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Das Maleficium

von

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Brynja blickte ihn immer noch voller Argwohn an. Das nun wieder ungefiltert auf sie fallende Licht der Glühdrahtlampen erschien ihr einen Moment lang unangenehm hell. Ihr Gegenüber blickte jetzt zu Boden, und seine nunmehr teilnahmslose Miene machte einen abwesenden Eindruck, geradeso, als rechne er gar nicht mehr mit einem Angriff seiner Gegnerin, mit der er sich doch eben noch einen Kampf auf Leben und Tod geliefert hatte.

„Ich will das Maleficium finden… der Mörder meines Vaters hat es jetzt. Ich werde ihn finden, und dann werde ich ihn rächen.“

Unter der Oberfläche seiner Stimme loderte ein brennendes Verlangen nach Genugtuung, die nach außen aber wie die eines Kindes klang, das von dem Bedürfnis geleitet wurde, einem ihm zugefügten Schmerz mit seinem Schutzbefohlenen zu teilen. Er blickte sich verloren um, als hätte er wenig Hoffnung, diesen Schutzbefohlenen, aus dessen Obhut er auf ungewollte Weise entkommen war, zu finden. Dann änderte sich seine Miene völlig, und Brynja sah erstaunt mit an, wie der eben noch weinerlich wirkende junge Mann überheblich grinste. „Dann suchen wir halt gemeinsam“, sagte er mit fester Stimme und legte sich sein Schwert auf die Schulter. Dabei schenkte er Brynja ein einnehmendes Lächeln, was diese mit einem Stirnrunzeln erwiderte. „Wir beide sind es ihm schuldig, als Bürger von Lichtenfels“, rief er nun mit feierlichem Klang, der kaum glauben ließ, dass er sich mit der Person, an die er diese Worte richtete, vor Momenten noch einen erbitterten Kampf geliefert hatte.

„In Ordnung…“, erwiderte Brynja leise und voller Zurückhaltung. Hargfried nickte ihr lächelnd zu, dann setzte er sich in Bewegung und durchschritt den Durchlass im Gitter, das den vorbeifließenden Strom teilte. Brynja folgte ihm mit mehreren Schritten Abstand und ließ ihn dabei keinen Moment aus den Augen. Sein Gang war federnd und unbeschwert; er schien sich keiner Gefahr bewusst, sondern anzunehmen, dass sie sich an ein Versprechen gebunden fühlte.

Brynja folgte ihm und wog dabei die Argumente gegeneinander ab, ob sie ihn hinterrücks zu meucheln versuchen sollte, oder ob sie dies nicht besser auf später verschob, um solange seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dann erinnerte sie sich wieder an ihr unerklärliches Unvermögen, ihn zu töten, als Gelegenheit dazu war, und dass ihn allem Anschein nach das gleiche rätselhafte Unvermögen erfasst hatte. Sie betastete ihren Escutcheon, von dem diese seltsame Erscheinung ausgegangen war, wie sie schwören hätte mögen, und rief sich das bruchstückhafte Wissen, das sie über das Maleficium hatte, in Erinnerung.

Fürs Erste werde ich ihm trauen, sagte sie sich, auch wenn er augenscheinlich dem Irrsinn nahe ist. Und so folgte sie ihm durch dieses Gewölbe, dessen Rauschen stärker wurde, und aus dem ihnen eine frischere Luft als zuvor entgegenwehte. Sie hörte dabei seine flüsternden Monologe, von denen sie kaum etwas verstand, die aber genug aussagten, um ihr seinen aufkeimenden Wahnsinn deutlich zu machen.
 

Das ungewohnte Gewicht schmerzte ihn bald in der Hand, also nahm Dorian das Schwert der toten Palastwache in die andere. Immer noch hetzte er hinter Iria und Nadim hinterher und lauschte während des Laufens auf die Geräusche ihrer Verfolger. Doch seine eigenen Schritte übertönten das vorhin noch wahrnehmbare Geräusch, und so wagte er es keinen Moment, stehenzubleiben.

Iria lief voran, Nadim folgte ihr dicht auf den Fersen. Dorians Blick wechselte immer von den beiden zu dem Schwert, das er nun trug. Die Stimme der Vernunft riet ihm, es wegzuwerfen, doch seine erneut hochwallende Furcht, die ihm wie aufsteigende Galle im Rachen brannte, wehrte sich gegen diesen Gedanken. Das Wissen, etwas Furchtbares getan zu haben, breitete sich wie lähmender Nebel in seinem Verstand aus, und er kämpfte darum, in diesem Nebel nicht die Orientierung zu verlieren. Das Schwert in seiner Hand war das Einzige, an das er sich in diesem Nebel festhalten konnte, und der von seiner Angst geleitete Entschluss, es nicht wegzuwerfen, machte es ihm leichter, das stärker werdende Schuldgefühl zu unterdrücken. Ihm war tatsächlich so, dass seine Tat weniger schwer drückte, wenn er den Gegenstand, der zuvor solch eine Bedrohung gewesen war, vor Augen behielt, wie als stumme Rechtfertigung für seine Tat.

„Sind sie immer noch hinter uns her?“ rief ihm Iria zu. Ein gutes Stück vor ihm machten sie und Nadim Halt, nicht nur, um auf Dorian zu warten, sondern auch, um sich in diesem Labyrinth aus gleichförmigen Gewölben und Kanälen, in denen Brackwasser in breiten Becken plätscherte, zu orientieren.

„Keine Ahnung“, ächzte Dorian, der atemlos bei ihnen stehenblieb. Er stützte sich auf seine Knie und wartete, bis sich seine Lungen wieder ohne Schmerz füllten. Dabei hielt er das Schwert in der Linken. Selbst jetzt brachte er es nicht über sich, es loszulassen, als würde dies seine Tat noch verschlimmern.

„Hier finden wir nie raus“, sagte Nadim mit verzagter, schwacher Stimme. In geduckter Haltung und mit nervösen Bewegungen ließ er den Blick über die einzelnen Möglichkeiten der Gabelung, an der sie nun standen, schweifen. Dabei machte er auf ihn den Eindruck, als sähe er sich von ihren Häschern längst umringt, als gäbe es in Wahrheit gar keine Chance mehr zur Flucht.

„Sie scheinen unsere Spur verloren zu haben.“

Aus Dorians Stimme klang vorsichtiger Optimismus, und er lauschte mit offenem Mund nach den Schritten, die sie zuvor gehört hatten. Doch nun vernahmen sie nur noch das gleichmäßige Plätschern des Kanals neben ihnen, sowie das Rauschen des Blutes in ihren Ohren, das von ihren immer noch pochenden Herzen durch ihre Körper gejagt wurde.

„Na dann, da haben wir wohl noch mal Glück gehabt“, sagte Iria mit so leiser Stimme, als scheute sie sich, die Stille mit ihren Worten zu durchbrechen.

Dorians Atem hatte sich wieder beruhigt, er hatte auch seine Gedanken wieder soweit unter Kontrolle, dass er eine Entscheidung, was die Abzweigung betraf, fällen konnte. Er ging voraus, und die beiden folgten ihm.
 

„Das war wohl nichts“, schnaubte Iria. Dorian stand vor dem Gitter, durch das der Strom trüben Wassers ungehindert durchfloss, das aber keinen Durchgang für sie bot. Als würde er an ihrer Echtheit zweifeln, so zerrte er probeweise an den Stäben. Doch sie rührten sich nicht. Eine jähe Erinnerung an die Gitterstäbe in dem großen Saal, die sie damals endgültig von Gaubert und den anderen getrennt hatten, kam ihm, woraufhin er sie abrupt losließ.

„Wir werden es woanders probieren“, sagte Dorian mit fester Stimme, wie um sich selbst und den beiden neuen Mut zu machen. Er zwang sich, weite, sichere Schritte zu machen, die von der schrecklichen Erinnerung an den Kampf zuvor ablenken sollten. Das trübe Licht der vereinzelten Glühdrahtlampen vergönnte ihm nur eine kurze Sichtweite. Mit jedem Schritt wich das Dunkel vor ihm zurück und hinterließ eben jene fahl beleuchteten Gemäuer, durch die sie die ganze Zeit schon irrten.

Früher schon hatte er gespenstische Geschichten über das Kanalsystem tief unter der Stadt gehört und von den armen Seelen, die sich dort unten verlaufen hatten. Doch dass er nun selbst zu diesen gehörte, versetzte ihm einen Kloß im Hals und lähmte seine Gedanken, die er vorher schon nur mit größter Mühe wieder zum Fließen gebracht hatte. Einen kurzen Moment lang vermisste er jene Klarheit und Selbstsicherheit, die ihm in dem Kampf mit der Palastwache unerwartet überkommen war, doch im selben Moment mischte sich die Erinnerung an den toten Körper und das Blut auf seiner Klinge dazu, und er schob diesen Gedanken wieder von sich. Aus Trotz dazu beschleunigte er seine Schritte, um aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen- als sich eine Gestalt aus dem trüben Zwielicht schälte.
 

Es war eine einzige Person, die ihnen in dieser Sackgasse entgegenkam und ihnen so den Weg abschnitt. Dorian erstarrte, wodurch Nadim und Iria in ihn hineinliefen. Dann machten sie dieselbe Beobachtung wie er. Dorian spürte, wie sich ihre Finger in seine Schultern krallten, während sie über diese hinweg die Gestalt sahen, die ruhigen Schrittes auf sie zukam.

Dorians Herz schlug schmerzhaft heftig, beinahe vergaß er auf das Atmen. Wie ein Fisch öffnete er den Mund und schnappte nach Luft. Seine Augen fixierten die Person, die weder Gaubert noch einer seiner anderen Freunde sein konnte. Dafür war diese Gestalt zu groß, war der einzige Gedanke, den er in diesem Moment fassen konnte.

Er spürte, wie Iria und Nadim seine Schultern losließen, hörte, wie sie hinter ihm zurückwichen, und wollte ihnen schon folgen. Doch der jähe Gedanke, dass sie in einer Sackgasse waren, drängte sich zwischen seine Furcht und sein Verlangen zu fliehen. Er hob sein Schwert und erkannte dabei, dass diese Person kein kaiserlicher Soldat war.

„Wer sind sie?“ rief Dorian die Gestalt an, deren Konturen jetzt dem fahlen Zwielicht weit genug entkommen waren, um ihn erkennen zu lassen, dass sie keine Rüstung, sondern nur einen weiten Mantel trug. Doch das Gesicht blieb undeutlich im Gegenlicht der Glühdrahtlampe, das schräg von hinten auf die Gestalt fiel. Dorian konnte nur das dunkle Haar und die Brille im Gesicht des Mannes ausnehmen, sowie das Schwert, das an seiner Seite hing. Außerdem sah er den rechten Arm, der durch einen Schlitz des Mantels gehängt war und in dieser bequemen Stellung verharrte, ohne Anstalten zu machen, zum Schwert zu gleiten.

„Du bist doch der Knabe aus der Schatzkammer…“, sagte die Gestalt mit ihrer tiefen, sanften Stimme. Ihr Klang beruhigte Dorian augenblicklich, wenngleich seine Hände immer noch leicht zitterten. Sie drehte den Kopf leicht zur Seite. Aus diesem Winkel fiel genügend Licht auf das Gesicht, sodass Dorian in ihm den Mann erkennen konnte, der in dem großen Saal direkt neben ihm am Gitter gestanden und der den Gegenstand dahinter als das Maleficium erkannt hatte.

„Sie… sie sind vorhin… auch dort gewesen!“

Dorian gab sich alle Mühe, seine Stimme fest klingen zu lassen und seine Furcht zu verbergen.

„Allerdings“, sagte der Mann, der nun wenige Schritte von ihm entfernt stand und dessen Arm immer noch in dem Schlitz hing, als wäre sie gebrochen und müsste gestützt werden. Dorians Blick wechselte zwischen dem Gesicht mit der Brille, dem blinden Auge und dem Arm, der bequem im Mantel hing und der weiterhin keine Veranlassung sah, sich in die Nähe der Waffe zu bewegen.

„Was wollen sie?“

Dorian nahm die Waffe nun in beide Hände, so schwer kam sie ihm mittlerweile vor, und suchte in seiner Erinnerung danach, wie der Kampfdom zu öffnen war. Doch diese früher so leichte Tätigkeit kam ihm jetzt nahezu unmöglich vor.

„Die Frage ist eher, was wollt ihr drei hier? Das hier ist kein Ort für Kinder.“

„Ich bin kein Kind!“ gab Dorian wütend zurück, und seine Stimme kam ihm selbst unangenehm laut vor.

„So, so. Wie heißt du, Knabe?“ fragte der Mann ungerührt. Aus irgendeinem Grund fühlte sich Dorian von seinem erblindeten Auge stärker beobachtet als von seinem gesunden, das einen eher abwesenden Eindruck machte.

„Mein Name ist Dorian Alberink“, antwortete er mit aller Selbstsicherheit, die er aufzubringen vermochte. „Und wir wollen hier nur raus“, fügte er in einem schwächeren, fast zittrigen Ton als Antwort auf seine vorige Frage hinzu.

„Nun, ich bin Sarik Metharom.“

Der Mann legte seinen Kopf leicht schief, sodass sich das matte Licht der Glühdrahtlampen auf seinen Brillengläsern spiegelte. Dorian erkannte das mit Bartstoppeln überzogene Kinn des Mannes, sowie die graue Strähne in seinem dunklen Haar. „Und fürs Erste will ich ebenso hier raus wie ihr. Ich vermute, ihr drei kennt den Weg ebenfalls nicht?“

Dorian wurde bewusst, dass ein Kampf gegen diesen Mann, der ihm großen Respekt einflößte, ohne dass er auch nur sein Schwert gezogen hätte, aussichtlos war. Und so ließ er die eigene Waffe sinken.

„Ja, wir haben uns verirrt…“, sagte er mit leiser Stimme.

„Es ist hier nicht ungefährlich. Die Palastwachen durchsuchen diese Kanäle, und so weitläufig sie auch sind, bald werden sie auch euch gefunden haben.“

Dorian machte ein missmutiges Gesicht, wollte etwas erwidern, wollte ihm sagen, dass er bereits eine der Wachen getötet hatte, und dass er sehr wohl auf sich aufpassen konnte- doch die Worte wollten seine Kehle nicht verlassen. Sie blieben dort stecken, und mit ihnen all seine karge Zuversicht. Das Schwert zu erheben und einen Kampf zu beginnen, dies kam ihm nun völlig unmachbar vor, geradeso, als hätte den Kampf vorhin eine andere, wesentlich mutigere Version seiner selbst ausgefochten.

„Was sollen wir tun…“, flüsterte er mehr zu sich selbst. Er hörte, wie sich Nadim und Iria von hinten näherten, die wohl aus dem Umstand, dass dieser Mann sie nicht angegriffen hatte, den Schluss zogen, dass er es gar nicht mehr tun würde.
 

Sarik Metharom bewegte den Kopf leicht hin und her, als würde er eine längst feststehende Entscheidung treffen. Dann hob er seine linke Hand, wie um auf eine offensichtliche Tatsache hinzuweisen. Seine Rechte, die immer noch schlaff im Schlitz seines Mantels hing, ließ er stecken.

„Kommt mit mir. Bei mir habt ihr größere Überlebenschancen.“

Dorian nickte ihm zu, und nachdem Sarik den Blick noch einen Moment auf ihm hatte ruhen lassen, um sich des Ernstes dieses Entschlusses zu vergewissern, wandte er ihnen den Rücken zu und ging los.
 

„Wir können doch nicht einfach mit dem mitgehen!“ zischte ihm Iria ins Ohr. Dorian drehte den Kopf weg und machte ein missmutiges Gesicht.

„Hast du eine bessere Idee?“

„Aber wir wissen gar nichts über ihn!“ entgegnete sie, und ihr finsterer Blick durchbohrte ihn förmlich. Er begegnete diesem mit weit heruntergezogenen Augenbrauen und einer Entschlossenheit, von der es ihm vorkam, als hätte sie sich von diesem so erstaunlich ruhigen Mann auf ihn übertragen.

„Und wir wissen genauso wenig über diese Kanäle, oder was wir als Nächstes überhaupt anfangen!“ sagte er, daraufhin setzte er sich in Bewegung. Sie folgte ihm, voller Trotz zwar, aber doch so, dass sie nicht von seiner Seite zurückfallen konnte. Nadim ging hinter ihnen und schien immer kleiner zu werden. Er machte den Eindruck, als wäre er bereit, sich auf einfach alles einzulassen, das sie aus diesen Gewölben heraus und in Sicherheit führen konnte.

Iria sagte nichts mehr, sondern funkelte ihn nur wütend an. Doch Dorian merkte dies gar nicht mehr, sondern heftete den Blick auf den Rücken dieses Mannes, der ruhigen Schrittes voranging und der die einzelnen Abzweigungen mit klarem Blick musterte, obwohl er ihren Verlauf ebenso wenig zu kennen schien wie sie. Doch seine Ruhe in dieser gefährlichen Lage übertrug sich auf ihn. Alleine schon der Blick auf seine hoch aufragende Statur und das Schwert, das an seiner Seite hing, als wäre es eine natürliche Verlängerung seines Körpers, flößten ihm die Gewissheit ein, dass das Überleben und ihre Flucht allen Widrigkeiten zum Trotz möglich war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-01-28T22:54:04+00:00 28.01.2010 23:54
*grins*
Jetzt beginnt die Jagd.
Bin mal gespannt wer gewinnen wird.^^


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