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Das Maleficium

von

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„Nimm das, du verfluchter Mörder!“

Hargfrieds schrille Stimme gellte durch die von fahlem Licht erfüllten Gewölbe. Sein riesenhaftes Schwert beschrieb einen vertikalen Halbkreis, der die Wache des Kaisers von den Füßen hob und einen schnell verblassenden Bogen stählernen Schimmers in der trüben Kanalluft hinterließ. Dabei bahnte es sich knirschend den Weg durch die Panzerung des Soldaten, und sein Körper schlug mehrere Meter entfernt polternd auf. „Ihr elenden Mörder!“ schrie er wie von Sinnen. Mit vor Wahnsinn funkelnden Augen sprang er auf seinen bereits besiegten Gegner und ließ seine Klinge wie einen zerstörerischen Blitz auf ihn herab fahren.

Hargfried von Lichtenfels atmete schwer; er rang förmlich nach Luft, während er sich vornübergebeugt auf sein Schwert stützte, das in der getöteten Palastwache und dem Steinboden unter ihr steckte. Dann richtete er sich jäh auf und strich sich eine lange Haarsträhne aus seinem schweißnassen Gesicht. Die Linien des Kampfdoms verschwanden um ihn herum, und das Licht der fernen Glühdrahtlampen fiel etwas heller auf sein fieberndes Gesicht.

Er wandte den Kopf hin und her und hatte dabei einen Ausdruck auf seinem schweißglänzenden Gesicht, als erwarte er weitere Gefahren, in deren Gegenwart er sich schutzlos fühlen müsste. Dabei sah er die drei anderen Wachen, die er zuvor getötet hatte, und ein nervöses Lächeln streckte seine Mundwinkel, während seine Augen aber nach wie vor Furcht widerspiegelten. Dabei zog er sein Schwert aus der vor ihm liegenden Wache. Ihr Körper bewegte sich dabei einen makabren Moment lang, als wäre noch Leben in dem aufgespießten Körper. Doch seine blutüberströmten Gesichtszüge blieben starr, und Hargfried begann zu lachen.

„Ich werde euch alle finden, habt ihr gehört? Bis ich den Mörder meines Vaters erwischt habe, oh ja…“

Sein Blick traf seinen Escutcheon, der plötzlich zu vibrieren begann. Lebhafte Schimmer krochen über das Gold, brachten es noch mehr zum Glänzen und konzentrierten sich schließlich in der dritten der vier Glasscheiben, die einen Moment lang prächtig aufleuchtete, um dann, nach dem Weichen des jähen Scheins, in einem satten, vollen Grün zu glimmen.

Er begann fröhlich zu lächeln wie ein Kind, das seine erste Holzeisenbahn bekommt. Ein unreifes Kichern entwich seiner Kehle, bevor er laut aufschrie, seine Hände und das Schwert emporreckte, und seine vor Fieber glänzenden Augen auf das schwarze Firmament über ihn richtete.

„Vater! Vater…“, schrie er heiser, und seine Stimme versagte ihm schließlich. Ein trockenes Schluchzen mischte sich mit dem aufgeregten Lachen in seiner Brust, und er flüsterte mit geschlossenen Augen. „Ich werde dich rächen, Vater…“

Sie öffneten sich schlagartig, als sich weitere Schritte und das Gerassel von Rüstungen und Waffen ihm näherten. Mit geröteten Augen blickte er durch die schweißnassen Strähnen auf seinem Gesicht, dann lief er los und ließ die vier getöteten Palastwachen im Dämmerschein des Kanalgewölbes zurück.

„Der Mörder, er muss der Dieb gewesen sein…“, sann er flüsternd nach, während er durch die düsteren Gewölbe des Kanalsystems schlich. Seine Gedanken hatten die eben im Kampf getöteten Wachen längst verlassen, und drehten sich nun um einen neuen Fixpunkt. Eifrig sponnen sie Fäden aus Hass und Rachgier um ihn, so wie eine Auster immer neue Schichten um einen tiefsitzenden Fremdkörper webt, der schmerzt, quält und peinigt, und so gewann dieser neue Fixpunkt im Chaos seiner wahnsinnigen Gedanken an Größe und Kraft.

„Dieses Buch… dieses Maleficium…“

Er sprach das Wort aus wie etwas Erheiterndes, wie etwas Aufmunterndes.

„Er wollte es, er hat es bei meinem Vater gesucht, deshalb hat er ihn getötet, ja, ja…“

Das nervöse Gemurmel schwoll auf seinen feuchten Lippen an, um dann wieder in lautloses Nachsinnen überzugehen. Daraufhin war wieder das Strömen des Kanals neben ihm das einzige Geräusch nebst seinen Schritten, die durch diese trüb erleuchteten, tropfenden Korridore hallten. Sein Blick suchte die Dunkelheit ab, suchte nach dem Weiterweg, suchte nach Hinweisen, die es doch geben musste, die ihn zum Mörder seines Vaters führen würden, dessen Gegenwart er so deutlich spürte. Aber er sah wieder das Wasser neben sich, das seinem Rachefeldzug keinerlei Aufmerksamkeit schenkte und mit geradezu unverschämter Interesselosigkeit an ihm vorbeiströmte.

Irgendwann errang der Zorn die Oberhand in seinem zerrütteten Geist, und er schrie den Flusslauf aus trübem Brackwasser neben dem steinernen Pfad an. Er tobte und fluchte und schlug mit seinem langen Schwert ergebnislos auf die Wasseroberfläche ein, solange, bis ihm die Arme erlahmten und er das Interesse an seinem stummen Begleiter verlor. Hargfried setzte seinen Weg wieder fort, und ebenso begann wieder seine flüsternde Anklage, seine stumme Herausforderung an den Mörder seines Vaters, dessen Nähe er so deutlich fühlte.

Der Gang weitete sich und seine Decke verlor sich endgültig in tiefschwarzer Düsternis, die keine der Glühdrahtlampen zu durchbrechen vermochte. Er gabelte sich auch auf; vor ihm erstreckten sich insgesamt drei Verläufe, in denen das Brackwasser plätschernd seinem unbekannten Ziel entgegenfloss.

Er hielt die Nase in die Luft und horchte genau; bis sich ein breites Grinsen auf seinem von der auffälligen Narbe gezeichneten Gesicht formte. Schließlich ging er in die Richtung, in der das beständige Plätschern am Lautesten erklang.

Bald schmeckte die Luft weniger abgestanden, er glaubte sogar, einen leichten Zug auf den vom Fieber glühenden Wangen zu spüren. Auch das Wasser neben ihm schien seine Fließgeschwindigkeit zu erhöhen, geradeso, als fühlte es die Annäherung an sein Ziel. Und so gelangte er an eine weitere Gabelung, doch diesmal hatte er keinen Zweifel an seinem Weg, der ihn geradeaus führen würde, wo ein eisernes Gitter das Wasser zerteilte. Allerlei Unrat hing in den Gitterstäben fest, Schaum bildete sich in den Wirbeln um sie. Auf dem Steg neben dem Flussbett sah er einen gerade mannshohen Durchlass im Gitter, der auf die andere Seite führte. Er lächelte hoffnungsvoll und beschleunigte dabei seine Schritte.

Er stoppte jedoch, als aus einem Seitenarm der Gabelung eine andere Gestalt auf den Durchgang zukam. Sie bewegte sich geschmeidig und schnell; ihre Bewegungen waren wie die eines Panthers auf der Jagd. Hargfried blieb stehen und nahm sein Schwert vom Rücken. Ein Zucken ging durch sein Gesicht, das Fieber glänzte in seinen Augen auf.

„Das… das ist der Mörder meines- nein, nein…“, verbesserte er sich und schüttelte dabei schuldbewusst den Kopf, „der Mörder ist der mit dem Maleficium, aber das… das…“, zischte er wütend, „-ist vielleicht sein Komplize!“

Die Gestalt- sie hatte ihn offenbar gehört- drehte sich um. Hargfried erkannte das Gesicht einer dunkelhaarigen Frau unter der Kapuze. Sie duckte sich, und mit einem schneidenden Geräusch schnellte ein Stachel aus ihrer Armschiene.
 

Hargfried, sein Schwert mit beiden Händen über seine Schulter haltend, rannte auf sie zu, und noch im Lauf spannte sich der Kampfdom auf, der sie beide einhüllte und die Arena ihres Aufeinandertreffens bildete.

Die Frau spannte ihre geduckte Haltung noch mehr an, wie eine zum Angriff bereite Raubkatze, und der Stachel ihrer Armschiene schimmerte matt im Licht der Glühdrahtlampen. Hargfried kam wenige Schritte vor ihr zu stehen und glaubte eine Spiegelung ihrer Waffe in ihren Augen zu erkennen, die mit einem ebenso fragenden wie drohenden Ausdruck auf ihn gerichtet waren.
 

Sie standen sich nun gegenüber, mit erhobenen Waffen, und die Kuppel aus blauen, geometrischen Linien drehte sich langsam um das Zentrum, das die beiden Kombattanten unter ihrem Dach darstellten. Nur wenig Licht drang durch die Begrenzung dieser Kuppel, und sein Inneres war erleuchtet von den scharf gezogenen Linien, die einen blaustichigen Schein auf die beiden warfen.

Erwartungsvolle Ungeduld hielt ihre Knie und ihre Ellbögen angespannt, die wie Bogensehnen auf das Losschnellen harrten.

„Ich kenne dich“ sagte die Frau, ohne ihre Haltung nur einen Fingerbreit zu lockern. Ihr abschätzender Blick glitt über seine Rüstung, seine Waffe, und verharrte schließlich auf seinem Gesicht. „Du bist Hargfried von Lichtenfels, der Sohn unseres Herzoges.“

Hargfried senkte das Schwert und lächelte ungläubig, dabei neigte er den Kopf zur Seite und machte ein Gesicht, als hätte er einen Witz gehört und aus irgendeinem Grund die Pointe versäumt.

„Unseres Herzogs?“ fragte er zurück und betonte dabei das erste Wort mit allem Nachdruck. „Wer bist du? Kommst du auch aus Lichtenfels?“

„Ja, ich komme aus der Provinz Oldenburg…“, begann die Frau zögerlich, als überlegte sie, wie viel sie ihm gegenüber äußern sollte. „Mein Name ist Brynja Peinhild“, sagte sie schließlich, ohne ihre kampfbereite Haltung aufzugeben. Hargfried hingegen stand ihr jetzt in aufrechter Haltung und mit gesenkter Waffe gegenüber. Sein fragender Blick ruhte auf ihr, so etwas wie hoffnungsvolles Wohlwollen lag in seinen Augen.

„Dann weißt du vielleicht etwas von den Mördern meines Vaters?“ fragte er in einem vorsichtigen, beinahe bittenden Ton, so wie ein Kind, das einen Erwachsenen um etwas fragt.

„Der Herzog, ermordet?“ wiederholte sie flüsternd. Ihr angespannter Blick ging einen Moment zur Seite. Der Kampfdom rotierte immer noch um sie herum und tauchte ihre von Argwohn geprägten Züge in ein bläuliches Licht. „Davon weiß ich nichts.“

„Tatsächlich? Dann steckst du vielleicht mit ihnen unter einer Decke!“

Alle Sanftheit wich aus seinen Zügen. Mit erstaunlicher Schnelligkeit wirbelte er sein Schwert herum und eröffnete den Kampf.
 

Brynja nutzte ihre Schnelligkeit und ihre Gewandtheit, und diese beiden Eigenschaften, unterstützt durch das geringe Gewicht, das sie bei sich trug, retteten sie mehrmals vor den wuchtigen und zugleich überraschend schnellen Hieben ihres Gegners. Hargfrieds Schwert war größer als sie selbst, zusätzlich zerrte noch die vollständige Rüstung aus poliertem Stahl an seinem Körper; doch jede seiner Bewegungen, seiner Finten und seiner Angriffe verrieten, dass er ihr Gewicht seit vielen Jahren gewohnt war, ebenso wie sein Schwert, das unhandlich groß wirkte und das er doch mit gefährlicher Behändigkeit führte.

Mit grazilen Verrenkungen rettete sie ein ums andere Mal ihren Leib aus den Linien seiner knapp vorbeisirrenden Waffe, und schließlich fand sie eine Lücke in seiner Deckung. Das Gewicht seiner eigenen Klinge brachte ihn für einen Moment an den Rand des Ungleichgewichts; in dieser Sekunde erreichte sie ihn mit schnellen Schritten. Seine Rüstung ließ keine offensichtliche Schwachstelle erkennen, und so stieg sie auf seinen gebeugten Oberschenkel, stieß sich ab, und landete einen kräftigen Tritt an seine Brust.

Von der Gegenkraft dieses Tritts davon geschleudert, vollführte sie einen Rückwärtssalto, an dessen Ende sie in geduckter Haltung auf dem Steinboden landete. Dabei sah sie, wie Hargfried nach hinten geschleudert wurde und auf dem Rücken landete. Das blecherne Geräusch seiner aufschlagenden Rüstung hallte durch den Kampfdom. Brynja versteifte ihre Haltung, um federgleich vorzuschnellen.
 

Hargfried lag nur einen Moment auf dem Rücken, dann riss er mit einer Gewandtheit, die man dem Träger einer vollständigen Rüstung kaum zugetraut hätte, die Beine hoch und führte eine Rolle rückwärts aus. Dabei ließ er sein Schwert nicht los, sondern wehrte damit einen Augenblick später die heran schnellende Brynja ab, die mit ihrem Stachel nach seinem Gesicht hieb.

Stolpernd kam er auf die Beine und wehrte den Stachel, der wie eine Giftschlange nach seinem Gesicht stieß, mit dem Griff seines Schwertes und seinen gepanzerten Unterarmen ab. Doch sie drang weiter auf ihn ein, stellte ihr Bein zwischen die seinen, blockierte so sein Ausweichmanöver und setzte zu einem tödlichen Stoß an.

Mit der Rechten packte sie ihn an seinem stählernen Kragen, um ihm mit der Linken den Stachel in die weniger gut geschützte Halspartie zu rammen. Hargfrieds Augen wurden groß in diesem Moment, schon sah er den Stachel dicht vor seinem Gesicht aufblitzen, der sich wie ein Giftzahn in seinen Hals bohren würde- als Brynja mitten in der Bewegung erstarrte.
 

Ein heißer Schmerz brannte in ihrem Escutcheon. Dieser Schmerz lähmte ihren Arm und machte es ihr unmöglich, den beabsichtigten Todesstoß auszuführen. Ihre ungläubigen Augen tasteten über die Waffe und ihren Arm, der plötzlich nicht mehr gehorchte. Hargfried erkannte die Gelegenheit und versetzte ihr einen harten Stoß mit dem Griff seines Schwertes an die Brust.

Brynja stürzte ächzend nach hinten. Ihre Lungen fühlten sich leer und zusammengequetscht an, und sie kämpfte sich mit panischen Bewegungen und dabei nach Luft ringend auf die Beine. Doch Hargfried stand schon über ihr und holte mit seiner riesenhaften Klinge aus, um sie mit einem kraftvollen Hieb auseinander zu hacken- als er mitten im Hieb einhielt und sein Gesicht eine schmerzverzerrte Grimasse wurde.
 

Hargfried sank auf die Knie, biss die Zähne zusammen und betrachtete seinen Escutcheon, von dem eine sengende Hitze ausging, die auf seinem Arm wie Feuer brannte. Brynja kam taumelnd auf die Beine und wich vor ihm zurück. Im selben Moment versiegte der Schmerz, und sein Arm gehorchte ihm wieder.
 

Die beiden standen sich wieder gegenüber, wie schon zu Beginn des Kampfes. Nur diesmal war die Entschlossenheit in ihren Gesichtern getrübt. Ein fragender, misstrauischer Ausdruck schlich durch ihre Blicke, die sie sich gegenseitig zuwarfen. Warum hat mein Gegner mich nicht getötet, dachten sie beide in unwissender Eintracht, als die Gelegenheit allzu gut war?

„Du suchst das Maleficium, richtig?“ sagte Brynja schließlich, um sich von ihrer eigenen Ratlosigkeit über ihre Unfähigkeit, im entscheidenden Moment den tödlichen Stoß anzubringen, abzulenken.

„Ja. Genau wie du, vermute ich?“

Die letzten Worte klangen weniger wie eine Frage, sondern eher wie eine Feststellung voll säuerlichem Widerstreben, als wäre er wieder ein Kind, dem jemand sein Lieblingsspielzeug streitig machte.

„Erraten“, erwiderte sie knapp und schenkte dem beleidigten Ton in seinen Worten keine Beachtung. „Ich habe es aber nicht, genauso wenig wie du. Dieser… diese Person, die vor uns in der Schatzkammer war, sie hat es, da bin ich sicher. Welchen Zweck hat es also, wenn wir uns bekämpfen?“

Sie gab sich alle Mühe, ihre Stimme selbstbewusst klingen zu lassen und nicht den Anschein von Schwäche zu erwecken; doch zugleich klang leise und unbeabsichtigt die Hoffnung heraus, diese Auseinandersetzung, von der sie annehmen musste, in ihr zu unterliegen, zu beenden.

Hargfrieds Blick pendelte zwischen ihr und dem Durchlass hin und her, der sich undeutlich hinter dem Wall aus greifbarer Dunkelheit abzeichnete und die Annäherung an sein Ziel verhieß. Schließlich ließ er seine Waffe sinken und gab den Kampf auf. Die Linien des Kampfdoms schwanden und zogen sich in den Boden zurück, aus dem sie vorher erwachsen waren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2010-02-02T23:05:22+00:00 03.02.2010 00:05
Klasse gemacht!^^


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