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Legenden der Verdammnis

von

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Die Angst vor dem Unbestimmten

Tenten liebte Musik. Am meisten hörte sie Gothic Logic und Aural Vampire, und das eigentlich wann immer es möglich war. Sie lebte bei ihren Eltern, und in ihrem Zimmer spielte sie die Musik so laut sie durfte. Wenn sie zur Schule ging und ihre beste Freundin einmal wieder krank war, dann stöpselte sie sich ihre Kopfhörer rein und ließ den Mp3 Player sogar während des Unterrichts laufen. Natürlich sehr leise und nur, wenn sie keine Angst haben musste erwischt zu werden.

Musik bedeutete Tenten einfach alles. Ging es ihr schlecht, dann brachte sie die Musik wieder auf die Beine. Mit Musik ließ sich feiern, und eine Party ohne Musik – gab es das überhaupt?

Tentens zweite Leidenschaft galt der Mode. Vor allem mochte sie es dunkel und verrückt. In ihren Haaren trug sie manchmal schrille Farben, aber ansonsten hielt sie es mit grau und schwarz. Und nicht nur was ihre Klamotten anging – auch in ihrem Zimmer hatte sie alles so eingerichtet, wie es ihr am besten gefiel, und was zu ihr passte.

Und Tenten mochte es mystisch und dunkel.

Die Gothic Szene in Japan war recht klein, und es gab auch nur wenige Treffpunkte in Tokio, aber immer wenn sie konnte, war sie auch dabei. Ihre Eltern sahen es nicht gern, aber sie akzeptierten ihre Tochter wie sie war. Und zudem – und das war auch der ausschlaggebende Punkt für die Eltern – war ihre beste Freundin vollkommen „normal“.

Sakura Haruno lief in vernünftigen Klamotten herum, hörte vernünftige Musik und gab sich so vernünftig, wie sich Eltern die beste Freundin ihrer Tochter nur wünschen konnten. Sie wussten, dass Sakura Tenten zurückhielt, auf sie aufpasste und immer nach Hause brachte, wenn es Zeit war. Mit Sakura gab es nie Schwierigkeiten, wie mit manch anderen Freundinnen, die Tenten einmal gehabt hatte. Und das, obwohl Sakura auch erst sechzehn war.

Tenten fragte sich selbst manchmal, wie Sakura schon so erwachsen sein konnte. Und manchmal ärgerte es sie auch. Sakura war die beste Freundin der Welt, aber ebenso war sie auch wie ein aufpasserischer Hund, der einfach alles roch. Sie konnte schlimmer als ihre Eltern sein, wenn Tenten auf einer Party zum Beispiel trinken wollte.

„Du bist minderjährig!“, schimpfte Sakura dann, und die Flasche war schneller aus ihren Händen, als sie gucken konnte. „Du kannst dich betrinken, wenn du achtzehn bist. Und das ist noch eine Weile hin!“

Und meistens folgte dann ein Vortrag über die furchtbarsten Dinge, die unter Alkoholeinfluss passieren konnten. Und so wenig Sakura zuweilen reden wollte – in so einer Situation hielt sie fünf Minuten aus, ohne Luft zuholen.

Aber Tenten nahm es hin. Meistens zumindest. Sakura bedeutete ihr sehr viel, denn sie war immer für sie da, und das Tag und Nacht. Egal welche Probleme sie plagten; Sakura war da, und das kompromisslos. Sei es wegen einem Jungen, den Eltern oder schlechten Noten – Sakura wusste zu allem ein aufmunterndes Wort zu sagen, und es war selten, dass sie keine Lösung parat hatte.

Sakura war einfach jemand für sich. Sie war hübsch und klug, und sie war bei Mädchen und Jungen gleichermaßen beliebt.

Hier und da ertappte sich Tenten dabei, wie sie manchmal neidisch wurde, denn bei Sakura schien alles zu funktionieren. Da war es egal, ob es eine knifflige Aufgabe in Mathe war, oder eine idiotisch schwere Übung in Sport. Sakura gelang alles, und es kostete sie nicht einmal Mühe. Tenten dagegen tat sich oft schwer, und nur im Sportunterricht konnte sie ihrer besten Freundin das Wasser reichen. Es gab nicht wenige, die deswegen eifersüchtig auf Sakura waren, aber Tenten schämte sich für diese Gefühle. Dass sie sie nicht ändern konnte, machte es nur schwerer.

Doch auch Sakura hatte Probleme. Tenten hatte lange gebraucht, um ihr irgendetwas aus der Nase ziehen zu können. Ihre Freundin tat immer unbeschwert, und doch war sie oft krank und wollte nicht einmal Tenten sehen. Häufig fehlte sie sogar jede zweite Woche, und eigentlich stellte jeder Schulkamerad die Frage nach dem Warum.

Sakura hatte Tenten zwar irgendwann erzählt, dass sie sehr anfällig gegenüber Viren war, aber so recht glauben konnte sie es bis heute nicht. Allerdings wollte Tenten auch nicht aufdringlich werden. Sakura lebte erst seit einem Jahr in Tokio, und das ganz alleine. Ihre Eltern arbeiteten in China bei einer großen Produktionfirma und hatten nur wenig Zeit für ihre Tochter. Sakura flog selten zu ihnen, und nie kamen sie nach Japan. Sie hatten den Geburtstag ihrer Tochter übergangen, und sie waren auch nicht zum großen Frühlingsfest der Stadt gekommen. Stattdessen war Sakura mit Tenten und ihren Eltern hingegangen, und auch bei dem Sommerfest im nächsten Monat würde es so sein.

Manchmal war Tenten wirklich wütend auf Sakuras Eltern, und sie verstand nicht, warum ihre Freundin es so einfach hinnahm.

„So ist das nun mal“, hatte sie einmal gesagt. „Außerdem bist du meine Familie, Tenten. Du bist das Wichtigste für mich, und es reicht mir, wenn du da bist.“

Sakura sprach nicht viel über sich, und am wenigsten sprach sie über ihre Familie in China. Nachvollziehen konnte es Tenten nicht, doch fand sie sich damit ab. Etwas anderes ließ Sakura auch nicht zu.

Stur konnte sie sein, und dass wie ein Esel.

Auch heute, als Sakura wieder in der Schule gefehlt hatte und Tenten ihr die Hausaufgaben hatte bringen wollen – da hatte sie ihr am Telefon erklärt, dass es unnötig sei. Tenten hatte protestiert und gemeint, übermorgen würde darüber ein Test geschrieben werden, aber Sakura hatte einfach auf Durchzug gestellt und über das schöne Wetter gesprochen. Also hatte Tenten nachgeben müssen; wie immer eigentlich …

„Hat sie eben Pech!“, fluchte Tenten in sich hinein und hielt an einer roten Ampel. Sie war gerade auf dem Weg nach Hause, doch von hier war es auch nicht weit bis zu Sakura. „Hey, pass doch auf!“, rief sie dann laut, als jemand an ihr vorbei rannte ohne auf Grün zu warten. Idioten …

Tenten drehte ihre Musik leiser, überquerte die Straße und entschied sich eine Abkürzung zu nehmen. Auch das war so eine Sache, in der Sakura wie eine alte Oma tat: Sie begleitete Tenten eigentlich immer nach Hause, aber von dieser Abkürzung hielt sie nichts.

„Da wird man doch überfallen“, lachte sie, wenn Tenten das Thema anschlug. „Da sind kaum Menschen und die Gegend ist echt düster. Zudem tut uns Bewegung gut, immerhin sitzen wir den halben Tag!“

Im Winter gab Tenten ihrer Freundin Recht. Wenn es zeitig dunkel wurde, hatte sie auch Angst durch dieses Viertel zu laufen, aber heute? Die Sonne schien, und es war gerade einmal fünfzehn Uhr. Da würde sie kaum von einer brutalen Motorradgang überfallen werden!

„Und wenn, dann bist du Schuld“, murmelte Tenten zu sich selbst und schlug die Richtung ein, die durch die zerfallene Fabrikanlage führte. Hier wurden bis vor ein paar Jahren noch allerlei Elektronikartikel hergestellt, bis man jedoch herausfand, dass die Hälfte Schwarzarbeiter waren. Die Fabrik musste geschlossen werden, und niemand fand mehr Interesse an dem Gelände.

Tenten suchte sich einen Weg durch den gelagerten Müll und seufzte, als sie endlich die andere Seite der Anlage erreichte. Auch wenn sie Sakura nicht Recht geben wollte, so machte der Ort doch einen beängstigenden Eindruck auf sie, und irgendwie fand sie ihn auch trotz des Sonnenscheins düster.

Es war einfach ein einsamer Ort, der in Vergessenheit geraten war. Das war kein schöner Gedanke.

Tenten war erleichtert, als sie das Eisentor auf sich zukommen sah. Dahinter lag die Nebenstraße, die direkt in ihre Straße mündete. Auf diesem Weg konnte man gute zehn Minuten sparen, und abgesehen von dem erdrückenden Gedanken, war es eine angenehme Abkürzung. Von wegen Motorradbanden …

„Huh?“ Tenten blinzelte erschrocken und stellte ihre Musik aus, als sie dachte etwas hinter dem großen Müllcontainer gesehen zu haben. Sie packte ihren MP3 Player ein und lief schneller, doch kurz bevor sie das Tor erreichte, blieb sie noch einmal stehen.

War sie denn ein Angsthase, der sich von seiner besten Freundin einschüchtern ließ? Niemals!

Tenten atmete tief durch und lief zu dem Container hinüber. Vielleicht war es ein verletzter Hund und brauchte Hilfe, oder ihre Augen hatten ihr nur einen Streich gespielt. Auf jeden Fall war sie kein Feigling, und das konnte sie sich am besten beweisen, wenn sie nachschauen ging.

Tenten holte abermals Luft und lugte um die kurze Seite des Containers. Sie sah nichts außer noch mehr Müll, doch dann bemerkte sie den Raum zwischen Mauer und Container. Es wurde ihr doch etwas unheimlich und sie musste daran denken, wie dort plötzlich etwas herausgesprungen kommen könnte. Vielleicht war der Hund auch krank oder infiziert? Vielleicht tollwütig und gefährlich?

„Kein Feigling …“, flüsterte Tenten.

Sie stellte ihre Schultasche ab und hielt sich am Müllcontainer fest, ehe sie vorsichtig dahinter spähte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als dort nichts außer noch mehr Dreck war, und beruhigt drehte sie sich um und griff nach ihrer Tasche.

„Gott!“, stieß sie aus, als plötzlich jemand vor ihr stand und sich ebenfalls am Container festhielt. Tentens Augen wurden groß, als sie merkte wie bleich der Fremde aussah. Er mochte höchstens ein paar Jahre älter sein als sie, aber seine Haut war fahl und matt, als würde er schon ein alter Greis sein.

„Gott, geht’s dir gut?“, fragte Tenten den Jungen, der sich krampfhaft festhalten musste und zu zittern begann. „Hey, brauchst du einen Krankenwagen?“

„Durst …“, kam es hauchend zurück, und als der Junge einen Schritt nach vorne machte, ging Tenten instinktiv zurück. „Ich hab … durst.“

„Ähm … ich hab Wasser da, aber … nen Arzt wär wohl besser. Du siehst wirklich … krass schlecht aus.“

„Nur durst …“, flüsterte der dunkelhaarige mit der hellen Haut heiser, und er wollte schon einen weiteren Schritt auf Tenten zugehen, als seine Beine nachgaben und er zu Boden sackte.

„Mist, hey was machst du denn?“ Tenten kniete sich zu dem Jungen, doch war er viel zu kraftlos um wieder aufzustehen. Mühevoll hievte ihn das Mädchen hoch und versuchte ihn stützend festzuhalten. Er war jedoch viel größer als sie und trotz seiner schlanken Erscheinung zu schwer, als dass sie ihn weit bringen konnte.

„Ich ruf Hilfe, okay?“, sagte sie hektisch, obwohl sie versuchte Ruhe zu bewahren. „Das wird schon.“ Sie wählte die Notrufnummer, doch im gleichen Moment blinkte ihr Akku auf.

„Mist!“ Tenten drückte ihr Handy wieder an, doch ging es auch gleich wieder aus. „Das darf doch nicht wahr sein!“

„Durst …“, hörte sie den Jungen an ihrer Seite sagen, und entschuldigend blickte sie ihn an.

„Kannst du nen … bisschen laufen? Meine Freundin wohnt gleich in der Nähe, das geht vielleicht am schnellsten. Oder willst du hier warten und ich geh Hilfe holen?“

„Freundin …“, flüsterte der Dunkelhaarige und zwang sich zu einem dankbaren Lächeln.

Tenten nickte nur, doch irgendwie machte ihr dieses Lächeln mehr Angst, als sie es erwartet hatte. Es jagte ihr einen Schauer über, auch wenn sie es sich nicht erklären konnte.

„Gut“, sagte sie und stützte den Jungen so gut sie konnte. „Wir machen langsam. Sag, wenn’s nicht geht. Ist aber nicht weit. Na los …“

Und dann nahm sie den Jungen mit, ohne auf das beklemmende Gefühl zu hören.

Das Gefühl, Angst zu haben.

Angst vor etwas Unbestimmten …

Unwillkommener Besuch

Sakura hatte schon im Gefühl, dass etwas nicht stimmte, als sie bei Tagesanbruch nach Hause kam. Sie mochte diese Art von Vorsehung nicht, doch als etwas anderes konnte sie es nicht bezeichnen.

Sie hatte dieses ungute Gefühl, und im Laufe des Tages würde ein scheußliches Ereignis eintreten.

So war es eigentlich immer gewesen, und schon das seit fast 280 Jahren.

Gut, nicht immer waren diese scheußlichen Begebenheiten auch wirklich scheußlich. Einmal hatte Sakura mit dem Schlimmsten gerechnet, und am Ende war es nur eine Mahnung für die Wohnung gewesen. Ein andermal dagegen wäre sie fast von einer Gruppe Aniuka getötet worden.

Aniuka waren finstere Kreaturen, die nur in der Nacht auftauchten. Sie mochten zwar von geringer Größe sein, doch waren sie selten allein anzutreffen und äußerst aggressiv. Sie bevorzugten das Blut von Kindern, aber wenn ihnen jemand in die Quere kam, jagten sie auch dem hinterher. Und Sakura war – wenn auch unbewusst – eines nachts in ein Aniuka Revier gedrungen. Es war wirklich knapp gewesen, und seitdem war Sakura noch vorsichtiger, wenn sie selbst trinken musste.

Mittlerweile schaffte es Sakura jedoch, lange ohne Blut auszuhalten. Während die reinen Vampire, die stolz auf ihre Rasse waren, jeden Tag mindestens drei Liter tranken, begnügte sich Sakura einmal die Woche mit Tierblut. Früher hatte sie es öfter benötigt, da sie nur sehr selten Menschenblut trinken wollte, aber nach hundert Jahren war sie soweit gewesen, es länger durchzuhalten. Heute brauchte sie im Monat vielleicht zwei oder dreimal etwas menschliches Blut, und immer war sie darauf bedacht, nicht zu viel zu trinken. Sie mochte die Menschen, immerhin war sie vor langer Zeit selbst einer gewesen, und eine menschliche Freundin besaß sie auch – deswegen gab es für Sakura auch nichts schlimmeres, als alle zwei Wochen weiter wegzufahren und irgendwo einen armen Unwissenden zu überfallen.

Früher war es anders gewesen, und es war selten, dass sich Sakura erlaubte, daran zurückzudenken. Jetzt, wo sie so wenig trank, war sie schwach und kaum stärker als ein begabter Mensch. Damals aber war sie ein gänzlich anderer Vampir gewesen, und die Erinnerungen machten ihr mehr Angst, als es irgendetwas anderes vermochte.

Die Erinnerung an ihre Vergangenheit war Sakuras wundester Punkt. Und bis zum heutigen Tag fürchtete sie sich, jemals wieder ein solches Monster zu werden.

Doch Sakura war guter Dinge. Seit bald einem Jahrhundert war sie nur noch eine geringe Gefahr für andere, und ihrem Drang zu töten hatte sie fast vollständig überwunden. Die Sonne machte ihr nichts mehr, und sie aß sogar menschliche Nahrung. Dass sie im Gegenzug ihre Stärke eingebüßt hatte, die übernatürlichen Wahrnehmungen und ihre Schnelligkeit – all das machte ihr nichts. Sie hatte nie eine Wesen der Nacht sein wollen, und nun war sie den Menschen näher als je zuvor. Seit langer Zeit fühlte sie sich nicht mehr allein.

Sakura wusste, dass sie das in erster Linie dem braunhaarigen Mädchen verdankte. Tenten war ihr eine Freundin geworden, der sie sich zwar niemals anvertrauen konnte, die aber dennoch immer ein offenes Ohr hatte und sie zum Lachen brachte. Sie unternahmen Dinge zusammen, als wären sie normale Freunde in einer normalen Welt. Tenten hatte keine Ahnung von Vampiren, und wenn Sakura mit ihr zusammen war, dann vergaß auch sie für eine kleine Weile, dass es nicht nur Böses gab.

Es war diese kleine Weile, die ihr die Menschlichkeit zurückgab, die sie vor über zwei Jahrhunderten verloren hatte.
 

Am späten Nachmittag fühlte sich Sakura besser, wie noch am Morgen. In der letzten Nacht war sie in ein entferntes Dorf gefahren, denn sie hatte Menschenblut benötigt, das sie aus dieser Gegend nicht nehmen wollte. Trotz ihrer Abneigung war das Gefühl berauschend gewesen, und den ganzen Morgen hatte Sakura damit verbracht, ihre Empfindungen zu unterdrücken und wieder ruhiger zu werden. In den Stunden nach dem Trinken war sie gefährlicher als sonst, weswegen sie auch Tenten an solchen Tagen nicht sehen wollte. Die Angst, ihrer menschlichen Freundin wehzutun, war zu groß. Tenten war verwundbar, und selbst für eine geschwächte Sakura zu keiner Zeit ein Gegner.

Darum mied sie es, Tenten an diesen Tagen zu begegnen und überhaupt nach draußen unter Menschen zu gehen. Stattdessen blieb sie in ihrer Wohnung und beschäftigte sich mit nachdenken. Sie hörte auch gerne Musik, aber nie die, die Tenten hörte. Die war ihr zu düster, und Sakura brauchte in dieser Zeit keine Musik, die sie noch aggressiver werden ließ. Sie bevorzugte ruhige und gemächliche Melodien, auch wenn ihre Freundin sie dafür gerne als in die Jahre gekommen bezeichnete.

Sakura war froh, dass Tenten keine Ahnung hatte …

Und sie würde alles tun, damit es dabei blieb.
 

Sakura hörte gerade die zweite CD ihrer Klassiksammlung, als es an der Tür klopfte, bevor auch das schrille Läuten der Klingel ertönte. Es waren Augenblicke wie diese, in denen sie ihre alten Wahrnehmungen vermisste, doch brauchte Sakura dennoch keine zwei Sekunden um im Flur zu sein und zu wissen, dass Tenten vor ihrer Wohnung stand.

Verdammt …

Sie spähte durch den Türspion und sah entsetzt, dass ihre Freundin nicht alleine war. Noch im gleichen Moment riss sie Tür auf und blickte Tenten erschrocken an.

„Wer ist das?“, sagte sie irritiert. „Was ist los, Tenten?“

„Hilfst du mir mal?“, bat die Freundin und machte ein entschuldigendes Gesicht. „Ich glaub, er hat sein Bewusstsein verloren. Er war draußen auf dem Makashi Gelände, und als ich einen Notarzt rufen wollte war mein Akku leer und … Tut mir leid, Saku!“

Sakura versuchte ihre Wut zu unterdrücken, weil Tenten doch zu ihr gekommen war und machte einen Schritt nach draußen, ehe sie den fremden Jungen packte. Tentens Sicherheit wäre ihr eigentlich wichtiger als das Wohlbefinden anderer, doch käme es seltsam, wenn sie die beiden weggeschickt hätte.

Dann jedoch bemerkte Sakura etwas anderes. Entsetzt weiteten sich ihre Augen und sie hielt mitten in ihrer Bewegung inne.

„Saku? Alles okay?“, hörte sie Tenten fragen, doch nahm sie ihre Stimme nur verschleiert war. Stattdessen sah sie den Jungen an und wusste noch in der gleichen Sekunde, dass dies kein Junge war …

„Ähm, ja …“, zwang sich Sakura zu antworten. „Na dann kommt rein“, sagte sie unwohl und trug den Fremden fast ohne Tentens Hilfe ins Wohnzimmer.

„Ich ruf gleich einen Arzt, oder?“, fragte Tenten und wollte schon zum Telefon, als Sakura sie aufhielt.

„Ich glaube, der ist gleich wieder auf den Beinen. Mach dir keine Sorgen.“ Sakura lächelte aufmunternd und versteckte damit ihre Angst. „Aber du könntest in die Apotheke laufen und dem Apotheker sagen, dass wie hier einen Fall von Überanstrengung haben. Lass dir am besten was mitgeben.“

„Meinst du wirklich? Aber ist das nicht gefährlich, wenn er sein Bewusstsein …“

„Der schläft nur, Tenten. Sein Puls ist normal und seine Atmung auch. Ich hol ihm was zu essen, und du gehst schnell in die Apotheke, okay?“

Tenten nickte und stellte ihren Rucksack in die Ecke des Wohnzimmers. „Okay, ich beeil mich. Bis gleich!“

Sakura wartete bis Tenten die Tür geschlossen hatte, ehe sie von dem Jungen weg sprang und ihn vernichtend ansah. „Mach deine Augen auf und verkauf mich nicht für blöd!“

Fast gleichzeitig öffneten sich die Augen des Dunkelhaarigen und sahen Sakura in einem Gemisch aus Belustigung und Zorn an. „Ich habe einen … normalen Puls, ja? Und eine … Atmung?“ Der Fremde hatte Mühe beim Sprechen, doch konnte er sich auf der Couch aufrichten. Matt ließ er sich jedoch gegen die Lehne fallen und schloss dabei die Augen. „Hör auf mich anzustarren. Ich konnte nicht ahnen, dass sie mich zu einem anderen Vampir bringt.“ Der Junge kreiste den Kopf und leise knackten dabei seine Knochen. „Ich dachte, ich hätte Glück und könnte mir etwas mehr genehmigen. Dass sie die Freundin eines Vampirs ist, habe ich nicht erwartet. Es kommt auch nicht häufig vor …“

„Es kommt auch nicht häufig vor, dass Vampire in der Sonne spazieren und sich von Menschen durch die Gegend tragen lassen! Also kümmere dich um deine Angelegenheiten und verschwinde jetzt!“, zischte Sakura ungehalten.

„Könnte ich, würde ich das tun“, meinte der Fremde. „Das Problem ist, dass es Gründe hatte, mich von dem Mädchen herbringen zu lassen … Du hast nicht zufällig einen Menschen in der Vorratskammer? Ich bin etwas durstig.“

„Nein, habe ich nicht!“ Sakura konnte die Wut kaum kontrollieren, die sie befiel. „Du wirst also durstig nach Hause gehen müssen!“

„Das Mädchen müsste mich nach Hause tragen. Sakura? War das dein Name?“

„Rührst du sie an, bist du tot!“, fauchte Sakura und entblößte dabei ihre Zähne, die unmerklich schärfer als menschliche Zähne waren.

„Dann bin ich tot?“ Der Fremde lachte leise. „Weißt du eigentlich, wer ich bin?“

Nun war es Sakura, die lächelte und dabei ganz anders aussah, als Tenten sie je zu Gesicht bekommen hatte.

„Sicher weiß ich das“, sagte Sakura spöttisch. „Ein großer Uchiha. Unverkennbarer Geruch. Nur dein Verhalten …“ Sakura schüttelte den Kopf. „Du hältst nicht viel von Regeln, oder? Keine Aufmerksamkeit erregen, hmm? Aber in der Sonne spazieren und am Tage Mädchen auflauern und sich mit in die Wohnung bringen lassen … Sind wohl deine wilden Jahre. Ein kleiner Rebell vielleicht?“

„Sehr vorlaut“, gab der Junge zurück, und sein Lächeln wurde immer gefährlicher. „Fühlst du dich wohl sehr sicher, was?“

Sakura zuckte mit den Schultern und setzte sich auf den Sessel gegenüber der Couch. „Warum verstößt du gegen die Regeln? Spekulierst du auf Nachsehen über deine Fehler, weil du einer der ganz großen bist?“ Der Hohn wich nicht aus Sakuras Stimme und leicht beugte sie sich nach vorne.

„Warum sollte ich dir das sagen?“

„Weil deine Antwort entscheidet, was als nächstes geschehen wird, Uchiha.“

„Tut sie das, ja?“ Der Junge lehnte sich ebenfalls nach vorne und sah Sakura prüfend an. „Du riechst nach frischem Blut. Lass mich trinken, und ich verschwinde …“

Sakura lachte ruckartig auf. „Du verhältst dich wirklich sehr seltsam, Uchiha. Das Blut anderer Vampire zu trinken ist verboten.“

„Du bist nicht gleichrangig, also wem interessiert’s? Und du möchtest doch, dass ich verschwinde, oder nicht?“

Sakura lächelte verkrampft, ehe sie den Jungen herausfordernd ansah. „Das Blut eines anderen Vampirs zu trinken ist nicht nur verpönt, sondern auch gefährlich. Es ist unrein, Uchiha. Und es ist kaum noch wertvoll für dich. Was mein Körper brauchte, hat er sich längst aus dem Blut genommen. Du scheinst mir sehr unerfahren. Sei nicht auch noch dumm.“

„Red keinen Quatsch und gib mir dein Blut! Ich kann mir auch das von dem Mädchen nehmen, klar?“

„Klar ist nur, dass du im Moment nicht einmal alleine aufstehen kannst.“ Sakura schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme. „Und warum sollte ich dir trauen? Du nimmst mein Blut, und danach fällst du über Tenten her.“

„Tu ich nicht, aber jetzt gib mir dein Blut!“

„Du wirst immer schwächer, nicht wahr?“ Sakura lächelte bösartig, doch dann stand sie auf und blieb vor dem dunkelhaarigen Jungen stehen. Sie lehnte sich plötzlich zu ihm hinunter und drückte ihn grob gegen die Lehne. „Dein Wort, dass du nie wieder in dieser Gegend auftauchst!“

„Meinetwegen … jetzt mach!“

Sakura schnaubte verächtlich, doch dann beugte sie sich über den Jungen und wartete auf den Schmerz. Sie zuckte leicht, als er ihr unbeherrscht in den Hals biss und sich dabei fest an sie drückte. Mit jedem Schluck merkte sie, wie seine Kraft zunahm, doch sie war überrascht, als er von selbst aufhörte.

„Satt?“, fragte sie mit einem angewiderten Grinsen, dass ihre Furcht unterdrücken sollte. Der Uchiha hatte genug getrunken, um sich regenerieren zu können.

Genug, um stärker als sie zu sein …

„Du hast vorher nicht viel getrunken, oder?“ Er schob Sakura zur Seite und stand auf. Dass er dabei erleichtert war, konnte sie in seinem Gesicht lesen. „Wird reichen müssen. Deine Freundin kommt gleich zurück. Sie ist schon unten an der Tür.“

„Hmm“, machte Sakura nur und sah den Jungen bedeutungsvoll an. „Dann ist es Zeit für dich zu verschwinden.“

„Später. Wenn ich jetzt gehe, raubt mir die Sonne wieder meine Kräfte.“

„Vergiss es!“, zischte Sakura sofort. „Du hast mir dein Wort gegeben!“

„Ich verschwinde, sobald die Sonne untergegangen ist. Solange … bleibe ich dort und ruhe mich aus.“ Er nickte in die Richtung, in der Sakuras Schlafzimmer lag. „Und ich heiße Yuichi, also nenn mich nicht immer Uchiha.“

„Das kannst du …“ Sakura drehte sich ruckartig um, als es an der Tür klingelte. Doch als sie zurück zu dem Jungen sehen wollte, war er schon verschwunden. „Verdammt“, murmelte sie in sich hinein, ehe sie Tenten öffnen ging.

Soviel zu ihrem unguten Gefühl am Morgen …

Yuichis Ehrlichkeit

Die Abenddämmerung setzte schon ein, als Sakura Tenten nach Hause schickte und sie mit hinunter auf die Straße begleitete. Die ganze Zeit über hatte Sakura es nicht übers Herz gebracht Tenten rauszuschmeißen, auch wenn die Gefahr in ihrer Wohnung am größten war. Sie war jedoch nicht mehr von ihr ausgegangen, denn Sakura fühlte sich wie vor dem Trinken gestern Nacht: ermattet und ausgelaugt.

Aber Yuichi hatte Wort gehalten, und Sakura hoffte, dass er auch bald verschwinden würde. Tenten hatte ihn nicht bemerkt, auch wenn Sakura jede Sekunde damit gerechnet hatte, dass er aus ihrem Schlafzimmer kommen und über ihre Freundin herfallen würde.

Doch auch das hatte er nicht getan, und Sakura war ein Stein vom Herzen gefallen, als Tenten sich endlich zum Gehen überreden ließ.

„Das ist aber echt so was von unnötig!“, sagte die Brünette und holte Sakura damit aus den Gedanken. „Weißt du, die paar Straßen hätte ich auch laufen können! Jetzt geben wir teures Geld für ein Taxi aus, und das nur, weil du ein Schisshase bist! Mir macht es nichts im Dunkeln nach Hause zu laufen.“

„Weiß ich ja“, sagte Sakura lächelnd. „Aber mir macht es auch nichts, dir das Taxi zu bezahlen. Also beschwer dich nicht.“

„Du siehst doch aber ein wie affig das ist, oder?“

Sakura schüttelte grinsend den Kopf. „Ich finde es nicht affig. In Tokio mag es nicht vor Kriminalität wimmeln, aber man weiß nie, Tenten. Außerdem kommst du sonst bloß wieder auf die Idee, durch das Fabrikgelände zu gehen.“

„Jetzt hör doch damit mal auf!“, gab Tenten protestierend zurück. „Aber dieser Kerl war wirklich komisch, oder? Ich meine, dass der dann einfach abgehauen ist ohne sich zu bedanken … Echt total unverschämt!“

„Mach dir mal keine Gedanken. Und tu mir den Gefallen, nie wieder irgendwen mitzunehmen, ja? Genauso gut hätte er auch ein Verbrecher sein können …“

Tenten kicherte und winkte ab. „Also wirklich Saku, der konnte doch nicht mal mehr laufen! Und man lässt keinen liegen, schon vergessen?“

Sakura zuckte nur mit den Schultern. „Trotzdem, mach das nicht noch mal. Achte darauf, dass dein Handy geladen ist und wenn so was passiert, ruf mich gleich an, okay?“

„Klar, und du rettest mich dann vor dem bösen geschwächten Jungkriminellen! Ich kann die noch eher nieder boxen als du! Im Gegensatz zu dir hab ich nämlich Muskeln!“

Nun war es Sakura, die leise kicherte. „Gut, du hast Muskeln. Ruf trotzdem an. Ah, da kommt das Taxi …“

„Ay ay, Käptain“, sagte Tenten salutierend. „Aber du bist echt schlimm, und dabei bist du nicht mal meine Mum.“

„Ja, sei froh, dass ich das nicht bin. Und jetzt komm gut nach Hause. Ich hol dich morgen früh ab, damit wir zusammen zur Schule gehen können.“

Tenten seufzte. „Du solltest wirklich weniger Horrorfilme gucken, weiß du? Du siehst echt hinter jeder Ecke nen Bösen. Wie alt du bist, hä?“

„Was soll die Frage?“, sagte Sakura und beäugte den Fahrer des Taxis, als könne auch er ein Straftäter sein. „Ich bin 16.“

„Ja, und du benimmst dich wie eine alte Oma!“

„Vielen dank“, sagte Sakura, grinste und schob Tenten in den Wagen. „Bis morgen. Ich bin pünktlich.“

Tenten nickte nur, und als der Wagen wegfuhr, ließ Sakura schlapp die Schultern hängen. Das sie morgen zur Schule gehen würde passte ihr eigentlich gar nicht, denn sie musste unbedingt trinken, doch irgendwie ließ das ungute Gefühl nicht nach.

Sie schüttelte sich leicht und ging zurück in ihre Wohnung. Unsicher, was jetzt geschehen würde …
 

Sakura hatte gehofft, dass der junge Vampir verschwunden war, doch als sie ins Wohnzimmer kam, saß er grinsend vor ihrem Fernseher und schaltete durch die Programme.

„Wolltest du nicht gehen?“, sagte sie deutlich und setzte sich achtsam in den Sessel.

„Gleich“, gab Yuichi zurück ohne vom Bildschirm wegzusehen. „Du hattest Angst, dass ich dem Mädchen nachgehe, oder? Wegen dem Taxi, mein ich.“

„Hattest du das vor?“, fragte Sakura argwöhnisch.

Yuichi schüttelte den Kopf. „Nein. Ich fand sie eigentlich ganz nett. Für einen Menschen. Bisschen komisch. Die hat viel geredet.“

„Ich möchte, dass du jetzt gehst, Uchiha. Ich habe kein Interesse an einem Gespräch mit dir.“

„Merk ich schon. Und sag nicht Uchiha!“

Sakura rutschte unruhig auf dem Sessel hin und her, doch dann seufzte sie genervt. „Gut, Yuichi. Dann sag mir bitte, was das hier wird? Warum verschwindest du nicht endlich?“

„Mach ich doch gleich. Ey, das ist lustig!“ Der Junge zeigte mit der Fernbedienung auf die Talkshow. „Menschen sind echt bescheuert, oder? Was findest du an denen, dass du dich mit ihnen abgibst?“

„Menschlichkeit“, antwortete Sakura trocken und blickte selbst zum Bildschirm.

„Aber wozu? Du bist kein Mensch mehr!“ Yuichi schaltete abrupt den Fernseher aus und sah Sakura schon fast erbost an. „Das ist doch Schwachsinn!“

Sakura lächelte matt. „Ich war einmal ein Mensch, Yuichi. Ich … erinnere mich daran, dass ich einmal ein Mensch war. Ich versuche nichts anderes, als diese Erinnerung zu bewahren.“

„Das ist lächerlich. So was sagt kein normaler Vampir!“ Yuichi schüttelte sich, sprang in einer schnellen Bewegung auf und stellte sich vor das Fenster. „Ich wurde als Vampir geboren. Ich war schon immer einer, und das ist das Beste!“

Sakura legte den Kopf schief und blickte Yuichi durch die Spiegelung des Fensters an. „Wann wurdest du geboren?“, fragte sie, obwohl sich alles in ihr gegen ein Gespräch sträubte.

Nur ihr Interesse nicht, und ein zweifelhaftes Gefühl von Mitleid.

Yuichi zuckte mit den Schultern, und als er sich wieder umwandte, stand er schon im nächsten Moment vor ihr. Wütend schaute er auf sie hinunter, doch dann machte er ein nachdenkliches Gesicht und ließ sich einfach auf dem Boden vor ihren Füßen fallen. „Ich bin so alt wie du tust, dass du es bist.“

„Sechzehn? Und man belauscht keine fremden Gespräche!“

„Klar. Und wie alt bist du wirklich?“

„Warum sollte ich dir das sagen?“, fragte Sakura gereizt. Es machte sie nervös, dass sich der junge Vampir so seltsam aufführte.

Wie ein Kind.

Ein Kind, das er eigentlich auch war.

„Ich hab's dir doch auch gesagt!“

Sakura kam nicht drumherum leicht zu grinsen. „Gut, ich bin dieses Jahr zweihundertneunundsiebzig geworden. Etwas älter also.“

„So alt? Wow!“, entfuhr es Yuichi und ließ den Mund offen, als Sakura ihn beleidigt ansah. „Ich meine, du bist älter als meine Brüder! Und sogar noch älter als meine Mutter!“

„Nett“, sagte Sakura bissig. „Aber langsam könntest du mal zu deiner Familie zurück, hmm? Es ist spät, und kleine Kinder sollten nicht unartig sein.“

Wie konnte er sie alt nennen??

„Gleich, aber sag mal … dann wurdest du verwandelt?“

„Ja“, knurrte Sakura. „Es ist doch langsam genug geredet.“

„Erinnerst du dich noch daran?“, hakte Yuichi einfach nach, ohne auf Sakura einzugehen. „Oh, sag's schon!“

„Nein, tue ich nicht! Ich erinnere mich aber an dein Wort!“

„Schade“, nuschelte der Junge nur. „Meine Mutter wurde auch verwandelt, und sie erinnert sich auch nicht. Dabei wollt ich gerne mal wissen, wie das ist. Aber keiner weiß irgendwas dazu zu sagen.“

„Die wenigsten erinnern sich an diese Sache, Yuichi. Warum interessiert dich das überhaupt?“

Der junge Vampir zuckte mit den Schultern. „Nur so vermutlich. Erinnerst du dich noch, ob es wehtat?“

„Ich sagte doch, dass ich es nicht mehr weiß!“ Sakura blieb ungehalten, obwohl es ihr eigentlich Leid tat. Nach vielen Jahren war Yuichi der erste Vampir, mit dem sie ohne Aggression und Wut sprach. Sie seufzte leicht und lehnte sich mürrisch nach hinten. „Aber ich denke, ja.“

„Hast du schon mal einen Menschen verwandelt?“

Sakura schüttelte den Kopf. „Soll ich dir was verraten? Ich mag die Menschen, Yuichi. Ich tötete sie nicht, und ich möchte sie auch nicht verwandeln. So einfach ist das bei mir. Ich halte nicht viel von dem, was andere tun. Von den unnötigen Morden, verstehst du? Und soll ich dir noch was sagen? Ich stehe dazu! Weil ich mal ein Mensch war, und weil … weil ich nie … das hier sein wollte.“

Sakura machte ein wütendes Gesicht, denn sie erwartete, dass Yuichi sie für diesen Ausbruch entweder anspringen oder auslachen würde. Doch stattdessen blickte er sie verwundert an, ehe er sich rücklings zu Boden fallen ließ.

„Ich auch nicht“, sagte er so unerwartet, dass Sakura glaubte sich verhört zu haben. „Ich hab nen Kumpel, weiß du? Nen Menschen. Der ist cool. Er weiß, was ich bin, und er nimmt’s einfach hin. Und die meiste Zeit über tun wir so, als wäre auch ich wie er. Spielen dann Fußball oder raufen uns. Ich meine, ich gewinne zwar eigentlich immer, aber manchmal tue ich auch so, als hätte er mich besiegt.“

Sakura musste sich nach vorne lehnen, um in das Gesicht des Jungen nach der Lüge zu suchen. Doch sie sah nur Ehrlichkeit, und aus irgendeinem Grund jagte es ihr einen Schauer über den Rücken.

„Du solltest nach Hause gehen“, sagte sie rau. „Und du solltest …“

„Es keinem sagen?“, Yuichi setzte sich aufrecht und verschränkte die Arme. „Mein Bruder weiß es. Seit ein paar Tagen. Hat auch herausgefunden, dass ich die Menschen nicht bis zum Tod aussaugen möchte, auch wenn es nicht klappen will. Und er hat auch … ich hab's mal mit Tierblut versucht, weißt du? Es … naja es ging.“

„Dein Bruder weiß das?“ Sakura fühlte sich augenblicklich beobachtet. „Was hat er gesagt?“

Yuichi zog wie ein kleiner Junge die Lippen kraus und blickte mürrisch zum Fenster hinüber. „Der sagt nie viel. Mein anderer Bruder hätte es vielleicht noch verstanden, aber Sasuke sieht es als Entehrung der Familie. Aber er hat's Vater nicht erzählt, das ist … vermutlich gut gewesen. Dafür hat er mich aber fast verdursten lassen und heute Morgen mitten in der Stadt ausgesetzt. Er meinte, ich müsste wieder zur Vernunft kommen …“

„Ist er in der Nähe?“, fragte Sakura erschrocken.

Das klang gar nicht gut!

„Naja, weiß nicht. Aber ich denke mal, er ist zurückgegangen. Der mag Tokio nicht so, weil’s ihm zu sehr stinkt.“

Sakura nickte. Dies war auch der Grund, warum sie hierher gezogen war. Die empfindlichen Sinne der Vampire hielten nicht viel von einer Großstadt. Ihre aber waren geschwächt, und so hatte sie hier die meiste Ruhe vor anderen.

„Ich sollte trotzdem gehen. Wäre echt schade, wenn er auftaucht und dir die Wohnung zertrümmert, weil er auf mich wütend ist.“ Yuichi grinste und Sakura wusste genau, dass er ihre Wohnung nur als Symbol für Sakura selbst nahm.

Als Yuichi aufstand und in den Flur ging, biss sich Sakura auf die Lippen. Dann stand sie selbst auf und folgte ihm.

„He, Yuichi“, sagte sie und räusperte sich. „Ich freu mich selten über jemanden wie dich, aber … du bist ganz okay.“

„Dann darf ich dich mal besuchen?“, wollte der Junge gleich aufgeregt wissen.

„Nein“, sagte Sakura schlicht. „Aber gefreut hat es mich trotzdem.“

„Hm, mich auch. Und du bist noch komischer als ich, das ist cool! Und alt, man ey!“

„Ja, jetzt … geh lieber, okay? Und Yuichi?“ Sakura schüttelte den Kopf, doch dann grinste sie. „Behalte die Freundschaft mit dem Menschen aufrecht. So etwas … lässt hoffen.“

„Hoffen? Auf was?“

Nun musste Sakura doch grinsen. „Dass es irgendwann mehr wie uns gibt. Vampire, die nicht nur töten müssen.“

„Hmm“, machte Yuichi nur, doch grinste auch er. „Man sieht sich!“, rief er, bevor er auch schon verschwunden war.

„Wag es dir nicht“, sagte Sakura brummig ins Nichts.

„Und pass gut auf dich auf.“, flüsterte sie leise hinterher.

Eiserne Sturheit

Es war für Sakura nicht einfach, den jungen Yuichi zu vergessen. Die ganze restliche Woche plagte sie sich mit ihren Gedanken, und sie erwischte sich mehr als einmal dabei, wie sie sich sogar um ihn sorgte.

„Du bist ja noch gesprächiger als sonst“, beschwerte sich Tenten irgendwann im Biologieunterricht. „Ist irgendwas?“

„Nein, nur müde“, gab Sakura zur Antwort und machte Tenten auf den Unterricht aufmerksam zu, ehe sie wieder in ihre Gedanken abdriften konnte.

Die kommende Woche begann mit einem unangekündigten Test. Tenten fiel so aus den Wolken, dass Sakura neben ihr Mühe hatte, sie vom Weinen abzuhalten.

„Das wird schon“, flüsterte sie ihr aufmunternd zu, doch am Ende der Stunde war sie sich sicher, dass es nichts geworden war.

„Meine Eltern rasten aus, Saku!“, sagte Tenten, als sie zusammen mit ihrer Freundin auf der Schulwiese saß. „Und die haben gesagt, dass ich den Urlaub vergessen kann, wenn ich in Mathe `ne vier auf dem Zeugnis bekomme!“

„So schlimm wird es schon nicht“, besänftigte Sakura und atmete innerlich auf. Sie hatte Tenten versprochen gehabt in den Sommerferien nächsten Monat ans Meer zu fahren. Tentens Eltern hatten es erlaubt, da sie Sakura für sehr verantwortungsvoll hielten, doch Sakura hatte eigentlich gehofft, dass sie es nicht taten.

Die Sonne am Meer schaffte sogar sie, und bis heute konnte sie nicht sagen, wie Tenten sie hatte überreden können. Allerdings hatte sie Tentens Ergebnisse gesehen, und da ihr die Sicherheit ihrer Freundin wichtiger war als eine knappe drei in Mathe, hatte sie ihr auch nicht geholfen. Im Moment fühlte Sakura die Gefahr hinter jeder Ecke, und außerhalb der Großstadt war sie ohnehin größer.

Es war besser, wenn sie dieses Jahr nicht dorthin fuhren. Und es gab noch genügend Gelegenheiten, in denen man verreisen konnte.

„Du musst mit ihnen reden!“, hörte Sakura Tenten plötzlich aufgeregt sagen. „Auf dich hören sie! Wenn du ihnen erklärst, dass ich gar nichts dafür konnte …“

„Tenten, wirklich, dass kann ich nicht tun. Zumal es eine Lüge wäre, oder? Lügen ist eine sehr schlechte Angewohnheit.“

„Ach nun komm schon! Hast du noch nie gelogen?“

Sakura lächelte überzeugend, auch wenn sie innerlich zusammenfuhr. Alles was sie anging, war eine Lüge …

Und vielleicht sogar ihre Freundschaft zu Tenten, die nicht auf der aufrichtigen Wahrheit basierte.

„Mannnooo“, seufzte Tenten und ließ sich auf den Rücken fallen. Sie streckte sich ausgiebig, um im nächsten Moment wieder aufzuschrecken und gleichfalls rot anzulaufen.

„Sieh mal“, quiekte sie leise. „Da ist Neji!“ Tenten zupfte quirlig in ihren Haaren und rückte die rote Strähne zurecht, die ihr zuvor ins Gesicht gefallen war. „Oh er ist einfach cool!“

Eine ganze Weile beobachtete sie den Schüler, der schon im Abschlussjahr war und zusammen mit seinen Freunden unter dem gewaltigen Kirschbaum stand. Dann, als er sich plötzlich umdrehte und Tentens Blick erwiderte, keuchte das Mädchen erschrocken auf und griff Sakuras Hand.

„Gott!“, stieß sie unhörbar aus. „Gott, Saku was macht er grade?“

„Er steckt die Hände in die Hosentaschen“, sagte Sakura amüsiert. Sie wusste, dass Tenten in den älteren Jungen vernarrt war, denn eigentlich war es immer das gleiche. Sobald Neji in Tentens Richtung sah, vergrub sie sich hinter Sakura, wie hinter einer unüberschaubaren Wand.

„Und was macht er jetzt?“

„Jetzt nimmt er seine rechte Hand und holt sie aus der Tasche. Er steckt sich einen Kaugummi in den Mund.“

„Und weiter?“

Sakura zuckte mit den Schultern. „Frag du ihn doch.“

„Wieso? Was macht er, Saku!“

„Er steht in fünf Sekunden vor uns …“

„Wie?“ Tenten schoss in die Höhe und riss die Augen auf, als Neji tatsächlich zu ihnen kam. Er schlenderte dabei so lässig über den Schulhof, dass Tenten glaubte ohnmächtig zu werden.

„Hey“, sagte er dann, als er vor ihnen hielt und in die Knie ging. „Diesen Samstag steigt `ne Party im Kosomoto. Wollt ihr kommen?“

„Sicher“, sagte Sakura und lächelte freundlich. „Danke für die Einladung.“

„Kein Ding.“ Auch Neji ließ sich zu einem Grinsen bewegen, und kaum dass er sich wieder umdrehte, erwachte Tenten aus ihrer sprachlosen Starre.

„Du hast ja gesagt?“, flüsterte sie schrill. „Du hast gesagt, dass wir kommen?“

„Ich dachte du wolltest hin? Soll ich wieder absagen?“

„Nein!“, kreischte Tenten und fuhr sich über den Mund. „Ich meine, ich hätte nur nicht gedacht, dass du auch auf so eine Party willst“, flüsterte sie dann überrascht.

„Will ich auch nicht. Ihr seid mir …“ Sakura versuchte das richtige Wort zu finden. „Ziemlich dunkel drauf. Und diese Musik …“

„Und warum hast du dann zugesagt?“, unterbrach Tenten, die nicht schon wieder einen Vortrag über Ohrenschmerzen hören wollte.

„Weil du hin möchtest und ich dich als deine Anstandsdame begleite. Und als dein Übersetzer. Von Stotterei ins Japanische …“

„Wie bitte? Ich stottere gar nicht!“

„Nein, sobald Neji in der Nähe ist, kriegst du überhaupt nichts heraus. Ich werde also auch noch Gebärdensprache lernen müssen.“

„Bäh!“, machte Tenten, grinste dann aber breit. „Danke Saku, das ist lieb. Aber wenn du keine Lust hast …“

„Mach dir keinen Kopf, ein paar Stunden ertrage ich das Gerumpse schon. Ich bin Schlimmeres gewöhnt.“

Und damit war es beschlossen. Dieses Wochenende war eine Party angesagt.
 

Es war am Mittwochabend, als Sakura sich von Tenten und ihren Eltern verabschiedete. Sie war zum Essen eingeladen worden und hatte danach mit ihrer Freundin Mathe gelernt. Am Freitag war noch ein zweiter Test angekündigt und Tenten war voller Eifer, ihn diesmal zu bestehen.

„Bis morgen früh“, rief Sakura und winkte solange, bis sie die nächste Ecke erreichte. Eigentlich wäre sie morgen nicht zur Schule gegangen, da es für sie Zeit war, sich eine Mahlzeit zu gönnen, aber die momentane Unruhe in ihrem Innern wollte nicht vergehen. Sie wusste zwar, dass sie sich viel zu viel sorgen um Tenten machte, doch ließen sich diese negativen Gedanken nicht verbannen.

Auch nicht die Gedanken an den jungen Vampir.

Sakura ärgerte sich über sich selbst, als sie im schnellen Schritt nach Hause lief. Natürlich benutzte sie dabei die Abkürzung, doch war sie angespannter als sonst. Überhaupt war sie in letzter Zeit ständig angespannt, und so langsam fühlte sie sich auch gereizter. Das Auftauchen des jungen Uchiha hatte ihr deutlich gemacht, wie verwundbar alles war: Ihre Freundschaft zu Tenten, ihr Leben hier in Tokio, ja einfach alles. Für sehr lange Zeit hatte sie sich an nichts und niemanden gebunden, doch nun, wo sie es zugelassen hatte, wurde ihr nur immer deutlicher wie falsch es eigentlich war.

Sakura erreichte das Wohnhaus und stieg in den dritten Stock. Sie mochte ihr jetziges Dasein – zum ersten Mal seit ihrer Verdammnis glaubte sie endlich einen Ort gefunden zu haben, wohin sie gehörte - und umso furchtbarer war ihr der Gedanke, einfach alles zu verlieren.

Sie schloss seufzend die Tür auf, und noch in der gleichen Sekunde kam ihr der Geruch entgegen.

Es konnte alles schneller vorbei sein, als sie ahnte …
 

Sakura schloss hinter sich die Tür und legte die Wohnungsschlüssel auf die Kommode. Sie schaltete das Licht nicht an, als sie in ihre Hausschuhe schlüpfte und ins Wohnzimmer ging. Sie setzte sich in den Sessel, verschränkte die Arme vor der Brust und knurrte mürrisch.

„Du kannst das Licht anmachen. Ich weiß, dass du hier bist, Yuichi!“

„Echt?“ Die grelle Deckenleuchte ging augenblicklich an und fast gleichzeitig saß der junge Uchiha Sakura gegenüber. „Du bist jetzt bestimmt wütend, oder?“

„Ganz und gar nicht, Yuichi. Dass du mir auflauerst und meine Nerven strapazierst, ist mir eine willkommene Abwechslung in meinem sonst so langweiligen Leben …“

„Wirklich?“

„Nein“, sagte Sakura trocken und warf dem Jungen einen abfälligen Blick zu. „Was willst du hier? Hatte ich nicht klargestellt, dass ich meinen Frieden möchte?“

„Schon.“ Yuichi wirkte verlegen und er ließ seine Augen betreten zu Boden schweifen. „Ich wollte eigentlich nur … naja was fragen?“

„Dann frag nicht, ob du fragen darfst, sondern sag, was du willst!“

„Lernen …“ Yuichi hob sein Gesicht und grinste unsicher. „So wie du zu sein. Weißt du, ich hab dich beobachtet, und … Du hast seit über einer Woche nichts getrunken! Wie machst du das? Wie hältst du das aus? Und du rennst auch die ganze Zeit durch die Sonne, isst menschliche Lebensmittel und lebst unter denen, als würde dich ihr Geruch nicht wahnsinnig machen!“

Sakura brauchte einen Moment um zu begreifen, was der Junge eben gesagt hatte. „Du spinnst doch …“, meinte sie dann im rauen Ton, so dass sie sich räuspern musste. „Man, Yuichi … was redest du da? Das kann nicht dein Ernst sein!“

„Ist es aber!“ Der junge Uchiha sprang behände auf die Beine und nickte kräftig. „Du hast doch auch gesagt, dass es gut wäre, wenn es mehr Vampire gäbe, die nicht nur töten! Ich will auch … ich will auch dazu gehören, Sakura! Ich will das auch könne, so zu sein wie du!“ Yuichi wich einen Schritt zurück, als sich Sakura abrupt erhob.

„Du weißt ja gar nicht, was du da sagst!“, zischte sie bedrohlich. „So zu sein, wie ich … Geh nach Hause, Uchiha! Du bist, was du bist! Wenn du dich ändern willst, dann musst du das alleine tun!“

„Ich kann's aber nicht! Man, ich will ja, aber … ich pack es nicht alleine! Und zu Hause … da hilft mir niemand! Itachi ist nie da, und Sasuke würde mich für diese Idee vermutlich am Liebsten für die nächsten Jahrhunderte einsperren!“

„Das sind deine Probleme! Hast du eigentlich eine Ahnung, was du anrichtest? Was ist, wenn sie dir hier her folgen? Was, wenn sie wissen, dass du mir die ganzen letzte Woche nachspioniert hast? Ich riskier für dich nicht meine Existenz!“

„Ich bin vorsichtig, versprochen! Ich lass niemanden merken, wohin ich gehe! Darin bin ich gut, ehrlich!“

„Nein!“

„Du musst, Sakura! Bitte … Ich will nicht so werden wie mein Vater, und ich will auch nicht wie meine Brüder werden, oder irgendwer sonst! Ich will so sein … ich will so wie du sein und mit den Menschen leben. Ich will nicht ihr Feind sein!“

„Ich habe nein gesagt!“, fauchte Sakura stur. „Ich musste meinen Weg alleine gehen, und du wirst das auch tun müssen, Uchiha! Ich kann dir nicht helfen!“

„Doch nur ein paar … ein paar Kleinigkeiten! Zeig mir, wie man Menschen nicht töten muss, wenn man sie beißt. Wie ich dafür sorgen kann, dass sie sich nicht erinnern. Keiner sagt es mir, und ich hab … ich weiß nicht wie! Manchmal schaffe ich es durch Zufall, aber sonst …“

Sakura schnaubte verächtlich und ging hinüber zum Fenster. Sie sah hinunter auf die befahrene Straße und blickte dann in die Spiegelung des Wohnzimmers. Sie sah Yuichis flehende Augen, doch eisern schüttelte sie ihren Kopf.

„Es geht nicht. Ich kann dir nicht helfen, und ich werde meine Meinung nicht ändern. Versuch nicht zu sein wie ich, wenn du mit den Menschen leben willst. Das ist mein einziger Rat für dich. Versuche selbst einen Weg zu finden.“

Und als sie sich wieder umdrehte, war der junge Uchiha schon verschwunden.

Er bleibt hartnäckig

„Meinst du, ich kann so gehen?“ Tenten sah unsicher in den Spiegel, als sie vor ihrem Kleiderschrank stand und an sich herumzupfte. „Der Rock ist zu kurz, oder?“

„Ja“, sagte Sakura einfach. Sie lag auf dem Bett ihrer Freundin und zog ein missbilligendes Gesicht. „Und zwar viel zu kurz. Und dein Top …“

„Ah, vergiss es lieber, Saku … Ich denke, der Rock geht schon.“

„Das Top …“

„Ist auch okay.“ Tenten nickte ihrem Spiegelbild zu und prüfte das Make Up. Immer wenn sie ausgingen, fragte sie Sakura nach ihrer Meinung, und so langsam müsste sie eigentlich verstanden haben, dass es keinen wirklichen Sinn machte.

Tenten fragte, ob etwas zu gewagt war, und Sakura antwortete mit Ja.

Tenten überging Sakuras Meinung, die ihr viel zu vernünftig schien und trug es trotzdem.

Im Gegenzug ließ Sakura dafür keine Gelegenheit offen, ihr die viel zu gewagte Kleidung unter die Nase zu reiben …

Es war wirklich immer das gleiche.

„Und was ist mit dir? Willst du nicht …“ Tenten hielt inne und sah zu ihrer schwarzgestrichenen Tür. Es hatte leise geklopft und nun steckte ihre Mutter den Kopf ins Zimmer.

„Hallo Sakura“, grüßte sie und trat ein. „Ich wollte nur kurz wissen, wann ihr zurück seid, Spätzchen.“ Sie sah ihre Tochter fragend an und lächelte verhalten. „Muss es wirklich ein so kurzer Rock sein? Du bist doch erst …“

„Sechzehn, genau! Und alle sechzehnjährigen tragen so was, Mum!“

Tentens Mutter schaute zu Sakura, die entgegen den Worten ihrer Freundin eine Jeans trug. „Sakura …“

„Sakura und du, ihr seid in einem Club, oder?“, unterbrach Tenten mürrisch. „Kurz ist heute nun mal angesagt, und wir wissen beide, dass Sakura nicht ganz hinterherkommt!“

„Vielen dank“, lächelte Sakura amüsiert, während Frau Ama ausseufzte.

„Ich sag ja gar nichts mehr, Spätzchen. Wann wolltet ihr zurück sein?“

„Um elf“, sagte Sakura und erntete einen fuchsigen Blick ihrer Freundin.

„Um eins“, korrigierte Tenten betont.

„Um eins?“, sagten Sakura und Frau Ama zur gleichen Zeit.

„Das ist viel zu spät!“, meinte Sakura und richtete sich auf.

„Das ist es wirklich“, fügte Tentens Mutter hinzu, die von Sakura nicht selten aus dem Konzept gebracht wurde. Am Anfang hatte sie immer geglaubt, es sei nur eine Masche des Mädchens, um ihr Vertrauen zu erschleichen, aber mittlerweile war sie sich ziemlich sicher, dass Sakura wirklich so war.

Und ab und an auch etwas hinterher, wie ihre Tochter behauptete …

„Wie wäre es mit zwölf? Das ist doch ein Kompromiss.“ Frau Ama lächelte gütig, obwohl sie innerlich überlegte, was sie mit einer Tochter wie Sakura wohl getan hätte. Angebettelt, einmal länger wegzubleiben? Auch kurze Röcke zu tragen und den gängigen Trends zu folgen? Aufmüpfig zu werden?

Herr je …

„Meinetwegen“, holte Tenten ihre Mutter aus den Gedanken. „Dann um zwölf. Aber vermutlich sind wir dann die ersten, die gehen werden …“
 

„Ohhh, sieh nur!“, rief Tenten, hakte sich bei Sakura unter und zog sie zu einem Tisch, der im Dunkeln einer verborgenen Ecke des Lokals lag. „Da ist Neji!“

„Ich weiß“, lächelte Sakura vergnügt. Tentens Benehmen sobald sie den älteren Schüler sah, war meistens sehr amüsant, und es war nicht selten, dass sie sich dann um Kopf und Kragen redete.

„Du könntest ihn fragen, ob er mit dir tanzt“, schlug Sakura vor, als Tenten schon hinter der Getränkekarte verschwand, kaum dass Neji sie bemerkt und kurz zugenickt hatte. „Obwohl ich der Meinung bin, dass er zu alt ist.“

„Zu alt?“ Tenten sah abrupt auf und reichte Sakura die Karte. „Neji ist achtzehn!“

„Das weiß ich. Zwei Jahre unterschied können …“

„Oh bitte, Saku!“, stöhnte Tenten und legte sich über den halben Tisch. „Abgesehen davon, dass ich mich sowieso nicht trauen werde, ihn zu fragen … Hör wenigstens für einen Abend auf die Vernünftige zu sein!“

„Du stimmst mir also zu, dass er zu alt ist?“

„Nein!“ Tenten schüttelte entsetzt den Kopf. „Dreh dir doch meine Worte nicht immer zurecht! Ich meinte, dass du dich doch ab und an wirklich mal wie ein durchgeknallter Teenager verhalten könntest.“

„Ich kann es ja versuchen.“ Sakura zwinkerte belustigt. „Aber einer von uns muss doch ein wachsames Auge haben.“

Tenten zog eine jämmerliche Miene einer Antwort vor und bestellte sich und Sakura Cocktails, die – wie nicht anders zu erwarten – alkoholfrei waren.

„Braves Kind“, scherzte Sakura, lehnte sich zurück und ertrug für die nächsten Stunden das unaufhörliche Pochen der Musik.

Bis zwölf war viel zu lange …
 

Sakura beobachtete mit genauster Aufmerksamkeit die Uhrzeiger über der Bar. Bisher hatte sie drei Stunden auf diese Weise hinter sich gebracht, und nur noch eine einzige würde folgen, ehe sie endlich Tenten nach Hause bringen konnte. Danach konnte sie endlich etwas Ruhe genießen und für ein paar Stunden Tokio verlassen. Morgen war keine Schule und Tenten würde den ganzen Sonntag verschlafen, weswegen sie sich auch keine großen Sorgen zu machen brauchte. Mit aller Gemächlichkeit könnte sie sich das nötige Blut besorgen, zurück in ihre Wohnung fahren und den Rausch überstehen, der sie danach immer überfiel. Mit etwas angenehmer Musik würden sich die Aggressionen schnell legen, und am Montag würde alles ganz normal weitergehen.

Es war ein guter Plan, wie Sakura fand. Sie seufzte zufrieden auf und blickte flüchtig zu Tenten, die mit ein paar anderen auf der Tanzfläche lachte und tanzte. Sakura hatte dankend abgelehnt, als Tenten sie aufgefordert hatte mitzukommen. Sie tat recht viel für ihre Freundin, aber manche Dinge gingen dann doch zu weit. Und sich noch näher an die schallenden Lautsprecher zu wagen, wäre selbstzerstörerisch gewesen …

Sakura kniff die Augen zusammen, als neben ihr jemand die dritte Zigarette am Stück rauchte. So sehr sie es auch mochte unter den Menschen zu leben; an einige Dinge würde sie sich niemals gewöhnen können. Ihre Nase und auch ihre Augen waren fiel zu empfindlich, als dass sie es lange in so einem Lokal aushalten konnte, und kaum dass noch ein zweiter Mann zu rauchen begann, stand sie wütend auf.

„Ich geh mal an die frische Luft“, sagte sie zu Tenten und nickte deren Freundinnen zu, die ihr fragende Blicke zuwarfen. Sakura wusste, dass die Leute sie seltsam fanden – genauso wie Sakura nicht verstand, warum es hier allen gefiel in dunklen Sachen und mit blassgeschminkter Haut durch die Gegend zu laufen. Manche sahen aus, als wären sie längst tot, und andere wiederum glichen knallbunten Vögeln in neonschrillen Farben. Die Musik, die sie hörten, durchdrang den ganzen Körper und ließ ihn vibrieren, und manche Lieder hatten nicht einmal mehr eine erkennbare Melodie. Warum sich Tenten so zu ihnen hingezogen fühlte, konnte sie eigentlich nicht nachvollziehen – aber da sie es nicht ändern konnte, tat sie wenigstens ihr mögliches, um den Menschen tolerant zu begegnen.

Doch ab und zu ärgerte es Sakura trotzdem. Nicht wenige sprachen über den Tod, wie über einen angenehmen Begleiter, dabei wusste nicht einer von ihnen, was er wirklich bedeutete.

Und dass es nichts grausameres gab, als ihm gegenüberzustehen …
 

Sakura war ein wenig durch die Straßen gelaufen, um der lauten Musik zu entkommen. Unterwegs war sie einem Pärchen begegnet, und sie hatte sich bei dem Gedanken an ihr köstliches Blut erwischt. Es gefiel ihr nicht, dass sie nun schon so ausgelaugt war, aber noch schaffte sie, die Kontrolle über sich zu behalten.

Allerdings hatte sie sich diesmal wirklich viel Zeit gelassen, und ein zweites Mal durfte es nicht so weit kommen. Es war lange her, dass sie einfach so fremden Menschen nachgesehen hatte und sich dabei vorstellte, wie sie ihnen in die Kehle biss.

Sakura stöhnte genervt vor sich her und schlug den Rückweg ein. Es war halb zwölf, und sie war froh endlich nach Hause zu kommen. Sie würde ein paar Dinge einpacken und den nächsten Zug in die Vororte Tokios nehmen, einen geeigneten Kerl ausfindig machen, über ihn herfallen und sich ein paar kräftige Schlucke gönnen. Danach würde er irgendwann aufwachen und glauben, überfallen worden zu sein. An sie aber würde er sich nicht mehr erinnern …

Sakura musste das durstige Grollen in ihrem Innern unterdrücken. Es war wirklich Zeit. Dass sie das letzte Mal so einen Drang gehabt hatte, lag mittlerweile Jahre zurück. Normalerweise hielt sie ihre Abstände ein und ließ nichts dazwischen kommen. Diesmal war es jedoch passiert, aber noch war sie guter Dinge.

Sakura hatte das Lokal fast erreicht, als sie ruckartig stehen blieb und allein durch Reflex in den Schatten glitt. Sie verengte die Augen und lauschte den Stimmen, die zu ihr drangen und verdächtig nach ihrer Freundin klangen. Wie eine samtpfötige Katze bewegte sie sich ungesehen durch die Nacht und ging entlang der Mauerwand, bis sie Tenten erkennen konnte.

Und einen fremden Jungen, der nicht nach Neji aussah und sie dennoch küsste …

Sakura knurrte leise und zwang sich, nicht dazwischen zu gehen. Es ging sie nichts an, mit wem sich ihre Freundin abgab, auch wenn sie zuvor noch gemeint hatte einen anderen zu mögen. Tenten musste ihre Entscheidungen alleine treffen, und sollte sie einen Fehler begehen, musste sie diesen auch alleine bereuen.

Dennoch versuchte Sakura die städtischen Geräusche auszublenden und sich nur auf die Worte der beiden zu konzentrieren. Es wurde nicht viel gesagt, aber irgendwann glaubte Sakura Tenten nein sagen zu hören, währenddessen der Junge das Nein aber nicht akzeptierte.

Für Sakura reichte das, und als sie aus der Dunkelheit hervortrat, grollte es abermals tief in ihrer Brust.

Sie spannte die Muskeln an und tat, als würde sie einatmen. Oftmals konnte sie diese menschliche Geste beruhigen, und gerade jetzt glaubte sie nicht sehr ruhig zu sein.

„Tenten!“ Sakura tauchte in Bruchteilen einer Sekunde neben den beiden auf und krallte dabei ihre Finger in die eigene Handfläche. Sie roch den Alkohol des Jungen, doch durfte sie deswegen nicht leichtfertig handeln. Sie war eine Schülerin, und als Schülerin konnte sie niemanden gegen die Wand werfen, sosehr es ihr auch danach verlangte …

„Sakura?“, sagte Tenten überrascht und drückte sich von dem Jungen fort, der ebenso verwirrt schien. „Wo kommst du her?“

„War spazieren“, zwang sich Sakura zur Antwort. „Was tut er da?“

„Nichts, ich … wir können gehen, Saku. Ich hab schon meine Tasche und wollte dich nur noch suchen.“

„Hmm.“ Sakuras Augen lagen gefährlich auf dem Jungen, der breit zu grinsen begann und sich wankend von der Mauer abstieß.

„Ihr wollt die Party schon verlassen?“, sagte er und stieß dabei gurgelnd auf. „Jetzt schon? Ist doch grade lustig geworden, oder Ten?“ Er leckte sich über die Lippen und wollte nach Tentens Arm greifen, doch zog Sakura sie ihm gleichen Moment schon zurück.

„Wag es nicht …“, zischte sie unheilvoll, doch als sie den erschrockenen Blick ihrer Freundin bemerkte, drehte sie sich nur um und holte erneut Luft. „Lass uns gehen. Es ist spät.“

Tenten nickte unsicher. „Klar …“

„Ey Mädels, wartet doch …“ Der Junge hatte seinen eigenen Schrecken überwunden und lief den beiden Mädchen nach. „Wir können doch noch ein bisschen unter uns feiern, oder? Ey, Süße, warte!“ Er griff sich Sakura, doch auch als sie sich umdrehte, grinste er nur weiter. „Was meinst du?“

„Du willst … wissen, was ich meine?“ Sakuras Stimme war nur noch ein bedrohliches Flüstern. „Das werde ich dir gerne verraten …“

„Sakura?“ Plötzlich griff auch Tenten nach Sakuras Hand. „Können wir bitte einfach gehen?“

Sakuras Mundwinkel zuckten, doch nickte sie schließlich. Sie durfte die Kontrolle nicht verlieren. Nicht vor ihr.

„Du solltest alleine feiern“, sagte sie betont ruhig, doch ließ sie der Junge noch immer nicht los.

„Und wenn ich nicht will?“, grinste er vielsagend. „Was dann?“

„Dann …“, setzte Sakura an, als ihr ein weiterer Duft in die Nase stieg und sie schlagartig verstummen ließ.

„Dann werde ich dir eins auf die Nase geben müssen“, lachte eine weitere Stimme, und noch im selben Augenblick wurde der Junge von Sakura gerissen und unsanft zu Boden gestoßen.
 

Sakura hatte noch immer Mühe, sich zu beruhigen. Sie stand vor ihrer Wohnung und kramte nach dem Schlüssel, doch ihre Gedanken kreisten die ganze Zeit um das eben Geschehene.

Yuichi …

Sakura konnte nicht sagen, ob er im richtigen oder falschen Moment aufgetaucht war. Sie wusste auch nicht, ob es etwas Gutes oder Schlechtes hatte. Eigentlich gut, und doch auch wieder schlecht.

Es war zum Verrückt werden!

„Hier“, sagte plötzlich die Stimme des jungen Vampirs und mit einer schnellen Bewegung hatte er aus Sakuras Tasche den Schlüssel geholt. Sie konnte ihn nur entgeistert ansehen, denn dass er ihr gefolgt war, hatte sie nicht einmal mitbekommen.

„Ich hab dir doch gesagt …“, setzte sie an, doch war Yuichi schon in ihrer Wohnung verschwunden, kaum dass sie die Tür geöffnet hatte. „Das geht nicht, Yuichi!“, knurrte sie wütend, als sie ihm ins Wohnzimmer folgte. „Was hast du dir vorhin dabei gedacht?“

„Ich wollte nur helfen“, sagte Yuichi schnell und schmiss sich vor den Fernseher. Er schaltete ihn einfach an und tat, als wäre es etwas vollkommen Normales. „Du sahst so aus, als wenn du den Kerl abmurksen wolltest. Ich dachte, das wäre vor dem Menschenmädchen unangebracht. Also siehst du?“ Yuichi grinste breit. „Nur geholfen.“

„Ich hätte ihn nicht umgebracht!“, zischte Sakura. „Ich hatte mich unter Kontrolle, verstanden?“

Yuichi seufzte theatralisch und legte sich auf der Couch lang. „Ich weiß, dass du sauer bist. Aber überleg mal, wie das Mädchen schon so geguckt hat, weil du dich komisch verhalten hast. Das war wirklich, wirklich unvorsichtig von dir …“

„Du bist gerade unvorsichtig …“, brodelte Sakura und zog den Stromstecker des Fernsehers, bevor sie einfach in ihr Schlafzimmer marschierte.

Ignoranz war vielleicht die einzige Möglichkeit sich gegen den unverschämten Bengel zur Wehr zusetzen, auch wenn er möglicherweise – und es war nur ein minimales möglicherweise – recht hatte.

Tenten hatte tatsächlich erschrocken geschaut und nicht verstanden, was mit einmal los gewesen war. Als sie ihre Freundin dann nach Haue gebracht hatte, war sie immer noch verwirrt gewesen, auch wenn sich Sakura sicher war, dass es bald vergessen sein würde. Und vielleicht hatte es auch nur an der Prügelei gelegen, die sich der freche Bengel mit dem anderen Jungen geliefert hatte.

Und wenn Sakura ganz ehrlich war, dann hatte Yuichi seine Sache gut gemacht. Er hatte so wenig unmenschliche Stärke benutzt, dass es nicht einmal ihr fremdartig vorgekommen wäre. Aber hieß das nun, dass sie in seiner Schuld stand?

Sicher nicht!

„Was ist?“, fauchte Sakura, die gerade ihr nach Qualm stinkendes Shirt ausgezogen hatte und sich trotzdem einfach umdrehte. „Bist du jetzt auch noch ein Spanner?“ Wütend blickte sie Yuichi an, der in der Tür zu ihrem Schlafzimmer stand und breit grinste. „Mach die Augen zu! Du bist ein Kind und hast nicht zu starren!“

„Ich bin sechzehn, und ich lass mir doch kein halbnacktes Mädchen entgehen, das auch wie sechzehn aussieht!“ Yuichi grinste immer mehr, und während Sakura ihn mit zornigen Blicken durchbohrte, kroch sie in ein neues T-Shirt. „Ich glaube, dass war das Tollste, was ich bisher gesehen hab …“, fügte er noch glucksend hinzu, als Sakura stramm an ihm vorbeimarschierte und ihr altes Shirt dabei achtlos in eine Ecke warf.

„Dann solltest du zufrieden sein und gehen!“, zischte sie, suchte nach ihrem Rucksack und schmiss eine Jacke und ihre Brieftasche hinein. „Ich will nämlich noch weg, also wäre es jetzt wirklich an der Zeit …“

„Wo willst du hin?“, fragte Yuichi und tauchte in einer unmerklichen Bewegung vor Sakura auf, als sie schon in den Flur lief. „Willst du trinken gehen? Du könntest mich mitnehmen!“

„Niemals!“

„Oh bitte, Sakura, nur einmal! Dann sehe ich wie es geht, und danach …“

„Nein, und Ende der Diskussion!“, knurrte Sakura, riss die Tür auf und war schon im nächsten Moment verschwunden.
 

Sakura war schlecht gelaunt, als sie durch die Straßen von Kazuha lief. Die Kleinstadt unweit von Tokio war ein Ort, zu dem sie öfter fuhr, wenn sie durstig war. Hier gab es düstere Gegenden und versteckte Winkel, in denen sich Menschen der übelsten Sorte nur zu gern aufhielten.

Und Sakura hatte heute Nacht gleich zwei von ihnen aufgelauert und bewusstlos in den Häusernischen liegen lassen.

Ihr Gewissen beruhigte sie damit, dass sie es nötig gehabt hatte. Sie war ungemein geschwächt gewesen, und gerade in Zeiten wie diesen, in der sie das Böse an jeder Ecke lauern sah, war es nicht gerade vorteilhaft.

Sakura wusste jedoch, dass es gefährlich war, was sie tat. Sie hatte den beiden Männern viel Blut genommen, und nun spürte sie ihre innere Angriffslust mehr als sonst nach dem Trinken. Sie würde länger als einen Tag brauchen um den Rausch loszuwerden, und vermutlich würde sie auch am Montag nicht zur Schule können. Tenten würde deswegen bestimmt sauer werden …

Seufzend suchte sich Sakura eine Bank in dem dunklem Park der Stadt und lauschte dem leisen zwitschern der Vögel. Sie waren Nachtschwärmer wie sie, und dennoch gab es einen entscheidenden Unterschied.

Sie lebten …

Als Sakura die Augen schloss und leise grollte, holte sie menschengleich tief Luft.

„Was willst du hier, Yuichi? Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?“, fragte sie ins Nichts, und doch bekam sie die erwartete Antwort.

„Du bist besser drauf, oder?“, erwiderte der junge Uchiha und ließ sich neben sie auf die Bank fallen. „Ich meine weniger deine Laune. Die ist noch schlimmer, aber dein Gehör ist besser, stimmt’s?“

„Du bewegst dich auf sehr dünnen Eis, Junge. Geh und lass mich in Frieden. Du nervst, und ich möchte im Augenblick meine Ruhe haben.“

„Soll ich später wiederkommen?“

Sakura fixierte den jungen Vampir mit einem beunruhigenden Blick. „Reiz mich jetzt nicht!“

„Du bist wirklich noch übler drauf! Warum? Liegt das am Trinken? Wenn ich trinke, geht es mir eher immer besser, und sogar mein Bruder, der – und das kannst’e mir glauben – noch übler drauf sein kann als du, der ist danach erträglicher.“

„Das freut mich für dich und deine Familie …“ Sakura ballte unbewusst ihre Hände und grub die Fingernägel ins eigene Fleisch. Yuichi beanspruchte ihre Nerven ungemein, doch noch mehr tat sie es selbst.

Sie hasste ihre Reaktion auf zuviel menschliches Blut, und sie hätte sich jetzt am liebsten selbst eingesperrt. Im Moment fühlte sie sich wie ein ungebändigtes Monster, und es war nur ein kleiner Teil ihres Willens, der sie zur Kontrolle zwang.

Der stärkere Teil; der, der frei sein wollte. Der kennen gelernt hatte, was Freiheit bedeutete.

„Muss es nicht“, hörte sie Yuichi sagen, und sie fragte sich, ob er wirklich annahm, dass sie es ernst gemeint hatte.

Mürrisch wandte sie ihm ihr Gesicht zu und wartete, dass er weitersprach. Es war offensichtlich, dass er das vorhatte, und da Sakura sich in ihrer Selbstbeherrschung üben wollte, ließ sie es vielleicht für ein paar Minuten zu.

„Du magst mich nicht, oder?“, fragte er dann mit deprimierten Unterton. Er grinste zwar, doch klang er viel zu traurig, als dass es echt wirkte.

„Nein“, gab Sakura schlicht zurück.

„Weil ich ein Uchiha bin, nicht wahr? Die meisten Vampire mögen unseren Clan nicht, weil sie meinen, er würde sich total über die anderen stellen und seine Macht missbrauchen. Ich meine, ich kann doch aber nichts …“

„Halt die Klappe, Yuichi“, stöhnte Sakura und lehnte den Kopf in den Nacken, um genervt in den Sternenhimmel zu sehen. „Mich interessiert es nicht, wer oder was du bist, okay? Du nervst einfach, deswegen …“

„Wirklich?“ Yuichis Augen wurden groß und zu Sakuras Unglauben begann er breit zu grinsen. „Meinst du das echt?“

„Du bist … ein totaler Spinner, oder?“ Sakura schüttelte fassungslos den Kopf. „So einen wie dich hab ich noch nie getroffen. Und der Teufel möge uns davor bewahren, dass es noch mehr mit deinem dümmlichen Mundwerk gibt …“

„Ich bin einzigartig, ich weiß“, lachte Yuichi. „Aber du willst du mir nicht verraten, warum du so mies drauf bist? Ich meine, jemanden wie dich gibt’s bestimmt auch nicht so oft, was?“

„Nein“, sagte Sakura verächtlich. „Selbst der Teufel würde das nicht zulassen …“, murmelte sie dann und stand abrupt auf. „Und jetzt hör auf mich zu belästigen. Du benimmst dich wie ein Kind und nicht wie ein Sechszehnjähriger. Du solltest wissen, wann genug ist!“

Yuichi sah beleidigt auf, doch dann sprang auch er auf die Beine und zuckte mit den Schultern. „Gut, dann verschwinde ich eben erst mal wieder.“

„Nicht erst mal! Ich will nicht, dass du mir noch mal nachläufst!“

„Werd ich aber“, lachte Yuichi und machte einen Satz nach hinten, als Sakura bösartig knurrte. „Weil ich dich nämlich trotzdem mag.“

Dann war er weg, einfach so.

Sakura aber starrte regungslos in die Dunkelheit und spürte den seltsamen Stich in ihrer Brust.



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Kommentare zu dieser Fanfic (69)
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Von:  Inori-Yuzuriha25
2013-07-05T17:18:15+00:00 05.07.2013 19:18
Die Idee ist super!!! Finde ich so zumindest ;))
Aber bis jetzt denkt man, dass Yuichi später mit Sakura zusammen komm und nicht Sasuke. Das ist aber egal

Lg Inori-Yuzuriha25
Von:  vanii
2010-05-30T17:55:43+00:00 30.05.2010 19:55
hey (:
also die ff ist ja mal ein hammer
der typ der saku immer auflauert ist ja mal sowas von niedlich, zwar nervig aber iwie auch niedlich (:
ich hoffe dich das du die ff wieder aufnimmst, denn wenn nicht wäre es sehr schade weil ich die nämlich wirklich klasse finde

glg

vanii
(:
Von:  xSasuSakux
2010-05-30T14:29:47+00:00 30.05.2010 16:29
Oh
Wie Suez
Ich mag die FF
Und Yuichi ist ja i.wie voll niedlich
Auch wenn er sehr nervig ist xDD
Mal sehen wann Sasu mal drin vorkommt
Ich hoffe, dass du die FF bald wieder aufnehmen wirst =)

Lg
xSasuSakux
Von:  kijara-chan
2010-02-23T19:27:03+00:00 23.02.2010 20:27
Die story finde ich super :-)
bin jetzt endlich auch mal dazu gekommen sie zu lesen. Aber was muss ich da lesen?!?! Abgebrochen?!?! Das doch ein Scherz, oder?!
Das kannst du mir doch nicht antun....

Liebe Grüße Sarah
Von: abgemeldet
2010-02-20T15:51:44+00:00 20.02.2010 16:51
echt klasse kapi
freu mich schon sehr aufs nächste

Von:  Angelstar91
2010-02-20T13:56:30+00:00 20.02.2010 14:56
Super Kap
Und ziemlich amüsant
Irgendie ist yuichi ja schon nervig
Aber trotz allem muss man ihn einfach mögen =D
Süß ist er ja irgendwie schon ^^
Bin mal gespannt wie lange Sakura noch auf stur schalten kann
Nicht mehr lang, und dann gbt sie doch auf und freundet sich mit ihm an
Ich fands super wie er die beiden vor dem Jungen "gerettet" hat
Wäre er nicht aufgetaucht, dann hätte Sakura ihn wohl erledigt und Tenten hätte es gesehen
Die schöpft ja jetzt schon Verdacht, denk ich mal
Freu mich aufs nächste Kap ^^
Von:  Saika_a
2010-02-20T11:58:31+00:00 20.02.2010 12:58
der vorletzte Satz kommt einfach richtig gut!
bin mal gespannt, wann er das nächste mal bei Saku aufkreuzt^___^
RÄD SvM


Von:  Saika_a
2010-02-20T11:14:59+00:00 20.02.2010 12:14
der vorletzte Satz kommt einfach richtig gut!
bin mal gespannt, wann er das nächste mal bei Saku aufkreuzt^___^
RÄD SvM


Von:  Sakura-Jeanne
2010-02-20T08:40:12+00:00 20.02.2010 09:40
hammer kapitel
Von:  fahnm
2010-02-20T02:41:40+00:00 20.02.2010 03:41
Super Kapi!^^
Ich freue mich schon auf das nächste kapi!^^


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