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Lumiél

Königreich der Monde
von

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Alte Wunden

Rache war immer so eine Sache. Thorin konnte sich wohl mit am wenigsten leisten, über jene zu urteilen, denen es danach verlangte. Gleichwohl aber, wusste der Krieger auch mehr darüber als kaum ein anderer. Er kannte das brennende Verlangen, die eigenen Hände im Blut eines Feindes zu baden, er kannte die Begierde nach dem Blick in fremde Augen, wie sie voller Angst, Verzweiflung und Entsetzen Ereshkigals Schatten aufziehen sahen. Und er kannte den faden, schalen Geschmack, wenn man das einstige Ziel der eigenen Rachewünsche zu Boden sinken ließ, sich erhob und einen Blick um sich herum warf. Die Welt hatte sich nicht verändert, der Schmerz war nicht verschwunden, eigentlich... hatte man trotz solch starker Gefühle und deren zielstrebiger Umsetzung nicht das Geringste bewirkt.

Nur ein weiteres Leben, das ausgelöscht war. Nicht mehr, nicht weniger.

Trotz alledem wusste der Kahlköpfige aber auch, dass Rache durchaus eine Triebfeder dieser Welt war. Er selbst hatte Rache geschworen, nicht nur einem einzelnen Wesen gegenüber, sondern einem ganzen Volk – und er hatte die Welt verändert! Wenn auch nicht allein...

Doch konnte er Ninafer vorwerfen, was sie zu tun, welche Pfade sie zu schreiten bereit war? Wohl kaum. Seit der Begegnung mit Duncan hatte es deutlich mehr Momente der Schwäche in ihrer sonst so höflichen, dennoch aber auch etwas distanziert wirkenden Mauer gegeben. Sie bröckelte vor sich hin, ihr Schutzwall, der ihr all die Jahre geholfen hatte, das Unrecht zu ertragen, das man vor ihren Augen verübte, das ihr zu Ohren kam, das sie... am eigenen Leib erfahren musste. Ihr Geist war angeschlagen? Vielleicht. Aber er war nicht zerstört.

Duncan jedoch schien etwas in Bewegung gesetzt zu haben. Vielleicht war Ninafers Wunsch weit mehr als nur Rache – vielleicht war es ihr Versuch, das, was er zu bewirken versuchte, aufzuhalten. Und bei Arimasper, wer war er schon, zu wissen, ob das funktionieren konnte?

Sein Blick fiel lediglich auf die gähnende Schwärze vor ihm. Glitschige, flache Treppen führten tief hinab in die Eingeweide der Erde. Ceteus selbst hätte da unten hausen können – sie wussten nicht, was sie erwarten würde. Bis hierher hatten sie die Spur verfolgt, aber nun stand es schwierig um ihr Vorankommen. Es wurde gezögert, alle spürten es – selbst Ninafer hielt inne, zauderte, blickte den Tunnel hinab, der sich in den kleinen Hügel mitten im Nirgendwo der weiten Grassteppe gefressen hatte.

Vorsichtig trat der Krieger an die Adlige heran. Er wollte ihr helfen, gleichwohl sie aber nicht erschrecken. „Noch können wir umkehren.“ merkte er leise an. Die Anderen mussten nichts von diesem Gespräch erfahren, sie mussten keines seiner oder ihrer Worte hören. Diskretion, ausnahmsweise.

Sie blickte zu ihm auf, der Blick glasig. Hatte sie in Erinnerungen fest gehangen? Hatte er sie befreit oder gestört? Der Wunsch, sich zu entschuldigen, war nicht unerheblich – doch Thorin unterdrückte ihn. Bisher hatte sie meist zu sagen gewusst, wann ihr etwas nicht recht war. Dieses Mal schüttelte sie einfach nur den Kopf und obwohl er verstand, wollte er sicher gehen. „Wir wissen nicht, was uns dort unten erwartet.“

„Eine Falle.“ gab Ninafer zu seiner Überraschung völlig gleichmütig wieder.

Die ganzen Tage über hatte er es bereits geahnt. Duncan bereitete etwas vor. Die Spur war zu deutlich, sie war einfach zu leicht zu verfolgen. Nicht er hatte das festgestellt – ihm war es nur recht gewesen, einer leicht lesbaren Spur nachzujagen. Tokhtora hatte es angemerkt. Diese verdammte Grünhaut. Er traute ihr keinen Fingerbreit, aber – und das musste selbst Thorin zugestehen – diese Wilde aus den Dschungeln am Ende der Welt verstand sich nun einmal besser darauf, Spuren zu deuten und zu erkennen, ob sie glaubwürdig waren, oder ob man sie mit Absicht hinterlassen hatte. Wenn hier wirklich Letzteres der Fall war, würde sie dort unten tatsächlich keine angenehme Überraschung erwarten.

Doch woher wusste Ninafer davon? Die verdammte Grünhaut hatte ihm das 'im Vertrauen' gesagt – als wenn er jemals einem Ork trauen würde!

Offensichtlich hatte sie ein gutes Gespür. Oder sie stand in Kontakt zu Ereshkigal – wer wusste das schon? Thorin hatte gelernt, dass man sich bei Ninafer sicher sein konnte, dass es nichts gab, dessen man sich bei ihr wirklich sicher sein konnte. Das war zumindest bisher die einzige wirkliche Konstante, die er erkannt hatte. Immerhin hatte er sie inzwischen sogar schon wütend erlebt – und war doch zuvor fest überzeugt gewesen, das sei bei ihrem hin und wieder recht unbedarften Wesen unmöglich.

Offenbar sammelte sich die Adlige nur, bis sie voran schritt, von Thorin gefolgt auf den gähnenden Schlund zu. Sie zog eine der gelöschten Pechfackeln hervor und hielt sie Raven entgegen. „Ich bin kein Feuerstein.“ schnauzte die Kriegerin und kam der stillen Aufforderung dennoch nach. Thorin hingegen bemühte sich, zu schweigen, unauffällig zu bleiben, sich im Hintergrund zu halten. Er verstand sich gut mit Ninafer – und dem nach, wie Raven der Adligen in letzter Zeit gegenüber trat, vielleicht ihrer Meinung nach etwas zu gut.

Dabei gab es eigentlich keinerlei Besitzansprüche, die hier irgendwer hätte geltend machen können. Zugegeben, zu Beginn der Reise, die ersten Tage und Wochen, hatte Raven eine nicht unerhebliche Anziehungskraft auf ihn ausgeübt. Aber das hatte sich auch wieder gelegt. Wenn er das Bett mit einer Frau teilte, verlangte es ihn danach, die Wärme eines anderen Körpers zu spüren – doch Raven war so kalt wie eine Herbstnacht. In seinem Leben hatte er viel gesehen und erlebt, was ihn nachhaltig verändert hatte. Raven erging es genauso und hatte diese Parallele anfangs noch für Annäherung gesorgt, war sie inzwischen ein weiterer Teil des Mosaiks, der den Abstand aufrecht erhielt: Thorin erinnerte sich an den 'Blutengel', wie Raven in manchen Landstrichen genannt wurde. Er hatte sie nie zuvor persönlich gesehen oder getroffen, aber er erinnerte sich an die Geschichten, die Märchen, die Gerüchte. Es war viel Gutes dabei, sicherlich... aber eben nicht nur. Und manche der Gräueltaten, die man ihr nachsagte, waren... inakzeptabel. Selbst für einen Mann wie ihn, der es sich möglicherweise nicht leisten sollte, über die Grausamkeit und Skrupellosigkeit anderer zu richten.

Und dann war da noch ihr Blutdurst. Thorin kannte sich mit Magie nicht aus. Er wusste, was die Zirkel über Hexer propagierten und glaubte dem nicht wirklich. Blasierte Herren in Talaren, die glaubten, man würde sie überall wie Könige behandeln oder hätte das zumindest gefälligst zu tun? Nein, das war auch nur ein Verbund von Egomanen. Besonders mächtige Egomanen vielleicht, aber das änderte nichts an ihrem Wesen. Sie waren gefährlich, vermutlich genauso gefährlich wie die Hexen und Hexer, die sie so verteufelten. Dann waren da noch die Dämonen. Gefährliches Pack aus den Niederhöllen, hieß es. Er verstand nicht wirklich, woher sie kamen – obwohl man hier und da versucht hatte, ihm das zu erklären. Dämonen waren unheilige, verdorbene Kreaturen, die in diese Welt einfielen und nur Schaden verursachten. Natürlich klang das schrecklich voreingenommen, doch Tatsache war, dass der Axtträger in seinem Leben einige Dämonen getroffen und bekämpft hatte. Keinen davon hatte er je auch nur ein Wort sprechen hören – vielleicht waren sie dazu auch gar nicht fähig? -, aber jeder von ihnen hatte alles und jeden angegriffen. Und Blut spielte nach Thorins Wissen und Vermutungen immer eine negative Rolle bei soetwas. In Ritualen half es, Dämonen zu beschwören. Abtrünnigen Magi half es, dunkle Zauber zu weben. Manche Wesen zogen ihre Kraft daraus – so wie Raven.

Man konnte über Magie, die Zirkel, Dämonen und die Zusammenhänge von Ravens Blutdurst sagen, was immer man wollte – Blut zu trinken und sich damit zu stärken konnte einfach kein Merkmal der 'Guten' sein. Kein rechtschaffenes Wesen würde von den Göttern derartig gestraft werden. Also musste etwas Böses am Werk sein. Entgegen landläufiger Meinungen war das nichts, das Thorin irgendwie anzog.

Wie erwartet, richtete Raven kurz nach ihrer kleinen, verbalen Attacke den Blick geradezu nach Unterstützung heischend gen Thorin, der seinerseits die Regung rechtzeitig mitbekam und so unauffällig wie möglich zur Seite spähte – demonstrativ für 'ich habe nichts gesehen'. Eigentlich schrecklich, zu was für kindischen Aktionen er hier getrieben wurde, doch er würde sich ganz sicher nicht in die zermalmende Kluft der Streitigkeiten zwischen zwei Weibern werfen. Sowas ging immer schlecht aus... in der Regel für den Mann.

„Ich gehe vor.“ konstatierte der Krieger knapp, winkte Tokhtora und Orykene heran und nahm Ninafer die Fackel ab. Natürlich sträubte sie sich einen Moment. „Was immer dort unten lauert – mich kann es überraschen, aber nicht töten. Und ich bin besser gepanzert und ausgerüstet.“ ließ er die Adlige wissen. Argumente, denen es durchaus nicht an Vernunft fehlte, weshalb sie ihren Griff schließlich löste und die Führung abgab.

Thorin schritt die ersten Stufen herab und versuchte zu ignorieren, dass Raven sich mit zweifellos selbstzufriedener Miene hinter ihn drängte. Stufe um Stufe ging es tiefer in das Erdreich. Die Luft wurde stickiger, wärmer und roch zunehmend abgestandener. Dort unten mussten Katakomben oder dergleichen liegen, aber wer würde so tief graben? Zwerge? Die hätten einen ordentlichen Tunnel angelegt, vermutlich groß genug für einen Drachen, eine gute Treppe, die zu jeder Tages- und Nachtzeit beleuchtet wäre und Tore, die nicht einfach halb aus den Angeln gerissen offen stehen würden. Selbst für Goblins war dies einfach nicht die richtige Bauweise.

Wissen, das Thorin für sich behielt. Es nützte niemandem, zu erfahren, von wem dieser Gang nicht stammte.

Eine kurze Bewegung aus dem Augenwinkel ließ den Krieger gerade noch rechtzeitig reagieren. Er warf die Fackel, flüsterte leise Ninafers Namen und griff beherzt zu. Die Adlige verstand dank des Echos im Gang jedes Wort klar und deutlich und schaffte es, das lodernde Stück pechgetränkter Leinen am Stock aufzufangen. Thorin dagegen hatte weniger Glück – Raven war auf den Treppen ausgerutscht, schlitterte dank der merkwürdig schleimig wirkenden Oberfläche zwei Stufen herab und wäre wohl bis ans Ende der Treppe gerutscht, hätte der Krieger nicht zugegriffen. Dummerweise konnte auch er ihr Gewicht nicht einfach aufhalten und wieder auf die Beine ziehen. Stattdessen verlor auch er seinen Halt und wurde mitgezogen. Auf einer der Stufen kam das Knäuel aus Menschen endlich zum Stillstand. Thorins Lederrüstung hatte keinen Ton von sich gegeben, aber Ravens Panzer hatte eine hübsche Geräuschkulisse geschaffen, als Warnung für jeden dort unten, dass Eindringlinge auf dem Weg waren – wie überaus unerfreulich!

Dementsprechend war Thorin auch alles andere als gut gelaunt, als er die Endsituation dieser Rutschpartie erkannte. Er lag auf dem Rücken, Raven hockte mit zufriedenem Grinsen über ihm und machte keine Anstalten, sich zu erheben. Konnte sie allen Ernstes selbst hier und jetzt daran denken...? Ihr Grinsen schien dafür zu sprechen.

Der Kahlköpfige allerdings war nicht für dergleichen Scherze aufgelegt. Er spürte diesen glitschigen Überzug der Treppen an der Haut seines Hinterkopfes, wie die Feuchte langsam durch den Lederpanzer in die Leinen darunter drang und obendrein war ihm nur zu gut bewusst, dass jedes Wesen in dem Gewölbe nun vorgewarnt wäre. Mochte Raven sich darum auch keine Gedanken machen – als vermutlich Unsterbliche würde sie ja so oder so wieder heraus kommen -, doch er hatte die Verantwortung nicht nur für sie und ihr Wohl. Er musste sich auch um Ninafer und Orykene sorgen, ja, sogar um die verdammte Tokhtora. Es war schon das reinste Glück gewesen, dass die Grünhaut und Ninafer Pan hatten überreden können, im Gasthaus bei der Wirtin auszuharren. Sonst würde er sich auch noch mit einem unerfahrenen, tollpatschigen Kind hier unten herum plagen müssen...!

Natürlich erreichte Ninafer die Beiden just in dem Moment, als Thorin Raven von sich herunter schieben wollte. Sie sagte nichts, ihre Miene verriet nichts, bei den Göttern, es schien sie nicht im Geringsten zu interessieren. Vielleicht war es gerade das, was den Krieger seinerseits störte. Aber mehr als das, beschämte ihn die Situation. Etwas ruppiger als vielleicht nötig, schob er Raven von sich – die selbst das nicht persönlich zu nehmen schien.

Er richtete sich wieder auf, nahm Ninafer dankend die stumm dargebotene Fackel wieder ab und führte die Gruppe bis an den ohnehin nicht mehr weit entfernten Absatz des Tunnels. Wie sich nun zeigte, gab es hier unten tatsächlich ein recht ausuferndes System von Katakomben und Grabkammern. Sie folgten leisen Schrittes den Gängen, mussten manches Mal abwägen, welchen Abzweig sie nehmen sollten. Es schien sich um ein ganzes Labyrinth zu handeln. Wer jedoch in den unzähligen Steinsärgen ruhte, das wusste niemand zu sagen – die Schrift, oder vielleicht waren es auch Runen, kam niemandem bekannt vor und konnte daher auch nicht gelesen werden.

Sie traten nach einer ansehnlichen Reise schließlich vor eine große, doppelflügelige Tür aus massivem Metall. Wie viel Zeit sie gebraucht hatten, hierher zu kommen, war ihnen nicht bewusst. Unter Tage verlor man nur allzu rasch das Zeitgefühl.

Ninafer studierte derweil schweigend und Seite an Seite mit Tokhtora die Verzierungen des Tores. Gravuren schienen eine Geschichte zu erzählen, von Göttern, Tod und Schande. Doch wessen Geschichte es war, wurde nicht deutlich. Nach einem kurzen Rat beschloss die Gruppe, es mit dieser Kammer zu versuchen. Sie wollten nicht die Grabesruhe der Verstorbenen stören – möglicherweise löste das Fallen aus oder ließ alte Magien aufleben, wer konnte das schon sagen? Noch dazu hatte keiner von ihnen mehr den Rückweg vollständig im Kopf. Aber Ninafer war nach wie vor nicht bereit, die Jagd aufzugeben. Noch nicht.

Also postierte Thorin Tokhtora an der einen Tür, Ninafer an der anderen, während er mit Raven Seite an Seite die Waffen gestreckt abwartete. Auf sein Nicken hin zogen die zwei Frauen die schweren Metallflügel langsam nach außen hin auf.

„Deckung!“ konnte Thorin noch mit fluchendem Ton rufen, ehe er auch bereits zur Seite sprang. Raven tat es ihm gleich – wenn auch, Arimasper sei Dank, zur anderen Seite. Orykene dagegen kreischte auf in einer Art, die den Axtträger doch sehr an Empörung erinnerte, ehe sie sich geschickt duckte und dann zur Seite schritt. Ein kleiner Pfeilhagel prasselte durch die aufgezogene Tür gegen die Wand des Ganges. Noch während Thorin sich erhob, verebbte die Attacke, während aus dem Raum eine tiefe, durchdringende Stimme ertönte, die langsam an Stärke und Volumen gewann.

Der Krieger sah einen Moment nur in Ninafers Gesicht und konnte alles Nötige daraus ablesen. Ihre Hände versteiften sich um den Eisenring der Türhälfte, ihre Miene war zu einem schmerzvollen Ausdruck verzogen – sie kannte diese Stimme, sie kannte sie deutlich zu gut.

Geradezu gemächlich schritten Thorin und Raven, von den anderen dreien gefolgt, in den Raum hinein. Er entpuppte sich als gewaltige, runde Kammer, die sich sicher zwanzig Meter und mehr in die Höhe wölbte. Ein Rundgang aus stützenden Säulen hielt den Raum wider der drückenden Erdmassen darüber aufrecht und weitere Steinsärge standen an den Wänden jenseits des von den Säulen skizzierten Ganges. In seiner Mitte jedoch erhob sich auf drei breiten, flachen Treppen eine Art von Altar. Einstmals mochte das Buch, das nun zerstört, zerbröckelt und zu Staub zerfallen am Boden lag, auf eben diesem Altar geruht haben, doch der Quell dieser Stimme und Ninafers Pein hatte offensichtlich den Podest für anderes benötigt und daher ohne jede Rücksicht 'freigeräumt'.

Direkt hinter dem Aufbau erhob sich die beeindruckende Figur eines Zentauren. Rajah Tascana, seines Zeichens totgeglaubter Ehrenkrieger der Stämme von Rhovanion.

Auch Thorin und Ninafer hatten ihn tot geglaubt.

Bei ihrem ersten Treffen mit Duncan war es zum Kampf gekommen. Ninafer durfte es sich selbst verdanken, dass sie die Stärke gezeigt hatte, Orykene zu beeindrucken, denn seit die Harpyie die junge Adlige respektierte, hatte sich Ninafers Sortiment an Giften fast verdoppelt – darunter auch das berüchtigte, 'typische' Harpyiengift, das man in der Wüste in unzähligen Wasservorkommen an der Oberfläche fand. Das Gift, mit dem die Vogelweiber seit Jahrhunderten Tausende von Zentauren in den sicheren Tod schickten – das Gift, das Rajah Tascana eigentlich schon bei ihrem letzten Kampf nieder gestreckt hatte. Wie war das möglich?

Noch immer zeichneten sich die violett verfärbten Adern an seinem gesamten Körper ab. Lediglich sein Pferderumpf war von kurzem, aber dichtem Leder bedeckt, das es dem Gift unmöglich machte, zu demonstrieren, dass es auch den letzten Winkel seines Fleisches durchdrungen hatte. Wie bei Ereshkigal war das möglich?

„Ist er untot?“ erkundigte sich Thorin leise und blickte zu Ninafer, die einen Moment zweifelte, dann jedoch den Kopf schüttelte – wenige Sekunden, bevor Rajahs hämisches Gelächter aufbrandete.

„Untot? Gewürm wie ihr könnte nie begreifen, nie wahrhaftig erfassen, über welche Mächte ich gebiete! Leben zu nehmen und zu geben, gebührt allein mir. Es war mein Wille, dass er überlebt und er tat es. Selbst jetzt noch, da das Gift zu wirken versucht und gegen die Magien in jeder Faser Muskeln und jedem Tropfen Blut ankämpft, ist es einzig mein Wille, der seine Wirkung zurück treibt!“ donnerte die grollende Stimme des Zentauren im Raum auf und ab.

Thorin interessierte sich weit weniger für die rhetorischen Reden, die ihr Feind dort oben schwang. Rajah hatte sich bereits verraten – 'dass er überlebt'? Er sah die Marionette, sah das Spielzeug, doch wo war der Puppenspieler...? Er musste nahe sein, musste sie sehen können... oder etwa nicht? Einen Moment lang verfluchte Thorin, dass er Magie nie wirklich verstanden hatte, ihr Wirken, ihre Strukturen – sonst hätte er möglicherweise abschätzen können, wie weit Duncans Macht über seine Gefährten wirklich reichte und damit rätseln können, wo sich dieser Hurenbock befinden musste...

Noch während er überlegte und rätselte, schweifte sein Blick mit aller gebotenen Wachsamkeit durch den Raum.

Hellrote Kerzen erleuchteten die Krypta. Sie standen aber nicht in den Halterungen, die eine jede der Säulen barg, sondern auf dem Boden und wirkten... neu. Noch dazu schien eine dünne Spur sich über den Boden zu ziehen, aber das mangelnde Licht ließ kaum zu, zu erkennen, worum es sich dabei handelte. Es war Orykene, die das Gemisch erkannte. Die Instinkte der Jägerin machten sich einmal mehr bezahlt, als sie zu Thorin und Ninafer heran trat.

„Wachs, Blut und Knochenmehl...“ flüsterte sie leise in warnendem Ton und deutete auf die Kerzen. Da begann Thorin zu begreifen, was hier vor sich ging – doch es war bereits zu spät. Er wirbelte herum, wollte gerade den ersten Schritt setzen, da begannen die Zwerge all ihre Kraft aufzuwenden. Bis hierhin war es ihnen gelungen, die zwei Torflügel lautlos wieder zuzuschieben und nun, da Thorin sie bei ihrem Schaffen entdeckt hatte, mussten sie sich keine Mühe um Heimlichkeit mehr geben. Sie drückten die Tür wieder ins Schloss und von außen schien ein schwerer Riegel vorgeschoben zu werden.

Sie waren gefangen.

Das akzeptierend, wandten sich die Blicke wieder Rajah zu. Warum war er noch hier drinnen? Natürlich war die Frage nur für Orykene und Raven erheblich. Tokhtora ahnte es aufgrund ihrer Natur als Schamanin, Ninafer spürte, wie dünn der Schleier zum Totenreich hier war und Thorin... nun, er kannte das Gemisch, aus dem die Kerzen bestanden. Er hatte in seinem Leben auch oft genug gegen Magi kämpfen müssen, ein oder zwei Mal sogar gegen Beschwörer und Nekromanten. Bei eben diesen war dieses Gemisch recht beliebt – es eignete sich für Rituale, die mit Dämonen oder Untoten zu tun hatten.

Tatsächlich begann Rajahs Stimme sich zu einem rituellen Gesang aufzuschwingen. Raven und Orykene stürmten vor, um ihn zu unterbrechen, ihn zu töten, bevor er was-auch-immer tun konnte, doch der Zentaure warf ihnen etwas entgegen. Fest überzeugt, es handle sich um Waffen, wichen die Angreifer aus... und ein paar harmlose Knochenstücke fielen zu Boden. Entnommen aus den Gruften um sie herum, begann der Ritus die alten Geister zu zwingen, die einstmals ihrem längst verfallenen Fleisch inne gewohnt hatten. Die winzigen Knochensplitter begannen zu wuchern und zu wachsen, stülpten sich aus dem Nichts heraus auf, bis die skelettierten Schablonen sich vom Untod befallen erhoben, dem Wort ihres Meisters zu dienen.

Thorin hingegen staunte nicht schlecht. Zu sehen, wie Untote beschworen wurden, war nichts Neues für ihn, doch er hätte nicht erwartet, dass es sich bei dieser Gruft, bei den Hunderten von Toten, die hier unten ihre Ruhe fanden, ausgerechnet um Drakoiden handelte. Doch dort vor ihm standen sie. Zwölf Skelette, deren großer Bau, ihre Körperhaltung, die Schwanzknochen es deutlich machten. Das Echsenvolk musste also einstmals auch im Grünland heimisch gewesen sein. Wie lange das wohl her war?

Fragen, die man später würde stellen können. Vorläufig galt es, der prophezeiten Falle zu entgehen und in diesem Kampf hatte Ninafer denkbar schlechte Chancen – Skelette interessierten sich nicht sonderlich dafür, vergiftet zu werden.

Der Kampf entbrannte binnen Sekunden. Raven zerschmetterte ohne große Mühe zwei Feinde mit einem gekonnten Streich, doch kaum, dass die Knochen zu Boden stürzten, bauten sie sich von allein wieder zusammen, um den Kampf sofort wieder aufzunehmen. Sie begriffen alle rasch, dass Rajahs anhaltender ritueller Gesang die Quelle der Magie war, doch es war unmöglich geworden, an den Zentauren heran zu kommen. Gleichwohl, wie die Drakoidenskelette angriffen, verteidigten sie auch ihren Schöpfer. Immer wieder rannten die Angreifer gegen die knöcherne Mauer, versuchten sich eine Schneise zu schlagen und zu ihm durchdringen zu können. Dabei war das Durchbrechen zwar schwierig, aber nicht das Schwerste: Schon im letzten Kampf hatte Rajah bewiesen, was für unglaubliche, rohe Kräfte er aufbieten konnte. Mit einem seiner muskulösen Arme hatte er eine fast zwei Meter lange Wächteraxt herum gewirbelt und damit alle auf Distanz gehalten. Dieses Mal würde es ihnen wohl nicht so leicht fallen, ihn zu bezwingen.

„Orykene, links, Tokhtora, rechts!“ befahl Thorin. Inzwischen hatten sie genug Kämpfe Seite an Seite bestritten, um das Wort des Anführers nicht mehr anzuzweifeln, seine Befehle aber rasch genug in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Die Harpyie scherte nach links aus, in dem scheinbaren Versuch, die Linie der Feinde einfach zu umgehen, ebenso, wie die Schamanin es auf der Rechten tat. Damit lenkten sie ein paar der Drakoiden ab, während Raven sich die Taktik begreifend neben Thorin gesellte und durchzuschlagen versuchte.

Rücken an Rücken trieben die Beiden sich wie ein Keil in die gegnerische Front und versuchten, den Klauen, Mäulern und Schwänzen auszuweichen, die nach ihnen schlugen, bissen und stachen. Rajah aber war keineswegs dumm. Wobei – er vielleicht schon, Duncan jedoch nicht. Der wahre Meister erkannte ohne große Mühe, welche Strategie seine Feinde verfolgten und nutzte seinerseits einen geradezu trivialen Trick, um ihren Angriff zu unterbrechen.

Zwei der Zentauren lösten sich aus der Gruppe und machten Jagd auf Ninafer.

Die Adlige war nicht gerüstet und auch nicht wirklich bewaffnet. Sie hatte die Zeit damit verbracht, ihr kostbar verziertes Rohr hervor zu ziehen und einen kleinen Metalldorn mit hübsch anzusehendem Haarschweif hinein zu stopfen, vorsichtig und dennoch um Eile bemüht. Das Gift war stark und konzentriert genug, um den Zentauren binnen weniger Augenblicke zu Boden zu bringen – zumindest theoretisch. Der Adligen war einfach kein anderer Weg eingefallen, sich hier und jetzt nützlich zu machen. Als sie jedoch die Drakoiden nahen sah, musste sie ihr vorhaben abbrechen. Nicht nur, dass es ihr an freiem Schussfeld mangelte – sie konnte sich nicht selbst gegen diese Kreaturen verteidigen.

Thorin bemerkte ihre missliche Lage, doch er war zu stark von den Drakoiden umkämpft. „Raven, Anlauf!“ lautete der nächste Befehl. Die Kriegerin nahm Abstand, um dann auf ihn zu zu rennen. Im richtigen Moment packte er ihre vorgestreckten Handgelenke und griff um wenige Zentimeter an den darin gehaltenen Klingen vorbei. Sein ganzes Körpergewicht lehnte er zurück, um das geradezu spektakuläre Manöver zu ermöglichen: Er vollführte eine volle Drehung, in deren Verlauf es Raven gelang, zwei der Skelette durch gezielte Tritte gegen ihre knöchernen Schädel auszuschalten, ehe er ihre Handgelenke los ließ und sie damit zielsicher über die Reihen der Feinde hinweg warf. Die Drakoiden stoben auseinander, ließen von Orykene, Tokhtora und dem Axtträger ab, um einen Schutzwall um Rajah zu bilden und Raven anzugreifen.

Kostbare Augenblicke, die Thorin zu nutzen gedachte, doch schon als er sich Ninafer zuwandte, erkannte er mit Grauen, dass er es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Die zwei Skelette hatten die Adlige eingekreist und an der Wand in Bedrängnis gebracht. Just als der Krieger sich in Bewegung setzte, preschten sie mit ihren Klauen und Zähnen vor, um die junge Frau in Stücke zu reißen.

“Nein...!“ Wie eine Endlosschleife wanderte die Beschwörung durch seinen Kopf. So durfte es nicht enden...!

Doch Ninafer geschah nichts. Die Skelette berührten die Adlige... und zerfielen zu dem Staub, aus dem man sie einst erweckt hatte. Kreidebleich und zitternd senkte Ninafer die zum Schutz erhobenen Arme wieder. Während Thorin nicht das Geringste verstand, so begann doch die Adlige rasch zu begreifen, was vor sich ging.

Es mochte sein, dass sie die Priesterinnenweihe nie abgeschlossen hatte – doch warum auch immer, Ereshkigal schien sich weder für diesen Aspekt noch für den Umstand ihrer Abwendung von den Göttern tatsächlich zu interessieren. Was jedoch über die Herrin des Todes bekannt war: Sie teilte den gleichen abgrundtiefen Hass auf den Untod, der auch ihrem Vater Mermerus innewohnte. Und Ninafer, so schien es, hatte soeben für die Göttin als Möglichkeit agiert, zwei Untote zu vernichten, unabhängig davon, ob sie nur beschworen waren oder sich dies freiwillig aufgelastet hatten.

„Ich brauche ein freies Schussfeld...“ kommentierte die Adlige noch immer reichlich blass, als Thorin bei ihr ankam. Er prüfte einen Moment, ob sie tatsächlich unverletzt war, ehe er nickte und sich dem noch immer hinter ihm tobenden Kampf wieder zuwandte. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Rajah mit der Situation überfordert war: Die, die gerade noch am schwächsten gewirkt hatte, schien nun im ganzen Raum die einzige tatsächliche Bedrohung zu sein. Er konnte seine beschworenen Diener nicht gegen sie schicken, weil sie machtlos waren, gleichwohl konnte er aber die anderen vier Angreifer nicht ignorieren.

Es gelang der Gruppe, Rajah zu umzingeln und seinen Wall aus Skeletten von vier verschiedenen Seiten zu traktieren, was den Zentaurenschamanen zunehmend in die Defensive brachte. Vermutlich hätten sie stundenlang so kämpfen können. Die Skelettkrieger ermüdeten nicht, Thorin und seine Streiter schon. Sie hätten verloren... doch den Zauber für zehn Skelette aufrecht zu erhalten, kostete Rajah ungemeine Kräfte, eben jene, die er benötigt hätte, um sich selbst noch zu verteidigen.

Was Duncan deshalb unternahm, sah Duncan auch ähnlich: Er ließ seinen Streiter fallen.

In einem günstigen Augenblick befahl Thorin den Vormarsch. Mit verstärkter Mühe preschten die vier Angreifer gegen die Linien und auch, wenn sie noch immer nicht durch dringen konnten, gelang es ihnen doch, Ninafer eine freie Bahn zu verschaffen.

Ein kurzer Luftstoß in das an ihre Lippen gesetzte Röhrchen und die Metallnadel schoss schnurgerade direkt in den Hals des Zentauren. Duncan hätte nun die Kräfte für die Beschwörung aufbieten müssen, zusätzlich zu der Kraft, die nötig war, um gleich zwei Dosierungen dieses überaus tödlichen Giftes aufzuhalten. Möglicherweise hätte er diese Kraft gehabt – sie hierfür zu opfern, für die reine Chance, diese Farce noch ein wenig länger zu betreiben und auf einen Sieg hoffen zu können, war es ihm jedoch einfach nicht wert.

Rajahs röhrender Gesang verstummte und damit endete auch der Zauber. Die Drakoidenkrieger erzitterten, ehe sie vor ihren Augen wieder zerfielen und kaum mehr als die kleinen Knöchelchen zurück ließen, die zu Beginn aus den zwölf Särgen der Kammer entwendet worden waren. Der Zentaure jedoch blickte sich um, desorientiert, hektisch. Er begriff nicht, wo er war, was er hier tat. Zu viele Jahre war es her, dass er die Kontrolle über seinen Körper hatte, zu viele Jahre, dass er zu eigenen Gedanken, einem eigenen Willen befähigt war. Von der wiedergewonnenen Freiheit überfordert, trat etwas in die Augen des Zentauren, das man bei diesem stolzen Volk selten sah: Angst.

Doch noch bevor er auch nur eine Frage an die Figuren richten konnte, die ihn umkreisten, an diese Fremden, die er nie gesehen hatte, bemerkte er das Zittern in seinen Beinen, das Brennen in seinen Adern, das sich schmerzhaft durch seinen ganzen Körper zog. Er spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte, wie jeder Atemzug zur Qual wurde. Rajah Tascana verendete einsam, weitab seiner Heimat und seines Volkes in den vergessenen Grüften einer untergegangenen Zivilisation...
 

Es hatte fast eine Stunde gedauert, ehe Raven mit ihrer Feuermagie ein Loch in die Tür und den davor klemmenden Riegel hatte brennen können. Und bei den Göttern, keiner der anderen Vier wollte auch nur ein Wort darüber verlieren, dass sie sich zwecks dessen am Blut des Zentauren bedienen musste, um sich selbst die nötige Kraft und Stärke dafür zu verleihen. Sie waren einfach nur froh, dass sie dem abgestandenen Geruch nach Verwesung, Tod und Staub endlich entkamen, als der Metallriegel durch brannte, die zwei Teile zu Boden krachten und sie die Tür wieder aufschieben konnten.

Danach folgte der lange und beschwerliche Weg zurück zur Oberfläche. Duncan und seine Truppe hatten auf ihrem Rückweg alle Fackeln gelöscht und Thorin befürchtete nicht ganz zu Unrecht, dass ihre Fackel absterben würde, bevor sie den Ausgang gefunden hatten. Zwar entzündeten sie die alten Fackeln erneut, allein schon um rechtzeitig zu bemerken, wann sie einen Korridor bereits schon einmal durchwandert hatten, aber wenn diese Fackeln schon Jahrhunderte oder sogar noch länger hier hingen, wie viel Öl mochte in ihnen dann wohl noch übrig sein? Tatsächlich schafften sie es mehrfach, sich zu verlaufen, ehe sie den Treppenabsatz fanden. Just in dem Moment natürlich, als die Fackel in tiefen Blautönen ihr letztes Glimmen von sich gab und dann erlöschte. „Dicht zusammen bleiben!“ forderte Thorin seine Kameraden auf, während sie sich die schlierige Treppe wieder empor kämpften.

Das Tageslicht erwies sich als blendend – und das, obwohl bereits der Abend dämmerte. Fast einen ganzen Tag hatten sie dort unten verbracht.

Vor dem Höhleneingang ruhten sie sich aus, sogen die frische Luft tief in ihre Lungen und versuchten sich langsam wieder an das Tageslicht zu gewöhnen. Wie sollte es weiter gehen? Die von Ninafer erstrebte Konfrontation hatte es nicht gegeben. Eine Falle, gewiss, ein weiterer Toter, sicherlich. Raven hatte die Tore wieder zugeschoben und mit dem Rest der Kraft, die Rajahs Blut ihr verliehen hatte, einige Stellen des Türspaltes verschmolzen. So schnell sollte dieser Zentaure also nicht zurückkehren – im Idealfall natürlich gar nicht. Doch die eigentliche Sorge des Kriegers galt nicht einer möglichen, zweiten Wiederauferstehung des Schamanen, sondern Ninafer. Sie hatte nicht gejubelt, war nicht in Feierlaune, sie lächelte nicht einmal.

Erwartet hatte er dergleichen natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Er glaubte zu wissen, wie sie sich fühlte. Sie hatte diesen Kampf herausgefordert und Duncan war schon wieder entkommen. Mehr als das – sie hatte einen seiner Handlanger getötet, seinen derer, die ihr Leben zerstört hatten. Doch als er zu Boden sank... hatte sie nur Angst und Verzweiflung in seinen Augen lesen können. Er starb als freies Wesen, unwissend über die Gräuel, die er verübt hatte und daher auch ohne jedwedes Bedauern, ohne Reue, ohne Schuldgefühle. Die Kreatur, die von Ninafers Gift dahin gerafft worden war, war nicht der Zentaure, der sie in ihrem Kloster gepeinigt hatte. Dieses Monster hatte Duncan in dem Moment getötet, als er die Kontrolle über Rajah aufgab.

Eine zweifellos bittere, enttäuschende Erkenntnis. Wie oft würde es ihr noch so ergehen? Wie oft würde Duncan ihr die Befriedigung vorenthalten, sich tatsächlich zu rächen? Wie viele Marionetten würde er skrupellos opfern, ehe er selbst endlich in den Ring treten würde? Wie viel Tod, Kampf und Leid war noch nötig, um diesem Monster endlich das Handwerk zu legen?

Thorin erwog, zu ihr zu gehen. Er wollte sie trösten, er wollte ihr Beistand anbieten, er wollte irgendetwas für sie tun. Doch seine Erinnerungen berichteten ihm davon, wie er sich damals gefühlt hatte. Wie er auf Hilfe reagiert hatte. Und schließlich musste er einsehen, dass es wohl nichts gab, das ihr helfen konnte. Nicht jetzt. Wie sehr er sich damit irrte, dass schon eine freundlich gemeinte Frage nach ihrem Wohl Ninafer möglicherweise abgelenkt hätte, dessen war sich der Krieger nicht bewusst – weil er zu sehr von seinen Erinnerungen ausging.

Tokhtora und Orykene wurden gesandt, um Pan aus dem Gasthaus zu holen. Sie entschieden, dass sie die Reise fortsetzen würden, noch heute. Tatsächlich konnten sie auch noch ein gutes Stück zurücklegen, ehe sie an einem Waldrand in Flussnähe ihre Zelte aufschlugen. Orykene sammelte im Wald ein paar Steine zur Begrenzung des Feuers zusammen, während sie sich mit Tokhtora darüber unterhielt, wie frustrierend der Kampf gegen diese Skelette war – immerhin gab es da kein Fleisch, in das man seine Klauen, Krallen und Zähne rammen konnte. Das war einfach kein Kampf, der ihr gefallen konnte. Die Schamanin selbst sammelte derweil Äste und Laub zusammen und zündete mit Ravens Hilfe das kleine Lagerfeuer an, über dem Ninafer in geradezu professioneller Manier einige der Vorräte zu einer exzellenten Suppe verarbeitete.

Gesättigt, von den Strapazen befreit und müde, begann sich das Lager etwas zu zerstreuen. Tokhtora erteilte Pan weitere Lehren darüber, wie man sich als Wolf eigentlich hätte verhalten sollen, während Orykene Raven über irgendetwas auszufragen schien. Zurück blieben Ninafer und Thorin, die beide in Gedanken und Erinnerungen verloren in die Glut starrten. Der Abend zog dahin, Tokhtora und Pan begaben sich zu Bett. Nicht lange und auch Orykene folgte ihrem Beispiel.

Thorin war sich durchaus darüber im Klaren, dass damit erneut eine eher gespannte Stimmung aufkam. Ninafer bekam von alledem vermutlich nichts mit – unbedarft blickte sie in die Flammen und versuchte vermutlich sich davon zu überzeugen, dass sie richtig gehandelt hatte. Raven jedoch konnte man an der Stirn ablesen, dass sie sich wünschte, die Adlige würde ebenfalls ihr Zelt aufsuchen. Thorin wusste, worauf das dann hinaus laufen würde: Die Art von Gesprächen, die zu führen er hasste.

Wie fühlst du denn? Für wen fühlst du was? Warum nicht ich? Debatten, die einfach überflüssig waren. Früher hatte er sich darum ganz gut drücken können. Er hatte als Tagelöhner einem Bauern auf seinem Feld bei der Ernte geholfen, hatte für Viehzüchter einen Bullen aus dem Nachbardorf abgeholt und dafür Speis und Trank bekommen, natürlich auch eine Kammer für die Übernachtung. Es war hin und wieder vorgekommen, dass sich die Töchter dieser Farmer und Züchter für ihn interessierten. Trotz seiner niederen Arbeiten als Tagelöhner hatte Thorin etwas an sich, das nach Abenteuer zu schreien schien. Ein Zug, der einige junge Damen in seinen Bann zog. In der Regel machte Thorin es vom Aussehen der Töchter abhängig, ob er seine Kammer des Nachts verschloss oder eben nicht. Dort gab es keine Debatten über Gefühlslagen.

Sie schlichen sich lautlos durch die Flure, kannten jede knarrende Diele und schlüpften wie Schatten durch die Türen, die sie sorgfältig schlossen – und dann meist ihrerseits mit dem Schlüssel abriegelten. Auf diese Weise hatte Thorin schon manches Mädchen zur Frau gemacht, doch wider ihrer verklärten Vorstellungen von Romantik, war er danach nicht unsterblich in sie verliebt und hatte den Rest seines Lebens mit ihnen teilen wollen. Nein, er verbrachte die Nacht mit ihnen, schlief und genoss ihre Wärme im Bett, sandte sie im frühen Morgengrauen in ihre eigenen Kammern zurück und tat, als sei nichts gewesen. Er bedankte sich für die Dienste des Bauern, wünschte seinem Weib gute Jahre und der Tochter Erfolg, ehe er sein Bündel packte und weiter zog. Das Leben war zu dieser Zeit viel einfacher gewesen.

Er hatte solchen Debatten mit einem zufrieden lächelnden Gesicht davon laufen können.

Doch jetzt reiste er eben nicht mehr allein. Es gab Weiber in seiner Gruppe, für die er die Verantwortung trug, für die er sich ebenso erwärmen konnte, wie es umgekehrt der Fall war. Das machte alles... schrecklich kompliziert. Wenn er jetzt einfach weiterwandern würde, gäbe es unweigerlich Probleme. Nicht nur, dass sie ihn einholen könnten und dann berechtigt erbost wären – er hatte die Führung übernommen. Er war für ihr Schicksal verantwortlich, für das Wohlergehen jedes Einzelnen. Er konnte sich nicht einfach des Nachts davon schleichen.

Also erhob sich Thorin, entbot seine Wünsche für die Nacht und zog sich ebenfalls zurück. Er ignorierte Ravens sichtliche Enttäuschung gekonnt, verkroch sich in dem kleinen Zelt und legte sich zur Ruhe. Tatsächlich brauchte es nach diesem Tag nicht viel, damit er in einen tiefen Schlaf fiel.
 

Er trug keine Rüstung mehr, die Axt war verschwunden. Es störte ihn nicht. Wie hätte es das auch tun sollen – er wusste nicht, dass er je eine Rüstung oder eine Axt getragen hätte. Nein, er stand hier auf dem Acker seines Landes, schritt zwischen den kleinen Erdhügeln einher und bewunderte zufrieden das wachsende Grün, das sich tapfer und zielstrebig durch den Boden schob und die lehmigen Erdkrumen bei Seite drängte.

Das Land nördlich von La Coeur war immer schon sehr fruchtbar gewesen, so wie die ganze Grünlandebene – nur dass dieser Boden von den Zwillingsströmen gespeist wurde, die La Coeur umschlossen. Mehr Wasser, guter Boden, viel Sonne. Hier gedieh fast alles.

Anders als die meisten anderen Farmer, pflanzte Thorin nicht einfach nur Weizen oder Rüben. Er wechselte. Zweimal im Jahr konnte er ernten, so gut war der Boden, und jedes Mal sähte er eine andere Pflanze aus. Er hatte es auch schon mit Mais probiert, einem seltsamen neuen Gezücht, das auf La Coeurs Markt angeboten worden war und angeblich direkt von den Sundergrader Handelsschiffen stammte.

Auch aus diesen Keimlingen würde eine gute Ernte werden. Er würde sie gedeihen sehen, er würde sie hüten und pflegen. Irgendwann im Herbst wurde es dann Zeit, die Vorräte anzulegen, das Letzte zu verkaufen und sich für den Winter zu rüsten. Dann würde er wieder verstärkt seinem Weib bei den Stallungen helfen. Das Vieh füttern, den Mist beseitigen und dafür sorgen, dass es reichlich Nachwuchs gab. Schweine und Ziegen hatten sie, auch eine Milchkuh. Thorin wollte sich vor einer Weile Schafe zulegen, doch seine Liebste hatte Widerspruch eingelegt. Gerade im Sommer, während die Felder gedeihen, musste sie die Ställe allein bewältigen – zumindest, so weit es eben möglich und machbar war. Der Gedanke jedoch, Schafe zu schären, behagte ihr gar nicht.

Während er so durch die Reihen seiner Pflanzen schritt, sah er seine Tochter. Sie trug ein weißes Kleid, bunte Bänder in ihren Haaren wehten im Wind auf und ab, wie sie durch die Felder sprang und dem Haus entgegen rannte.

Unruhe kam in ihm auf.

Diese zierliche kleine Gestalt, der Dreh- und Angelpunkt seiner Welt... sie rannte auf das Haus zu. Er wusste nicht, warum. Was störte ihn daran? Aber eine dunkle Ahnung machte sich breit. Sie durfte das Haus nicht betreten. Bei den Göttern, sie durfte das Haus nur nicht betreten! Thorin rief ihren Namen, schrie aus vollster Kehle. Eine Stimme, die man bis ins Schloss seiner Majestät hätte hören müssen. Aber seine Tochter reagierte nicht. Sie lachte, jagte einem Schmetterling nach, hüpfte auf und ab, nur um den Versuch, ihn zu fangen, sogleich wieder aufzugeben und weiter der Haustür entgegen zu jagen.

Thorin setzte sich in Bewegung. Langsamer Trab, er rief ihren Namen, sah sie immer näher an das Gebäude kommen, schrie erneut, begann zu rennen. Seine Lungen schmerzten, so viel verlangte er sich ab. Er stürmte voran, wissend, dass er sie nicht mehr rechtzeitig erreichen würde.

Direkt vor seiner Nase schwang die Tür zu. Niemand stand dahinter, niemand hätte sie schließen können. Zweifel, Unbehagen, dunkle Ahnungen. Sie befielen ihn, als er die Hand hob, groß, grob, rau. Er griff nach dem Metall, drückte die Klinke langsam herab und stieß die Tür mit wenig Schwung auf.

Er sog Luft ein und obgleich er handeln wollte – sein Körper verweigerte sich. Keinen Schritt vorwärts konnte er mehr setzen, nicht vor dem fliehen, was sich ihm darbot. Es gab kein Entrinnen, nur Schmerz, nur Verzweiflung.

Orks standen dort. Sie standen auf dem Grund und Boden seiner Wohnstube, Schlamm von seinen Feldern klebte an ihren Stiefeln und hinterließ Spuren auf den Dielen, die seine Hände gelegt hatten. Sie hielten sein Weib gepackt, verdrehten ihr den Arm auf dem Rücken, dass man ihrem Gesicht den Schmerz ablesen konnte. Was hatten sie vor?

Er hörte Stimmen, Rufe, Befehle, alle undeutlich. Kein Wort von dem, was dort drinnen gesprochen wurde, verstand er. Nur die Gesten. Dort war eine Frau, grüne Haut, schwarze Augen. Sie wirkte überraschend schlank für einen Ork. Sie gab die Befehle, kommandierte ihre Kameraden herum. Einer der Eindringlinge umrundete sein Weib, riss ihr gebeugt die Füße vom Boden. Sie drückten sie nieder, auf die Dielen seiner Wohnstube. Einer hielt ihre Hände gepackt, ein Schrei drang aus ihrer Kehle – die Türen des Kleiderschrankes sprangen auf. Seine Tochter stürzte herbei, schrie nach ihrer Mutter, schlug mit kraftlosen Fäusten auf einen der Orks ein, der lachend ausholte, das Mädchen mit einem donnernden Schlag zu Boden schickte. Sie kopierten, was sie mit seiner Liebsten getan hatten – einer hielt ihre dünnen Ärmchen fest, einer ihre Beine. Was sollte das werden?

Ein neues Kommando ertönte, unverständlich, von einem merkwürdigen Rauschen verwaschen. Die Orks, die die Beine seiner zwei Frauen hielten, ließen los. Waren sie etwa zur Vernunft gekommen? Weit gefehlt! Sie packten ihre Knie, zwangen ihre Schenkel auseinander. Nacktes Entsetzen, Panik, Verzweiflung. Thorin schrie, mühte alle Kräfte, hob den Arm, schlug gegen den Türrahmen, wollte hinein, wollte helfen, sie stoppen, ihnen die Kehlen aufreißen schon für den bloßen Gedanken an das, was sie zu tun beabsichtigten.

Sie waren unschuldig, sie hatten niemandem je ein Leid getan! Warum geschah all das? Womit hatten sie das verdient?

Der weibliche Ork wandte sich ihm zu, ihre leeren, schwarzen Augen starrten ihn an. Bisher war er ein Geist gewesen. Unfähig, etwas zu berühren, unfähig, wahrgenommen zu werden... warum jetzt? Warum konnte sie ihn sehen? Verstand sie ihn? Thorin tat, was ihm möglich war. Er flehte sie an. Er bot ihr alles, was er besaß. Sie sollte nur sein Weib und seine Tochter gehen lassen. Um der Götter willen, er würde ihr alles geben, was immer sie verlangte...!

Seine Frau wand sich unter der Gewalt, versuchte ihre Arme zu befreien, warf den Kopf hin und her – bis auch sie Thorin ansah. Ihre Lippen flüsterten haltlos, Tränen der Panik rannen über ihre Wangen. Er wusste, was sie sagte. Nicht, weil er es hörte. Er kannte diese Lippen, liebte sie aus vollstem Herzen, hatte sie unzählige Male geschmeckt und doch nie genug davon bekommen – er wusste, was sie sagte.

Hilf mir.

Der Ork setzt sich in Bewegung, wendet sich der Tür zu. Gut so. Verhandeln, erpressen, einerlei – seiner Familie durfte nichts zustoßen!

Sie griff das Türholz und Thorin begann innerlich zu verzweifeln. Er glaubte zu wissen, was jetzt kommt. Bei den Göttern, habt Gnade...!

Ein letztes Kommando verlässt ihre Lippen. Er sieht noch, wie sein Weib, sein Mädchen sich aufbäumen, das Kreuz durchstrecken, vor Pein, vor Schmerz, wie sie aus vollster Kehle schreien, um Hilfe, um Gnade – um einen schnellen Tod.

Die Tür schließt sich vor seinen Augen.
 

Gepeinigt schreckte Thorin aus dem Schlaf. Kalter Schweiß rann ihm von der Stirn, sein ganzes Lager war zerwühlt. Orks... es ging ihm nicht aus dem Kopf. Das Bild wollte nicht weichen. Die Erinnerungen an den Alptraum verschwammen, wurden überdeckt vom Rauschen des nahen Flusses, aber das Bild... es haftete ihm an, es wollte ihn quälen, noch lange nachdem er erwacht war. Die Götter waren grausam.

Thorin erhob sich, sah nichts und stolpert dennoch aus dem Zelt. Erst, als die kalte Nachtluft ihn empfängt, spürt er den gnadenlosen, harten Griff seiner Hand um das vertraute Leder, spürte er das Gewicht der Axt in seiner Hand. Das musste ein Ende finden! Es musste einfach enden... er konnte nicht... er würde nicht...

Langsam schritt er auf Tokhtoras Zelt zu.

Sie war nicht dort gewesen, dafür war es zu lange her. Aber sie war eine von ihnen, sie war ein Ork, sie war ein Monster wie alle ihres Volkes, sie hatte den Tod verdient wie alle ihres Volkes.

Die Kälte schickte sich an, wollte ihn zittern lassen, doch die schiere Spannung seiner Muskeln verhinderte es. Er schritt durch das Lager, bereit, hier und jetzt das Blut eines Orks zu vergießen, als ihm plötzlich jemand den Weg versperrte. „Lass das.“ erklangen milde Worte. Thorin, der blind für jede Veränderung seiner Umgebung gewesen, blickte herab, empfing Ninafers sanften Ton, die Bitte hinter ihren Worten.

Er sagte nichts. Nur Bosheiten und Zeugnisses seines Zornes und eines Hasses, der älter als manches Reich war, hätten in diesem Moment über seine Lippen kommen können. „Es muss eine sehr alte Wunde sein... alt, aber nie verheilt.“ flüsterte die Adlige leise, hob ihre zierliche Hand und legte sie auf Thorins linker Brust ab, „Noch mehr Leben auszulöschen, wird keine Toten zurück holen.“ setzte sie leise und von seiner Schweigsamkeit völlig unbeirrt nach. Thorin aber stutzte. Er hatte es nie erklärt, hatte nie ein Wort dazu verloren. Woher konnte sie wissen, das-

„Es ist die Art, wie du sie ansiehst. Wie du mit ihr redest. Wie du dich im Schlaf windest, jede Nacht.“ erklärte die Adlige leise flüsternd. Wie leicht es doch war, zu vergessen, dass dieses unscheinbare Weib in ihm lesen konnte. Wann und wie sie diese Fähigkeit erworben hatte, war dem Krieger schleierhaft – doch die Existenz dieser Gabe war hiermit einmal mehr unbestreitbar.

Was aber sollte er ihr antworten?

Sein Blutdurst begann bereits abzuebben, hatte schon in dem Moment zu versiegen begonnen, als sie seinen Weg blockiert hatte.

Er schwieg weiter. Doch die Axt senkte sich, seine weiß hervor getretenen Knöchel verschwanden, als der Griff sich etwas lockerte, als sein Körper sich etwas entspannte. Sie hatte Recht – das würde niemanden zurück bringen. Das hatte es damals nicht getan und würde es auch heute nicht. Widerstandslos ließ er sich von Ninafer zu seinem Zelt zurück bringen. Sie begab sich sogar einen Moment mit hinein, beobachtete, wie der Krieger sich wieder hinlegte – die Axt dennoch allzeit in Reichweite.

Als sie gehen wollte, spürte sie Widerstand. Thorin hielt ihr Handgelenk, hielt sie zurück. Mehr als das. Noch während Ninafer ihr Vorhaben aufzugeben schien, zog der Krieger sie sanft zu sich herab. Kein Wort fiel, keine Bitte oder ein vorsichtiges Abtasten, keine Versicherung, ob er für oder wider ihres Willens handelte, ehe er seine Lippen auf die Ihren setzte.

Ein Kuss, der nur wenige Augenblicke Bestand hatte – doch das Gefühl, das Thorin befiel, als er sein Ende fand, war allzu vertraut. Das Gefühl, von diesem Geschmack nie genug bekommen zu können. Es versetzte ihm einen kleinen Stich im Herzen. „Ich danke dir.“ flüsterte er der Adligen leise zu und strich ihr über die Wange. In all den Jahren hatte er sich gehen lassen, viel Unrecht getan. Es war niemand da gewesen, der ihn davon hätte abhalten können. Und nun machte es manchmal den Eindruck, als hätten die Götter ihm Ninafer gesandt, um das klägliche Bisschen zu retten, das von seinem Seelenheil noch übrig war.

Selbst wider der Nachtdunkelheit konnte er sehen, wie sie errötete. Kein Wort kam über ihre Lippen, nur ein zögerliches Nicken, ehe sie sich erhob. Dieses Mal ließ er sie ziehen. Nur, dass sie dennoch nicht weit kam. Thorin entspannte sich, rechnete damit, wieder einschlafen zu können, vielleicht in etwas friedlichere Träume abzutauchen, doch draußen hörte er Geraschel, Schritte – und ein überraschtes 'Huch' von Ninafer.

Das allein hätte ihn nicht weiter besorgt. Die ersten Worte aus fremder Kehle hingegen taten das durchaus.

„Hör mir gut zu...!“ klangen die Worte in bedrohlichem Ton, „Wenn du auch nur noch ein einziges Mal nur einen Finger an ihn legst, dann-“ zischte Raven die Adlige auf kürzeste Distanz an, während die Wut in ihren Augen zu funkeln schien.

„Dann was?“ unterbrach Thorin sie plötzlich. Beide Frauen schienen davon gleichermaßen überrascht, als der Krieger sich abermals aus seinem Zelt begab. Als wäre eine derartige Demonstration nötig gewesen, trat er schräg hinter Ninafer und gab damit ein Bild ab, das Raven nur umso weniger behagte.

„Soweit ich mich erinnere... treffe ich meine Entscheidungen noch immer selbst.“ ließ Thorin die Eifersüchtige wissen und störte sich nicht im Geringsten daran, mit welcher Miene sie den Rückzug antrat.



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