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Lumiél

Königreich der Monde
von

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Entbehrung und Entbehrlichkeit

Für den Spähertrupp, der schon seit zwei Tagen Ashes und ihre Anhängsel im Blick behielt, war es zweifellos ein überaus merkwürdiger Anblick, wie sich diese Gruppe zerlumpt und dennoch eisern durch die allmählich wieder dichter werdende Vegetation schleppte. Man sah ihnen an, dass sie schreckliche Dinge erlebt hatten.

Im Köcher der Elbe fehlte auch der letzte Pfeil, am Gurt der Armbrustbolzen war keine Lasche besetzt, jedes Raubtier im Umkreis einer Meile konnte noch das verdorbene Blut an ihrer Klinge riechen. Der junge Mann, der zu ihrer Rechten einher trabte, wirkte ausgelaugt, die Platzwunde an seinem Kopf unversorgt. Zu ihrer Linken, leicht zurück gefallen, schritt eine Menschenfrau, ihre Kleider zerrissen, ein paar unschöne Kratzer und Wunden am Leib verteilt, die die umliegende Haut einfärbten. Und selbst dem Mädchen, das der Gruppe als Schlusslicht folgte, konnte man ansehen, wie lang die Reise durch die Wüste gewesen sein musste. Ihr fehlte die fröhliche Geschwätzigkeit, die Kindern sonst zueigen war, sie schritt einfach stumpf einher.

Nun – Fremde eben. Was hatten sie auch erwartet? Die Wüste kämpfte alles und jeden nieder. Die Einzigen, die sich darin wirklich behaupten konnten, waren die Zentauren, die Harpyien, ab und an auch ein kleiner Menschenstamm. Ohne einen Führer war es ein Wunder, dass sie es überhaupt bis an die Grenzen Lithlads geschafft hatten und der einzige Grund, warum der Spähertrupp den zwei Menschen nicht längst die Brust mit Pfeilen durchsiebt hatte war der Umstand, dass die zwei Elben in ihrer Gegenwart ein gewisses, für die Späher unverständliches Maß an Wertschätzung für diese Menschen übrig zu haben schienen. Obwohl es ja nicht einmal zwei Elben waren – dem Kind sah man nur zu gut an, dass sich Menschenblut in ihren Adern befand, das die Reinheit ihres hohen Volkes besudelte.

Denn wenn die Elben von Lithlad eines nicht mochten – dann waren es Menschen. Die Zölle, die seine Majestät erhob, waren mehr als dreist und er verweigerte jeden Kompromiss. Regelmäßig kam es zu Zusammenstößen der elbischen Bevölkerung mit den Soldaten der Stadtwache, die seine Majestät in einem klobigen Bauwerk aus dem Boden entrissenen Steinen untergebracht hatte. 'Zum Schutz der Interessen des Landes', hatte man ihnen gesagt. 'Verdammte Eindringlinge', hörte man in den Häusern unter vorgehaltener Hand.

Dennoch war die xenophobe Ader der Elben von Lithlad noch nicht so ausgeprägt wie in Kaderalith. Dort hätte man den gesamten Trupp erschossen – die Menschen zur Wahrung der eigenen Sicherheit, die Elben als Lehre für alle Anhänger des hohen Volkes, die sich mit derlei niederem Gezücht freiwillig abgaben.

Als das Mädchen entkräftet zusammen brach, wollte einer der Elben einschreiten. Einzig der Kommandant des Spähertrupps hielt ihn zurück, packte ihn an der Schulter und schüttelte stumm den Kopf. Körperkontakt war eine Intimität, die Elben schätzten ihre Privatsphäre – nur ein Kommandeur oder ein sonstiger Ranghöherer hatte das Recht, ungefragt in den Raum eines anderen einzudringen. Aber selbst dann wurde dieser als extrem erachtete Schritt nur aus guten Gründen getan.

Sie waren als Beobachter hier. Späher. Einzugreifen war nicht ihre Order. Also harrten sie aus, sahen zu, wie der Mann zurück schritt und trotz seines lädierten Körpers sich das Gewicht des halbelbischen Mädchens auflud. Zu viert schritten sie der Stadtgrenze immer näher, einer Grenze, die bestenfalls die Elbe zu erkennen fähig war. Wo der sich aufbauende Wald in bewohntes Gebiet über ging, konnten wohl nur ihre Sinne erfassen, während die Menschen stupide einher stampften – blind und grobschlächtig, wie es ihrer bemitleidenswerten Spezies zueigen war.

„Es wird Zeit.“ flüsterte der Kommandeur. Die Späher rückten ab, huschten wie Schatten flink von Deckung zu Deckung. Mühelos überholten sie den kleinen Tross Fremdlinge, jagten davon und gaben in der Stadt dem dortigen Rat Bescheid. Das der Kommandeur der Stadtwache zugegen war, war allzeit ein Ärgernis. Aber seine Majestät hatte mit Gewalt durchgesetzt, dass er bei jeder Ratssitzung präsent sein musste – und die Elben waren nicht bereit, noch mehr Leben zu riskieren, um ihn und seine Männer zu verjagen.

Alles wurde vorbereitet. Bewaffnete Verteidiger wurden zur Stadtgrenze entsandt, um die Fremden willkommen zu heißen. Zumindest sagte der Ratsälteste dies dem Kommandeur. Hinter den für die Stadtwache unbekannten Kulissen hieß das, man würde sie in Gewahrsam nehmen, bis ihre Motive erforscht waren. Bei Menschen ging man besser kein Risiko ein!

Tatsächlich leisteten Ashes und ihre Gefährten keinerlei Widerstand. Ohne Murren und Zetern ließen sie sich voran führen. Die Elbe drohte zwar halbherzig mit Zorn und Vergeltung, als man ihre Waffen forderte, doch letztlich legte auch sie alles ab und übergab sich in die Obhut der Verteidiger Lithlads. Für die Gefangenen, die sie nun im Grunde vorläufig waren, behandelte man sie dennoch erstaunlich gut. Ihnen wurde ein gemeinsames Zimmer zugewiesen, mit weichen Betten, ihnen wurde zu baden und sich zu reinigen gewährt, man erlaubte ihnen auch, sich frei in der Stadt zu bewegen – natürlich mit 'Eskorte'.

Alistairs Eskorte wurde auf drei Mann verstärkt, nachdem dieser es tatsächlich irgendwie geschafft hatte, binnen einer Stunde seiner Wache drei Mal 'abhanden' zu kommen. Natürlich steckte auch hinter dieser scheinbaren Wohlgesonnenheit mehr. Würden sie sich frei bewegen können, würden die Gründe ihres Hierseins ganz von allein zutage treten. Diese Annahme erwies sich sogar als richtig – Ashes zog durch Lithlad und besuchte ein paar Händler. Sie war frisch gewaschen, trug gesäuberte Kleider, aber nichts konnte darüber hinweg täuschen, dass ihre Kräfte noch immer nicht erholt waren. Dennoch kaufte sie Proviant, kaufte Bolzen, Pfeile, zwei kleine Dolche und schleppte alles wieder zu ihrem Zimmer zurück, ohne die dargebotene Hilfe der Wachen anzunehmen. Ganz im Gegenteil – wo der schlüpfrige Mensch eine ungeahnte Faszination für das hohe Volk, seine Bauweise, Kultur und Erscheinung an den Tag legte, erwies sich das Mitglied ihrer eigenen Rasse als überaus... borstig, missmutig, ja regelrecht feindselig.

Die Wachen ließen ihre gelegentlichen, verbalen Seitenhiebe über sich ergehen, doch nur zu gern hätten sie mit ihren Kollegen getauscht. Einer der anderen Wächter hielt das Mädchen im Auge, die das Zimmer nicht verließ. Sie saß am Fenster, sah in die Stadt hinaus und träumte scheinbar vor sich hin. Ein zweiter Wächter begleitete die Menschenfrau, die zusammen mit Alistair die Stadt durchstreifte, sie regelrecht erkundete – zumindest bis zu dem Punkt, an dem klar wurde, dass auch diese beiden letztlich nicht der faszinierenden Bauweise wegen hierher gekommen waren, sondern durchaus die Erfüllung eines Zieles suchten.

Sie fanden sie am Hafen. Lithlad verfügte über große Stege, die weit ins Meer reichten und einer stattlichen Flotte elbischer Schiffe Heimat boten. Sie waren von unterschiedlicher Größe und Bauart, längst nicht jedes davon war hochseetauglich – und genau danach schienen die beiden Fremden Ausschau zu halten. Die Frau erwies sich indes als deutlich fachkundiger und lehnte mit einem Kopfschütteln manches Schiff ab, welches Alistair ihr mit einem Fingerzeig wies. Schließlich fanden sie ein Schiff, auf das sie sich einigen konnten.

Da kein Kapitän in Sichtweite war, wandten sie sich an ihre Eskorte, die mehr als unwillig Auskunft gab. Was wollten diese Fremden am Hafen? Kein elbischer Kapitän aus Lithlad wäre bereit, Menschen zu transportieren! Allerdings schienen die zwei Reisenden überrascht, als ihnen die Antwort gegeben wurde: Lithlads Flotte gehörte nicht mehreren Kapitänen, die ihre Crews in Eigenverantwortung führten. Die Flotte wurde gebaut, unterhalten und entsendet vom Rat der Stadt selbst.

Die zwei Menschen ließen sich zu ihrer Unterkunft zurück bringen, wo sie kurze Rücksprache mit der Elbe und dem Mädchen hielten. Als geschlossene Gruppe traten sie daraufhin vor ihre Wachen und erbaten eine Audienz beim Rat. Fast hätte der Kommandant der Eskorte lachen wollen, hielt er dergleichen Anliegen, gerade von einer reinblütigen Elbe vorgebracht, doch für einen Witz. Was sonst hätte es auch sein sollen? Aber allein, wie Ashes die Miene verzog, ließ ihn lediglich trocken schlucken, statt auch nur zu grinsen.

Er bat sich Zeit aus, verstärkte – rein der Sicherheit wegen – die Zahl der Verteidiger, die diese vom Wohnraum der Stadt isolierten Räumlichkeiten bewachten und begab sich selbst zur Ratskammer. Tatsächlich schien den Fremden das Glück hold, denn er traf den Rat Lithlads, als sie eine Thematik gerade beendeten. „Die Fremden erbitten das Gehör des Rates.“ brachte der Kommandant seinen eingeforderten Bericht hervor. Ein Runzeln und skeptische Blicke waren das Resultat dieser Worte. Fremde, die vor den Rat treten wollten? Menschen zudem? Unmöglich! Ausgeschlossen!

Zufrieden kehrte der Kommandant zurück und berichtete diesen Narren von der Antwort des Rates – nur, um ein schweres Seufzen fahren zu lassen. Ihm hätte klar sein müssen, dass diese Sache damit nicht abgeschlossen war. Nein, Ashes trat vor ihn, funkelte ihn an, dass selbst er, mit all seinen Wachen im Rücken, es einen Moment mit der Angst zu tun bekam, ehe er ihre Worte vernahm. Dann würde sie eben allein vor den Rat treten.

Sie. Ausgerechnet sie, die auf Elben so gut zu sprechen war wie Zwerge auf Orks!

Obendrein fühlte er sich auf schrecklich demütigende Weise zum Laufburschen degradiert. Dennoch wagte der Kommandant nicht, Ashes zu widersprechen. Zudem – was hätte er denn auch Besseres zu tun gehabt? Da konnte er sich ja auch die Beine vertreten. Doch alle Versuche, sich selbst über seine Laufarbeit zu belügen, schlugen fehl. Die Antwort des Rates war diesmal eine Andere – sie solle vortreten und ihr Anliegen präsentieren. Schon als er mit diesen Worten im Gedächtnis zur Unterkunft der Gefangenen zurückkehrte, ahnte er, wer diese unangenehme Person eskortieren musste.

Wie erwartet, war er es. Ashes ließ sich jedoch erstaunlich still zum Rat führen. Offenkundig konnte sie alledem nichts abgewinnen, nicht dem Volk, nicht der Stadt, nicht der wundervollen Bauweise von durch Magie gewobenem Holz und Stein. Starren Blickes geradeaus und ein stetiges Murren auf dem grimmigen Gesicht, schien sie den Zeitpunkt ihrer Abreise kaum erwarten zu können. Als sie vor den Rat trat, vor die Führerschaft Lithlads, erwies sich Ashes als gleichermaßen rüde wie unhöflich. Sie forderte ein Schiff aus dem Hafen Lithlads – zu seinem Unglück war der Kommandant der Wache auch noch fähig, es bei seinem Namen zu nennen. Ashes erklärte, sie würden eine Überfahrt nach Varakas tätigen und wenn kein Kapitän dies zu tun bereit sei, würde sie notfalls das Schiff kaufen.

Die absolute Art, mit der die Elbe sprach, beeindruckte sogar den Rat. Und diese Elben waren Jahrtausende alt! Einen Moment herrschte peinlich berührtes Schweigen, Nachdenklichkeit, ehe man sich Zeit ausbat. Ashes schien das nicht recht zu sein, dennoch trat sie ab und ließ sich widerstandslos zurück führen.

Die Nacht verlief erstaunlich ruhig. Alle vier Gefangenen begaben sich zu Bett und schliefen einfach. Ihre Gegenwart unter der Obhut der Verteidiger der Stadt schien sie nicht weiter zu stören – nach allen Strapazen der letzten Zeit waren sie wohl einfach zu erschöpft, um noch große Ansprüche zu stellen. Zumindest wurde die Schicht damit deutlich entspannter und es gab auch kein Gerenne mehr, um irgendwen um irgendwas zu bitten.

Bereits am nächsten Morgen war die Entscheidung gefällt. Ashes wurde erneut vor den Rat gebeten und die erste Frage erschien dem Kommandanten recht untypisch für den Rat: Wie sie das Schiff bezahlen wolle. Spielte man hier denn tatsächlich mit dem Gedanken, ein Schiff der Flotte zu verkaufen? Waren sie schon so tief gesunken?

Die Elbe aber zog ohne ein Lächeln, ohne irgendeine Regung ihrer Mimik, einen kleinen Lederbeutel von ihrem Gürtel und zurrte ihn auf. Ihre Finger entnahmen einen einzigen Stein dem Säckchen. Sie hielt ihn hoch, gegen das Licht – das wie von einem Prisma gespalten in alle Richtungen strahlte und funkelte.

Ein Diamant.

Während der Rat sich davon unbeeindruckt stellte, musste der Kommandant der Eskorte und sogar der Befehlshaber der Wache schwer schlucken bei der Vorstellung, dass das gesamte Ledersäckchen voll von diesen Steinen war. Das mussten tausend Gulden sein!

„Fünftausend Gulden.“ korrigierte Ashes, als hätte sie die jämmerliche Fehlschätzung aus den Gedanken der Beobachter wahrgenommen.

Der Rat erklärte sich tatsächlich einverstanden. Nicht damit, das Schiff zu verkaufen – aber für diesen Preis würden sie eine Crew, einen Kapitän und Proviant bereit stellen, um sie nach Varakas zu bringen. Von fünftausend Gulden ließe sich nämlich zumindest eine Weile in Frieden leben, ohne ständig darüber nachsinnen zu müssen, woher man die nächsten Steuern und Abgaben bekommen sollte. Denn trotz des großen Hafens und der Werft war Lithlad alles andere als ein Handelsplatz – die Elben blieben gerne unter sich. Vielleicht spielte auch eben das eine Rolle bei der Entscheidung des Rates – man wollte die Menschen aus der Stadt haben.

„Eines muss man denen lassen – sie verschwenden keine Zeit.“ griente Alistair breit. Er suchte Zustimmung, suchte wenigstens den Ansatz eines Lächelns in Ashes' Gesicht, doch der Elbe schien der Sinn so gar nicht nach guter Laune zu stehen. „Hm.“ brummte sie nur. Da nützte es dem Dieb auch nichts, dass zumindest Kat lächelte und zustimmend nickte.

Die Wachen brachten sie bis zum Hafen. Den ganzen Tag lang hatte man das Schiff beladen, nun war es pünktlich zum Sonnenuntergang bereit, abzulegen. Alistair entging nicht, wie die Eskorte sie dabei immer fein säuberlich im Blick behielt. Jeder Schritt, jede Bewegung. Vermutlich hatten sie Angst, er würde ihnen noch einmal entkommen. Oder sie fürchteten, Ashes ohnehin recht angeschlagene Geduld würde sich wie Sand zwischen den Fingern verlieren und sie würde doch noch irgendwen anspringen, um ihm die Seele aus dem Leib zu prügeln. Dabei empfand der Dieb den Anblick der Wachen als recht unterhaltsam. Man sah an Elben nur selten Metallrüstungen und gerade in den Armeen der Menschen waren diese Rüstungen rein pragmatisch. Hier aber fanden sich auf den Armschienen, Brustpanzern und Helmen feinste Verzierungen und Ornamente – als wäre jede Rüstung für sich ein Kunstwerk.

Insgeheim trauerte der Dieb noch immer dem Säckchen voller Diamanten hinterher, das er hatte lassen müssen, damit sie von hier weg kamen. Andererseits lag ihm auch der Gedanke nahe, dass diese fünftausend Gulden ja von Ashes Anteil abgezogen werden könnten. Dann hätte sie jetzt eben nur noch siebentausendfünfhundert Gulden und er noch die volle Summe. Das wäre doch ein gutes Geschäft... allerdings sollte er ihr das wohl nicht gerade jetzt auf die Nase binden. Überhaupt sollte er das nicht unnötig erwähnen, sondern einfach im Hinterkopf als kleine Notiz abspeichern.

Als sie die Küste erreichten und der Hafen sich ins Meer zu schlängeln begann, öffnete sich der Wald zunehmend. Die Flotte Lithlads war ein beeindruckender Anblick, unabhängig davon, wie oft man sie sah – glaubte Alistair zumindest jetzt, da er sie erst zum zweiten Mal so in Frieden im seichten Wellengang vor sich hin schunkeln sah. Wie es wohl aussehen würde, wenn diese Flotte zu einem Gefecht in See stach?

Sie wurden bis zum Steg geleitet. Vermutlich sollte sich niemand zufällig oder 'zufällig' an Bord eines anderen Schiffes verirren. Trotz dieses offensichtlichen Misstrauens waren die Elben überraschend freundlich gewesen, zumindest empfand Alistair es so, der vor lauter Faszination blind für all die Spitzen und versteckten Anfeindungen war. Die elbische Crew indes versuchte die vier Passagiere nach bestem Wissen und Gewissen zu ignorieren. Sie wurden in zwei Kammern unter Deck einquartiert und der elbische Kapitän machte ihnen deutlich, dass er sie nicht öfter als unbedingt notwendig an Deck sehen wollte.

Nun, 'nicht öfter als nötig' war ja sehr flexibel.

Alistair hingegen ließ es sich nicht nehmen, zunächst einmal die Kabine zu betrachten, die er mit Ashes teilte. Die Einrichtung war ansehnlich, nicht prunkvoll, aber dennoch eleganter als er es von Gillians Schiff in Erinnerung hatte. Es gab einen hübschen kleinen Handspiegel, dem der Langfinger schon jetzt die gedankliche Notiz verpasste, dass er bei seiner Abreise in Varakas nicht mehr auffindbar sein würde. Überhaupt legte sich der Dieb bei seinem durch das Zimmer schweifenden Blick schon eine Liste zurecht, was sich wie wo alles unauffällig vom Schiff transportieren ließe. Irgendwie mussten sie ja das verlorene Säckchen Diamanten wenigstens anteilig wieder zurück holen, oder nicht?

Obwohl es da gewinnbringender wäre, nicht nur Teile der Einrichtung, sondern gleich das ganze Schiff samt Crew zu verkaufen... auf den Sklavenmärkten in Sundergrad wäre das sicherlich kein Problem und es würde zweifellos Ashes' Laune heben, zu sehen, wie das wimmernde Pack an neue Besitzer überstellt wurde...!

Die Aussicht gefiel dem schmächtigen Nordmann ebenso. Er lehnte sich auf das Fensterbrett, weich, warm wie es nur Holz sein konnte, und blickte hinaus auf den Wellengang. Die Fenster schienen eine eigenartige Kristallstruktur zu sein – jedenfalls war es kein normales Glas. Vielleicht könnte er... nein, zu groß. Das würde auffallen.

Wirklich frustrierend war für den Dieb an der ach so schönen Einrichtung nur ein Umstand: In diesem Zimmer gab es zwei Betten.

In einer Zeit, die nun schon wieder Jahre her zu sein schien, 'damals in Ahil-Tar', hatte Ashes ihm angedroht, dass Narus Gegenwart bedeuten würde, dass er sich nicht auf irgendwelche Liebeleien zu freuen brauchte. Und tatsächlich hatte die Elbe ihn eiskalt aufs Trockene gesetzt. Gut, zugegeben, der Höllenschlund war nicht unbedingt das schönste Gebiet gewesen. Man musste schon üblen Notstand haben, in einer solchen Umgebung auf romantische Gedanken zu kommen. Dennoch hatte sie seine Annäherungsversuche stets blockiert – und das, obwohl sie zweifellos wusste, was er wollte.

Und hier nun bot sich ihr erneut die Gelegenheit, ihm auszuweichen. Obwohl – selbst wenn es nur ein Bett gegeben hätte, vermutlich hätte sie ihn einfach auf dem Boden schlafen lassen. Vielleicht war es so tatsächlich besser. Der Umstand allein jedoch ließ Alistair einmal mehr mit dem Gedanken spielen, Naru irgendwie 'los zu werden'. Denn so hatte er sich das ganz sicher nicht gedacht, als er ihrem verflixten Hundeblick nachgegeben hatte.

Erst ein Poltern und unterdrücktes Stöhnen direkt vor der Tür der Kabine ließ den Dieb wieder in das Hier und Jetzt zurückkehren. Irgendwie klang das... verdächtig. Er begab sich zurück zum Einlass der Kabine und spähte durch den noch offenen Türspalt hinaus auf den Gang. Als hätte er es erwartet, fand er Ashes mit geballter Faust und ein Mitglied der elbischen Crew mit blutender Nase am Boden. Sie zerrte ihn gerade am Kragen seines Hemdes ein Stück empor und holte zum nächsten Schlag aus, als Alistair sich vorsichtig räusperte.

„Probleme?“ hakte er vorsichtig nach. Ashes schüttelte den Kopf – natürlich, für sie wäre so ein Wicht nie ein Problem. Vielleicht hätte er eher nach dem Grund des Kampfes fragen sollen, auch wenn diese Auseinandersetzung mit einem Kampf so viel gemein hatte wie eine Schlacht mit einem Gemetzel.

„Fass mich noch mal an, und ich breche dir Knochen, von denen du nicht mal wusstest!“ zischte die Elbe und funkelte dem Crewmitglied auf kürzeste Distanz zu. Dem bleichen Gesicht, den aufgerissenen Augen und dem hastigen Nicken des Elben nach glaubte er im Moment wohl, Ashes sei von einem Dämon besessen. Sie ließ ihn los, oder besser, stieß ihn regelrecht zu Boden, dass er sich den Hinterkopf rieb und schritt über ihn hinweg auf Alistair zu. Der Langfinger kam nicht umhin, sich mühsam ein Lächeln nebst Kopfschütteln zu verkneifen, als sich die Mundwinkel der Elbe leicht hoben.

Er hatte es doch gewusst. Sie wollte sich abreagieren, irgendwie, an irgendwem. Und ihre Vorliebe für ihr eigenes Volk war dabei natürlich geradezu... günstig. Der Dieb begann sich sogar zu fragen, ob der Elb sie überhaupt tatsächlich berührt hatte, oder ob sie sich auf den durchaus recht engen Gängen des Schiffes einfach zwangsläufig nahe gekommen waren. Ohnehin war es ihm eigentlich egal, so lange er nicht ihre Faust zu spüren bekam. Die kannte er nämlich schon – und sie war schlagkräftig und schmerzhaft.

Ashes schob die Tür auf und trat an Alistair vorbei in die Kabine. Mit ein paar eher gemurrten als genuschelten Worten tat sie den Einrichtungsstil als 'weibisch' ab und legte einen Teil ihres Gepäcks ab – den, den sie nicht mehr brauchen würde. Was im Grunde bedeutete, dass sie kaum etwas in der Kabine zurück ließ. Ihre Waffen, ihr Vermögen, ihr Panzer, das alles blieb an Ort und Stelle.

Gemeinsam begaben sie sich nach oben und ignorierten dabei beide voller Wonne die missmutigen Blicke des elbischen Kapitäns, der schon jetzt froh war, sie in wenigen Tagen wieder los zu sein. Immerhin war dieses Schiff eines der Schnellsten der elbischen Flotte, sie würden in vier oder fünf Tagen Varakas erreicht haben.

Der Dieb strich gedankenversunken mit den Fingern über das Holz der Reling. Ein schönes Gefühl. Das Holz war nicht gehobelt worden, man hatte es nicht geschliffen. Lenikki mochte wissen, was man sich unter einer 'elbischen Werft' vorzustellen hatte. Vielleicht eine Horde von Ältesten, die mit ihren Magien den Boden vollpumpten, damit die starken Wurzeln darin keinen Baum, sondern ein Schiff formten? Wer wusste das schon so genau. Jedenfalls würde das erklären, warum die Schränke, das Bett, der Tisch, warum das Mobiliar der Kabinen keine Einzelteile waren, die man hinein geräumt hatte, sondern feste Bestandteile der Wände und Dielen des Schiffes. Lediglich die Stühle waren lose Einzelstücke – wohl aus dem pragmatischen Grund, dass man sie verschieben können sollte.

Ashes dagegen schien sich weit weniger dafür zu interessieren, wie die Schiffe entstanden. Sie blickte in das Meerwasser hinab, blickte der weiten, endlos scheinenden See entgegen, dem Sonnenuntergang, der die wenigen Wolkenfetzen in tiefes Blutrot färbte, dem Hafen, der immer kleiner wurde und sich aus dem Sichtfeld schob.

Sie hatten es geschafft. Bei den Göttern, den Ahnen und allen Geistern – sie hatten es geschafft. Und keine Kraft der Welt würde sie je wieder zu diesem Ort zurück bringen können. Der Höllenschlund, so hatte sich gezeigt, trug seinen Namen zu Recht.

Da war Alistair fast in Hochstimmung bei dem Gedanken, dass es als nächste Station nach Lairuinen ging, zurück in seine alte Heimat. Denn egal, wie die Leute dort auch reagieren mochten – wobei er da eine klare Vorstellung hatte -, es konnte nicht schlimmer sein als das, was sie soeben hinter sich ließen. Was genau in Ashes vor sich ging, als sie ihren Blick in die Ferne schweifen ließ, vermochte der Dieb nicht zu sagen. Vielleicht bedauerte sie Efsane. Die zwei Frauen hatten über die Dauer ihrer Reise doch eine Art von Verbindung geschaffen, wie sie für Ashes selten war. Vielleicht bedauerte sie auch die Entscheidung, die sie getroffen hatte... oder sie war einfach nur froh, Lithlad endlich hinter sich zu lassen.

Ashes zog sich zurück unter Deck. Sie wollte ihre Waffen prüfen. Verständlich – der Bogen hatte viel durchmachen müssen, sie musste die Sehne prüfen, den Halt und die Straffung. Auch die Armbrust musste von Zeit zu Zeit gewartet werden und ihrem Schwert täte es nicht schlecht, wenn das alte Blut endlich abgewaschen werden würde. Allerdings war das nichts, das für Alistair genug Faszination aufbot, sein Interesse lange zu halten – entsprechend nickte er nur verstehend und verweilte länger an Deck.

Die Zeit verlor sich, das Rot der Wolken wurde dunkler, ging allmählich in einen Lilaton über, dann Blau. Dunkelheit zog auf, färbte das Wasser zunehmend schwarz. Auch die Crew zog sich nach und nach zurück, bis nur noch ein kleiner Rumpf an Deck blieb, die man an einer Hand hätte abzählen können.

„Das Wasser ist unruhig... aufgewühlt. Wir sollten vorsichtig sein.“ orakelte ein Elb, der sich ungefragt zu ihm gesellte und in die Schwärze am Schiffsrumpf herab spähte. Alistair hingegen zuckte mit den Schultern. Bei Lenikki, was sollte ihnen schon noch widerfahren? Nichts würde sie noch überraschen können.

Sie hatten mit Naga gerungen, sie hatten eine Seeschlange in die Knie gezwungen, sie hatten mit einem Drachen gesprochen und ganze Dämonenhorden bezwungen. Was immer dieser Elb auch fürchtete – Alistair war sicher, dass sie damit fertig werden würden. Zudem stand ihm danach nicht der Sinn, weder nach Gespräch noch nach Gesellschaft.

Entsprechend stieß er sich wortlos von der Reling ab, ließ den Elb allein zurück, der weiter in das Meer starrte und trat die Stufen zum Ruder empor. Der Steuermann war Alistairs bisheriger Erfahrung nach ein recht schweigsamer Geselle – allerdings, wie sich zeigte, schien das nicht für Elben zu gelten. „Eure Begleiterin wirkt angespannt.“ bemerkte er. Alistair, der sonst immer und allzeit gut gelaunt war, stand kurz davor, genervt zu seufzen. Warum musste hier jeder irgendwelche Kommentare dazu abgeben, wie sie aussahen oder was ihnen bevor stand oder dergleichen? Reichte es nicht, dass sie Übles hinter sich hatten? Konnten sie nicht wenigstens ein paar Tage Ruhe einfordern, ehe ihnen der Rest der Welt wieder zu Leibe rücken konnte?

Aber es wurde schlimmer. Offenkundig hielt der Elb sich dazu berufen, genau das zu tun, was die Welt von Elben erwartete – er stimmte einen Gesang an. Alistair zeigte sich einen kurzen Moment davon angetan, doch die Melodie klang ihm irgendwie zu traurig und schlug ihm auf sein ohnehin etwas lädiertes Gemüt, weshalb er beschloss, sich unter Deck zu begeben.

Schon auf halbem Weg zur Kabine kam ihm Ashes entgegen.

„Ich breche ihm alle Knochen!“ fauchte die Elbe mit Zornesglühen in den Augen. Einen kurzen Moment rang Alistair mit dem übermächtigen Impuls, sich rasch an die Wand pressen zu wollen, um ihr ja nicht im Wege zu stehen, doch er konnte ihn bezwingen. Stattdessen streckte er die Arme vor und versuchte, Ashes aufzuhalten.

„Beruhige dich! Was ist denn los?“ versuchte er in Erfahrung zu bringen. Natürlich hatte er das klassische Problem, dass er eben kein Spitzohr war. Seine Ohren waren nicht fähig, den Gesang selbst hier unter Deck noch zu hören – anders als Ashes. Seine Sprachkenntnisse waren auch zudem nicht ausreichend, um zu erkennen, worum es in diesem Gesang ging – anders als Ashes.

„Er singt von mir!“ fauchte sie aufgebracht. Die Erklärung hätte Alistair fast lachen lassen. Ja, natürlich tat er das. Hatte er nicht genau das irgendwie indirekt angedeutet? Eure Begleiterin wirkt angespannt. Trällern wir ein fröhliches Elbenliedchen, um sie wieder lächeln zu lassen...! Vermutlich würde Ashes tatsächlich lächeln – sobald sie ihm alle Zähne ausgeschlagen hatte.

„Beruhige dich!“ wiederholte Alistair und versuchte mühsam, Ashes davon abzuhalten, dass sie sich einfach an ihm vorbei schob. Sie wussten beide, dass es mühelos im Bereich ihrer Körperkräfte lag, ihn notfalls sogar einfach an die Wand zu schieben und vorbei zu gehen, oder ihn notfalls den halben Gang abwärts zu werfen, damit er lernte, ihr gefälligst nicht im Weg zu stehen – wobei Alistair sich gerade in diesem Punkt bisher als sehr lernresistent erwiesen hatte. Doch sie sah von derlei Aktionen ab.

„Hör dir das Gejammer doch mal an! Warum verteidigst du den?“ fuhr sie ihn noch immer aufgebracht an. Alistair versuchte ihr zu erklären, dass er keineswegs den Elben in Schutz nahm, sondern viel eher auf die eigenen Privilegien bedacht war. Aktuell hatten sie ein schönes Zimmer mit Aussicht und durften sich frei bewegen. Wenn sie nun dem Steuermann das Kreuz brach, würde man sie vermutlich in die bordeigene Gefängniszelle werfen. Schlimmstenfalls getrennt, und noch schlimmer – eventuell mit einem kleinen Sängertrio, zu Unterhaltung und Folter gleichermaßen.

„Außerdem... kannst du dich nicht einfach damit begnügen, ihm die Weichteile abzuschneiden?“ fügte Alistair letzthin nach einer kleinen Pause grinsend an. Ashes dagegen schien sich in ihrem Zorn nur unwesentlich beruhigt zu haben und funkelte noch immer aufgebracht die Treppen zum Deck empor.

„So wie der singt, kann da nichts sein, für das es sich lohnen würde, ein Messer zu ziehen!“ keifte die Elbe.

Einen kurzen Moment Schweigen, in der Alistair scheinbar seine Mimik völlig entglitt und in unterschiedliche Zustände wechselte, uneinig, was er nun zum Ausdruck bringen wollte, ehe der Langfinger aus vollster Kehle prustete. Seine Konzentration auf das Vorhaben, Ashes aufzuhalten, war völlig zerstreut. Einzig sein Lachen hallte durch die Gänge, es zwang ihn sogar so sehr, dass er sich krümmte, sich den Bauch hielt und sich gegen die Wand des Ganges rutschen ließ. Ashes hätte nun mühelos an ihm vorbei gekonnt, sicherlich – doch Alistairs herzhaftes Lachen schien etwas Ansteckendes an sich zu haben. Er konnte es natürlich nicht sehen, doch die unbändige Wut in ihrem Blick schmolz zügig dahin, bis auch sie zumindest schmunzelte.

Es brauchte ein paar Augenblicke, ehe der Dieb sich wieder dazu befähigt sah, sich aufzurichten. „Brich ihm nicht die Knochen, ja?“ grinste Alistair nur schelmisch.

„Ich hole mir nur seine Zunge...“ erwiderte Ashes sein Grinsen. Nunmehr ließ der Dieb sie auch ohne Widerstand passieren und wartete noch einen Moment ab. Der Gesang, den er einen Moment zu vernehmen glaubte, erstarb in dem Moment, als Ashes in die Nachtschwärze des Oberdecks trat.

„Hey, du da.“, hörte er sie rufen, „Streck mal die Zunge raus!“

Kurz darauf erklang ein recht schmerzvoll klingender Schrei samt anschließendem Wimmern. Der Gedanke, wie der Elb tatsächlich dumm genug war, ihrer schauspielerisch perfekt freundlichen Bitte nachzukommen und sie ihm im Gegenzug gegen den Unterkiefer schlug – natürlich in einer Aufwärtsbewegung – war gleichermaßen amüsant, wie es dem Langfinger auch etwas Mitleid einflößte. Es war schon schmerzhaft genug, sich selbst auf die Zunge zu beißen, aber dann auch noch so? Zweifellos würde er die ganze Reise über kein Wort mehr sagen. Nicht nur, weil er sich das in Ashes Gegenwart wohl nicht mehr trauen würde, sondern auch, weil er es einfach nicht konnte. Vielleicht gab das der Elbe ein wenig Ruhe.

Einen Moment wartete er noch, ehe sich Alistair wieder den Gang herab begab, immer in Richtung der eigenen Kabine, durch deren Tür er schließlich auch verschwand. Die kleine Öllampe brannte noch und warf ein warmes, wenn auch spärliches Licht durch den Raum. Der Nordmann entledigte sich seiner Kleider, wobei die kleinen Säckchen mit Diamanten genauso unter sein Kopfkissen wanderten wie es der Dolch tat, dessen Klingengravur ihm noch einen kurzen Moment des Innehaltens und der Erinnerungen an Sundergrad abrangen. Damals war alles noch so schön einfach gewesen. Dorthin gehen, die Person ausquetschen, dorthin gehen, den Gegenstand klauen, und immer schnell genug sein, um den Verfolgern davon zu jagen.

Schließlich schlüpfte der Dieb unter die Decke und wartete. Allzu lange musste er nicht ausharren, bis Ashes kam. Für Alistair war es die reinste Augenweide, wie sie begann, ihre Panzerung abzulegen. Die Waffen waren natürlich rasch verstaut – wie auch er, besaß sie ebenso die Angewohnheit, etwas der Verteidigung Dienliches immer in Reichweite zu behalten. Danach jedoch löste sie die Schnallen und Schnürungen ihres blattgrünen Panzers, legte Teil um Teil ab und brachte fast mehr Haut zum Vorschein, als der Langfinger in seiner gegenwärtigen Agonie zu ertragen fähig war. Einen Moment glaubte er sogar, dass sie sich Zeit ließ – wohlwissend um seine Reaktion, seine Blicke, die auf ihr ruhten. Aber das war ein subjektiver Eindruck, musste es einfach sein. Es wäre zu demütigend gewesen, sich einzugestehen, dass er ihr mit Haut und Haar verfallen war, sie das bestens wusste und ihn nach Belieben zappeln ließ. Ein derartiges Maß an Kontrolle wollte er ihr trotz allem nicht zugestehen.

Dann jedoch wandte sich Ashes um, aalte sich einen Moment regelrecht im Anblick des Diebes, dem die Augen über gingen. Sekunden nur, die viel zu schnell verflogen, ehe sie das Licht löschte. Ein starkes Gefühl von Frustration und Enttäuschung machte sich breit, als die Dunkelheit das Zimmer verschlang. „Könnten wir nicht-“ setzte Alistair leise flüsternd an, doch da fiel ihm Ashes mit einem simplen „Nein.“ ins Wort.

„Aber sie ist doch-“

„Genau nebenan und sehr hellhörig, da hast du völlig Recht, es wäre einfach anstandslos...!“

Sie wehrte ihn schon wieder ab. Nicht, dass er der ewigen Versuche müde werden würde – das keineswegs. Aber es war schlichtweg frustrierend. Zumal er sich sicher war, dass er sie wider der Dunkelheit, vielleicht lag es ja auch an ihrem Tonfall?, hatte breit grinsen sehen. Sie bestrafte ihn immer noch dafür, dass er Naru mitgenommen hatte. Verflixt – so nachtragend war sie schon lange nicht mehr gewesen. Und das letzte Mal hatte es ihn 'lediglich' Geld gekostet. Und etwas Proviant. Und Bequemlichkeit.

Resignierend ließ er sich in das Bett sinken. Es war weich, es roch gut, es umschmeichelte seine Haut – und er hatte für all das kaum mehr als ein unzufriedenes, leises Seufzen übrig. Zweifellos trug selbst das zu Ashes' Amüsement bei, immerhin war sie verflixt hellhörig. Was nützte ihm das bequemste Bett und die tiefe Nacht, wenn er sie allein verbringen musste? Gut, zugegeben, bis vor nicht allzu langer Zeit hatte er die Nächte immer allein zugebracht. Aber das hatte sich eben geändert. Wie sagte man so schön? Er hatte Blut geleckt? Eigentlich ein ziemlich merkwürdiger, ja regelrecht verstörender Vergleich, aber er traf den Kern: Er war in einen Genuss gekommen, den er nun nicht mehr hergeben wollte. Das zu bestimmen oblag aber zu allem Übel nicht seinem Wort.

Alistair fiel nach fast einer Stunde in unruhigen und dennoch erholsamen Schlaf. Seine Körper sog aus jeder Minute der Entspannung das Maximum an möglicher Regeneration – der Höllenschlund hatte ihnen allen viel abverlangt.

Die ersten drei Tage an Bord verliefen erstaunlich reibungslos. Gelegentlich eckte Ashes mit ein paar Crewmitgliedern an, was sich letztlich darin äußerte, dass der Kapitän die Order erteilte, man möge sich von ihr fern halten. Vermutlich wollte er nicht riskieren, dass sich noch mehr seiner Männer zu den drei Matrosen gesellen mussten, die verletzt unter Deck ihr kläglich-langweiliges Dasein fristen mussten. Andererseits durfte er sie auch weder einsperren noch von Bord werfen, wie sie durch diese Zwischenfälle erfuhren – der Kapitän hatte die klare Order, sie nach Varakas zu bringen und schien gewillt, diesen Befehl auf jeden Fall auszuführen.

Naru entwickelte in dieser Zeit eine geradezu ungesunde Faszination für die versiegelten Frachträume, die sich in den untersten Decks des Schiffes befanden. Vermutlich war das Schloss nach allem, was Alistair ihr beigebracht hatte, keine große Herausforderung mehr für sie, allerdings gab es Wachen, die dort regelmäßig ihren Gang absolvierten, ein Zauber lag auf dem Metall der Türklinke und man behielt sie ohnehin im Auge, also verbrachte sie ihre Zeit damit, herum zu streunen und auf die richtige Gelegenheit zu warten.

Kat indes schien ganz andere Gedanken zu wälzen. Die Mehrheit der Zeit verbrachte sie auf dem Oberdeck und machte sich in einer stillen Absprache mit dem Kapitän sogar nützlich. Sie sicherte die Taue, hielt im Krähennest Wache oder übernahm das Steuer. Natürlich immer unter Führung und Wache – man traute ihr trotz ihrer zur Schau gestellten Kenntnisse nicht zu, dass sie so weit sehen konnte wie ein Elb oder das sie fähig wäre, ein solches Schiff zu steuern. Sie schien sich daran jedoch wenig zu stören. Als ginge es ihr rein um das Gefühl, das Steuerrad zu lenken, als würden damit Erinnerungen zusammen fallen, die sie nicht auszusprechen gewillt war.

Selbst dieser merkwürdige Elb, der am Tag ihrer Abreise noch von unruhigen Gewässern gebrabbelt hatte, schien sich mit seinen vagen Prophezeiungen zurück zu halten. Ohnehin war es schwer, ein Spitzohr vom anderen zu unterscheiden, zumindest für Alistair, doch bisher hatten sich keine größeren Probleme gezeigt: Sie waren gut voran gekommen, hatten mittelstarken Rückenwind, der die Segel hübsch aufplusterte, die Gewässer lagen friedlich da, die Wolken am Himmel hielten sich zurück.

Vielleicht würde es endlich einmal eine ruhige Reise werden.

Natürlich war das ein Irrtum...
 

Es war Nacht. Noch anderthalb Tage und das Schiff würde Varakas erreichen. Droben am Himmel stand der Neumond, die Sterne versteckten sich schüchtern hinter den wenigen Wolkenfetzen, die schleierhaft halfen, die Dunkelheit auszubreiten. Drei Mann waren noch an Deck. Einer der Elben lehnte sich auf die Reling. Vor einigen Tagen hatte er in dem Versuch, einem Menschen Angst einzuflößen, von Gefahr gesprochen.

Ein Plätschern ließ ihn aufhorchen. Er spähte herab auf die Wasseroberfläche. Schwarz lag sie da, unruhig. Seine elbischen Sinne halfen ihm, bis auf die Oberfläche herab zu spähen, aber er konnte das Schwarz nicht durchdringen. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. So als ob... als ob ihn jemand anstarren würde. Er wandte sich um, blickte zu seinen Kameraden. Der Steuermann lenkte in aller Ruhe das Schiff. Der Dritte im Bunde schrubbte das Deck.

Nein, die Quelle war nicht auf dem Schiff. Wieder wandte er sich um, blickte in die Tiefe hinab. Da bewegte sich etwas.

„Hallo, schöner Mann...“

Ein leichtes Säuseln, ein zärtliches Wispern im Wind, so zerbrechlich, so wunderschön. Er stützte das Kinn auf die Hände, blickte verträumt herab. Nichts, was er sah, überraschte ihn, nichts erschreckte ihn. Sie kam näher, kletterte die Schiffswand herauf. Eine zärtliche Hand fuhr über seine Wange. Er störte sich nicht daran, wie kalt sie war, wie nass. Er wollte bei ihr bleiben. Ja, das war ein schöner Gedanke. Er würde fort ziehen. Wozu ein Haus in Lithlad? Er könnte mit ihr an der Küste wohnen. Sie würden ganze Zeitalter gemeinsam durchstreifen können. Was für prächtige Kinder sie wohl hätten...!

Ihre Finger strichen sanft seinen Hals herab. Kleine, rötliche Spuren hinterließen sie auf seiner Haut. Selbst als ihre Finger sich vorsichtig in seinen Hals drückten, seinen Kehlkopf umschlossen, harrte er aus, blickte voller Hoffnungen und Erwartungen herab. Sie war so bildschön. Zweifellos würden ihre Kinder diese Schönheit erben. Er würde ihr helfen, bei allem... immer... überall...

Ein kurzer Ruck, seine Augen weiteten sich. Schmerz flutete seinen ganzen Körper, als sie ihm seinen Kehlkopf aus dem Hals riss. Blut strömte in Sturzbächen aus der Kehle, rann die Schiffswand herab.

Sie war so wunderschön... und so voll der Gnade. Woher hatte dieses perfekte Geschöpf nur wissen können, dass er des Lebens so überdrüssig war? Ja, eine Göttin musste sie sein, Fleisch geworden. Er war ihrer Gegenwart eigentlich gar nicht würdig.

Selbst als der Blutverlust ihn immer stärker schwächte, er langsam an der Reling zusammen sank, waren seine letzten Gedanken voller Verehrung und Hingabe. Ehe sein Leib aber zur Gänze auf dem Deck ankam, wurde sein Handgelenk gepackt. Ein kraftvoller Zug zerrte den Körper des Elben langsam über Bord. Kein verräterisches Platschen, kein Aufschlag. Langsam wurde er herab gelassen, glitt in das Wasser, geführt von oben, entgegen genommen von unten.

Zärtlicher, verheißungsvoller Gesang drang an die Ohren der anderen Beiden, machte sie blind und taub für alle Gefahren. Dieses wundervolle Lied... keine elbische Königin hätte so singen können! Sie begehrten sie, sie, die Quelle dieses Liedes war... langsam verließen sie ihre Posten, traten an die Reling heran. Ja, die Quelle. Sie musste irgendwo dort draußen sein, dort in der See.

Keine Gewalt war im Spiel, als Hände nach ihnen griffen, sie über Bord zogen. Sie gaben sich völlig hin, ihrem Willen, ihrem Spiel, der eisigen Kälte ihres Gewässers. Dann kehrte Stille ein. Wenige Augenblicke nur, in denen das Steuerrad still stand, in denen das ganze Deck verwaist lag. Gespenstische Ruhe.

Dann kamen sie, zogen sich über die Reling, ließen sich ungeschickt auf das Deck fallen. Mit ihren Fingern zogen sie feine Linien über ihre geschuppten Unterteile, zogen sie über die empfindliche Flosse herauf bis zu ihren Hüften. Das zarte Schuppenkleid riss auf, nur um sogleich abheilend sich wieder zu legen, die Flosse schien einzuschrumpfen, das schillernde Kleid ihrer Schuppen selbst begann an Glanz zu verlieren, sich zurück zu ziehen in das Fleisch, das unter ihnen lag. Am Ende blieben sie zurück, jene Gebilde, die man Beine nannte. Es war ungewohnt, nach so langer Zeit wieder zu laufen.

Ein dutzend nackter Frauen erhob sich vorsichtig auf ihre wackeligen Beine. Sie zogen sich an der Reling oder an Tauen empor, versuchten sicheren Halt und Stand zu finden. Wie unbequem die Welt oberhalb des Wassers doch war, wie kompliziert und merkwürdig.

In großem Bogen umgingen sie die Öllaternen. Offenes Feuer, Flammen, brennendes Licht – das war ihnen nicht geheuer. Vor der Luke zum Unterdeck versammelten sie sich. Eine dichte Traube, es erinnerte fast an Sklaven, die man zusammen trieb – sie schmiegten sich dicht aneinander. Keine von ihnen wollte länger als nötig von ihren Schwestern getrennt bleiben. Ein letztes Mal versicherten sie sich, dass jede von ihnen sicheren Halt gefunden hatte. Ein Nicken der Ersten, ehe ihre Lippen sich einen winzigen Spalt breit öffneten.

Ein Gesang entströmte ihren Kehlen, der nicht natürlichen Ursprunges sein konnte. Die Melodie durchdrang jede Faser, verlockte mit Reizen und Ekstase, wie sie nur der wohlgeformte Leib eines Weibes bieten konnte, verlockte mit Träumen von Ruhm und Reichtum, verlockte mit dem Gedanken, alte Feinde zu besiegen und lange aufgeschobene Vorhaben zu einem bravourösen Ende zu bringen.

Sie zogen die Treppe herab, in die Gänge, verteilten sich in den Kammern. Raum um Raum wurde überprüft. Die Crew war ihnen binnen Sekunden ergiebig, folgte ihnen blinden Vertrauens an Deck, ließ sich ohne Widerstand in die Hände ihrer Schwestern in der See übergeben, die sie in die Tiefe zogen. Nach und nach leerten sie das Schiff, die Decks, die Kammern.

Eine der Ihren steuerte auf eine weitere Kammer zu. Ihre eigenen Ohren waren nicht befähigt, den Gesang in seiner vollen Wonne zu vernehmen, doch sie sah die Auswirkungen auf andere. Sie sah, wie die Elben sie vergötterten, ihr wohlgefällig zu Diensten waren, bereit, alles für sie zu tun. Vorsichtig schob sie die nächste Tür auf spähte mit ihren gelblichen Augen in das Dunkel dahinter. Ein Bett lag zerwühlt und leer, im Zweiten ruhte eine schlafende Gestalt.

Alistair träumte. Es waren grässliche Träume gewesen, von Tod, Blut und Verderben, ein Alptraum über den Höllenschlund. Doch dann hatte sich etwas verändert. Etwas schien darauf einzuwirken. Die Bilder lösten sich auf, wie Metall, das eingeschmolzen wurde, verloren sie an Konturen, bis sie eine einheitliche, nichtssagende Masse bildeten, etwas, das weder erschrecken noch ängstigen konnte. Stattdessen zogen neue Bilder in seine Träume ein. Erinnerungen an die Überfahrt von Varakas nach Sundergrad.

Sie hatten die Seeschlange bezwungen, er hatte sich endlich getraut, Ashes zu offenbaren, weshalb er allzeit gegen ihren Verschleiß an gut gebauten und hohlköpfigen Männern war, er erinnerte sich an den Geruch ihres Haares, an die rüde Art, mit der sie ihn auf das Bett gedrückt hatte. Ashes hielt die Kontrolle, sie hielt immer die Kontrolle.

Er spürte ihre Berührungen, wie sie zunächst zart über seinen Hals strich, sich zu einem Kuss hinreißen ließ. Er war weit weniger zärtlich, eher fordernd. Es passte zu ihr. Seine Arme hoben sich, seine Hände fuhren ihren Rücken herab, glitten zu ihrem Becken. Er wollte sie, er wollte sie mit Haut und Haar, er wollte die Nacht mit ihr verbringen, die nächsten tausend Nächte, ach, warum nicht sein ganzes Leben!

Selbst als Alistair die Augen schwerfällig öffnete, träumte er noch. Er raunte ihr leise ihren Namen zu. Fast kam er sich kläglich vor, sie so anzubetteln. Fast. Ashes drückte ihn erneut in die Matratze zurück, als er sich zu ihr aufrichten wollte, hob sich leicht von ihm. Enttäuschung, Resignation, er wollte nicht, dass sie ging, verfluchte jeden Zentimeter, der sie von ihm trennte. „Geh nicht...“ flüsterte er verhalten. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihre Hand über seine Brust herab wanderte. Eine kurze Korrektur nur, die sein Herz einen Takt stolpern ließ, ehe es in einen deutlich rascheren Rhythmus hinein fand. Sie senkte sich wieder, gewährte ihm seinen Wunsch, ließ ihn einen Teil von ihr werden. Ein atemloses Keuchen drang aus seiner Kehle, als sie auf seinem Schoß aufsetzte.

Er schämte sich. Ein Teil von ihm tat es zumindest. Denn obgleich sie so gnädig war, ihm seinen Wunsch zu erfüllen, gierte er nur nach mehr. Mehr von ihr, mehr von ihrer Haut, ihrem Duft, ihren Küssen. Sie bewegte sich langsam, ließ ihr Becken auf und ab fahren, drohte ihm jede Kontrolle über sich selbst zu entreißen. Rasch zog sie das Tempo an, nahm sich, was sie begehrte und gab ihm damit zugleich, was er wünschte.

Eine der Eindringlinge trat an die offen stehende Tür heran. Einen ausgiebigen Moment beobachtete sie das Treiben ihrer Schwester, unschlüssig, ob sie die Szenerie amüsant oder widerwärtig finden sollte. „Hör auf, mit ihm zu spielen.“ säuselte ihre Stimme lieblich. Ihre Schwester hielt inne, erstarrte in ihrem Ritt und wandte den Blick der Türe zu. Ein kaltes, grausames Lächeln umspielte ihre Lippen. Ein Kopfschütteln, mehr war nicht nötig, dann zog sich die Störende von der Tür zurück und schickte sich an, den Rest des Schiffes zu durchsuchen.

Alistair begriff nicht, was Ashes dazu brachte, zu stoppen. Er erhob sich, flüsterte ihr zu, doch sie drückte ihn zurück. Vielleicht hatte sie sich entschieden, ihn zu erhören – sie setzte wieder ein, beugte sich tief vor, übergab ihm einen Funken von Kontrolle. Begierig nutzte Alistair diesen Funken bis an seine Grenzen aus, steigerte nun seinerseits die Geschwindigkeit, während seine Arme sie umschlangen. Ein Keuchen drang aus ihrer Kehle, spornte ihn nur noch weiter an. Sie richtete sich wieder auf – ein Moment des Bedauerns, ehe die Glückseligkeit wieder überwog. Er spürte die Grenzen seines eigenen Wohlgefallens nahen, die Ekstase, derer er dem eigenen Gefühl nach schon zu lange hatte entbehren müssen. Aufgebracht keuchte er ihren Namen, versuchte einen Moment länger die Kontrolle zu halten.

Etwas besudelte ihn.

Binnen Sekunden riss es das Bild in Fetzen. Nicht Gillians Schiff. Die Seeschlange war längst von Fischen zerlegt und gefressen worden. Und das... war nicht Ashes!

Entsetzen machte sich breit, der Wunsch, zu fliehen, zu entkommen. Eine stattliche Reihe nadelspitzer Zähne blitzte ihm im dünnen Lichtschein entgegen. Ihre Haut hatte keinen Ton, der bei Menschen je vorkäme – zumindest nicht bei lebenden. Doch da war mehr.

Je weiter sich Alistair von der Illusion entfernte, umso stärker fluteten die Details seinen Geist. Erst jetzt bemerkte er die Totenstille im Schiff – oder die Klinge, die am Hals der Sirene anlag. Ashes trat hinter dem Geschöpf der Meere einen Schritt näher, funkelte die Fremde voller Zorn und Verachtung an. Jemand hatte sich an ihrem Besitz vergriffen...

„Sing!“ forderte sie harsch.

Erst als die Sirene ein zweites Mal die Stimme erhob und Alistair zur Gänze einlullte, bemerkte der Dieb im Hinwegdämmern die Wunden, die jede ihrer Berührungen ihm zugefügt hatte, die Schnitte an Wange und Hals, die Stiche an seinen Schultern, der schmerzhaft tiefe Schnitt quer über seinen Bauch. Er bekam es mit der Angst zu tun, ehe der Wohlgefallen ihres Zaubers ihn wieder umfing. Während er erneut in Illusionen und Wunschgedanken abdriftete, entfaltete der Gesang seine Wirkung und begann, seine Wunden zu schließen.

So, wie kein Mensch krankes oder halbtotes Vieh essen will, sorgen die Sirenen mit ihrem Gesang gleichermaßen dafür, dass ihnen ähnliches nicht widerfährt.

Kaum aber, dass Ashes die 'Versorgung' seiner Wunden für ausreichend befand, durchtrennte ein kräftiger Ruck die Kehle der Sirene. Dunkelblaues Blut quoll dick daraus hervor, ehe die Elbe den baldigen Kadaver ruppig vom Bett stieß.

„Ich... ich wusste nicht... ich wollte nicht...“ begann Alistair daher zu stammeln, als er zu begreifen begann, was abgelaufen war. Ashes aber verlor kein Wort darüber – sie klatschte ihm seine Kleider entgegen und erwiderte lediglich, dass noch mehr an Bord seien. Das Wichtigste zuerst – das verstand der Dieb trotz seiner tiefgreifenden Beschämung.

Fast eine Stunde dauerte es, ehe sie gemeinsam auch die letzte Sirene vertrieben hatten. Dennoch war fast die gesamte Crew verschwunden. Spurlos – zweifellos ins Meer verschleppt. Doch wo waren Kat und Naru abgeblieben?

Ein zweites Mal durchsuchten sie das Schiff, Kammer für Kammer. Schließlich kamen sie in den unteren Frachträumen an. Tatsächlich hatte Naru es geschafft, eines der Schlösser zu knacken – und in eben diesem Frachtraum fanden sie die Beiden. Offensichtlich waren sie den Sirenen über den Weg gelaufen, die es entweder schon vorher wussten, oder an diesen Beiden gelernt hatten: Sirenengesang wirkte nur auf Männer. Also hatte man beide kurzerhand geknebelt und gefesselt in einen der Frachträume eingesperrt. Die Götter allein mochten wissen, warum man sie überhaupt am Leben gelassen hatte. Ashes war gerade über Narus Überleben offensichtlich nicht sonderlich erfreut.

Sie band Kat los und wies die Seeratte an, das Schiff zu übernehmen und besser in andere Gewässer zu steuern, ehe die Sirenen sich zu einem erneuten Angriff entscheiden konnten. Eifrig nickend, rieb sich der frisch gebackene Kapitän die noch von den Fesseln schmerzenden Handgelenke und zog dann hastig den Korridor herab in Richtung der Treppen zum Oberdeck.

Zurück blieb Naru, reglos und wortlos. Sie sah erwartungsvoll zu dem Langfinger auf, fast schon dankbar, der sich gerade anschickte, das kleine Mädchen von seinen Fesseln zu befreien.

„Alistair...“ säuselte es da hinter ihm. Der Dieb wandte sich um und erspähte Ashes im Türrahmen. Einen Moment begriff er nicht, was sie ihm vermitteln wollte, ehe sie plötzlich die Hand an der Seite ihrer Rüstung herab fahren ließ und eine der Schnallen aufschnappen ließ. Diese Geste und der verheißungsvolle Blick – mehr benötigte es gar nicht.

„Ich... äh...“ brachte der Langfinger zögerlich hervor, wobei er versuchte, nach nicht in die Augen zu blicken, „... komme wieder... gleich... bald... versprochen!“

Noch während die Halbelbe ihren Unmut darüber zum Ausdruck brachte, indem sie recht lebhaft herum zappelte und irgendetwas in den Knebel nuschelte, zog sich der Nordmann zügig zurück. Er störte sich nicht einmal daran, dass die Elbe daraufhin die Frachtraumtür wieder ins Schloss fallen ließ. Würde er schon irgendwie aufbekommen, nachher, oder morgen, oder so...

Wenige Augenblicke später schloss sich die nächste Tür. Ihre Kabine war das nicht – so weit hatten sie es nicht geschafft. Ohnehin lag da noch dieses tote Ding rum.

Ashes drückte ihren Dieb auf das Bett nieder, doch Alistair durchkreuzte ihren Plan. Er zog die Elbe ihre Taille umgreifend mit sich, vermochte mit dem ihm eigenen Geschick sogar eine geradezu kunstvolle Wende zu inszenieren, dass sie nunmehr unter ihm ruhte. Gerade als sie die Lippen öffnete, zum Widerspruch, zu Anweisungen, mochten es die Götter wissen – kam der Langfinger ihr einmal mehr zuvor.

Noch während er nun seinerseits ihr einen Kuss stahl, fuhren seine Hände ihren Hals herauf. Er ertastete ihr Ohr, die unzähligen kleinen Silberringe darin, spielte einen Moment daran herum, fuhr in einer zarten Geste über die empfindliche Stelle, unwissend, dass er sie damit nur anstachelte. Natürlich kam das Alistair mehr als gelegen – nur für Naru bedeutete das eine noch längere Wartezeit...



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