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All the Wrong Reasons

... are they the Right Decisions?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ab diesem Kapitel habe ich wieder eine Beta. Somit sollten alle Fehler restlos entfernt sein! Viel Spaß beim Lesen :) Komplett anzeigen

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Nur ein Augenblick

„Sie haben sich also doch für diesen Schritt entschieden?“, wandte sich der alte Mann an L, welcher neben dem Wagen ebenso auf Shaelyn wartete. Kurz besah der Detektiv prüfend seinen Vertrauten. „Ja. Es hat sich so ergeben.“ Watari wusste in diesem Moment, dass mehr als nur eine Absicht hinter den Handlungen des jungen Mannes steckte. „Dann bitte ich Sie um Vorsicht, L.“ Es war eine lange Zeit her, dass Watari den Namen des Schwarzhaarigen genannt hatte. Das blieb natürlich nicht unbemerkt. L wandte seinen Kopf zum alten Herren um, während er seinen Daumen an den Mund legte. „Seien Sie unbesorgt. Ihre Enkelin ist in guten Händen.“ L blickte auf den Boden vor sich. „Im Gegensatz zu mir.“, beendete er nachdenklich. Watari nickte wissend.

Als die Haustüre geöffnet wurde und Shaelyn mit einem Lächeln heraus trat, begrüßte Watari sie ebenso. Sie kam eilig heran. „Es kann losgehen.“, meinte sie freudig. „Gut.“, kommentierte der Detektiv allerdings nüchtern und setzte sich prompt in den Wagen, was sie mit gewissem Argwohn beobachtete. „Sag mal, Opa.“, meinte sie an jenen gerichtet. „Ja?“ „Der ist doch heute irgendwie komisch drauf, oder?“ Watari lächelte milde. „Habe viel Spaß. Und ich versichere dir, Ryuzaki wird ihn ebenfalls haben.“ Seine Enkelin betrachtete zunächst still seine Mimik, ehe sie nickte. „Ich glaube, ich verstehe was du sagen willst.“ Sie würde sich Mühe geben, dass er ebenso viel Spaß haben würde wie sie.
 

Je näher Shaelyn dem Ziel kam, desto mehr versuchte sie alle Eindrücke in sich aufzunehmen. Man erkannte von der hoch gelegenen Straße aus das große Gelände, das sie erwarten würde. Es war ein Freizeitpark und die Studios in einem, die jedoch getrennt wurden. In dem einen Teil wurden all die berühmten Filme und Serien gedreht, ebenso die besonderen Effekte programmiert. In dem anderen war ein typischer Freizeitpark gestaltet. Viel hatte Shaelyn nicht darüber gelesen, jedoch zählten die Universal Studios zu einem Muss, wenn man schon in der Gegend wohnte. Ebenso wie der Walk of Fame, den sie aber zu einem anderen Zeitpunkt besuchen würde. Eigentlich hatte sie gedacht, dass sie mit Rue dorthin gehen würde. Doch die Studios waren ein noch viel besseres Ziel. Obwohl sie sich mittlerweile fragte, ob der Walk of Fame nicht besser für ihn gewesen wäre. Sie konnte sich schlecht vorstellen, wie Rue so neben ihr saß – das in einer Wasserbahn, oder Achterbahn. Ob er überhaupt Spaß daran finden würde? Shaelyn hegte berechtigte Zweifel. Ohnehin, was das alles sollte. Ja, sie traute dem Ganzen noch nicht recht. Misstrauen war etwas, was Rue ihr unweigerlich beigebracht hatte.

Ein vorsichtiger Blick zu ihrem Sitznachbar blieb nicht unentdeckt. Direkt starrte Rue sie an. Für einen Moment sagte sie nichts. „Was ist es diesmal?“, fragte er sie als konnte er ihre Gedanken lesen – so wie immer. Besser sie sagte gleich was sie beschäftigte. „Ich weiß nicht recht... ich versteh nicht genau wieso du mich dahin einlädst.“ „Was spricht dagegen?“ Die Engländerin blinzelte kurz irritiert, ehe sie unsicher an ihrem roten Rock zu spielen begann. „Eigentlich alles. Ich habe nicht den Eindruck, dass es dir so gefallen könnte. Zumindest wie ich dich kenne...“ Es setzte eine Pause ein, in welcher er sie schlicht anblickte. Seine großen Augen wirkten leer. Offensichtlich dachte er nach. „Du hast Recht.“, gab er ruhig zu, woraufhin sie verblüfft ihre Augen weitete und ihr Herz tief sank. Rue setzte versunken fort. „Es ist nicht so, dass ich es absolut ablehne. Allerdings...“ Er legte seinen Daumen an den Mund. „ist es neu für mich.“ Shaelyn öffnete zögerlich ihren Mund: „Heißt das; was du nicht kennst, kannst du nicht beurteilen?“ „Exakt. Folglich wird es sich zeigen, ob ich im Nachhinein noch derselben Meinung bin.“ Er erklärte es entspannt. Allerdings war sein Blick seltsam. Shaelyn hatte ein eigenartiges Gefühl. „Okay... aber warum gehst du überhaupt den Schritt?“ „Ich sehe keinen Grund, der dagegen spricht.“ Eine Antwort, die sie nur halb zufrieden stelle. Im Gegenteil – es warf mehr Fragen auf. Warum tat er das jetzt? Ein Gedanke traf sie so hart, dass sie ihre Lippen einen Spalt öffnete. Vielleicht war das ein Schritt, der sie näher an Rue brachte. Vielleicht war er dabei sich ihr zu nähern. Nein, wahrscheinlich einfach nur ein Signal, dass er langsam zu etwas Mehr bereit war. Oder irrte sie sich hier gewaltig? Sollte es tatsächlich der Fall sein, dass er ihr gegenüber offener war, dann... . Rue legte seinen Kopf schief und beäugte sie wachsam. „Ja?“ Offenbar erwartete er Etwas von ihr. Eventuell deshalb, weil es so aussah, als könnte sie jeden Moment Etwas von sich geben. „Ich... Ich...“ „Ja? ... Ja?“, entgegnete er bei jedem ihrer Worte und sie begann plötzlich zu lachen. Verstört starrte Rue sie an, was sie jedoch noch mehr zum Lachen brachte. Ihre Anspannung fiel ebenso wie ihre Sorgen. Eigentlich war das Alles ein gutes Zeichen und sie machte sich Sorgen. „Was ist so witzig?“ „Nichts!“, versuchte sie sich zu beruhigen und strich sich Tränen aus den Augenwinkeln. Das verstand Rue selbstverständlich nicht, weshalb der Ausdruck auf seinem Gesicht blieb. „Zieh' nicht so ein Gesicht, Rue. Du musst nicht alles verstehen.“ „Offensichtlich.“, antwortete er trocken, das sie glucksen ließ. „Ich kauf dir später Zuckerwatte, dann bist du bestimmt wieder glücklich.“ An dieser Stelle zog er seine Lippen in eine Gerade und starrte sie durchdringend an. Augenblicklich wurde sie still. Das war ein eindeutiges Zeichen, dass es ihm missfiel. Sie war zu weit gegangen und hatte ihn verärgert. Das wollte sie sicherlich nicht. Als er erneut den Mund öffnete rutschte ihr sprichwörtlich das Herz in die Hose. „Kommt auf die Menge an.“, kam es dann von ihm und ihre Augenbrauen zogen sich in die Höhe. Er hatte es nur geschauspielert! Sie war ihm auf dem Leim gegangen. Er wollte sie wohl im Gegenzug dafür ein bisschen ärgern. Shaelyn schmunzelte. „So viel wie du willst.“ Natürlich traf dieser Satz auf seine Zustimmung, was sich an seinen schwach angezogenen Mundwinkeln erkennen ließ. Shaelyn schenkte ihm ein offenherziges Lächeln. Es war ein schönes Gefühl ihn so zu sehen. Vielleicht war sie ihm tatsächlich schon näher gekommen und war nur zu vorsichtig, um es richtig zu genießen.
 

Shaelyn klebte förmlich an der Autoscheibe, als sich die Straße weiter den Berghang entlang zog. Von dieser Position konnte sie jetzt bereits die Studios in der Ferne erkennen. Es war ein riesiger Komplex und die Vorfreude stieg dementsprechend sprunghaft an. Ob ein ganzer Tag für die Studios ausreichte? Wenn sie es so betrachtete, war sie sich nicht sicher. Damals war sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem Vergnügungspark gewesen, der jedoch bei weitem nicht so riesig war. Selbst dort war es mit der Zeit knapp geworden. Shaelyn stoppte in ihrer Überlegung. Eigentlich lag das nur daran, dass sie ewig für ein Fahrgeschäft angestanden hatten. Aber mit diesem VIP-Pass war es anders. Sie konnte so oft sie wollte ein Fahrgeschäft besuchen – ohne eine Warteschlange. Das war wirklicher Luxus.

Man erkannte gleich, dass VIP-Gäste anders behandelt wurden. Gesondert von all den normalen Gästen, stiegen sie an einem extra Eingang aus. Und Shaelyn musste feststellen, dass die Temperaturen während der Fahrt angestiegen waren. Von der Hitze, trotz Schatten spendenden Bäumen, getroffen, zog sie als aller erstes ihre Überjacke aus. Vielleicht sollte sie die Jacke besser im Wagen lassen. Die Entscheidung musste warten, da Watari zu ihr trat. Ein freundliches Lächeln lag auf seinen Lippen. „Du solltest die Jacke behalten, Shaelyn. Vielleicht wirst du sie noch brauchen.“ Das klang wie eine Warnung, weshalb sie verwundert blinzelte. Außerdem wusste ihr Großvater gleich worüber sie noch nachgedacht hatte. Waren ihre Gedanken für alle so offensichtlich? Shaelyn nickte ihrem Großvater zu und band sich kurzerhand die Überjacke um die Hüfte fest. Es konnte immer mal wieder etwas passieren und so schwer und lästig war die Jacke auch nicht. „Wir sollten gehen.“ Rue stellte sich kurzerhand dazu und wirkte konzentriert. Hatte sie etwas verpasst? Seine Stimmung schien jedenfalls verändert. „Dann wünsche ich einen angenehmen Tag.“, sprach Watari freundlich und stieg schließlich wieder in den Wagen, der kurz darauf davon fuhr. Für einen Moment sah sie dem Wagen nach, ehe sie realisierte, dass sie mit Rue alleine stand. Mit einem sachten Lächeln drehte sich die Schwarzhaarige zu ihm. „Wie sieht es mit dir aus? Ist dir nicht warm bei dem langen Shirt?“ Er sah sie daraufhin an, als verstehe er ihre Worte nicht. Shaelyn seufzte gelassen. Was hatte sie nur erwartet? Aber eine Sache interessierte sie noch bevor es los ging. „Wie lange hast du geplant heute hier zu sein?“ So viel Geld hatte sie nun doch wieder nicht mitgenommen, auch wenn ihre Spardose noch was hätte hergeben können. Solche Parks waren ausgesprochen teuer. Und bestimmt würde sie bei dem Wetter viel trinken wollen. Rue schien kurz nachzudenken. „Solange wie es nötig ist.“, meinte er dann und Shaelyn zog eine Augenbraue an. „Nötig?“ Rue reagierte. „Entschuldige. Das war unglücklich ausgedrückt. Ich meinte damit; solange es dir Spaß bereitet.“ Sie seufzte schwer. Rue konnte einem echt die Freude nehmen. „Weißt du eigentlich, dass du manchmal eine totale Spaßbremse bist?“ „Nein.“ „Dann weißt du es ja jetzt. Aber ich zeige dir heute mal, dass man Spaß haben kann.“ „Dann bin ich mal gespannt.“, kam es in einem, für sie, zweifelhaften Ton. „Höre ich da Ironie?“, fragte sie. „Vielleicht.“ Kurze Zeit war es still und sie blickte in seine starren Augen, die sie ebenfalls im Fokus hielten. „Du bist unmöglich.“

Nachdem dieses Thema besprochen war, ging Shaelyn mit Rue zum Eingang, an dem ein Mitarbeiter wartete. Jener kontrollierte die VIP-Pässe und zeigte ihnen den Weg durch das angrenzende Gebäude. Neugierig blickte Shaelyn sich um. Es war alles sauber und auch sehr gut gepflegt. Sie hatte nicht den Eindruck, dass sie durch ein viel besuchtes Gebäude ging. Als der Mitarbeiter eine größere Tür öffnete, fielen Shaelyn fast die Augen aus. Ein kleines Buffet war im Raum aufgestellt, auf dem so viele leckere Sachen standen, dass sie sich nicht sattsehen konnte. Ihr Brauch grummelte. Der junge Mitarbeiter lächelte. „Nehmen sie zunächst das Frühstück zu sich. Wenn sie fertig sind, folgen sie den Schildern. Dort erwartet sie um 12Uhr ihr Studiotour-Führer. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt.“ Der Mann ging und gerade als Shaelyn sich wieder umdrehte, stellte sie verblüfft fest, dass Rue neben ihr fehlte. Prompt blickte sie sich um und entdeckte ihn, natürlich, am Buffet. Er bediente sich großherzig am süßen Gebäck. Sofort trat Shaelyn zu ihm. Mit dem Blick auf dem tollen Essen gerichtet, öffnete sie ihren Mund. „Ich wusste gar nicht, dass wir ein Frühstück bekommen.“ „Alles im Preis inklusive.“ Shaelyn lächelte. „Das ist ja toll. Und es sieht echt fantastisch aus...“, schwärmte sie und nahm sich einen Teller, auf dem sie ein kleines Obsttörtchen stellte. Und auch sonst nahm sie sich eine Schale mit frischem Obst und setzte sich zu Rue an den runden Tisch, auf welchem jeweils ein Krug mit frischem Organgensaft und eine Kanne Kaffee stand. Rue prüfte, kaum hatte sie Platz genommen, ihre Ausbeute. Und wie sie es gewohnt war, stahl er mit seiner Gabel das Obst aus ihrer Schale. Wahrscheinlich müsste sie, wenn sie dann fertig mit ihrem Törtchen war, eine neue Schale holen. Im Laufe des Frühstücks kam noch ein Mitarbeiter und stellte einen Krug Wasser auf den Tisch. Shaelyn fühlte sich wirklich sehr gut behandelt. Allerdings war Rue absolut still – und es war eine seltsame Stille. Mittlerweile wusste sie ihn viel besser einzuschätzen.

Vorsichtig lugte sie immer mal zu Rue, welcher ungehindert weiter aß. Entweder er ignorierte sie, oder war vollkommen weggetreten. Immerhin musste er einfach ihre Blicke bemerken – so wie zuvor im Wagen. „Ich schaffe es schon viel besser mit dem Fahren...“, schnitt Shaelyn ein beliebiges Thema an und wartete auf seine Reaktion. Als er dann mit der Gabel erneut Obst stehlen wollte, hielt sie ihre Hand über die Schale. Endlich bekam sie seine Aufmerksamkeit. Seine dunklen Augen fixierten die ihre. „Hast du gehört was ich gesagt habe?“ Rue blinzelte einmal. Er wirkte tatsächlich überrascht. „Entschuldige. Könntest du es wiederholen?“ Shaelyn legte ihre Kopf leicht schief. Was war denn los mit ihm? Und so höflich? Er war sonst so aufmerksam. Und offensichtlich störte es ihn nicht, dass sie es bemerkte. Nein. Er bemühte sich nicht es zu verstecken – so wie er es sonst tat. Was bedeutete das? „Was ist denn los? Du hast doch sonst so viele Augen und Ohren, dass du einfach alles merkst.“

L musste sich konzentrieren. Es gab viele Dinge, die er bedenken musste. Unter anderem die Dinge, die er nicht einplanen konnte. Shaelyn war ein unberechenbarer Faktor. Als er schließlich keine Antwort auf ihre Frage gab, seufzte sie und nahm ihre Hand von der Schale. Die Chance nutzte er und schob sich einige kleine Obststücke in den Mund. „Okay, du willst mal wieder nichts sagen.“ L erkannte Enttäuschung in ihrem Gesicht. Offenkundig war ihre Vorfreude auf diesen Tag gehemmt. Er schluckte den Obstbrei hinunter und blickte sie direkt an. „Ich habe mir Gedanken zu den Aktivitäten hier gemacht.“, meinte L, mit der Gabel am Mund haltend, gelassen. Und dabei log er nicht einmal. Shaelyn nahm seine Aussage mit einem überraschten Gesicht auf. „Und... was ist dabei heraus gekommen?“ „Ich richte mich ganz nach dir.“, begann er, legte die Gabel beiseite und hievte sich vom Stuhl. „Aber zunächst werden wir die Tour antreten.“ „Ja, okay. Aber warum stehst du jetzt auf?“ „Ich gehe noch kurz auf die Toilette.“ Shaelyn nickte ihm zu und sah ihm nach. Kaum hatte er den Raum verlassen, steckte er seine Hände in seine Hosentasche.

Shaelyn nutzte die Zeit und holte sich eine neue Schale mit Obst, da Rue ihre vollkommen verputzt hatte – ganz wie gewohnt.
 

Nachdem Rue zurückgekehrt war und sich neben sie stellte, hatte sie fertig gegessen und trank vom Orangensaft in ihrem Glas. Sie sah zu ihm auf. „Wir sollten uns auf den Weg machen.“, verließ es seinen Mund und abermals nickte sie nur. Es war Zeit für die Tour.

Voller Vorfreude wartete Shaelyn mit noch weiteren wenigen Personen auf den Beginn. Die Gruppe war überschaubar klein. Darunter waren sogar Personen, die ganz offensichtlich aus China kamen. Die Sprache war für Shaelyn einfach nicht zu überhören. Ob sie überhaupt Englisch sprachen und somit den Tourführer verstehen würden? Es kamen wohl Menschen aus allen Ecken der Welt und besuchten diesen einen Park. Überhaupt. Wenn sie all die Menschen genauer betrachtete, sah keiner so aus, als käme er aus der Umgebung. Die Vermutung bestätigte sich, als sich ein Paar in einer anderen Sprache unterhielt, die sie nicht einmal kannte. „Du, Rue...“, flüsterte Shaelyn in seine Richtung und gleich neigte er seinen Kopf etwas näher zu ihr. Sein wirres Haar kitzelte sie leicht am Ohr. „Kann es sein, dass wir die einzigen aus der näheren Umgebung sind?“ Und damit meinte sie fast ganz Amerika. Zumindest Menschen, die englisch sprachen. Shaelyn neigte ihren Kopf ebenfalls zu Rue und traf prompt auf seinen Blick. Er war ihr wirklich sehr nah gekommen. Kurz tat ihr Herz einen Hüpfer. Ihr Puls beruhigte sich ab diesem Punkt kaum noch. „Ja.“ „Weißt du, was die zwei da gesprochen haben?“, versuchte sie ruhig zu fragen. Es waren nur ein paar Zentimeter die sie von seinem Gesicht trennten. „Portugiesisch.“, antwortete er neutral und Shaelyn staunte. Nicht nur, dass sie die Sprache nie gehört hatte, sondern Rue sie auch noch erkannte. „Meinst du, sie verstehen überhaupt was der Tourführer sagen wird?“, fragte sie neugierig. „Ist das relevant?“, stellte er die Gegenfrage, woraufhin sie stutzte. Eigentlich hatte er recht. Zwar waren Erklärungen hilfreich und schön anzuhören, aber es zählte schließlich was sie sahen. Es war Hollywood. Aber jetzt brannte ihr eine weitere Frage auf der Zunge. „Was für Sprachen kannst du eigentlich von den acht?“ Ab diesem Zeitpunkt nahm Rue wieder Abstand ein und Shaelyn blickte ihn verwirrt an. Hatte sie ihn mit der Frage verschreckt? Seine Nähe war so angenehm gewesen. Sie versuchte es sich nicht ansehen zu lassen, dass sie enttäuscht darüber war. Jedoch wollte sie schon lange wissen, was er für Sprachen konnte. Damals, als er ihr erzählte, er konnte acht Sprachen fließend, war die Neugierde da. Jetzt war der gute Zeitpunkt gewesen genauer nachzufragen.

L dachte für einen Moment nach. Im Grunde sprach nichts dagegen, dass er es ihr verriet. „Französisch, Spanisch, Deutsch, Japanisch, Russisch, Mandarin-Chinesisch, Hindi und Englisch. Arabisch und Portugiesisch noch nicht fehlerfrei.“ Als er ihr wieder ins Gesicht sah, weitete er selbst etwas die Augen. Er hatte sie tief beeindruckt. Bisher war es ihm nicht so stark aufgefallen, dass das eine beeindruckende Leistung war. Es war sein Alltag. Es war auch zu keinem Zeitpunkt ein Thema gewesen. „Wahnsinn... I-Ich meine unglaublich.“ Shaelyn lächelte ihm verschämt entgegen. „Und ich quäle mich schon mit einer zweiten Sprache...“ L wandte seinen Blick gen Boden. „Jeder hat seine Stärken und Schwächen.“, verließ ruhig seinen Mund. Er erhielt eine Antwort, die ihn erneut zu Shaelyn blicken ließ. Sie lachte leise. „Bisher wüsste ich nicht, was ich besonders gut könnte.“ „Bist du dir sicher?“ Eine Frage, die sie nachdenklich werden ließ. „Eigentlich schon.“ Ihre Stimme wankte. „Du hast ein außergewöhnliches Talent.“, offenbarte er ihr und sie zog ihre Augenbrauen skeptisch zusammen. Redete er wirklich von ihr? „Und das ist?“, wollte sie neugierig wissen. Ein schwaches Grinsen zierte seinen Mund. „Ich wüsste niemanden, der bessere Marzipanschweine macht als dich.“

Stille. Shaelyn betrachtete nur ruhig das Gesicht von Rue, welcher ihr weiterhin ins Gesicht grinste. War das jetzt ein ernstgemeintes Kompliment oder wollte er sie ärgern? Oder beides? Sie wusste es nicht einzuordnen. „Meinst du das ernst?“, fragte sie sichtlich verwirrt. Besser sie zog keine voreiligen Schlüsse – schließlich wusste man bei ihm nie genau. Sein Grinsen verschwand. Es ruhte nur noch sein durchdringender Blick auf sie, der sie natürlich nervös machte. „Ja.“, antwortete er ohne eine weitere Mine zu verziehen. Ab da konnte sie sich sicher sein. Er hatte es ernst gemeint, weshalb ihr Atem für eine Sekunde aussetzte. Warum genau, das wusste sie nicht einmal. Es fehlte ihr schlicht die Luft zum Atmen. Vielleicht, weil sie seine Aussage wirklich als ein Kompliment auffassen konnte? Ein Kompliment von Rue... das klang seltsam schön. Rue blickte sie weiterhin mit seinen großen Augen an. Geradeso als erwartete er noch etwas von ihr. Und damit hatte er Recht. „Heißt das... du hast mir ein Kompliment gemacht?“ „Durchaus möglich.“, drückte er sich vage aus, während er seinen Zeigefinger an seinen Mundwinkel legte. Ein Lächeln lag angedeutet auf seinen Lippen, das ihrem Herzen einen heftigen Schubs gab. Ja, er hatte ihr ein Kompliment gemacht.

Wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte sie mit einem Kuss das ausgedrückt was sie tief in ihrem Herzen für ihn fühlte.

Ehe sie etwas Weiteres dazu sagen oder tun konnte, trat der Tourführer zu ihnen. Er begrüßte die Gruppe freundlich und wies sie an ihm zu folgen. Doch bevor sie folgte, warf sie Rue noch einmal einen sanften Blick zu – was er aufmerksam beobachtete.
 

Wie sich herausstellte, konnte der Tourführer viel erzählen und das tat er außerordentlich gern. Dabei waren sie erst auf dem Weg zum Tourbus. Shaelyn bereute schnell, dass sie keine Kamera hatte. All die Erinnerungen, die sie nun erlebte, hätten sich schön in einem Album gemacht. Sie sollte sich bald eine Kamera kaufen.

Als es dann in den Tourbus ging, setzte sie sich schnell in eine hintere Reihe. Rue nahm neben ihr in gewohnter Haltung Platz und fischte lieber ein paar Süßigkeiten aus seinen Taschen, als dass er dem Tourführer Aufmerksamkeit schenkte. Interessiert sah sie dabei zu, wie er einen Lutscher aus der Verpackung holte – den er ihr wenig später plötzlich unter die Nase hielt. Seine ausdrucksvollen Augen sahen sie an, als hätte er genau gewusst, dass sie auch einen haben wollte. Shaelyn lächelte. Er wollte seine Süßigkeiten mit ihr teilen. Wie sollte sie jemals Nein sagen, wenn er sie so anblickte? Selbst wenn sie nichts gewollt hätte, würde sie sein zuvorkommendes Geschenk annehmen.

Ohne wirklich darüber nachzudenken, nahm sie die süße Kugel sachte zwischen ihre Lippen und zog so vorsichtig den Stiel aus seinen Fingern. Prompt bemerkte sie, wie seine wachen Augen auf ihre Lippen starrten, woraufhin es heftig in ihrer Brust zu klopfen begann. Warum blickte er so auf ihre Lippen? Hatte sie etwas so Seltsames getan? Erst Sekunden später sah er ihr wieder in die Augen – und sie hätte für den Anblick sterben können. Eine Gänsehaut breitete sich über den gesamten Körper aus. Ein bisher nie gesehener intensiver Augenausdruck, der allerdings so schnell endete, wie es gekommen war und ihr leider keine Zeit gab es weiter einzuordnen. Was war das eben gewesen? Er blickte wieder auf seine andere Handfläche, auf welcher die Süßigkeiten lagen. Und sie musste sich benommen an ihre linke Brustseite fassen.

Aufgeregt ging Shaelyn nur eines durch den Kopf: Warum?
 

Nervös von seiner Tat, konnte sie nur halbherzig den Worten vom Tourführer folgen. War das nicht genug: Viel mehr huschte ihr Blick immer mal wieder zu ihrer rechten Seite. Man saß schließlich auf Sitzen in einem kleinen Bus. Da berührte sie bei der Bewegung des Busses öfter seinen Arm oder Schulter. Es machte sie völlig verrückt! Unruhig spielte sie am Verschluss ihrer Überjacke. Denn längst war der Lutscher aufgegessen. Sprichwörtlich. Sie hatte ihn mehr kaputt gebissen, als geschleckt. Sie konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Wieso war sie nur so aus dem Häuschen, obwohl er sie nur ab und an zufällig berührte? Nein. Sie musste immer wieder an diesen einen Blick denken. Shaelyn hielt sich verlegen mit der rechten Hand über den Mund und blickte aus dem großen Fenster. All die Kulissen zogen nur wie im Nebel vorbei. Sie konnte nur an Rue denken. Dabei war nicht einmal etwas Wirkliches passiert.

L sagte nichts. Er spürte deutlich ihre Aufregung und das verursachte selbst bei ihm etwas Unruhe. Gedankenverloren strich er sich mit dem Daumen über seine Unterlippe. Für einen Moment waren seine Gedanken an ihren weichen Lippen hängen geblieben, welche er schon so oft mit den seinen berührt hatte. Der letzte Kuss lag lange zurück. Und obwohl es nur ein simpler Akt, ein Kuss, war, misste er es. Ja, es war ein starkes Bedürfnis geworden. Es war ein Eingeständnis, das ihn schwach fühlen ließ. Übertroffen von den Empfindungen und Gedanken, die sich wie selbstverständlich eingespielt hatten. Doch das wirklich Unglückliche war, dass Shaelyn seinen Blick bemerkt hatte. Langsam entglitt ihm zweifelsohne die Kontrolle. Er konnte sich nicht mehr Etwas vormachen. Ihre Nähe begann massiven Einfluss zu nehmen.
 

Die Besichtigung nahm ihren Anfang. Der Tourführer bat alle Teilnehmer darum auszusteigen und das tat Shaelyn mit Rue. Sie waren an einem Gebäude angekommen, das offenbar gerade nicht benutzt wurde. Wenn sie nach rechts und links sah, waren die Studios wohl gerade in Benutzung. So erklärte es auch der Gruppenleiter. Sie waren an einem Set, das eine der derzeit vielen Fernsehserien in den USA war, jedoch bald umgestaltet wurde, weil der Platz anders genutzt werden würde. Somit war deshalb eine kleine Drehpause entstanden und zugänglich für die VIP-Besucher. Da Shaelyn allerdings kaum Serien sah, war ihr das alles unbekannt. Dementsprechend verhielt sich sich ruhig und blickte sich still um, dabei fiel ihr Rue an ihrer Seite auf. Er war aufmerksam, bemerkte daher keine Sekunden später, dass sie ihn ansah. Es war reiner Blickkontakt. Kein Wort wurde gewechselt. Auch dann nicht als der Leiter sie in das Gebäude bat. Es machte sie unruhig. Warum war er so aufmerksam? War Rue an dieser Serie interessiert? Das konnte sie sich kaum vorstellen. Wenn er Fernsehen sah, dann waren es Nachrichten. Oder hatte sie etwas verpasst? Denn auch als sie einen Film in seiner Gegenwart sah, interessierte es ihn nicht. Es wäre auf jeden Fall sehr seltsam. Als der Tourführer schließlich im Inneren zum Stehen kam, waren sie mitten in einem sehr echt wirkenden Wohnzimmer. Doch nachdem Shaelyn hoch blickte, konnte sie so viele Lichter und andere Dinge gar nicht zählen, die alle an der Decke hingen. Natürlich konnte man sich all das denken, aber es so zu sehen war bizarr. Wie eine völlig andere Welt. Es war hier sicher nicht so leicht vor der Kamera zu stehen. Vor allem den Text zu behalten und dann so viel Emotion hinein bringen, dass es echt wirkte. So genau dachte man schließlich nie über solche Dinge nach, wenn man einen Film sah. Während sie weiter die Szene studierte und der Tourführer sie in die nächste Kulisse führen wollte, wurde sie plötzlich am Handgelenk festgehalten. Shaelyn drehte sich prompt um und blickte verwundert in das Gesicht von Rue. Er hielt sich den Zeigefinger vor dem Mund, was deutlich machte, dass sie still sein sollte. Was hatte er vor? Auf jeden Fall hatte er nicht vor dem Gruppenleiter zu folgen, der bereits mit den anderen VIP-Gästen die nächste Kulisse besichtigte. Es war nicht erlaubt ohne Beaufsichtigung hier herum zu laufen. Was also wollte er stattdessen tun? Sie waren jetzt auf sich gestellt. Aufregung machte sich breit.

L ließ das Handgelenk von Shaelyn los und begab sich leise vom Set. Und sie war ihm dicht auf dem Fersen, was er besonders spürte, als er an einer Ecke stehen blieb und die Lage überprüfte. Sie fasste ihm hinten ans Shirt, das ein Zeichen ihrer Unsicherheit war. Es war derselbe Vorgang, den er schon oft erlebt hatte als sie blind war. Allerdings war ihm keine andere Möglichkeit geblieben als sie mit sich zu nehmen. Wenn er sich ohne sie entfernt hätte, wäre sie ihm unachtsam nachgelaufen. So konnte er ihre Schritte kontrollieren, wie auch den Rest um ihn herum.

Nachdem es still blieb und niemand auszumachen war, bog er rasch um die Ecke und benutzte einen engen Seitengang, der zwischen den einzelnen Kulissen entstanden war. Viele Kabel lagen auf dem Boden und einzelne Balken ragten aus den Wänden. Langsam und mit Acht bahnte er sich den Weg, der mit jedem Schritt dunkler wurde. Bald war die gewünschte Stelle erreicht. Je finsterer es wurde, desto mehr bemerkte L wie Shaelyn Probleme hatte nicht zu stolpern. Sie musste den Kontrast nicht sehr gut erkennen können. Somit hielt er für einen Moment an und wandte sich in der engen Gasse um. Ihr Gesicht zeichnete Angst aus. „I-Ich sehe kaum was...“, flüsterte sie schwach und bestätigte damit seine Annahme. Der Feinschliff der Sehkraft dauerte einen langen Prozess und sie befand sich mitten darin. Er musste kurz überlegen. Hier konnte L sie nicht stehen lassen, oder sie zurück schicken. Ihm blieb keine Wahl, weshalb er seinen Arm hob und sie an der Hand nahm. Unerwartet spürte er ein schwaches Drücken an seiner Hand, was ihn verwunderte. Ihr Ausdruck veränderte sich. Sie lächelte mild. „Ich vertraue dir, Rue.“ L vergaß für einen Moment was er gedacht hatte.

Shaelyn wusste nicht wohin es ging und vor allem warum, aber Rue war bei ihr. Und er nahm sie bei der Hand. Warum sollte sie dann weiter Angst haben? Es gab keinen Grund mehr welche zu haben. Und es geschah etwas Seltsames – er drückte im Gegenzug einmal kurz ihre Hand. War das ein Zeichen dafür, dass sie keine Angst haben musste, weil er bei ihr war? Es war schwierig genau zu sagen, weshalb er es tat, aber es fühlte sich gut an. Ihr Herz war leichter und doch erfüllter.

Rue drehte sich wieder achtsam um und setzte seinen Weg zusammen mit ihr fort. Und er ließ nicht einmal ihre Hand los.
 

So schien Rue auch am Ziel angekommen zu sein, da er plötzlich stoppte. Für Shaelyn war es die komplette Schwärze in der sie sich befand. Und ganz im Gegensatz zu ihr, sah Rue wohl noch genug. Ansonsten konnte sie sich nicht vorstellen, dass er unbeschadet voran gehen konnte. Schließlich spürte sie an der Hand, dass er sich bewegte. Offenbar suchte er etwas mit seiner linken Hand ab. Plötzlich drang ein schwacher Lichtstrahl aus der Wand neben ihr und Rue ließ von ihr ab. Dann waren leise Stimmen zu hören. Verwundert horchte Shaelyn hin und konnte sehen, wie Rue durch das kleine Loch spähte. Irgendwas ging auf der anderen Seite vor sich. Ob dort gerade gedreht wurde? Oder waren sie gar nicht mehr in dem Teil, in dem gedreht wurde? Nein, sie mussten immer noch in derselben Halle sein. Und dort, so hatte es der Tourführer gesagt, waren gerade keine Drehaufnahmen. Alles was Shaelyn ausmachen konnte waren Stimmen, die nicht klar genug waren. Es war aufregend, auch wenn man nicht wirklich diese Männer belauschen konnte. Sie hatte dennoch das Gefühl etwas Verbotenes zu tun! Nein. Sie taten mit Sicherheit etwas Verbotenes. Immerhin war es nicht erlaubt auf eigene Faust sich umzusehen. Aber viel mehr stellte sie sich die Frage, wie Rue das hier wissen konnte. Er hatte das alles bisher ganz gezielt gemacht. Vielleicht lag sie doch falsch. Rue hatte doch so etwas wie eine Lieblingssendung oder sogar Schauspieler und wollte spionieren gehen. Das hörte sich immer noch total verrückt an. Aber ihr fiel nicht ein einziger vernünftiger Grund ein, wieso er das hier tun könnte. Schließlich waren sie in den Studios. Was könnte man hier anderes wollen? Also war seine Einladung nicht so spontan, sondern hatte es geplant. Ganz so wie es Emma schon gesagt hatte. Wahrscheinlich wollte er ihr nur nicht den richtigen Grund nennen. Aber egal was es war – es war in jedem Fall spannend. Somit mit reichlich viel Neugierde, hielt sie ihren Kopf neben seinem. In der Hoffnung ebenfalls einen Blick durch das Loch werfen zu können, rückte sie weiter auf. Solang, bis Rue seinen Kopf ihr zu wandte. Er blickte sie aus der Nähe prüfend an und ließ sie schließlich gewähren, da er ihr Platz machte. Sofort spähte sie durch das Loch und erkannte drei Männer, wie sie sich unterhielten. Außerdem schien es eine Art Hintergasse zu sein, in denen diese Männer standen. Aber sie konnte keinen davon wiedererkennen. Vielleicht waren es einfache Angestellte, die etwas zum Set beredeten. Oder es waren tatsächlich Schauspieler oder ein Produzent dabei. Sie konnte es einfach nicht sagen.

Als Shaelyn sich wieder von dem kleinen Spähloch entfernte, kam sie doch ins Grübeln. Warum wollte Rue das sehen? Denn beim Sehen blieb es. Die Stimmen waren zu leise gewesen, als dass man etwas verstanden hatte. Außerdem woher wusste er, dass hier ein Spähloch war? Und wusste er, dass sich diese drei Männer genau jetzt und hier unterhielten? Oder war das reiner Zufall gewesen? Ehe sie sich eine weitere Frage stellen konnte, spürte sie den Finger von Rue an ihrer Schulter tippen. Gleich wandte sie sich im Dunkeln um. Das spärliche Licht vom Loch ließ sie wenigstens etwas von seinem Gesicht erkennen. Seine großen Augen glänzten schwach in der Dunkelheit. „Wir sollten zurück.“, flüsterte er mit seiner tiefen Stimme, sodass sie eine angenehme Gänsehaut bekam. Das erste Mal, dass sie ihn überhaupt flüstern hörte.

Der Rückweg gestaltete sich einfacher, da es immer heller wurde. Und viel mehr hatte Rue sie erneut bei der Hand genommen, auf welche sie öfter blicken musste. Er hatte weiterhin daran gedacht sie an der Hand zu nehmen... Bestimmt hörte er über dem gesamten Weg ihren lauten Herzschlag, der für den Moment alle Fragen beiseite schob.
 

Nachdem sie am Ende des langen Ganges ankamen und Rue um die Ecke blickte, um sich wohl zu vergewissern, dass wieder niemand in Sicht war, ließ er ihre Hand los. Jetzt fand es Shaelyn schade, dass der enge Weg nicht länger dauerte. So folgte sie ihm schließlich bis vor dem Studio, wo sie alleine am Tourbus standen. Verwirrt blickte sie sich um und stellte sich zu Rue in den wohltuenden Schatten. Warum war er hierher zurückgekehrt und hatte nicht wieder aufgeschlossen? Shaelyn schüttelte gedanklich den Kopf. Es war sogar besser so. Jetzt konnte sie ihm Fragen stellen. Unmittelbar wandte sie sich an ihn und bemerkte abermals wie er nachdenklich an seinem Daumennagel knabberte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Was hatte das alles zu bedeuten? Ihr wurde mulmig. „Rue.“, sprach sie ihn laut genug an, sodass seine schwarzen Pupillen zu ihr wanderten. „Warum … Warum haben wir das eben getan?“ Sie wusste selbst nicht wie sie genau beginnen sollte, da ihr Kopf voller Fragen war. Sein starrer Blick schien sie förmlich zu durchbohren. Was kam jetzt? Sie war gespannt darauf wie er all das erklären würde. Er nahm seinen Daumen vom Mundwinkel. „Das kann ich dir leider nicht verraten.“ Überrascht hob sie ihre Augenbrauen an. Sie würde gar keine Erklärung erhalten? „... Also ist es ein Geheimnis?“ „Richtig.“ Shaelyn blickte auf den Boden vor sich und begann nachdenklich an ihrer Unterlippe zu kauen. Das hieße, es hatte was mit ihm persönlich zu tun. Oder lag sie mit der Vermutung falsch? Was für einen Grund sollte es sonst geben? Ein Nachfragen war jedenfalls sinnlos – das wusste sie mittlerweile sehr gut. Shaelyn seufzte laut. Natürlich besaß er viele Geheimnisse. Es wäre nur schön gewesen, wenn er wenigstens eines mit ihr teilen würde. Doch daran hatte sie sich gewöhnt. Sie musste es so hinnehmen. Mit einem sachten Lächeln sah sie geradewegs wieder in seine Augen, die sie wohl die ganze Zeit über sorgfältig beobachtet haben. „Ich weiß, dass du viele Geheimnisse hast. Und du weißt, dass ich da nicht mehr nachfragen werde. Aber...“, begann sie vorsichtig und strich sich unsicher eine schwarze wirre Strähne hinter ihr Ohr. Sein Blick hatte etwas an sich, dass sie nervös machte. „Aber... wieso hast du das eben nicht alleine getan? Ich meine, du brauchst mich dazu doch gar nicht. Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn du allein herkommst und das eben gemacht hättest?“ Rue überdachte ihre Worte, da er kurz angestrengt in den wolkenlosen Himmel stierte. Ein kurzer Luftzug wehte seine unordentlichen Haare auf, was sie still betrachtete. „Das ist richtig. Es wäre so einfacher gewesen.“, gab er nach, wohl, reichlicher Überlegung ruhig zu und bedachte sie mit einem emotionslosen Blick. Ihr Lächeln ließ etwas nach. Wie sie es sich gedacht hatte. Er war nur deshalb hier. Nun schmerzte ihr Herz. Sie hatte sich so darauf gefreut mit ihm herzukommen. „Allerdings...“, begann er entspannt, sodass sie aufmerksam wurde. „Wäre es auch nur halb so spannend gewesen.“, endete er, was sie abermals überraschend blinzeln ließ. War das eben ein Versuch gewesen sie aufzuheitern? Nein, das war kein Versuch. Er war geglückt – zumindest etwas. Shaelyn grinste Rue schwach entgegen. „Was auch immer das gerade mit dem herum schleichen sein sollte, spannend war es wirklich.“, pflichtete sie ihm bei und lachte sanft. „Du bist ja schon fast wie ein richtiger Detektiv.“ Prompt bekam sie von ihm ein kleines Grinsen zu sehen, während er seinen Zeigefinger zum Mundwinkel führte. „Da könntest du Recht haben.“

Shaelyn seufzte zufrieden. „Aber jetzt wo du deine 'Ermittlung' durchgeführt hast, Mister Detektiv, wie sieht es mit dem jetzt Folgendem aus?“ Shaelyn untermalte mit einer Gestik und einem Lächeln das Wort Ermittlung. Jetzt konnte sie es viel leichter nehmen. Auch wenn das sein ursprünglicher Grund war, so hatte er sie mitgenommen – auch auf die 'geheime Aktion'. Was auch immer das bedeutete, er hatte es mit ihr gemeinsam getan. Das war in gewisser Hinsicht sogar ein kleiner Erfolg. Es gab ihr ein gutes Gefühl. Rue grinste noch immer, nahm sogar den Finger von seinem Mund. „Das entscheidest du.“ „Oh? Ich habe hier die Führung?“ „Ja.“ „Egal was und du machst es mit?“ An diesem Punkt hob er kritisch eine Augenbraue an. Gleich lachte Shaelyn und trat einen Schritt auf ihn zu als er gerade seinen Mund öffnete, welchen er direkt wieder schloss. Ein weiterer leichter Windzug war zu spüren, weshalb sie sich ihre Haare an der Seite festhielt. Der Wind brachte angenehme Kühle. „Komm schon. Du hast mich neugierig gemacht und speist mich mit einem Geheimnis ab. Da werde ich dich wohl im Gegenzug ein wenig ärgern können, oder nicht?“ Rue zog seinen Mund in eine Gerade. Es gefiel ihm offensichtlich nicht, stimmte aber mit Schweigen zu. „So handzahm heute?“, stichelte sie mit einem süßen Lächeln. „Der Klügere gibt nach.“

L konnte gut aus der Nähe erkennen, wie sie ihre Wangen aufblies. Was allerdings nicht lange anhielt und sie direkt wieder lächelte. „Tja... da kann mal wohl nichts machen.“, kam es ihr über die Lippen, auf welchen er mit seinem Blick hängen blieb. Es war eigenartig. Seit dem gestrigen Abend zweifelte er, ob er das alles noch so weiterführen wollte wie bisher. Das Interesse hatte sich verändert. Ob es daran lag, dass sie begann sich zurückzuziehen? War das eine natürliche Reaktion? War es nun sein Impuls sich ihr zu nähern? Der Gedanke, dass er die Verbindung zu ihr verlor war stärker geworden. Wollte er sich noch entfernen? Nein. Denn alles was er seit dem gestrigen Abend getan hatte, sprach das genaue Gegenteil. Dennoch war sein Misstrauen da. Nicht Shaelyn gegenüber, sondern sich selbst. L war sein eigener Feind. Wenn er eine Beziehung mit ihr begann, bedeutete das, dass er sich sich selbst stellen musste. Der Wahrheit ins Gesicht blicken. Und zwar sein anderes Ich. Das, was verborgen lag. Er würde ihr sein Inneres präsentieren – und er hatte bereits keine Bedenken mehr ihr gegenüber. Shaelyn akzeptierte ihn wie er war. Mit all seinen Geheimnissen. Sie war bereit dafür. Doch konnte er es auch von sich selbst behaupten? Konnte er zu so etwas fähig sein? L kam zu keinem vernünftigen Ergebnis. Er verstand es nicht – und sich selbst seit gestern erst recht nicht mehr.

Als Shaelyn sich umdrehte und einen Schritt zur Seite machte, griff Rue erneut plötzlich ihr Handgelenk. Verwundert blieb sie auf der Stelle und wandte sich zu ihm um. Abermals erfasste sie eine Gänsehaut und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Rue blickte sie mit seinen großen Augen aufmerksam an. Es war derselbe Ausdruck, den er ihr im Bus zugeworfen hatte. Doch dieses Mal sah er nicht weg - sondern erhielt diesen einen Blick aufrecht. Es begann in ihrem Bauch zu kribbeln und ihre Lippen zitterten. Alles was sie noch wahrnahm war sein warmer Atem auf ihrem Gesicht, seine verwirrten Strähnen die sie an der Stirn kitzelten und nicht zuletzt seine Hand, welche sie noch immer bei ihm hielt. Shaelyn schloss voller Erwartung ihre Augen. War es Rue der sich näherte, oder war sie es?

„Entschuldigen Sie.“, durchschnitt es die Stille und prompt schlug sie ihre Augen auf. Sie befand sich wieder in der Realität. Verstört blinzelte sie und starrte Rue an, der kaum mehr einen Fingerbreit entfernt war. Sein Atem war hektisch und seine Augen drückten ebenso wie sie Verwirrung aus, ehe er zur Quelle der Störung blickte. „Es wurden zwei Personen bei der VIP-Tour als abwesend gemeldet. Und die Beschreibung trifft auf Sie beiden zu.“, begann ein Mann streng, weshalb sie sich ebenfalls abwendete. Ein Sicherheitsangestellte vom Park. Und neben ihm stand noch einer, der sein Walkie-Talkie zur Hand nahm und durchgab, dass sie gefunden wurden. „Es ist Ihnen nicht erlaubt alleine das Studio zu besichtigen.“, schritt der Mann fort. Shaelyn spürte, wie Rue seine Hand von ihr nahm. „Ihr wurde übel.“, log er. Erstaunt blickte sie zu ihm hinüber. Rue hatte nicht eine Mimik verzogen. Der Kerl log wirklich ohne Rot zu werden. Der Mann überprüfte mit einem Blick die Richtigkeit seiner Aussage, weswegen sie nervös lächelte. Doch das schien dem Herren augenscheinlich zu genügen. „Dennoch sollten Sie sich beim Tourführer abmelden. Es wird nicht gern gesehen, wenn Gäste verschwinden.“ „Wir werden das nächste Mal daran denken. Haben Sie vielen Dank.“ „Der Tourführer ist in Kenntnis gesetzt und wird nach der Besichtigung aufschließen. Ich bitte Sie solange hier beim Bus stehen zu bleiben. Sollten Sie jedoch ein weiteres Mal fehlen, werden Sie dem Park verwiesen.“, verließ es die Kehle des Anderen, woraufhin Shaelyn stutzte. Es waren tatsächlich sehr strenge Auflagen. Und als die Männer sich entfernen wollten, überfiel sie Panik. Sie wäre wieder allein mit Rue und dieser... seltsamen Situation. Bestimmt hatte sie wieder die Kontrolle verloren und wollte ihn erneut mit einem Kuss überfallen! Das war doch sie gewesen? Sie war komplett verwirrt! Aufgeregt blickte Shaelyn auf den Boden vor sich. Sie brauchte dringend einen ruhigen Kopf und vor allem einen Plan. Was sollte sie ihm sagen? Sich entschuldigen? Oder sollte sie überhaupt was sagen? Was, wenn er sie darauf ansprach? Angestrengt biss sie sich auf ihre Unterlippe. Dabei wollte sie ihm doch gar nicht mehr so nahe kommen! Urplötzlich hielt sie inne. Und wenn es doch Rue war? Wenn sie zurückdachte hatte sie nicht das Gefühl sich bewegt zu haben. Alleine wenn sie zurückdachte begann ihr Herz heftiger zu schlagen. Wenn sie sich wirklich vorstellte, dass er es war... dann konnte das nur Eines bedeuten. Es raubte ihr fast den Verstand. Warum war das alles nur so verwirrend?! Noch immer zitterte ihr Körper.

L biss sich noch weiter den Daumennagel ab als es ohnehin schon möglich wäre. Er konnte es sich selbst nicht erklären, aber er hatte wie schon zuvor befürchtet die Kontrolle verloren. Hätte es keine Unterbrechung gegeben, so hätte er sie geküsst. Direkt blickte L in ihre Richtung. Shaelyn sah errötet gen Boden. Zweifel nagte an ihm wie er an seinem Daumen. Er war ratlos, weshalb er unzufrieden seinen Mund verzog. Diese Gefühle waren absolut störend und unbrauchbar. Es war unmöglich die Gedanken zu unterdrücken. L erreichte ein neue Ebene der Frustration. Wie lange konnte er noch widerstehen?
 

Shaelyn atmete tief durch und setzte ein Lächeln auf. Jetzt oder nie. Direkt hob sie ihren Kopf und sah ihm in die Augen, die unverkennbarer nicht sein konnten. Rue stand dort und stierte sie an. Sie begann unsicher zu lachen. „Ich dachte, wir bekämen jetzt richtig Ärger...“ Das ging schon einmal daneben, weshalb sie sich gedanklich schlug. Was Besseres war ihr aber nicht eingefallen. „Offenbar nicht.“, antwortete er monoton. „Hm... Ja.“, meinte sie und wollte so schnell es ging die unangenehme Situation loswerden. Der Wind ließ erneut ihre Haare aufwirbeln. „Ganz schön windig geworden, oder?“ Sein Blick veränderte sich etwas. Jedoch konnte sie nicht sagen, was das zu bedeuten hatte. Vielleicht war er einfach froh, dass sie nichts sagte. Rue hob seinen Kopf an. „Ja.“, kam es ruhig von ihm, während er in den Himmel blickte.
 

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Rue sagte absolut nichts mehr, was die Situation nicht angenehmer machte. Aber ihr fiel auch kein Thema ein, das sie hätte ansprechen können. Viel mehr kreisten die Fragen in ihrem Kopf. Immer wieder dieselben. Und eine ganz besonders: Wie kam es dazu? Was wollte Rue von ihr als er sie festhielt? War es vielleicht etwas Wichtiges? Fragen, die sie jetzt bestimmt nicht mehr beantwortet bekam. Vielleicht war es auch besser so und sie sollte das schnell vergessen. Aber diesen Blick würde sie bestimmt nicht mehr vergessen. Somit blieb es still, bis der Tourführer mit der Gruppe zurückkehrte. Und natürlich rechnete Shaelyn mit einigen Worten des Gruppenleiters – die jedoch ausblieben. Verwundert also setzte sie sich wieder auf ihren Platz und Rue neben sie. Die Tour ging weiter und schließlich erklärte der Tourführer der Gruppe, dass sie ab jetzt still in den Sitzen bleiben sollten. Eine echte Führung durch ein King-Kong-Set, was Shaelyn neugierig aus dem Fenster neben sie blicken ließ. Der Bus fuhr in ein Gebäude, weshalb es ziemlich dunkel wurde. Dann ging das Tor vor dem Bus auf und er fuhr geradewegs in die Dunkelheit – aus der schon Sirenen zu hören waren.

Begeistert beobachtete Shaelyn das Treiben auf dem Set, welches vollkommen maschinell betrieben wurde. Der große Gorilla war einige Male in verschiedenen Szenen zu sehen und im Tourbus auf den Anzeigetafeln wurde sogar von den Angriffen des Gorillas berichtet. Es war fast so, als wäre man tatsächlich dagewesen. Vor allem das echte Feuer war beeindruckend, mit dem nicht gespart wurde.

Nachdem die Tour durch das Gebäude fertig war, musste sie zunächst die Augen zukneifen. Das helle Licht blendete für einen Moment. Jedoch ging es danach zügig weiter. So fuhren sie etwas Außerhalb für die Sets. Dort war ein kleines Dorf und es wurde sogar kurz von einer Flut heimgesucht. Da sie allerdings sicher im Bus saßen, konnte man es gut beobachten wie es durch die Straßen zog. Alles in einem war es eine interessante Tour, in welche Shaelyn sich vertiefte. Hollywood hautnah. Es war eine schöne Erfahrung – auch wenn Rue wieder nichts sagte. Er war die ganze Zeit über ein stiller Beobachter gewesen.

Der Gruppenführer setzte die Gäste schließlich wieder am Haupteingang ab und wünschte allen einen schönen Tag. Ab jetzt waren sie im Freizeitpark auf sich allein gestellt.
 

Das erste was Shaelyn von einem Mitarbeiter in die Hand gedrückt bekam als sie den Park betraten, war die Parkkarte und noch die zusätzliche Showliste, die sie zunächst Rue an ihrer Seite übergab. Mit Neugier öffnete sie die große Karte und in großer Schrift stand dort, dass eine neue Akttraktion geöffnet wäre. 'Die Rache der Mumie' so wie es dort unübersehbar angekündigt wurde. Gleich weitete sie ihre Augen. Diesen Film kannte sie doch! Da musste sie 13 oder 14 gewesen sein, als sie den Film mit ihrem Bruder gesehen hatte. Prompt senkte sie entschlossen die Karte. „Wir gehen zu aller erst zu dieser Bahn!“ Mit Eifer hielt sie gerade so mit einer Hand die Karte hoch und deutete mit ihrem Finger auf dem Fleck, an dem sich die Achterbahn befand. Rue betrachtete kurz die Karte, ehe er sie nichtssagend anstarrte. Shaelyn lächelte daraufhin breit. „Das wird dir schon gefallen.“, merkte sie auf seinen Ausdruck hin an und erntete gleich einen misstrauischen Blick.

Als Shaelyn gerade los wollte, bemerkte sie im Schaufenster ein paar Meter Entfernt einige Dinge. Darunter Etwas, das ihr Gesicht vollkommen aufhellte. „Warte kurz hier. Bin sofort wieder da.“, sagte sie eilig und ohne zu zögern betrat sie den Shop weiter Vorn.

L stand neben dem Laden und wartete geduldig auf Shaelyn. Während dem Warten beobachtete er die Menschen, die an ihm vorbei gingen. Es war sehr voll, was er gleich feststellen musste. Viele Familien, Paare und Gruppen von Jugendlichen tummelten sich auf der Straße herum. Was ihn zu der Frage brachte, ob es tatsächlich dermaßen Spaß bereitete einen Freizeitpark zu besuchen. Nein, für ihn war das kein Spaß. Vielleicht lag es schlicht daran, dass er weder Menschenmasssen noch derartige Attraktionen mochte. Einzig die vielen Süßigkeiten die angeboten wurden waren etwas Gutes. Und er wusste wovon er sprach. Schließlich hatte er sich bereits einmal in einem Freizeitpark umgesehen. Reine Neugierde – die er im Anschluss als Zeitverschwendung abgetan hatte.

Ein eigenartiges Geräusch erhaschte sofort seine Aufmerksamkeit. Prompt wandte er sich um und blickte einer Shaelyn entgegen, die eine Kamera hoch hielt und kaum eine Sekunde später den Auslöser betätigte. Verstört starrte er sie an. Sie hatte ihn eben fotografiert. „Ich hab genau den richtigen Moment erwischt!“, lachte sie freudig und trat zu ihm. „Du hast total überrascht ausgesehen.“ L war weniger erfreut. „Ich bin auch überrascht.“, meinte er trocken. Shaelyn lachte weiter. „Sag ich ja. Genau der richtige Moment. Ab jetzt solltest du dich aber auf ein paar Bilder gefasst ma... Hey!“ Gleich nahm er ihr die Kamera aus der Hand und ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden. „Wa-Was machst du denn da?!“, fragte sie nun überrascht und verdutzt. „Ist konfisziert.“ „Wieso das denn?! Ich will doch nur ein paar Bilder von dem Tag hier machen.“ „Ich mag es nicht, wenn man mich fotografiert.“, gab er schlicht an und stieß bei ihr auf Unverständnis. „Wieso...? Aber du siehst doch gut aus.“ An dieser Stelle legte L interessiert seinen Zeigefinger an den Mund. „Findest du?“ „... Ja? Natürlich?“, brachte sie mit einem verschämten Lächeln hervor. „Ich dachte, das weißt du längst...“ Sein Puls stieg. L sollte das Thema wechseln. „Ich werde dir die Kamera trotz dessen nicht aushändigen.“ Direkt zog sie einen Schmollmund. „Och, bitte. Dann mache ich eben ab jetzt keine Fotos mehr von dir...“ Shaelyn seufzte schwer. Offenbar entfiel ihr Hauptgrund Fotos zu schießen. „Auch wenn ich bisher kein einziges Foto habe. Ich hätte halt gern eines gehabt, aber eben auch gern von dem Park hier. So als Erinnerung eben.“ Kurz überdachte er ihre Worte, ehe er zu Etwas ansetzte. „Einverstanden.“ Sofort hellte sich ihr Gesicht auf. „Allerdings unter einer Bedingung.“, begann er nur kurz darauf und ihre Begeisterung starb. „War klar, dass das nicht ohne Bedingungen ist. Was willst du?“ „Ich schieße die Fotos.“ Irritiert zog sie ihre Augenbrauen zusammen. Das hatte sie nicht erwartet. „Du?“ „Ja.“ „Wieso?“ „Darum.“ „Was ist das denn für ein Grund?“ „Du stellst zu viele Fragen.“ „Und du gibst mir einfach zu wenig Antworten!“ L grinste. „So könnte man es auch sehen. Da gebe ich dir Recht.“ Es gefiel ihm sie zu necken. Ihr allerdings weniger. Shaelyn verengte ihre Augenlider zu einem Schlitz und ihre Wangen hatten an Farbe gewonnen. Sie war wütend. „Manchmal könnte ich dich so... argh!“ „Ja?“ Sie schnaubte bedrohlich. „Pass auf wenn wir Zuhause sind.“ L sollte ihre Drohung ernst nehmen und sie nicht weiter reizen. Seine Gesundheit lag ihm doch sehr am Herzen.

„Fein.“, gab sie beleidigt von sich und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Rue tat es immer wieder! Er musste einfach Spaß daran haben sie zu ärgern. „Dann schießt du halt die Fotos... aber wehe du machst den Film nicht voll!“ Shaelyn wandte sich abrupt um und seufzte abermals schwer. Der Kerl brachte sie um den Verstand! Was war denn schon dabei, wenn sie ihn fotografierte? Klar wollte sie auch ein paar Bilder von ihm... Zumindest eines, was sie sich heimlich unter ihr Kopfkissen tat. Sie hätte es stundenlang ansehen können, ohne dass es aufgefallen wäre – oder es jemanden störte. Aber was sollte sie tun? Die Kamera war weg. Somit auch das perfekte Bild von Rue. Vielleicht sollte ihm nicht böse sein. Wenn er es nicht mochte, mochte er es nicht. „Rue... Ich-“ Noch während sie es sprach, drehte sie sich um und fand sich in derselben Situation wider wie Rue. Nur drückte er diesmal den Auslöser. Es war als fingen ihre Wangen augenblicklich Feuer. „W-Was machst du denn da?! Du sollst mich doch nicht fotografieren!“, beschwerte sie sich mit einem roten Gesicht und wollte ihm nun die Kamera aus der Hand reißen. Allerdings hielt er sie schnell zur Seite. Sein Gesicht drückte Unschuld aus. „Warum nicht?“, fragte er neugierig und sie blinzelte einige Male verwirrt. „Weil... ich das nicht mag?“ „Tatsächlich?“ Sie wagte es nicht mit einem Ja zu antworten, weshalb sie schnaubte. Ja, sie verstand ihn schon! „Ist ja gut. Ich hab es verstanden. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen...“, seufzte sie und atmete im nächsten Moment ein. „Dann lass uns jetzt zur Bahn.“ Vielleicht konnte sie ihm im Nachhinein noch davon überzeugen ihr das Bild auszuhändigen. Ihr musste nur etwas Gutes einfallen. Aber zu aller erst würde sie zur Achterbahn gehen!
 

Mit der Karte in der Hand suchte und fand Shaelyn schließlich ihr Ziel. Mit beeindruckenden großen, alten ägyptischen Statuen war der Eingang zur Bahn gekennzeichnet. Aufgeregt faltete sie die Karte klein und steckte sie sich zwischen Überjacke und Rock. „Na, was sagst du? Wäre das kein Schnappschuss wert?“, wandte sie sich an Rue neben ihr. Jener zog ohne Kommentar die Kamera und fotografierte die Szenerie. Bei dem Anblick rollte sie mit den Augen. „Also echt. Ein Gespür fürs Fotografieren hast du jedenfalls nicht.“ Rue blickte sie nachfolgend nüchtern an. „So würde ich das nicht sehen.“ „Nein?“ Rue hob seinen Finger an. „Nicht jeder Fotograf sucht sich dasselbe Motiv.“ Sie kam ins Grübeln. „Das heißt, du findest es nicht Wert davon ein Foto zu machen.“ „Anders ausgedrückt; ja.“, meinte er und legte seinen hochgehobenen Finger an den Mund. „Die Originale in Ägypten sind durchaus beeindruckend.“ Sofort blickte sie ihn neugierig an. „Du warst schon mal in Ägypten?“ Kaum war die Frage gestellt, fixierte er sie mit seinen Augen. „Nein.“ „Hm... Das klingt aber so, als würdest du dich dafür interessieren. Willst du dort mal hin?“ „Vielleicht.“, sagte er ruhig und bekam dafür ein Grinsen als Antwort. „Also ein Ja. Aber ich wusste gar nicht, dass dich Geschichte so interessiert. Weil die Amerikanische kannst du auch.“ Plötzlich schien er stark zu überlegen und kam wenig später zu einem Schluss. Shaelyn spitzte ihre Ohren. „Wenn du es so sagst, könnte es durchaus stimmen.“ Verdutzt blickte sie ihn an. Es kam ihr so vor, als ob er all die Dinge gar nicht so wahrgenommen hatte. Als ob er sich nie Gedanken darum gemacht hatte. Er wusste all die Dinge, wusste aber nicht weshalb. Das klang äußerst bizarr. Eventuell hatte er so viel Zeit mit Lernen verbracht, dass er sich so etwas nie fragte – oder jemand ihn danach. Urplötzlich weitete sie ihre Augen. Er war allein gewesen. Was sollte er sonst tun, außer sich mit all dem zu befassen? Alles was sie bisher mit ihm erlebte sprach dafür. „Was beschäftigt dich, Shaelyn?“ Seine dunkle Stimme ließ sie leicht den Kopf schütteln. Darüber sollte sie jetzt nicht nachdenken. „Nichts. Ich... hab nur über Etwas nachgedacht.“, lachte sie stumpf. „Lass uns zur Achterbahn.“, lenkte sie ein, ehe Rue weiter nachbohren konnte und lief vor.
 

Der VIP-Pass war Goldwert. Ohne Umschweife betrat Shaelyn mit Rue das Gebäude, welches im Inneren schon an eine ägyptische Gruft erinnerte. Überall Wandverzierungen und Säulen. Mit einem breiten Lächeln konnte sie gleich mit Rue in die nächste Bahn einsteigen. Obwohl ihr ein Moment nicht wohl bei der Sache war. Die regulären Gäste, welche wirklich lange schon anstanden, warfen ihnen neidische Blicke zu. Dennoch war dies schnell vergessen! Die Sicherheitsbügel wurden hinunter gedrückt, sodass sie fest im Wagen saß. Ein kurzer Blick zur rechten Seite und sie konnte Rue sehen, wie er unzufrieden auf den Bügel starrte. Natürlich musste ihm der Sitz unbequem erscheinen. Aufrecht, mit Füßen auf den Boden war er im Sitz festgehalten. Mit einem Lachen erhaschte sie seine Aufmerksamkeit. Er sah aus, als würde er leiden. „Die Fahrt dauert bestimmt nicht so lang.“, baute sie ihn noch schnell auf, ehe der Wagen sich langsam in Bewegung setzte.

Der erste Abschnitt wurde durch ein Tor betreten und es war die komplette Dunkelheit. Man hörte in der Ferne einige Schreie und Geräusche, doch nichts in der Umgebung – bis zu ihrer linken Seite unerwartet rote Augen aufleuchteten und kurz darauf eine halb bandagierte Mumie im Licht zu sehen war. Erschrocken von dem Anblick, griff sie den Bügel in ihren Händen fester. Hinter ihr begann jemand zu lachen. Bevor sie sich die Gestalt genauer ansehen konnte, fuhr die Bahn weiter und über sie an der Decke war ein großer Bildschirm. Ein Mann in einer archäologischen Uniform schrie: „Rennt um Euer Leben! Der Fluch ist real! Imhotep lebt!“, ehe der Mann von Käfern überfallen wurde und der Bildschirm ausblendete. Im nächsten Raum erschienen an den Seiten im Halbdunkeln neue Mumien. Und als aus der Decke knapp über sie Hände nach ihnen griffen, schrie sie kurz auf. Mit rasendem Puls drückte sie sich weiter in den Sitz, als die Bahn weiterfuhr. Diesmal wurde sie vom Licht leicht geblendet und sie fand sich in einer Schatzkammer wider. Überall lagen goldene Schmuckstücke verteilt, welche von Spinnenweben überzogen waren. Die Wände waren abermals mit schönen Hieroglyphen überzogen und Statuen säumten den Raum. Abermals schaltete sich eine Leinwand ein. Imhotep sprach: „Dient mir und genießt die Reichtümer des ewigen Lebens.“ Plötzlich wurde der Raum in ein tiefes dunkles Grün getaucht und die Mumie fuhr fort: „Und schließe dich uns beim ewigen Tod an.“. Die Bahn fuhr in den nächsten Abschnitt und der untote Priester war auf einem Podest zu sehen. „Akum ra Akum de.“, begann die Gestalt auf altägyptisch. „Jetzt gehören mir eure Seelen... für immer!“ Dann wurden alle Fahrgäste in die Tiefe gerissen.

Gekreische und Stimmen vom Priester mischten sich unter der rasenden Fahrt, welche durch die Dunkelheit führte. Blitzende Illusionen von Bildern waren zu erkennen und gestalteten die scharfen Kurven umso intensiver.

Als der Wagen langsamer wurde, standen sie schließlich vor einer Wand, die sich als Bildschirm herausstellte. Man erkannte wie Käfer über die Wand liefen und plötzlich spürte sie wie sie leicht Etwas berührte. Für einen Moment dachte sie, die Käfer befielen sie – stellte es sich doch als harmloser Nieselregen heraus. Unerwartet setzte der Wagen plötzlich zurück und führte so seine Fahrt rückwärts fort. Geführt durch viele enge Kurven und ein einziges Auf und Ab, verlangsamte sich der Wagen. Welcher wenige Augenblicke später wieder gedreht wurde und Nebel die blinkende Kulisse erfüllte. Erneut erschien Imhotep auf einem Bildschirm und schrie: „Nein!“. Und so schnell dies vorbei war, wurde ein Tor geöffnet und Shaelyn sah das Ende der Bahn.
 

Das erste was sie tat war Lachen. Es hatte ihr unheimlich viel Spaß bereitet! Am liebsten würde sie noch einmal fahren. Direkt im Anschluss! Als sie dann aber nach rechts blickte, starrte sie schon Rue mit großen Augen an. Ihm hatte es wohl nicht gefallen...  Ein Grund ihn zu Ärgern. „Na, noch eine Runde?!“ „Nein.“, kam es entschieden von ihm, woraufhin sie kicherte. Es war als hätte er gewusst, dass sie dies fragen würde. „So schlimm war das doch gar nicht.“, verteidigte sie die Achterbahnfahrt mit einem Lächeln, was seine Meinung absolut nicht zu ändern schien.

Im Hellen angekommen, reckte sich Shaelyn erst einmal. „Ich fand es toll. Ganz anders irgendwie als Zuhause!“ L äußerte sich dazu nicht. Er empfand die ganze Fahrt als entsetzlich. „Oh! Sieh mal da! Es wurden ja sogar Schnappschüsse gemacht!“ Sofort lief sie zu einem Stand, an dem sich schon einige Leute versammelt hatten. L folgte ihr. „Guck mal!“, lachte sie, während sie sich nach ihm umsah und deutete auf ein nummeriertes Bild in der Ecke der Bildschirme. „Das sind wir! Und du siehst total lustig aus...“, kam es weiterhin lachend von ihr und er folgte ihrem Deuten. Tatsächlich. Ein Foto von ihnen beiden in der Bahn. L drehte seinen Kopf etwas und betrachtete den Schnappschuss aus einem anderen Winkel. Sein Gesicht war schockiert. Ja, das beschrieb gut seinen Gemütszustand. „Wir sollten weitergehen.“, kam es weniger amüsiert von ihm. Unerwartet fasste Shaelyn nach seiner Hand. Sie zog ihn etwas von der Masse weg und senkte die Hand. „Lass uns doch etwas Süßes essen. Vorhin hast du sicher auch den Eiswagen in der Nebenstraße gesehen. Wie wäre es damit?“, schlug sie mit einem bezaubernden Lächeln vor. Ls Lippen öffneten sich einen Spalt.

Gleich stand ihr das Fragezeichen im Gesicht geschrieben. Rue wirkte seltsam. Sie hatte aber sicherlich etwas, für ihn, Vernünftiges vorgeschlagen. Doch bevor er ihr eine Antwort gab, blickte er auf ihre Hand, die noch immer seine hielt. Als habe sie sich verbrannt zog sie ihre zurück. „Tut mir leid. Das war...-“ „In Ordnung.“, verließ es gelassen seinen Mund als sei nichts gewesen, weswegen sie verwirrt blinzelte. Sie verstand ihn manchmal wirklich nicht. „Alles klar, dann lass uns gehen.“, meinte sie schließlich und ging ein Stück vor. Blieb jedoch für einen Augenblick stehen und wandte sich mit einem fröhlichen Lächeln um. „Ein Eis ist bei dem Wetter jetzt genau das Richtige! Da wirst du mir bestimmt nicht widersprechen.“ Mit einem verspielten Zwinkern unterstrich sie ihre Worte und schritt wieder voran.
 

Sie hatten Glück. Gerade war so wenig los, dass sie gleich dem Mann hinter dem kleinen Wagen ihre Wünsche nennen konnten. Natürlich entschied sich Shaelyn für Vanilleeis und Rue für ein gemischtes Fruchteis. Als Shaelyn den Mann bezahlen wollte, kam ihr Rue dazwischen. Mit einem überraschten Ausdruck nahm sie schließlich auch die Eiswaffel von Rue an. Er hatte ganz selbstverständlich für sie gezahlt und ihr die Waffel gereicht. Konfus schaute sie auf ihr Eis in der Hand. Es war das erste Mal, dass sie sah, dass er Etwas für sie kaufte. War es auch die erste Situation, in der sie wirklich allein mit ihm war. Niemand den sie kannte war in der Nähe. Sicher, sie hatte es auch zuvor gewusst und nervös gemacht. Aber es fühlte sich auf einen Schlag vollkommen real an. Es war... als würde sie mit ihrem Freund ausgehen und Spaß haben. War es seltsam so einen Gedanken zu haben? „Shaelyn?“ Prompt blickte sie auf. Rue sprach sie an, während er an seinem Eis leckte. „...Ja?“ „Was ist es?“ „Nichts.“ Man erkannte, wie er eine Augenbraue hob. „Wieder dieses Nichts.“, dachte er laut nach, was sie schwach grinsen ließ. „Ja, dieses Nichts.“ Was konnte sie ihm schon sagen? Er würde es wahrscheinlich gar nicht verstehen. Aber es unterschied sich heute deutlich von all den anderen Tagen, die sie schon mit ihm erlebt hatte. Sie würde den ganzen Tag allein mit ihm verbringen – und er schenkte nur ihr Aufmerksamkeit. „Dein Eis schmilzt.“, gab er gelassen von sich und holte sie erneut aus ihrer Gedankenwelt. Erst jetzt bemerkte sie den wilden Herzschlag in ihrer Brust. Irgendetwas fühlte sich anders an als sonst.

Schnell versuchte sie eine Katastrophe zu verhindern, indem sie über die Ränder der Waffel schleckte. Eine klebrige Hand war nicht unbedingt das, was sie wollte. Dabei fiel ihr die leere Bank im Schatten gegenüber auf, die sie sogleich ansteuerte. Still setzte sie sich darauf und Rue tat es ihr gleich. Zunächst blieb es still. Doch dann gewann der Gedanke diese Stille zu brechen. „Das Vanilleeis schmeckt wirklich gut.“, sagte sie lächelnd an ihn gewandt. Rue blickte daraufhin zu ihr. Sein Ausdruck verriet Neugier. Er hob seine freie Hand an und deutete auf ihr Eis. „Darf ich mal probieren?“ Entrüstet starrte sie ihn an. Meinte er das ernst?! „Ich hab' aber keinen Löffel...“ „Das habe ich mir fast gedacht.“, verließ es monoton seinen Mund, sodass sie doch kichern musste. Sie mochte seinen trockenen Humor. „Du willst einfach so mein Eis ablecken? Was ist, wenn ich ein Problem damit hab?“ „Warum solltest du?“ Geradezu unschuldig stellte er die Gegenfrage, was sie unkommentiert ließ. Stattdessen hielt sie ihm ihr Eis hin. Besser sie gab wieder widerstandslos auf. Er würde sich so oder so sein Süßes holen – mit oder ohne ihre Zustimmung. Aber brachte es ihrer Fantasiewelt nicht näher? Machten das nicht Paare? Sie hielt im Gedanken inne. Nein. Die Erinnerung von der Schokoladensoße ziemlich am Anfang der Bekanntschaft sagte alles aus. Für Rue besaß es offenbar keine Bedeutung – für sie jedoch umso mehr. Demnach sah sie verschämt mit an, wie er eine Bahn mit seiner Zuge zog. Konnte sie ihr Eis danach noch ohne Hintergedanken essen? Als er genug hatte setzte er einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf. „Ja, es schmeckt tatsächlich sehr gut.“ Nervös blickte sie auf sein Eis. Wenn er durfte, wieso auch nicht sie? „Darf ich auch mal dein Eis probieren?“, fragte sie einfach darauf los und bekam einen nichtssagenden Blick zugeworfen. „Nein.“ Direkt rutschte ihr Herz tief ab. Sie hatte zu viel erwartet. „Ich habe einen besseren Vorschlag.“, begann er nur wenig später. „Wir tauschen.“ Verblüfft zog sie ihre Augenbrauen an. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Schmeckt dir deines nicht?“, stellte sie zunächst die Frage. „Doch. Allerdings schmeckt mir deines besser.“, antwortete er ruhig und blickte sie genau an. Sie biss sich auf ihre Unterlippe. Ganz schnell musste sie den Gedanken unterbinden mehr in seiner Aussage zu sehen als dort war. Und es fiel ihr unendlich schwer! Hochrot entgegnete sie seinem neutralen Ausdruck. „I-Ich weiß gar nicht wie deines schmeckt. Ist der Handel dann nicht unfair?“ Mit Mühe versuchte sie Ruhe zu bewahren. Es war schon ohnehin sehr privat gewesen an ihrem Eis zu lecken. Aber es auch noch zu tauschen hatte eine noch größere Bedeutung – für sie. Interpretierte sie zu viel hinein? Ganz bestimmt. Aber es waren die kleinen Dinge. Und es zählte für sie definitiv zu etwas, was Paare taten. Sich gegenseitig füttern und solche süßen Dinge tauschen. „Stimmt.“, pflichtete er bei, tat jedoch nichts Weiteres. „Lass uns einfach aufessen.“, verließ es ihre Lippen, welche schwach ein Lächeln formten. „Und wenn wir fertig sind, kannst du dir ja auch ein Vanilleeis holen.“ Unmittelbar veränderte sich sein Ausdruck. Sie konnte Überraschung erkennen. Hatte er also fest damit gerechnet, dass sie ihm ihr Eis gab?  Rue blickte auf sein Eis und fuhr mit seinem Schlecken fort. Hatte sie Etwas falsch gemacht?
 

Nach diesem, wieder, seltsamen Vorfall, holte sie ihre Karte heraus. Irgendetwas musste sie tun. Warum nicht die nächste Attraktion aussuchen? Und am anderen Ende des Parks machte sie Interessantes aus. Van Helsing: Festung Dracula . Das klang spannend, weshalb sie sich das als Ziel nahm. Obwohl sie die Showliste nicht vergessen sollte. Immerhin wurden einige Szenen aus Filmen gezeigt. Nein, sie war eher jemand, der sich in die Attraktionen stürzte. Also kam dies auch zuerst. „Wollen wir dann weiter?“, wandte sie sich an Rue, der sich dann als deutliches Zeichen von der Bank hievte.

Der Eingang allein sah schon gruselig aus! Shaelyn betrachtete das große Tor, welches aus dicken alten Steinen gebaut war. Zwei Schädel verzierten den Namen des Hauses. Außerdem stieg weißer Rauch an den Seiten hoch. Aufgeregt grinste sie. „Vergiss nicht ein Foto zu machen!“, rief sie ihm noch zu und lief vor.

Kaum war sie durch das Tor gegangen, erkannte man wieder die deutliche Aufteilung. Ein Mitarbeiter kontrollierte auch sorgfältig ihren VIP-Pass, ehe er sie den exklusiven Bereich betreten ließ. Getrennt von der langen Warteschlange, wartete Shaelyn geduldig auf ihren Begleiter. Der Mitarbeiter kontrollierte natürlich auch Rue und gewährte ihm ebenfalls Zutritt. Als die Leute begannen still zu stehen, weil es zu viel Andrang war, ging sie im freien Bereich weiter. Der Anblick war eigenartig. Sie kam sich wichtiger vor als all die Menschen, die das Haus ebenso sehen wollten wie sie. Dabei war sie genau einer von ihnen. Es war schön, dass sie sofort Zutritt hatten. Aber sie empfand es auch als unangenehm. Vor allem, da sie von allen Seiten angestarrt wurde. Es war dasselbe Gefühl gewesen, als sie in der Achterbahn gewesen war...

Ein weiterer Mitarbeiter stand vor dem endgültigen Eingang, der sie beide passieren ließ. Es war alles dunkel und Schreie waren zu hören. Ab diesem Punkt kreuzten sich wieder die Wege der normalen Personen, wie die der VIP-Gäste. Fahles rotes Licht wies schwach den Weg und schon von Weitem erkannte sie Schädelhaufen in einer Art Fenster. Automatisch griff sie nach Rues Hand. In der Dunkelheit und bei den vielen Leuten, die sich wie eine Schlange durch die Gänge zog, wollte sie nicht verloren gehen. Und wie es schien, akzeptierte Rue ihre stille Bitte nach Sicherheit und Führung.
 

Als der Schreck vorbei war und Shaelyn wieder frische Luft atmete, ließ sie von Rue ab. Sie lächelte vorsichtig. „Tut mir leid, dass ich deine Hand genommen habe.“, begann sie behutsam. „Und... auch, dass ich dich einmal angesprungen habe.“ Was war ihr auch anderes übrig geblieben?! Da sprang so ein komischer Typ mit gruseliger Maske aus einem Schlitz an der Wand – mit irgendetwas Großem in der Hand! Und nicht nur sie war erschrocken. Selbst Rue stand der Schock im Gesicht geschrieben. Davon abgesehen, dass natürlich auch der Rest in der Nähe zusammenzuckte und aufschrie. „Schon gut...“ Ja, er wirkte immer noch etwas mitgenommen. Das musste ihn tief getroffen haben. „Aber eigentlich war es doch lustig, oder?“, lachte sie vergnügt. Rue bedachte sie mit einem undefinierbarem Gesicht. Sein Starren war geradezu stechend. „Nein.“, kam es ausdrücklich von ihm. Jetzt konnte sie nicht mehr sagen was ihm mehr zugesetzt hatte. Die Achterbahn oder doch das Haus? In jedem Fall war es witzig ihn so zu sehen. Endlich zeigte er mal auf so vieles Reaktion. Vor allem konnte er sich auch richtig erschrecken. Fast dachte sie, er wäre dagegen immun. So gleichgültig wie er sonst tat und handelte. Aber vielleicht sollte sie ab jetzt lieber ruhigere Attraktionen besuchen, weshalb sie ins Grübeln kam. Eine Vorführung wäre jetzt vielleicht das Richtige. Zufrieden lächelte sie ihm zu. „Könntest du mir die Showliste geben? Auf den Schreck brauch ich erst mal eine actionreiche Show.“
 

Die Vorführung war schnell entschieden – und zwar die nächste, die laut Uhrzeit stattfinden sollte. Eine Szene aus dem Film Waterworld – mit der Warnung versehen, dass man in der untersten Reihe Nass werden könnte. Demnach war es besser, wenn sie die ersten Reihen nicht nahm. Doch zuvor kaufte sie sich noch etwas Zutrinken. Es war später Mittag und die Sonne brannte unaufhörlich. Ob Rue sich in dem langen Shirt überhaupt noch wohl fühlte? An ihm war keine Veränderung zu sehen.
 

Begeistert von der genialen Vorführung an Stunts und spezialen Effekten, konnte Shaelyn nicht anders als nur mitzufiebern. Die Bühne war riesig! Es wurde geschossen, Feuer brach aus – es war, als würde die Bühne explodieren! Dazu die Angreifer, die auf ihren Jetskis durchs gigantische Becken kurvten. Es war ein absolutes Highlight. So etwas hatte sie bisher nicht gesehen. Leider schien Rue daran wenig Interesse zu besitzen. Er saß neben ihr, blickte schlicht auf das Geschehen und kaute auf seinem Süßen herum, das er in wenigen Abständen aus seiner Hose fischte. Jedoch wollte Shaelyn sich nicht beschweren. Er saß immerhin neben ihr und fotografierte ein- zweimal Szenen der Show. Ob ihm langweilig war?

Als die Show ihr Ende fand, musste sie erst all das verarbeiten. Dabei war das gerade einmal eine der Shows. Und es stand mindestens noch eine Fahrt an. Ob sie all das überhaupt schafften? Es war der Nachmittag angebrochen.

Nach einer Toilettenpause und nochmals etwas zu Trinken, ging es schließlich weiter. Sie besuchten noch eine Simulationsfahrt: Zurück in die Zukunft, was natürlich abermals nicht nach Rue sein Geschmack war. Außerdem gab es noch eine Tiershow, die Spezialeffekte Vorführung, Terminator 2 3-D und allerhand Kleines. Im Großen und Ganzen hatte es Shaelyn absolut gefallen. Jetzt stünde nur eine weitere Fahrt mit der Achterbahn an – aber das machte Rue bestimmt nicht noch einmal mit und sie wollte ihn nicht draußen allein stehen lassen.

Mit Fußschmerzen setzte sie sich schließlich auf eine Bank in der Nähe. Es war bereits Abend geworden. „Ich bin schon lange nicht mehr so lange gelaufen.“, meinte sie beiläufig, während sie seufzte und vor sich blickte. Schade, dass sie mit ihm schon alles gesehen hatte. Das hieße, es ginge bald nach Hause. „Ich befürchte, du hast etwas vergessen.“, wandte sich Rue an sie, was sie gleich aufsehen ließ. Was hatte sie vergessen? „Was meinst du? …“ Direkt traf sie der Blitz. „Die Zuckerwatte!“, rief sie aus und lächelte anschließend. „Weißt du noch, wo die war? Ich meine -“ Rue stand plötzlich auf und grinste mit seinem Finger am Mund schwach. „Folge mir.“ Hatte er die ganze Zeit daran gedacht? Vielleicht sich darauf sogar gefreut? Kichernd stellte sie sich auf. „Ich hätte mir ja denken können, dass du dir so was gleich merkst.“ Jetzt war er auch wieder vollkommen anwesend. Als sie all die Shows besuchte, war er mehr ein stiller Begleiter. Warum eigentlich? Er nutzte sonst jede Gelegenheit um seine Meinung kundzutun. Ja, er war wirklich seltsam heute.
 

L führte sie geradewegs zum Zuckerwattestand. Selbstverständlich hatte er sich gemerkt, wo dieser stand und sich schon im Vorfeld Gedanken gemacht, was für eine Zuckerwatte er haben mochte. Von weitem konnte man auf dem Schild lesen, dass es zwei verschiedene Geschmacksrichtungen gab. Er tendierte zum Erdbeergeschmack. „Du hast die ganze Zeit daran gedacht, oder?“, fragte Shaelyn neugierig. Ein Seitenblick von ihm und sie lächelte breit. „Hab' ich es mir doch gedacht. Aber wenn du so gern welche haben wolltest, wieso hast du nicht eher etwas gesagt?“ Das hatte tatsächlich einen Grund. Er wollte sich das Beste bis zum Schluss aufheben – wie sonst auch. „Das Beste zum Schluss.“, war demnach seine klare Antwort, das ihr ein Kichern entlockte. Und er hatte sich eine große Portion verdient. Nach all der teils langweiligen und schockierenden Erfahrungen, brauchte er viel Zucker. Noch dazu bekam man selten die Gelegenheit Zuckerwatte zu genießen. Vielleicht sollte er Watari bitten eine Maschine zu kaufen.

Am Stand angekommen entschied sich Shaelyn schnell, was ihn ebenso dazu verleitete. Er bekam die große Portion mit Erdbeergeschmack und sie die normale kleine. Bevor er allerdings etwas von seiner Watte nahm, nahm er sich welche von Shaelyn. Empört zog sie gleich die Zuckerwatte weg und starrte auf das große Loch in der Watte. „Hey! Das ist meine! Wenn du willst kauf ich dir noch eine, aber ich wollte meine schon selbst essen. Wie gemein.“ Sie verzog ihren Mund zu einer Schnute. L betrachtete gelassen, unter kauen ihrer Zuckerwatte, ihr Gesicht. Es war Zeit in Aktion zu treten. In einem Mal legte er den Kopf in den Nacken. „Was ist das?“, meinte er ruhig und deutete nach oben. Sie folgte ohne Nachzudenken und bekam gleich von ihm in den geöffneten Mund ein Stück rosa Watte gedrückt. Erschrocken blickte sie zu ihm und versuchte die viele Watte im Mund zu bändigen. „Das sollte ein fairer Austausch sein.“, erklärte er sich und aß an seinem Zucker weiter. „Du... hättest auch was sagen können.“ „Hätte es denn etwas genutzt?“ L war sich sicher, dass sie erneut abgelehnt hätte. Exakt wie beim Eis zuvor – und er kam noch immer zu keinem Ergebnis, warum sie sein Eis abgelehnt hatte. Das hatte ihn doch auf eine Weise gekränkt. „Nein...“ Ganz wie er es vermutet hatte. Shaelyn sah verlegen beiseite und wich aus. Was sollte L davon halten?

Als Shaelyn ein weiteres Stück aus ihrer Zuckerwatte löste, nahm sie einen Lichtblitz neben sich wahr. Verwirrt blickte sie zu Rue, der die Kamera in der freien Hand hielt. Hatte er sie gerade wieder fotografiert? „Hast du eben wieder ein Foto gemacht? Das wäre echt total unfair von dir.“ Rue steckte die Kamera in die Hosentasche. „Das letzte, um genau zu sein. Und nein. Ich habe die Zuckerwatte als Motiv gewählt.“ „Hm....“, gab sie misstrauisch von sich. „Das wollen wir mal hoffen. … Zuckerwatte fotografieren...“ Shaelyn lächelte zum Ende belustigt. Wer fotografierte schon Zuckerwatte?
 

Somit fand der ereignisreiche Tag ein Ende und Watari holte sie nach einem kurzen Anruf von Rue seinem Handy ab. Hoffentlich bekam sie schnell den Film, damit sie ihn entwickeln konnte! Eventuell bekam sie so doch noch ihren begehrten Schnappschuss.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yukiko92
2013-08-31T22:23:45+00:00 01.09.2013 00:23
Argh, man möchte L einfach nur packen und ihn schütteln und ihn anschreien, er möge doch endlich was tun!!!! Die Spannung zwischen den beiden wird ja langsam so groß, bald sprühen die Funken nicht nur im metaphorischen Sinne!

Ich hoffe es geht bald weiter! Ich bin nämlich verdammt neugierig, wann er endlich kleinbeigibt^^
LG


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