Zum Inhalt der Seite

All the Wrong Reasons

... are they the Right Decisions?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die Farbe Rot

Watari war rechtzeitig fertig geworden mit der Liste. Diese Läden schlossen schon sehr früh, weshalb er Mühe hatte, alles zu besorgen am frühen Abend. Ihm war mittlerweile klar was L vorhatte und es war ein guter Einfall. Shaelyn musste man nun an Dinge heran führen, die sie in der Form nie wirklich so wahrgenommen hatte. Das Sehvermögen bildete das Wichtigste im Leben, doch täuschte es einen ebenso gut. Ihre Wahrnehmung beschränkte sich nun auf das Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken. Ihr Sinne dafür mussten entdeckt werden. Diese Maßnahme wäre früher oder später notwendig gewesen, jedoch eher Schritt für Schritt. Nun an diesem Punkt angekommen, wohl die einzige Möglichkeit, oder ein weiterer Fehlschlag.

L hatte viele Dinge ausprobiert. Das wiederholte Nachfragen, gezielte Momente in denen Worte nötig gewesen wären. Doch jedes Mal blockte sie ab, suchte die Nähe vom Detektiven auf. Sie für nichts zu begeistern. Watari war ihr nicht böse, wusste er, dass sie einen schweren Schock davon getragen hatte. Ihr Leben war nun einmal, besonders zu beginn, nicht alleine zu meistern. Oft stieß sie sich, stolperte über ihre Füße oder fand etwas nicht. Manchmal war sie regelrecht panisch wie sie versuchte das gewünschte Objekt zu finden. Direkt bahnten sich Tränen über ihre Wangen, da sie verzweifelt suchte und es dann einfach nicht fand. Die Hilflosigkeit überfiel einen, wenn man sah, wie sie sich abmühte. Auch war es in diesem Zustand nicht mehr möglich die Schule zu besuchen, weshalb Watari natürlich bereits Shaelyn abgemeldet hatte. Nun lag es an ihr, wann sie bereit dazu war, einen Kurs für Blinde zu belegen. Und es war zusätzlich bitter, da sie den Abschluss nicht erreicht hatte. Leider bestand auch keine Hoffnung darauf, dass sie je einen normalen Abschluss erreichen würde. Dennoch. Watari war guter Dinge, ihm ließ die Hoffnung nicht los und gerade das ermutigte ihn weiter. Er setzte sich selbstverständlich für seine Familie ein und diese stellte Shaelyn dar. Alleine die Tatsache, dass er sie zu sich holte und sich persönlich um sie kümmerte, zeigte eine große Aufopferung. Natürlich hätte er es auch nie tun können, wenn L dem nicht zugestimmt hätte. Die Gefahr war nach wie vor da, ganz gleich wie gering die Chance war, dass jemand davon Wind bekam. Dafür sorgte der Detektiv und auch er, dass alles Verdeckt blieb und ohne Aufsehen von statten ging. Jetzt war sie zudem noch blind und brauchte dringend Hilfe. Sie fort zu schicken wäre unmöglich. Es benötigte viel Mühe und Zeit, die er nicht immer hatte. So tat er alles in seiner Macht, was auch für ihn teilweise sehr ermüdend war. Dies bemerkte L und sorgte sich um seinen Vertrauten. Watari sollte auch einmal ein wenig Zeit für sich nehmen und zur Ruhe kommen, der Detektiv würde Verständnis haben. Watari lehnte pflichtbewusst ab, erledigte seine Aufgaben weiter und kümmerte sich so gut es ihm möglich war um seine Enkelin. Man konnte es engstirnig nennen, doch seine Prioritäten waren klar.
 

Es raschelte, wie jemand, der ein Bonbon aus seiner Verpackung holte. Das war das Erste was Shaelyn hörte, als sie aus ihrem Schlaf dämmerte. Dieses Geräusch war ihr mehr als bekannt und es zeigte, dass sie nicht alleine war. Es beruhigte sie, weshalb sie in ihrer Position liegen blieb. Die Decke war weich und kitzelte sie leicht an der Nase, da sie diese so hoch gezogen hatte. Sie fror oft, was an einer für sie unverständlichen Kälte lag. Ohne Licht fühlte sich vieles kühl an. Wie in einer stockfinsteren Nacht im Winter. Es war ihre Einbildung die ihr dies vorgaukelte, daher fühlte sie so. Sie wusste, dass sie nicht alleine war und doch empfand sie so. Und noch immer hatte sie sich nicht daran gewöhnt. Würde sie das je? Die einzigen Gedanken die sie hatte, drehten sich um ihren Zustand, was sie alles nicht tun konnte und die letzten Minuten bevor es für immer schwarz wurde. Der Mut hatte sie verlassen. Ebenso die Hoffnung und die Angst wuchs. Wenn in den drei Monaten schon so viel passiert war, was war dann mit der Zukunft? Konnte es noch schlimmer kommen? Würden die Menschen, die mit ihr zu tun hatten, auch nur noch vom Pech verfolgt? Shaelyn lebte nur vor sich her, hatte kein Interesse an der Welt, die vorher so bunt war. Hatte sie nicht alles richtig geschätzt, das wusste sie jetzt. Es war selbstverständlich gewesen zu sehen. Jetzt, nachdem all die Farben verschwunden und nur eine Erinnerung waren, trauerte sie dem hinterher. Das scheinbar natürlichste eines Menschen. Einfach die Fähigkeit Objekte mit dem Auge zu erfassen. Die Schönheit der banalsten Dinge. Wie sich die Sonne langsam über dem Meer hervorhob und sich im Wasser spiegelte. Ein Sonnenaufgang. Der Beginn eines neuen Tages. Symbolisch ein Neuanfang. Das Leben hatte seinen Rhythmus, fing alles an zu leben, wenn die Sonne ihre Strahlen über das Land schickte. War es Nacht, so schlief alles und es war still. Unendliche Stille, selbst auf den Straßen. Nur der kühle Wind pfiff. Genauso fühlte sie und es würde immer Nacht bleiben. Verloren in der Dunkelheit. Es war ihr auch gleich, ob die Gedanken, die sie hegte, nur aus Trauer und Furcht bestanden. Sie hatte das Recht dazu traurig zu sein. Und die Angst vor anderen Menschen konnte sie nicht ablegen, da sie Panik davor hatte noch mehr Schaden anzurichten. Einzig Rue war für sie etwas Anderes und hatte einen festen Platz in ihrer Gedankenwelt. Auch das nagte stark an ihr. Er hatte ihr geholfen, ihre Hoffnungen aufleben lassen. Gerade diesem Menschen hatte sie so viel Unrecht getan. All die Wochen, seit ihrem Zusammentreffen mit ihrem Großvater ließ sie Revue passieren.

Shaelyn setzte sich auf, schlug die Decke zur Seite und stand vorsichtig auf. Es war schwer für sie die Orientierung zu behalten, was man ihr deutlich ansehen konnte. So beobachtete der junge Mann sie still, bereit dazu einzugreifen, bevor sie sich wieder den Kopf anschlug. Sie musste etwas wollen, denn für gewöhnlich verblieb sie auf ihrem Platz auf dem Sofa. Ihrem nun mehr Stammplatz, da sie selten, sein eigentliches, Schlafzimmer nutzte. Das stellte keine Probleme dar, dass sie im Schlafzimmer nächtigte, da er selbst schließlich fast nie in einem Bett schlief. Würde er es aber tun, wäre sie wahrscheinlich nicht weit. Es demonstrierte ihm, wie sehr sie ihm vertraute. Nicht einen Zweifel hegte sie mehr ihm gegenüber. Wenn man es mit der vorherigen Situation verglich, ein gewaltiger Unterschied. Der nur nützlich war, auch mit ein paar kleinen Unannehmlichkeiten, mit denen er jedoch gut auskam. Mittlerweile.

„Shaelyn, kann ich dir behilflich sein?“, sprach er sie direkt an, als sie sich wieder an der Wand entlang tastete, ganz in Richtung Flur. Wie vermutet blieb eine Antwort aus, doch stoppte sie und es sah ganz so aus als hörte sie genau hin, währenddessen fuhr sie weiterhin mit den Händen an der Wand entlang. Seine schwarzen Pupillen weiteten sich etwas, nachdem sie versehentlich das Licht im Raum ausschaltete, da sie den Schalter erwischte. Nun konnte er sie nur schemenhaft erkennen und kniff daher die Augen etwas zusammen. Schließlich seufzte er auf, weil sie begann zu schluchzen. Sie fing immer an zu weinen, wenn sie etwas falsches, oder nicht beabsichtigtes tat. Und es war reichlich egal, ob es so etwas schlichtes wie das Ausschalten des Lichts war. „Beruhige dich. Das ist nicht weiter tragisch. Schalte es doch einfach wieder an.“ Seine Stimme hatte einen gewissen Unterton. Shaelyn hatte es schwer, aber es war doch noch nicht lange ein Grund für so etwas direkt zu weinen. Ehe das Licht erneut den Raum erhellen konnte, klackte es im Flur, was Watari ankündigte. Augenblicklich schreckte die Schwarzhaarige auf und sie ging auf allen Vieren auf dem Boden, worüber sie sich vorsichtig voran tastete. Mehr oder Minder in seine Richtung. Shaelyn müsste nur ein Wort sagen und er würde ihr helfen, da sie jedoch nicht dazu bereit war, unterließ er es, besah lieber die ganze Szene mit einem kritischen Blick.

Im Flur wurde es hell und erleuchtete schwach das Wohnzimmer, da die Türe offen stand. Somit konnte L genau sehen, wie sie über dem Teppich zu ihm gekrabbelt kam, schien sich aber Uneins zu sein, ob sie die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Als sie dann allerdings drohte sich an der Tischkante zu stoßen, stellte er sich mit einem Bein auf den Boden, lehnte sich vor, während er seinen Arm ausstreckte und legte seine Hand auf ihren Kopf. Sie erstarrte in ihrer Bewegung und blickte automatisch zu ihm hoch, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte. „Ryuzaki. Ich habe die...“ Watari stoppte, nachdem er das Wohnzimmer betrat, stellte erst einmal die Lampe an und besah die Situation. Der Angesprochene starrte daraufhin sofort zu seinem Vertrauten, zog währenddessen seine Hand zurück. „Ich habe die benötigten Dinge alle besorgen können.“, beendete Watari mit einem milden Lächeln. „Wunderbar.“, kam es sofort zurück und gleich wandte er seinem Blick wieder kurz Shaelyn zu, welche regelrecht zur Statue versteinert war und noch immer am Boden verweilte. „Bringen Sie alles rein und legen Sie es auf den Tisch.“ L lehnte sich wieder auf seinem Sessel zurück, dabei nahm er aus den Augenwinkeln wahr, wie Shaelyn sich regte. Nun würde sich zeigen ob seine Idee zu etwas zu gebrauchen war. Aber er war ganz zuversichtlich.
 

Als Watari alles nötige in den Raum trug, hatte sie sich schon bei dem jungen Mann buchstäblich um den Hals geworfen und kauerte hinter ihm auf dem Sessel. Nichts Neues, wenn sie nicht orten konnte was die ganzen Geräusche bedeuteten. Der Detektiv hatte sich damit abgefunden als Schild zu dienen. Denn genau danach sah es aus. Sie versteckte sich hinter ihm, zog dabei an seinem Shirt. Und je mehr es raschelte, knisterte und die Schritte durch den Raum hallten, umso kleiner machte sie sich hinter ihm. L hockte jedoch weiterhin unbekümmert auf dem Möbelstück, knabberte an seinem Daumen und beobachtete Watari, wie er alles hinein trug und auf den Esstisch bereit stellte. Indessen legte der Schwarzhaarige sich seinen Plan zurecht, strich dabei nachdenklich über seine Unterlippe.

„Es liegt alles bereit, ich werde Sie dann alleine lassen.“, riss es L aus seinen Gedanken und er stierte den alten Mann daraufhin an. „... Ja, haben Sie vielen Dank.“ Und gleich darauf war er wieder mit ihr allein und nur das leise Geräusch des Laptoplüfters war zu hören. Nach einer Ewigkeit, wie es schien, erhob sich L einfach und sie kippte fast vornüber und gluckste überrascht auf. In einer normalen Situation hätte sie ihn wohl nun wieder angebrüllt, doch blieb es still. Nicht, dass er es unbedingt provozieren wollte, dass sie sich beschwerte... obwohl. Wer wusste schon genau was seine Absichten waren. Denn das fragte sich Shaelyn. Natürlich war ihr aufgefallen was er alles versuchte. Allerdings wollte sie einfach nicht mehr sprechen, hatte zusätzlich Angst falsches zu tun. Konnte man sie denn nicht verstehen? Furcht beherrschte sie. Shaelyn hatte das Gefühl nur alles zu verschlimmern, wenn sie wieder sprach.

Es knisterte und raschelte, was sie verwirrte. Das Geräusch war ihr unbekannt und sie versuchte es einzuordnen. Eine Plastiktüte, aus der man den Einkauf räumte? Nein, es klang ganz nach Papier. Und die Frage kam auf, was denn nun bereit gestellt war. Ein erneuter Versuch sie zum Reden zu bringen? Es wurde still im Raum und sie bekam leicht Panik. Konnte sie nicht ausmachen was es war und wo Rue war. Sie tappte bekanntlich ins Dunkeln.

Plötzlich schreckte sie hoch und drückte sich in den Sessel. Da hatte sie etwas Kühles an der Nase berührt. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust - saß der Schock tief. Was war das gewesen? Und Rue hatte noch immer nichts gesagt. War er das gewesen? Wer sollte es sonst gewesen sein. Sie war alleine mit ihm. Dann nahm sie einen Duft wahr. Es roch schwach nach Pfefferminz. Shaelyn zögerte, doch der Geruch nahm stark zu. Ja, es war Pfefferminz. Langsam hob sie ihre rechte Hand. „Nicht anfassen. Nur Riechen.“, war es urplötzlich zu hören und sie hielt inne, senkte die Hand wieder. Jetzt wusste sie schon einmal, dass Rue da war. Und er probierte etwas Neues. Etwas, was sie nun doch ein wenig neugierig stimmte. Denn je mehr Zeit verging, wurde sie unruhiger, begann zu zittern. Rue sagte ihr nicht was es war. Rein gar nichts kam von ihm. Zaghaft lehnte sie sich vor, roch stark das Pfefferminz. Sehr angenehm, weshalb sie aus Reflex die Augen schloss und den Duft weiter einsog. Dann war der Geruch weg und sie zog die Augenbrauen zusammen, offensichtlich gefiel ihr der Umstand nicht. Fragte sie sich gleichzeitig was das sollte. Zuckte sie unerwartet zusammen, da er ihre Hand von ihrem Schoß nahm und sie hochzog, sodass er sie vom Sessel zerrte. Beinahe stolperte sie, als sie die Füße auf den Boden setzte, weil alles viel zu schnell ging. Rue ließ von ihr ab, nachdem sie stand und sie war unsicher was sie tun sollte. „Setz dich doch.“ Direkt kam sie seinen ruhigen Worten nach und machte es sich auf dem Teppichboden bequem. Nervös begann sie an ihren Fingern zu spielen, presste die Lippen aufeinander. Shaelyn blieb hartnäckig, obwohl sie zu gern gewusst hätte, was er plante. Ob er es ihr überhaupt sagen würde, wenn sie nachfragte? Das alles schien ihr irgendwie verrückt. Wie Rue selbst eben war.

„Folgende Spielregeln.“, fing er etwas nachdenklich an, woraufhin sie aufmerksam zuhörte. „Du fasst nichts an, außer ich erlaube es dir.“ Shaelyn nickte schwach. Weshalb sie dies alles mitmachte war offensichtlich: Neugierde. „Wenn du mir verrätst wie es riecht, sage ich dir was es ist. Tja, ansonsten bleibt das mein kleines Geheimnis. Das ist schon alles.“ Sein Tonfall bekam ihr gar nicht. Etwas überheblich, als sei ihm der Sieg sicher. Was dachte er eigentlich? War es ihm so wichtig, dass sie jetzt reden würde? Aber sie traute sich einfach nicht.

Ihre Gedanken wurden abgeschnitten, da schon der nächste Atemzug einen weiteren Duft in sich trug. Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen. Hielt er ihr eine Zitrone unter die Nase...? Nein. Es war ein leichter Hauch, eher angenehm als zu stark. Dennoch sagte sie nichts, behielt ihre Erkenntnis für sich. Um was es sich aber genau handelte, konnte sie nicht ausmachen. Noch nicht, denn plötzlich roch es nach... Frühling. Ein zarter Duft erfüllte ihre Nase und sie seufzte kurz. Frühling. Ein Park. Blumen. Shaelyn stockte. Das war es! Es mussten Blumen sein! Als dann Yasmin Aroma intensiv wahrzunehmen war, hatte sie keinen Zweifel. Streckte Rue ihr also Blumen entgegen? Oder war es einfach nur ein kleines Säckchen, gefüllt mit diesen Gerüchen? Das konnte nicht sein. War es doch kühl an ihrer Nase gewesen. Lagen also verteilt im Raum Blumen? Es musste ein buntes Bild abgeben, welches sie nur zu gern gesehen hätte...

Shaelyn ließ ihren Kopf hängen, kämpfte mit sich, um nicht erneut zu weinen. Ls Plan schien nicht sonderlich aufzugehen, mehr ging er nach hinten los. Frustriert verzog er seinen Mund, senkte seine Hand und legte die Blume nieder. Es war aussichtslos, zumindest für diesen Zeitpunkt. Vielleicht würde sie schlichtweg nur Zeit benötigen. Zeit, welche ihm nicht blieb. Er konnte sie nicht für immer an seiner Seite haben. Von Beginn an war es ein bestimmter Zeitrahmen. Nun war alles anders verlaufen.

Sie bewegte sich urplötzlich, lehnte sich vor und wollte ihre Hände auf dem weichen Boden abstützen. „Vorsicht!“, rief er erschrocken aus, doch schrie sie schon im nächsten Moment kurz auf. Natürlich hatte sie nicht sehen können was vor und neben ihr lag. Etwas Blut tropfte auf den Fußboden, hinterließen Flecken im Teppichboden. Sie hielt ihre Hand hoch, sammelten sich schon Tränen in ihren Augenwinkeln. L schob den kleinen Weg frei und griff nach ihrer Hand. Geradewegs hatte sie ihre Hand in die Dornen einer Rose gedrückt. L besah sich die kleinen Stichwunden, welche nicht sehr tief schien, dennoch schwach bluteten.

„Warum... machst du das?“, war ihre zerbrechliche Stimme leise zu hören und er hob unvermittelt seinen Kopf, starrte in ihr trauriges Gesicht, sah die salzigen Spuren auf ihrer Wange. Zu lange hatte er keine Laute mehr von ihr gehört, sodass ihm nur mehr auffiel wie brüchig sie klang. „Ich helfe dir.“, antwortete er nüchtern, obwohl es ihm im Moment erfreute, dass sie tatsächlich gesprochen hatte, merkte man ihm dies überhaupt nicht an. Auch wenn sein Triumph so nicht beabsichtigt war, hatte er dennoch Erfolg. Und alleine das zählte für ihn.

Shaelyn zog ihre Hand ruckartig aus den seinen. „Mir kann niemand helfen! Für immer werde ich nichts sehen! Alles verschwommene Erinnerungen, genau wie meine Familie!“, schrie sie verzweifelt und ließ ihren Gefühlen und Gedanken freien Lauf. L zuckte merklich zusammen bei ihrer heftigen Reaktion. Nun, sie hatte ihre Stimme wenigstens wieder gefunden. „Keiner kann mir mein altes Leben zurückgeben... Weißt du überhaupt wie schwer es für mich ist?! Ich kann fast nichts alleine. Bin ständig auf Hilfe angewiesen! Ich will das nicht! Warum lässt du mich nicht einfach so sein wie ich jetzt bin?! Mir wurde so viel genommen und ich habe Angst was Morgen passiert... was habe ich schon für eine schöne Zukunft!“ Sie weinte einfach nur noch, vergrub ihr Gesicht in ihre Hände, vergaß die kleinen Wunden an ihrer Hand.

Augenblicklich wurde es ruhig im Raum. Kalte Finger berührten ihre Handrücken, gleich auch zog er vorsichtig ihre Hände von ihrem Gesicht, hielt diese fest. Es beruhigte sie, denn es war eine angenehme Kälte, weil sie spüren konnte, dass er da war. Sie lauschte in die Stille, erwartete seine tiefe Stimme. Stellte sich seine Augen vor, wie diese sie anstarren mussten. Dann, urplötzlich musste sie glucksen, kicherte für einen winzigen Moment. Pandaaugen. Groß, rund und dunkel. Die jedoch einen solchen Abgrund darstellten und schier ohne Emotion waren, dass es sie wieder zum Schweigen brachte. Dennoch wollte sie gerne diesem Blick begegnen. „Was ist?“ Es war etwas Verwirrung heraus zu hören. Langsam zog sie eine Hand aus der seinen, streckte sie ihm entgegen, traf mit ihrer Fingerspitze auf seine Nasenspitze. Rue zuckte nicht zurück, war er längst daran gewöhnt, dass sie ihn berührte, weshalb er entspannt blieb. „Ich musste nur ...“ Sicherlich würde er es falsch auffassen, wenn sie jetzt sagte, dass es wegen seinem Aussehen gewesen war. „an etwas seltsames Denken.“ Offensichtlich gab er sich damit zufrieden, weshalb es ruhig blieb. Seltsamerweise zog er seine andere Hand nicht zurück, was ihr stark zu denken gab. Es war als würde er auf seine Weise etwas sagen. Nur verstand sie leider nicht was er ausdrücken wollte. Vielleicht war es auch keine besondere Geste.

„Rue?“ Ihre Stimme war ein kleiner Hauch, welcher ihr sanft über die Lippen kam. „Hm?“, folgte es prompt sehr nachdenklich, so als zerbrach er sich über eine Sache stark den Kopf. Augenblicklich stellte sich ihr die Frage, was ihn nun so beschäftigte. Da fiel ihr auf wie wenig sie sich bisher Gedanken über so etwas gemacht hatte. Gab es denn nur einen Augenblick indem sie ihn gefragt hatte was er dachte? Was er wollte? Das alles kam ihr plötzlich absurd vor. Es hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt wenig gekümmert, nicht einmal kam dieser Gedanke auf. „Es tut mir... leid.“, räumte sie nun schüchtern ein, ließ von seiner Wange ab. „Was tut dir leid?“ War er etwa überrascht? Es klang ganz danach. „I-Ich habe nicht einmal richtig an dich gedacht.“ Stockend kamen ihr die Worte über die Lippen, bemerkte man deutlich die Befangenheit. „Warte! Lass mich ausreden!“, rief sie aus, als sie schön hörte, wie er Luft holte um wahrscheinlich die nächste Frage zu stellen. „Wie soll ich es sagen... Ganz am Anfang als ich dich kennenlernte, da habe ich wirklich Horrorvorstellungen gehabt. Das war eine ganze Zeit so, dann habe ich dich besser kennen gelernt. Du warst dann ganz okay, aber ich hatte trotzdem noch einige Zweifel an dir. Was ich eigentlich sagen will. Meine ganzen Zweifel waren totaler Schwachsinn, die gesamte Zeit über. Du hast mir so furchtbar doll geholfen... und ich habe dich nur auf dein Aussehen reduziert. Klar, du bist wirklich schwer zu verstehen, treibst mich zum Wahnsinn und ich weiß nicht wieso du so wenig Gefühle zeigst, aber ich freue mich jetzt sehr darüber, dass du da bist. Egal welche Hintergedanken du dir jetzt machst, was du als nächstes planst um mich verrückt zu machen, werde ich ab jetzt mein Bestes geben um dir den Umgang mit mir zu erleichtern. Ich hab' dich wirklich sehr gern und ich habe das Gefühl, dass es mir leichter bei dir erscheint. Wahrscheinlich weil du mir eben so viel geholfen hast. Und ich deswegen eben auch so an dir hänge. Aber... aber...“ Erneut bahnten sich Tränen ihren Weg und ihre Sprache versagte stockend, doch fand sie ihre Stimme wieder, sprach nun all das aus was sie belastete. „... ich habe Angst, dass alle Menschen die mit mir zu tun haben was Schlimmes passiert! Deswegen habe ich nicht gesprochen! Ich will das nicht... Ich habe Angst davor, dass dir wegen mir vielleicht auch schreckliches zustößt! Rue, hörst du?! Du bist mir furchtbar wichtig geworden! Ich mache mir Gedanken wie du darüber denkst, mich vielleicht nicht magst, weil ich so bescheuert bin. Ständig hatten wir uns gestritten, ich habe dir Vorwürfe gemacht und das nur weil ich nicht meinen Mund gehalten habe. Lass mich bitte nicht alleine und ... und ich würde dich unheimlich gern noch einmal sehen.“ Ihr Atem hastete, das Herz hörte nicht auf schier wie wild zu klopfen. Shaelyn war aufgeregt, hatte sich alles von der Seele geredet und ihren Gegenüber damit praktisch erschlagen. Aber sie wollte, dass er wusste was er ihr bedeutete. Das sich alles verändert hatte. Schon seit Rue sie gerettet hatte, war ihr Bild von ihm was vollkommen anderes. Ein besonderer Bezug verband sie nun mit ihm. Er war für sie mehr als nur ein guter Freund geworden.

„...“ L stand etwas der Mund offen, versuchte die eben gesagten Informationen zu verarbeiten und richtig einzuordnen. Da spürte er einen leichten Druck an seiner Hand, was ihn aus seiner Starre riss. Erschrocken zog er sie zurück, hielt sie sich mit der Anderen, starrte in das nun verschreckte Gesicht von Shaelyn. „Rue? Alles okay?!“, war es zu hören, wich er umgehend zurück als sie nach ihm greifen wollte, krabbelte zur Seite, sodass sie aus der Reichweite war. Auf allen Vieren verweilte er auf dem Boden, wie eine Katze auf der Lauer, hatte die Augen weit aufgerissen und fixierte mit diesen Shaelyn. Es hatte ihn tatsächlich völlig aus der Fassung gebracht. Verstand er nicht recht was sie alles genau ausdrückte, hinterfragte ihre Worte, fand keinen eindeutigen Schluss. Und er wusste nicht darauf richtig zu reagieren. Nicht all ihre Worte hinterließen Fragen, es war der letzte Abschnitt, der ebenso ehrlich gesprochen war, wie all das was sie gesagt hatte. Es gab einen Grund weshalb er nun wie ein verschrecktes Tier wirkte: Die Furcht vor sich selbst. Das, was in einem Moment ihrer Worte geschehen war. Wie ein Auslöser, der so viele Schalter umklappte, dass es ihn überrollte. L hatte nur eine Schwäche - er selbst. Seine Menschlichkeit, welche er gut verschloss, genau aus diesen Gründen. Er war schon nachlässig mit sich umgegangen, hatte er zugelassen, dass er sie mochte. Oder konnte man so etwas überhaupt aufhalten? Seine Reaktion war eindeutig und für wohl einige recht überzogen, wusste er nur nicht was er darauf exakt antworten oder wie er agieren sollte.

„Dir ist klar, was du eben gesagt hast?“ L harkte nachdrücklich nach, war seine Äußere Maske nicht von der sonstigen zu unterscheiden. Innerlich war es jedoch das genaue Gegenteil. „Habe ich was Falsches gesagt? Tut mir leid! … Genau deswegen wollte ich auch nicht sprechen.“, nuschelte sie zuletzt traurig, wischte sich die frischen Tränen von den Wangen. „Ich muss nachdenken.“, verließ es sachlich seinen Mund. „Bitte geh nicht!“, warf sie sofort ein. „... Du bist für mich wie ein Bruder! Was ist daran falsch?“ Abrupt stoppte der Detektiv in seinen komplexen Gedankengängen.

Bruder.

Dieses Wort wiederholte sich unzählige Male in seinem Kopf. Das war die Lösung. So einfach. Eindeutig hatte er zu weit gedacht. Es war erleichternd, zugleich schmerzvoll. Er war von sich selbst getäuscht worden. Da steckte Ironie dahinter. Auch wenn er selbst nicht viel davon verstand und der Humor nicht sonderlich ein Teil seines Ichs war. Aber er hatte es geschafft sich selbst nicht nur ständig zu belügen, sondern auch sich jetzt darüber auszulassen wie weit seine Gedanken vor reichten. Er hatte wichtige Dinge nicht durchdacht. Nein ihm war nicht dieser Gedanke gekommen. Tiefe Freundschaft. War es nicht das, was man zuerst vermuten würde? Und er hatte sich an eine ganz andere Version festgebissen. Irgendwie ... belustigend. Ganz klar trockener Humor. Es war an der Zeit sich einer Selbstanalyse zu unterziehen. Aber schon jetzt dämmerte es ihm, was ihm ganz und gar nicht bekam.

„... Bist du noch da, Rue?“ „Nein.“ Shaelyn zog ihre Augenbrauen zusammen, was ihr einen verwirrten Ausdruck verlieh. „Sollte das witzig sein?“ „... Ein Versuch war es wert.“, sprach er trocken, woraufhin sie schmunzeln musste. Kein Wunder, bei diesem kläglichen Versuch. „Du bist nicht besonders begabt darin spaßig zu sein, Rue...“ „Ich weiß.“, erhielt sie die knappe Antwort. „Darf ich dich etwas fragen?“, kam es zögerlich von ihr, nach einer kleinen Stille. „Nur zu.“ „Naja es ist etwas persönliches...“, fügte sie an und wartete auf seine Worte. Jedoch kehrte Ruhe ein, was sie als ein stilles Ja erachtete. „Was ist deine Lieblingsfarbe?“ Überrascht über diese seltsame Frage, kräuselte sich seine Stirn. „Hm...“ L legte seinen Daumen gewohnheitsmäßig an seinen Mund, grübelte er über diese Frage, begab er sich auch wieder in seiner typischen Sitzposition. „Warum willst du das wissen?“, stellte er stattdessen die Gegenfrage, blickte dabei wieder zu ihr hinüber. „Ich möchte gerne mehr von dir wissen. Du erzählst nichts von dir und ich frage dich auch nicht nach deinem Namen, oder deinem Alter, sondern etwas ganz harmloses, oder? Das darf ich doch, oder?“ Er schien sich seine Antwort genau zu überlegen, ehe er sprach: „... Einverstanden. Ich schätze ... weiß.“ Immerhin hatte er sich nie Gedanken um solche Dinge gemacht. War es auch nie von Belang gewesen. „Weiß... das ist eine schöne Farbe. Licht... Vollkommenheit und Reinheit.“ Shaelyn kicherte daraufhin leicht, zog die Beine an ihren Körper und legte ihren Kopf auf ihre Knie. „Das passt nicht zu dir, Rue. Hätte Grau eingeschätzt. Sachlich eben...“ „Kann ich aus deinen Schlussfolgerungen entnehmen, dass du dich mit Farben auseinander gesetzt hast?“, folgte es ein wenig interessiert. „Ja... Ich hatte mal als kleines Mädchen ein Bilderbuch bekommen. Ganz viele bunte Farben und zu jeder Farbe stand ein Wort darunter. Dann hatte ich Mum gefragt, wieso da so was steht und sie hatte mir gesagt, dass jede Farbe eine Bedeutung in sich trägt. Fand' ich wirklich toll, weshalb ich später danach geschaut habe. … Welche Farbe hat die Rose? Es war doch eine... die mich gestochen hat?“ Einen Moment brauchte es, ehe der Schwarzhaarige antwortete: „Rot.“ „Rot ... gibst du sie mir bitte?“ L setzte sich ihr wieder gegenüber, durchsuchte zu seiner Seite den bunten Blumenhaufen, ehe er die gewünschte Blume herauszog und ihr dann auch schon reichte. So nah, dass er ihr diese unter die Nase hielt. Der unvergleichliche Duft breitete sich aus, weshalb sie nur noch mehr die Luft einzog. Vorsichtig nahm sie L die Rose ab, berührte dabei seine Hand flüchtig. „ Mut. Stärke. Leidenschaft. Liebe... aber nur die rote Rose bedeutet Liebe. Meine Lieblingsfarbe... und auch Blume.“ Sie lächelte schwach, hielt sich weiter die Blume unter die Nase.

L blickte Shaelyn an, sah wie sie genüsslich den Duft in sich aufnahm. Das seichte Lächeln auf den Lippen. Die entspannte Körperhaltung. Für diesen Augenblick schien sie alles zu vergessen. So etwas Simples erfreute sie, das man ihr ganz offen ansah. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass in Zukunft alles besser verlief.
 

Das Klingeln eines Handys riss beide aus ihrer Trance. Direkt holte L das Mobiltelefon aus seiner Hosentasche und nahm den Anruf entgegen. Und kurze Momente später weiteten sich die Augen Ls, er begann unverzüglich auf seinem Daumen zu kauen. Wenige Worte waren gewechselt worden, ehe der Detektiv auflegte und sich auf seinen Zügen ein kleines Lächeln bildete. „Gute Neuigkeiten, Shaelyn.“ Hellhörig geworden spitzte sie die Ohren. „Watari wurde soeben vom Klinikleiter kontaktiert...“, begann er und ihre Spannung stieg ins Unermessliche, da er das Wort ‚Klinikleiter’ erwähnt hatte. „Es bestünde die Möglichkeit einer Transplantation.“ Auf der Stelle hielt sie den Atem an, ließ die Rose zu Boden fallen. „Ich könnte wieder sehen?“, kam es ihr zittrig über die Lippen. „Ja, allerdings - “ Shaelyn achtete gar nicht mehr auf seine weiteren Worte, sprang fast aus der Sitzposition nach vorn und fiel ihm euphorisch um den Hals, dabei riss sie ihn zu Boden und drückte ihren Kopf gegen seine Brust. „Das ist ja unglaublich!“, rief sie überglücklich aus, rieb ihre Wange an seinem Oberkörper. Dann jedoch spürte sie wie verkrampft Rue war. „Was ist los, Rue? Alles in Ordnung?“ „Schon gut.“ „... Warum verkrampfst du dich so? Du hast dich doch schon daran gewöhnt, dass ich an dir hänge?“, sprach Shaelyn sofort leicht konfus aus, nahm auch ein wenig Abstand von ihm, indem sie sich vom Boden abstützte. Eine Antwort blieb aus, was ihre Verwirrtheit nur weiter steigerte. „Du bist seit vorhin irgendwie komisch...“, merkte sie an und traf damit voll ins Schwarze. Und wieder blieb es still, nur wurde sie plötzlich an den Armen gepackt, weshalb sie kurz Auf quiekte. Der Körper unter ihr richtete sich langsam auf und schob sie dabei weiter zurück, sodass sie schließlich saß. „Ich will, dass du in Zukunft Abstand zu mir nimmst. Das ist schon alles.“ „Was? Aber warum denn?“ „Hast du das mit deinem Bruder auch getan?“ Diese Frage brachte sie zum Stutzen. Was hatte das damit zu tun? „Sicher. Und das auch immer mal...“, begann sie fröhlich, hob eine Hand, die sie an seine Wange legte und sich kurzerhand vorbeugte. Sachte legte sie ihre Lippen auf seine kühle Wange, wurde leicht von seinen Haaren an der Nase gekitzelt. „Vielen herzlichen Dank, Rue. Für alles.“, flüsterte sie liebevoll fast in sein Ohr.



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  UndertakerLover
2010-11-21T18:55:56+00:00 21.11.2010 19:55
°A° *sprachlos ist*
DU BIST WUNDERBAR >x< *umrenn*
Das ist bis jetzt die beste Death Note FF die ich gelesen hab.
Man merkt das du dich mit L befasst hast um seinen Charakter so gut es geht zu treffen.
Wah ich wein gleich vor Glück Q.Q!
Shaelyn ist ein sehr..interessanter Charakter xD!
Ich kann das neue Kapitel kaum noch abwarten >o<!


Zurück