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Weihnachtsessen bei Edelsteins

Indirektes HRExChibitalia
von

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Wiedersehen oder nicht wiedersehen

Wiedersehen oder nicht wiedersehen
 

Der Junge war klein und pausbäckig und hatte runde, blaue Augen. Seine Kleider in mittelalterlicher Mode, der dunkelblaue Hut und die weißen Rüschen an seinem Kragen, wirkten zu alt und zu steif für ihn. Auch den kurzen Mantel, der hinter ihm im starken Wind flatterte, hatte er nicht unter Kontrolle.

Nicht, dass den Jungen all dies gestört hätte.

„Ich werde dich niemals vergessen.“

Seine Stimme war dünn und klang gepresst, als würde er mit Mühe Tränen zurückhalten. Oder ein Lachen.

Das Mädchen vor ihm, im schlichten Kleid einer Magd, blinzelte zu ihm hoch. „Ich dich auch nicht“, sagte sie aufrichtig und griff nach seiner Hand. „Pass auf dich auf.“

Bei der Berührung legte sich ein leichter Rotschimmer über seine Wangen. Er zog die Hand zurück und schlug schüchtern die Augen nieder. „J-ja, mache ich.“

„Und hol dir keine Erkältung, und fall nicht hin, und tu dir nicht weh.“

„Mache ich nicht.“

„Und komm bald wieder zu mir zurück.“

Er schluckte und hob den Kopf, um das Mädchen anzusehen. „Mal sehen, wie lange es dauern wird“, erwiderte er, und nun standen wirklich Tränen in seinen Augen. „Aber... egal, wie lange es auch dauert... ich werde wiederkommen. Und ich werde dich immer noch lieben, du wirst sehen.“

Sie lachte hoffnungsvoll, doch auch in ihren braunen Augen glitzerten Tränen. „Ich werde darauf warten. Immer.“

„Das ist gut“, murmelte er. „Das ist gut.“

Damit drehte er sich um und ging davon. Sie rief ihm hinterher, mit einer dünnen Stimme, die der Wind in der Luft zerriss.

„Komm bald wieder, ich hab dich lieb! Pass gut auf dich auf! Zieh dich warm an, damit du dich nicht erkältest! Ich hab dich lieb!“

Er winkte über die Schulter zurück, doch er brachte es nicht übers Herz, sich umzudrehen.

Das Mädchen blieb vor dem großen Tor stehen und sah zu, wie er sein Pferd bestieg und davon ritt. Die Tränen liefen ungehindert über ihre Wangen, und nur von Zeit zu Zeit machte sie sich die Mühe, sie weg zu wischen.

„Komm bald wieder... ich hab dich lieb...“

Eine Frau tauchte hinter ihr auf. Auch sie trug das Kleid einer Magd, kombiniert mit ein paar Blumen im Haar. „Komm herein, Chibitalia.“

Das Mädchen schluchzte weiter vor sich hin, bis die Frau es mitleidig seufzend bei der Hand nahm. „Ist ja gut... es wird alles gut, Feliciano...“
 

Soweit der Prolog. Die nächsten Kapitel werden wesentlich länger, und darauf bin ich stolz.

Ungeliebtes Fest der Liebe

Ungeliebtes Fest der Liebe
 

„Wer“, fragte Roderich missmutig und legte eine Hand an die Fensterscheibe, an der Eiskristalle wuchsen, „ist eigentlich auf die grandiose Idee gekommen, dieses Jahr ein Weihnachtsessen zu veranstalten?“

„Das waren Sie“, antwortete Feliciano hilfsbereit. „Aber Elizaveta hat die Gästeliste gemacht.“

Roderich schnaubte leise und beschloss, keinen Kommentar mehr dazu abzugeben. Was passiert war, war passiert. „Apropos, ist Elizaveta nicht langsam fertig? Die Gäste dürften bald kommen.“

„Soll ich nachsehen?“

„Tu das, Mädel.“

Feliciano verließ den Raum, durchquerte einen der zahlreichen Flure des Anwesens und klopfte an der nächsten Tür. Nach dem gestresst klingenden „Herein!“ trat er ein.

„Ach, du bist es, Chibitalia“, sagte Elizaveta und drehte sich halb zu ihm herum. Sie saß auf einem Hocker vor ihrem Spiegel, beide Hände in ihren langen Haaren vergraben. Ihr Blick war ein wenig verzweifelt. „Könntest du mir kurz helfen? Ich bekomme sie einfach nicht gebändigt.“

Unsicher nickte Feliciano und trat näher, so gut er konnte – Elizavetas Rock, oder besser ihre Röcke, waren heute wesentlich ausladender als sonst.

„Das ist so unpraktisch“, beklagte sie sich, als sie seinem Blick folgte. „Die Röcke und die steifen Korsetts, und dann die Frisur... weißt du, manchmal möchte ich mir einfach die Haare schneiden, so kurz, dass sie nicht mehr im Weg sind.“

„Aber deine Haare sind so schön, große Schwester“, versicherte Feliciano ihr, schleppte einen zweiten Hocker heran und kletterte darauf.

„Ja, ja, das sagt Roderich auch immer...“ Sie seufzte tief, bevor sie in den Spiegel sah und sich selbst ein überlegenes Lächeln schenkte. „Naja, sei's drum. Wir zwei lassen uns nicht unterkriegen, was, Feli?“

Feliciano sah an ihrer Schulter vorbei in den Spiegel, während er die langen, hellbraunen Locken vorsichtig zu Zöpfen band. „Freust du dich denn gar nicht auf heute Abend?“

Elizaveta lachte hell, wie sie es oft tat, wenn er etwas sagte – auch wenn er es gar nicht lustig gemeint hatte. „Naja... freust du dich denn?“

„Oh, ja. Bruder Romano kommt.“

„Natürlich, der kleine Romano... hoffentlich kann Antonio ihn diesmal bändigen. Beim letzten Mal hat er drei Tassen zerbrochen.“

„Und eine Untertasse“, ergänzte Feliciano freundlich und band eine letzte Schleife. „So. Ich bin fertig, große Schwester.“

Behutsam stand Elizaveta auf, strich ihre Röcke zurecht und betrachtete sich im Spiegel. Sie schien zufrieden zu sein, doch als sie sich umdrehte, zog ein entgeisterter Ausdruck über ihr Gesicht.

„Hast du gesagt, du bist fertig? Von wegen! Ich bin fertig, aber du trägst immer noch deine Schürze von vorgestern.“

Er glaubte nicht, dass dies der richtige Moment war, um zu gestehen, dass die Schürze von vor-vorgestern war. „Aber... ich muss doch sowieso servieren. Du weißt doch, wie schnell ich mich dreckig mache.“

„Ach was!“ Elizaveta winkte ab und schritt hinüber zu ihrem Bett. Feliciano sprang zurück, weil er fürchtete, von ihren Röcken erschlagen zu werden.

„Du ziehst das hier an... die Schürze kannst du darüber ziehen. Aber eine saubere, bitte!“

Sie lachte und hielt ihm eines dieser Kleider hin, die Feliciano von anderen festlichen Anlässen kannte. Es war ihre Tracht, die sie manchmal scheinbar aus dem Hut zauberte.

Es kam ihm komisch vor, dass sie ihm ständig Kleider zum Anziehen gab. Genau, wie es ihm komisch vorkam, dass Roderich dazu neigte, ihn „Mädel“ zu rufen. Aber er führte das einfach darauf zurück, dass er klein war und die Welt nicht ganz verstand.

Er wäre nicht Feliciano gewesen, wenn ihm aufgefallen wäre, dass man einen sensiblen Jungen in seinem Alter durchaus für ein Mädchen halten konnte.
 

„Chibitalia!“, gurrte Francis, beugte sich hinunter und kniff Feliciano in die Wange, wie er es immer tat. „Wie geht es meinem kleinen Goldstück?“

Feliciano lachte und und schlang die Arme um ihn. Seitdem er in Roderichs Haus wohnte, sah er seine alten Bekannten und Verwandten nur noch selten. Nichts machte ihn glücklicher, als zu sehen, dass seine Lieben sich nicht verändert hatten. Francis war noch immer ein perfekt gekleideter Charmeur mit einem verwaschenen Akzent, der anzügliche Witze machte, die Feliciano nicht verstand.

„Roderich! Eine wunderschöne Weihnachtszeit!“

Roderich verdrehte leicht die Augen, doch er gab Francis höflich die Hand. Wenn er die Gästeliste gemacht hätte, dachte Feliciano, wäre Francis zu Hause geblieben. Definitiv.

„Und die liebe Elizaveta...“, fuhr Francis fort, verbeugte sich tief, gab ihr einen Kuss auf den Handrücken und zauberte mit der freien Hand einen Strauß Rosen hinter seinem Rücken hervor, den Elizaveta schmunzelnd annahm.

„Vielen Dank, Francis. Sehr aufmerksam.“

„Weihnachten ist das Fest der Liebe, nicht wahr?“, erwiderte Francis und zwinkerte verführerisch, woraufhin Elizaveta ihm einen tadelnden Blick zuwarf.

„Und, Chibitalia, mon chéri? Wollen wir schon einmal die Tafel besichtigen?“

Während er Feliciano an der Hand nahm, hörten sie Roderich hinter ihnen zischen: „Er hat dir Rosen mitgebracht?“

„Oh ja. Wann habe ich das letzte Mal Rosen von dir bekommen, Liebling?“

„Vor drei Tagen.“

„Eben“, sagte Elizaveta besänftigend und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Die Rosen hielt sie fest.

Feliciano hüpfte neben Francis her und fühlte sich sehr festlich und aufgeregt. Als er seinen „großen Bruder“ zu seinem Platz führte, auf dem ein handgeschriebenes Platzkärtchen stand, erklang vom Gang her ein fröhlicher Ruf.

„Feliz Navidad!“

„Uhuhu“, machte Francis. „Pünktlich wie die Maurer.“

„Ich will Bruder Antonio hallo sagen!“, rief Feliciano und sauste zurück nach draußen, wo er Zeuge wurde, wie Antonio Elizaveta stürmisch die Hand schüttelte und Roderich kräftig an sich drückte, was dieser errötend und mit einem Stirnrunzeln über sich ergehen ließ. Er sah aus, als sei der Abend für ihn schon gelaufen.

„Chibitalia!“, rief Antonio mit leuchtenden Augen, als er Feliciano auf sich zu rennen sah, und breitete die Arme aus. „Schau mal, Romano, wer da ist!“

Romano klammerte sich hinten an seiner Hose fest, lutschte an einer schon fast leer gelutschten Tomate und starrte missmutig in die Gegend, wie er es meistens tat. Er wurde beinahe umgerissen, als Antonio auf die Knie fiel, um Feliciano an sich zu drücken.

Seine Umarmung war warm und stark und roch ein wenig nach Tomaten, und Feliciano genoss sie, obwohl sie ziemlich lange dauerte. Erst als Roderich sich vorwurfsvoll räusperte, ließ Antonio los, Tränen der Rührung in den Augen – oder vielleicht tränten seine Augen nur, weil Romano ihn seit geraumer Zeit kräftig trat.

„Bastard! Umarme ihn nicht! Das ist doch nur mein blöder Bruder!“

Ja, Feliciano hatte eine Menge Brüder.

„Fratello! Wir haben uns so lange nicht gesehen!“

Glücklich löste er sich von Antonio und schlang die Arme um Romano, wofür er einen deftigen Tritt in seine Weichteile kassierte.

„Aber Romano, mon chéri, so etwas tut ein Mann doch nicht“, sagte Francis aus dem Hintergrund und verzog mitfühlend das Gesicht.

„Romano! Was soll denn das!“, rief Antonio erschrocken und versuchte die beiden Brüder zu trennen, wobei der eine wild um sich kratzte und den zweiten, der bereits den Tränen nahe war, an den Haaren zog.

„Fratello...“

„Lass mich los, stronzo!“

„Ich dulde solche Ausdrücke nicht in meinem Haus!“, übertönte Roderich sie beide, wobei sein linkes Auge nervös zuckte.

„Es tut mir Leid, Roderich“, beeilte Antonio sich zu sagen und nahm Romano auf den Arm, wo dieser um sich schlug und verbissen versuchte, ihn mit seinem Kragen zu strangulieren.

„Alles in Ordnung, Chibitalia?“, fragte Elizaveta besorgt.

Feliciano heulte vor sich hin und wischte sich mit seiner Schürze die Nase ab. Sie war schon nicht mehr so sauber wie zu Anfang.

„Also wirklich, Romano!“, schimpfte Antonio und hielt Romano mühsam davon ab, ihm die Augen auszukratzen. „Du hattest versprochen, dich heute ausnahmsweise zu benehmen!“

„Einen Scheißdreck habe ich versprochen, scemo!“

„Wisst ihr was?“, fragte Francis versonnen, während sie zusammen ins Esszimmer gingen – Elizaveta behutsam Feliciano vor sich her bugsierend, Antonio mit einem bunt zwei- oder dreisprachig fluchenden Romano auf dem Arm und Roderich mit heftigen Kopfschmerzen.

„Nein, Francis. Was denn?“

„Weihnachten ist das Fest der Liebe.“
 

„Fehlt da nicht noch jemand?“, fragte Antonio, ungestört von der frischen Beule über seiner Augenbraue, und deutete auf den leeren Stuhl an einem Ende des großen Tisches.

„Was weiß denn ich“, erwiderte Roderich steif und mit einem Hauch von Selbstmitleid. „Elizaveta hat die Gästeliste gemacht.“

Elizaveta lachte nur. „Ja, es fehlt noch jemand. Er hat nicht eindeutig zugesagt, aber ein kostenloses Essen wird er sich wohl kaum entgehen lassen... ich dachte allerdings, er wäre pünktlich.“

Für diese rätselhafte Äußerung erntete sie einige verwunderte Blicke (nicht zuletzt von Roderich), doch niemand fragte nach, weil in diesem Moment ein lautes Schimpfen von Romano erklang.

„Wieso ist da kein Stuhl für mich?“

„Wir sitzen hier hinten, Fratello“, sagte Feliciano freundlich und deutete auf einen kleinen Tisch in der Ecke, der mit dem weißen Tischtuch und der Dekoration aus Tannenzweigen eine kleinere Version der großen Tafel darstellte. „Ich habe ihn selbst gedeckt, siehst du?“

„Ich will am großen Tisch sitzen!“

Feliciano sah ängstlich zu Roderich hinüber. Er hatte den kleinen Tisch in der Ecke des Raumes als große Ehre empfunden, denn normalerweise standen er und Elizaveta, während Roderich aß, und nahmen ihr Essen später in der Küche ein. Dass Elizaveta in letzter Zeit oft mit Roderich aß, war ihm aufgefallen, aber deswegen glaubte er noch lange nicht, das selbe verlangen zu können.

„Aber Romano!“, redete Antonio mit einer Engelsgeduld auf ihn ein. „Sieh doch mal, wie schön Feliciano den Tisch gedeckt hat. Da wirst du doch wohl nicht...“

„Der ist doof! Du bist auch doof! Ihr seid alle doof!“

„Schau mal, Fratello!“, sagte Feliciano hoffnungsvoll. „Ich habe dir sogar ein Platzkärtchen geschrieben, siehst du?“

„Oh, die hast du selbst geschrieben, Chibitalia?“, fragte Francis interessiert und hob sein eigenes Kärtchen hoch. „Wie lieb. Aber weißt du, mein Name schreibt sich nicht mit K.“

„Meiner auch nicht“, gab Antonio zu und lächelte. „Aber es ist eine sehr nette Geste... nicht wahr, Romanito?“

„Ach, leck mich!“

Feliciano stiegen erneut Tränen in die Augen. Er hatte sich so gefreut, Romano wieder zu sehen.

„Mädel!“, sagte Roderich laut, um Romano zu übertönen. „Die Suppe, bitte!“

Nervös blinzelte Feliciano ihn an und sah dann zu Elizaveta, die lächelte. Normalerweise trug sie die Speisen auf, er hatte schon viel zu oft alles fallen gelassen und Roderichs Laune und seine Beinkleider ruiniert. Aber Elizaveta war jetzt keine einfache Hausangestellte mehr, dachte er, sie war jetzt eine Dame. Eine richtig feine Dame, die neben Herrn Roderich sitzen und seine Hand halten durfte.

Er seufzte leise und machte sich auf den Weg in die Küche. Der Topf mit der Suppe köchelte noch über dem Herd vor sich hin. Unter Aufwendung all seiner Kräfte schaffte er es, ihn herunter zu wuchten und den Inhalt in die große Suppenschüssel zu gießen.

„Hallo, bastardo.“

Überrascht drehte Feliciano sich um und sein Gesicht hellte sich auf. „Bruder Romano! Willst du mir helfen?“

„Ich WILL dir ganz bestimmt nicht helfen!“, blaffte Romano ihn an. „Aber Antonio, das Arschloch, hat gesagt, ich soll dir helfen. Weil du Weichei allein nichts auf die Reihe kriegst.“

„So hat Bruder Antonio das bestimmt nicht gesagt“, erwiderte Feliciano mit großen Augen.

„Halt doch den Mund. Also, was soll ich jetzt machen?“

Gemeinsam schleppten sie die Suppenschüssel in den Saal. Antonio bekam eine seltsame Art von Anfall, als er sie sah, und Romano hätte beinahe die Schüssel fallen gelassen, um ihm an die Kehle zu springen.

„Ihr seid so goldig nebeneinander!“

„Beherrsche dich, Antonio“, erwiderte Francis und lächelte wissend.
 

Zähneknirschend setzte Romano sich auf seinen Platz an dem Tisch, den Feliciano extra für sie beide gedeckt hatte, und zerpflückte die Dekoration. Wenn er gerade nicht über seiner Suppe brütete, warf er seinem jüngeren Bruder Blicke zu, die hätten töten können. Doch Feliciano war fest entschlossen, sich davon nicht beeinflussen zu lassen.

Nach der Vorspeise schleppten die beiden Brüder die Suppenschüssel hinaus und den Hauptgang herein. Elizaveta half und ließ sich auch durch Roderichs Proteste nicht davon abhalten. Sie schaffte es, ihre weißen Handschuhe nicht ein bisschen dreckig zu machen. Das zeigte, dass sie eine feine Dame war, dachte Feliciano. Auch wenn sie sich nicht scheute, mit anzupacken.

„Danke, Chibitalia“, sagte sie lächelnd, als alles aufgetragen war und er ihr Glas mit Wein füllte.

„Bitte, große Schwester.“

Sie legte eine Hand auf seinen Kopf und sah ihm in die Augen, und ihr Lächeln wich einem ernsten Blick.

„Bist du glücklich?“

Auf diese Frage war er nicht gefasst gewesen – er war ohnehin selten gefasst auf irgendeine Frage, aber auf diese ganz besonders nicht.

„W-warum?“

„Ich frage nur. Du hast dich doch so auf diesen Abend gefreut...“

Sie lächelte aufmunternd, und er runzelte die Stirn. „Ja, ich bin glücklich. Bruder Romano ist hier. Alle, die ich lieb habe, sind hier. Wie sollte ich nicht glücklich sein?“

Elizaveta nickte und sah aus, als wolle sie noch etwas sagen, schwieg dann aber nur und gab ihm einen sanften Klaps auf den Kopf, damit er weiter ging, um Antonios Glas zu füllen.

Verwirrt fuhr Feliciano fort, und erst einige Momente später fiel ihm ein, dass er gelogen hatte. Es waren nicht alle da, die er liebte. Die wichtigste, allerwichtigste Person fehlte. Er fehlte. Und solange er nicht da war, konnte Feliciano nie wieder glücklich sein.
 

Ich hatte eine Sammlung italienischer Schimpfwörter und konnte nicht widerstehen... ach, dafür liebe ich Romano xD

Romanito ist die spanische Verniedlichungsform von Romano. Glaube ich. Hoffe ich.

Und von Französisch habe ich nun gar keine Ahnung, da musste ich mich auf das Internet verlassen... haha. Korrekturen sind gern gesehen.

So weit das erste Kapitel, und im nächsten sind die Gäste endlich beisammen und es geht los, muahaha.

Fremde Bekannte

2. Fremde Bekannte
 

Roderich setzte sich gerade hin und räusperte sich. „Wie ihr wisst, ist dies das erste Weihnachtsfest dieser Art, das ich... wir... veranstalten.“

Elizaveta lächelte und legte eine Hand auf sein Knie, was Roderich nicht gerade dabei half, beim Thema zu bleiben. „Also... trotz aller Streitereien und Zwistigkeiten, die wir hatten... teilweise auch noch haben...“ Hier warf er einen Blick zu Francis, der lächelte. „...freue ich mich, dass ihr alle hier seid.“

„Hört, hört!“, sagte Antonio fröhlich und klopfte auf den Tisch.

„Ich hoffe sehr“, fuhr Roderich fort, nachdem Antonio fertig geklopft hatte, „dass wir wenigstens an einem Tag im Jahr, zur Geburt unseres Herrn, unsere Uneinigkeiten begraben können. In diesem Sinne...“

Er faltete die Hände und wartete, bis die anderen es ihm gleichgetan hatten, bevor er zum Tischgebet anhob – doch er kam nie dazu, auch nur einen Satz zu beginnen.

Durch die Stille, die im Rest des Anwesens herrschte, erklang ein helles Läuten.

„Da ist jemand an der Tür“, sagte Feliciano in die erstaunte Stille hinein, die folgte. „Soll ich aufmachen?“

Er rutschte bereits von seinem Stuhl, doch Roderich kam ihm zuvor und stand auf. „Nein, keine Ursache. Das mache ich selbst.“

Mit großen Schritten verschwand er, und der Rest der Tischgesellschaft tauschte verblüffte Blicke.

„Wie unhöflich vom Gastgeber, uns einfach so allein zu lassen“, bemerkte Francis süffisant.

„Wer kann das sein, so spät noch?“, fragte Antonio neugierig, an Elizaveta gewandt. „Etwa der mysteriöse letzte Gast?“

Elizaveta nickte, sie war ein wenig blass. „Wahrscheinlich. Hoffentlich nimmt Roderich es mir nicht allzu übel, dass ich ihn eingeladen habe...“

„Er wusste nicht, wer es ist?“

„Nein, er hat die Planung ganz mir überlassen. Aber ich glaube“, fügte sie sarkastisch hinzu, „er spürt Gilbert auf zwei Meilen Entfernung.“

Verwirrt von den neuen Entwicklungen legte Feliciano den Kopf auf die Seite und lauschte.

„...spät. Wir haben schon ohne euch angefangen“, hörte er die Stimme Roderichs.

„Das macht doch nichts“, erwiderte eine zweite Stimme, hoch und spöttisch. „Du konntest deine anderen Gäste doch nicht nur unsertwegen warten lassen.“

„Ich hatte schon befürchtet, dass Elizaveta dich eingeladen hat...“

„Deine Wertschätzung ehrt mich ungemein.“

„...aber ich hätte nicht gedacht“, fuhr Roderich humorlos fort, „dass du ihn mitbringst.“

Es entstand eine angespannte Stille.

„Ich habe ihn aber mitgebracht“, erklärte der Mann, der Gilbert hieß, selbstgefällig. „Willst du den Jungen allein zurück nach Hause schicken? In tiefster Nacht?“

Wieder trat eine kurze Stille ein, dann waren Schritte zu hören. Die Blicke aller Anwesenden waren auf die Tür gerichtet, in der Roderich erschien, einen nicht ganz zu deutenden Ausdruck auf dem Gesicht. Zufrieden war er auf keinen Fall.

„Wir haben uns vermehrt“, sagte er knapp und ging zu seinem Platz zurück.

„Guten Abend allerseits“, erklang die Stimme des Neuankömmlings, der hinter ihm eintrat. Er war nicht größer als Roderich, mit eisgrauem Haar und Augen, die Feliciano Angst machten. Unter seinem dicken Mantel schien er eine Uniform zu tragen, die vielen Orden auf seiner Brust glänzten im Licht.

Im nächsten Moment fiel Felicianos Blick auf den Jungen, den er vor sich her schob. Er glaubte fast, sein Herz würde stehen bleiben.

„Gilbert“, sagte Francis mit einem Lächeln. „Was für eine Freude, dich zu sehen.“

„Ganz meinerseits, Francis.“ Gilbert grinste breit und salutierte lässig in Richtung der Anwesenden, bevor er beide Hände auf die Schultern des Jungen vor ihm legte. Eine Geste, die Besitzergreifung signalisierte.

„Ich möchte euch meinen kleinen Bruder vorstellen. Ludwig.“

Die Stille, die eintrat, schien fast greifbar zu sein. Alle starrten die beiden Neuankömmlinge an. Feliciano musste sich beherrschen, um nicht aufzuspringen. Er saß wie auf glühenden Kohlen.

Elizaveta war es, die die Stille durchbrach und die Situation vorerst entschärfte. „Wie schön, Ludwig. Fühl' dich wie zu Hause.“

Sie warf Roderich einen drängenden Blick zu, der sich daraufhin räusperte. „Wir brauchen noch einen Stuhl, Mädel.“

Feliciano konnte sich nicht rühren. Er starrte diesen Jungen an, diesen Ludwig. Wie konnte es sein, dass er genau so aussah wie er?

„Chibitalia!“, wiederholte Roderich streng. „Einen Stuhl!“

Erschrocken zuckte Feliciano zusammen und huschte aus dem Raum. Er hatte nichts getan, dachte er mit wild klopfendem Herzen. Ludwig hatte ihn weder erkannt noch auf seinen Namen reagiert. Es konnte nicht er sein.

Aber wieso sahen sie sich dann so ähnlich?
 

Als er mit einem Stuhl und einem weiteren Gedeck zurückkam, begrüßte Gilbert gerade Elizaveta mit einem Handkuss, wie Francis es getan hatte. Nur waren seine Bewegungen gröber und weniger galant.

„Und wer bist du, Mädel?“, fragte er spielerisch und hielt Feliciano an der Schulter fest.

Feliciano zuckte zusammen, als er Gilberts Gesicht so nah vor sich sah. „Chi... chibitalia“, antwortete er schüchtern. Gilbert roch leicht nach Eisen und Schießpulver und darunter nach dem dumpfen Gestank von Blut.

„Ah, verstehe.“

Er ließ ihn los. Feliciano schob den Stuhl an den Tisch und taumelte weiter, um den Teller abzustellen. Er stolperte und wäre beinahe gestürzt, hätten ihn nicht zwei Hände davon abgehalten.

„Pass auf“, sagte Ludwig und sah ihn ernst an.

Feliciano errötete heftig und begann zu stottern. „T-tut mir Leid... ich w-wollte sicher nicht...“

„Kein Problem. Danke für den Teller.“

Damit drehte Ludwig sich um und würdigte Feliciano keines Blickes mehr.

Vollauf verwirrt ging Feliciano zurück zu seinem Platz. Warum saß Ludwig eigentlich bei den Erwachsenen am Tisch, ging es ihm durch den Kopf, wo er doch kaum größer war als Romano und er...

„Feli?“

Elizaveta winkte ihn mit dem leeren Weinglas zu sich heran. Als er mit der Flasche näher kam, beugte sie sich hinunter und flüsterte in sein Ohr.

„Starr Ludwig nicht so an. Das ist ihm sicher unangenehm.“

„Aber...“, brachte Feliciano heraus und musste sich beherrschen, um nicht laut los zu heulen. Er war verwirrt. Fiel denn niemandem außer ihm auf, dass hier etwas faul sein musste?

„Aber... er sieht genauso aus wie... wie...“

„Ich weiß“, flüsterte Elizaveta beschwörend. „Ich weiß es, Feli, und Roderich weiß es auch. Alle hier wissen es. Aber bitte... wir wissen nicht, was es damit auf sich hat, also bleib bitte ruhig und tu nichts Dummes, verstanden?“

Wenn jemand Feliciano bat, nichts Dummes zu tun, tat er meistens genau das. Dennoch kniff er die Lippen zusammen und nickte.

„Tapferes, kleines Ding“, murmelte Elizaveta, doch dann musste sie wieder mit Antonio plaudern und Feliciano war auf sich gestellt.

Er trottete zu seinem Platz zurück, wo Romano auf seinem Stuhl hockte und mit vorgeschobener Unterlippe die Neuankömmlinge betrachtete.

„Was ist so besonders an diesen bastardi?“

Feliciano antwortete nicht und setzte sich auf seinen Platz. Sein Essen war noch warm, doch er konnte keinen Bissen anrühren.
 

Am Tisch wurde gegessen und gedämpfte Konversation gepflegt, bis Francis die Stimme hob.

„Ich habe zur Feier des Tages und zu Ehren unserer Gastgeber“, er lächelte besagten Gastgebern zu, „ein oder zwei Flaschen Wein mitgebracht. Und wenn ihr nichts dagegen habt...“

„Ich habe auch welchen dabei!“, sagte Antonio freudig und strahlte Roderich an. „Als kleine Aufmerksamkeit, wenn du uns schon durchfütterst!“

Roderich blinzelte ein wenig, als würde das seine Abendplanung durcheinander bringen. „Das ist wirklich nett von euch, aber das wäre doch nicht...“

„Du magst ein Kenner sein, was das Essen angeht, Roderich“, erwiderte Francis mit einem Augenzwinkern. „Aber beim Wein verlass dich ruhig auf die Profis.“

Missmutig starrte Roderich den Wein an, der auf dem Tisch stand, zusammen mit Bier, an dem sich Gilbert bereits bedient hatte.

„Hier!“, sagte Antonio zufrieden und stand auf, um Roderich seine Flasche persönlich zu überreichen. „Wir haben sie verpackt, Romano und ich, als Weihnachtsgeschenk... Romanito hat die Karte ge-“ Er warf einen kurzen Blick in das kleine Kärtchen, das an den Flaschenhals geknotet war, und wurde blass. „Aber Romano! Ich wusste nicht, dass du solche Wörter überhaupt kennst!“

„Danke“, erwiderte Roderich steif, nahm ihm die Flasche ab und hob die Stimme. „Mädel, komm her. Wir sollten Antonios Geschenk würdigen.“

Gehorsam eilte Feliciano nach vorn und nahm ihm die Flasche ab. Wein einzugießen war nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigung: Es war kompliziert, wenn man so klein war, dass man die Flasche kaum festhalten konnte, geschweige denn auf den Tisch sehen.

„Du machst das gut“, ermunterte Elizaveta ihn, als er ihr einschenkte. „Hups, nicht so viel. Danke, Chibitalia.“

Francis zwinkerte ihm zu. Antonio strahlte über das ganze Gesicht, wie es so seine Art war, und strich ihm liebevoll über den Kopf. Gilbert grinste nur.

Dann stand er vor Ludwig.

Zögernd starrte er den Jungen vor sich an, der seinen Blick ernst erwiderte. Seine blonden Haare waren zurück gekämmt. Sein Gesicht musste, als er klein war, rundlich und niedlich gewesen sein und wenn er erwachsen war, würde er wohl einen hübschen Mann abgeben. Aber nun befand er sich auf einer seltsamen Stufe dazwischen, auf der seine Augen zu groß und seine Wangen zu knochig waren.

„Soll ich mir selbst eingießen?“, fragte er und runzelte die Stirn, nachdem Feliciano ihn einige Sekunden lang stumm betrachtet hatte.

Erschrocken sah Feliciano an ihm vorbei Roderich an, der sich laut räusperte. „Ludwig, ich denke nicht, dass du in deinem Alter...“

„Ach was“, unterbrach Gilbert ihn gelassen und klopfte Feliciano auf die Schulter, was diesen zusammenzucken ließ. „West ist an mehr gewöhnt, als du denkst, Roderich. Vertrau mir.“

Roderich blieb hartnäckig. „Du weißt, dass Wein stärker ist als Bier? Und egal, woran du ihn gewöhnt hast, bei seiner Größe...“

„Ein Glas Wein wird ihn schon nicht umbringen!“, fauchte Gilbert ihn an. „Nun mach schon, Mädel, schenk ihm ein.“

Zögernd sah Feliciano erneut zu Roderich, der tief Luft holte und resigniert den Blick abwandte. Seine Hände zitterten ein wenig, als er Ludwigs Glas füllte. Er hatte das unbestimmte Gefühl, etwas zu tun, das für irgendjemanden böse enden würde.

„Das reicht schon.“

Umsichtig stellte Ludwig sein Glas auf dem Tisch ab und sah Feliciano noch einmal an. „Danke.“

Mit wild pochendem Herzen wollte Feliciano etwas erwidern, doch er brachte keinen Ton heraus. Hilflos drehte er sich um und floh wieder an seinen Platz.

Er hörte Gilberts amüsierte Stimme hinter sich. „Ganz schön schüchtern, die Kleine, hmm?“

Roderich ging nicht darauf ein, stand auf und hob sein Glas. „Ich möchte einen Toast ausbringen“, sagte er fest, und Gilbert sowie alle anderen Gespräche verstummten. „Einen Toast auf diesen Abend und unsere Tischgesellschaft. Auf dass wir, wie das Schicksal uns auch mitspielen mag, noch lange die Möglichkeit haben, uns in dieser Zahl zusammen zu finden. Prost.“

„Prost!“, erklang die Antwort, doch Feliciano glaubte, ein spöttisches „Amen“ heraus zu hören. Gläser klirrten aneinander.

„Sollen wir auch anstoßen, fratello?“, fragte Feliciano aufgeregt und griff nach seinem Glas, in dem Wasser hin und her schwappte.

„Nee, Bastard.“

Ungeachtet dessen hob Feliciano sein Glas und dachte kurz nach. „Auf dass wir alle glücklich und zufrieden bleiben und uns nicht erkälten. Und dass wir alle nett zueinander sind und uns nicht beschimpfen und nicht treten und...“ Schüchtern sah er zu Ludwig hinüber und wandte den Blick hastig wieder ab. „...und dass wir uns nicht vergessen. Amen. Äh, ich meinte Prost.“

„Prost!“, antwortete Antonio hilfsbereit und lächelte ihm zu.

Verlegen nippte Feliciano an seinem Wasser und vermied es, Ludwig anzusehen.
 

(Dass in meinen Texten so oft Alkohol vorkommt, macht mir Angst.)

Kultivierte Barbaren

3. Kultivierte Barbaren
 

„Dein Wein ist ausgezeichnet, Antonio“, gab Francis zu und lächelte versonnen, „aber meiner ist auch nicht schlecht, du wirst sehen.“

„Ich bin schon ganz gespannt“, erwiderte Antonio fröhlich. „Romanito, willst du auch einen Schluck abhaben?“

Romano hatte sich auf seinem Stuhl umgedreht, starrte finster die Wand an und brabbelte ein trotzig-monotones „ñoño, ñoño, ñoño“ vor sich hin.

„Diesmal werde ich einen Toast ausbringen“, verkündete Francis. „Ist jeder versorgt?“

Erneut machte Feliciano eine Runde um den Tisch, und erneut blieb er vor Ludwig stehen.

„Du hast dein Glas schon leer?“, fragte Roderich ehrlich schockiert.

„Klar, was denkst du denn?“, antwortete Gilbert an seiner Stelle. „Er ist nicht so ein Asket wie du.“

„Himmel, Wein kann man doch nicht trinken wie Wasser!“

„Hast du je in diesem Tempo Wasser getrunken, West?“

„Nein.“

„Da hörst du's.“

„Aber...“

„Ich möchte auch anstoßen“, erklärte Ludwig und sah ihn leicht verärgert an.

Roderich holte tief Luft. „Ich dulde nicht, dass so viele Toasts an meinem Tisch...“

„Roderich, bitte“, sagte Elizaveta leise. „Lass ihm die Freude. Ein halbes Glas...“

Bevor die beiden zu einem Schluss kamen, nahm Gilbert Feliciano die Flasche ab und füllte Ludwigs Glas. „Da. So einfach macht man das.“

Roderich schien kurz davor, ihm an die Kehle zu gehen, doch Elizaveta redete gedämpft und schnell auf ihn ein und er beherrschte sich.

„Also...“, sagte Francis, erhob sein Glas und sah zu, wie die Lichter in der roten Flüssigkeit schimmerten. „Ich trinke auf eine gute Ernte im nächsten Jahr, ganz besonders auf eine gute Weinernte...“, er warf einen Blick zu Ludwig hinüber und lächelte, „...und ich trinke auf die Weisheit des Alters und die selige Unwissenheit der Jugend.“

Ein allgemeines „Prost“ antwortete ihm.

Feliciano sah, wie Ludwig einen tiefen Schluck nahm, eine Weile lang ins Leere sah und dann schluckte. Er kannte den Wein von Bruder Francis wohl noch nicht, mutmaßte er. Man musste vorsichtig damit sein.
 

Obwohl es ein verhältnismäßig aufregender Abend war, mit all den selten gesehenen Gästen am Tisch, kehrte bald die Routine von Essen auf- und abtragen und Gläser füllen ein, an die Feliciano nach so vielen Jahren in Roderichs Haus schon gewöhnt war. Wenn er gerade nichts zu tun hatte, starrte er Ludwig an, bis Elizaveta ihm einen scharfen Blick zu warf oder Romano ihn gegen das Knie trat, an den Haaren zog oder ins Auge stach.

„Was ist so besonderes an diesem blöden Bastard?“, fragte er laut genug, dass man es bis zum Tisch hörte. Feliciano quietschte auf. „Sag so was doch nicht, fratello... sie könnten dich hören...“

Doch glücklicherweise war die Stimmung am Tisch (dank des Weins und des fortgeschrittenen Abends) bereits so angeheitert, dass niemand von dem ständig nörgelnden Romano Notiz nahm. Francis hatte Antonio gerade einen Witz erzählt, über den dieser herzlich lachen musste, und Elizaveta diskutierte quer über den Tisch hinweg irgendetwas mit Gilbert. Um genau zu sein, redete sie auf ihn ein, bis er grinsend irgendeine Bemerkung machte, die Feliciano nicht verstand, und Elizaveta verächtlich lachend ihr Haar zurück warf, was ein sicheres Zeichen dafür war, dass sie das Thema für erledigt hielt.

„Nun, Ludwig“, bemühte Roderich sich, den Jungen mit in das Gespräch einzubeziehen, der bisher schweigend neben ihm gesessen hatte. „Magst du Musik?“

Unschlüssig sah Ludwig ihn an. „Manchmal höre ich zu“, antwortete er dann. „Aber ich spiele kein Instrument.“

„Nicht?“ Roderich warf Gilbert einen Blick zu und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er dies für einen unhaltbaren Zustand hielt. „Würdest du es gern?“

„Eigentlich halte ich es für unnötig. Man kann ja doch nichts damit anfangen.“

„Hat Gilbert dir das gesagt?“

Ludwig sah ihn fragend an. „Ja.“

Roderich kniff die Lippen zusammen.

„Oh, ich bitte dich, Roderich! Nur weil du schon in der Wiege liegend Cello gespielt hast, kannst du das nicht für jeden voraussetzen.“ Gilberts Lachen zeigte, für wie sinnlos er die ganze Aufregung hielt. „Es ist ja nicht so, dass West sich gar nicht bilden würde.“

„Wie verbringst du denn deine Zeit, wenn ich fragen darf?“

„Gilbert bringt mir alles bei, was ich können muss“, erwiderte Ludwig und ein bisher unbekanntes Leuchten lag in seinen Augen. „Fechten, Reiten und so etwas. Auch Strategie.“

„Und du glaubst, das ist alles, was du wissen musst?“

„Erst einmal schon. Ich wachse in eine Welt des Krieges hinein. Da ist es wichtig, dass ich mich behaupten kann, obwohl ich noch jung bin.“

„Wer sagt das?“

„Gilbert.“

„Weil es stimmt, Roderich“, warf Gilbert genervt ein. „Dein Kreuzverhör geht mir langsam auf den Keks. Es stimmt, was West sagt. Die Welt ist nicht so Friede-Freude-Eierkuchen, wie sie für dich aussieht. Wenn du immer nur auf deinem seidenen Thron hockst und Musik machst, ist es ja kein Wunder, dass du den Blick für die Realität verlierst!“

„Ich verliere keineswegs den Blick für die Realität!“, zischte Roderich und rückte seine Brille zurecht.

„Nein, alles klar! Du hockst hier oben in deinen Bergen und lässt es dir gut gehen! Du hast doch keine Ahnung, wie es unten aussieht!“

„Ludwig wächst doch nur in eine Welt des Krieges hinein, wie er es ausdrückte, weil du ihn aufziehst, Gilbert! Weil er ständig in deiner Nähe ist und du jemand bist, der sich im Frieden nur allzu schnell langweilt! Du bringst ihm nicht nur bei, wie man Kriege führt, sondern vor allem, wie man sie verursacht!“

„Und was tust du? Schmierst jedem, der dir über den Weg läuft, Honig ums Maul, um ja deinen kostbaren Frieden zu bewahren! Du gehst sogar so weit, einen Drachen zu heiraten, nur um...“

„Jetzt gehst du zu weit, Gilbert!“, fuhr Elizaveta dazwischen. „Nicht vor den Kindern!“

Sie deutete auf Romano, der sich im Hintergrund zitternd hinter einem ebenfalls bebenden und heulenden Feliciano verschanzt hatte.

Gilbert warf ihnen einen kurzen Blick zu, dann schüttelte er den Kopf und grummelte. „Sei bloß froh, dass dies hier dein Haus ist, Roderich. Beim nächsten Mal lade ich dich ein, ohne Kinder, und dann werden wir mal ein Gespräch unter Männern führen.“

„Mit Vergnügen“, erwiderte Roderich mit blitzenden Augen. „Ich freue mich schon sehr darauf, dich...“

„Ich habe Goethe gelesen“, unterbrach Ludwig die beiden.

Einige Sekunden lang starrten alle ihn an, bis Elizaveta die Chance ergriff, das Thema zu wechseln. „Goethe? Das ist ungewöhnlich für einen Jungen in deinem Alter, Ludwig...“

Das Gespräch beruhigte sich wieder und wandte sich literarischen Themen zu, von denen Feliciano keine Ahnung hatte. Vorsichtig bugsierte er Romano wieder zu seinem Platz.

„Du brauchst keine Angst zu haben, fratello...“

„Ich hatte keine Angst“, fauchte Romano ihn an, errötete wie eine Tomate und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen.

Schweigend ging Feliciano zurück zu seinem Stuhl und setze sich, wobei er Ludwig keinen Moment lang aus den Augen ließ. Noch immer suchte er nach Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Jungen – dem, der verschwunden war, und dem, der plötzlich aufgetaucht war. Bücher zu lesen, die zu kompliziert für Feliciano gewesen wären... ja. Aber ansonsten?
 

„Dieser Nachttisch war vorzüglich, Roderich“, säuselte Francis und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab.

Roderich nickte beifällig. „Danke. Nun... sobald alle ausgetrunken haben, würde ich sagen, wir gehen in den Salon und lassen den Abend ausklingen.“

Er gab sein Bestes, um die vorherigen Uneinigkeiten zu überspielen.

„Oh! Kommt jetzt der gemütliche Teil?“, fragte Antonio erfreut und nippte an seinem Rest Wein.

„Nicht ganz“, erwiderte Elizaveta und lächelte. „Der musikalische.“

„Der musikalische ist der gemütliche Teil“, erwiderte Francis und lachte leise in sich hinein.

Feliciano war schon ein paar Mal zwischen Küche und Tisch hin und her gelaufen, um Teller und Besteck abzuräumen. Romano half ihm nicht und Antonio hatte es noch nicht bemerkt, weshalb Feliciano auf sich allein gestellt war. Er hatte gerade einen Stapel Löffel auf der Theke abgeladen und eilte zurück in das Esszimmer, wo er einen Satz von Gilbert auffing. Er sprach in dieser leicht spöttischen Art, die bei ihm Zuneigung ausdrückte, was Feliciano aber nicht wissen konnte.

„Na dann... trink aus, West, und komm mit.“

Als sei das ein Stichwort für Roderich gewesen, sah er Ludwig an und seine Augen verengten sich.

„Gilbert! Was hast du jetzt schon wieder gemacht?“

„Was? Wieso ich?“

„Das ist Bier!“

„Ja, na und? West trinkt zu Hause immer Bier!“

„Aber doch nicht auf den Wein! Du kannst ihn erst Bier und dann Wein trinken lassen, aber umgekehrt...“

„Ach, das ist doch alles Aberglaube“, winkte Gilbert überheblich ab.

„Das ist es keineswegs!“, erwiderte Roderich laut, während Ludwigs Blick unschlüssig zwischen ihnen hin und her wanderte. „Er hat heute Abend schon viel zu viel getrunken, in seinem Alter! Und ich dulde nicht, dass in meinem Haus...“

„Nun halt dich doch einfach mal da raus!“, brüllte Gilbert, stand auf und schlug mit beiden Händen auf den Tisch, sodass Feliciano zusammen zuckte und froh war, sich mit dem Abräumen beeilt zu haben. „Er ist mein Bruder, nicht deiner! Ich entscheide, was gut für ihn ist!“

„Du bringst ihn ins Grab, Gilbert! Hör auf meine Worte!“

„Ich habe es satt, dass du dich immer einmischen musst! Ich hätte ihn nie mitbringen sollen!“

Francis räusperte sich vernehmlich, während Antonio hinüber zu Romano lief, um ihn zu beschützen. „Bitte, meine Freunde... könntet ihr das nicht ein andermal...“

„Du bist unfähig, dich um Ludwig zu kümmern, Gilbert! Ganz und gar unfähig!“

„Ach, und du könntest es besser, wie?“, zischte Gilbert und griff nach dem Schwert an seiner Hüfte, das bisher niemandem aufgefallen war. „Wir können das hier und jetzt klären, wenn du willst!“

„SCHLUSS JETZT!“, schrie Elizaveta, ging dazwischen und umklammerte mit beiden Händen Gilberts Schwertgriff. „Ich habe dich eingeladen, Gilbert, damit ihr beide seht, dass ihr auch miteinander auskommt, ohne euch die Köpfe einzuschlagen! Ihr werdet euch gefälligst einmal, einmal an einem einzigen Abend im Jahr vertragen!“

Ihre Stimme klang schrill, aber entschlossen. Sie wartete nicht auf eine Reaktion, ließ Gilberts Schwert los, fuhr herum und verließ den Raum, wobei ihre Haare hinter ihr her wehten.

„Ich gehe schon einmal vor in den Salon! Wenn ihr aufgehört habt, euch wie Kleinkinder zu verhalten, dürft ihr nachkommen!“

Sprachlos standen Roderich und Gilbert da und sahen ihr nach.

Francis zog die Augenbrauen hoch, warf Roderich und Gilbert einen letzten Blick zu und zuckte die Schultern, als wolle er sagen: „Ihr habt es gehört.“ Dann drehte er sich um, um Elizaveta zu folgen.

Antonio richtete sich auf, Romanos Hand fest in seiner. „Wir werden auch gehen“, sagte er und versuchte, seine Unsicherheit mit einem Lachen zu überspielen. „Kommst du auch mit, Chibitalia?“

Feliciano stand da, schockiert von Elizavetas Ausbruch. Er kannte sie schon lange, aber so hatte er sie noch nie erlebt.

In die unbeholfene Stille hinein rutschte Ludwig von seinem Stuhl. „Ich bin fertig“, sagte er.

Gilbert löste sich aus seiner Starre. „Gut. Gehen wir dann?“

Er sah Roderich an, murmelte etwas Unverständliches und griff nach Ludwigs Schulter.

„Chibitalia“, sagte Roderich kühl. „Räum den Tisch ab und komm dann nach. Wir werden nicht lange auf dich warten, also beeile dich.“

Feliciano nickte hastig und kletterte auf einen Stuhl, um an den Tisch zu kommen. Während die anderen den Raum verließen, nahm er die letzten Gläser vom Tisch.

Eines davon war Ludwigs. Er hatte ausgetrunken.
 

(Ñoño – Spanisch für „langweilig, blöd“ oder auch als Beleidigung gemeint. Ausgesprochen „njonjo“. Verzeiht mir, aber ich finde die Vorstellung allerliebst, wie Romano auf seinem Stuhl schmollt und „njonjonjonjonjonjo!“ sagt. Yay für Multikulti-Hetalia!)

Krieg im Frieden

(Vorsicht, ein Volkslied bzw. Weihnachtslied. Vergebt mir, aber der Grundgedanke der Geschichte war dieses dumme Lied, und das will ich jetzt nicht rausstreichen.)
 

„Also, Ludwig“, seufzte Roderich und versuchte, nicht allzu resigniert zu wirken. Der Name klang bei ihm so viel weicher, als wenn Gilbert ihn aussprach. „Kennst du ein Lied? Ein Weihnachtslied vielleicht?“

Ludwig nickte nur.

„Glaub bloß nicht, ich hätte ihm gar nichts an Kultur beigebracht“, feixte Gilbert, den Elizavetas Standpauke offenbar nicht (zumindest nicht lange) beeindruckt hatte, und ließ sich auf das Sofa im hinteren Teil des Salons fallen. Francis nahm neben ihm Platz, während Antonio noch schnell Romano einschärfte, während des Singens keine unanständigen Geräusche zu erzeugen.

„Hervorragend“, sagte Roderich und ließ sich vor seinem Flügel nieder, während Elizaveta die Klappe öffnete. „Ich begleite dich.“

Erneut nickte Ludwig knapp und warf einen letzten Blick zu Gilbert hinüber, der die Schultern hochzog und grinste.

Roderich holte tief Luft und spreizte die langen Finger über den Tasten. „Was willst du singen?“

„Willst du nicht mit aufs Sofa, Chibitalia?“

Bevor Feliciano antworten konnte, zog Francis ihn auf seinen Schoß. Romano neben ihm auf Antonios Schoß versuchte, seinem Bruder gegen das Schienbein zu treten, ohne dass es auffiel. Vergeblich – er traf zwar, doch Antonio sah es und wies ihn empört zurecht, was Romano allerdings nicht beeinflusste.

Schniefend rutschte Feliciano wieder nach unten auf den Boden und wollte sich gerade ein hübsches Plätzchen in seiner Lieblingsecke suchen (er hockte oft hier, wenn Roderich spielte) – doch in eben diesem Moment drang Musik an seine Ohren und er fror in der Bewegung ein, um mit leicht geöffnetem Mund zu lauschen.

Ludwig sang mit sehr ernstem Gesicht. Seine Stimme war nicht ganz so kräftig, wie wenn er sprach, er schien sich ein wenig zu genieren. Erst zum Ende hin klang er überzeugter von sich selbst.
 

„Morgen kommt der Weihnachtsmann,

kommt mit seinen Gaben.

Trommel, Pfeifen und Gewehr,

Fahn' und Säbel und noch mehr,

ja, ein ganzes Kriegesheer

möcht' ich gerne haben.“
 

Das Lied war nicht so schwermütig wie die, die Elizaveta zu Weihnachten sang, und das gefiel Feliciano, ohne dass er sich bemühte, den Text zu verstehen.

Bei Ludwigs letztem Wort vergriff sich Roderich. Seine Finger verrutschten dorthin, wo er sie sicher nicht hatte haben wollen, und führten zu einem krummen Akkord, bei dem Feliciano das Gesicht verzog, als habe er Zahnschmerzen. Roderich verspielte sich nie.

Unter den Blicken aller Anwesenden (außer denen Romanos, der gerade versuchte, unbemerkt den Ziersäbel an Antonios Gürtel zu entwenden) stand Roderich auf, so hastig, dass er seinen Hocker nach hinten umstieß. Er hielt das Gesicht abgewandt, als er sich umdrehte und mit großen Schritten den Raum verließ.

Niemand rührte sich, bis auf Elizaveta, die ein entrüstetes Schnaufen von sich gab und Roderich folgte.

„Was war los?“, erkundigte sich Antonio und drückte Romano liebevoll an sich.

„Was weiß ich?“, erwiderte Gilbert und zuckte die Achseln. „Kauziger Aristokrat. Komm her, West.“

Ludwig warf einen ratlosen Blick auf die Tür, durch die Elizaveta und Roderich verschwunden waren, und ging dann hinüber zu Gilbert, der nach seiner Hand griff und ihn neben sich auf die Armlehne zog.

„Langsam, West“, sagte er amüsiert, als Ludwig einen Schritt von ihm entfernt taumelte und beinahe umknickte. „Was ist denn los mit dir?“

Verwirrt und unwillig schüttelte Ludwig den Kopf und reagierte nicht, als Gilbert ihm lachend durch die Haare fuhr.

Feliciano betrachtete Gilberts blasse Finger in den kurzen, blonden Haaren und Ludwigs Augen, die ins Leere starrten. Das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.

Niemand achtete auf ihn, als er sich abwandte und den Raum verließ.
 

Hinter der Tür am anderen Ende des Ganges war Elizavetas aufgeregte Stimme zu hören. „Lieber Himmel, du kannst doch nicht einfach so verschwinden, Roderich! Es sind deine Gäste!“

„Ganz genau, das sind sie!“, fauchte Roderich zurück. Feliciano, der an der Tür lauschte, zuckte zusammen. Er hatte seinen Arbeitgeber nie so außer Fassung erlebt.

„Sie sind meine Gäste, und so sollen sie sich gefälligst auch benehmen! Was Gilbert tut, ist doch wirklich...“

„Was hat er denn gerade eben getan? Nichts! Ludwig hat ein Weihnachtslied gesungen!“

„Aber was für eins! Hast du auch nur ein Wort verstanden, Elizaveta? Es ging um die Lust am Krieg führen, die man schon den Kindern beibringt!“

„Es ist ein Weihnachtslied, Roderich. In der Kultur der beiden...“

„In Gilberts Kultur!“

„...spielen Kinder nun einmal mit solchem Spielzeug. Aber wenn du Ludwig fragst, kann er dir sicher noch andere Lieder singen, die nicht so martialisch sind.“

„Das bezweifle ich“, erwiderte Roderich zähneknirschend. „Erzähl mir nicht, dass du es nicht merkst, Elizaveta. Gilbert erzieht Ludwig zu einem Krieger, das ist doch offensichtlich!“

„Natürlich tut er das“, erwiderte Elizaveta und versuchte, besänftigend zu klingen. „Was sonst hattest du erwartet? Gilbert ist ein Soldat durch und durch, und Ludwig ist sein Bruder...“

„Nicht nur das“, murmelte Roderich. „Ludwig ist auch mein Bruder. Ich weiß es, wenn ich ihn ansehe, Elizaveta. Ich spüre es.“

„Das mag ja sein“, erwiderte Elizaveta und ihr Ton bekam etwas drängendes. „Aber ich habe doch eben noch gesagt, dass ich Gilbert eingeladen habe, damit ihr lernt, miteinander auszukommen.“

„Du hättest mich wenigstens warnen können...“

„Dann hättest du ihm wieder abgesagt. Roderich... Gilbert ist einer meiner ältesten Freunde. Ja, ich sage bewusst Freunde, nicht Bekannte! Irgendwo hat er einen guten Kern, Roderich, glaub mir. Versprich mir, dass du jetzt zurück gehst und dir ein wenig Mühe gibst, diesen Kern zu finden. Mir zuliebe, Roderich.“

Roderich seufzte tief. „Also gut.“

Feliciano war schon bereit, sich zurück zu ziehen, damit er nicht erwischt wurde, doch dann sprach Roderich weiter.

„Dass er Ludwig überhaupt mitbringen musste... das hat er doch nur getan, um mir vorzuführen, wie sehr er ihn kontrollieren kann.“

„Wenn er ihn zu Hause gelassen hätte, hättest du ihm vorgeworfen, er wolle ihn von der zivilisierten Welt isolieren.“

„Es ist nicht nur mein Stolz, um den ich mir Sorgen mache, er könnte verletzt werden. Noch mehr ist es Chibitalia.“

Feliciano zuckte bei der Nennung seines Namens zusammen.

„Sie ist ein tapferes kleines Ding...“

„Sie ist noch kaum über die Trennung vom Heiligen Römischen Reich hinweg. Was glaubst du, was jetzt in ihr vorgeht? Ludwig sieht ihm so ähnlich...“

„Roderich“, sagte Elizaveta so leise, dass Feliciano das Ohr an die Tür presste, um ja alles zu hören. „Lass mich dir eine Frage stellen. Ist er es?

Ein unangenehmes Schweigen folgte dieser Frage, bis Roderich leise seufzte. „Ich weiß es wirklich nicht.“

Er klang, als würde er lügen.

Bevor Feliciano daran dachte, dass er jetzt besser gehen sollte, ging die Tür auf und Roderich stand vor ihm. Seine dunklen Augen weiteten sich erschrocken, als er den Jungen vor seinen Füßen sah, doch dann senkte er nur den Kopf und ging wortlos an ihm vorbei.
 

Francis versuchte soeben, die Marseillaise auf dem Flügel zu spielen, als Roderich den Raum betrat.

„Du kommst gerade richtig, Roderich“, bemerkte Gilbert und lachte auf. „Unser lieber Francis ist nämlich lange nicht so virtuos wie du.“

„Mach es doch besser, mein Freund“, gab Francis leicht pikiert zurück.

„Roderich, Roderich!“, rief Antonio und bemerkte nicht einmal, dass er Romano falsch herum hielt. „Spielst du mir Feliz Navidad?“

Mit einer Handbewegung verscheuchte Roderich Francis von seinem geliebten Instrument und nahm selbst davor Platz. „Mit Vergnügen“, antwortete er in einem nicht gerade vergnügten Ton.

Seine Gäste quittierten dies mit einigen hochgezogenen Augenbrauen, bis auf Antonio, der sich als Einziger keinerlei Gedanken über Roderichs kurze Abwesenheit zu machen schien. „Was ist, Romanito? Singst du mit?“

Romano fluchte nur und ruderte mit den Armen.

Ludwig saß sehr still auf dem Sofa neben Gilbert. Noch immer sahen seine Augen ins Leere, doch ab und zu bewegten sie sich, als würden sie einer Bewegung folgen, die nicht da war. Feliciano beobachtete ihn schüchtern hinter Elizavetas Röcken hervor, deren Schutz er aus Vorsicht nicht verließ. Die Atmosphäre schien sich entspannt zu haben, doch noch immer wusste er nicht, was er von alledem halten sollte. Von Gilberts und Roderichs Verhalten, und ganz besonders von dem Ludwigs.

Wenn er es wäre, würde er ihn erkennen, nicht wahr? Aber wenn er es nicht war, warum sah er ihm dann so ähnlich?

Es war wie ein Albtraum. Er war zurückgekommen, aber eben auch nicht. Nicht so, wie Feliciano es sich gedacht hatte.

Er wurde abgelenkt von Antonios Lied, seinem Temperament und dieser rauen, gezischten Sprache. Danach sang Francis, im Gegensatz dazu durch die Nase und zu einer verspielten, gewissermaßen glitzernden Melodie. Erst als Antonio gerade Romano nötigte, mit ihm Los peces en el rio zu singen, fiel Feliciano auf, dass Ludwig fehlte.

Er war gerade noch da gewesen, doch jetzt war sein Platz neben Gilbert leer. Erstaunlicherweise schien niemand seine Abwesenheit zu bemerken: Alle Augen waren auf Antonio und sein Ringen mit Romano gerichtet. Selbst Gilbert grinste nur geistesabwesend in sich hinein. Roderich war mit seinem Klavier beschäftigt.

Leise stahl Feliciano sich davon.
 

("Los peces en el rio" ist ein spanisches Weihnachtslied, wobei ich keine Ahnung habe, was "die Fische im Fluss" mit Weihnachten zu tun haben o.O")

Kranke Gesundheit

Kranke Gesundheit
 

Feliciano wusste nicht mehr, woher er gewusst hatte, wohin er gehen musste. Als er durch den dunklen Garten ging (die Dunkelheit machte ihm Angst, sodass er sich nicht einmal traute, laut zu singen), hörte er aus einiger Entfernung ein würgendes Geräusch. Hastig eilte er zwischen den dunklen Büschen umher, bis er Ludwig fand.

Unter einem dürren Strauch kniete er auf dem Boden, Knie und Hände verschmiert von feuchter Erde und das Kinn voll von Erbrochenem. Er würgte erneut und spuckte etwas ziemlich Dünnflüssiges zwischen seinen Armen hindurch auf den Boden.

Feliciano stand mit zitternden Knien da, bevor er es wagte, ein Wort zu sagen. „Ludwig?“

Der Junge fuhr zusammen und starrte ihn an. Erschrocken wich Feliciano vor seinen Augen zurück. Waren das die Augen, die sich verschämt zu Boden gerichtet hatten, wann immer sie miteinander sprachen?

Er riss sich zusammen. Im Moment gab es dringendere Fragen zu beantworten.

„W-was ist los mit dir? Bist du krank?“

Ludwig schüttelte den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken den Mund. „Nein, es... geht sicher gleich wieder...“

Hustend spuckte er erneut aus.

„Ich werde Herrn Ro...“ Feliciano schluckte hastig. „Ich w-werde Gilbert Bescheid sagen, damit er dir hilft, in Ordnung?“

„Nein!“ In Ludwigs Augen lag plötzlich Furcht. „N-nicht Gilbert. Gilbert darf nichts davon wissen. Sag es ihm nicht, ja?“

„Aber...“, stammelte Feliciano. Persönlich fand er diese Reaktion durchaus nachvollziehbar, aber es war doch seltsam, etwas Derartiges von Ludwig zu hören. „Ich dachte, ihr wärt... Brüder.“

„Eben.“ Ludwig klang müde, als er den Kopf wieder sinken ließ. „Er soll es nicht wissen... ich komme schon klar... ich will ihm keine Schande machen.“ Seine Augen verengten sich. „Ich werde ihm keine Schande machen...“

„Aber... du kannst doch nicht einfach so hier bleiben!“ Felicianos Stimme wurde schrill. „Du musst ins Bett und Tee trinken und...“

„Muss ich nicht!“, fauchte Ludwig ihn wütend an und wollte wohl noch etwas sagen, doch sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse und er erbrach sich erneut. Die Arme, auf denen er sich aufstützte, zitterten.

„Oh du meine Güte“, flüsterte Feliciano und trat von einem Bein aufs andere. „Oh du meine Güte... oh du... meine...“

Er tat das einzig vernünftige, was es seiner Meinung nach zu tun gab: Er kniete sich neben Ludwig auf den Boden und wischte sein Gesicht mit seiner Schürze ab.

„Da... es wird alles wieder gut, in Ordnung?“, sagte er und strich schüchtern über Ludwigs Rücken. „Es geht vorbei... ob Gilbert nun hier ist oder nicht...“

„Versprich mir“, flüsterte Ludwig kraftlos, „dass du's ihm nicht sagst.“

„Mache ich nicht.“

Ludwig schlang die Arme um Felicianos Hals und hielt sich an ihm fest. Feliciano spürte sein wild schlagendes Herz nah an seinem eigenen. Er wagte es nicht, sich zu rühren.

„Ich will dir nicht zu nahe treten, aber... ich g-glaube, ich falle sonst um...“

„Kein Problem“, erwiderte Feliciano mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam.
 

Nur Minuten später war ihr Verschwinden bemerkt worden.

„West! West, wo steckst du?!“

„Chibitalia! Ludwig! Wo seid ihr?“

Ludwigs Hände verkrampften sich hinter Felicianos Rücken. „Versteck mich“, flüsterte er und kniff die Augen zu. In der Dunkelheit erkannte man kaum, dass sein Gesicht vor Scham brannte. Doch Feliciano fiel nichts ein, was er hätte tun können, um ihn zu verstecken. Im nächsten Moment stolperte jemand über seinen Fuß und schlug der Länge nach hin.

„Ich habe sie!“, schrie Romano, indem er die Worte in eine längere Reihe von Flüchen einflocht.

„Chibitalia!“ Antonio tauchte über ihnen auf, seine Augen groß vor Sorge. „Wir haben euch gesucht... was ist denn...“

„West!“

Feliciano zuckte heftig zusammen, als Gilbert hinter ihm auftauchte und sich neben ihn hockte. Sein Blick war verständnislos, wütend. „West, wie konntest du einfach so abhauen? Dich einfach davon zu schleichen, ohne...“

„Himmel Herrgott Sakrament nochmal, Gilbert!“

Erst einmal hatte Feliciano diese Worte aus Roderichs Mund gehört, damals, als sein Pferd durchgegangen war und er sich das Bein gebrochen hatte. Vermutlich war es einer der schwärzesten Tage in Roderichs Leben gewesen.

„Siehst du nicht, was mit dem Jungen los ist! Heilige Maria Mutter Gottes, ich habe noch nie jemand so Unverantwortliches gesehen wie dich! Du bist eine Zumutung!“

Verwirrt starrte Gilbert ihn an, doch langsam bröckelte der Zorn auf seinem Gesicht und wich etwas anderem, das Feliciano nicht weniger Angst machte.

„West? Was... was ist mit dir?“

„Was soll schon mit ihm sein? Wenn du ihn eine Sekunde ansehen würdest, wüsstest du es auch!“ Roderich ließ sich neben Ludwig auf die Knie fallen, ohne Rücksicht auf seine feinen Kleider zu nehmen.

„Dass er gekotzt hat, war mir auch schon aufgefallen, Neunmalklug!“

„Der Bub hat zu viel Alkohol gehabt, Gilbert, das ist es! Und du hast ihn zum Trinken angestiftet!“

„Unsinn!“, fauchte Gilbert. „Ich entscheide, wie viel er verträgt! Er ist mein Bruder, das heißt, er verträgt eine ganze Menge!“

„Er ist ein KIND, Gilbert!“, schrie Roderich ihn an. „Du bringst ihn ins Grab mit deiner Art, und das werde ich nicht zulassen! Nur über meine Leiche!“

„Als ob du besser als ich wüsstest, wie man...“

„Hören Sie auf!“, schrie Feliciano schrill und mit Tränen in den Augen. „Sie streiten sich hier, während es Ludwig so schlecht geht! Streiten Sie sich doch lieber nachher!“

Wie auf Kommando würgte Ludwig erneut. Etwas Lauwarmes tropfte auf Felicianos Schulter.

„Oh mein Gott... West...“

In Gilberts Gesicht lag Bestürzung, als er die Hände nach Ludwig ausstreckte, der hastig den Kopf wegdrehte. Der Junge sah beschämt aus.

„Es tut mir... Leid... Gilbert...“

„Was soll das?“, fragte Roderich mit mühsam unterdrücktem Zorn. „Was soll das bedeuten, Gilbert? Ludwig hat sich für gar nichts zu rechtfertigen.“

„Ich habe auch nie behauptet, dass er das hätte!", erwiderte Gilbert wütend. „Er hat angefangen!“

Dieses eine Mal musste Feliciano Gilbert Recht geben.

„Wir müssen ihn hinein bringen“, ordnete Roderich an, „und ihn...“

„Ich kümmere mich darum.“

„Warum sollte ich zulassen, dass du dich um ihn kümmerst? Bisher hat das ja glänzend geklappt.“

Gilbert warf ihm einen giftigen Blick zu. „Warum sollte ich zulassen, dass irgendwer sonst sich um ihn kümmert?“

„Weil...“, begann Roderich, doch Feliciano zog an seinem Ärmel. „Bitte, Herr Roderich“, flehte er leise. „Bitte lassen Sie ihn einfach... Ludwig braucht jetzt jemanden... irgendjemanden... Hauptsache, es geht schnell.“

Roderich sah ihn lange an und man sah, wie schwer ihm die Entscheidung fiel. Doch letzten Endes schluckte er seinen Stolz – das war gut so, denn Gilbert hätte es garantiert nicht fertig gebracht.

„Also gut. Elizaveta wird dir dein Zimmer zeigen, Gilbert. Ich werde im Laufe des Abends mal nach ihm sehen.“

Jeder hatte eine bissige Antwort erwartet, einfach weil Gilbert immer das letzte Wort haben musste. Doch diesmal nickte er nur wortlos. In seinem Gesicht lag etwas, das so nah an Schuldbewusstsein grenzte, dass Antonio und Francis sich besorgte Blicke zuwarfen.

Ludwig bedeckte sein Gesicht mit den Händen, als Gilbert ihn hoch hob und ins Haus trug. Es war offensichtlich, dass er sich schämte.

Nachdem die beiden von Elizaveta angeführt verschwunden waren, herrschte eine Weile lang Stille, nur unterbrochen vom Ruf eines Käuzchens. Dann seufzte Roderich, richtete sich auf und sah prüfend zu Feliciano hinunter.

„Du bist ja völlig verdreckt, Chibitalia. Und das in Elizavetas guten Kleidern... geh dich sofort waschen und umziehen.“

„Ja, Herr Roderich.“

„Und danach kannst du gleich ins Bett gehen. Es ist schon spät.“

„Ja, Herr Roderich“, murmelte Feliciano und nickte Antonio und Francis zum Abschied zu, die ihn mitfühlend anlächelten. Romano streckte ihm die Zunge heraus.

Sobald Feliciano sie weit genug hinter sich gelassen hatte, brach er in Tränen aus.
 

„Nicht weinen, Feli“, versuchte Elizaveta ihn zu beruhigen, während sie mit hoch gekrempelten Ärmeln Wasser über seinen Kopf goss. „Ludwig kommt schon wieder in Ordnung.“

Feliciano antwortete nicht und planschte ein wenig in dem Badezuber herum. Das Wasser vermischte sich mit seinen Tränen.

„So, das hätten wir“, verkündete Elizaveta seufzend, hob ihn hoch und wickelte ihn hastig in ein Handtuch. „Zieh dich an und geh ins Bett, Chibitalia. Aber trockne dir die Haare ab, damit du dir nicht den Tod holst, verstanden?“

„Ja, große Schwester.“

Sie stand vor ihm, die Haare verschwitzt und zweckmäßig zurückgebunden. Ihre Kleider waren zerknittert und mit Wasser bespritzt.

„Jetzt siehst du gar nicht mehr wie eine Dame aus“, schniefte Feliciano und schnäuzte sich in einen Zipfel des Handtuchs. „Es tut mir...“

„Das ist doch nicht deine Schuld, Feli“, wies sie ihn forsch zurecht.

„Aber... ich habe auch meine Kleider... also eigentlich deine...“

„Was schmutzig ist, kann man waschen. Nun mach dir keine Vorwürfe, du hast nichts falsch gemacht. Im Gegenteil.“ Sie strich ihm durch die nassen Haare. „Wenn du Ludwig nicht gefunden hättest, wer weiß, wann wir es getan hätten. Vielleicht hätte er sich versteckt, dieser Dickkopf...“ Sie lachte kurz.

Feliciano sah sie mit großen Augen an. „Große Schwester? Sag mal... glaubst du, dass er es ist?“

Elizaveta erwiderte seinen Blick und senkte dann den Kopf. „Nein, Feli“, antwortete sie vorsichtig. „Ich glaube, dass der, auf den du wartest, für immer verschwunden ist. Ludwig mag eine Ähnlichkeit mit ihm haben, aber mehr auch nicht. Er ist eine völlig andere Person, Feli. Und wenn du versuchst, ihm so nah zu kommen wie ihm... lass es lieber bleiben. Er würde dich nur verletzen.“

„Warum? Weil Gilbert ihn verdirbt, wie Roderich gesagt hat?“

„Weil man von dem Jungen nicht verlangen kann, die Stelle eines anderen einzunehmen, der er nicht ist“, erwiderte Elizaveta fest. „Wir können ihn nicht einfach in eine Rolle zwingen, die uns gefällt.“

„Aber genau das tut Gilbert doch...“

Elizaveta sah ihn an und seufzte. „Sag das nicht in seiner Gegenwart. Weder in Gilberts noch in Ludwigs. Und jetzt geh ins Bett.“

„Aber ich muss dich noch so viel fragen, große Schwester! Und Ludwig auch! Ich muss noch so viele Sachen fragen!“

„Sch“, machte Elizaveta und strich ihm beruhigend über den Kopf. „Nicht jetzt, Chibitalia. Morgen, wenn du darüber geschlafen hast.“
 

(Nein, ich habe nicht die geringste Ahnung von Alkoholvergiftungen (toi toi toi). Ich rede mich einfach mal damit raus, dass Lutz kein Mensch ist und deshalb nicht zwangsweise wie einer reagieren muss...

Oh, und wenn ich genauer wüsste, wie österreicher Dialekt klingt, hätte ich Roderich so fluchen lasse, harharhar. Dann hätte Gilbert ihn zwar nicht mehr ernst nehmen können, aber... okay, vielleicht ist es besser so, wie es ist.)

Unvergessenes Vergessen

Unvergessenes Vergessen
 

Die Kälte drang von unten in sein Nachthemd hinein und ließ Feliciano frösteln. Langsam kletterte er die Treppen hinauf, die für längere Beine als die seinen gebaut waren. Er lebte lange genug in Roderichs Haus, um zu wissen, wo die Gästezimmer lagen.

Es fiel ihm nicht leicht, zu tun, was er nicht durfte (umso mehr, da Roderich gerade ohnehin gereizt war), doch diesmal konnte er einfach nicht ins Bett gehen. Nicht nach so einem Abend.

Schnaufend erreichte er den obersten Treppenabsatz und wandte sich nach rechts. An einer Seite des Ganges waren mehrere Türen zu sehen. Nur eine davon war geschlossen.

„Komm, West... so ist es gut. Nein, nicht da hin, nimm den Eimer. So.“

Feliciano hörte ein würgendes Geräusch und schloss die Augen. Er hatte gehofft, Ludwigs Magen hätte sich mittlerweile beruhigt.

„Na, na, na, so schlimm ist das doch nicht, West. Es geht vorbei, vertrau mir. Morgen bist du wieder ganz der Alte.“

Gilberts Stimme klang befehlend und fest, aber dennoch leiser als zuvor. In seinen Anweisungen klang eindeutig Sorge mit.

Das Ganze wirkte wie eine dieser Situationen, in denen man auf keinen Fall stören sollte, dachte Feliciano. Er überlegte fieberhaft, ob er nicht besser morgen nach Ludwig sehen sollte, oder ob das überhaupt nötig war. So wie Gilbert sich bisher benommen hatte, hatte er geglaubt, er könne sich nicht um Ludwig kümmern. Die plötzliche Fürsorge verwirrte ihn.

Bevor er zu einem Ergebnis kam, hörte er jemanden hinter sich, drehte sich um und starrte Roderich an, der am obersten Treppenabsatz stand.

Roderich runzelte nur kurz die Stirn, als er Feliciano sah, doch der Anblick schien ihn nicht zu überraschen. Als Feliciano hastig von der Tür zurück wich, trat er wortlos näher und klopfte an.

„Wer ist da?“, erklang Gilberts Stimme.

Fragend sah Roderich Feliciano an, doch der schüttelte heftig den Kopf. Eine plötzliche Panik hatte von ihm Besitz ergriffen. Er wollte nicht dort hinein.

„Ich bin es“, sagte Roderich laut, öffnete die Tür, trat ein und schloss sie hinter sich wieder. Mit klopfendem Herzen schlich Feliciano näher und drückte das Ohr daran.

„Na?“, hörte er Roderichs leise Stimme von drinnen. „Wie geht es ihm?“

„Schon etwas besser, glaube ich“, antwortete Gilbert. „Morgen wird er wieder in Ordnung sein.“

„Das beruhigt mich.“

Auf das Rascheln von Decken folgte eine kurze Stille, bevor Gilbert wieder sprach.

„Dieses Mädel, das ihn gefunden hat... Chibitalia heißt sie, richtig?“

„Was ist mit ihr?“, fragte Roderich und klang genauso überrascht, wie Feliciano es war.

„Kann es sein, dass sie ihn liebt?“

Feliciano spürte, wie er errötete.

„Nein“, antwortete Roderich fest. „Sie liebt nicht ihn. Sie verwechselt ihn mit jemand anderem.“

„Ja, ja, schon klar“, winkte Gilbert ab. „Aber sie ist verliebt.“

„Ja.“

Feliciano fühlte sich seltsam nackt, als er zuhörte, wie sie einfach so über etwas sprachen, was er niemals über die Lippen gebracht hätte.

„Ist das ein Problem für dich?“, hörte er Roderichs Stimme.

„An sich nicht. Das Problem liegt eigentlich eher bei West.“

„Bei Ludwig? Wieso das?“

„Ich will es selbst nicht wahrhaben, aber ich glaube, er ist verknallt.“

Im letzte Moment schaffte Feliciano es, ein Schluchzen zu unterdrücken. Vor Freude oder vor Trauer?

Da Roderich nichts erwiderte, sprach Gilbert weiter. Seine Stimme klang sehr ernst.

„Könnte ich mit der Kleinen reden?“

„Mit Chibitalia?“ Roderich zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde. „Sie schläft schon.“

„Umso besser. Wir reisen morgen vor Sonnenaufgang ab.“

Erneut trat ein kurzes Schweigen ein. „Warum?“, fragte Roderich dann und versuchte, nicht allzu ungläubig zu klingen. „Was, wenn Ludwig sich bis dahin noch nicht erholt hat? Es könnte sehr schlecht für ihn sein, wenn er...“

„Es ist nur zu seinem Besten“, erwiderte Gilbert kühl. „Er ist zu jung, um Mädchen im Kopf zu haben. Ich werde einen Mann aus ihm machen, dann sehen wir weiter. Er ist auch so schon oft genug abgelenkt von Büchern und sonstwelchen Nichtigkeiten, da kann ich es nicht gebrauchen, dass er sich auch noch verliebt...“

„Glaubst du, das ist der richtige Weg?“, murmelte Roderich. „Überleg doch mal, Gilbert... Ludwig und Chibitalia würden ein gutes Paar abgeben. Sie hat mehr Potential, als man meinen könnte... sie könnten sich zusammentun und...“

„Von mir aus können sie das tun, sobald Ludwig ein anständiger Mann ist, der weiß, wie man mit Frauen umgeht.“

„Und du glaubst, das könntest du ihm beibringen?“

„...sprach der Alte, der sich von seiner Ehefrau herumkommandieren lässt.“

Roderich schnaufte wütend, doch er beruhigte sich schnell wieder. Die Situation war ihm zu bedeutend, um zu schmollen.

„Ich sage dir eins, Gilbert: Bevor Ludwig es nicht geschafft hat, eine anständige Mahlzeit bei sich zu halten, lasse ich euch beide hier nicht weg.“

Gilbert lachte verächtlich. „Du schaffst es eh nicht, uns aufzuhalten.“

Langsam lehnte Feliciano die Stirn gegen die Tür und starrte ins Leere. Morgen würden sie weg sein, egal, was Roderich sagte. Er würde Ludwig nicht wieder sehen, bevor Gilbert das aus ihm gemacht hatte, was ihm vorschwebte... und er war überzeugt, dass das nicht der Ludwig war, den er gern hätte.

War er denn nun zurückgekommen oder nicht?, fragte er sich. Tränen stiegen ihm in die Augen, als ihm klar wurde, dass das gar keinen Unterschied machte. So oder so würde Ludwig nie wie er sein.

Aus dem Zimmer erklang eine schwache Stimme. „Roderich? Was...?“

„West, geht’s dir gut?“

„Ihr habt mich geweckt... ich kann nicht schlafen...“

„Wie fühlst du dich, Ludwig?“

„Ich... weiß nicht...“

Die Laken des Bettes raschelten, und hätte Feliciano zusehen können, hätte er gesehen, wie Roderich die Decke um Ludwigs Schultern wickelte und ihn entschieden an sich drückte. Ohne auf Gilberts schiefe Blicke zu achten, wiegte er sich und das Bündel in seinen Armen hin und her und begann leise, aber klar zu singen.
 

„Heitschi-bum-beitschi, schlaf lange

S'ist ja die Mutter ausgange

S'ist ja ausgange und kehrt nimmer heim

und lässt's arm Bübele ganz allein...“
 

Feliciano erkannte die Melodie wieder. Er erinnerte sich an den Abend, nachdem er sich von seiner ersten Liebe verabschiedet hatte. Wie lange er unter seiner Bettdecke geweint hatte, bis tief in die Nacht hinein. Irgendwann hatte Roderich sich wortlos an sein Bett gesetzt und zu singen begonnen.

Mit einem lauten Schluchzen fuhr er herum und rannte den Gang hinunter, sodass sein Nachthemd hinter ihm her flog. Es war vorbei, dachte er. Er war für immer verschwunden.

„Chibitalia?“

Es war Antonios besorgte Stimme, die aus einem Zimmer rechts von ihm drang. Romano behutsam hinter sich schiebend trat er auf den Flur hinaus und ging in die Hocke. Haltlos weinend warf Feliciano sich in seine geöffneten Arme.

Dios mío... was ist denn, Chibitalia?“, fragte Antonio mitleidig, hob ihn hoch und strich ihm über die Wange. „Komm her, pssst. Es wird alles gut.“

Feliciano schluchzte krampfhaft und schüttelte den Kopf. Antonio meinte es gut, doch er irrte sich. Es würde nie wieder alles gut werden.
 

(Das Lied wird eigentlich mit bayrischer Mundart gesungen, aber da ich höchstens Ruhrpott kann, weiß ich nicht, ob ich es richtig geschrieben habe. Stellt euch einfach vor, Roderich singt dieses Lied schöner als sein Maru Kaite, das reicht schon. Ich habe eine Schwäche für Kinderlieder, verdammt.

Das Kapitel kommt spät, da ich dank des isländischen Vulkans drei Tage länger als geplant in Rom festsaß. Bella Italia! Jetzt nur noch der Epilog, und die Fanfic ist beendet. Hui.)

Vergangenheit in der Zukunft

Vergangenheit in der Zukunft
 

„Doitsu... Doitsu? Doitsu, Doitsu, Doi-“

„Was?“, knurrte Ludwig und sah widerwillig von seinem Buch auf.

Feliciano erwiderte seinen scharfen Blick mit einem arglosen Lächeln. „Darf ich dich Doitsu nennen, Doitsu?“

„Du nennst mich doch schon seit Ewigkeiten so! Wieso fragst du gerade jetzt?“

Verwirrt legte Feliciano den Kopf schief. „Ich kann damit aufhören, falls es dich stört, Doitsu.“

„Es ist mir ziemlich egal, wie du mich nennst“, erwiderte Ludwig ungehalten. „Aber es wäre schön, wenn du mich einfach mal in Ruhe lassen würdest. Ich versuche, zu lesen.“

„Okay, Doitsu“, erwiderte Feliciano großzügig und baumelte mit den Beinen. Er saß neben Ludwig auf einer alten Holzbank und sah zu, wie die Sonne hinter den Bäumen langsam unterging.

Schweigend blätterte Ludwig eine Seite weiter, völlig in seine Lektüre vertieft. Nachdenklich beobachtete Feliciano, wie seine Augen über die Wörter huschten. Sie waren schmal und kalt geworden, als er aufwuchs, und allzu oft lag eine Härte darin, die Feliciano Angst machte und ihn glauben ließ, er habe seine erste Liebe für immer verloren.

„Doitsu?“

„Hmm?“

„Spielen wir Fußball?“

„Nicht jetzt“, erwiderte Ludwig schroff, ohne aufzublicken.

Er hatte keine Ahnung, wieso Feliciano ihn ständig störte. Jedes Mal, wenn er ihn ansprach und Ludwig zu ihm aufsah (oder zu ihm hinunter, je nachdem), hoffte er, Erkennen in seinem Blick zu sehen. Erstaunen. Doch so oft er es auch versuchte, nie sah Ludwig in ihm etwas anderes als seinen feigen, nutzlosen Verbündeten. Ein bisschen zu emotional. Ein bisschen verrückt.

Irgendwann musste Ludwig sich doch erinnern, dachte er. Irgendwann musste ihm wieder einfallen, wer der Mann vor ihm gewesen war, als er ein Kind war. Vor allem musste ihm wieder einfallen, wer er selbst gewesen war.

Doch es geschah nie.

„Doitsu?“

Ludwig grummelte etwas verärgertes, doch bevor er nachfragen konnte, was nun schon wieder los war, hatte Feliciano beide Arme um ihn geschlungen und drückte ihn an sich.

Er spürte, wie der kräftige Körper sich bei seiner Berührung verkrampfte. „W-was soll denn das?“

„Ich hab dich lieb, Doitsu“, erwiderte Feliciano wie selbstverständlich.

Unbeholfen schob Ludwig seine Arme beiseite. „Lass das bitte sein. Es ist mir unangenehm.“

Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. Zufrieden ließ Feliciano ihn los und klopfte sich im Geist auf die Schulter. Der Junge, den er geliebt hatte, mochte für immer verschwunden sein, mitsamt seinem Charakter, seiner Stimme und seinen Augen.

Doch das beschämte Erröten auf seinen Wangen, wann immer sie sich berührten, war noch da.
 

(Das wars. *zitter*

Danke für alle Reviews. Ich hätte nie gedacht, dass die Geschichte so gut ankommt (ja, für meine Verhältnisse war das hier sehr gut). Danke dafür. Es tut mir Leid, diese Fic jetzt zurück zu lassen. Ich werde sie vermissen ^^"

Vielleicht bis bald, liebe Leser.)



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Kommentare zu dieser Fanfic (18)
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Von: abgemeldet
2010-07-17T13:05:37+00:00 17.07.2010 15:05
So süß^^ Lovinos Verhalten ist zu goldig^^ passt richtig zu ihm
und Ludwig ist doch nun HRE, nicht?
Von:  Elestial
2010-05-07T22:55:03+00:00 08.05.2010 00:55
Ich bin ein NICHT! >.<
Ich hab tatsächlich eben erst festgestellt das der Epilog on ist TT TT Wie konnte ich das nur übersehn, scheiß Startseite...
Ahh, ich könnte mich selber schlagen >.< Wie blöd kann man sein?!



Ich will nicht, dass das FF endet *heul* Du schreibst so schön und hast auch meine Fantasie angeregt xD
Schnief, ich werde es so vermissen TT TT
Ich wette ich muss jetzt immer dran denken, wenn ich an meinem eigenen FF arbeite...

Das Ende ist schon traurig, aber ja leider Realität >.<
Aber das Feliciano Ludwig umarmt ist so süß^^ Go Feliciano, hol dir deine erste Liebe wieder^-^ Wir stehen alle hinter dir, naja ich zumindestens xD
Ich liebe dieses Pairing^^
Und ich hoffe ebenfalls wie Gokudera, dass du noch einmal ein FF mit den beiden machen wirst. Zwei Lesen hättest du dann ja schon xD

Bis zum nächsten Kommentar^^
lg Saandora
Von:  BlueBird_RX580
2010-05-02T15:36:28+00:00 02.05.2010 17:36
Ende.... ._.'
Aber immerhin ist der Epilog nicht so übelst mitreißend geworden wie vermutet XP *means traurig*
Und einen Abschluss kann man auch erkennen....
Uwaaaaaaaah~ Ich liebe diese FF >.<'

Hoffe natürlich ebenfalls das du noch mehr FF's von Ludwig X Feli schreibst :D

LG
Deblue~<3
Von:  xXGokuX
2010-05-01T16:54:12+00:00 01.05.2010 18:54
*schnief*
das war also das ende! T_T
ich werde diese ff richtig vermiessen!
*seufz*
und so gesehen hate feleciano doch noch einne kleinen sieg davon getragen
immerhinschafft er es immer wieder ludwig zum erröten zu bringen!^^
ich hoffe das du noch mehr ff mit dem pair Ludwig x Feleciano schreibst!
auf baldiges lesen,

Gokudera-chan
Von:  BlueBird_RX580
2010-04-21T22:15:59+00:00 22.04.2010 00:15
Kurz nd bündig: Man leidet mit Feliciano richtig mit! *schnüff* ;.;

Hoffe das letzte Chapter kommt bald, und wird doppelt so lang wie dieses hier, damit es spannender wird ;_; *auch wenn nicht will das die FF endet*

LG
BlueBird_RX580~<3
Von:  BlueBird_RX580
2010-04-21T22:15:32+00:00 22.04.2010 00:15
Kurz nd bündig: Man leidet mit Feliciano richtig mit! *schnüff* ;.;

Hoffe das letzte Chapter kommt bald, und wird doppelt so lang wie dieses hier, damit es spannender wird ;_; *auch wenn nicht will das die FF endet*

LG
BlueBird_RX580~<3
Von:  xXGokuX
2010-04-20T16:57:42+00:00 20.04.2010 18:57
Schnief!
Armer Feleciano!
er tut mir so richtig leid und Ludwig erst!
Aber ich hoffe das der kleine es noch schaffen wird, sich mit Ludwig zu unter halten
und so wie es für mich rüberkomt
ist der feli auch etwas in ludwig verknallt!
ich hoffe nur das die beiden ihr habbyend bekommen!
WAS schon fasst zuende!..........?
bitte nicht!
sie ist gerade so spannend und so!
wenn dann eine bitte äussern draf!
schreib eine fortsetzung!
dein schreistil ist einfach nur gut und man bekommt richtig das gefühl immer hautnah dabei zu sein!
auf jeden fall bin ich gespannt wie es enden wird!

lg.
Gokudera-chan
Von:  Elestial
2010-04-20T15:52:05+00:00 20.04.2010 17:52
Was heißt hier "Hui"??? Der FF soll nicht enden, nein nein nein TT TT

=====

Hmm ich weiß grad nicht, was ich schreiben soll... mir geht grad so viel zum FF durch den Kopf.
Armer Feliciano, mir tut er so leid *mit wein will* Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, es ist ja schon schmerzhaft das zu lesen, vorallem weil es so realistisch ist und man einfach nur mitfühlen kann^^
Gilbert ist fies >.< Und was hat er später aus Ludwig gemacht? Eine Jungfrau, die keine Ahnung von Frauen hat... *an Buon San Valentino erinner...* Ich finds toll, dass er aber mit Feliciano reden wollte, obwohl ich mir denken kann, dass er ihn nur noch mehr verletzt hätte^^'
Interessant ist auch, dass Gilbert und Roderich doch irgendwie mal wenigstens halbwegs miteinander klar kommen und das Gilbert zulässt, das Rocherich Ludwig in den Arm nimmt^^
Aber das Lied??? Ich würd davon als Kind Angst bekommen, ganz ehrlich xD Aber die Idee, dass Roderich den Kindern Lieder singt/gesungen hat ist toll^^
Von:  Elestial
2010-04-06T17:05:13+00:00 06.04.2010 19:05
Ludwig wäre ganz sicher gestorben, wenn Feliciano ihn nicht gefunden hätte >.<
Aber woher wusste Feliciano wo er suchen muss? Geheime Verbindung zwischen den beiden?? Ludwig = HRE??? xP

Ich find die Stelle toll, wo sich Ludwig Feliciano an den Hals schmeißt und dann meint, er würde sonst umfallen^^ Armer Feliciano... er ist so tapfer... *pat pat* Du darfst ruhig weinen *Feliciano auf den Arm nehm*
Warum macht das eigentlich Elizaveta nicht?
Aber es ist interessant, wie Felicciano sich durchsetzten kann^^ Ich wette Roderich hat nicht schlecht gestaunt, als Feliciano sich so einmischte xD
Und Gilbert kann schweigen O.o neue Erfahrung gemacht xDD

Bin trotzdem sehr gespannt wies wohl weiter geht^^
Von:  xXGokuX
2010-04-06T13:37:13+00:00 06.04.2010 15:37
Armer Ludwig!
Wenn ich mir vorstelle Feleciano hätte ihn nicht gefunden, wer weiß
was mit ihm noch passieret wäre!
Und man merkt auch sofort das gilbert ihn eigendlich nix schlimmes antun wollte
man merkt eben das er bis jetzt sich noch nie um ein kind geümmert hat!
obwohl man bei ludwig ja nich von einen "nomalen kind" sprechen kann
*seufz*
ich bin wirklich gespannt ob sich feleciano sich tran hällt und ludwig in ruhe lässt
hm...ich könnte richtig gut vorstelln das dieser nacht heimlich zu ihm ins zimmer geh um zu schauen wie es ihm geht! *kicher*
auf jeden fall bin ich gespannt wie es weiter gehen wird!^^

lg.
Gokudera-chan!


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