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Das Maleficium

von

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Glühdrahtlampen hinter milchigen Gläsern erhellten den Gang, der leicht abwärts führte. Die groben Wände aus Mauersteinen glänzten feucht in ihrem Licht; an einigen Stellen tropfte Wasser von der Decke und sammelte sich in kleinen Pfützen. Die Luft selbst schmeckte feucht und abgestanden. Das unter der Stadt verlaufende Kanalsystem war nicht weit, das spürten sie an der feuchten Luft und an dem unterschwelligen Rauschen ferner Wassermassen, die sich in den Eingeweiden des Felsens unter ihren Füßen hindurch wälzten.

„Was ist das…“, hörte Dorian Gaubert erschreckt rufen. Dieser beschleunigte seine Schritte. Auch die anderen gaben jegliche Heimlichkeit auf und liefen los. Dorian, der von dem Grund für diese Aufregung nichts ahnte, versuchte, über die Köpfe seiner Freunde hinweg einen Blick in den Gang zu erhaschen.

„Der ist auch tot“, flüsterte Nikodemus aufgeregt. Mitten im Gang lag abermals eine leblose Wache des Kaisers. Diesmal jedoch war es keine subtile Verletzung, die ihn aus dem Leben gestoßen hatte. Bei diesem Körper zog sich ein klaffender Schnitt quer über die Brust und hatte seinen Brustharnisch geöffnet. Ströme dunkler Flüssigkeit vermischten sich mit der Nässe auf dem Boden, und ein unangenehmer Geruch stieg ihnen allen in die Nase.

Dorian starrte auf das farblose Gesicht des toten Soldaten. Er hörte, wie Nadim einige Schritte weg eilte und sich geräuschvoll erbrach. Auch Ludowig und Nikodemus entfernten sich und verbargen ihre von Ekel erfüllten Gesichter. Nur Iria und Gaubert blieben bei ihm.

Schauder legte sich um seine Knochen wie eine eiskalte Berührung, und Dorian fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Doch es gelang ihm nicht, den Blick von der getöteten Wache abzuwenden. Seine Nase füllte sich mit dem beißenden Geruch, einer Kombination aus Abwässern und Blut. Schon fühlte er ein Würgen in seiner Kehle, als Gaubert ihn endlich wegzog.

„Sieh dir das lieber nicht zu lange an.“

Iria war gleich hinter ihnen, und er hörte auch die Schritte der anderen, die einen Bogen um den Körper machten. Dorian blickte krampfhaft zu Boden und konzentrierte sich auf die dunklen, feuchten Steine, die unter ihm vorbeizogen. Das Bild des toten Soldaten jedoch war wie eingebrannt in seinem Blickfeld, die hemmungslose Gewalt, derer er an diesem Körper ansichtig geworden war, erfüllte ihn mit Abscheu. Das Schwert in seiner Hand kam ihm plötzlich wie ein unreiner Gegenstand vor, den er am liebsten weggeworfen hätte, doch zugleich fand er nicht die Kraft in sich, sich von dieser Waffe zu trennen, die ihm ebenso einen Funken Halt gab.

Gaubert sagte nichts, sondern ging an der Spitze ihrer schweigsamen Gruppe voran. Niemand äußerte mehr den Gedanken an eine Planänderung oder gar Flucht. Es war vielmehr so, als würden sie auf einem reißenden Fluss treiben, der keine Umkehr ermöglichte, als gäbe es jetzt nur noch einen einzigen Weg aus diesem Alptraum: strikt geradeaus, in die tiefste Dunkelheit dieses Tunnels, geleitet von der vagen Hoffnung, auf ein Licht zu stoßen, das hinter ihnen gar nicht mehr vorstellbar war.

Ihre Umgebung änderte sich, und die Gewissheit, ihrem Ziel nahe zu sein, wie immer dieses aussah, wurde übermächtig in ihnen. Sie gelangten aus dem steinernen Gang in einen weiten Raum, einen Saal, der weitaus höher war als die bisherigen Räumlichkeiten. Er musste tief unter dem Palast sein und war unterteilt von hohen Wänden aus eisernen Gitterwällen, die sich über ihnen bis in eine Dunkelheit fortsetzten, in die kein Licht reichte. Undeutlich erkannten sie im trüben Licht der Lampen Tore, ebenfalls aus verflochtenen Gitterstäben, die wie drohende Hände aus Torbögen ragten und den Zugang zu den einzelnen Bereichen regelten. Sie waren offen, und ihre mit Spitzen versehenen Ränder hingen in den Torbögen wie Lanzen, bereit, sich auf Eindringlinge zu stürzen. Mit einem Male wurde die Stille zerrissen, und zwar von Waffengeklirr.

Sie alle erstarrten, direkt unter dem ersten Tor. Vor ihnen schälte sich ein Kampfdom aus dem Zwielicht, das in dem Raum herrschte. Eine Kuppel aus blauen Linien rotierte einen halben Steinwurf entfernt hinter dem nächsten der Tore, und der Funkenflug aufeinanderprallender Waffen erhellte ihn immer wieder für kurze Augenblicke.
 

„Verfluchter Narr!“ zischte Sarik Metharom, der die Angriffe seines Gegners mit seiner Klinge abwehrte. Sein Kontrahent, ein junger Mann in einer Rüstung, dessen lange, blonde Haare über sein verzerrtes Gesicht hingen, kämpfte wie besessen. Er führte sein langes Schwert mit beiden Händen, und wenngleich seine Attacken nicht allzu schnell und voraussehbar waren, so lag doch eine Wucht hinter ihnen, die von glühender Verbissenheit zeugte.

„Du wirst es nicht bekommen!“ schrie Sariks Angreifer diesem entgegen. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und Strähnen seines langen Haares klebten an seinem Gesicht, auf dem ein vergnügtes Grinsen und ein Ausdruck wilden Hasses miteinander rangen. Abwechselnd errangen diese beiden Mienen die Oberhand und verliehen seinem jugendlichen Gesicht, über das sich eine auffällige Narbe zog, einen verstörenden Ausdruck. Er schwang sein Schwert mit einer Wut, als gälte es, Blutrache zu verüben, und Sarik gelang es bald, dieses Ungestüm zu nutzen und eine Finte anzubringen.

Sarik senkte seinen Stand und machte sich bereit, einen weiteren wuchtigen Hieb zu parieren. Sein Gegner holte wieder mit aller Kraft aus, und es wirkte, als läge ihm mehr daran, seine Wut auszuleben und seine Kraft zu verbrauchen, denn seinen Gegner zu vernichten. Doch dieses Mal tat Sarik einen schnellen Schritt zur Seite. Sein Gegner hatte alle Mühe, sein Schwert abzufangen, das sonst auf dem Steinboden aufgeprallt wäre.

Sarik nutzte diesen kurzen Moment und ging zum Gegenangriff vor. Mit wesentlich weniger Kraft, aber dafür mit der ruhigen Hand des erfahreneren Kämpfers drang er auf ihn ein, und dem Recken in der Rüstung gelang es nur mit äußerster Not, seinen Beidhänder hochzureißen und so den Hieb gegen seinen Kragen abzufangen. In diesem verzweifelten Manöver verlor er das Gleichgewicht. Von der Masse seiner Waffe und seiner Rüstung beschwert, stürzte er nach hinten. Sein älterer und erfahrener Gegner stand über ihm und hielt sein Schwert in Richtung Boden. Der fragende Blick seiner Augen zeichnete sich hinter der Brille ab, und seine Stimme war erstaunlich gefasst.

„Wer bist du, Knabe?“

Der Kämpfer mit dem blonden Haarschopf und dem vernarbten Gesicht, auf dem sich nun eine verstörende Mischung aus Ärger, Verzweiflung und Belustigung abzeichnete, starrte den ihm überlegenen Gegner an- dann rollte er sich aus seiner liegenden Position nach hinten, stemmte sich mit den Händen ab und landete in einer hockenden Stellung mehrere Schritte entfernt. Dabei hob er sein Schwert und zielte mit dessen Spitze auf sein Gegenüber.

Sarik, der seine Waffe zum Zeichen der Deeskalation zu Boden gerichtet hielt, beobachtete, wie die widersprüchlichen Ausdrücke auf dem Gesicht des jungen Mannes miteinander rangen, bis letztendlich ein überheblich wirkendes Lächeln die Oberhand gewann. Der junge Mann stand auf und legte sich sein Schwert über die Schulter. Die andere Hand stützte er in die Hüfte, und wo vorhin noch blinde Kampflust ihn getrieben hatte, nahm er jetzt eine würdevolle Haltung an.

„Ich bin Hargfried von Lichtenfels“, sagte er voller Stolz. Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde weich wie das eines Kindes, das auf eine Belohnung für eine gut vollbrachte Tat wartete.

„So, so. Aus dem Herzogtum Lichtenfels.“

Sariks misstrauischer Blick wanderte immer wieder kurz in die Richtung seines Ziels, das er knapp vor sich sah. Doch gleichzeitig wollte er seinem bizarren Widersacher keinen Moment unbeobachtet lassen. „Und nun sagt mir- “, begann er, doch seine Worte wurden von einem Rasseln unterbrochen, das sich durch die Weite des Raumes fortpflanzte und von den Wänden gespenstisch widerhallte. Das Gittertor in den inneren Bereich des Saals, nur wenige Schritte von ihnen entfernt, fiel herab, und seine Spitzen fanden in vorbereitete Vertiefungen, in denen sie einrasteten.

Beide Kämpfer warfen sich einen entsetzten Blick zu, dann eilten sie zu dem herabgefallenen Gitter und zerrten an den Stäben. Sie gaben jedoch keine Handbreit nach, und für diesen Moment vergaßen sie alle Feindseligkeiten von eben.
 

„Nichts wie weg, sonst bringen die uns auch noch um!“ schrie Ludowig mit brüchiger Stimme. Das Bedürfnis zu fliehen überwältigte ihn, seine Schritte hallten durch den Saal. Nikodemus und auch Gaubert folgten ihm. Dorian klang das Schwertergeklirr in den Ohren. Die Gewalt, die vorhin nur erahnbar gewesen war und in den Verwundungen der toten Soldaten leise gedroht hatte, diese Gewalt war nun hör- und greifbar in Form der beiden Männer, die sich mit erbitterten Mienen bekämpften, nur ein Dutzend Schritte von ihnen entfernt. Seine Angst, die er vorhin noch mit aller Selbstbeherrschung, die er aufbieten konnte, zurückgehalten hatte, durchbrach nun den mühsam errichteten Wall, überflutete seinen Verstand und lähmte seine Beine. Das Schwert in seiner Hand fühlte sich kalt, schwer und fremd an, und der Gedanke, Ähnliches zu tun wie das, was er vorhin gesehen hatte, war nun der Fernste auf der Welt.

„Kommt schon, ihr beiden!“

Der panische Schrei von Gaubert riss ihn aus seiner Erstarrung. Er drehte sich um, und Iria stand gleich hinter ihm. Sein eigener Schrecken spiegelte sich in ihren Augen, dann wanderte sein Blick weiter zu Gaubert, der im Tor stand, und zu Ludowig und Nikodemus, die kopflos flohen. Endlich gelang es ihm, seine Lähmung zu überwinden und loszurennen. Dabei ergriff er wie automatisch Irias Hand und zog sie gegen den schwachen Widerstand, den sie aufbot, mit sich. Sie stolperte, als würden ihre Füße erst langsam verstehen, welcher Gefahr sie entgingen, und allmählich stimmte sie in seinen Laufschritt ein.

„Schnell!“ rief Gaubert, dessen Blick zwischen Ludowig, Nikodemus und ihnen beiden hin und her pendelte. Offensichtlich rang er mit dem Impuls, zu fliehen, sowie mit der Verantwortung, die er auch für Iria und Dorian hatte. Dann, ganz plötzlich, hob sich sein Blick gerade nach oben.

Dorian, der nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, erkannte das Entsetzen in Gauberts Augen. Das Gitter des Tores, unter dem Gaubert stand, löste sich aus der Verankerung und näherte sich ihm mit der Geschwindigkeit eines fallenden Steins.

Gaubert fiel nach dem Sprung zu Boden, das Gitter schlug klirrend auf dem Steinboden auf. Seine Spitzen saßen in Vertiefungen im Stein, und keine Macht der Welt- schon gar nicht Dorians Hände, die verzweifelt an ihnen zerrten- konnte es nun wieder heben; diese Erkenntnis traf sie wie der Griff einer eiskalten Hand.

„Verdammt, was ist das hier…“, rief Gaubert fassungslos. Er sprang auf und zerrte ebenso an den Gitterstäben, die allein schon durch die Last ihres Gewichtes unverrückbar an ihrem Platz saßen.
 

„Wir müssen hier raus“, stieß Dorian zwischen zusammengebissenen Zähnen aus, während er mit aller Kraft an den Gitterstäben zerrte. Sein Schwert lag auf dem Boden, achtlos weggeworfen und völlig nutzlos in ihrer ausweglosen Situation. Er sah nicht, dass Iria, die eben noch genau wie er an den Stäben gezerrt hatte, einen Schritt zurück trat und mit erstarrter Miene auf die andere Seite sah.

Gaubert zerrte und zog ebenso an den Stäben, schließlich trat er mit den Füßen gegen sie. Doch nichts fruchtete. Seine Kameraden, Ludowig und Nikodemus, standen am Eingang zum Saal, und ihre angsterfüllten Mienen drückten die Scheu, sich dem Tor zu nähern, ebenso aus wie auch ihr Bedürfnis, von diesem Ort zu fliehen. Dann drehten sich beide um. Aus dem Gang, durch den sie hierher gelangt waren, drangen die Schritte vieler Stiefel an ihre Ohren.

Gaubert drehte sich ebenfalls um. Dann wandte er sich wieder den beiden zu, die direkt vor ihm standen und für die er doch nichts tun konnte.

„Mach, dass du wegkommst. Mach schon, lauf… Es bringt nichts, wenn sie dich auch schnappen!“

„Ich lass euch hier nicht zurück!“ entgegnete Gaubert, und Panik glänzte in seinen Augen. Dann wandte er sich wieder um. Die Geräusche der herannahenden Wachen wurden immer lauter. Ludowig und Nikodemus machten hektische Gesten, dann liefen sie los. Gaubert schüttelte den Kopf, als würde er sich mit allen Sinnen gegen das Unvermeidliche wehren.

„Lauf weg, verflucht!“ schrie Dorian nun so laut, dass Iria zusammenzuckte. Tränen der ohnmächtigen Wut stiegen in seine Augen. Gaubert trat einen Schritt zurück.

„Wir… wir kommen zurück, und dann, dann holen wir euch raus“, stammelte er, danach lief er los. Er verschwand in der Düsternis des Gangs, der sie hierher geführt hatte. Dorians Finger verkrampften sich um die Gitterstäbe, dabei presste er die Stirn an das unerbittliche Metall. Der Blick seiner tränennassen Augen verfolgte die Flucht seiner Freunde, und er hoffte, eine der Gabelungen, an denen sie zuvor achtlos vorbeigelaufen waren, würde zumindest ihnen die Freiheit zurückgeben, die für ihn und Iria hier endete.
 

Die beiden Männer standen vor dem heruntergelassenen Gitter, und der Kampfdom um sie herum erlosch. Ihre Augen forschten hinter der eisernen Verflechtung vor ihnen nach dem Gegenstand, der sie beide hierher geführt hatte. Für einen Moment tauchte in den Augen der beiden dasselbe begierige Glänzen auf, das diese so unterschiedlichen Männer für diesen Moment sehr ähnlich wirken ließ. Doch dieser Moment verstrich, und sie wandten sich wieder mit Mienen voll tiefem Argwohn einander zu.

„Wir sind gefangen, wie es aussieht.“

Hargfrieds Stimme klang, als hätte er eine gelungene Posse mit angehört. „Ihr habt euch mir aber noch nicht vorgestellt, werter Herr. Mit wem durfte ich vorhin die Klinge kreuzen?“

Der herausfordernde Blick des jungen Mann traf ihn, und das Leuchten in seinen Augen ließ Sarik zweifeln, dass er sich dem Ernst ihrer Lage bewusst war.

„Ich bin Sarik Metharom, Offizier von Mosarria“, sagte er nach einem kurzen Moment des Überlegens, der ihm bewusst machte, dass dieser verwirrte junge Mann zwar gefährlich war, aber nicht auf Seiten einer kriegführenden Partei stand.

„So, so, ein Offizier aus Mosarria…“, erwiderte Hargfried. Sein riesenhaftes Schwert ließ er dabei auf seiner Schulter wippen und machte dabei ein vergnügtes Gesicht, während Sarik sich in Richtung der herbeiströmenden Wachen wandte. Schlagartig wurde das Gesicht des jungen Mannes aber wieder ernst, und er deutete mit dem Zeigefinger seiner linken Hand auf Sarik. „Seid Ihr im Bunde mit den Mördern meines Vaters?“ fragte er ihn mit tiefer Stimme, aus der zähneknirschende Wut sprach. Sarik, dessen gelassenes Äußeres nicht anmerken ließ, dass er innerlich einen Plan für diese ausweglose Situation schmiedete, machte eine wegwerfende Bewegung, und sein gesundes Auge schielte dabei nach den Wachen, die den von Gittern eingefassten Bereich dieses Saales umstellten.

„Du bist ja nicht ganz bei Trost…“, sagte er leise und schätzte ab, ob hinter den Gitterstäben die größere Gefahr lauerte- oder nicht eher auf seiner Seite der Stäbe.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fahnm
2009-12-20T02:07:30+00:00 20.12.2009 03:07
Mist Jetzt haben sie ein Problem.
Mal sehen wie sie wieder rauskommen wollen.


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