders aus. Wäre ich nicht gekommen, hätte er dich doch ins Gras geworfen und sich über dich hergemacht, als wärst du ein Mädchen!«

Sprachlos funkelte June ihn an und versuchte sich nicht voller Wut auf Logan zu stürzen. Der letzte Kommentar war eindeutig beleidigend gemeint.

»Das hätte er nicht! Aber du brauchst dir keine Sorgen machen… dieser Kuss hat mir gar nichts bedeutet, und das nur weil… weil…« June ließ den Satz abreißen und funkelte Logan an, als ihm aufging, dass er dem anderen das unmöglich erklären konnte.

»So, warum denn? Es gibt keinen Grund auf Erden, den du mir nennen könntest, um derart lockere Sitten zu entschuldigen und das schon gar nicht mit diesem Kerl! Gütiger Himmel, es muss in der Familie liegen, dass Cecile und du euch benehmt wie Schlampen.«

»Schlampen!«, fauchte June.

»Wie deine Stiefmutter«, sagte Logan gehässig.

»Du meinst wohl wie deine Frau?« June war so wütend, dass er Logan diesen Hieb unter die Gürtellinie genussvoll entgegenschleuderte.

»Ja, genau wie meine Frau. Meine gottverdammte Frau, die für alles die Beine breit macht, was Hosen anhat. Hast du so lange mit ihr zusammengelebt, dass ihre lockeren Sitten auf die abgefärbt haben?«

Junes Gesicht glühte vor Wut.

»Wenn du noch ein gehässiges Wort zu mir sagst, schlage ich dir ins Gesicht, das kann ich dir versichern!«

Jetzt lächelte Logan, ein gemeines, hämisches Lächeln, das beleidigender war, als alles, was er gesagt hatte.

»Wenn du mir ins Gesicht schlägst, bekommst du genau das, was du das letzte Mal dafür bekommen hast. Aber vielleicht ist es ja gerade das, worauf du hoffst.«

June starrte ihn an, blickte in dieses grimmige, schöne Gesicht auf und spürte, wie ein großer Teil seines Zornes von ihm wich. Wenn er auch noch so heldenhaft dagegen angekämpft hatte, es sich einzugestehen, dann fürchtete er doch, dass Logan den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Nein, nicht etwa, dass er sich nach einer Wiederholung dieses verletzendes, zornigen Kusses sehnte, mit dem der andere ihn bei ihrer letzten Begegnung gestraft hatte. Er lechzte nach einem Kuss von der Sorte, die er Logan zutraute – schon bei dem Gedanken daran wurden ihm die Knie weich. June schaute auf Logans Mund und stellte ihn sich auf seinen Lippen vor – und endlich sah er der Wahrheit ins Gesicht. Der Grund warum er kein Interesse an Frauen hatte – und Billys Kuss kein anderes Verlangen in ihm wachgerufen hatte, als sich den Mund mit dem Handrücken abzuwischen – stand in diesem Moment in seiner Verkörperung vor ihm. Dieser Grund, der sein Handgelenk noch immer fest umklammert hielt, während er finster auf ihn hinunter schaute und seine Brust nur Zentimeter von June entfernt war. Der Grund hieß Logan! June erkannte mit einem flauen Gefühl in der Magengrube, dass er sich in ihn verliebt hatte.

Außerdem hatte er den Verdacht, dass Logan sich auf gewisse Weise auch etwas aus ihm machte. Mit Sicherheit war er wütend auf ihn, weil er zugelassen hatte, dass Billy ihn geküsst hatte, und zwar so wütend, dass es in keiner Relation zu dem eher geringfügigen Vergehen stand. Sicherlich gab es eine Menge gesellschaftliche Regeln die gegen das Zusammensein zweier Männer sprachen, aber es war nicht gerade der Weg auf die schiefe Bahn, zumal Billy ihm seine Gefühle gestanden hatte. Und dieser Kuss… es war kaum ein richtiger gewesen, fast nur eine zarte Berührung, im Vergleich zu dem, den er von Logan bekommen hatte.

Selbst der fürsorglichste Vater auf Erden hätte weniger Anstoß an dem Vorfall genommen. Und Logan war nicht sein Vater.

Wenn er auch noch so oft behauptete, er hätte es nur aus Dankbarkeit getan – das änderte nichts an der Tatsache, dass Logan ihn selbst geküsst hatte, genau wie Billy. Und später hatte er ihn dann auch noch auf eine Art geküsst, die weit anstößiger war.

Sein Frau. Junes Stiefmutter. Wenn Cecile auch ein Luder war, dann war Logan doch ein verheirateter Mann. June sollte ihn jetzt auf der Stelle stehen lassen und bei der nächsten Gelegenheit die sich ergab Billy mitteilen, dass er mit ihm zusammen sein wollte, unter der Vorraussetzung das Land zu verlassen. Da er sich seine Gefühle für Logan eingestanden hatte, wäre es nicht mehr und nicht weniger als eine Katastrophe gewesen auf der Plantage zu bleiben. Hier gab es für ihn keine Zukunft, und bestenfalls würde er mit gebrochenem Herzen davon kommen.

Aber nie von Logan so geküsst zu werden, wie es sein ganzer Körper verlangte – June glaubte nicht fortgehen zu können, ohne es wenigstens einmal erlebt zu haben.

Juen schluckte schwer, weil seine Kehle plötzlich wie ausgetrocknet war, und dann löste er seinen Blick von Logans Mund und sah ihm in die Augen. Gebannt starrte der andere ihn an.

Logans Gesicht war finster vor Wut und seine Augenbrauen über diesen Augen, die Junes Herz stocken ließen, zusammengezogen. Er war entsetzlich wütend auf ihn, und doch schlug Junes Puls schneller, wenn er ihn auch nur ansah.

Zweifellos sah er besser aus, als jeder andere Mann, den er in seinem ganzen Leben gesehen hatte.

»Vielleicht«, meinte June schließlich. »Ja, das könnte vielleicht sein.«

»Was?« Logan zwinkerte verwirrt, als sei ihm im ersten Moment gar nicht klar, wovon June sprach. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihm seine hämische Bemerkung wieder einfiel, auf die der Blondschopf keine Antwort gegeben hatte. In dem Augenblick, in dem er sich wieder daran erinnerte, konnte June es ihm sofort ansehen. Diese unglaublich blauen Augen öffneten sich noch weiter und dann starrte Logan wütender denn je auf ihn hinunter.

»Du hast gehört, was ich gesagt habe.«

»Du willst, dass ich dich küsse?«, fragte er ungläubig.

»Ja. Das will ich Logan«, erwiderte June und trat einen Schritt näher an diesen heran. Dann wandte er ihm das Gesicht zu. »Und dich bitte ich sogar darum…«, meinte June und wartete ab.

Logans Ausdruck war unbeschreiblich und wäre ihm die Sache nicht so ernst, June hätte gelacht.

»Gott im Himmel, bist du von Sinnen? Oder fehlt dir etwas? Bist du vielleicht krank – Gehirnfieber oder so etwas? Du kannst doch nicht einfach rumlaufen und Männer auffordern dich zu küssen! Ich sollte dich verprügeln!!«

Seine Stimme drückte ein solches Entsetzen aus, dass June nun doch lächeln musste. Er trat noch einen Schritt näher auf Logan zu, und zu seiner Belustigung wich dieser einen halben Schritt zurück.

»Ich fordere nur dich auf«, erklärte June ruhig. »Und ich will nicht von irgendwelchen Männern geküsst werden. Ich will, dass du mich küsst.«

Er hatte Logan vollständig aus dem Gleichgewicht gebracht, das sah er selbst, und dieses Wissen ermutigte ihn sehr. June wusste nämlich, dass der andere sich nicht allzu oft und allzu leicht aus dem Gleichgewicht bringen ließ.

»Vor einer viertel Stunde hast du dich noch von diesem jungen Cummings küssen lassen.«

»Das«, sagte June, »war nicht beabsichtigt, aber du darfst es als Experiment ansehen.«

»Experiment?«, echote Logan und schien das alles nicht ganz glauben zu können.

June nickte jedoch unbeirrt. »Es hat mir gezeigt, dass er nicht so gut küsst wie du.«

»Gütiger Himmel! June…«

»Es war kein Vergleich«, fuhr er fort, denn er wusste, dass er nun nichts mehr zu verlieren hatte. Er trat wieder einen Schritt näher. Da der Birnbaum hinter Logan stand, konnte er nicht weiter zurückweichen. Er packte June an den Handgelenken, ließ beide Hände bis auf seine Ellbogen gleiten und hielt den Blondschopf weiter von sich.

»Jetzt hör mal zu, June…«

Dieser legte den Kopf auf die Seite und fuhr nachdenklich fort: »Aber andererseits warst du der Erste, der mich je geküsst hat. Vielleicht hat das dazu geführt, dass sich in meiner Vorstellung etwas heraus gebildet hat, was in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit steht. Wenn du mich noch einmal küsst, empfinde ich vielleicht auch nicht mehr, als ich bei Billy empfunden habe. Dann kann ich vielleicht doch mit ihm zusammen sein.«

Sein Tonfall war wehmütig und Junes Stirn wies Sorgenfalten auf. Logan hätte ihn nicht entgeisterter anstarren können, wenn ihm plötzlich eine zweite Nase gewachsen wäre.

»Wenn du es wirklich nicht tun willst, verstehe ich das natürlich. Immerhin bin ich ja keine Frau…«, seufzte der Kleine und senkte den Kopf.

»Es ist nicht so, dass ich es nicht tun möchte…«, wandte Logan ein. Kopfschüttelnd sah er auf June hinunter. »Himmel, was ist das nur für ein verteufeltes Gespräch, June! Das erste Mal habe ich dich geküsst, weil… weil… zum Teufel ich weiß es nicht… weil du so süß ausgesehen hast. Das zweite Mal war ein Fehler. Es hätte nicht dazu kommen dürfen. Es wieder zu tun, wäre ein noch größerer Fehler. Das kannst du mir wirklich glauben.«

Erneut seufzte der Blondschopf. Er hatte schon fast geahnt, dass Logan sich dagegen sträubte ihn zu küssen. Verständlich eigentlich, denn der andere mochte ja Frauen. Das sollte er wohl nicht noch einmal vergessen, obwohl es ihm schwer fiel, sich das zu vergegenwärtigen.

»Okay… ich… tut mir leid, dass ich dich so bedrängt habe…«, entschuldigte er sich schließlich nach einer Weile des Schweigens. Logan hatte recht. Es war ein Fehler gewesen, nur konnte June die Gefühle in seinem Inneren nicht einfach ignorieren. Aber er musste! Das alles durfte nicht sein!

Niedergeschlagen sah er hoch in Logans Gesicht und machte den Mund auf, um noch etwas zu sagen, da spürte er wie die großen warmen Hände des anderen von seinen Ellenbogen auf seine Oberarme glitten. Ein leises Fluchen kam dem Mann über die Lippen und ehe June es sich versah, wurde er sachte an Logans breite Brust gezogen.

»Ich weiß, dass ich das Falsche tue«, murmelte Logan, bevor er den Kopf neigte und sein Mund Junes weiche Lippen mit der Zärtlichkeit verschloss, mit der er den Blondschopf bereits das erste Mal geküsst hatte.

Hitze breitete sich in dem Kleineren aus und er drückte sich noch näher an Logan, klammerte sich regelrecht fest und wollte einfach, dass dieser Kuss niemals endete. Es fühlte sich so schön an, so richtig. Sein Körper stand in Flammen, nur weil Logan ihn küsste!

»Himmel!«, flüsterte Logan dann und sah mit einem Ausdruck in Junes Gesicht, den der Blondschopf nur als Bestürzung deuten konnte. Er glaubte schon Logan würde ihn von sich stoßen, und seine Hände hielten flehendlich die Ärmel seiner Jacke fest.

Aber Logan stieß ihn nicht von sich. Stattdessen senkte er wieder den Kopf.

Wenn June in diesem Moment gestorben wäre, wäre er mit Freuden gestorben. Die Berührung von Logans Lippen durchzuckte ihn wie ein Blitzstrahl. Innerlich erbebte er, und seine Knie wurden furchtbar weich. Sogar Junes Lippen zitterten leicht, obwohl es kaum ein richtiger Kuss war. Logans Mund bewegte sich nur sachte über seine zitternden Lippen. Um June herum drehte sich alles, doch er hielt seine Augen geschlossen und reckte sich noch höher auf die Zehenspitzen, um dem anderen näher zu kommen, und sein Herz schlug so schnell, dass er glaubte es würde ihm aus der Brust springen.

»Ach, June…« Er flüsterte die Worte gegen seine Lippen.

June spürte den warmen Atem und einen Moment lang fürchtete er Logan könnte sich von ihm lösen. Große erfahrene Hände glitten sanft über seine nackte Haut von den Ellenbogen bis zu den Handgelenken und der Kleine bekam eine Gänsehaut, und sofort waren seine Zweifel wieder verflogen.

Dann legten sich Logans Hände auf Junes, die immer noch dessen Ärmel umklammert hielten. Sachte zog er sie von dem Stoff und hob sie zu seinem Nacken.

Das veranlasste den Blondschopf die Augen aufzuschlagen und er stellte fest, dass Logan ihn fast genauso benommen ansah, wie er sich fühlte. Als hätte der andere sein Handeln genauso wenig unter Kontrolle wie June selbst.

Wortlos senkte er den Kopf erneut und diesmal war Logans Kuss ein klein wenig unsanfter als zuvor. Junes Lider schlossen sich erneut und seine Arme schlangen sich enger um den starken Hals. Streichelnd ließ der Blondschopf seine Finger über den kräftigen Rücken gleiten, kraulte Logans Nacken unter dem kurzen Haar und krallte sich dann einfach nur fest, als dessen Zunge sich zwischen seine Lippen schob und sachte den Umriss derselbigen nachzeichnete. June erschauderte, als seine Mundwinkel geküsst wurden und sich Logans Finger in die seidigen Locken in seinem Nacken gruben. Er bebte, hörte das Blut in seinen Adern rauschen und öffnete seine Lippen ganz automatisch, als Logan ihn erneut etwas stürmischer in Besitz nahm. Dennoch war der andere immer noch sanft, sodass June kein bisschen Angst verspürte, sondern nur das Verlangen nach mehr hatte. Er schlang seine Arme nur noch fester um Logans Hals und reagierte instinktiv auf das sachte Eindringen von dessen Zunge, kam dieser mit seiner eigenen entgegen und genoss die innigen Berührungen.

Daraufhin atmete Logan hörbar ein und hob dann den Kopf.

»L~logan…« Plötzlich verspürte June wieder Angst, dass der andere ihn stehen ließ.

»Sch…«

Der andere drückte ihm Küsse auf die Wange und erkundete dann mit seiner Zunge die Windungen von Junes Ohr, glitt über den Hals des Kleineren, bis er am Kragen angelangt war.

»Hm… du durftest nach Sonne…«, raunte Logan mit tiefer Stimme, die dem Blondschopf einen heißen Schauder über den Rücken rinnen ließ. Keuchend drückte der Kleine sich fester an den kräftigen Körper und das Keuchen ging in ein Stöhnen über, als er spürte, wie Logans Hände seinen Po umfassten und ihn leicht kneteten. Es waren große, kräftige Hände. June konnte ihre Wärme und ihre Kraft deutlich durch seine Hose spüren und diese Hände zogen ihn noch enger an den anderen.

Dann konnte der Kleine etwas Hartes an seinem Bauch spüren und als Logan ihn daran presste, entkam seiner Kehle erneut ein Stöhnen, diesmal jedoch ein überraschtes. Mit großen Augen schaute er zu dem Mann auf und wurde sich noch im selben Moment bewusst, dass es in seiner eigenen Hose ebenfalls zu eng wurde. June schluckte und seine Wangen glühten vor Verlegenheit, aber ein unbeschreibliches Glücksgefühl breitete sich dabei in ihm aus, denn das Logan erregt war konnte nur bedeuten, dass dieser ihn ebenfalls anziehend fand und ihn begehrte. Bei dem Gedanken daran wurden dem Blondschopf die Knie weich und als er in Logans Armen zusammensackte, glitt dessen Mund noch tiefer und blieb auf seiner Knospe liegen. June spürte die Glut durch sein Hemd und als der andere an seiner Brustwarze knabberte, schrie er erstickt auf.

Dann ließ Logan ihn sanft auf den Boden gleiten und legte sich auf ihn.

June wimmerte als er das Gewicht des anderen auf sich spürte, aber nicht aus Schmerz, sondern weil er gar nicht mehr erwarten konnte, dass der Mann endlich weiter machte. Er verzehrte sich nach jeder noch so kleinen Berührung, drängte sich ihm entgegen und stöhnte in den leidenschaftlichen Kuss, als Logan erneut seinen Po umfasste und sich fordernd an ihm rieb. Seine Knospen hatten sich verhärtet und reckten sich dem anderen entgegen. June krallte sich lustvoll an den breiten Schultern fest, legte den Kopf in den Nacken und drückte seine Brust raus, um Logan mehr Angriffsfläche zum verwöhnen zu geben. Sein Atem kam stoßweise und sein Herz wollte ihm fast aus der Brust springen. Er gab sich vollkommen hin, ließ zu, dass der andere ein Knie zwischen seine Schenkel schob und öffnete seine Beine von selbst ein Stück, denn die Enge in seiner Hose war nicht besonders angenehm.

»Bitte…«, kam es flehendlich über Junes Lippen und er nahm es noch nicht einmal bewusst wahr.

Doch Logan verstand ihn. June spürte, wie an seinem Hosenbund herumgenestelt wurde und kurz darauf fühlte er die Hand des anderen zwischen seinen Schenkeln. Stöhnend zuckte der Kleine mit der Hüfte nach oben. Er stand in Flammen und erbebte vor Lust, während Logan ihn sanft streichelte. Lasziv leckte er sich über seine trockenen Lippen, strich mit einer Hand über die Wange des Mannes und wollte ihn gerade von sich aus küssen, als dieser dem Kuss auswich.

Dann hielt Logan auch mit seinen Berührungen inne und blieb still liegen.

June brauchte einen kurzen Moment, bis sich sein lustverhangener Blick klärte und er schaute unsicher zu dem anderen auf.

»Logan?«

Mit steifen Bewegungen sprang der Mann plötzlich auf und June zuckte erschrocken zusammen.

»W~was ist denn los?« Verwirrt richtete der Kleine sich ein Stück auf und fühlte sich plötzlich so verlassen wie noch nie in seinem Leben. »Hab.. hab ich was falsch gemacht?«

Er war total verunsichert und das sah man ihm deutlich an.

»Ich bin ein Schwein«, sagte Logan durch zusammengebissene Zähne, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und den Kleine zurückließ. Zitternd zog June die Beine an seine Brust und umschlang sie mit den Armen. Warum hatte Logan ihn gerade jetzt sitzen lassen? Er verstand das nicht. Zwar hätte er dem Mann hinterher laufen können, doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es nichts brachte. Zutiefst betrübt senkte er die Stirn auf seine Knie und begann leise vor sich hinzuweinen. Logans Reaktion hatte ihn tief verletzt. Sein Herz pochte schmerzhaft gegen seine Brust und June wünschte sich nichts sehnlicher, als dass der andere zurück kam und ihn in den Arm nahm, ihm sagte, dass es ihm leid tat und ihm diese wunderschönen Zärtlichkeiten schenkte. Dennoch war June realistisch genug um zu wissen, dass dies nicht passieren würde.

Das alles… es hatte sich so wunderschön angefühlt… Die Berührungen, die Küsse… es war wie in einem Traum gewesen… eben zu schön um wahr zu sein.

Aber nun war es vorbei und bestimmt würde Logan es nicht noch einmal so weit kommen lassen. Vielleicht sollte er froh sein, dass es überhaupt so weit gekommen war.

June schluchzte. Wie sollte er je jemand anderes lieben können, wenn er immer Logans Hände auf seinem Körper spüren würde, die Glut, die sich in seinem Inneren ausgebreitet hatte, als ihre Lippen miteinander verschmolzen waren… June war sich absolut sicher, dass niemand anderes das bei ihm bewirken konnte. Schon gar nicht Billy, dessen Kuss ihn ja schon kalt gelassen, nein, dessen Kuss ihn angeekelt hatte.
 

Tbc
 

17/05/2011

© by desertdevil

Wenn’s mit der Liebe so einfach wär… Teil 01

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Wenn’s mit der Liebe so einfach wär… Teil 01
 


 

Als Cloud seinem Pferd Saber den Sattel abnahm, war Mitternacht schon lange vorbei und die Morgendämmerung nahte. Er hätte Aban wecken können, aber er hätte einem Mann nicht den nächtlichen Schlaf geraubt, wenn er selbst das ebenso gut erledigen konnte. Außerdem erfüllte es ihn mit einem seltsam inneren Frieden, in Gesellschaft der Tiere in dem großen Stall zu sein.

Und nichts anderes als eine Form von Seelenfrieden hatte er auf seinem wilden Ausritt gesucht.

Cloud war müde. Mein Gott, vielleicht sogar müde genug, um schlafen zu können.

Doch das bezweifelte er. Er mochte zwar körperlich erschöpft sein, aber seine Gedanken drehten sich um Kreis, und er versuchte unablässig eine Lösung des Rätsels zu finden, vor dem er stand. Bisher hatte er damit kein Glück gehabt.

Hatte nicht einmal jemand gesagt, man solle aufpassen, was man sich wünschte, denn sonst könnte man genau das bekommen? Cloud wusste jetzt, was damit gemeint war.

»Gute Nacht, mein Junge«, sagte Cloud zu Saber, streichelte noch einmal über die samtigen Nüstern und zauste ihn hinter dem linken Ohr.

Er wusste, dass es blödsinnig war, aber er liebte dieses Pferd. Saber war ein prachtvolles Tier mit dem stolzen Kopf eines Araberhengstes und der Schnelligkeit eines Vollbluts. Ein Hengst wie Saber war ein entscheidender Bestandteil dessen, was er sich so dringend gewünscht hatte. Und auch ansonsten war ihm dieser Wunsch restlos erfüllt worden. Endlich hatte er alles, was er sich je erträumt hatte. Genau genommen sogar mehr.

Er war jetzt ein reicher Mann, Besitzer einer gewaltigen Plantage von der Sorte, die er im Vorbeifahren immer neidisch betrachtet hatte, wenn er sie von Deck aus angestarrt hatte. Es war sein Wunsch gewesen ein Stück Land zu kaufen, ein eigenes zu Hause zu haben, sesshaft zu werden und Wurzeln zu schlagen. Aber er hatte immer gewusst, dass er nie eine der großen Plantagen besitzen würde, die er vom Fluss aus sehen konnte. Es war unwahrscheinlich, dass man bei Kartenspiel das Geld verdienen konnte, um sich so etwas zu kaufen.

Doch durch eine unerforschliche Wendung des Schicksals war er jetzt Herr über eine Plantage mit mehr Land und Bewohnern als manche Städte. Er hatte größere Besitztümer an sich gebracht, als es einem Menschen zustehen sollte.

Sogar Saber, den er bei einem Pferdezüchter in Jackson gekauft hatte, war der Inbegriff dessen, was er sich erträumt hatte. Das Tier hatte weit mehr gekostet, als er in seinem früheren Leben je für ein Pferd ausgegeben hätte, doch als Herr über die Plantage, gab es wenig, was er sich nicht hätte leisten können.

Dazu kam noch, dass man ihn respektierte, sogar zu ihm aufblickte, und er hatte sich nie vorgestellt, die Achtung anderer erringen zu können. Cloud Tanner, ein professioneller Spieler, der selbst bei seinen Freunden in dem Ruf stand, nicht ehrlicher zu sein, als es irgend erforderlich war, zählte jetzt zu den bessere Leuten und war ein angesehener Pflanzer, ein Gentleman.

Als er sich ein Stück Land gewünscht hatte, lag das Leben, das er jetzt führte so weit außerhalb seiner Möglichkeiten, dass er gar nicht auf den Gedanken gekommen war, es ließe sich verwirklichen. Und doch waren alle seine Wünsche in Erfüllung gegangen.

In seiner Sorglosigkeit hatte er sich ein Stück Land und genug Geld gewünscht, um es zu bewirtschaften, und jetzt mussten sich die Götter ins Fäustchen lachen. Jetzt hatte er eine Frau, die er hasste und nur zu gern erwürgt hätte, obwohl er noch nie in seinem Leben einer Frau wehgetan hatte; Sie war ein Luder und eine Hure, und sie hasste ihn mindesten so sehr, wie er sie.

Auch seinen Namen begann er allmählich zu hassen. Als er ihn damals, vor Monaten, angenommen hatte, war ihm nicht klar gewesen, wie sehr es ihn stören würde, den Rest seines Lebens als Logan Riplay verbringen zu müssen.

Cloud Tanner war zwar nicht der Name eines feinen Herrn, aber es war sein Name. Es gab Menschen, die er mit der Zeit ins Herz geschlossen hatte, wie zum Beispiel Miss Flora und Miss Laurel. Sie hielten ihn für ihren Neffen. Als er dieses Täuschungsmanöver begonnen hatte, hatte er sich eingeredet, er würde ihnen ein weit besserer Neffe sein, als es Logan Riplay je gewesen war. Und so war es auch. Er hatte sie doch besucht, oder nicht? Und er war höflich, sorgte sich um ihr Wohlergehen und stand ihnen immer zur Verfügung, wenn sie ihn bei sich haben wollten. Sein Eintreffen hatte ihnen neue Kraft gegeben. Er zweifelte nicht daran, dass beide hundert Jahre alt werden konnten.

Doch je mehr er sie mochte, desto mehr kam er sich wie ein Schwindler vor.

Als er ursprünglich seine Pläne geschmiedet hatte, hatte er vorgehabt, Ceciles kleinen Stiefsohn aus seinem Schneckenhaus zu locken und ihn so schnell wie möglich zu verkuppeln und zu verheiraten. Erstens, um dem Jungen ein schöneres Leben zu ermöglichen und ihn sich gleichzeitig vom Hals zu schaffen.

Wer hätte ahnen können, dass hinter der wilden Lockenmähne und der abgetragenen verschlissenen Kleidung ein attraktiver Junge lauerte, der ihm mit einem Lächeln den Atem rauben konnte?

Wer hätte ahnen können, dass er bei dem Versuch, dem Kleinen das Leben zu verschönern, selbst den Kopf und das Herz verlieren würde?

Wer hätte ahnen können, dass er ihn schließlich mehr begehren würde, als er je irgendetwas anderes auf Erden begehrt hatte?

Aber er war nie auf den Gedanken gekommen sich jemanden zu wünschen, den er lieben könnte. Liebe, so hätte er behauptet, ist etwas, was sich ein Mann im Bett mit seinem Partner oder seiner Partnerin innerhalb von zwanzig Minuten aus den Rippen schwitzen kann. Aber das wäre ein Irrtum gewesen, das wusste er jetzt. Die Liebe hatte nicht (naja, sehr wenig) damit zu tun, mit einem anderen Menschen ins Bett zu gehen. In der Liebe drehte es sich darum, gemeinsam zu lachen, miteinander zu reden, und die unzähligen Kleinigkeiten des Zusammenlebens im Alltag miteinander zu teilen.

Es drehte sich darum, dass einem das Wohlergehen eines geliebten Menschen mehr am Herzen lag als das eigene. Und genauso empfand er für June. Er liebte den Jungen und das war die schlichte und ergreifende Wahrheit. Er liebte ihn so sehr, dass er zwischen den Obstbäumen nicht beendet hatte, was er begonnen hatte. Es wäre einfach nicht richtig gewesen.

Die Götter hatten ihn mit großem Reichtum bedacht, mit Land und mit Achtung. Um all das zu bekommen, brauchte er nichts weiter zu tun, als Cecile zu heiraten und ihr Mann zu bleiben. Aber solange er mit Cecile verheiratet war, konnte er seinen Gefühlen nicht nachgeben. Zudem war es auch nicht so einfach mit June zusammen zu sein. Er war über sich selbst erstaunt, dass es ihm nichts ausmachte, sich in einen Jungen verliebt zu haben. Doch es war einfach so und Cloud konnte nach dem ganzen Stress mit Cecile getrost auf Frauen verzichten.

Allerdings blieb sein Problem nach wie vor bestehen.

June war vom gleichen Geschlecht und eine Heirat zwischen ihnen wäre niemals möglich. Und gerade weil es so war, durfte er dem Jungen keine Hoffnungen machen, genauso wenig wie sich selbst.

Wie er dem Blondschopf bereits gesagt hatte, er war ein Schwein, aber ein ganz so großes Schwein nun doch wieder nicht. Aber er wäre dieses Schwein gewesen, wenn er June nicht lieben würde.

Folglich lachten sich die Götter ins Fäustchen. Sie hatten ihm alles gegeben, was er sich erträumt hatte, und noch mehr dazu. Aber er war ein solcher Dummkopf, dass er ihr großartiges Geschenk nicht länger haben wollte. Alles, was er wollte, war June und der Kleine war das einzige, was er nicht haben konnte.
 

Billy kam am darauf folgenden Dienstag, um mit June auszureiten. Natürlich hatte er sich vorher angemeldet und für June war jetzt schon klar, dass der andere nun eine Antwort von ihm wollte.

Nervös sattelte der Blondschopf Firefly und hatte dabei so zittrige Hände, dass er kaum mit dem ganzen Zaumzeug klar kam, obwohl er es im Schlaf konnte, so oft wie er das schon gemacht hatte. Zum Glück ging ihm Aban, der das Ganze kurz beobachtet hatte, ohne Fragen zu stellen zur Hand, sodass June sein Pferd schließlich pünktlich aus dem Stall führte, als Billy bereits die Auffahrt hoch geritten kam.

Unsicher beobachtete er den anderen während er das Pferd in seine Richtung lenkte und dann vor ihm stehen blieb. Billy saß ab und begrüßte June mit einem strahlenden Lächeln.

»Hallo, June. Wie geht es dir?«

Das Lächeln blieb auf seinem Gesicht, doch Billy schien genauso nervös zu sein wie er selbst.

»Danke… gut«, meinte der Kleine und wich Billys fragendem Blick aus, indem er einfach loslief und Firefly dabei hinter sich herzog. Treu schritt ihm das Tier hinterher. June fühlte sich einfach nur schlecht. Er brauchte ein bisschen Abstand von dem anderen, während er immer noch fieberhaft überlegte, wie er Billy am besten beibrachte, dass er nicht mit ihm zusammen sein konnte.

Sicherlich, Billy war attraktiv. Und wenn er Logan nie kennen gelernt hätte, hätte er Billy mit seinem braunen Schopf, den strahlenden Augen und dem stämmigen Körperbau ohne Zweifel für das Beste gehalten, was ihm je hätte passieren können. Wenn er Logan nie kennen gelernt hätte…

Wahrscheinlich hätte der andere ihn aber auch gar nicht bemerkt, wenn Logan nicht gewesen wäre. Von daher war es einerlei sich solche Gedanken zu machen. Schließlich hatte er das Ende der Auffahrt erreicht. Billy hatte noch kein Wort gesagt, sondern war stillschweigend neben ihm hergelaufen. Nun bemerkte June die unsicheren Seitenblicke die ihm immer wieder zugeworfen wurden.

Mit seinem Schweigen machte er den anderen nicht unbedingt glücklich. Aber mit seiner Antwort würde Billy auch nicht glücklich sein. Der Blondschopf seufzte leise. Billy würde einem Mädchen bestimmt ein lieber und aufmerksamer Ehemann sein. June bedauerte, dass er ablehnen musste. Aber es ging nicht anders. Wie sollte eine Beziehung zwischen ihnen funktionieren, wenn er Billy nicht einmal anziehend fand? Wenn sein Herz nicht freudig schneller schlug, wenn der andere in seiner Nähe war? Wenn er nicht bei einer sanften Berührung erschauderte und nach mehr verlangte, sondern einfach nur Ablehnung empfand?

Seit Billy ihn gefragt hatte, ob sie nicht zusammen sein konnten, wusste er, dass dieser Augenblick kommen musste. Da er den anderen nicht verletzen wollte, suchte June immer noch nach Worten, um es ihm so leicht wie möglich zu machen. Trotzdem fiel es ihm schwer, dem anderen eine abschlägige Antwort zu geben.

Schließlich blieb June stehen und wandte sich Billy zu.

»Billy«, setzte der Blondschopf an und hielt dann hilflos inne, als ihm die Zunge am Gaumen festklebte. Es ging nicht! Tief holte June Atem, wandte den Blick von Billys Gesicht ab und die Auffahrt hinauf.

Erst starrte er ins Leere, doch dann bot sich ihm ein Anblick, der ihn augenblicklich aufrüttelte.

Logan und Cecile schienen gerade auf dem Rückweg ins Haus zu sein und stritten heftig miteinander. Er konnte Logans wütende Worte sogar die Auffahrt hinunter hören.

Ein Ehekrach… mal wieder.

»Geht es dir denn so schwer über die Lippen, June?«, fragte Billy zärtlich und unterbrach seinen Gedankenstrom. Gewaltsam riss June seinen Blick von dem streitenden Paar los und sah dem anderen ins Gesicht. In seiner Magengrube machte sich Unruhe breit, ein seltsames Gefühl, das an Übelkeit grenzte.

»Nein, Billy, es geht mir gar nicht schwer über die Lippen«, erwiderte June, und es überraschte ihn selbst, wie gefasst seine Stimme klang.

»Ich…« Jetzt stockte er doch und seine Gefasstheit war wie weggeblasen. Trotzdem sah er zu Billy hoch und zwang sich weiter zu sprechen. »Ich würde es gerne versuchen…«, gab er dann zögerlich zu. Es war kein eindeutiges Ja, dennoch schien es Billy nicht zu stören. Der andere vollführte einen Luftsprung und ehe June sich’s versah, wurde seine Mitte umfasst. Billy wirbelte ihn herum und drückte ihm dann einen leidenschaftlichen Kuss auf. June schwirrte der Kopf. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass der andere ihn herumgewirbelt hatte, oder an dem Kuss. Aber sowie er die Worte ausgesprochen hatte, wurde er sich bewusst, was für einen Fehler er begangen hatte.

Bestimmt drückte er Billy von sich weg und ging auf Abstand, während er kurz einen Blick die Auffahrt hinauf warf. Cecile und Logan waren anscheinend im Haus verschwinden und das ließ den Kleinen aufatmen. Nach einem weiteren sorgenvollen Blick in alle Richtungen, entspannte sich der Blondschopf sichtlich. Glücklicherweise schien sie niemand gesehen zu haben.

»Du kannst mich nicht einfach auf offener Straße küssen!«, wies er Billy dann zurecht. Er verstand nicht, wieso der andere so leichtsinnig war.

Im gleichen Moment taten June seine zurechtweisenden Worte wieder leid, weil Billy so ein trauriges Gesicht machte. Innerlich seufzte der Kleine.

»Lass uns ein Stück reiten…«, schlug er vor, um das unangenehme Schweigen zu brechen und die geknickte Stimmung des anderen wieder ein wenig aufzulockern. Billy nickte. Sie saßen auf und ließen die Pferde antraben. Zuerst gab June den Weg vor, doch bald lenkte Billy sie in Richtung eines Wäldchens, wo er auf einer kleinen Lichtung anhielt.

Wie es sich für einen Gentleman geziemte, half er June aus dem Sattel, bevor dieser sich auch nur rühren konnte. Es war dem Blondschopf ziemlich peinlich und außerdem erinnerte es ihn daran, wie Logan ihn damals vom Pferd gehoben hatte. Das Gefühl, welches er dabei gehabt hatte, stimmte nicht einmal annähernd mit dem jetzigen überein. Er fühlte kein Kribbeln, keine Aufregung oder Nervosität… nichts! Nicht einmal sein Herz schlug schneller!

Als seine Füße den Boden berührten, wollte June sofort wieder auf Abstand gehen. Billy ließ ihn jedoch nicht los. Mit leuchtenden Augen starrte er auf ihn hinunter.

Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals und eine gewisse Panik breitete sich in ihm aus, als Billys Gesicht immer näher kam. June wollte nur noch weg, doch bevor ihm ein Wort über die Lippen kommen konnte, riss Billy ihn in seine Arme. Das quetschte dem Kleinen fast alle Luft aus den Lungen. Als er sich an Billys Schultern verkrallte, um ihn von sich wegzudrücken, machte dieser sich daran ihn mit einer Gründlichkeit zu küssen, die er an jenem Abend zwischen den Obstbäumen nicht an den Tag gelegt hatte.

June verspannte sich völlig und hoffte nur auf ein baldiges Ende. Als Billy schließlich den Kopf hob und sich sein Griff etwas lockerte, grinste er von einem Ohr bis zum anderen, wohingegen der Blondschopf sich einfach nur bedrängt fühlte und sich am liebsten den Mund abgewischt hätte. Doch June unterdrückte den Drang. Stattdessen pflückte er Billy Hände von seinen Oberarmen und entzog sich ihm mit einer Ausrede.

»Billy… mir geht das alles zu schnell…« Entschuldigend sah er zu dem anderen auf, während der Kleine unsicher auf seiner Unterlippe herum kaute. Das alles… die ganze Situation war ihm unangenehm. In was für ein Desaster hatte er sich da nur hinein katapultiert?

Um seine Gedanken wenigstens einigermaßen in den Griff zu bekommen, entfernte sich June ein Stück von Billy und schloss die Augen. Aber es funktionierte nicht, weil er sich zu sehr der Anwesenheit des anderen bewusst war. Bestimmt fragte sich Billy, was mit ihm los war.

June wusste es nur allzu gut.

Er bereute die Antwort, die er dem anderen gegeben hatte bereits jetzt schon.

Dann wurde er durch Billys Hände auf seinen Schultern, die ihn leicht massierte, abgelenkt.

»Hey…«, hörte er leise die Stimme des anderen an seinem Ohr. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir gehen von hier weg… und ich verspreche, dass ich mich gut um dich kümmern werde.«

June senkte den Kopf und hätte am liebsten angefangen zu weinen. Warum war Billy nur so einfühlsam? Würde er anders auf seine Ablehnung reagieren, würde es dem Blondschopf bestimmt nicht so schwer fallen, ihm zu sagen, dass er es nicht so gemeint hatte, dass es ein Versehen gewesen war. Aber er brachte es einfach nicht über sich. Daher litt June stumm vor sich hin und war über sich selbst entsetzt, während Billy begann über seine Zukunftspläne zu reden und wie sie gemeinsam alt werden würden.

Nach einer Weile unterbrach June ihn jedoch.

»Billy… lass uns später über solche Dinge reden… Ich fühl mich nicht so gut und würde gerne wieder zurück nach Hause…« Er fühlte sich wirklich nicht gut, vor allem aber, weil er grenzenlose Panik davor hatte, endlich Klarheit zu schaffen.

»Oh.. natürlich…«, meinte der andere sofort.

»Darf ich dich dann noch nach Hause bringen?«

Die Frage klang so voller Hoffnung, dass June sie nur mit einem Nicken beantworten konnte. Deprimiert ließ er sich von seinem Freund zu Firefly führen, der neben Billys Pferd gemütlich graste.

June wollte gerade aufsitzen, hatte schon nach den Zügeln gegriffen, als er Billys ebenso hoffnungsvolle Miene sah. »Wenn es dir nicht zu schnell geht… na ja… ich würde dir gerne noch einen Abschiedskuss geben. Nachher auf der Straße geht ja schlecht…«, meinte der Braunhaarige erklärend und obwohl sich alles in June dagegen sträubte, gestattete er es ihm und wich noch nicht einmal zurück, als Billys Zunge kühn in seinen Mund glitt.

Seine leise Hoffnung, er könnte mit Billy vielleicht, ganz vielleicht, doch zusammen sein, verflüchtigte sich nun gänzlich. Allmählich musste June befürchten, dass er das Feuerwerk der Sinne nur bei Logan erleben konnte.

Er konnte einfach nicht mit jemandem zusammen sein, dessen Küsse in ihm nur den Wunsch erweckten, sich hinterher die Zähne zu putzen. Nein, das konnte er nicht tun.

Selbst nachdem er wieder zu Hause war und die Nacht herein brach, war June noch so bedrückt, dass er einfach nicht schlafen konnte. Nachdem er sich eine geschlagene Stunde unruhig im Bett hin und hergewälzt hatte, gab er den Versuch zu schlafen schließlich ganz auf, zog sich einen Morgenmantel über den Schlafanzug und lief durch den Korridor. Er beschloss sich auf die Veranda zu setzen, bis die Nachtluft ihn schläfrig machte – falls es je dazu kommen sollte.

Bis auf die Lichter auf der Treppe und in den Fluren lag das Haus im Dunkeln. Die Dienstboten hatten sich längst in ihre Unterkünfte zurück gezogen, und Logan und Cecile lagen wohl ebenfalls schon im Bett. In anderen Nächten hatten sich ihre Streitigkeiten oft noch bis Mitternacht gezogen, aber heute lag das Haus still da.

June zog die schwere Eichentür auf und trat auf die Veranda. Das samtige Mitternachtsblau des Himmels zog sofort seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Sterne funkelten wie Diamanten, so viele Sterne, dass June ganz benommen in den Lichterschein sah. Dann zog er die Tür hinter sich zu und stellte sich ans Geländer. Seine Hände legten sich auf das glatte Holz, und er warf den Kopf zurück.

Der Mond war riesig und so rund wie ein Rad Käse, und er war von Millionen von funkelnden Sternen umgeben. Von Osten her kam eine leichte Brise, die kleine, dunkle Wolken wie Fetzen eines Schleiers über den glitzernden Himmel wehte. Das Laub raschelte, die Heuschrecken zirpten, und die Nachtvögel und ihre Beutetiere stießen Rufe und Schreie aus.

Die Schönheit dieser Nacht verfehlte ihre Wirkung auf June nicht. Zum erstenmal, seit er Billy einen Beziehungsversuch zugesprochen hatte, fühlte er sich ein wenig ruhiger.

Dann drang gemeinsam mit dem zarten Duft der Lilien und Mimosen beißender Zigarrenrauch in Junes Nase.

Der Blondschopf riss den Kopf herum. Am hintersten Ende der Veranda konnte er deutlich die glühende rote Spitze einer brennenden Zigarre sehen. Es war nicht wesentlich schwieriger, den dunklen Umriss des Mannes auszumachen, sowie sich Junes Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er saß zurückgelehnt auf einem Schaukelstuhl und hatte die Füße übereinander geschlagen. Seine Stiefel lagen in der Haltung auf dem Geländer, die June die liebste gewesen war, bis der andere für seine Metamorphose vom Aussehen eines ärmlichen Bauerntrampel zu einem hübschen jungen Mann gesorgt hatte.

Trotz der Kälte war Logan hemdsärmelig, und die elegante Brokatweste war offen. Sein Halstuch schien er ganz abgelegt zu haben.

»Hallo…«, brachte June leise heraus.

Logan lächelte und der Kleine konnte deutlich das Weiß seiner Zähne sehen.

»Bist du zu aufgeregt, um zu schlafen?«

Die Frage wurde mit einem hämischen Unterton gestellt, wobei sich Junes Nackenhaare sträubten. Irgendwas stimmte nicht.

»Wieso aufgeregt? Ich kann einfach nicht schlafen…«, meinte der Blondschopf und hoffte der andere würde die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Gleichzeitig wusste June jedoch, dass Logan das nicht tun würde. Dazu kannte er ihn zu gut.

»Nun ja…« Logan machte eine gedehnte Pause, die June schlimmes ahnen ließ.

»Ich glaubte dein Verehrer war heute nicht umsonst so sehr aus dem Häuschen… Mitten auf der Auffahrt, war das ja schlecht zu übersehen…«

Also doch!

Der Kleine hatte es gewusst. Innerlich stöhnte er auf und verfluchte Billy dafür, dass er so impulsiv und ohne nachzudenken gehandelt hatte. Logan hatte alles gesehen und konnte sich anscheinend auch den Rest darauf zusammenreimen.

»Und wenn schon… Was geht es dich jetzt noch an?!«, meinte June trotzig und jeder Gedanke an die Schönheit der Nacht war verflogen. Eine Hand lag noch auf dem Geländer, die andere hatte er zur Faust geballt.

»Du hast also beschlossen, dass du seine Küsse doch erträgst«, stichelte Logan weiter und June hätte ihm dafür am liebsten ins Gesicht geschlagen. Doch er beherrschte sich und antwortete nur mit einem kühlen »ja«.

»Und du freust dich schon darauf, stimmt´s?«

»Natürlich«, log June weiter, um dem anderen ja nicht zu zeigen wie aufgewühlt er innerlich war. Logan lachte und der Kleine empfand es als unangenehm und zugleich demütigend. »Lügner!«

»Er ist zumindest ehrlich, möchte mit mir zusammen sein und behandelt mich nicht wie einen Aussätzigen«, verteidigte sich June und warf Logan einen bösen Blick zu.

»Das kann ich wohl nicht leugnen.«

Der Zigarrenstumpen leuchtete kurz auf. Dann hob Logan mit der anderen Hand etwas hoch – eine Flasche. Er hielt sie sich an die Lippen und neigte den Kopf zurück. Angewidert sah June ihm zu, als er einen großen Schluck aus der Flasche trank, sie dann wieder auf den Boden stellte und sich mit dem Handrücken den Mund abwischte.

Nie zuvor hatte er Logan trinken sehen und er hatte sich auch noch nie derartig daneben benommen. Aber wenigsten erklärte der Alkohol sein ungewohnt schlampiges Äußeres und den beißenden Ton, der in seinen Worten mitschwang.

»Du bist total betrunken«, sagte June anklagend und schüttelte den Kopf.

»Nur eine Spur angeheitert. Und warum auch nicht, kannst du mir das verraten? Immerhin erfährt ein Mann nicht alle Tage, dass sein Stiefsohn mit einem anderen Mann Reißaus nehmen will.«

Die Sticheleien brachten June auf die Palme, doch er holte tief Atem und ermahnte sich ruhig zu bleiben. Logan war betrunken und wollte ihn bloß reizen, weil ihm die ganze Situation anscheinend nicht gefiel.

»Ich gehe ins Bett«, teilte er ihm deswegen mit.

»Um von dem süßen Billy zu träumen?«, fragte Logan daraufhin in süffisantem Tonfall. Dann hob er die Flasche wieder an seine Lippen und trank.

»Das ist mit Sicherheit besser, als von dir zu träumen«, konterte June.

»Zweifellos.«

Logan stellte die Flasche auf den Boden, stand auf und schnippte die Asche von seinem Stumpen, den er dann über das Geländer warf. June wich nicht zurück, als der andere mit gezielten Bewegungen auf ihn zukam, die nicht unsicherer waren, wie er es erwartet hätte, wenn Logan wirklich betrunken gewesen wäre. Eine winzige Stimme in Junes Inneren drängte ihn zur Flucht, doch er hörte nicht darauf. Mit geradem Rücken und stolz erhobenen Kopf verharrte er. Nur June selbst wusste, wie fest sich seine Hand um das Geländer spannte. Direkt vor ihm blieb Logan stehen. Nur in solchen Momenten, in denen er so dicht vor ihm stand und der Kleine zu ihm aufblicken musste, war June sich bewusst, wie groß Logan wirklich war. Er war weit mehr als einen Kopf größer und so breitschultrig, dass Junes Schatten auf dem Boden sich winzig neben seinem ausnahm.

Dann hob Logan die Hand und legte sie seitlich auf seinen Hals. Die warmen, kräftigen Finger schlangen sich unter Junes Haar um seinen Nacken und schon durch diese kleine Berührung begann sein dummes Herz schneller zu schlagen.

»Trotzdem…«, sagte Logan mit sanfter, eindringlicher Stimme, »ziehe ich es vor, dass du von mir träumst.« Während er das sagte, hatte er seinen Kopf gesenkt und näherte sich den Lippen des Kleineren.

Zart und liebevoll küsste er den Jungen und seine Lippen versprachen ihm alles auf Erden. June schloss die Augen, und seine Hand umklammerte das Geländer noch fester, als er gegen den Drang ankämpfte, vor diesem zärtlichen Angriff zu kapitulieren. Ihre Körper berührten einander nicht, und Logan hielt ihn nur mit einer Hand fest, die in seinem Nacken lag. Doch das Blut in Junes Adern verwandelte sich in glühende Lava.

Erst als die Zunge des Mannes seine Lippen teilte, schmeckte der Kleine den Whisky und erinnerte sich wieder daran, dass der andere zwar nicht völlig betrunken war, aber doch einiges getrunken haben musste. Würde Logan ihn so küssen, wenn er nüchtern gewesen wäre? Oder hätte er ihm dann alles Gute für sein Zusammenleben mit Billy gewünscht?

Die Antwort, die June sich ausrechnete, gab ihm die Kraft, sich von Logan zu lösen.

»Du bist ja nur missgünstig«, sagte er bitter, und um seine Ernüchterung deutlich zu zeigen, fuhr er sich mit der Hand über den Mund, als wolle er den Nachgeschmack des Kusses abwischen.

»Was soll das heißen?«

Logan sah auf ihn hinunter. Sein Gesicht war im Schatten, aber seine Augen funkelten so hell wie die Sterne.

»Du willst mich selbst nicht haben, aber du willst auch nicht, dass mich ein anderer bekommt.«

»Wie kommst du auf die Idee, dass ich dich nicht haben will?«

Während sich Junes Herz gerade überschlug, verzogen sich Logans Lippen auch schon zu einem gemeinen, spöttischen Lächeln, während er kurze Zeit später eine Hand zwischen die Beine des Kleinen gleiten ließ. June war so geschockt, dass er sich nicht von der Stelle rühren konnte. Er spürte sofort die Wärme dieser großen Hand durch seinen Schlafanzug und biss sich fest auf die Unterlippe, um ein leises Stöhnen zu unterdrücken. Seine Knie wurden ganz weich und zittrig und sein Atem beschleunigte sich.

»Ich will dich… Und es steht fest…«, sagte er mit viel zu ruhiger Stimme, während diese große, warme Hand über Junes Bauch und unter das Oberteil glitt, bis hoch zu seinen Knospen, die sich bei Logans sanfter Berührung sofort aufrichteten, »dass du mich auch willst.«

Der Kleine keuchte atemlos, erwachte jedoch bei den letzten Worten aus seiner Erstarrung und schlug mit einem unartikulierten Laut Logans Hand von seiner Brust.

»Wie kannst du es wagen!«

Das überhebliche Lächeln, mit dem er June in die Augen sah, zeigte deutlich, dass er ihm nur beweisen wollte, wie hilflos der Kleine auf seine Berührungen reagierte. Und das war ihm natürlich blendend gelungen.

»Ich würde jederzeit wetten, dass deine Brustwarze, oder dein kleiner Schwanz, das bei dem guten Billy nicht tut.«

Mit einem wissenden Blick zeigte er auf Junes Körpermitte.

Sofort schoss dem Blondschopf eine gnadenlose Röte ins Gesicht und er kniff beschämt die Beine zusammen und schlang die Arme um seinen Oberkörper, um die Stellen zu verdecken mit denen ihn sein verräterischer Körper verriet.

»Du kannst dich zum Teufel scheren!«, zischte June trotz seiner peinlichen Lage durch zusammengebissene Zähne. Es war selten in seinem Leben soweit gekommen, dass er einen Fluch ausstieß, doch es tat gut und erleichterte ihn ein wenig. Da der Kleine das Gespräch als beendet ansah, weil sowieso nichts dabei heraus kommen würde, als dass sie sich gegenseitig verletzende Worte an den Kopf warfen, wollte er sich an Logan vorbei drängen und ins Haus flüchten.

Aber Logan dieser Mistkerl lachte lauthals.

»Ach, wie unbeständig du doch bist! Hast du mir nicht erst gestern gesagt, dass du mich liebst?«

Ein Hieb in die Magengrube hätte June nicht stärker treffen können. Er holte hörbar Atem und spürte dann eine unbändige Wut in sich aufsteigen, die alles vor seinen Augen verschwimmen ließ. Wie konnte Logan es nur wagen, ihn mit dem aufrichtigsten Geständnis aufzuziehen, das er je in seinem Leben gemacht hatte! Seine Hände ballten sich zu Fäusten, seine Zähne bissen sich so schmerzhaft aufeinander und er wandte sich wutschnaubend zu dem anderen um – und musste feststellen, dass er immer noch lachte.

»Du Schuft!«, schrie June, stürzte sich auf ihn und holte mit seinen Fäusten aus. Doch Logan packte seine Oberarme, um ihn festzuhalten – und lachte immer noch.

»Na, na«, ermahnte er ihn, und das Funkeln in seinen Augen strafte seinen spöttisch verzogenen Mund Lügen.

»Du liebst mich doch, oder hast du das vergessen?«

Hätte June eine Waffe zur Hand gehabt, er hätte diesen Kerl erschossen. Zum Glück war er unbewaffnet. Allerdings gab es eine Sache, von der er selbst wusste, dass sie sehr schmerzhaft war und damit würde er sich zur Wehr setzen!

»Lass… mich… los!«, fauchte June und das Funkeln in seinen Augen stand dem in Logans an nichts nach. Als der Mann ihn schließlich losließ, zog der Kleinen seinen Arm zurück, holte aus und hieb Logan die Faust mit aller Kraft in die Lenden.

Dann rannte er weg. Logan krümmte sich, doch June verschwendete keinen Gedanken an den anderen und rannte, als ginge es um sein Leben. Und wahrscheinlich stimmte das auch. June zweifelte nicht im entferntesten daran, dass es Logans erster Impuls gewesen wäre, seine Hände um seine Kehle zu legen und zuzudrücken, wenn er ihn jetzt in die Finger bekam.
 


 

Tbc…
 

31/05/2011

© by desertdevil

Wenn’s mit der Liebe so einfach wär… Teil 02

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Liebesnacht

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Kapitel 14
 

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Eine Lerche sang, als June am nächsten morgen erwachte. Er streckte sich und lächelte zufrieden vor sich hin. Ihm war auch danach zu Mute lauthals zu singen.

Er stand aus dem Bett auf und trat ans Fenster, um hinaus zu schauen. Bei seinen Bewegungen fühlte er, dass sein Hintern ein bisschen wund war und sein Eingang leicht pochte, doch das sagte ihm, dass die letzte Nacht kein Traum gewesen war. Aber er hatte nirgendwo wirklich Schmerzen. June fühlte sich wunderbar, obwohl er wenig geschlafen hatte, und er war glücklich und sorglos und schäumte nur so vor Energie. Das Gras vor seinem Fenster schien grüner denn je zu sein und der Himmel blauer. Er lehnte sich an den Festerrahmen und lächelte über die Welt im Großen und Ganzen. Der Grund weshalb er sich so wunderbar fühlte, war der, dass er das Gefühl hatte geliebt zu werden.

Logan liebte ihn! War das nicht ein Wunder, das diesen Namen zu Recht trug?

Es war sehr früh. Die Sonne stand noch tief, und auf dem Gras lag Tau. Doch es war schon rege Betriebsamkeit ausgebrochen, und June fiel ein, dass heute die letzte Baumwolle geerntet werden sollte. Wie immer wenn die Baumwollernte zu Ende ging, würde auf dem Fluss reger Verkehr herrschen, da die Baumwolle von den Plantagen zu den großen Hafenstädten wie New Orleans gebracht wurde. Von dort würde sie dann nach England verschifft werden.

June hatte den Trubel nach der erfolgreich eingebrachten Ernte schon immer geliebt, doch dieses Jahr waren seine Sinne geschärft, und er stellte fest, dass man die Freuden des Alltags viel klarer wahrnahm, wenn man verliebt war.

Logan war zweifellos dort draußen, und June errötete leicht bei dem Gedanken, ihm nach allem, was in der vergangenen Nacht geschehen war, am helllichten Tage gegenüber zu treten. Doch sein Verlangen, ihn zu sehen, siegte gegen seine instinktive Scheu. Er wandte dem Geschehen vor dem Fenster den Rücken zu, um sich eilig anzuziehen.

Wie immer war ein Krug heißes Wasser vor seine Zimmertür gestellt worden. June holte ihn, schüttete das Wasser in die Waschschüssel und wusch sich das Gesicht. Sein Körper kam ihm ein bisschen klebrig vor und er hätte gerne ein Bad genommen. Aber da er, wenn er mal badete es immer abends tat, hätten die Hausmädchen nur Fragen gestellt, wenn er jetzt danach verlangte.

Wenn er auch noch so glücklich war, wusste June doch ganz genau, dass das, was in der vergangenen Nacht zwischen Logan und ihm geschehen war, vom Rest der Welt als skandalös und verrucht verdammt worden wäre. Es war schon genug der Schande, dass er mit einem Mann geschlafen hatte. Und dieser Mann war außerdem verheiratet, noch dazu mit der Witwe seines Vaters… das war durch und durch sündig, und June wusste es. Wenn jemand die Wahrheit entdeckte, würde man ihn als ruchlose Schlampe, wenn nicht sogar noch schlimmer beschimpfen, man würde über ihn lästern und ihn ausstoßen…

Aber er war nicht bereit seine Freude durch die düstere Realität trüben zu lassen. Er würde noch früh genug Zeit haben, über die beunruhigenden Aspekte seiner Liebe zu Logan nachzudenken.

June zog seinen Schlafanzug aus und seifte sich so gut wie möglich ein. Die bräunlichen Flecken auf der Innenseite seiner Oberschenkel verwirrten ihn einen Moment lang, bis ihm klar wurde, dass es sich um Blut handelte. Beim ersten Mal war Logan nicht besonders sanft mit ihm gewesen, erinnerte sich der Kleine und seufzte, bevor er leicht errötete, als er daran dachte, was der andere mit ihm getan hatte. Zuerst hatte es nur wehgetan… aber dann… dann war es einfach unbeschreiblich schön gewesen. June glaubte nicht, dass er mit Billy je diese Freuden erlebt hätte, wollte es auch gar nicht. Denn jetzt wo Logan auch zu ihm stand, war er davon überzeugt, dass sie gemeinsam irgendeine Lösung fanden, damit sie zusammen sein konnten. Allerdings war June auch Realist genug, um nicht zu verdrängen, dass Logan verheiratet war. Selbst wenn er sich scheiden ließ… sie beide würden niemals heiraten können. Blieb ihm im besten Falle nichts weiter übrig, seine Zeit als so etwas wie eine Mätresse auf der Plantage zu verbringen, während seine Stiefmutter die achtbare Stellung als Ehefrau inne behielt? Würde sich ihre Liebe mit klammheimlichen Stelldicheins um Mitternacht begnügen müssen?

Oder würde Logan tatsächlich versuchen sich scheiden zu lassen? Die Frage war nur, was das für ihn brachte… im schlimmsten Fall musste er dann die Plantage wieder verlassen und June stand dann mit seiner Stiefmutter wieder allein da, oder wie?

Je mehr der Blondschopf über die Situation nachdachte in die er sich gebracht hatte, desto weiter häuften sich unerfreuliche Tatsachen an. Doch er schüttelte bestimmt den Kopf und verdrängte das alles erstmal.

Heute, wenigstens diesen einen Tag lang wollte er alle Probleme vergessen und sein Glück auskosten. Auskosten, das er liebte und geliebt wurde. Ein kleines Weilchen würde er sich vormachen, dass keines der Hindernisse zwischen Logan und ihm stand und dass sie sich ungehindert und nach Herzenslust lieben konnten.

June zog sich schnell seine dunkelgrünen Reithosen und ein weißes Leinenhemd an, stellte sich kurz vor den Spiegel, um seine wilde blonde Lockenmähne durchzubürsten. Einzelne Strohhalme und Getreidekörner fielen dabei heraus und er dankte wirklich dem Himmel dafür, dass er sich morgens alleine anzog und die Haare machte. Nicht auszudenken, was er sich für Ausreden aus den Rippen hätte leiern müssen, wenn Trudi oder wer anders das gesehen hätte. Als June seine Haare in einem einfachen Zopf gebändigt hatte, sammelte er die Halme und Körner auf, die er herausgebürstet hatte und warf sie ganz hinten in den Kamin, wo sie vor einer Entdeckung sicher waren. Dann breitete er noch seinen Schlafanzug und seinen Morgenmantel auf dem Bett aus, um nach Blutflecken zu suchen, stellte aber zu seiner Erleichterung fest, dass beides sauber war. Schließlich spülte er den Waschlappen, mit dem er sich die blutverschmierten Schenkel abgewaschen hatte aus, bis er keine Flecken mehr hatte. Das trübe Waschwasser schüttete er fort.

Bei allem fühlte sich June so schuldbewusst wie ein Mörder. Doch als das Werk getan war und er noch ein letztes Mal in den Spiegel sah, war er gleich wieder besser gelaunt. Bald, bald schon würde er an Logans Seite sein und nur das zählte für ihn.

Es war ein kühler Morgen und die langen dunkelgrünen Hosen, sowie das langärmelige helle Hemd waren genau richtig für dieses Wetter, stellte June fest, nachdem er über die Hintertreppe das Haus verlassen hatte. Auf dem Weg zum Stall liefen ihm Trudi und Rosa über den Weg und er drückte Trudi überschwänglich an sich, während er Rosa einen Kuss auf die Wange drückte. Beide Frauen sahen kopfschüttelnd hinter ihm her.

June nahm nicht wahr, dass beide Frauen sich wunderten und sich ihren Teil dachten. Er lief zum Stall, bat Aban sein Pferd zu satteln, tätschelte Firefly und ritt voller Vorfreude hinaus. In wenigen Minuten würde er Logan wieder sehen.

Cecile kam gerade aus dem Haus und ging auf die Toilette zu. Sie lüpfte ihre Röcke mit übertriebener Sorgfalt, damit sie auch ja nicht mit dem frisch gemähten Gras in Berührung kamen. Selbst auf diese Entfernung wirkte sie außerordentlich verdrossen und noch dünner, als June sie in Erinnerung hatte.

Cecile blickte auf und sah ihren Stiefsohn. June spürte, wie ein Teil seines kostbaren Glücks zersprang. Er wäre fort geritten, ohne auch nur eine Silbe mit seiner Stiefmutter zu reden, doch Cecile winkte ihn zu sich. Widerwillig griff June Firefly in die Zügel und ritt auf die Ehefrau des Mannes zu, den er liebte.

»Du scheinst ja heut morgen außerordentlich gut gelaunt zu sein«, bemerkte Cecile und betrachtete June angewidert, als der Jüngere sein Pferd vor ihr anhielt. Ihr Gesicht war sehr blass, ihr Haar zerzaust und das sah Cecile gar nicht ähnlich, sodass June sich schon fragte, ob sie krank war. Auch ihr Tonfall war gereizter denn je. Natürlich war Cecile immer unfreundlich zu ihm gewesen und ihre Feindseligkeit war mit jedem Tag größer geworden, seit June attraktiver geworden war und doch… War es etwa möglich, dass seine Stiefmutter wusste, was sich in der Nacht zwischen ihm und Logan abgespielt hatte?

Nein, natürlich nicht. Niemand wusste etwas davon, nur er und Logan. Trotzdem war June machtlos gegen die 8unbewusste Röte, die in seine Wangen aufstieg.

»Wolltest du etwas bestimmtes von mir, Cecile?«, fragte June und hoffte gleich weiter reiten zu können, ehe seine Stiefmutter seine verräterisch geröteten Wangen wahrnahm.

»Falls du meinem Mann über den Weg läufst – was ja ständig zu passieren scheint – dann schick ihn bitte zu mir. Also wirklich! Dieser Mann ist wirklich nie auffindbar – jedenfalls für mich nicht. Soweit ich gehört habe, gelingt es dir ziemlich häufig ihn zu finden.«

Ceciles mürrischer, keifender Tonfall war nicht ausgeprägter als sonst, sagte sich June. Monatelang hatte sie darauf angespielt, wie viel Zeit und Aufmerksamkeit Logan June widmete. Hinter Ceciles Äußerungen steckte nichts weiter als sonst auch – oder etwa doch?

»Falls er mir zufällig begegnet, schicke ich in zu dir,« meinte der Blondschopf und wollte losreiten.

»Oh, ich bin ganz sicher, dass du ihm begegnest. Darauf legst du es doch an, oder nicht?«

»Ich sage ihm, dass du ihn sprechen willst«, sagte June mit gezwungen ruhiger Stimme und kehrte seiner Stiefmutter den Rücken zu. Dabei schlug sein Herz schnell in seiner Brust und er verspürte einen Kloß im Hals. War es so offensichtlich, dass er zu Logan wollte?

»Wenn ich es mir recht überlege, brauchst du dir die Mühe eigentlich gar nicht zu machen«, rief Cecile hinter ihm her, und die Gehässigkeit war deutlich aus ihrer Stimme heraus zu hören. »Was könnte passender sein, als dich die guten Nachrichten übermitteln zu lassen? Richte Logan doch einfach etwas von mir aus. Sag diesem elenden Lüstling, er hätte endlich bekommen, was er wollte: Ich bin ziemlich sicher, dass ich ein Kind kriege.«
 

36
 

June ging am frühen Nachmittag an Bord der »River Queen.«

Sobald er zu dem Entschluss gekommen war, unter den Umständen sei es das einzig mögliche die Plantage zu verlassen, waren die Einzelheiten erstaunlich einfach gewesen. Nachdem Cecile seine Welt in tausend Stücke geschlagen hatte, war June eine Zeitlang blind drauflos geritten. Als er sich dann gezwungen hatte, sich mit seiner wirklichen Lage auseinanderzusetzen, hatte sich eine eisige Ruhe auf ihn herab gesenkt, und er wusste genau, was er zu tun hatte.

Er kehrte zum Haus zurück, packte ein paar Sachen zusammen und schrieb eine Nachricht, die er unter seine Bettdecke legte, damit sie erst gefunden wurde, wenn eines der Dienstmädchen am Abend kam, um die Decken zurück zu schlagen. Es war nicht so schwierig, wie June gefürchtet hatte, sich mit der recht großen Tasche aus dem haus zu schleichen. Die Hausangestellten gingen ihren üblichen Aufgaben nach, und Cecile hielt sich entweder in ihrem Zimmer oder außer Haus auf, wie tagsüber meistens. June begegnete niemandem, als er das Haus durch den Haupteingang verließ und nicht durch die Hintertür, denn dort hätte er Trudi oder Rosa in die Arme laufen können.

Das größte Hindernis schien ihm das Geld zu sein, als er den Entschluss gefasst hatte fort zu gehen, aber auch das erwies sich als kein Problem. Um diese Jahreszeit waren alle auf den Feldern beschäftigt, selbst der Aufseher, der seine Arbeit sonst weitgehend im Büro verbrachte. Das Büro, ein kleiner freistehender Ziegelbau, war leer. Es war abgeschlossen, aber June wusste, wo der Schlüssel aufbewahrt wurde. Er wusste auch, dass die Kasse unter einer losen Diele versteckt war, und den Schlüssel dazu fand er im Schreibtisch des Aufsehers.

Es war lachhaft einfach, diesen Diebstahl zu begehen. June verbarg die Stahlkassette wieder in ihrem Versteck und schloss die Tür hinter sich ab, damit niemand etwas merkte, ehe man seine Nachricht fand. Dann ritt er mit Firefly zur Anlegestelle der Schiffe. Er hatte seinem treuen Begleiter einen Klaps geben können, und das Tier wäre nach Hause zurück gelaufen, doch dann hätte man sein Verschwinden zu früh entdeckt. Deshalb bat June zwei Feldarbeiter der Chandlers, Firefly für diesen einen Tag nach Elmway mitzunehmen.

»Sie machen einen Ausflug, June?«, fragte George, einer der Männer, ihn überrascht, als er ihm Fireflys Zügel in die Hand drückte.

»Ja, ich fahre nach Natchez. Ist das nicht schön?« June hoffte nur, dass die Fröhlichkeit in seiner Stimme in Georges Ohren nicht ganz so unecht klang, wie in seinen eigenen.

»Oh doch. Natürlich«, bestätigte ihm der andere mit einem Lächeln und June tat es in der Seele weh, den jungen Mann zu belügen.

Er tätschelte Firefly und winkte George noch einmal zu, ehe er an Bord ging. In dem Moment ging ihm auf, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wie man eine Schiffspassage buchte. Zum Glück sorgte sich der Kapitän gerade mehr um seine Fracht, als um die Passagiere, und sobald er gezahlt hatte, war auch die Schiffsreise kein Problem mehr.

Als er den Kabinenschlüssel in der Hand hielt, atmete June erleichtert aus. War es nicht komisch wie furchtbar einfach es einem gemacht wurde, sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen und seine Wurzeln zu kappen?

Die einzige Reise, die June je unternommen hatte, war sein Ausflug nach Jackson mit Miss Flora und Miss Laurel gewesen. Wenn er nicht ganz so sehr um Logan gelitten hätte, hätte ihm die Flussfahrt fast Spaß gemacht. Der Yazoo war ihm nie allzu schmal erschienen, doch als die »River Queen« auf dem Nebenfluss in den breiten, schlammigen Mississippi einbog, war June tief beeindruckt von der Breite dieses Stroms.

Eigentlich war es für ihn als Junge kein Problem alleine zu reisen, dennoch fühlte er sich schon jetzt von einigen Männern beobachtet, die ihm Unbehagen bereiteten. Es war wohl das Beste, wenn er sich weitgehend in seine Kabine zurückzog, bis die »River Queen« ihr Ziel – New Orleans – erreicht hatte. Bis dahin konnte er in Ruhe Pläne schmieden, wie es mit ihm weiter gehen sollte. Die achthundert Dollar, die er aus der Stahlkassette entwendet hatte, würden nicht ewig reichen. Irgendwann würde er sich eine bezahlte Stellung suchen müssen, aber als was? Und wie suchte man sich überhaupt eine Anstellung. Panik stieg in June auf, als ihm ständig klarer wurde, wie behütet und zurückgezogen er bisher gelebt hatte. Doch er war nicht bereit sich dieser Panik zu überlassen. Wenn er bisher nicht gelernt hatte, wie man auf sich selbst gestellt in dieser Welt zurecht kam, dann würde er es eben jetzt heraus finden. Irgendwie würde er es schon schaffen, denn es musste sein!

Er war jung, gesund, intelligent und scheute sich nicht vor harter Arbeit. Warum also sollte ihm die Welt außerhalb der Plantage so bedrohlich erscheinen?

Natürlich konnte er sich jederzeit Geld von dort schicken lassen. June hatte das sichere Gefühl, Cecile würde es sich eine ansehnliche Summe kosten lassen, ihren verhassten Stiefsohn loszuwerden. Aber das war ein Schritt, den June hoffte vermeiden zu können. Wenn er Geld anforderte, hieß es, dass er seinen Aufenthaltsort preisgeben musste. Und dann würde mit Sicherheit jemand kommen, um ihn zurückzuholen – das war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Und dieser jemand würde höchstwahrscheinlich Logan sein.

June glaubte nicht, dass er Logan noch einmal gegenüber treten konnte.

Jedenfalls nicht, ohne ihm in die Arme zu fallen und ihn zu bitten, ihn wieder nach Hause zu bringen.

Als die »River Queen« die Plantage immer weiter hinter sich ließ, geriet June mehr als einmal in seinem Entschluss ins Wanken. Die Nacht brach an, und das Heimweh regte sich und wurde nur noch durch das Wissen verstärkt, dass er nie mehr nach Hause zurückkehren konnte.

Als er nicht einschlafen konnte und sich im Bett herumwälzte, war das einzige, was ihn davon abhielt, in der Morgendämmerung sofort umzukehren, das wissen, dass er das richtige getan hatte, als er die Plantage und Logan verlassen hatte. Cecile war Logans Frau, ob es einem der drei Beteiligten nun passte oder nicht. Es gab keine Lösung, die wie durch ein Wunder alles zum Guten gewendet hätte. Nachdem die Grenze überschritten und Logan sein Liebhaber geworden war, waren die Weichen für eine Katastrophe gestellt. Wenn dann auch noch dazu kam, dass Cecile ein Kind erwartete – mochte es nun von Logan sein oder nicht, und June war sehr schnell auf den Gedanken gekommen, dass es nicht von Logan sein konnte - , stand eins fest: für June war auf der Pantage kein Platz mehr.

Es änderte nichts, dass er Logan liebte und dieser ihn.

Cecile war seine Frau und Cecile erwartete ein Kind, das sie als ihr gemeinsames aufziehen würden. Unter den gegebenen Umständen blieb June sowieso über kurz oder lang nichts anderes übrig, als die Segel zu streichen und von der Bildfläche zu verschwinden.

Wenn er nicht schon mit Logan geschlafen hätte, hätte er sich wahrscheinlich an Billy gewandt und sich mit diesen dauerhaft aus Logans Reichweite entzogen. Aber diese eine Nacht mit Logan… Er hatte dem anderen seine Liebe geschenkt und June war sich selbst gegenüber so ehrlich, dass er genau wusste, dass es mit Billy sowieso niemals so geworden wäre, wie er es mit Logan erlebt hatte. Schon aus diesem Grund hatte er die Möglichkeit, doch noch zu Billy zu gehen, nicht mehr in Betracht gezogen.

Die einzige Lösung, die ihm noch blieb, war die, sich ein eigenes Leben in der Ferne aufzubauen, wenn ihm das Herz auch noch so sehr blutete.

Im Moment machte er sich allerdings nicht die geringste Vorstellung davon, wie dieses Leben aussehen sollte. Er versuchte hartnäckig, sich mit der Wahrheit abzufinden, wenn es auch noch so weh tat; Er hatte nicht nur Logan verloren, sondern alles und jeden, den er liebte.

Sissi, Rosa, Aban, Firefly und Jasper… die gesamte Plantage und das rege Treiben… all das würde ihm schmerzlich fehlen.

Tränen brannten in Junes Augen, als die geliebten Gesichter eines nach dem anderen an ihm vorüber zogen. Er bemühte sich, Logan gar nicht erst vor sich zu sehen, doch schließlich verlor er den Kampf. Er durchlebte jeden Moment mit ihm noch einmal, angefangen mit dem Anblick des Fremden, den er auf Anhieb abgelehnt hatte, als er als Ceciles Verlobter auf die Plantage gekommen war.

Als die Tränen endlich über seine Wangen rannen, versuchte June gar nicht erst, ihnen Einhalt zu gebieten. Schluchzend drehte er sich auf den Bauch und vergrub sein Gesicht im Kissen, doch selbst die Tränen konnten seinen Kummer und Schmerz nicht lindern. Das hatte er schon vor langer Zeit gelernt, und er hätte daran denken sollte.
 

June blieb in seiner Kabine, bis die »River Queen« am frühen Nachmittag des folgenden Tages in Natchez anlegte. Trotz der miserablen Nacht hatte er sich ein Paar ordentliche beigefarbene Hosen und ein helles Hemd angezogen, sowie seine Haare mit ein paar geschickten Handgriffen in Ordnung gebracht. Als das Schiff vertäut war, setzte June einen Hut mit breiter Krempe auf und verließ die Kabine. In den Trubel der jetzt herrschte, war er vollkommen unauffällig.

June stellte fest, dass er Hunger hatte und überlegte kurz an Land zu gehen und sich an einem der Stände im Hafen etwas Essbares zu kaufen. Die »River Queen« hatte zwar einen Speisesaal, doch der Kleine hatte bisher nicht den Mut aufgebracht, ihn aufzusuchen. Er traute sich einfach nicht allein in ein öffentliches Restaurant zu gehen und eine Mahlzeit zu bestellen, um diese dann ebenfalls allein zu sich zu nehmen. Jedenfalls bisher nicht. Früher oder später würde er sich natürlich dazu durchringen müssen, wie er auch vieles andere noch lernen musste, worum er sich bisher nie gekümmert hatte.

Sowie er von Bord gegangen war, sprach ihn ein Fremdenführer, der geschmacklos und auffällig gekleidet war an. June eilte weiter, ohne ihm zu antworten, doch in dem Gedränge kam er nur langsam voran.

»Für ein so hübsches Bürschchen wie dich ist es gefährlich, allein durch Natchez zu laufen. Harley Brown, stets zu deinen Diensten«, hörte er plötzlich eine Stimme hinter sich.

June stellte voller Entsetzen fest, dass der Mann mit der grellbunten Weste, der ihn schon vorher angesprochen hatte, plötzlich mit einem triumphierenden Lächeln neben ihm auftauchte. Der Blondschopf konnte nur hoffen, dass dieser Kerl ihn in Ruhe ließ, wenn er ihn nicht beachtete, und daher wandte er sich eilig ab. Aber der Mann ließ sich nicht abschütteln.

»Du siehst ja wirklich prima aus, Süßer. Keine Angst, bei Harley Brown sind so hübsche Kerlchen wie du sicher. Soll ich dich nicht herum führen? Was meinst du dazu?«

Es war schon schwer genug für June zu verkraften, dass dieser Typ es so offenkundig auf ihn abgesehen hatte. Aber als er wahrhaftig die Frechheit besaß, ihn am Ellenbogen zu greifen, platzte ihm der Kragen. Wut brodelte in ihm und der Kleine riss den Kopf herum und funkelte den Mann zornig an.

»Finger weg!«, fauchte er aufgebracht und hatte es satt wie ein leichtes Mädchen behandelt zu werden. Auch dachte er nicht darüber nach, wie man in so einer Situation korrekt handelte. Dauerhafte Zurückhaltung war nie eine seiner Tugenden gewesen, und er sah auch keinen Grund sich gerade jetzt solche Beleidigungen gefallen zu lassen.

Harley Browns graue Augen wurden größer, als June sich zu ihm umwandte. Seine Hand spannte sich nur noch fester um den Arm des Jungen.

»Oho! Wir sind wohl eingebildet? Pass bloß auf, was du sagst! Ich bin nicht der Typ, der sich von rotznäsigen Bengeln etwas gefallen lässt.«

»Lassen Sie meinen Arm los!«, forderte er den Mann noch einmal auf und knirschte ungehalten mit den Zähnen. Es war mal wieder typisch, dass gerade er sich in so eine Situation katapultierte. Ungehalten riss er an seinem Arm, doch der Griff darum wurde noch fester und das selbstgefällige Grinsen auf den Zügen des anderen wurde breiter.

»Haben Sie Probleme, Jungchen?«, erkundigte sich ein grauhaariger Mann in steifer Kleidung bei ihm. Die Frau an seiner Seite wirkte nicht, als sei sie für einen Scherz zu haben. Als June sie ansah, rechnete er fast damit, die Dame würde Mr. Browns Hand von seinem Ärmel schlagen.

»Ja, also…« Es widerstrebte June, Fremde in seine Schwierigkeiten hinein zu ziehen. Aber seine Zuversicht, allein mit der Lage fertig zu werden, ohne eine riesige Szene zu provozieren, nahm sichtlich ab, als sich die Hand fester um seinen Arm schloss.

»Kümmern sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten«, fauchte Harley Brown.

»Genau das habe ich vor! Wenn ein hübscher Junge von so einem schmierigen Kerl wie ihnen belästigt wird, geht das jeden gottesfürchtigen Bürger etwas an!«

Die stämmige Frau sah zu, wie ihr Begleiter und Mr. Brown gehässige Blicke miteinander tauschten.

»Was ist los, Cornelia? Du weißt doch, wie sehr ich laute Stimmen hasse.« Die Worte wurden heraustrompetet. Einer der Beteiligten musste Schwerhörig sein.

»Der Kerl belästigt diesen hübschen Jungen, Martha.« Cornelia redete so laut, dass June vor Verlegenheit die Röte ins Gesicht schoss und er sich am liebten in Luft aufgelöst hätte, um dieser Situation zu entgehen.

»Ach, wirklich?« Martha sah Mr. Brown und June, der immer noch versuchte, dem anderen seinen Ellenbogen zu entreißen, interessiert an.

»Wer hat sich denn gebeten, dich einzumischen, du fette Kuh?«

Martha war offensichtlich nicht schwerhörig, denn ihr Mund klappte entrüstet auf, und ehe einer der beteiligten ihre Absicht erkannte hatte, ließ sie ihren Sonnenschirm mit aller Kraft auf Mr. Browns Kopf heruntersausen.

»Oh, Hilfe! So ein Miststück!«, heulte Mr. Brown und riss die Arme hoch, um die Schläge anzuwehren, die auf seinen Kopf hagelten. Er wankte rückwärts und prallte gegen ein Liebespaar, das daraufhin taumelte.

»Sie werde ich lehren, was passiert, wenn man andere Leute mit Schimpfwörtern bedenkt!« Mit ihrem rüschenbesetzten, gefährlich erhobenen Sonnenschirm schien Martha der Inbegriff einer rachsüchtigen Furie.

»Gib´s ihm, Marhta!« Cornelia sprang fast in die Luft, während sie Martha aufhetzte.

Als es gerade so aussah, als käme es zu einer Rauferei, in der jeder nach Lust und Laune mitmischen durfte, erreichte June das Ende des Landungssteges, und die Kampfhähne wurden von den Leuten, die hinter ihnen drängten, weitergestoßen. Als er in die noch dichtere Menschenmenge eintauchte, die über die Mole wogte, spürte June, wie sein Arm schon wieder gepackt wurde.

Wütend schwang er herum, doch als er seinen Angreifer erkannte, wurde er blass, und sein Herz schlug von einer auf die andere Sekunde schneller.

»Was zum Teufel geht hier vor?«, fragte Logan rau.
 

Wenn er es sich auch noch so ungern eingestand, war Junes erste Reaktion, als er Logan sah, die reine, ungetrübte Freude. Sein Herz schlug heftig, ein Lächeln drängte sich auf seine Züge und er musste sich wirklich zusammen reißen, sich nicht in Logans Arme zu werfen. Mit dem schwarzen Zylinder, dem schwarzen Frack und einer hellbraunen langen Hose, dem neuesten Schrei der Mode, der gerade die Kniebundhosen im Alltagsgebrauch ablöste, sah er ganz wie der vornehme Pflanzer aus. Die strahlende Mittagssonne betonte den Blauschimmer seines schwarzen Haares und gegen seine dunkelbraune Haut wirkten seine Augen ganz besonders blau.

Mit seiner beträchtlichen Körpergröße, den breiten Schultern und den schmalen Hüften, sah er so gut aus, dass sogar Martha aufhörte zu keifen und ihn anstarrte. June brachte es nur unter größten Mühen fertig, sich nicht an Logan breite Brust zu drücken und die Arme um dessen Hals zu schlingen. Doch wenige Minuten später fielen ihm wieder all die Gründe ein, aus denen er sich nicht darüber hätte freuen dürfen, Logan zu sehen.

Als Logan auf der Bildfläche auftauchte, fand die Rauferei fast schon ein Ende.

Ein Blick auf diesen kräftigen und eleganten Herrn, der eindeutig die Aufsicht über den jungen Mann zu haben schien, reichte aus, und Mr. Brown zog ab. Auch das Liebespaar ging weiter. Martha, die ihres Opfers beraubt worden war, erwartete Logans Dank, weil sie sich für June eingesetzt hatte. Zusammenhangslos erklärte sie ihm, was vorgefallen war. Cornelia hingegen musterte Logan kritisch von Kopf bis Fuß. Im Gegensatz zu Martha ließ sie sich nicht von einem schönen Gesicht und guten Manieren einwickeln, und das kam deutlich heraus.

»Kommen Sie mit dem da allein zurecht, junger Mann?«, erkundigte sich Cornelia skeptisch bei June, ohne dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Logan direkt neben ihr stand und Junes Arm gepackt hatte.

Der Kleine errötete leicht und es war ihm etwas peinlich, dass diese fremde Frau sich als seine Beschützerin auserkoren hatte. Normalerweise sollte es eher umgekehrt sein.

»Ja, Ma´am. Vielen Dank«, erwiderte er nach kurzem Zögern und begegnete ihrem skeptischen Blick. Dann wandte sie sich jedoch ab.

»Nun gut. Gehen wir, Martha? Nach der Anstrengung kannst du es sicher kaum erwarten, etwas Kaltes zu trinken.«

»Ja, das kann man wohl sagen. Aber hast du gesehen, wie dieser Rohling abgehauen ist? Ich kann mir vorstellen, dass er sich das nächste Mal genauer überlegt, ob er eine Dame beleidigt.«

»Ja, ganz bestimmt. Du hast dich prächtig gehalten.«

Die beiden Damen erörterten immer noch lebhaft die Lektion, die Martha Mr. Brown erteilt hatte, als sie weiter liefen, bis sie aus ihrer Hörweite waren. Logan zog June in die entgegen gesetzte Richtung. Erst als sie einen winzigen Part erreicht und den Trubel der Hafenmolen hinter sich gelassen hatte, blieb er stehen. Unter einem der drei einzigen Bäume, die in diesem Park wuchsen, stand eine Eisenbank. Logan stieß ihn auf die Bank und blieb vor ihm stehen. June musste sich den Hals verrenken, um ihn ansehen zu können.

»So«, sagte er und verschränkte die Arme vor der Brust. June sah, dass das aufgesetzte Lächeln, mit dem er Martha und Cornelia beruhigt hatte, von seinem Gesicht gewichen war. Logans stahlblaue Augen waren wütend auf ihn gerichtet und um den Mund des anderen herrschte ein grimmiger Zug.
 

»Und jetzt sag mir, was für einen verdammten Blödsinn du vorhattest. Ich musste die anderen allein lassen, die jetzt doppelte Arbeit leisten müssen, damit ich hinter dir herreiten konnte. Und wenn ich auch noch so halsbrecherisch geritten bin, scheint es doch, als hätte ich es kaum rechtzeitig geschafft. In Natchez gibt es Lokale, deren Schwelle so naive hübsche Jungs nur überschreiten brauchen, und man hört nie wieder was von ihnen. So wie die Dinge aussahen, als ich dazugekommen bin, standest du wohl gerade davor, einen dieser Orte mit eigenen Augen kennen zu lernen. Herr im Himmel, June! Machst du dir überhaupt eine Vorstellung davon, was dir hätte zustoßen können? Nein, natürlich nicht!«

Die letzten Worte wurden so grimmig ausgestoßen, dass June erkannte, welche Ängste Logan um ihn ausgestanden hatte. Nur dieses Wissen hielt Junes Temperament im Zaum und ersparte dem Mann einen Zornausbruch von der Seite des Blondschopfes.

»War das alles, was du mir zu sagen hast?«

June war stolz auf seine gelassene Antwort.

»Nein, zum Teufel, ganz und gar nicht!«

Logan fischte einen zerknitterten Zettel aus seiner Tasche und schwenkte ihn vor Junes Augen.

»Und das hier ist der reinste Blödsinn, oder was?«

June erkannte die Nachricht, die er zurückgelassen hatte, um sein Verschwinden zu erklären. Darin stand, es sei ihm ein unerträglicher Gedanke Billy zu verletzen, indem er ihm die Wahrheit über seine Gefühle offenbarte. Dass er unter keinen Umständen mit ihm zusammen sein konnte und daher habe er vor eine längere Reise zu unternehmen, denn er hoffte, bis zu seiner Rückkehr hätte Billy ihn vergessen. Insofern konnte man die Nachricht zu Recht als »Blödsinn« bezeichnen. »Was hätte ich denn schreiben sollen? Die Wahrheit? Wohl kaum!«

»Wie genau sieht die Wahrheit denn aus? Sei so gut und klär mich auf.« Logan stieß die Worte durch die Zähne vor. Die Hand, die den Zettel hielt, ballte sich zur Faust und zerknüllte das Blatt Papier regelrecht.

»Cecile bekommt ein Kind«, offenbarte June und schluckte dabei hart.

»Wenn das so ist, dann ist das Kind nicht von mir.«

»Es geht nicht darum, ob es von dir ist oder nicht. Es geht darum, dass ich… dass du… dass Cecile deine Frau ist. Und ich bin gar nichts.«

»Das erklärt natürlich alles.« Logan war spöttisch, wie so oft, und June geriet außer sich, wenn er spottete.

»Du weißt genau, was ich meine!«

Nun ballte auch der Blondschopf die Hände zu Fäusten und knirschte aufgebracht mit den Zähnen.

»Nein, das weiß ich eben nicht. Als ich dich das letzte Mal gesehen habe – und du hast wirklich ganz bezaubernd ausgesehen -, schien es mir, als hätten wir einander unsere Liebe erklärt und dieses Bündnis nach Kräften besiegelt. Oder trügt mich meine Erinnerung?«

»Du weißt genauso gut wie ich, warum ich fortgelaufen bin, und jetzt hör auf mir vorzumachen, du wüsstest es nicht!« Es war so ein heftiger Ausbruch, dass etliche Leute, die auf der gepflasterten Straße vorbeikamen, die Köpfe nach ihnen umdrehten. Deswegen senkte June die Stimme zu einem Zischen.

»Hast du wirklich geglaubt, wir hätten danach so weitermachen können wie bisher? Ach so, ich verstehe. Du dachtest dir wahrscheinlich, du könntest eine Frau im Haus und einen Lustknaben im Stall beibehalten. Wie nett und gemütlich!«

»Sarkasmus steht dir nicht, June.« Mit zusammen gekniffenen Augen schaute Logan auf ihn herab, was ihn noch mehr aufbrachte.

»Und dir steht deine spöttische, überhebliche Art nicht, auf die du immer wieder zurück greifst.« Wütend sprang June von der Bank auf, ließ Logan stehen und lief aus dem Park und auf die Straße, die zur Stadt führte.

»June.« Logan war hinter ihm. June reckte jedoch die Nase in die Luft und missachtete ihn bewusst.

»June!« Bestimmt griff Logan nach seinem Arm und June drehte sich so abrupt um, dass er beinahe auf den glatten Pflastersteinen ausgerutscht wäre.

»Geh doch! Geh zurück zu deiner Frau, die du ihres Geldes wegen geheiratet hast, und zu dem Kind, dass du vielleicht gezeugt hast, vielleicht aber auch nicht, und lass mich in Ruhe!«, fauchte der Kleine und lockte damit die Blicke weiterer Passanten an.

»Wenn Cecile ein Kind bekommt, was zu bezweifeln steht, dann kann es unmöglich von mir sein. Zwei Wochen vor unserer Heirat habe ich das letzte Mal mit ihr geschlafen, seitdem nicht mehr!«

»Psst!« June hörte ein schockiertes Keuchen hinter sich und musste feststellen, dass ein halbes Dutzend Augenpaare auf sie gerichtet waren. Sofort stieg ihm die Röte ins Gesicht und er sah Logan finster an, um dann bedeutungsvoll in die Runde zu schauen, da er hoffte, ihn damit zum Schweigen zu bringen.

»Huren sind nicht nach meinem Geschmack, ob ich nun mit ihnen verheiratet bin oder nicht.«

»Logan!«

Zwei Damen sahen einander schockiert an, stießen die Nasen in die Luft und liefen eilig an ihnen vorbei. Ein Paar lief langsamer, um mit begierigen Blicken zu lauschen. June nahm nur allzu deutlich wahr, dass sie ein immer größeres Publikum anlockten, und er versuchte erfolglos, Logan darauf aufmerksam zu machen.

»Du liebst mich, June. Und ich liebe dich.«

»Würdest du dich bitte einmal umsehen?«, fragte der Kleine zischend, weil der andere einfach nicht zu begreifen schien, dass sie gerade dabei waren zu einer Attraktion zu werden.

Diesmal war er zu Logan durchgedrungen, denn er sah endlich in die Runde. Als er die Schar von Zuschauern erblickte, die ihre Schritte verlangsamt hatten oder gleich ganz stehen geblieben waren, um zu gaffen, zuckte er zusammen. Die Passanten setzten sich jedoch augenblicklich wieder in Bewegung, als seine eisig blauen Augen finster über die Menge streiften.

Dann legte sich Logans Hand fester um Junes Arm, und er drehte ihn zu sich um. June stellte fest, dass er ihn wieder zum Hafen führte.

»Wohin bringst du mich?«

»An einen Ort, an dem wir ungestört miteinander reden können. Du hast doch eine Kabine auf der River Queen, stimmt´s? Wir werden unser Gespräch dort fortsetzen.«

Als er wieder an die Zuschauer dachte, die sie angelockt hatten, biss June sich auf die Lippen und ließ sich von Logan an Bord der River Queen führen. Sie lenkten keine gebührliche Aufmerksamkeit auf sich, und June war mehr als dankbar dafür.

Vor seiner Kabinentür blieb Logan stehen und streckte die Hand aus.

»Den Schlüssel.«

Seufzend zog June ihn aus seiner Hosentasche und hielt ihn wortlos hin.

Logan schloss die Tür auf, trat nach June ein und steckte den Schlüssel in seine Tasche, als gehörte er ihm, ehe er die Tür wieder schloss und sich daran lehnte, um den Kleineren zu mustern.

»Ich gehe nicht auf die Plantage zurück.« Junes Stimme war sehr ruhig.

»Das ist die dämlichste Äußerung, die ich je in meinem Leben gehört habe. Du wirst verdammt noch mal mit mir zurück kommen. Du bist dort zu Hause. Du liebst diesen verfluchten Ort.«

»Trotzdem kann ich nicht dorthin zurück gehen. Wie könnte ich das, wenn ich für dich empfinde, was ich für dich empfinde?«

Logan fluchte so heftig, dass June errötete, doch er wandte seinen Blick nicht ab.

»Es besteht kein Anlass zu fluchen.«

»Ich fluche, wann es mir passt. Und mir ist ganz gewaltig danach zumute.«

Er verstummte, sah June finster an, holte tief Atem und zog das Zigarrenetui aus seiner Tasche. Er holte eine Zigarre heraus und zündete sie an. Das dauerte nur wenige Augenblicke, doch das war die Zeit, die er zum Nachdenken brauchte.

»Bist du je auf den Gedanken gekommen, dass wir gemeinsam fortgehen könnten? Wir beide?« Die Frage wurde betont beiläufig gestellt, doch er paffte so nervös an seiner Zigarre, dass es nicht zu übersehen war.

Es dauerte eine Weile, bis das zu June vordrang. Dann riss der Kleine jedoch die Augen weit auf. »Du würdest die Plantage verlassen?« Tiefe Ungläubigkeit drückte sich in seiner Stimme aus.

»Was für eine gute Meinung du doch von mir hast! Ja, ich würde die Plantage verlassen. Mit dir.«

Intensiv musterte der Blondschopf den anderen und die erst empfundene Ungläubigkeit machte einigen Zweifeln Platz. »Du hast Cecile geheiratet, um die Plantage zu bekommen…«, wandte er deshalb ein und legte den Kopf schief, beobachtete Logan jedoch ganz genau.

»Das war ein Fehler. Ich hätte wissen müssen, dass einem nichts auf Erden so leicht zufällt.« Des zweifelnden Blickes war Logan sich durchaus bewusst.

»Willst du damit wirklich vorschlagen, wir sollen.. gemeinsam… ausreißen?« June hielt regelrecht den Atem an, denn er konnte immer noch nicht glauben, was hier gerade passierte.

»Warum denn nicht?« Jetzt lächelte Logan, ein lausbubenhaftes Lächeln, das unwahrscheinlich charmant war.

»Und nie mehr zurück gehen…?« Ein wenig unsicher schaute der Blondschopf auf seine Hände, die er in seinen Schoß gelegt hatte. »Was ist mit Sissie und Rosa und Aban, oh, und mit deinen Tanten…?«

»Wir könnten ihnen jede Woche schreiben.«

Das war ein Scherz, aber June fing schon an dem anderen zu glauben, denn der Rest schien sein Ernst zu sein.

»Und… Wie würden wir leben?«, konnte der Blondschopf sich nicht verkneifen zu fragen. Immerhin war es nichts alltägliches, wenn zwei Männer zusammen lebten.

»Du traust mir nicht zu, dass ich dich ernähren kann?«

»Doch.. das schon. Aber du wärst immer noch mit Cecile verheiratet.« Das war ein genauso wunder Punkt bei June. Die Ehe war eigentlich ein gesegnetes Bündnis und egal ob Logan dann mit ihm zusammen war, ein Teil blieb doch an Cecile gebunden, so ungern der Kleine sich das verdeutlichte.

»Vielleicht ließe sich im Laufe der Zeit etwas ändern«, meinte Logan ruhig und June hob wieder den Blick, um den anderen mit großen Augen anzuschauen.

»Du meinst… du würdest versuchen, dich von ihr scheiden zu lassen?«

Damit hatte der Kleine nun gar nicht gerechnet und sein Herz schlug plötzlich schneller.

»So etwas in dem Stil. Was sagst du dazu, hm? Sollen wir gemeinsam ausreißen?«

June holte tief Luft. Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf.

»Denk nur an den Skandal…«, brachte er leise heraus und sah zur Seite. Die Leute würden sich über sie die Mäuler zerreißen!

»Weshalb? Wir sind doch nicht da, und werden nichts davon mitbekommen«, räumte Logan seine Bedenken gleich wieder aus. June sah erneut zu ihm auf und war in Versuchung, in schrecklich großer Versuchung.

Er hatte sich damit abfinden wollen, alles für den Mann aufzugeben, aber es schien dem Kleinen fast unerträglich, dass Logan alles für ihn aufgab.

Dieser zog ein letztes Mal an seinem Stumpen, ehe er ihn auf den Boden fallen ließ und die Glut unter seinem Stiefel austrat. Dann kam er auf June zu und warf auf dem Weg seinen Hut auf das Bett.

»Nun, June, was ist? Wirst du für die Liebe dein zu Hause, deine Freunde und alles übrige aufgeben?«

»Das.. das habe ich doch schon getan. Nur.. ich dachte nicht, dass du auch mitkommen würdest.« Seine Antwort war kaum zu hören und die Augen des Blondschopfes waren riesig, als er dem anderen ins Gesicht sah.

»Ist das ein Ja?« Logan nahm die Hände des Jüngeren in seine. June spürte, wie warm und kräftig dessen Finger waren, als sie sich um seine Hände schlangen, die plötzlich eiskalt geworden waren.

»Logan? Bist du ganz sicher, dass du das tun willst?«

»Ob ICH sicher bin? Kleiner, alles, was ich aufgebe, hat nie wirklich mir gehört. Du bist derjenige, der sein zu Hause, seine Freunde und seine Geborgenheit opfert.«

»Ich… na ja.. ohne dich bedeutet mir das nichts…«, gestand June verlegen ein und entlockte Logan damit ein liebevolles Lächeln. Zärtlich wurde er an den starken Körper gezogen.

»Genauso empfinde ich es auch«, flüsterte Logan ihm mit gesenktem Kopf ins Ohr, und dann küsste er ihn auf den Mund.
 

Tbc…
 

© by desertdevil

31/08/11

Aufgeflogener Schwindel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Wahrheiten

Kapitel 16
 

Wahrheiten
 

Im ersten Moment war Tanner verrückterweise froh, sie wieder zu sehen. Alice war eine alte Freundin aus Zeiten, zu denen er noch als einer der besten Kartenspieler weit und breit auf dem Mississippi auf und ab gefahren war; noch dazu eine, für die er eine gewisse Schwäche hatte. Doch gerade als er aufspringen und sie kräftig an sich drücken wollte, fiel ihm June wieder ein, der ganz steif hinter ihm saß. Besorgt biss er die Zähne zusammen und musterte Alice jetzt mit einem Entsetzen, mit dem er einen Skorpion betrachtet hätte, der ihm aus seinen Karten entgegen kroch.

Er hätte natürlich so tun können, als sei ihm diese Frau nicht bekannt, doch in seinem ersten Staunen hatte er sie bei ihrem Namen genannt, und außerdem war June bei all seiner Jugend kein Dummkopf.

Alice drückte ihm einen schmatzenden Kuss auf den Mund, und daraus ging deutlich hervor, dass sie einander recht gut kannten. Tanner ließ den Kuss über sich ergehen, weil er nicht wusste, was er sonst hätte tun sollen. Doch die Haut zwischen seinen Schulterblättern prickelte, als er sich ausmalte, wie sich Junes Augen in seinen Rücken bohrten.

Dann ging ihm schlagartig noch mehr auf.

Alice hatte ihn Tanner genannt. Das war ihm im ersten Moment gar nicht aufgefallen, da er sich in erster Linie Sorgen gemacht hatte, wie June darauf reagieren würde, einer seiner früheren Mätressen zu begegnen. Er fühlte sich auch durch und durch als Tanner, denn er kam sich wieder vor wie er selbst, seit er an diesem Nachmittag die Entscheidung gefällt hatte, die Götter, die sich ins Fäustchen lachten, auf ihrem eigenen Gebiet zu schlagen, indem er ihnen den Reichtum, den sie ihm so freigiebig geschenkt hatte, wieder zurück gab. Er hatte es restlos satt Logan Ripley zu spielen, einen hinterhältigen Dieb und Taugenichts, soweit er das hatte feststellen können.

Geld war, wie er mit Sicherheit nicht als erster Mensch am eigenen Leib erlebte, nicht alles, und es war noch nicht einmal das wichtigste auf Erden. Wenn etwas wirklich wichtig war, dann war er der naive, blondgelockte Junge, der hinter ihm saß.

Er hatte vorgehabt es ihm zu sagen, ganz im Ernst. Aber er hatte sich vorgenommen, ihn ganz allmählich mit der Vorstellung vertraut zu machen, dass er nicht ganz das war, was er in ihm sah. Erst musste er June soweit mit den Tricks der Liebe vertraut machen, dass er so wild auf ihn war, wie er auf den Kleinen. Irgendwann hätte er ihm dann ein wenig von dem Leben, dass er früher geführt hatte erzählt, damit der Blondschopf nicht ganz so schockiert war, wenn er die Wahrheit erfuhr – dass er nun einmal Tanner Cloud hieß und ein übler Spieler war, und nicht Logan Ripley, Sprössling des Familienzweiges der Ripleys in South Carolina und Erbe von Tulip Hill.

Dennoch hatte er dieser Enthüllung nicht grade freudig entgegen gesehen. Und jetzt war es soweit, und er hatte keine Zeit für irgendwelche behutsamen Vorbereitungen gehabt.

»Wie ich sehe, ist deine Hand recht gut verheilt.« Alice strahlte ihn an. Tanner legte seine Karten auf den Tisch und stand langsam auf. Er hatte Angst, sich umzudrehen, Angst vor dem Ausdruck, den er auf Junes Gesicht sehen würde, und daher sah er lieber Alice an.

»Sie ist geheilt«, stimmte er ihr zu, und dann nickte er den Männern zu, mit denen er gespielt hatte. »Es tut mir leid, meine Herren, aber ich steige aus.«

Er nahm sein Geld vom Tisch und steckte es sorgsam in seine Westentasche. Dann, und auch wirklich erst dann, drehte er sich zu June um.

Der Kleine hatte weit aufgerissene Augen und war blass, und June saß noch in genau der Position auf dem Stuhl, in der er bei Alice´ Auftauchen erstarrt war. Bis auf die blonden Haare und die grünen Augen hätte er aus Marmor gemeißelt sein können. Jede Spur von Farbe war aus Junes Wangen gewichen.

»June.«

Das war nicht seine Stimme. Sie klang eher so, als hätte sie einem quakenden Frosch gehört – oder einem zitternden Feigling, der Tanner Cloud bis zu diesem Augenblick nie gewesen war.

»Oh Gott, Tanner, mache ich dir etwa Probleme?« Alice` Stimme klang reumütig und belustigt zugleich, als sie von ihm zu June und dann wieder in sein Gesicht sah.

Keiner von beiden machte sich die Mühe ihr eine Antwort zu geben. June sah ihm fest in die Augen und erhob sich langsam und mit fast gespenstischer Würde.

»Tanner?«, sagte er dann. »Tanner?«

»Was hat er denn?«, fragte Alice verwirrt. »Das klingt ja fast so, als wüsste der Kleine nicht, wie du heißt.«

»Tanner?«, wiederholte June mit erhobener Stimme.

Tanner schritt jetzt schnell ein, denn ihm entging nicht, wie viel Aufmerksamkeit die jetzt schon auf sich zogen. Er stellte sich neben June und versuchte, ihn am Arm zu nehmen. Doch der Blondschopf schüttelte seine Hand ab, trat einen Schritt zurück und sah ihn an, als hätte er ihn in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.

»Tanner?«

Sein Name, in dem jetzt unterschwellig Wut herauszuhören war, schien das einzige zu sein, was dem Kleinen über die Lippen kam.

»Ich kann es dir erklären, June.« Selbst in seinen eigenen Ohren klangen die Worte erbärmlich, und daher wunderte er sich nicht, als er sich von ihm abwandte und mit riesigen Augen Alice anstarrte.

»Er heißt Tanner? Tanner… Cloud?«

Alice wandte sich schnell zu Tanner um. Alice war eine gute Freundin, die ihm keine Schwierigkeiten gemacht hätte, wenn es sich vermeiden ließ. Aber jetzt saß sie eindeutig in der Klemme. Tanner zuckte hilflos die Achseln. Jetzt bestand keine Möglichkeit mehr June die Wahrheit zu erleichtern.

Alice fasste das Achselzucken als Zustimmung auf und nickte. Ihr Gesicht drückte grenzenlose Faszination aus, als sie wieder von Tanner zu June sah.

»Kennen Sie ihn schon lange?«

Tanner versuchte nicht, Junes Fragen zu unterbinden.

Die Wahrheit kam ohnehin ans Licht, und zwar so krass, dass es nicht mehr in seiner Macht stand das Unheil aufzuhalten.

Wieder sah Alice Tanner ratsuchend an. Als nichts von ihm kam, antwortete sie voller Unbehagen. »Etwa zehn Jahre.«

»Sie kennen Tanner Cloud seit etwa zehn Jahren.« Es war eine Feststellung, keine Frage. June wurde, wenn möglich noch bleicher. »Aber Sie haben ihn in den letzten Monaten nicht mehr gesehen? Etwa seit dem Zwischenfall, bei dem er sich die Hand verletzt hat?«

»Das stimmt.« Alice schien ebenso verblüfft wie fasziniert zu sein.

»Wer also«, meinte June, der zum Kern des Problems kam und endlich abwechselnd Alice und Tanner ansah, »ist dann Logan Riplay? Oder hast du ihn frei erfunden?«

Die letzten Worte waren ein Zischen.

»Nein, ich…« Zum ersten Mal in seinem Leben fehlten Tanner die Worte.

Aber Alice, die sich jetzt ausmalen konnte, was hier gespielt wurde, antwortete an seiner Stelle. Tanner zuckte zusammen.

»Logan Riplay? Hieß so nicht der Dieb, den du getötet hast? Ach, hast du eigentlich dein Geld je wiederbekommen?«

»Du hinterhältiger, gemeiner, verlogener Betrüger!« Die Worte waren fast nur ein Flüstern und doch trafen sie ihn wie Peitschenhiebe. June hatte die Hände zu Fäusten geballt, und in den grünen Tiefen funkelte die Wut. Stille hatte sich über den Raum gesenkt, und ein Augenpaar nach dem anderen wandte sich ihnen zu. Weder June, noch Tanner nahmen wahr, dass sie ein großes Publikum angelockt hatten, das gebannt lauschte. Alice merkte es, aber sie hatte sich noch nie daran gestört, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.

»Du hast und alle von Anfang an belogen! Alle – Cecile – Miss Flora und Miss Laurel – und mich!«

»June, Ich weiß, dass es doof klingt, aber…«

June lachte kalt und seine Augen sprühten Funken in dem schneeweißen Gesicht. Sein hals streckte sich so angespannt über den verkrampften Schulter, dass die Sehnen sich deutlich abzeichneten. Bei der Erinnerung an hysterische Frauen, die er erlebt hatte, stellten sich Tanner die Nackenhaare auf. Aber June war keine Frau! Er musste den Kleinen aus diesem Raum entfernen und ihn an einen Ort bringen, an dem er mit ihm reden konnte, und notfalls musste er den Blondschopf zwingen zur Vernunft zu kommen und ihn anzuhören. Was er getan hatte, warf ein schlechtes Licht auf ihn. Dem konnte er nur zustimmen. Aber wenn er erst mal alles erklärt hatte, würde June bestimmt einsehen, dass es nicht annähernd so schlimm war, wie es auf den ersten Blick erschien.

»Ich kann es dir erklären«, sagte er noch einmal stammelnd. Und wieder lachte June.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Kleinen in die Kabine zu bringen, ihn dort auf das Bett zu setzen und alles klarzustellen. Er war ziemlich sicher, dass der Blondschopf nur deshalb so wütend war, weil er befürchtete, wenn er an jedem anderen Punkt gelogen hatte, hätte er auch gelogen, als er ihm seine Liebe erklärt hatte.

Wenn auch das meiste, was er June erzählt hatte, gelogen war, war doch gerade diese Aussage wahrheitsgemäß.

»Komm, June. Wir müssen miteinander reden«, sagte er und fasste den Kleineren beim Arm. Er hoffte, den drohenden Wutausbruch mit seiner ruhigen Art abwenden zu können.

June sah auf seine große braune Hand herunter, die auf seiner nackten weißen Haut lag, wie eine Mokassinschlange, die ihn jeden Moment beißen konnte.

»Wag es ja nicht«, sagte er laut und deutlich, als er seinen Arm wegzog, »mich je wieder anzufassen!«

Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür. Die Zuschauer spendeten ihm johlend und klatschend Beifall. Falls June sie gehört hatte, missachtete er sie völlig. Er rauschte so majestätisch wie ein König zur Tür. Tanner, der sein Publikum zum ersten Mal wirklich wahr nahm, verspürte den Drang, seine Würde als Mann soweit wie möglich zu wahren. Inzwischen schienen alle im Raum zu wissen, dass etwas zwischen June und Tanner lief, aber das kam auch nicht so selten vor, wie man vielleicht dachte, deswegen mokierte sich niemand darüber. Tanner achtete sorgsam darauf, dass June es nicht sehen konnte, ehe er mit den Schultern zuckte, als wolle er das Gebaren des Blondschopfes als weibisches Gezänke abtun. Dann folgte er ihm zur Tür.

Er hatte June fast eingeholt, als dieser sich plötzlich umdrehte. Wut loderte in seinen Augen und der schlanke Körper bebte vor lauter angestautem Ärger. Der Kleine war derart erbost, dass sogar die goldenen Locken Funken zu sprühen schienen.

»Du mieser Ganove«, zischte er durch zusammengebissene Zähne. Dann holte er aus, ehe Tanner auch nur ahnte, was June vorhatte, und verpasste ihm mit der Faust einen Schwinger, der seine arglose Nase voller Wucht traf.

Es war ein meisterlicher Schlag. Tanner heulte auf, wankte rückwärts und legte sofort eine Hand auf seine Nase, die ihm vorkam, als sei sie gebrochen. Als er die Hand wieder fortzog, stellte er mit ungläubigem Staunen fest, dass seine Finger blutverschmiert waren.

June hatte ihm bereits den Rücken zugewandt und stolzierte hinaus. Die Zuschauer brüllten vor Lachen und grölten, während sie ihm Ratschläge zuriefen, die weitgehend anzüglich waren, aber gar nicht zu ihm durchdrangen. Auch Alice lachte, wenn sie auch versuchte es nicht zu zeigen, als sie an seine Seite eilte. Tanner lehnte ihr Angebot ihm beizustehen mit einem Kopfschütteln ab. Er hatte im Moment größere Sorgen als eine blutende Nase, und es war viel entscheidender June gewaltsam wieder zur Vernunft zu bringen.

Tanner erkannte, dass June ihm mit diesem Hieb eigentlich einen Gefallen getan hatte. Er war jetzt nicht mehr ganz so zerknirscht und schuldbewusst wie noch vor ein paar Sekunden. Auch sein Zorn war jetzt entfacht. Sollte ihn der Teufel holen, wenn er sich von einem kleinen Jungen, der noch feucht hinter den Ohren war, so was gefallen lassen würde!

Als er den Raum verließ, um June zu folgen, hörte er einen letzten Zuschauerbeitrag, der allgemeine Heiterkeit auslöste.

»Die erste Runde geht an das süße Bürschchen!«, kreischte ein Witzbold.

Tanner biss die Zähne zusammen. Er wusste, dass sich die Götter wieder einmal ins Fäustchen lachten. Er konnte beinah hören, wie sie sich mit grölendem Gelächter auf seine Kosten lustig machten.
 

June knallte die Kabinentür zu, drehte den Schlüssel im Schloss um und lehnte sich daran. Er stand immer noch unter Schock. Der Zorn brodelte wie eine kochende Flüssigkeit in seinen Adern, aber noch stärker als jede andere Empfindung war sein ungläubiges Staunen.

Logan Riplay war nichts weiter als eine Rolle, die Tanner Cloud angenommen hatte, um die Plantage an sich zu bringen. Und Tanner Cloud war ein schleimiger, mieser Betrüger. Ein Hochstapler, dessen Gewerbe es war, alle, mit denen er in Kontakt kam, zu übervorteilen, ihn selbst inbegriffen.

Kurz und gut. Er hatte ihn in mehr als einer Hinsicht reingelegt.

Als es an der Tür klopfte, zuckte June zusammen, machte einen Satz und drehte sich sofort wieder um, weil er das Gefühl hatte, die Tür sei plötzlich lebendig geworden und wolle ihn beißen.

»June. Lass mich rein.«

Wie konnte dieser Kerl es wagen auch nur seinen Namen auszusprechen und ihn damit zu beschmutzen! June starrte die geschlossene Tür an, als könnten sich seine Augen durch die Füllung bohren und Logan… nein Tanner erdolchen.

»June. Mach die Tür auf. Bitte.«

Ha! dachte der Blondschopf, und es fiel ihm schwer, es nicht laut zu sagen, aber er wollte ihm nicht noch einmal die Genugtuung verschaffen, auch nur noch ein Wort mit ihm zu wechseln. Er würde nach Hause zurück kehren, zu den Menschen, die das waren, was sie zu sein schienen, ob sie ihn nun alle liebten oder nicht. Sobald dieses verdammte Schiff wieder anlegte, würde er umkehren.

Was Tanner anging – es würde June großes Vergnügen bereiten, seine Infamie lauthals herauszuschreien! Falls er es je wagen sollte, sich noch einmal im Yazoo-Tal blicken zu lassen, konnte er von Glück sagen, wenn er nicht mit Schimpf und Schande von dort vertrieben wurde. »June. Es ist mein Ernst. Schließ sofort diese Tür auf!«

Er glaubte also, er könnte ihm immer noch Vorschriften machen, denen June gehorchte, was? Dann stand ihm ein gewaltiger Schock bevor! Der Mann, dem er gehorchte, war der Mann, zu dem er mit ekelerregender Anbetung aufgeblickt hatte, und dieser Mann war nicht Tanner Cloud, verflucht sei sein Name!

»June!« Er rüttelte am Türgriff. Junes Lippen verzogen sich bitter.

»Verdammt noch mal, June!«

Wieder wurde am Türgriff gerüttelt. »Wenn du diese verdammte Tür nicht augenblicklich öffnest, trete ich sie ein!«

Seine Stimme wurde immer zorniger. Tanner Cloud war wohl erbost, weil man ihm auf die Schliche gekommen war, ehe er sein Ziel erreicht hatte, oder? June fragte sich, wie sein nächster Schritt ausgesehen hätte. Nachdem er ihn entführt und sein Leben zerstört hatte, hätte er ihn vielleicht irgendwo sitzen gelassen und wäre auf die Plantage zurück gekehrt, um dort wieder Logan Riplay zu spielen, solange es ihm behagte. Oder hatte er vor seiner Abreise das Betriebskapital der Plantage und die Einnahmen aus der Baumwollernte erbeutet und von Anfang an vorgehabt nie mehr zurück zu kehren, sondern von dem Geld in Saus und Braus zu leben, bis er ein anderes Opfer ausfindig gemacht hatte?

Ein Rumpeln war zu hören, und die Tür wackelte, als hätte er sich mit der Schulter dagegen geworfen. Mit weit ausgerissenen Augen wich June noch einen Schritt zurück, ehe er sich wieder fing und anfing in der Dunkelheit nach etwas zu suchen, was er als Waffe benutzen konnte. Er würde sich nicht unterkriegen lassen. Außerdem gedacht er nicht sich länger als nötig in unmittelbarer Nähe von diesem Betrüger aufzuhalten.

Es krachte erneut. June zuckte wieder zusammen und versuchte im Halbdunkel irgendeinen Gegenstand ausfindig zu machen, der ihm zur Verteidigung dienen könnte. Doch das Zimmer war bis auf die kleine Tasche mit seinen Sachen leer.

Beim dritten Krachen gab das Schloss nach, und die Tür schwang in ihren Angeln auf.

Tanner ragte groß und bedrohlich in der Türöffnung auf. Einen Moment lang zeichnete er sich als ein noch dunklerer Umriss von der hereinbrechenden Dunkelheit ab, und dann schlenderte er lässig in die Kabine. Zu Junes Verdruss schien er noch nicht einmal atemlos zu sein.

»Verschwinde!«, fauchte June.

Tanner sah ihn gar nicht erst an, sondern schloss sachte die beschädigte Tür hinter sich. Da das Schloss kaputt war, schwang sie augenblicklich wieder auf. Er nahm einen Stihl und lehnte ihn gegen die Tür, die daraufhin nicht wieder aufging.

»Verschwinde hier, oder…«

»Oder was?«, unterbrach ihn Tanners Stimme, die ein wenig gereizt klang.

»Willst du schreien, wie ein hysterisches Weib? Mir die Augen auskratzen, oder noch einen Schlag auf die Nase verpassen, weil ich so günstig dabei weggekommen bin?«

June fehlten die Worte.

»Wenn du auch nur einen Ton von dir gibst, werde ich dich fesseln und knebeln, damit du sitzen bleibst und mir zuhören musst.«

Wütend kniff der Blondschopf die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander. Das war ja wieder typisch! Dieser Tanner war im Unrecht und warf ihm lauter Drohungen an den Kopf. Dummerweise hatte June nicht den leisesten Zweifel daran, dass dieser Mistkerl genau das tun würde, was er angedroht hatte.

»Setz dich.« Es war ein Befehl, keine freundliche Aufforderung. Als June trotzdem stehen blieb, wo er stand, und sich ihm stumm wiedersetzte, kam er einen Schritt auf ihn zu. Es war dunkel in der Kabine, und er konnte Tanner nur als einen großen, furchteinflößenden Schatten erkennen.

»Ich hab gesagt, du sollst dich setzen!« Die Worte kamen heraus wie ein Peitschenknall. June zuckte zusammen, ärgerte sich aber im gleichen Moment darüber. Ihm wurde klar, dass er den Mann überhaupt nicht kannte. Das war nicht mehr Logan, den er liebte, sondern jemand anderes, fremdes… Doch das war ihm egal. Er würde sich nicht herumkommandieren lassen.

»Du hast mir gar nichts zu sagen!«, fauchte er zurück und straffte die Schultern. Sicher, der andere war ihm an körperlicher Stärke weit überlegen. So dicht wie er vor ihm stand, war er mehr als einen Kopf größer, aber June ließ sich davon nicht einschüchtern. Er war kein kleiner Junge mehr.

Ein Seufzen war zu hören. June wollte schon triumphieren, als er zwei starke Hände auf seinen Schultern spürte, die fest zudrückten und ihn aufs Bett zwangen. Hart biss er sich auf die Unterlippe, um ein leises Wimmern zu unterdrücken, als die Finger sich schmerzhaft in seine Haut bohrten. Nein… das war wirklich nicht mehr Logan. Logan hätte ihm nie absichtlich weh getan!

Dann verschwanden die Hände von seinen Schultern und die Deckenlampe wurde angezündet. Der warme Lichtschein ließ die Kabine gleich freundlicher wirken.

»Wenn du zur Tür läufst, hole ich dich innerhalb von Sekunden ein.«

Tanner schien genau zu wissen, was in seinem Kopf vorging. June war wütend. Selbst wenn er ihm entkommen wäre, würde er ihn überall auf dem Schiff finden. Jetzt wandte sich Tanner wieder zu ihm um und June schnappte nach Luft, als er sah, was er mit seinem schönen Gesicht angerichtet hatte.

Mund und Wangen waren blutverschmiert. Seine Nase war jetzt schon leicht angeschwollen von dem Hieb, den June gelandet hatte. Aus seiner Nase lief immer noch Blut.

Während er den anderen anstarrte, war June doch ein wenig entsetzt über sein eigenes Werk. Doch er hatte es verdient. Wenn nicht sogar noch mehr!

Er beobachtete, wie Tanner an die Waschschüssel trat, einen Waschlappen in das restliche Wasser tauchte und ihn sich gegen die Nase presste.

Plötzlich kam ihm ein sehr unschöner Gedanke, als er den anderen so betrachtete. Was würde Tanner ihm antun, um sich zu rächen? Bisher hatte er keinen Grund gesehen sich vor dem Mann zu fürchten, weil er gewalttätig werden könnte. Doch wieder musste er sich sagen, dass das nicht Logan war.

Dann blickte Tanner auf. Über der ramponierten Nase sah er die klaren, blauen Augen und das schwarze Haar des Mannes, den er geliebt hatte. Ob er nun ein mieser Betrüger und Lügner war oder nicht – June fürchtete sich nicht vor ihm.

»Es hoffe es tut weh.« Das war sein Ernst.

»Ja, allerdings. Danke der Nachfrage.«

»Du hast es verdient.«

»Wenn ich nicht deiner Meinung wäre, hätte ich dir längst das Hinterteil versohlt.«

»Wenn du das tust, dann…«

Tanner seufzte. »Hör auf mir zu drohen, June. Lass dir alles erklären, damit du selbst siehst, dass hinter diesen ganzen beklagenswerten Situation nichts weiter als ein Missverständnis steckt.«

»Ein schönes Missverständnis!«, schnaubte er. »Ich nehme an, du willst mir einreden, du hättest dich als Tanner Cloud bei uns eingeführt und wir, die armen, rückständigen Dummköpfe, haben versehendlich verstanden, du hättest Logan Riplay gesagt.«

Tanners Blick sagte ihm sehr deutlich, dass sein Sarkasmus ihm nicht passte.

»Ich liebe dich, verstehst du? Was du auch von mir denken magst, in dem Punkt habe ich nicht gelogen.«

»O ja, das glaube ich dir aufs Wort.« Junes Tonfall war deutlich zu entnehmen, dass er ihm nicht glaubte.

Tanner nahm den nassen Waschlappen von seiner Nase, die anscheinend aufgehört hatte zu bluten, drehte sich zu dem Spiegel über dem Waschtisch um und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. An den Flecken auf seinem Hemd konnte er im Moment wenig ändern. Er probierte es erfolglos mit dem nassen Lappen, schnitt eine Grimasse, und gab es auf.

Dann drehte er sich wieder zu June um, kam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Nachdenklich sah er auf den Blondschopf hinunter.

June musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können, und das gab ihm das Gefühl, im Nachteil zu sein. Wenn er jedoch aufgestanden wäre, hätte e sich regelrecht in Tanners Arme begeben, und allein schon die Vorstellung war ihm unerträglich. Daher blieb June wo er war.

»Ich bin immer noch derselbe Mann, der ich vor einer Stunde war. Ich habe mich nicht verändert. Das einzige, was sich geändert hat, ist mein Name. War es nicht Shakespeare, der gesagt hat, eine Rose duftet genauso süß, wenn man ihr einen anderen Namen gäbe?«

Seine Stimme klang einschmeichelnd. Wenn das komisch sein sollte, konnte er sich die Mühe ebenso gut sparen.

»Sie würde aber auch genauso grässlich stinken«, erwiderte June giftig, und verschränkte die Arme vor der Brust, als wolle er eine symbolische Barriere zwischen sich und ihm errichten.

»Ich wollte dir alles erzählen.«

»Ach ja?«, erkundigte sich June höflich.

»Wann denn? Mir scheint du hast ein paar ausgezeichnete Gelegenheiten ungenutzt vorüber gehen lassen – zum Beispiel ehe du mich verführt hast.«

»Ich habe dich nicht verführt«, warf Tanner gereizt in den Raum.

»Verdammt noch mal, June, ich habe mich in die verliebt. Und du hast dich in mich verliebt. In mich, und nicht in Logan Riplay. In mich!«

»Ich kenne dich überhaupt nicht. Einem Tanner Cloud bin ich noch nie begegnet.«

»Du bist anscheinend fest entschlossen, es mir möglichst schwer zu machen, oder?«

»Das muss ich wohl. Es entspricht mir sonst nicht, das weiß ich selbst. Aber mir fällt es schwer, die Tatsache zu übersehen, dass alles, was du je zu mir gesagt hast, gelogen war.«

»Nicht alles.«

»Du musst mir verzeihen, wenn ich dir das nicht glaube.«

»Du willst die Wahrheit hören? Das kannst du haben. Ich bin ein Spieler, und ich habe mir auf den Flussschiffen auf dem Mississippi auf diese Art meinen Lebensunterhalt verdient. Eines Abends habe ich eine große Summe gewonnen, und ich hätte für den Rest meines Lebens mein Auskommen gehabt, wenn ich sorgsam mit dem Geld umgegangen wäre. Aber es war spät in der Nacht, und ich musste meinen Gewinn bis zum Morgen bei mir behalten. In der Nacht sind zwei Männer in meine Kabine eingebrochen, haben mir das Geld gestohlen, das ich gewonnen hatte, und haben mir ein Messer durch die Hand gebohrt. Ich habe Jagd auf sie gemacht und einen der beiden getötet – den echten Logan Riplay –, aber der andere konnte mir meinem Geld entkommen. Dann hat sich heraus gestellt, dass ich mir mit der Hand nicht mehr als professioneller Spieler meinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Sie wird nie mehr wirklich heilen.«

»Wie herzerweichend. Und daher hast du beschlossen, dich als einen ehrbaren Menschen auszugeben – ich nehme an, dass dieser Logan wirklich der Neffe von Miss Flora und Miss Laurel war? Das war doch nicht etwa auch eine Lüge? Oder? Du wolltest sehen, ob du die Leute nicht genauso ausrauben kannst, wie du ausgeraubt worden bist, aber du wolltest es auf die feinere Art tun?«

»Ich dachte, dass ich dir die Geschichte erzähle, und nicht du mir.«

June winkte unwillig ab.

»Mit dieser kaputten Hand – zum Teufel, du weißt genau wovon ich rede – wusste ich nicht mehr wovon ich leben soll.«

»Ehrliche Arbeit ist dir wohl nie in den Sinn gekommen?«

June stellte fest, dass der Sarkasmus ihm allmählich zur zweiten Natur wurde.

»Darf ich jetzt ausreden?«

»Entschuldige. Bitte, fahr fort. Es ist wirklich faszinierend.«

»Ich habe mich bemüht mein Geld wieder zu finden. Ich hatte vor, mir davon ein Stück Land zu kaufen und es zu bebauen. Natürlich nichts, was sich an der Plantage messen könnte, auf der du lebst, aber etwas, woraus sich eines Tages etwas machen ließe. Das Spielen hatte ich genauso satt wie den Fluss. Aber ich habe den Schurken nie gefunden, der mit meinem Geld davon gekommen ist. Stattdessen habe ich heraus gefunden, dass Logan Riplay zwei alte Tanten hatte, die ihm alles, was sie besitzen, vermachen wollten. Logan Riplay war tot. Ich nicht. Ich dachte ich gehe einfach mal hin und sehe mir die beiden alten Damen an und rede ihnen ein, dass ich ihr Neffe bin. Ich dachte, wenn sie kurz vor dem Ableben stehen, könnte ein Besuch ihres Neffen sie sogar trösten.«

»Wie edelmütig du doch bist!«

Er nahm den Einwand hin.

»Schon gut. Ich dachte, ich konnte vielleicht anstelle des richtigen Logan Riplay ihr Erbe antreten. Schließlich hat er mir gestohlen, was mir gehört hat. Und er war tot. Irgendjemand musste die alten Damen doch schließlich beerben.«

»Du brauchst dich doch nicht zu verteidigen. Ich bin sicher, dass jeder andere genau das selbe getan hätte.«

Tanner bedachte den Blondschopf mit einem Blick, der ausreichte, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Dann bin ich nach Tulip Hill gekommen. Es war eindeutig, dass die Damen Riplay in den nächsten Jahren bestimmt nicht ableben. Ich wollte schon wieder verschwinden – und dann ist mir Cecile begegnet.«

»Wenigstens sind deine Gedankengänge folgerichtig. Sie sind vom Opportunismus bestimmt, einer wie der andere.«

»Sei still, June, und lass mich reden. Ich habe Cecile kennen gelernt. Tante Flora ist eine unverbesserliche Kupplerin, und sie war es, die mir gesagt hat, die Witwe Johnson sei so verflucht reich. Ich habe mir die Plantage angesehen, und was ich gesehen habe, hat mir gefallen. Zum Teufel, du weißt doch seit Monaten, dass ich Cecile nur aus einem einzigen Grund geheiratet habe – nämlich, um die Plantage an mich zu bringen. Es ist kein Verbrechen wegen des Geldes zu heiraten.«

»Nein.«

»Es ist ja nicht so, als hätte ich sie gezwungen mich zu heiraten. Von dem Moment an, in dem sie mich das erste Mal gesehen hat, war sie scharf auf mich – es war wirklich nicht einfach, sie bis zur Hochzeit gewaltsam von meinem Bett fern zu halten.«

»Das muss harte Arbeit gewesen sein. Es bringt anscheinend seine Probleme mit sich, Mitgiftjäger zu sein.«

»June, wenn du nicht den Mund hälst, erwürge ich dich. Cecile und ich haben durch diese Heirat genau das bekommen, was wir haben wollten. Was also ist daran auszusetzen?«

»Du hast genau das bekommen, was du wolltest. Cecile wollte Logan Riplay heiraten, den feinen Herrn. Und nicht Tanner Cloud, den miesen Betrüger.«

»Schon gut. Ich muss dir lassen, dass sie mich wahrscheinlich nicht geheiratet hätte, wenn sie nicht geglaubt hätte, dass ich von meiner Herkunft her denselben gesellschaftlichen Status wie sie habe. Aber ist sie etwa schlecht mit mir dran gewesen? Oder die Plantage? Oder warst du schlecht bei mir dran, June?«

Jetzt kam er zum Kern der Sache. June war jetzt ein anderer Mensch, nicht mehr der Junge, der in seiner Entwicklung zurück geblieben war, als er ihn kennen gelernt und sich mir ihm angefreundet hatte. Hätte er es bei einer freundschaftlichen Beziehung belassen, dann hätte June sich jetzt hartnäckig für ihn eingesetzt, doch so, wie die Dinge standen, wollte er Tanner das Herz aus dem Leib reißen.

»Ich hatte vor, euch allen das Leben schöner zu machen. Sogar Cecile. Aber sie – du weißt selbst, wie sie ist. Als wir aus den Flitterwochen zurückgekommen sind, hat es mich schon alle Kraft gekostet sie nicht umzubringen. Aber ich habe es nicht getan. Ich habe ihr die Verwaltung der Plantage aus der Hand genommen – dieser verdammte Aufseher, den ihr hattet, hat euch gewaltig bestohlen, wenn er nicht gerade mit Cecile im Bett gelegen hat. Und ich habe versucht, dir zu einem schöneren Leben zu verhelfen, als du es vorher hattest. Zum Teufel, du hast mir leid getan… Ich wusste, das Cecile dir das Leben zur Hölle gemacht haben musste.«

»Ich habe dir… leid getan?« Wenn Tanner geglaubt hatte, ihn damit zu beschwichtigen, so war das ein betrüblicher Irrtum.

»Nur ganz am Anfang.« Er sah seinen Irrtum ein und versuchte eilig, ihn zu berichtigen. »Wenn man es genau nimmt, habe ich erst mal alles geglaubt, was Cecile mir über dich erzählt hat. Und daraus habe ich geschlossen, dass du ein undankbarer, frecher Bengel bist. Als ich dann gesehen habe, dass du… äh… im gesellschaftlichen Umgang nicht so recht auf der Höhe bist, hast du mir leid getan. Ich fand, du solltest die Gelegenheit haben, so zu sein wie andere Jugendliche in deinem Alter, tanzen, flirten, auf Partys gehen und eine nette junge Dame finden, die dich heiratet. Ich habe entdeckt, dass sich hinter deiner unwirschen Art und all diesem Haar in Wirklichkeit ein ganz süßer Bursche verbirgt und du auf deine Art hübsch bist. Du brauchtest lediglich die richtige Kleidung und ein wenig Erfahrung im gesellschaftlichen Umgang, und dann würdest du dich prächtig machen. Ich habe doch dafür gesorgt, dass du beides bekamst, oder etwa nicht? Aber dann hast du dich von dem unbeholfenen Kerlchen in einen hübschen jungen Mann verwandelt. Innerhalb von ein oder zwei Monaten, direkt unter meinen Augen. Das war etwas, womit ich nie gerechnet hätte.«

June blieb stumm.

Tanner unterbrach sich und sah den Blondschopf lange Zeit an. Dann kauerte er sich vor dem Kleineren hin, ehe dieser seine Absicht erkannt hatte, und er brachte sein Gesicht auf eine Höhe mit Junes. Die Hände stemmte er beiderseits neben ihm aufs Bett, sodass June keine Bewegungsfreiheit mehr blieb.

»In diesem Kartenspiel warst du der Joker. Ich war reicher, als ich es mir je erträumt hatte. Ich hatte alles, was ich je wollte, und noch mehr – und dann musste ich mich doch tatsächlich in dich verlieben. Das war nie meine Absicht, June.«

Wenn er eine Reaktion von June erwartete, bekam er keine. Der Blondschopf sah ihn an, sah ihn einfach nur an, und er zwang sich, sein Herz vor Tanners Worten zu verschließen. Er war ein erfahrener Betrüger, der andere gekonnt täuschte, aber er würde sich kein zweites Mal von ihm übers Ohr hauen lassen. Mit seinen schönen Worten würde er ihn nicht einwickeln.

»Und dann hast du beschlossen, mich auf die Liste der Dinge zu setzen, die der unechte Logan Riplay sich angeeignet hat.«

Jetzt bewegte sich Tanner und legte unwillig die Hände auf seine Oberarme, dicht über den Ellenbogen. Er beugte sich weiter zu June vor und balancierte auf den Fußballen.

»So war es nicht, und das weißt du selbst. Zum Teufel, June, erst heute Nachmittag habe ich alles für dich aufgegeben! Ich habe nichts weiter als rund tausend Dollar in der Tasche und etwas mehr auf der Bank in New Orleans und die Kleidungsstücke, die ich trage. Wenn ich dich nicht bis zum Wahnsinn lieben würde, warum sollte ich dann die Plantage aufgeben? Sie ist ein Vermögen wert und solange ich Logan Riplay bleibe, gehört sie mir. Nur ein Narr, oder ein Mann, der irrsinnig verliebt ist, würde ein solche Geschenk leichtsinnig in den Wind schreiben!«

June musterte ihn. Abgesehen von seiner verletzen Nase war er, wie er wiederwillig feststellen musste, immer noch der bestaussehendste Mann, der ihm je unter die Augen gekommen war. Und der größte Lügner von allen war er noch dazu.

»Ich glaube dir kein Wort, von dem was du gesagt hast«, erklärte June kühl, und als Tanner den Mund aufmachte, um die Auseinandersetzung weiter zu führen, stieß er ihn mit den Händen von sich.

Mit einem Ausruf des Erstaunens kippte Tanner nach hinten um. Ehe er sich wieder gefasst hatte, sprang June auf, zerrte den Stuhl von der Tür und stürzte hinaus.

Tanners Flüche folgten ihm.

»Verdammt noch mal, June, du wirst sofort wieder zurückkommen!«, brüllte er. Aber June verschwendete keinen Gedanken an den Befehl und nahm die Beine in die Hand. Er wusste, dass der andere ihm nachlaufen würde, und dieses Wissen war so unumstößlich, wie der Sonnenaufgang am Morgen, und er hatte vor, ihm zu entkommen und sich in Sicherheit zu bringen.
 

Tbc…
 

© by desertdevil

08/11/11

Allerlei Streitigkeiten und ein Todesfall

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ene mene Muh

Kapitel 18
 

Ene mene Muh…
 

Cecile lag unter einer Decke auf dem kleinen Zweiersofa im Wohnzimmer. Nur ein kleiner, schlammverspritzter Schuh schaute unter der Decke heraus. June spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Er konnte sich unmöglich vorstellen, dass Cecile tot war.

Als Tanner auf Cecile zuging und die Decke zurück zog, wandte sich June eilig ab.

»Gott im Himmel!«

Tanners Tonfall drückte ein solches Entsetzen aus, dass June schlecht wurde, und er dagegen ankämpfte sich zu übergeben. Tanner sah ihn scharf an.

»Es ist nicht nötig, dass du dir das ansiehst«, sagte er zu ihm und richtete dann über seine Schulter das Wort an Sissi.

»Bring ihn nach oben.«

»Ja, Mr. Riplay.«

Oh Gott! Bei dieser Erinnerung daran, dass Logan nicht Logan war, stieg die nächste Woge Übelkeit in June auf. Er war dankbar, dass Sissi ihn stützte. Normalerweise war er nicht so leicht zu schocken, doch sein Nervenkostüm war eh schon ziemlich mitgenommen und so wehrte er sich auch nicht dagegen, als Sissi ihn begann auszuziehen. Als sie bei seiner Unterhose angelangte, hielt June diese fest und schüttelte den Kopf.

Sissi und auch Rosa hatten sich von Kindesbeinen an um ihn gekümmert, aber er war kein Kind mehr und so wartete er bis Rosa ihm ein Bad eingelassen hatte, bevor er zur Wanne ging und seine Unterhose schließlich doch auszog. Es wäre viel kindischer gewesen damit ins Wasser zu steigen.

»War es das Baby?«, flüsterte June, als er sich in das dampfende Wasser gleiten ließ.

»Das Baby?«, fragte Rosa, die kein Wort zu verstehen schien. June ließ sich von ihr die Haare waschen, wie ein kleines Kind.

»Cecile… was ist passiert? Hat es Probleme mit dem Baby gegeben?«

Rosa und Sissi sahen sich beide über Junes Kopf hinweg an. »Nein, Jungchen«, sagte Rosa. »Es war nicht das Baby.«

»Sie ist ermordet worden!«, sprudelte es aus Sissi heraus.

»Ermordet!« June setzte sich auf und sah mit weit aufgerissenen Augen von einer Frau zur anderen.

»Der Doktor hat gesagt, dass jemand sie totgeschlagen hat«, erklärte Rosa. Ehe jemand etwas sagen konnte, wurde angeklopft. Sissi ging an die Tür, und als sie zurück kam waren ihre Augen groß.

»Dr. Crowell sagt, sie sollen in die Bibliothek kommen, sowie sie fertig sind. Richter Thompson ist da.«

»Richter Thompson!«

»Miss Cecile ist ermordet worden, Jungchen. Wahrscheinlich ist er gekommen, um zu sehen, ob er heraus findet, wer es getan hat.«

»In Ordnung. Geht ihr schon mal? Ich zieh mich schnell an.«

June ging etwas durch den Kopf, was er nicht zu fassen bekam. Es war da und beunruhigte ihn, wenn er auch nicht wusste, was es war. Doch er wollte so schnell wie möglich nach unten gehen, ehe Ereignisse ihren Lauf nehmen konnte, die er nicht mehr aufhalten konnte. Er hätte nicht sagen können, wie diese Ereignisse aussahen, die er befürchtete. Abrupt stand er auf und stieg aus der Wanne, als die beiden Frauen das Zimmer verlassen hatten.

In seinem Kopf herrschte ein turbulentes Durcheinander, aber als er seinen Schrank öffnete, fiel ihm ein, dass er ja schwarz tragen musste. June riss die Augen auf. Seine Stiefmutter war tot. Offiziell war er in Trauer.

Hektisch durchsuchte er den Schrank und fand im hinteren Teil ein schwarzes Hemd. An schwarzen Anzügen mangelte es ihm nicht, seit er mit Miss Flora und Miss Laurel unterwegs war. Zum Schluss kämmte er sich ordentlich seine blonden Locken in einen Zopf. Sie waren noch nass, aber zum Trocknen blieb keine Zeit mehr.

Als er sich von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt im Spiegel sah, wurde ihm die Situation noch einmal schlagartig bewusst, in der er sich befand und die er vorher noch nicht wirklich real wahrgenommen hatte: Cecile war tot.

June holte tief Atem, bevor er das Zimmer verließ und die Treppe hinunter lief.

Richter Thompson saß in der Bibliothek, aber außerdem waren noch Dr. Crowell und Seth Chandler da, der den ehrenwerten Posten des richterlichen Beamten inne hatte, der die Todesursache feststellen sollte, ein sehr angesehenes Amt, und Tanner.

Seth Chandler machte einen verkrampften Eindruck; Tanner trug seine eiskalte Maske. Die Spannung im Raum war greifbar.

Alle vier Herren drehten sich zu ihm um, als er eintrat. Eine der Frauen schloss leise die Tür hinter ihm, blieb aber selbst draußen in der Halle.

»Meine Herren.« Junes Stimme klang fest, obwohl ihm immer noch ganz flau im Magen war.

»Ah, Mr. Johnson«, begrüßte Richter Thompson ihn. »Schließen Sie sich uns doch bitte an. Ich möchte Ihnen zum Ableben Ihrer Stiefmutter mein tiefstes Beileid aussprechen.«

Seth Chandler und Dr. Crowell murmelten ähnliche Worte vor sich hin. June setzte sich auf den Ledersessel, der am weitesten vom Schreibtisch entfernt war. Tanner saß auf einer Ecke des Schreibtisches.

June hatte das Gefühl, einen inneren Abstand von den Dingen zu haben, als er bemerkte, dass Tanner im Gegensatz zu ihm keine Gelegenheit gehabt hatte, sich umzuziehen. Er war noch nass, und auf seinem grauen Anzug klebte Schlamm. Sein Haar war ausnahmsweise völlig zerzaust und dort auffällig gelockt, wo es bereits getrocknet war. Sein Gesicht allerdings war wieder sauber, wirkte gefasst, aber sehr blass.

»Es tut mir leid, dass ich Sie mit diesen Einzelheiten belästigen muss«, begann Richter Thompson, als June sich gesetzt hatte. Er zog sich einen Stuhl neben ihn und sprach mit gesenkter Stimme, als wolle er damit seinen Respekt vor dem ernsten Thema ausdrücken, das er anschneiden musste.

»Mrs. Riplay ist heute kurz nach der Mittagszeit hinter der Toilette gefunden worden. Einer Ihrer Sklaven, Aban, hat die… äh, hat sie gefunden. Soweit ich gehört habe, arbeitet er schon lange bei Ihrer Familie?«

»Sein Leben lang. Er ist auf der Plantage geboren.«

»Aha. Haben Sie irgendeinen Grund zu der Annahme, er hätte Mrs. Riplay etwas Böses gewünscht?«

June riss die Augen weit auf. »Aban? Nein. Er täte niemandem ein Leid an.«

Richter Thompson und Dr. Crowell sahen einander an.

»Mr. Johnson, ich muss noch einmal betonen, dass es mir äußerst unangenehm ist, Sie damit zu belästigen, aber soweit ich gehört habe, haben Sie das Haus vor etwa vier Tagen in einem Zustand… äh… innerer Aufgewühltheit verlassen?«

Tanner machte eine abrupte Bewegung, als wolle er Einwände erheben, doch Dr. Crowell stellte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Junes Aufmerksamkeit wandte sich wieder Richter Thompson zu.

»Ja.«

»Und Mr. Riplay ist Ihnen gefolgt?«

June warf einen schnellen Seitenblick auf Tanner. Seine Regungen waren hinter dieser ausdrucklosen Maske verborgen, von der ihm jetzt klar wurde, dass es die Maske eines professionellen Spielers war. Aber was hatte er diesmal zu verbergen?

»Ja.«

»Wann und wo hat Mr. Riplay Sie gefunden?«

»Vorgestern in Natchez.«

»Ich verstehe. Und seit da an, war er ständig an Ihrer Seite?«

Plötzlich erkannte June, worauf Richter Thompson mit seinen Fragen hinaus wollte. Er versuchte dahinter zu kommen, ob Ceciles Ehemann für die Tatzeit des Mordes ein Alibi hatte. Es war Tanners Glück, dass er mit June zusammen gewesen war. Dann gerann ihm das Blut, als ihm die Wahrheit dämmerte: Zu dem Zeitpunkt, zu dem Cecile ermordet worden war, war er nicht bei ihm gewesen. Er war ihm gestern morgen davon gelaufen und hatte ihn nicht mehr gesehen, bis er ihn vor zwei Stunden an der Anlegestelle am Fluss abgeholt hatte. Natürlich war er in der Zeit von Baton Rouge hierher geritten, aber hatte er in der Zwischenzeit irgendwann Gelegenheit gehabt, kurz zur Plantage zu reiten und Cecile tot zu schlagen, ehe er June an der Anlegestelle abgeholt hatte?

Wenn das nicht grotesk war!

»Ja, seit da an war er ständig an meiner Seite«, antwortete June laut und deutlich und warf wieder einen Blick auf Tanner. War es Einbildung, oder sah er ein klein wenig erleichtert aus, seit er diese Antwort gegeben hatte? June wartete ab, doch er widersprach ihm nicht.

»Ich verstehe. Meinen herzlichen Dank, Mr. Johnson. Mr. Riplay hat uns natürlich schon dasselbe erzählt, aber wir müssen schließlich jede Aussage bekräftigen, nicht wahr?«

Als Richter Thompson aufstand, wirkte er erleichtert. June sah Tanner wieder an. Als er ihm in die Augen sah, war sein Ausdruck so unergründlich wie in dem Moment, in dem er den Raum betreten hatte. Diese himmelblauen Augen waren so unauslotbar wie das Meer.

Es gab sehr vieles, was er Richter Thompson hätte erzählen können. Weit mehr, als nur den Umstand, dass Ceciles Ehemann für die Tatzeit kein Alibi aufweisen konnte. Aber er hatte den Mund gehalten und sogar gelogen. Die Frage war nur, warum?

June fürchtete, dass er die Antwort kannte. Und er fürchtete, dass auch Tanner sie kannte.

Diese Antwort ließ sich nur in den unberechenbaren Launen seines Herzens finden.
 

Cecile wurden in den nächsten Tagen auf einem kleinen Friedhof begraben, auf dem man Junes Eltern und Großeltern zur letzten Ruhe gebettet hatte. Es regnete, aber es waren nicht die Regengüsse des Vortags, sondern ein stetiger Nieselregen. Wie alle anderen Anwesenden fror June und spürte die Feuchtigkeit bis in die Knochen.

Tanner, der als Witwer in Schwarz neben ihm stand, hielt seinen Hut vor sich hin und senkte den Kopf bei den feierlichen Worten des Geistlichen. Er schien den Regen überhaupt nicht wahr zu nehmen. Wassertropfen perlten von seinem schwarzen Haar und liefen ihm wie Tränen über das Gesicht. Er war das vollkommene Bild eines trauernden Gatten.

Heuchler!, dachte June. Selbst als er die erste Handvoll Erde auf den Sarg warf, hätte er ihm am liebsten ins Gesicht geschrien. Er hatte Cecile nicht geliebt, und man konnte es sogar als eine Tatsache festhalten, dass er sie gehasst hatte. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er sie ausschließlich geheiratet hatte, um die Plantage an sich zu bringen. Da er der Überlebende war, der Cecile durch diese Heirat am nächsten stand, gehörte ihm jetzt die Plantage.

Die Frage war nur die, ob er Cecile getötet hatte, um es an sich zu bringen.

Miss Flora und Miss Laurel standen hinter ihm und sorgten sich um den Mann, der, auch wenn sie es nicht wussten, keineswegs ihr Neffe war. Nachbarn drängten sich um das Familiengrab. Hinter dem eisernen Gitter standen Tudi, Sissi, Rosa, Aban und alle anderen als große, stumme Menge da. June überlegte sich, dass er bei weitem lieber dort gestanden hätte, als da, wo er war.

Diese Menschen waren jetzt seine Familie. Die einzigen, die ihn wirklich liebten und die er liebte.

Aber jetzt waren es nicht mehr seine Leute, sondern auch sie gehörten Logan. Nein, sollte der Teufel ihn holen, Tanner.

Dieser Mitgiftjäger hatte das Beste aus seinen Karten gemacht und war mit den gesamten Einsätzen vom Tisch aufgestanden.

»Komm, June, es ist vorbei.«

June war in Gedanken weit weg gewesen. Tanners Hand auf seinem Arm und seine geflüsterten Worte holten ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Der Gottesdienst war vorbei, er hatte den Hut auf dem Kopf, und die Nachbarn machten Platz, um die trauernden Familienmitglieder vorausgehen zu lassen. June hielt die Augen gesenkt, als er neben Tanner durch die Menge ging, die Beileidsworte murmelte. Sie gingen zu dem Wagen, der sie unten auf der Straße erwartete. Es war nicht weit bis zum Haus, und bei schönem Wetter hätte man leicht laufen können, aber wenn es zu Tragödien kam, entschied sich die Familie immer gegen einen Fußmarsch. Und heute waren sie durch den Regen erst recht gezwungen, den Wagen zu nehmen.

Beim Leichenschmaus auf der Plantage würden die Spekulationen über den möglichen Mörder im Vordergrund stehen. Der nahe liegendste Kandidat, der frischgetraute Ehemann, der alles erbte, war aus dem Rennen ausgeschieden, weil der Stiefsohn ihm ein Alibi bereit stellte. Das ließ Raum für weit hergeholte Theorien. June zweifelte nicht daran, dass die Schar, die sich heute auf der Plantage versammeln würde, ihn genüsslich alle nacheinander auseinandernehmen würden.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Tanner June mit gesenkter Stimme, als sie sich beide auf den Vordersitz setzten. Miss Flora und Miss Laurel fuhren als die angeblichen Tanten des Witwers mit ihnen im Wagen. Ihre Gegenwart sorgte dafür, dass June seine Antwort knapp hielt.

»Ja«, sagte er. Er beachtete Tanners Stirnrunzeln nicht weiter, sonder schwieg, als er den beiden alten Damen beim Einsteigen half.

Der Rest des Tages war ein Albtraum. Da der Anstand ihn zwang, mit den Nachbarn zu plaudern, bekam June entsetzliche Kopfschmerzen. Es war schon schlimm genug, dass er eine Trauer heucheln musste, die er nicht empfand. Gut, es war ein Schock für ihn gewesen, und der nagende Verdacht, vielleicht, ganz vielleicht, könnte Tanners Infamie doch so weit gehen, dass er seine Frau erschlagen hatte, setzte ihm zu. Aber ansonsten tat es ihm nicht wirklich leid, dass Cecile nicht mehr da war. Doch mit anzusehen, wie sich Tanner als Logan ausgab und Komplimente zu seiner Haltung entgegen nahm, während er entsprechend ernst schaute, brachte ihn dazu, dass er die Wahrheit am liebsten laut heraus geschrien hätte. Im Laufe dieses endlosen Nachmittags hatte June mehr Gelegenheit denn je, mit eigenen Augen zu beobachten, was für ein meisterlicher Schauspieler dieser Mann in Wirklichkeit war. Aber natürlich hatte June vorher nie etwas über Tanner gewusst, wenn er ihm Logan Riplay vorgespielt hatte.

Kurz vor dem Abendessen hatte sich die Menge schon gelichtet, und June sah, wie Tanner Mr. Samuels, Ceciles Anwalt, zur Seite nahm und sich mit gesenkter Stimme mit ihm unterhielt. Junes Lippen verzogen sich bitter. Zweifellos wollte Tanner mit ihm über das Testament sprechen.

»Warum gehst du jetzt nicht nach oben, Jungchen? Du hast getan was nötig war und niemand wird ein Wort gegen dich sagen, wenn du nun Zeit für dich brauchst.«

»Ach, Rosa.« June stellte die unberührte Kaffeetasse, die er in der Hand hielt, auf einen Tisch und drehte sich um, um den Kopf auf Rosas Schulter zu legen. Er war ausgelaugt, vollkommen ausgelaugt, aber nicht nur körperlich, sondern an Leib und Seele. Im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher auf Erden, als wieder ein kleines Kind zu sein und alles böse von Rosa verscheuchen zu lassen.

Rosa tätschelte seinen Rücken, und einen Moment lang fühlte June sich getröstet. Dann kam Miss Flora auf ihn zu.

»June, Logan hat mich gebeten, dich zu ihm und Mr. Samuels in die Bibliothek zu schicken.«

June hob den Kopf und wandte sich zu Miss Flora um. Rosa verschwand.

»Ach, ja?« Er war äußerst versucht nicht hinzugehen. Es mochte zwar sein, dass Tanner Cloud jetzt Herr über die Plantage war, aber ihm konnte er keine Befehle geben, und dabei würde es auch bleiben.

Schließlich ging er doch mit. Miss Flora war so freundlich zu ihm, dass June es einfach nicht übers Herz brachte, sie zu brüskieren. Und was hätte sich dadurch schon geändert. Er würde hingehen und seine Rolle noch etwas länger spielen. Morgen oder übermorgen würde diese Benommenheit dann von ihm abfallen, und dann würde er in der Lage sein zu entscheiden, was er tun würde.

Beide Männer erhoben sich höflich, als June eintrat.

»Ich möchte Ihnen mein Beileid zu Mrs. Riplays Tod ausdrücken, Mr. Johnson«, sagte Mr. Samuels. June hatte das seit gestern schon so oft gehört, dass er die Worte kaum noch wahr nahm, doch es gelang ihm, ein höfliches »Danke« zu murmeln.

»Du wolltest mich sprechen?«, wandte er sich an Tanner. Sein Ausdruck war nach wie vor entsprechend ernst, aber in seinen Augen stand ein Leuchten, dass June sagte, mit welcher ungehörigen Geschwindigkeit er über den Tod seiner Frau hinwegkommen würde. Jemand, der ihn nicht ganz so gut kannte wie June, hätte es zwar nicht bemerkt, aber er hatte sogar den Eindruck, dass er fast erleichtert wirkte.

»Setz dich, June.«

June setzte sich wieder auf den Stuhl, auf dem er schon gesessen hatte, als er Richter Thompson belogen hatte. Tanner sah ihn finster an, weil er sich den Stuhl ausgesucht hatte, der am weitesten von ihnen entfernt war, doch er sagte nichts. Er und Mr. Samuels nahmen ihre Plätze wieder ein.

»Sie wissen natürlich, dass ich Mrs. Riplays Anwalt bin… äh, war.« Mr. Samuels wandte sich zu June um, und er nickte. »Auf Mr. Riplays Wunsch hin, bin ich ihren Letzten Willen mit ihm zusammen durchgegangen. Es gibt keine Überraschungen. Mit Mrs. Riplays Wiederverheiratung ist die Plantage natürlich mit all ihren Sklaven und Ländereien an Mr. Riplay gefallen, und daran ändert ihr Tod nichts. Es ändert sich aber dadurch auch nichts an der Rechtsverfügung im Testament Ihres Vaters, die Ihnen das Recht zusichert, für den Rest Ihres Lebens auf der Plantage zu bleiben. Da sich das jetzt als problematisch erweisen könnte, weil Mr. Riplay nicht blutsverwandt mit Ihnen ist, habe ich ihm vorgeschlagen, Ihnen Ihren Anteil auszuzahlen. Hätte er meinen Vorschlag angenommen, dann wären Sie in der Lage für den Rest Ihres Lebens sorgenfrei zu leben, wo Sie es wünschen.«

»Mich… auszahlen!« June war nahezu sprachlos. Sollte er jetzt zu allem Überfluss auch noch die Plantage verlassen? Er sah Tanner aus großen, verschleierten Augen an. Das würde er ihm doch bestimmt nicht antun.

»Lass ihn ausreden, June«, riet ihm Tanner mit ruhiger Stimme. Mr. Samuels sah ihn kurz an und fuhr dann fort.

»Aber Mr. Riplay hat sich aus persönlichen Gründen, die ich nicht kenne, geweigert, diesen Weg einzuschlagen. Ich bin jedoch sicher, dass seine Gründe stichhaltig sind, wenn sie auch seinem eigenen Interesse direkt entgegen wirken und ich ihm genau genommen nicht zuraten kann. Der Weg, den er stattdessen gewählt hat, widerspricht meiner Auffassung nach seinen Interessen – aber natürlich bin ich nur hier, um Ratschläge zu geben.«

Mr. Samuels und seine weit schweifenden Sätze kamen nicht zu June durch. Er erfasste, dass Tanner es abgelehnt hatte, ihn auszuzahlen, und er fand, dass es gut war. Oder hatte er vor ihn ohne jede Entschädigung von hier zu vertreiben? Das würde er doch bestimmt nicht tun! Aber andererseits war er nicht der Mann, den June zu kennen glaubte. Dieser Mann war ein Fremder, und ihm war alles zuzutrauen.

»Was Mr. Samuels zu sagen versucht, ist, dass ich dir alles überschrieben habe, June. Mit allem Drum und Dran und ohne jegliche Bedingungen.« Tanner sah ihn mit dem Ausdruck an, mit dem eine Katze vor einem Mauseloch lauert. June runzelte die Stirn. Er hörte die Worte, aber er verstand sie nicht. Als er nichts sagte, fuhr er mit einem Anflug von Ungeduld fort. »Die Plantage gehört dir, und so hätte es schon immer sein sollen.«

June sah Mr. Samuels an.

»Verstehen Sie, was Sie soeben gehört haben, Mr. Johnson?«, fragte er ihn liebenswürdig, denn er glaubte zweifellos Junes Unverständnis sei auf seinen Kummer und seine Erschütterung zurück zu führen.

»Mr. Riplay hat auf alle Rechte an der Plantage verzichtet. Sie gehört Ihnen.«

June riss die Augen weit auf. Langsam wandte sich sein Blick Tanner zu. Dieser grinste ihn nicht an – aber das hätte er ebenso gut gleich tun können. In diesen himmelblauen Augen stand eine amüsierte Zufriedenheit.

»Ich muss schon sagen, dass das eine recht edle Geste ist«, fuhr Mr. Samuels kopfschüttelnd fort. »Und es bestand selbstverständlich keine Veranlassung für ihn, etwas derartiges zu tun. Alles ist an ihn gefallen. Legal und rechtskräftig. Aber er fand, angesichts des Umstandes, dass er erst vor kurzem auf die Plantage gekommen ist, sollte alles Ihnen gehören.«

Bewunderung und Respekt vor dem Mann, der auf eine Erbschaft wie diese Plantage verzichtete, waren deutlich aus Mr. Samuels` Stimme heraus zu hören. June zweifelte keinen Moment lang daran, dass sich dieser Beweis für Logan Riplays wahrhaft edelmütigen Charakter noch vor dem Abend des kommenden Tages im ganzen Yazoo-Tal herumgesprochen haben würde.

»Was für ein Gentleman er doch ist!«, würden alle sagen.

»Es gehört alles dir, June.« Logan sprach so sanft mit ihm, als glaubte er, er sei nur so schweigsam, weil seine noble Geste ihn überwältigt hatte.

June sagte immer noch nichts. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er ihn an, ohne ihn zu sehen. Dann betrachtete er ihn. In seinem gut geschnittenen schwarzen Anzug sah er von Kopf bis Fuß wie ein eleganter Gentleman aus, und noch dazu umwerfend gut, wie immer. Sein Ausdruck war ernst und nüchtern, doch in seinen Augen stand ein Schimmer, der June sagte, wie zufrieden er mit sich war.

In dem Moment ging ihm schlagartig auf, dass der Spieler das größte Risiko seines Lebens einging: er setzte mit einem einzigen Blatt alles aufs Spiel. Und aus dem Ausdruck, der in seinen Augen stand, war klar zu ersehen, dass er damit rechnete zu gewinnen.
 

***
 

Sich den Bauch haltend vor Lachen, stolperte June in sein Zimmer. Mühsam schnappte er nach Luft, während ihn die nächste Lachsalve schüttelte. Alle hielten ihn für hysterisch und June fragte sich, ob sie nicht recht hatten.

Doch er glaubte das nicht. Es war einfach alles nur so komisch. So übertrieben komisch, dass man schon hysterisch werden konnte.

Tanner hatte also geglaubt, wenn er ihm das eigene zu Hause überschrieb, könnte er June endgültig beweisen, dass er nicht mehr der Mitgiftjäger und Spieler war, der sich mit Lügen widerrechtlich in den Besitz der Plantage gebracht hatte, was? Was für eine meisterliche Strategie von seiner Seite!

Dazu musste er dem anderen wirklich gratulieren, wenn er wieder Luft bekam und reden konnte. Aber natürlich verlor ein Spieler genauso wenig den Blick für eine ganz große Chance, wie ein Leopard seine Flecken abgelegt hätte. Er musste wissen, dass seine Täuschung, sein Betrug, falls er herauskam – und June hätte ihn jederzeit bloßstellen können -, dazu führte, dass ihm die Plantage alles andere als sicher war.

Wahrscheinlich hätte er dann überhaupt nicht geerbt. Das sprach ihn allerdings weitgehend vom Mordverdacht frei. Aber andererseits zweifelte June nicht daran, dass er die Tat, falls er sie begangen hatte, in einem Wutausbruch und ohne vorherige Überlegungen begangen hatte. Und somit war er vielleicht nicht dazu gekommen, sich zu überlegen, dass er sich damit selbst den Geldhahn zudrehte.

So oder so – Cecile war tot und June wusste bereits, was für ein opportunistischer Schurke er war. Daher sah es ganz danach aus, als könnte er alles verlieren, was er unter so großen Mühen gewonnen hatte. Wie also sollte er es behalten? Klar, indem er es dem naiven, süßen, kleinen June schenkte, der von dieser Geste und allem, was daraus folgte, derart ergriffen war, dass er vor Liebe zu ihm schmelzen und überstürzt eine Lebensgemeinschaftserklärung unterschreiben würde, die zweifellos direkt auf den Fuß folgte.

Dann hatte Tanner Cloud, der miese Spieler, alles wieder an sich gebracht: Die Plantage und sein Ansehen. Und June war sicher, dass er diesmal alle notwendigen Schritte unternehmen würde, um sich abzusichern, dass seine Lebensgemeinschaft, was auch geschehen mochte, rechtskräftig war.

Einmal Mitgiftjäger, immer Mitgiftjäger. Aber diesmal hatte er sich selber reingelegt. June konnte kaum erwarten ihm das zu sagen.

Erschöpft ließ er sich auf sein Bett fallen. Tanner, der ihm dicht auf den Fuß gefolgt war, ließ sich auf der Bettkante nieder. Sein Gesicht war angespannt und besorgt, als er June sanft über die Stirn strich.

»Es wird alles gut werden, June«, murmelte er, und seine Hand streichelte einen Moment Junes Wange. Ehe der Blondschopf auch nur auf den Gedanken kam, seine Hand zur Seite zu schlagen und Tanner seine miesen Absichten ins Gesicht zu schleudern, betrat Dr. Crowell sein Zimmer. Jemand musste den Arzt wohl aus Sorge um ihn gerufen haben.

June lachte und keuchte immer noch. Tudi, die im Schlafzimmer ihres Schützlings keinen anderen bis auf den Arzt duldete, verscheuchte Tanner.
 

Aus der Dunkelheit im Zimmer und der Stille, die im Haus herrschte, schloss June, dass es spät am Abend sein musste, als er erwachte. Das Schlafmittel, das Cr. Crowell ihm gegeben hatte ließ in seiner Wirkung nach, aber es dauerte noch ein paar Minuten, bis er die Orientierung wieder gefunden hatte. Mit der Zeit fiel June wieder ein, was passiert war. Er stellte außerdem fest, dass er in seinem eigenen Bett lag. Von dem Faltbett am anderen Ende des Zimmers hörte er ein leises Schnarchen, und wusste, dass er nicht allein war. June stand auf und schlich sich auf Zehenspitzen an. Er fand Tudi vor, die fest schlief.

Die gute Tudi, die über ihren Schützling wachte.

June kehrte zu seinem Bett zurück, an dessen Fußende sein Morgenmantel lag. Er zog ihn über, schnürte den Gürtel fest und schlich sich auf leisen Sohlen aus dem Raum. Tudi glaubte an die Heilkräfte der frischen Nachtluft und hatte die Fenster selbst in der kühlen Novemberluft einen Spalt weit geöffnet. Durch den Fensterspalt drang der Geruch einer Welt , auf die Regen hinuntergegangen war, doch die Nachtluft wehte auch den würzigen Duft einer Zigarre ins Zimmer.

Tanner konnte anscheinend nicht schlafen und rauchte im Freien auf dem Balkon. June hatte vor, sich ihm dort anzuschließen.

Das Haus war schwach beleuchtet, und roch nach den Blumen, die noch von der Beerdigung stehen geblieben waren. Über alledem lag eine gespenstische Stille, als spürte das Haus in gewisser Weise, dass seine Herrin am Vortag gestorben war. Die Königin war tot. Lang lebe der König!

Die Tür zur oberen Galerie war angelehnt. June trat leise auf den Balkon hinaus und sah sich nach Tanner um. Er saß, wie schon öfter, auf dem Schaukelstuhl am hinteren Ende. Barfuß ging er auf den glitschigen, nassen Holzdielen auf ihn zu. Bisher hatte er ihn noch nicht bemerkt. Er schaukelte sachte, starrte in den Nieselregen und paffte seine Zigarre.

Als er sich schließlich zu ihm umsah, stockte die Hand, mit der er die Zigarre gerade zum Mund führen wollte und er riss die Augen auf. June wurde klar, dass er in seinem weißen Morgenmantel im Dunkeln des Balkons wie ein Geist erscheinen musste, solange er nicht dicht vor ihm stand. Diese Vorstellung behagte ihm und er lächelte.

Doch Tanners Panik hielt nicht lange an – falls es überhaupt Panik war. Nach wenigen Momenten erkannte er ihn und steckte die Zigarre zwischen seine Lippen.

»Hast du geglaubt ich sei Cecile?« Die Worte klangen spöttisch.

Tanner ging nicht auf seine Frage ein.

»Wieso bist du auf?«

»Ich habe deine Zigarre gerochen.«

Tanner sah ihn wieder an, und ein mattes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

»Dann wolltest du also zu mir kommen. Heißt das, dass du dich entschlossen hast, mir zu verzeihen und alles zu vergessen, June?«

»Es heißt, dass ich finde, wir sollten uns miteinander unterhalten.«

»Fang an.« Er zog wieder an seiner Zigarre.

»Was hältst du davon mir erst einmal zu sagen, ob du Cecile getötet hast, oder nicht?«

Er verzog die Lippen.

»So, darüber wollen wir uns also unterhalten, ja? Ich möchte dir eine Frage stellen, June: Was glaubst du?«

»Das ist keine Antwort.«

»Zu mehr bin ich nicht bereit. Ich bin im Moment nicht dazu aufgelegt, mich ins Kreuzverhör nehmen zu lassen.«

»Du wolltest, dass ich Richter Thompson belüge.«

»So, wollte ich das?«

»Ja. Du hast ihm selbst vorher erzählt, was ich ihm dann bestätigt habe.«

»Vielleicht wollte ich nur wissen, ob du mich trotz unserer Unstimmigkeiten genug liebst, um mich in Schutz zu nehmen und für mich zu lügen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Was glaubst du dann?« Leichter Ärger spiegelte sich in Tanners Stimme. »Dass ich in zwei Tagen mehr als dreihundert Kilometer geritten bin, um vor dir hier zu sein, und dass ich mich auf dem Ritt entschlossen habe, einen kleinen Umweg einzulegen und meine Frau umzubringen?«

Das alles klang sehr unwahrscheinlich, doch June bohrte trotzdem weiter. »Du hättest hier vorbei kommen können, um dich umzuziehen, und dabei könntest du sie… mit… jemandem vorgefunden haben.«

June erinnerte sich noch lebhaft daran, wie wütend Tanner gewesen war, als er Cecile mit Seth Chandler erwischt hatte. Damals hatte er ihr angedroht, sie umzubringen – und er hatte den Eindruck gemacht, als sei er durchaus in der Lage, seine Drohung wahr zu machen.

»Ja, das könnte sein.«

»Warum kannst du meine Frage nicht einfach beantworten.« Erbittert ballte June die Hände zu Fäusten.

»Weil ich deine Fragen satt habe.«

Damit stand Tanner auf, warf die Zigarre über das Geländer und packte June an den Oberarmen, ehe er auch nur einen Schritt zurückweichen konnte.

»Genaugenommen habe ich das Reden überhaupt satt. Komm mit mir ins Bett, June.«

»Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!«

»O doch, das kannst du mir glauben. Es ist mein voller Ernst.«

»Wir haben Cecile heute erst begraben!«

»Ich habe sie nicht geliebt und du auch nicht. Sei nicht so scheinheilig, Kleiner.«

»Ich und scheinheilig!« Wut loderte in June hoch und seine Augen sprühten Funken.

»Aber wenigstens bist du ein sehr hübscher kleiner Heuchler.«

Ehe June auch nur ahnte, was der andere vorhatte, hab er ihn auf die Arme und trug ihn über den Balkon.

»Lass mich runter!«

Tanner trug ihn ins Haus.

»Psst! Sonst weckst du noch Tudi. Überleg dir nur, wie schockiert sie wäre, wenn sie wüsste, dass ich dich gerade in mein Bett trage.« Es klang amüsiert und das brachte June noch mehr auf.

»Ich will nicht mit dir ins Bett gehen!«, fauchte er aber dennoch mit gesenkter Stimme.

Ungerührt bog Tanner in den Flur ein, der zu seinem Schlafgemach führte. »Eins habe ich gelernt, mein Süßer, nämlich, dass du wahrhaftig nicht weißt, was, zum Teufel, du willst.«

Dann senkte er den Kopf, um ihn auf die Lippen zu küssen. June versuchte gar nicht erst sein Gesicht abzuwenden. Plötzlich ging ihm die Wahrheit auf: Das, genau das, war es, weshalb er sich zu dem Mann auf den Balkon hinausgeschlichen hatte. Sein gequältes Herz lechzte nach den Küssen dieses Halunken, stellte der Blondschopf fest, als dessen Mund seine Lippen fand. Sein Körper verzehrte sich danach, von ihm berührt zu werden.

Am nächsten Morgen war es immer noch früh genug, um das zu tun, was er zu tun hatte. Er würde Tanner zwingen, Farbe zu bekennen. Aber heute Nacht würde er dieser teuflischen Versuchung noch ein letztes Mal nachgeben.

Als Tanner ihn durch die Tür zu seinem Schlafzimmer trug, schlang ihm June die Arme um den Hals und küsste ihn.

»Du weißt selbst, dass du mich liebst, June«, murmelte er dicht an seinem Ohr und brachte den Blondschopf zum Keuchen, als er die zarte Stelle hinter dessen Ohr küsste. Dann suchte er wieder Junes Lippen und der Kleinere hatte keine Chance etwas darauf zu erwidern. Mit dem Stiefel stieß er die Tür hinter ihnen zu, wo sie mit einem leisen Klicken ins Schloss fiel.

Was sich zwischen ihnen abspielte, war wollüstig, wild und großartig, und es war beschämend und beseligend zugleich. Tanner ließ keinen Zentimeter seines Körpers unerforscht, und er bestand darauf, dass June ihm alles nachmachte. Als er ihn endlich schlafen ließ, zog bereits das erste Licht der Dämmerung am Himmel auf.

June schlief nicht lange, kaum mehr als eine Stunde, doch als er die Augen aufschlug, war der Himmel vor den Schlafzimmerfenstern, die keine Gardinen hatten, leuchtend orangerot. Tanner war bereits wach, saß im Bett, war bis auf die Decke, die er sich auf den Schoß gezogen hatte, nackt und rauchte eine seiner Zigarren. Als June sich wie eine zufriedene Katze an seiner Seite streckte, stand Besitzerstolz in seinen Augen.

»Ach du meine Güte!! Ich muss sofort wieder in mein Zimmer gehen. Tudi ist wahrscheinlich schon wach.« Als er plötzlich merkte, wie hell es schon geworden war, ruckte June in eine sitzende Position. Er war nackt. Seine Knospen waren immer noch ganz rosig, weil Tanners Bartstoppeln ihn gekratzt hatten und seine Lippen waren leicht angeschwollen von seinen Küssen. Die blonden Locken standen ihm Wirr vom Kopf ab und als er sich erhob, spürte er es Puckern an seinem Hintern, was deutlich machte, wie schamlos er es mit dem anderen getrieben hatte.

»Wenn sie allzu empört ist, kannst du ihr immer noch sagen, dass du jetzt zu mir gehörst und wir eine Lebensgemeinschaft gründen.«

June erstarrte. Er wandte den Kopf um und sah ihn an, ohne etwas darauf zu antworten. Er war so schlank und breitschultrig, und seine Haut nahm sich so dunkel gegen die weißen Laken aus, dass es June wieder mal den Atem verschlug. Das schwarze Haar, die blauen Augen und sogar die rotglühende Spitze der Zigarre – er verkörperte einfach alles, was er sich immer erträumt hatte.

Würde er sich von Tanner Cloud derart blenden lassen, dass er ihm alles auf einem silbernen Tablett offerieren würde, was er durch Tricks, Betrügereien und Listen hatte an sich bringen wollen?

June stieg aus dem Bett, fand seinen Schlafanzug dort, wo er ihn auf den Boden geworfen hatte und zog ihn sich an. Dann schlüpfte er in den Morgenmantel.

»Soll das ein Antrag sein?«

»Nun.. du bist zwar keine Frau und offiziell können wir nicht heiraten, aber ja. Nimmst du ihn an?«

Der Laut, der über Junes Lippen kam, war die glaubwürdige Nachahmung eines Lachens.

»Ich mag zwar dumm sein, das gebe ich selbst zu, aber so dumm bin ich nun doch nicht, mit einem Mann eine Lebensgemeinschaft zu gründen, der ein Mitgiftjäger ist, wenn ich selbst gerade ein Vermögen an mich gebracht habe… Du hast mir die Plantage überschrieben. Das war äußerst großzügig von dir, wenn man den Umstand bedenkt, dass deine Ehe mit meiner Stiefmutter wahrscheinlich nicht rechtskräftig war. Und jetzt willst du dich mit mir zusammen tun, um alles wieder zu bekommen! War die letzte Nacht dazu gedacht, mich zu einer Einwilligung zu überreden? Wenn ja, dann ist es dir nicht gelungen. Da du so entgegenkommend warst, mir wiederzugeben, was ohnehin mir gehört, wünsche ich sogar, dass du noch heute von meinem Grund und Boden verschwindest.«

Tanner erstarrte. June, der ihm in die Augen sah, bemerkte das Aufblitzen. Dann verschwanden alle äußeren Anzeichen darauf, was er empfand hinter einem Vorhang aus silberblauem Eis.

»Wenn du dir unbedingt ins eigene Fleisch schneiden willst, dann mach nur. Und jetzt solltest du teuflisch schnell aus meinem Zimmer verschwinden, denn andernfalls könnte es gut sein, dass ich die Selbstbeherrschung verliere und dem neuen Herrn der Plantage einen kräftigen tritt in den Arsch verpasse.«



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Kommentare zu dieser Fanfic (38)
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Von:  ReinaDoreen
2022-01-31T16:19:36+00:00 31.01.2022 17:19
Vielleicht geschieht ja noch mal ein Wunder und es kommt ein neues Kapitel.
LG reni
Von:  MidgaBelmont
2021-01-02T12:55:17+00:00 02.01.2021 13:55
Ich hatte nicht mehr damit gerechnet das es mit der Story weiter geht und eher zufällig noch mal reingeschaut weil ich sie noch einmal lesen wollte. Umso größer war die Freude, ein neues Kapitel vorzufinden!
Ich hoffe wirklich das du die Geschichte irgendwann noch zu ende schreibst. Sie ist nämlich wirklich wirklich gut!
Der Plot ist packend und dein Schreibstil weiß einen sofort mitzunehmen. Eine der wenigen Geschichten aus Fanforen, die ich mir sogar als Buch kaufen würde.
In dem Sinne ein gesundes neues Jahr mit einer fleißigen Muße.
lg Midga
Von:  ReinaDoreen
2018-04-16T13:16:52+00:00 16.04.2018 15:16
Das es hier noch mal mit einem neuen Kapitel weitergeht, habe ich nicht mehr geglaubt.
Deshalb freue ich mich sogar doppelt.
Vielen Dank.
reni
Von:  2you
2012-01-22T08:43:35+00:00 22.01.2012 09:43
ich freue mich super doll über das neue Kapitel :-)!!!

uhh es wird noch richtig spannend - ich freu mich darauf!!
Hauptsache die Zwei sprecehn sich aus ... nun ist Logan doch der alleinige Herr über die Plantage...:-D

Das neue Kapitel kann ich gar nicht mehr erwarten :-)
eine sehr schöne Geschichte!

Grüße 2you
Von:  kaya17
2011-11-13T10:20:40+00:00 13.11.2011 11:20
oh man...das gibt noch richtig
stress zwischen den beiden. Die sind ja
beide nicht grad die einsichtigsten...
bin gespannt ob die sich wieder ein kriegen
Von:  kmolcki
2011-11-11T08:38:07+00:00 11.11.2011 09:38
boa, da komm ich aus dem Urlaub zurück und dann muss ich sowas lesen....hm echt gemein, ob Tanner das wieder hingebogen bekommt und ob June ihm verzeihen kann?? Bin schon gespannt wie es mit den Beiden da in Lousianna weitergeht !!!!!
Von:  kaya17
2011-11-06T14:22:51+00:00 06.11.2011 15:22
Ein tolles Kapitel^^
DAs gibt bestimmt noch ärger mit dem <mädel
:D ob der kleine das so gut verdaut? hmmm^^
auf jeden fall schön langes kapitel :)
Von:  eden-los
2011-10-25T18:57:08+00:00 25.10.2011 20:57
na dann bin ich ja mal gespannt, wie der kleine reagiert. wird bestimmt nich so schön für cloud.
freu mich schon auf den nächsten teil. Was cecil wohl macht?

lg eden ^^
Von:  kmolcki
2011-09-28T09:58:09+00:00 28.09.2011 11:58
Ui toll, die beiden zusammen ...und wie soll es nun mit Ihnen weitergehen? Werden Sie gesucht?
Boa scheinz echt spannend zu werden und ich freue mich scon sehr auf das nächste Kapitel!!!

LG kmolcki
Von:  kaya17
2011-09-27T10:25:40+00:00 27.09.2011 12:25
Oh die beiden wollen
also weg gehen. Ich bin
gespannt ob sie das wirklich
tun und ob es funktionieren wird.
Interessant :D


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