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Amnesie

von

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Machtlos

„Mann, für einen leckeren, saftigen Burger würde ich jetzt fast einen Mord begehen.“

Dean leckte sich sehnsüchtig über die Lippen, als er daran dachte. An das gebratene Fleisch, das frische Brötchen, gepaart mit einer leckeren Soße …

„Es ist gerade mal sieben Uhr früh“, entgegnete Bobby daraufhin schnaubend.

Dean verzog sein Gesicht. „Ist doch egal. Ich habe nun mal Hunger.“

Im Grunde hätte er auch nur zum Diner mit der anbetungswürdigen Kellnerin gegenüber vom Motel gehen müssen. Für die allmorgendlichen Frühaussteher hatte es bestimmt schon geöffnet. Dean lief das Wasser im Mund zusammen, als er es sich vorstellte.

Aber es gab einen Haken.

Das Diner lag auf der anderen Straßenseite. Um dorthin zu gelangen, hätte er sich durch inzwischen hüfthohen Schnee kämpfen müssen.

Willcox versuchte zwar schon alles, um der Massen Herr zu werden, aber es gestaltete sich als ausgesprochen schwierig. Räumfahrzeuge hatten sie keine zur Hand, sodass man schon dazu übergegangen war, große Laster mit speziellen Schaufeln und anderen Gegenständen auszustatten, um wenigstens die Straßen einigermaßen frei zu bekommen. Die Not machte nun mal erfinderisch.

Vom Motelbesitzer, der seine Gäste aufgeregt dauernd auf den neusten Stand hielt, hatten sie erfahren, dass man mit dieser Aktion wirklich sogar einen kleinen Teilerfolg erzielt hatte. Zumindest hatten sie mit den Lastern wohl schon einen Teil der Hauptstraße freischaufeln können. Da der Schneefall vor gut einer halben Stunde auch zumindest kurzzeitig ausgesetzt hatte, war es durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Straße immer noch einigermaßen schneelos war.

Aber bis diese behelfsmäßigen Räumfahrzeuge zu ihnen ans Motel kamen, das in einer eher unwichtigen Seitenstraße lag, würde wohl noch einige Zeit vergehen. Zumal es sowieso den Anschein erweckte, als würde es schon bald wieder zu schneien anfangen.
 

Dean seufzte. Er war müde und ausgelaugt, aber gleichzeitig auch zu wach, um sich wieder etwas schlafen zu legen. Somit hatte er den Laptop angeworfen und nach irgendwelchen Phänomenen gesucht, die sich halbwegs mit dem Wetterchaos in Willcox vergleichen ließen. Tatsächlich fand er sogar einige Beispiele, aber diese waren wenig aktuell, sondern stammten aus längst vergangenen Zeiten und waren mehr in die Rubrik ‚antike Mythen und Legenden‘ einzuordnen. Dort wurden die Katastrophen meist als Bestrafung der Götter angesehen.

„Denkst du, es steckt vielleicht eine göttliche Macht dahinter?“, fragte Dean wenig überzeugt.

Bobby, der am anderen Laptop saß und sich wahrscheinlich wünschte, er hätte eher ein gutes altmodisches Buch in der Hand, blickte auf. „Möglich“, meinte er, inzwischen sichtlich frustriert. „Ehrlich gesagt bin ich allmählich bereit, so gut wie alles zu glauben.“

„Zumindest sollten wir es auf die Liste setzen und –“ Dean hielt plötzlich inne und runzelte die Stirn. „Sag mal, findest du nicht auch, dass Sam schon ungewöhnlich lang weg ist?“

Bobby, der seine Aufmerksamkeit zuvor wieder mit wenig Begeisterung auf den Bildschirm gerichtet hatte, spannte sich an. Anstatt eine Antwort zu geben, sprang er auf, schnappte sich die erste Waffe, die in Greifnähe lag, und stürzte zur Tür. Dean folgte seinem Beispiel keine Millisekunde später.

Sam entdeckten sie sofort. Direkt vorm Getränkeautomaten, wie er es versprochen hatte.

Aber er war nicht mehr allein.

Beim Anblick dieses Paares zogen sich Deans Eingeweide zusammen. Es hätte sich natürlich bloß um harmlose Gäste des Motels handeln können, die sich ebenfalls ein Getränk hatten holen wollen und dabei ein Gespräch mit Sam angefangen hatten, doch Dean glaubte einfach nicht daran. Er spürte unterschwellig die Gefahr. Ganz davon abgesehen, dass der Blick des Mannes viel zu hasserfüllt auf Sam gerichtet war, als dass es sich bloß um eine zufällige Begegnung handeln konnte.

„Sammy!“, brüllte Dean alarmiert und wollte augenblicklich zu seinem Bruder stürmen, aber der Mann richtete seinen ausgestreckten Arm direkt auf Sam und meinte warnend: „Keinen Schritt weiter!“

Seine schwarzen Augen musterten Dean herausfordernd.

Dämonen!
 

Dean unterdrückte ein Stöhnen. Sie hatten schon mehr als genug um die Ohren, da brauchten sie wirklich nicht auch noch das.

„Das sind Dämonen“, klärte Sam seinen Bruder überflüssigerweise und in einem viel zu heiteren Tonfall auf. „Sie heißen Cormin und Mica und suchen mich schon eine ganze Weile. Toll, nicht?“

Dean fand das irgendwie ganz und gar nicht. „Sammy, hätte ich dir etwa extra noch erzählen müssen, dass Dämonen böse sind?“

Sam schaute überrascht drein. „Wirklich?“, fragte er ungläubig. Er wandte sich zu den beiden und fragte: „Seid ihr tatsächlich böse?“

Der Dämon namens Cormin schnaubte abfällig. „Gut und Böse sind bloß Begriffe, die die Menschen geprägt haben, um sich das Leben einfacher zu gestalten. Und wir Dämonen … wir verfolgen bloß unsere eigenen Ziele. Manchmal auf Kosten anderer, manchmal aber auch nicht.“

Sam schien dies furchtbar interessant zu finden, während die Dämonin sich erstaunt ihrem Partner zuwandte. „Meine Güte, Cormin. Ich hätte nicht gedacht, dass du dermaßen tiefgründig sein kannst.“

Cormin warf ihr daraufhin einen düsteren Blick zu, der andeuten sollte, dass ihr Kommentar in dieser Situation mehr als unpassend war. Mica jedoch lächelte zuckersüß und ließ sich davon nicht beirren.

Dean hob derweil skeptisch eine Augenbraue. Was waren das nur für merkwürdige Dämonen?

Er umklammerte seine Waffe fester. In der Eile hatte er sich eine 45er gegriffen, die, soweit er das richtig in Erinnerung hatte, mit Eisenmunition gefüllt war. Bobby hatte sich hingegen ein Gewehr mit Steinsalzpatronen geschnappt und darüber hinaus auch noch geistesgegenwärtig eine Flasche Weihwasser mitgenommen.

Sie waren zwar mit diesen Waffen nicht in der Lage, die Dämonen zu töten, aber sie konnten sie ordentlich schwitzen lassen.

Ein Umstand, der auch Cormin absolut bewusst war.

„Ihr kleinen Jäger und eure Spielzeuge“, meinte er mit einem dämonischen Grinsen auf den Lippen. „Ihr lernt es auch nie.“

Bevor Dean auch nur die Chance hatte, abzudrücken, richtete Cormin seinen Arm direkt auf ihn und vollführte die typische Handbewegung, bei der sie ihre telepathische Kraft einsetzten.

Dean wartete nur darauf, von den Füßen gerissen und gegen die nächste Wand geschleudert zu werden.

Aber nichts geschah.

Absolut gar nichts.
 

Dean blinzelte verdutzt und wechselte einen Blick mit Bobby, der bloß mit den Schultern zucken konnte.

Und die beiden waren nicht die einzigen, die überrascht waren.

„Was ist denn?“, hakte Mica verwirrt nach.

„Ich … ich weiß nicht …“ Cormin betrachtete seine Hand ungläubig, als wüsste er nicht, was dieses Ding an seinem Körper zu suchen hatte. Schließlich versuchte er erneut, Dean anzugreifen, aber schon wieder zeigte sich keinerlei Reaktion.

„Irgendwas … stimmt nicht.“ Er schüttelte seinen Arm, als würde es sich um eine Taschenlampe oder Fernbedienung handeln, deren Batterien nicht richtig in der Verankerung saßen. Doch auch das zeigte keinen Effekt. Abgesehen von der Tatsache, dass er dabei ausgesprochen lächerlich aussah.

Mica derweil schnappte entsetzt nach Luft. „Ich hab’s dir doch gesagt! Dieser Schnee … etwas Merkwürdiges geht hier vor.“

Cormin musterte sie argwöhnisch, schien aber keine andere plausible Erklärung parat zu haben. Stattdessen fuhr ihm der Schreck durch sämtliche Glieder, als ihm bewusst wurde, dass er machtlos war.

Dean und Bobby fackelten hingegen keine Sekunde.

Bobby schüttete den Dämonen sofort das Weihwasser ins Gesicht, woraufhin sie schmerzvoll zu schreien begannen. Dean riss derweil seine Waffe hoch und feuerte mehrere Schüsse ab. Die Dämonen taumelten einige Schritte nach hinten, völlig überrumpelt und fassungslos.

Ihr Schrecken dauerte aber nur einen Sekundenbruchteil an.

Cormin packte Mica rasch am Kragen und zog sie hinter sich her in den Schnee. Dabei benutzte er eine Schneise, die er sich wahrscheinlich schon zuvor auf dem Weg zum Motel gebahnt hatte.
 

Dean wollte ihnen hinterher eilen und sie bewegungsunfähig machen, um den Dämonen schlussendlich mit Rubys Dolch den Rest zu geben, doch just in dem Moment, als er erneut die Pistole hochriss, um die Flüchtenden aufzuhalten, öffnete sich eine Zimmertür des Motels und ein übermüdet wirkender Mann mit Drei-Tage-Bart lugte nach draußen.

„Habe ich da gerade Schüsse gehört?“, fragte er verwundert.

Dean versteckte hastig die Waffe hinter seinem Rücken und meinte, mit einem unschuldigen Lächeln: „Nein, nein. Ich glaub, das war nur ne Autozündung. Machen Sie sich keine Sorgen.“

Der Mann musterte Dean noch einen Augenblick argwöhnisch, dann aber zog er sich wieder zurück und schloss die Tür hinter sich.

Kaum war er aus dem Blickfeld, wirbelte Dean herum, nur um festzustellen, dass die beiden Dämonen hinter den Schneebergen verschwunden waren. Er fluchte lautstark, während er darüber nachdachte, ob er den beiden folgen und sie eliminieren sollte oder nicht.

Bobby nahm ihm schließlich die Entscheidung ab. „Lass sie laufen. Hier am helllichten Tag herumzuballern, ist ganz sicher keine glorreiche Idee.“

Dean knirschte mit den Zähnen. Er ließ ungern Dämonen entkommen – zumal sie offenbar eine akute Gefahr für Sam darstellten –, aber Bobby hatte Recht. Sosehr die Leute auch von dem Schnee abgelenkt waren, ein bewaffneter Mann mit Schusswut würde bestimmt auffallen. Und zusätzlich zu all dem Schlamassel wollte Dean nicht auch noch im Gefängnis landen.

Stattdessen seufzte er schwer. „Bobby?“

„Ja?“

„Was zur Hölle ist hier nur los?“

„Ich wünschte, ich wüsste es, Junge.“
 

* * * * *
 

„Voller Stolz kann ich euch mitteilen, dass ich nach intensiver Recherche herausgefunden habe, …“ Dean räusperte sich kurz, ehe er großspurig verkündete: „… dass Dämonen absolut nichts mit dem Chaos hier in Willcox zu tun haben.“

Bobby schnaubte verächtlich. „Wow, was für eine bahnbrechende Erkenntnis.“

Dean konnte nur mit den Schultern zucken. Obwohl er jetzt seit fast zwei geschlagenen Stunden vor dem Laptop hockte und tiefer im Internet gebohrt hatte als jemals zuvor, war nichts Gescheites dabei herausgekommen. Auch Bobby wurde zunehmend resignierter. Nachdem er seine Jäger-Freunde, die unter Umständen vielleicht eine Erklärung gehabt hätten, per Telefon immer noch nicht hatte erreichen können, hatte er es ganz modern mit Emails versucht, aber auch diese Verbindung zur Außenwelt schien aus irgendeinem Grund gestört zu sein. Nichts konnte nach draußen dringen.

„Vielleicht sollten wir einfach die Stadt verlassen und dann telefonieren“, schlug Dean schließlich vor. „Hinter der Grenze dürfte das durchaus funktionieren.“

Bobby schüttelte aber nur entschieden den Kopf. „Bist du irre, Junge? Hier haben wir um die zwanzig Grad minus und außerhalb der Stadt herrschen Temperaturen um die vierzig bis fünfzig Grad. Wir würden vor Schock bloß zusammenbrechen und dann in der heißen Sonne langsam verkokeln.“

Dean schloss kurz die Augen. Heiß … Er erinnerte sich noch vage, wie er sich keine vierundzwanzig Stunden zuvor über die Hitze beschwert hatte. Sehnsüchtig hatte er um etwas Kühle gebetet. So gut wie alles wäre ihm Recht gewesen, um den erbarmungslosen Temperaturen zu entkommen.

Und nun bibberte er hier in einem Raum ohne funktionierende Heizung oder warmen Wasser.

Da besaß offenbar jemand einen schwarzen Sinn für Humor.

Wer oder was auch immer für das Ganze verantwortlich war.
 

„Nein, jetzt aber ernsthaft: Dämonen können wir wohl wirklich ausschließen“, meinte Dean. „Allein die Gesichter, die die zwei gezogen haben, als sie bemerkten, dass ihre Kräfte futsch sind.“

„Sie haben echt blöd aus der Wäsche geguckt“, meinte Sam amüsiert. Er hockte wie schon zuvor auf dem Boden und kritzelte auf seinem Papier herum. Seine Lippen zierten derweil ein breites Lächeln, als er sich die Dämonen bildlich vorstellte.

Auch Dean musste zugeben, dass das Ganze durchaus vergnüglich gewesen war. Er fand es schade, dass er keinen Fotoapparat dabeigehabt hatte, um Cormins entsetzte Miene für immer und ewig festhalten zu können.

„Na ja, machtlose Dämonen sind wirklich unser kleinstes Problem“, entgegnete Bobby. „Im Grunde ist es sogar begrüßenswert.“

Da musste Dean zustimmen. Nach all dem Kummer mit Sams Amnesie und dem Chaos in Willcox war diese Auswirkung eigentlich ganz praktisch.

„Aber welche Macht ist dazu fähig, einem Dämon seine Kräfte zu rauben?“, fragte sich Bobby.

Dean warf einen Blick zu seinem Bruder. „Du hast doch nichts angestellt, oder?“, hakte er mit einem etwas flauem Gefühl im Magen nach. „Ich meine … irgendwie deine übernatürlichen Fähigkeiten eingesetzt?“

Sam schaute von seinem Bild auf. „Ich habe übernatürliche Fähigkeiten?“, erkundigte er sich irritiert.

Dean hob abwehrend seine Hände. „Vergiss es einfach, okay?“. Wieder an Bobby gewandt sagte er: „Dann hat es wohl wirklich was mit dem Schnee und der ganzen Situation hier zu tun.“

„Das bringt uns der Lösung aber nicht sehr viel näher.“

„Ich weiß“, meinte Dean stöhnend. „Ich bin mit meinem Latein ehrlich am Ende. Wir bräuchten schon ein Wunder –“

Er unterbrach sich selbst, als es an der Tür klopfte.
 

Dean warf einen Blick zu Bobby, der daraufhin bloß die Schultern hob und damit zu verstehen gab, dass er keine Ahnung hatte, wer sich an der Tür befinden könnte.

Dean nickte bestätigend und griff sich Rubys Messer, das er hinter seinem Rücken versteckte, während Bobby Sam am Kragen packte und ihn wenig liebevoll dazu überredete, hinter dem Bett Deckung zu suchen. Auch nahm er vorsichtshalber ebenfalls eine Waffe in die Hand.

Natürlich war die Wahrscheinlichkeit gering, dass jemand, der ihnen etwas Böses wollte, vorher freundlich an ihre Tür klopfte, doch nach der Begegnung mit den Dämonen waren sie nicht bereit, irgendwelche Risiken einzugehen. Lieber verhielten sie sich unnötig übervorsichtig, als aufgrund von Nachlässigkeit in einem frühen Grab zu landen.

Wahrscheinlich nur der Motelbesitzer, dachte Dean. Dieser war schon mehrmals an den Zimmern vorbeigestreift und hatte aufgeregt die aktuellsten Neuigkeiten in die Welt hinausgeschrien, während er sich selbst unheimlich wichtig vorgekommen war.

Dean ergriff den Knauf, öffnete langsam die Tür … und sah sich jemanden gegenüber, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hatte.

„Cas?“, hakte er verwundert nach.

„Hallo, Dean“, begrüßte ihn Castiel in diesem typischen Tonfall, der keinerlei Gefühlsregung erkennen ließ. Wie immer trug er den dunklen Anzug samt Trenchcoat, was ihn wie einen Börsenmakler oder auch John Constantine aussehen ließ. Neu waren hingegen die sichtlich nassen Schuhe und Hosenbeine. Hätte Dean es nicht besser gewusst, hätte er vermutet, dass der Engel sich durch den hohen Schnee gekämpft hatte.
 

Castiel betrat wie selbstverständlich das Motelzimmer, ohne auf eine Einladung vonseiten Dean zu warten. Er ließ kurz seinen Blick schweifen und verharrte für einige Sekunden bei Bobby, der erleichtert aufatmete und die Waffe weglegte, und bei Sam, der sich wieder vom Boden aufrappelte.

„Wow, wie nett, dass du auch mal vorbeischaust“, meinte derweil Dean bissig, nachdem er die Tür geschlossen hatte. „Ich habe dich zwar schon vor Stunden wie ein Verrückter gerufen, aber das hat dich offenbar nicht sonderlich interessiert, was?“

Castiel rührte sich im ersten Moment nicht, sondern musterte Sam intensiv. Aber schließlich drehte er sich zu Dean und fragte: „Du hast mich gerufen?“

Seiner Stimme war tatsächlich Überraschung anzuhören. Zwar in einem eher bescheidenen Maß, doch für den Engel war dies ein echter Meilenstein. Er wirkte sogar halbwegs menschlich.

„Du hast mich also wirklich nicht gehört?“, hakte Dean nach. Demnach hatte er mit seiner Theorie durchaus richtig gelegen.

Castiel schüttelte leicht den Kopf. „In dieser Stadt geschehen seltsame Dinge.“

„Danke, Sherlock“, murmelte Dean und kümmerte sich dabei in keinster Weise um Castiels darauffolgende verwirrte Miene. Stattdessen meinte er, etwas versöhnlicher: „Na ja, wenigstens hast du dir endlich ein paar Manieren angewöhnt, Cas. Echt nett, dass du anklopfst und nicht wie sonst so unerwartet einfach auftauchst und mich zu Tode erschreckst. Ich hatte echt Angst, dass ich irgendwann an einem Herzinfarkt krepiere.“

Castiel hob die Augenbrauen. „Es gibt einen anderen Grund, warum ich anklopfe“, erwiderte er.

„Und welchen?“

Der Engel antwortete nicht. Er starrte Dean bloß mit diesem extrem durchdringenden Blick an, als erwartete er, dass sein Gegenüber die Antwort bereits kannte.

Es war jedoch Bobby, der die Situation zuerst durchblickte. „Es ist wie mit den Dämonen, nicht wahr? Deine Kräfte …“

„… sind weg?“, vollendete Dean den Satz. Ungläubig musterte er den Engel. „Ist das wahr?“

Castiels darauffolgender Gesichtsausdruck sprach Bände. „Ich kam hierher, um die merkwürdigen Phänomene zu untersuchen, die die Stadt heimsuchen. Aber kaum war ich hier angelangt …“

Der Engel brauchte nicht weiterzusprechen. Ein einziger Blick auf seine nassen Schuhe genügte, um zu wissen, dass er sich tatsächlich durch den Schnee gekämpft hatte. Wahrscheinlich eine völlig neue Erfahrung für ihn.
 

„Das heißt also, die Engel sind für das Chaos wirklich nicht verantwortlich“, schlussfolgerte Dean. Im Grunde keine große Erkenntnis, da die Engel sicherlich niemals die Stadt dermaßen abgeschottet hätten, dass sie nicht mehr wüssten, was gerade vorging. „Wer denn dann? Die Dämonen zumindest, die wir getroffen haben, schienen auch keine Ahnung zu haben, was eigentlich vorgeht.“

„Wir wissen es ebenfalls nicht“, entgegnete Castiel. Völlig neutral, als würde es ihn überhaupt nicht interessieren.

Dean kannte den Engel aber inzwischen schon lange genug, um gewisse Zeichen zu deuten. Seine leicht funkelnden Augen zeigten klar, dass er sich mehr Sorgen machte, als man es ihm äußerlich ansah.

„Ist es übrigens Zufall, dass du kurz nach den Dämonen hier aufkreuzt?“, erkundigte sich Dean.

„Ja.“

Nichts weiter. Nur dieses eine Wort.

Manchmal war dieser Engel wieder zum Haare ausraufen!

Castiel schien jedoch zu erkennen, dass seinem Gegenüber diese äußerst knappe Antwort nicht ausreichte. „Ich wusste nicht, dass Dämonen in der Stadt sind. Es gab zwar Gerüchte, dass ein Paar sich Informationen über euch bei einer alten wahrsagenden Hexe geholt hat, aber uns war nicht klar, dass sie euch schon so dicht auf der Fersen sind.“ Er schwieg kurz und meinte noch ergänzend: „Falls es sich überhaupt um dieselben Dämonen handelt.“

Dean hob eine Augenbraue. „Eine wahrsagende Hexe?“

Castiel nickte bestätigend, führte seine Ausführungen aber nicht weiter fort.

Dean holte einmal tief Luft und fragte nach: „Was hat die Alte denn gesagt?“

„Sie ist tot“, entgegnete Castiel. „Sie war sehr alt.“

„Also wisst ihr es nicht?“, hakte Dean ungeduldig nach.

„Nein.“

Dean seufzte und ließ sich auf dem Bett nieder. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass sein Körper nur noch aus Blei bestände.
 

„Also“, begann er, „habt ihr auch nur irgendeine verdammte Ahnung, was zur Hölle hier los ist?“

Castiel zuckte nicht mal mit einem einzigen Muskel, als er sagte: „Nein.“

Dean stöhnte auf. Nicht gerade die Antwort, die er hatte hören wollen.

Sam hatte sich derweil an Bobby vorbeigeschoben und war zu Castiel getreten. Interessiert musterte er den Engel wie ein Ausstellungsobjekt und tastete sogar kurz dessen Brust und Gesicht ab, als ob er sich vergewissern wollte, dass sein Gegenüber real war.

Castiel ließ dies widerspruchslos, aber eindeutig etwas verwundert über sich ergehen.

„Du bist ein Engel?“, fragte Sam schließlich verblüfft. „Ich dachte, ihr wärt mehr … so.“ Und damit deutete er auf das Bild im Zimmer, das einen imposanten und funkelnden Engel mit einer beeindruckenden Flügelspannbreite zeigte.

Castiel machte tatsächlich Anstalten, auf Sams Frage zu antworten, aber er überlegte es nochmal anders und drehte sich zu Dean. „Was ist mit ihm los?“

„Amnesie.“

„Amnesie?“

„Ganz recht“, meinte Dean seufzend. „Irgendwie scheinst du in letzter Zeit etwas schlecht informiert zu sein, was, Cas? Entweder wissen deine Engel-Freunde Bescheid und haben dir nur nichts gesagt oder aber ihr habt alle keine Ahnung. Such dir aus, was dir besser gefällt.“

Castiel ging auf die Provokation jedoch nicht weiter ein. Stattdessen begutachtete er nun Sam äußerst ausgiebig, während dieser breit lächelte und sich nicht von Castiels Fehlen jedweden Sinns für Privatsphäre und Distanz stören ließ.

„Interessant“, meinte der Engel schließlich. „Wie ist das passiert?“

„Ein Geist“, klärte Dean ihn auf. Äußerst ungern dachte er an diese Begebenheit zurück. Wäre er nur ein wenig aufmerksamer gewesen, hätte er all das verhindern können. „Diese Geisterlady ist einfach … BÄMM, durch ihn durchgerauscht. Und Sammys Gedächtnis war anschließend weg. Sein Hirn ist völlig leergefegt.“

Der Engel nickte verstehend. „Interessant“, sagte er erneut.

Währenddessen ballte Dean seine Hände zu Fäusten. Das Ganze war verdammt nochmal nicht interessant, sondern schlichtweg ein Desaster!
 

„Ich will diesen Geist sehen“, verlangte Castiel daraufhin.

Dean atmete einmal tief durch, um seine aufsteigende Frustration unter Kontrolle zu bringen. „Wie du willst, Cas“, meinte er schließlich. „Allerdings sollten wir vielleicht noch etwas warten. Wir haben die Lage im Museum noch nicht einwandfrei kontrolliert und wenn wir durch einen Bewegungsmelder laufen oder uns eine Kamera erwischt, dann –“

Er verstummte abrupt, als plötzlich die Schreibtischlampe und der Fernseher, der die ganze Zeit im Hintergrund mitgelaufen waren, gleichzeitig ausfielen.

Dunkel wurden.

Offenbar hatten die Stromleitungen von Willcox nun endgültig den Geist aufgegeben.

Dean warf Castiel einen skeptischen Blick zu. „Hast du das etwa vorausgesehen?“

Der Engel sagte nichts, was Antwort genug war.

„Ein bisschen von deinem Mojo ist wohl noch übrig, was?“, erkundigte sich Dean, während er sich bereits seine Jacke überstreifte.

„Nicht mal annähernd genug“, erwiderte Castiel.

Dean verkniff sich einen bissigen Kommentar, den der Engel sowieso wieder nicht verstanden hätte. Stattdessen klopfte er Sam aufmunternd auf die Schulter und sagte: „Sei schön brav und geh Bobby nicht zu sehr auf die Nerven, okay? Cas und ich werden schnell wieder zurück sein.“

Sam runzelte die Stirn und warf einen Seitenblick zu Bobby, der gar nicht begeistert aussah, mit einem geistig verwirrten Jungen allein in einem Zimmer eingesperrt bleiben zu müssen.

„Ich könnte ihm ein schönes Bild malen“, schlug Sam vor.

Dean schmunzelte. „Tu das, Sammy. Er wird sich riesig freuen.“

Er beobachtete seinen Bruder, wie er sich wieder auf den Boden setzte, ein weißes Blatt Papier hervorkramte und emsig zu zeichnen begann. Wie ein kleines Kind, das sich unheimliche Mühe gab, um seinen Daddy mit einem Geschenk zu beglücken.

Dean seufzte. So unschuldig und sorglos dieser Sam auch war, allmählich war es an der Zeit, dass alles wieder in seinen geordneten Bahnen verlief.

Wie auch immer das zu schaffen sein würde.
 

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Wer sich einen actiongeladenen, zehn-Seiten-Kampf zwischen den Dämonen und unseren Lieblings-Jägern versprochen hat, musste ich leider enttäuschen. Aber es war bestimmt nicht das letzte Mal, dass Cormin und Mica auftauchen werden ;)
 

An dieser Stelle wollte ich mich auch für eure lieben Kommentare bedanken ^^ Ich freue mich immer über euer Feedback!



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RyouAngel
2010-03-05T09:33:42+00:00 05.03.2010 10:33
Also mal wieder ein tolls Kapitel!
Ich war schon überrascht das die Dämonen keine Kräfte mehr haben, das war interessant XD
Und dann Denas Kommentar zu Sam, einfach genial deine Ideen
*kuller*
Auf jeden Fall ist Cas nun da und er hatte ihn wirklich nicht gehört, hatte ich mir beinah schon gedacht^^

Auf jeden fall freue ich mich schon sehr auf das nächste Kapitel^^

RyouAngel
Von:  DoctorMcCoy
2010-03-04T16:30:51+00:00 04.03.2010 17:30
Okay, ich war ab der zweiten Hälft nur noch am Grinsen, aber das hast du dir bestimmt schon gedacht.

Kommen wir jedoch erst einmal zum Anfang. Natürlich war ich total enttäuscht, dass es jetzt kein 10-Seiten-Kampf gab. Nein, als ob. So war es doch viel lustiger. Die beiden Dämonen sind wirklich cool. Es war total süß, wie Mica Cormin so für seine philosophische Antwort bewundert hat. Leider hat die Kleine bestimmt noch nie was von schlechten Timing gehört. Man macht doch seinen Partner nicht vor den Feinden schlecht. Das gehört sich einfach nicht.
Aber ich kann mir Cormins Gesicht einfach zu gut vorstellen, als sein Mojo nicht funktioniert hat. Und wie er dann seinen Arm geschüttelt hat, als ob es dann wieder funktionieren würde. Die beiden waren einfach zu süß. Gut, dass Dean sie nicht verfolgt und erledigt hat, sonst kämen sie ja nicht mehr vor.

So und jetzt kommen wir natürlich zum besten Teil des Kapitels: Cas ist endlich da!
Und der Arme musste sich sogar den ganzen Weg durch den Schnee kämpfen. Das nenne ich mal Arbeitseinstellung, wenn er trotzdem nicht umgedreht ist.
Aber Cas scheint sogar noch weniger zu wissen als die Anderen. Der weiß ja überhaupt nichts. Naja, dass mit der Hexe wusste er. Zu geil, als Dean ihn gefragt hat, was sie gesagt hat. Sie war sehr alt. Herrlich, Castiel, immer weiter so.
Und jetzt will er auch noch unbedingt den Geist sehen. Mensch, du bist gerade erst angekommen, aber so ist er nunmal. Er braucht ja auch keinen Schlaf wie diese Menschen.

Eine gemeinsame Jagd mit Cas und Dean ist ja schon cool genug, aber wenn Cas dann auch keine Fähigkeiten mehr hat, oder nur sehr wenige, wird es bestimmt doppelt so lustig.
Außerdem bin ich noch sehr gespannt, ob das Bild Bobby gefallen wird. Naja, vermutlich nicht, bei Sams tollen Maltalent.
Bis dann.
HDGDL Lady_Sharif


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