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Blutrote Rosen

von

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Kapitel 3

Ich war fiel zu aufgewühlt um irgendetwas anderes zu machen, als nach Hause zu gehen. Ich kochte mir eine Kanne Tee und verzog mich in mein Zimmer vor den PC.
 

Irgendetwas hatten Kalles Worte in mir ausgelöst, ich vermochte nur nicht zu sagen, WAS genau es war. Und ich wollte auch beim besten Willen nicht darüber nachdenken. In meinem Körper hatte sich eine unbändige Wut gesammelt, die wie ein gewaltiger Orkan durch meine Brust tobte.
 

Wut gegen Kalle… Wut gegen meine Mutter… Wut gegen die gesamte Welt… Wut gegen mich selbst…
 

Ich startete Quake 3 und lies meine gesamte Wut an den Menschen aus, die mir ins Blickfeld rannten. Nach zehn Minuten lies ich erschöpft die Maus los. Ich war außer Atem, zitterte am ganzen Leib. Für einen Moment hielt ich inne, starrte auf die Leichenteile auf meinem Bildschirm. Dann beendete ich das Spiel.

Dieser uralte Egoshooter tat doch immer noch seine Wirkung.
 

Ich fühlte mich wieder leer.
 

Was hatte ich getan? Ich hatte ein paar virtuelle Typen abgeballert, hatte gesehen, wie ihre Körper explodierten und Blut spritzte. Und jetzt war da diese Leere… Fühlte es sich besser an? Ich wusste es nicht…
 

Die nächsten Tage verliefen recht ähnlich. Ich saß am PC, surfte im Internet und las ein wenig in Azrael von Wolfgang Hohlbein.
 

Dann kam Neujahr. Meine Mutter hatte schon angekündigt, nicht bei Jahreswechsel zu Hause zu sein.
 

Sie würde in der Firma feiern.
 

Mir kam das alles recht eigenartig vor, aber ich hatte auch keine Lust dazu, ihre Aussage in Frage zu stellen.
 

Im Gegenteil, ich hatte meine eigenen Pläne: Ich hatte mir vorgenommen, das Feuerwerk zu Jahreswechsel von der Bahnhofsbrücke aus zu betrachten.
 

Es war einer meiner Lieblingsplätze in der Stadt und außerdem hatte man von dort aus eine gute Sicht. Pünktlich um 11 Uhr Abends machte ich mich auf den Weg. Als ich an der Brücke ankam, standen dort schon einige Menschen. Anscheinend hatte sich die gute Aussicht schon herumgesprochen.
 

Ich sah mich vorsichtig um, konnte aber zum Glück niemanden sehen, den ich kannte. Umso besser…
 

Ich suchte mir einen freien Platz an der Brüstung und starrte in die Nacht hinaus. Vor ein paar Tagen noch, wäre ich fast freiwillig hier herunter gesprungen. Und irgendwann würde ich es sicher tun, aber heute… heute Nacht ganz

bestimmt nicht.
 

Ich lies meine Gedanken schweifen und genoss den kühlen Wind auf meinem Gesicht. Neben mir begann ein kleines Kind zu weinen.
 

Irgendwann, ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, spürte ich, wie sich jemand neben mich stellte. „Hey“, sagte eine vertraute Stimme.
 

Erstaunt hob ich den Kopf und sah in das Gesicht des Jungen vom heiligen Abend.
 

Ich wusste nicht was ich sagen sollte.
 

„Äh… Hi…“, stammelte ich.
 

Der Junge drehte den Kopf nach unten; starrte verlegen auf seine Füße. „Ich wollte noch mal sagen… ähm… Tut… tut mir echt Leid… Also, t’schuldigung… wegen Weihnachten… Du weißt schon…“ Er errötete leicht.
 

Stimmt ja! Er hatte mir meinen Selbstmord vermasselt. Eigentlich müsste ich ihn dafür ja hassen. Aber ich tat es nicht. Um ehrlich zu sein freute ich mich sogar ein wenig über seine Anwesenheit.
 

Für einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihm zu erzählen, dass seine Sorge gar nicht mal so unberechtigt gewesen war; dass ich wirklich vorgehabt hatte zu springen!
 

Aber ich schwieg.
 

Natürlich schwieg ich! Wer war er denn, dass ich ihm so was erzählte? Ich kannte ihn ja schließlich gar nicht.
 

Aber vielleicht war ja genau das das Sinnvolle daran: Mit jemand völlig Fremden über meine Probleme sprechen? Nein, dann hätte ich schließlich auch zum Psychiater gehen können... Oder zu Kalle… Ich seufzte leise.
 

Der Junge neben mir wippte nervös von einem Bein auf das Andere. Einmal sah er mich kurz von der Seite an, als wolle er etwas sagen, wandte sich dann aber doch wieder ab. Die Minuten zogen vorbei. Langsam zwar, aber dennoch unaufhaltsam. Ob das neue Jahr wohl besser werden würde?
 

Irgendwann begannen die Leute neben uns von 60 rückwärts zu zählen. Als sie bei Drei waren, spürte ich einen Druck an meiner Hand. Die Hand mit den schlanken Fingern die sich um meine geschlungen hatte, gehörte dem Jungen.
 

Ich sah ihn erstaunt an, wollte fragen was los war, meine Hand von ihm losreißen – ich war ja nicht schwul, was sollten die Leute denken – aber dann lies ich es doch. Er starrte regungslos in die Dunkelheit. Ich merkte, dass ihn irgendetwas beschäftigte und ihm Angst machte. Vielleicht, weil ich mich selber schon so oft mit diesem Gefühl gequält hatte.
 

Also erwiderte ich bloß still den Druck seiner Hand. Was die Leute von mir sagten hatte mich eh noch nie interessiert. Vom Kirchturm her hörte ich den ersten Glockenschlag. Keine halbe Sekunde später ging das Feuerwerk los. Der Junge lächelte mich an. „Frohes Neues Jahr!“, flüsterte er.
 

Ich erwiderte schüchtern sein Lächeln. „Dir auch“
 

„FROHES NEUES JAHR, ALLE ZUSAMMEN!“
 

Ich zuckte erschrocken zusammen. Eine etwas ältere, untersetzte Frau kam über die Brücke gewatschelt und sprach allen die es hören wollten (und auch jenen, die es nicht wollten) ihre Wünsche aus.
 

Vor mir machte sie halt. Dann sah sie den Jungen an. „Hach Chrisilein“, flötete sie. „Dir wünsche ich auch viel Glück! Dir und deinem“, sie musterte mich eingehend „Freund! Frohes neues Jahr!“ Und schon watschelte sie weiter Hinternschwingend die Brücke entlang.
 

Der Junge starrte mich entsetzt an. Dann wurde ihm gewahr, dass er noch immer meine Hand umklammert hielt. Erschrocken zog er seine zurück.
 

„Sorry, das wollt ich nicht… Ich meine… das war keine Absicht! Ich…“
 

„Schon Okay“, flüsterte ich „Manchmal braucht man das eben“
 

Ich dachte an meine eigenen Gefühle, an dem Tag, an dem ich Kalle kennen gelernt hatte.
 

Der Junge lächelte dankbar, nickte und kaute nervös auf seiner Unterlippe herum.
 

Hinter uns explodierte eine erneute Salve Feuerwerkskörper.
 

„Äh“ Ich suchte verzweifelt nach einem passenden Gesprächsthema, aber – so musste ich mir eingestehen – ich war grottenschlecht in so was.
 

„Kanntest du die Frau da eben?“, fragte ich schließlich.
 

„Ja, leider“, sagte der Junge, sichtlich erleichtert darüber, dass ich die unangenehme Stille zwischen uns durchbrochen hatte. „Das war meine Tante“ Er hob seine Augenbrauen, spitzte die Lippen und ahmte die Stimme der Alten nach
 

„Chrisilein, tu dies, tu das“ Er verdrehte die Augen. „Auf die Dauer nervt das…“
 

Ich musste unwillkürlich lachen. Vielleicht war es ja doch besser, außer zu meiner Mutter und meiner an Altersdemenz leidenden Oma keinen Kontakt mehr zu den Verwandten zu haben.
 

Chrisilein hatte er gesagt…
 

„Heißt du Chris?“
 

„Was?... äh... Ja klar! Sorry, hab mich ja noch gar nicht vorgestellt: Christian Schulten! Und mit wem hab ich das Vergnügen?“
 

Ich begann zu schwitzen. „Fabian“, sagte ich. „Fabian Maurer! Meine Freunde nennen mich Fabi!“
 

Fabian-meine-Freunde-nennen-mich-Fabi-Maurer hätte sich in diesem Moment am liebsten den Schädel gespalten. Was war denn das für ein dämlicher Spruch gewesen, bitte?
 

Außerdem hatte ich gelogen… Ich hatte schließlich gar keine Freunde. Kalle war der einzige gewesen, der mich je Fabi genannt hatte – abgesehen von meiner Mutter, aber das galt nicht!
 

Chris schien meine Zweifel nicht zu bemerken.
 

„Also Fabi“, sagte er. „Schön dich kennen zu lernen!“ Er machte eine kurze Pause, als wartete er darauf, dass ich irgendetwas erwiderte. Dann räusperte er sich.
 

„Du, ich muss jetzt nach Hause, sonst gibt’s Zoff mit Mama. Man sieht sich!“

Und mit diesen Worten stürmte er davon und ich sah ihn – wie in einem Déja-vu – in der Dunkelheit verschwinden.
 

Ich war wieder allein.
 

Hinter mir flog die letzte Rakete in den Himmel und zerstob in einem Schauer aus Funken.



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