Ankunft auf Schloss Nakazato
Hallöchen ihr Lieben,
ein neues Kapitel ist online.
Die erste Nacht auf ihrer Reise geht zu Ende. Der Morgen zeigt, wie wenig sich
Rin verändert hat. Was allerdings bei Jaken auf wenig Verständis stößt.
Bevor sie am Ziel ihrer Reise ankommen, geraten sie unvermittelt in eine
nicht ungefähliche Situation.
Viel Spaß......
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Ankunft auf Schloss Nakazato
Regungslos, wie eine Statue saß Keisuke auf seinem Posten. Die gesamte Nacht
hatte der Youkai aufmerksam Wache gehalten. Selbst wenn er von seinem Auftrag
nicht begeistert war, gebot schon sein Überlebensinstinkt, dass er sich in
dieser Hinsicht nichts zu Schulden kommen lassen durfte.
Der Sonnenaufgang nahte und es dauerte nicht lang, da strichen die ersten
Sonnenstrahlen über das Lager und vertrieben die Kühle der Nacht. Keisuke
bemerkte wie es sich zwischen den Decken regte. Wortlos stand er auf und legte
mehrere Äste in das fast erloschene Lagerfeuer.
Augenblicklich wurde das trockene Reisig von den Flammen erfasst und
verbreitete eine angenehme Wärme.
"Guten Morgen, Keisuke-san", ertönte eine Stimme neben ihm. Er wandte nur kurz
den Kopf. Rin hatte sich auf halb auf ihre Ellenbogen aufgestützt und lächelte
ihn strahlend an. Keisuke nickte nur kurz und erhob sich. "Macht Euch
aufbruchfertig", sagte er, bevor er sich abwandte und zu dem Reitdrachen ging.
Er packte Ah-Uhn an den Zügeln und führte ihn in die Nähe des Feuers zurück.
Jaken war ebenfalls in der Zwischenzeit aufgewacht und rieb sich gähnend die
Augen. Rin hatte sich erhoben und begonnen die Sachen zusammen zu packen.
Wortlos nahm Keisuke die Taschen in Empfang, als Rin sie ihm entgegenhielt.
"Danke", sagte sie, doch Keisuke hatte sich schon Ah-Uhn zugewandt und begann
ihm den Sattel auf den Rücken zu legen.
Rin zögerte, doch dann entschied sie sich nichts zu sagen und wandte sich dem
Bachlauf zu. Sie trat an das Ufer und kniete sich nieder. Mit beiden Händen
schöpfte sie Wasser und spritzte es sich ins Gesicht. Für einen Moment schloss
sie die Augen und reckte gießerisch ihr Gesicht den Strahlen der morgendlichen
Sonne entgegen.
Ein leises Plätschern erregte ihre Aufmerksamkeit. Neugierig suchte sie den
Ursprung. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie die Quelle fand. In dem
kristallklaren Wasser huschten die dunklen Schatten von Forellen hin und her.
~Ob ich es noch kann?~, durchzuckte es Rin und entschlossen stand sie auf.
"Rin, was tust du da?", schrie die quäkende Stimme so laut, dass Keisuke das
Gesicht verzog. Er drehte kurz den Kopf um zu sehen was das Missfallen des
Krötendämons erweckt hatte.
Für einen Moment stutzte er, als er sah, wie Rin mit hoch gebundenem Kimono in
den Bach gewatet war.
"Es gibt hier wundervolle Forellen. Wenn ich ein oder zwei fangen kann, dann
haben wir heute Abend etwas zum Essen. Und ich weiß doch, wie gut sie dir
immer schmecken, Jaken-sama", rief sie zurück. Den Blick tief gesenkt, um die
silbernen Schatten im schnell fließenden Wasser auszumachen.
Keisuke zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und wandte sich wieder der
Befestigung der Satteltaschen auf Ah-Uhn’s Rücken zu. Solange er keinerlei
Feinde ausmachen konnte, konnte dieses Weib machen, was es wollte. Er war
nicht dafür verantwortlich, wenn sie sich lächerlich machte.
Angestrengt sah Rin nach unten. Dort, in der Mitte des schnell fließenden
Baches, konnte sie die Konturen von mehreren Fischen ausmachen.
Behutsam ließ sie ihre Hände in das Wasser gleiten.
Wie oft hatte sie als Kind auf diese Weise Fische gefangen, als sie noch mit
ihrem Ziehvater umhergezogen war.
Sie hoffte, es nicht verlernt zu haben.
Rin näherte sich von flussabwärts den arglosen Fischen. Die Tiere würden sie
erst bemerken, wenn es zu spät war.
"Rin, komm jetzt sofort da raus", lenkte Jaken’s Stimme sie ab. Genau in
diesem Moment trat ihr rechter Fuß auf einen Stein, der unter ihr wegrollte.
Sie verlor die Balance und fiel mit einem lauten Schrei ins Wasser.
"RIN!"
Keisuke hörte das Platschen und den Schrei von Jaken. Er wirbelte herum.
Rin war verschwunden.
Doch da tauchte sie schon platschnass und prustend wieder aus dem Wasser auf.
Blitzschnell analysierte Keisuke die Situation.
Der Bach war nicht tief und auch nicht so reißend, dass die Gefahr bestand,
dass die Frau weggespült werden würde.
Kein Grund in Panik zu verfallen. Außer, dass sie pitschnass war und
vielleicht einen Schrecken bekommen hatte, war offensichtlich nichts
Ernsthaftes passiert.
Das sah Jaken jedoch etwas anders. "Hey , du! Steh nicht so tatenlos hier rum.
Los hilf ihr!", rief der Krötendämon.
"Warum?", fragte Keisuke. "Das Wasser ist nicht tief und wenn sie sich nicht
wirklich tollpatschig anstellt, besteht keine Gefahr, dass sie ertrinkt. Seht
hin. Sie ist schon fast wieder draußen."
Jaken starrte mit offenem Mund den Youkai an.
Was war denn das für ein Typ? Offene Meuterei gegen die Befehle des
persönlichen Beraters des Fürsten?
"Du bist dafür zuständig, dass der Hime nichts passiert", fauchte Jaken empört.
"Genau das tue ich auch. Ich passe auf, dass kein Feind sich an die
kostbare Tochter unseres Herrn wagt. Oder, dass sie in ernsthafte Gefahr gerät.
Doch ich bin nicht dafür zuständig ihr das Händchen zu halten, wenn sie
stolpert oder sie gar trockenzulegen", entgegnete Keisuke völlig ruhig.
Jaken schnappte empört nach Luft und bereitete sich auf eine große Schimpfrede
vor, als Rin tropfnass, aber lachend, neben ihnen auftauchte.
"Hast du das gesehen, Jaken-sama?" Sie hielt einen zappelnden Fisch in beiden
Händen.
Rin hielt inne, als sie das verkniffe Gesicht von Jaken und das angespannte
von Keisuke sah. Fragend sah sie von einem zum anderen. "Was ist los?"
"Gar nichts. Es hat offensichtlich ein kleines Missverständnis gegeben, doch
das ist bereinigt, nicht wahr Jaken-sama?", knurrte Keisuke leise, doch auch
für sie verständlich. Der Krötendämon blies die Backen dick auf. Die Luft
entwich zischend.
"Für den Moment... ja", sagte er dann widerwillig. Der Klügere gibt nach.
Zumindest für diesen Moment. Eine solche Diskussion musste er nicht Rin’s
Gegenwart führen.
Diese Wache war eigenwillig und offensichtlich nicht sehr erfreut über den
doch so ehrenvollen Auftrag. Jaken ahnte, dass es nicht das letzte Mal gewesen
sein würde, dass sie so aneinandergeraten waren.
Rin bemerkte nichts von der Spannung, die sich zwischen den beiden Youkai
aufgebaut hatte. Sie wrang sich ihre Haare aus und suchte in ihren Reisetaschen
nach trockener Kleidung. Sie fand nur einen dunklen schlichten Yukata. Hinter
einem Gebüsch zog sie sich um.
Als sie wieder hervortrat, war Ah-Uhn fertig gesattelt und wartete gemeinsam
mit Keisuke und Jaken auf den Aufbruch. Rin legte ihre nassen Sachen auf den
breiten Rücken des Drachen hinter dem Sattel. Dann stieg sie auf und nahm
Jaken vor sich. Gemeinsam machten sie sich wieder auf den Weg.
"Wie konntest du dich nur so vergessen, Rin?", tadelte Jaken mit leiser
vorwurfsvoller Stimme.
"Warum? Was war denn daran falsch? Das habe ich doch auch frührer immer so
gemacht", fragte Rin verwundert, die bei bestem Gewissen nicht verstehen
konnte, was sie falsch gemacht hatte.
"Du bist eine Hime. Die Prinzessin der westlichen Länder. Es ziemt sich nicht
für eine Prinzessin, wie ein einfaches Bauernmädchen halb nackt in Flüssen
Fische zu fangen", sagte Jaken und starrte verdrießlich zwischen den beiden
Köpfen des Drachen nach vorne.
Rin schwieg betroffen. Sie hatte nicht darüber nachgedacht. Nicht im Traum
hatte sie gedacht, dass sie das nicht durfte. Doch wenn sie länger darüber
nachdachte, dann war das sicherlich nicht gerade das Verhalten, das einer
Hime würdig war.
So wie es aussah, gab es doch noch eine Menge Fallstricke, die sie beachten
musste. Hoffentlich passierte ihr nicht so ein Patzer bei den Verhandlungen.
Ihr Vater vertraute darauf, dass sie dieser Aufgabe gewachsen war.
Sie musste das schaffen. Entschlossen biss Rin sich auf die Unterlippe. Ab
jetzt wollte sie verantwortungsbewusst handeln.
Auch der zweite und dritte Reisetag vergingen ohne nennenswerte Vorkommnisse.
Der Reisealltag hatte sich schnell eingefunden. Keisuke war noch immer
schweigsam, wie eine Auster und Jaken begann langsam aber sicher immer mehr zu
jammern, dass er nicht mehr auf Ah-Uhn sitzen konnte.
Es war zur Mittagsstunde des vierten Tages, als sie in der Ferne eine
Staubwolke ausmachten. Seit den frühen Morgenstunden waren sie auf dem Gebiet
des Fürstentums Nakazato.
Keisuke spannte sich unmerklich an, während die Staubwolke näher kam. Der Wind
trug ihn schon mehr Informationen zu, als in diesem Moment zu sehen waren.
Es war eine Gruppe von Männern auf Pferden. Nicht gerade wenige, die sich
ihnen schnell näherten. Schon bald musste ihre kleine Gruppe für diese
sichtbar sein, denn die Straße führte an dieser Stelle schnur geradeaus.
Schon kamen sie in Sichtweite. Es handelte sich um einen Reitertrupp von
ca. zehn Mann, einige Läufer waren ebenfalls mit dabei. Mit schmalen Augen
mustere der Youkai die Kommenden. Es waren Krieger. Alle miteinander. Auch die
Leute, die zu Fuß unterwegs waren, trugen Waffen. Die Reiter parierten zum
Schritt durch, als sie sie erblickten. Langsam kamen sie nun näher.
Rin sah ihnen gelassen entgegen. Die Strasse war breit genug, dass sie
einander ohne zu behindern passieren konnten. Ihre Gedanken waren bei ihrem
Ziel. Wenn die Vermutung ihres Vaters zutraf, dann sollten sie heute im Laufe
des Tages Schloss Nakazato erreichen. Sie sah in den auf sie Zukommenden keine
Gefahr.
Das sah Keisuke jedoch völlig anders. Seit einigen Sekunden hatte sich der
Geruch verändert. Genauer gesagt, seit dem Zeitpunkt, als ihre kleine
Reisegruppe klar für die Männer dort drüben zu erkennen war.
Er roch die Angst und das Adrenalin, das durch die Adern der Männer schoss.
Keisuke wartete wachsam auf die erste Aktion und die würde kommen, da war er
sich sicher. Und sie würde so unüberlegt sein, wie alle Aktionen, die durch
die Angst und Unwissenheit der Menschen begangen wurden.
Der Trupp kam nur wenige Pferdelängen von ihnen entfernt endgültig zum Stehen.
"Was ist los?", kam die verwunderte Frage von Rin. Keisuke achtete nicht auf
ihre Worte. Was hier ablief, war ja für jeden vernünftig denkenden Youkai
klar verständlich. Es ging jedoch dann so schnell, dass ihm nicht viel Zeit
zum Handeln blieb.
"Achtung!" schrie Keisuke und sprang in demselben Moment vorwärts. Sein
Schwert beschrieb einen silbernen Bogen. Mit traumwandlerischer Sicherheit
traf er den Pfeil mitten im Pflug. Harmlos fiel die todbringende Spitze zu
Bogen.
Ah-Uhn brüllte wütend auf. Hätte Keisuke nicht so schnell reagiert, hätte der
Pfeil voll die breite Brust des Reitdrachen getroffen.
Rin zuckte erschrocken zusammen und zog die Zügel an.
"Vorsicht, Jaken-sama!", rief sie und griff hektisch in die hintere
Satteltasche.
"Was ist los? Was ist passiert? Warum sagt mir nie jemand etwas?", rief der
grüne Youkai mit quäkender Stimme. Da Rin heute vor ihm saß und ihm die Sicht
versperrte, war ihm der Angriff entgangen.
Rin hatte endlich gefunden, was sie gesucht hatte. Ohne zu zögern ließ sich
vom Sattel gleiten und eilte nach vorne.
Keisuke warf einen schnellen Blick zur Seite, als er neben sich eine Bewegung
spürte. Es war nicht der Drache, wie er eben noch vermutet hatte. Nein, neben
ihm tauchte die schlanke Gestalt von Rin auf.
Einen langen Kampfstab aus dunklem Holz fest in beiden Händen.
"Zurück", fauchte er wütend und veränderte seine Position, dass er erneut
zwischen der jungen Frau und den Angreifern stand.
"Ihr werdet Hilfe brauchen", erklang es ruhig und wieder stand sie neben ihm.
Rin’s Herz schlug vor Aufregung schneller, doch ließ sie sich nicht von ihrem
Vorhaben abbringen. Mit zu Schlitzen verengten Augen glitt ihr Blick über die
Gruppe Krieger, die auf den nervös hin und her tänzelnden Pferden saßen. Bögen
wurden erneut gespannt. Speere zum Angriff gesenkt.
Etwas im Hintergrund flatterte eine Fahne im Wind.
Rin zuckte zusammen, als sie den weißen Tiger auf schwarzem Grund sah.
"Fürst Nakazato", flüsterte sie leise. Sie machte einen weiteren Schritt nach
vorne und löste eine Hand vom Kampfstab. In der bekannten Friedens Bezeugung
hob sie die offene Handfläche hoch.
"Fürst Nakazato-sama. Ich grüße Euch. Wir kommen in Frieden. Wir sind
Abgesandte des Inu no Taishou um Verhandlungen über die Erneuerung der
Friedensverträge zu führen", rief sie und ihre klare Stimme hallte weit über
den Weg.
Das wütende Fluchen von ihrem Leibwächter, überhörte sie geflissentlich.
Keisuke drängte sie zur Seite und flüsterte scharf. "Haltet Euch zurück!"
Unruhe entstand in der Reitergruppe. Stimmen sprachen verwirrt durcheinander.
Schließlich löste sich ein Reiter in prächtiger Rüstung von der Gruppe und
trabte sein Pferd mehrere Schritte vorwärts. "Wenn das so ist, dann
entschuldigt unseren Angriff. Der Name des mächtigen Inu no Taishou ist auch
hier unvergessen.
Wir sahen nur eine junge Menschenfrau in der Gewalt von Youkai und wollten
helfen", kam es mit einer volltönenden Stimme unter der Maske der
Samurairüstung hervor, die das Gesicht des Reiters bis auf die Augen vollkommen
verdeckte.
Rin nickte. "Es besteht kein Grund zur Sorge. Keisuke-san ist mein Beschützer
und Jaken-sama", ihre Hand zeigte erklärend nach hinten auf den Krötendämon,
der immer noch auf den relativ sicheren Rücken des Reitdrachen saß. "Ist der
persönliche Berater des Inu no Taishou."
Der junge Mann stieg ab und gab die Zügel einem eilig herbeigelaufenen
Fußsoldaten. Seine Hände glitten zu seinem Gesicht und er löste die
Verschnürungen, die seine Maske hielten. Ein junges Männergesicht tauchte auf.
Die braunen Augen musterten mit unverholenem Interesse Rin. "Und wer seid
Ihr, meine Dame?"
"Mein Name ist Rin. Ich bin die Ziehtochter des Inu no Taishou."
"Mein Name ist Hiroki, ich bin der Sohn und Erbe des Fürsten", der junge Mann
verbeugte sich tief vor Rin.
Keisuke steckte das Schwert weg und nahm seinen Platz schräg hinter Rin ein.
Obwohl es offenbar keinerlei Hinweis mehr darauf gab, dass ein Angriff drohte,
blieb er wachsam. Der Geruch der vielen Menschen stach ihm unangenehm in der
Nase.
Sie hatten noch immer Angst. Deutlich konnte er den scharfen Geruch witternd.
Die Blicke, die sie ihm verstohlen zuwarfen, zeugten ebenfalls davon.
Ein grimmiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Oh, sie taten gut daran ihn
zu fürchten. Selbst mit dieser Übermacht wäre er fertig geworden. Er war zwar
kein Dai-Youkai, doch auch seine Fähigkeiten waren beachtlich.
Jaken hatte sich inzwischen von Ah-Uhn’s Rücken hinunter gleiten lassen und
watschelte mit gewichtiger Miene nach vorne.
"Bringt uns unverzüglich zum Schloss. Wir wollen die Verhandlungen über die
Erneuerung des Vertrages so bald wie möglich aufnehmen. Dazu sind mehrere
Überprüfungen notwendig."
Hiroki senkte den Kopf und verbeugte sich ebenso vollendet, wie eben noch vor
Rin.
"Jaken-sama, es wird mir eine Ehre sein, die Abgesandten des Inu no Taishou
auf unserem Schloss begrüßen zu können."
Er nickte Rin freundlich zu und befestigte die Maske wieder am Helm, dann
stieg er auf sein Pferd und gab den Befehl sich neu zu formieren.
Er bildete die Spitze und mit einer Handbewegung lud er Rin ein an seiner
Seite zu reiten. Während Rin den Kampfstab sich wieder zurückverwandeln ließ
und auf den Reitdrachen stieg, formierten sich die anderen Reiter und
Fußsoldaten hinter ihnen.
Befriedig bemerkte Keisuke, dass sie einen gehörigen Abstand hielten. Ah-Uhn
trabte unbeirrbar an seine Stelle in der Reihe.
Jaken saß vor Rin und machte eine gewichtige Miene. Es schien fast als ob er
vor Stolz ein paar Zentimeter gewachsen war.
Keisuke ahnte, dass in der nächsten Zeit dieser kleine Kerl unausstehlich sein
würde.
Ein wahrhaft toller Auftrag. Ein unnützes Menschenweib beschützen und einen
offensichtlich größenwahnsinnigen Krötendämon.
Hatte er vielleicht irgendwann in der Vergangenheit einen Fehler bei seinem
Dienst bei der Palastwache gemacht, dass das nun die Strafe dafür war?
Mit verschlossener Miene trabte er neben dem Reitdrachen her.
Nur mit halbem Ohr hörte er der Unterhaltung zwischen Rin und Hiroki zu,
während sie weiter ritten.
Es verging eine geraume Zeit, da tauchte vor ihnen eine Ebene auf in der sich
eine Stadt erstreckte, dahinter erhob ein nicht allzu hoher Hügel. Über den
Bäumen waren die geschwungen Dächer von Wachtürmen und Wohnhäusern zu erkennen.
Je näher sich der Stadt kamen, umso belebter wurde die Straße und immer mehr
Menschen kam ihnen entgegen.
Eilig wichen sie zur Seite und verbeugten sich, als sie das Wappen und den
Fürstensohn erkannten, der an der Spitze der kleinen Gruppe ritt.
Keisuke bemerkte jedoch, wie verstohlen die Köpfe gehoben wurden und sie
Ah-Uhn anstarrten und damit auch Rin, die auf den Rücken des Reitdrachen saß.
Jaken entging ihren forschenden Blicken eben sowenig, wie Keisuke, der sich
noch ein wenig näher an seine Schutzbefohlenden schob.
Doch nichts passierte. Unbehelligt näherten sie sich dem Schloss des Fürsten
Nakazato.
Die Wachen am Tor erkannten die Fahne und den Reitertrupp des Fürstensohns und
ließen sie mit einer tiefen Verbeugung passieren. Doch Keisuke registrierte
sehr wohl auch hier die misstrauischen Blicke, die trotz gesenkter Köpfe auf
ihnen ruhten.
Doch was sollten diese schwächlichen Kreaturen schon ausrichten?
Wären sie unter Youkai, dann wäre ein Schutz für Rin durchaus angebracht
gewesen.
Die Gruppe kam auf dem Innenhof zum Stehen. Sofort eilten Diener herbei, die
die Pferde nahmen. Die Wachen begannen sich wieder zu verteilen. Ein Mann kam
aus dem Haus und verneigte sich tief vor dem Fürstensohn. Hiroki nahm erneut
die Maske ab und diesmal folgte auch der Helm.
Rin musterte ihn interessiert.
Ein gut aufsehender junger Mann, der Fürstensohn. Sie hörte, wie er mit dem
herbeigeeilten Diener sprach.
"Das sind die Abgesandten des Inu no Taishou. Gebt ihnen die besten
Gästezimmer und erfüllt ihnen alle Wünsche."
Dann wandte er sich mit einem Lächeln an Rin."Bitte vertraut euch meinen
Diener an. Er wird euch in die Gästezimmer führen und wenn ihr etwas benötigt,
dann zögert nicht es ihm mitzuteilen.
Sobald mein Herr und Vater über eure Ankunft unterrichtet wurde, wird er euch
unverzüglich empfangen."
"Ich danke Euch", antwortete Rin und senkte den Kopf. Mit einer leichten
Verbeugung verabschiedete Hiroki sich.
"Bitte wartet", rief Rin aus. Ihr war noch etwas eingefallen und zwar in dem
Moment, in dem sich ein großer schuppiger Kopf sanft an ihrer Schulter rieb.
Hiroki drehte sich um. "Gibt es noch etwas, mit dem ich Euch dienen kann?"
"Oh ja", antwortete Rin und strich dabei Ah-Uhn über den linken Kopf. "Unser
Drache braucht ebenfalls eine Unterkunft."
"Oh je", murmelte Hiroki und musterte mit gesunden Respekt das riesige Tier.
"Ich denke mir, da wird unser Stallmeister etwas überfordert sein.
Was braucht denn dieses...?"
"Sein Name ist Ah-Uhn. Und er ist harmlos. Er braucht nur eine Überdachung
und er frisst Gras, oder Heu", antwortete Rin und merkte nicht das
erleichterte Aufatmen des Fürstensohnes.
"Na, das dürfte noch zu regeln sein", er winkte einen Burschen, der gerade
ein Pferd wegführen wollte. Der Junge überließ das Tier einem anderen und kam
sofort näher.
"Neben dem Stall gibt es eine Einzäunung. Bring Ah-Uhn dorthin und sattele ihn
ab. Gib ihm Heu und Wasser", befahl Hiroki.
Der junge Mann wurde bleich.
"Er wird dir nichts tun", sagte Rin und reichte mit einem Lächeln dem Jungen
die Zügel. Nur sehr zögernd ergriff er diese. Ein tiefes Brummen kam aus der
Brust des Drachen und alle außer Keisuke, Rin und Jaken zuckten zusammen.
Rin tätschelte Ah-Uhn den Hals. "Das geht in Ordnung, mein Freund. Sei schön
brav und geh mit. Ich werde heute Abend noch einmal nach dir sehen."
Der Drache ging los und zerrte die ersten Meter den jungen Mann einfach hinter
sich her, bis dieser aus seiner Erstarrung sich lösen konnte und nun mit weit
abgestecktem Arm den Drachen in Richtung Stall führte.
Rin wunderte sich über die Angst, die sie eben noch in dem Gesicht des
Stallburschens gesehen hatte. Ah-Uhn war doch nicht wirklich zum Fürchten. Er
war der liebste Drache auf der Welt.
"Wenn Ihr mir bitte folgen würde?", die Worte des Haushofmeisters holten sie
zurück. Der Mann streckte einladend die Hand in Richtung Schlosstreppe aus.
"Bitte folgt ihm. Er wird sich um euch kümmern, bis ich euch abholen lasse", sagte
Hiroki, lächelte und wandte sich dann mit eiligen Schritten ab, um in Richtung
Schloss zu verschwinden.
Keisuke hob die Satteltaschen vom Boden auf, die er Ah-Uhn kurzerhand zuvor
entfernt hatte. Jaken trat ein paar Schritte vor. "Dann bring uns zu unseren
Zimmern", befahl er dem Diener mit erhobener Stimme und stieß dabei mit dem
Nintojo-Stab mahnend auf die Erde.
Keisuke verdrehte nur unauffällig die Augen. Das würde ja heiter werden.
Dann folgte er den anderen in das Schloss.
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Ende Kapitel 3
Unsere kleine Gruppe ist an ihrem Bestimmungsort angelangt. Das nächste Mal
werden die ersten Gespräche geführt und Rin wird mit zwei völlig
gegensätzlichen Charakteren konfrontiert, die sie mehr als verwirren.
Und Keisuke bekommt zum ersten Mal den vollen Charme von Rin zu spüren.
„Mürrische Youkais und nette Männer“ sind eben nicht einfach zu handhaben.
Liebe Grüße
chaska