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Blood Deal

Even if saving you sends me to heaven
von

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Hündischeres

Antonin

Antonin war über alle Maßen angepisst. Etwas das er wie Schild und Schwert mit sich herumtrug und dazu führte, dass er die Unterschrift unter den Wisch mit mehr Gewalt als nötig setzte. Zwei Tage. Zwei beschissene Tage war er noch hier gelegen, hatte sich durch eine Röhre schieben lassen und war im Allgemeinen höflicher zu den Menschen um ihn herum gewesen. Bis er aus purer Langeweile durch den Prospekt des Krankenhauses geblättert hatte und dort über ein Bild des hochangesehenen Doktors Oliver Sacks gestolpert war. Einer, der absolut nicht nach dem eindrucksvollen Mann aus seiner Geburtstagsnacht aussah. Seine Suche nach dem Pfleger und der Nachtschwester blieb ohne Erfolg, aber dafür fand er Doktor Rosenberg und fragte diesen nach der prozentualen Möglichkeit einer Arterienverschließung. Und 25 Prozent waren ihm gering genug. Antonin hatte es satt. Er hatte es so unglaublich satt, sich von vorne bis hinten belügen lassen zu müssen und würde den ganzen Mist jetzt selbst in die Hand nehmen.

Tayra, die ihn häufig vormittags besuchte war alsbald geschickt ausmanövriert und er hielt kurz darauf seinen eigenen Wohnungsschlüssel in den Händen und die Information nach dem Straßennamen seiner Wohnung. War gar nicht weiter schwer gewesen. Eine unschuldige Frage nach dieser Straße, die ihm offen beantwortet wurde und dann ein wenig Schauspielern und behaupten, dass er eine Tür mit Karte und Code hatte. Sofort wühlte diese Frau in ihrer Tasche und zeigte ihm seinen eigenen Wohnungsschlüssel. Sie danach aus dem Zimmer zu bekommen und diesen aus ihrer Handtasche zu stehlen war nicht weiter schwierig gewesen.

Danach der kurze 'Zusammenstoß' mit seinem Doktor, eine abermalige zur Schau Stellung seines unbeugsamen Sturkopfes und eine zornige Unterschrift später stand er auf der Straße und sah sich nach einem Taxi um. Wut schwomm in seinen Augen und der nächste, der ihm dumm kommen würde, den würde er mit einem göttlichen Feuerschwert erschlagen. Der Taxifahrer schien zu ahnen, dass es besser wäre nichts zu sagen, was Antonin mit einem großzügigen Trinkgeld belohnte und sich dann dem Haus zuwandte, in dem er wohl lebte. Tatsächlich wusste er welche Tür zu ihm gehörte und stand wenige Minuten später in seinem Gang und ließ die Ruhe auf sich wirken. Zumindest bevor er in die Stofftasche griff, die er mit sich herumtrug und den Tonengel daraus hervorholte. Jenen vorsichtig auf das Telefonkästchen stellte. Sicher war sicher, nicht dass er doch plötzlichen Schwindel bekam und umfiel und das schöne Stück damit kaputtmachte.
 

Die nächsten Stunden waren in Ermanglung eines besseren Ausdruckes dafür, einfach nur seltsam. Es fühlte sich nicht an als würde er seine eigene Wohnung betrachten, sondern sich durch die eines Fremden wühlen. Nur hin und wieder fühlte er sich nicken, Dinge als seine eigenen erkennen. Die Post-its waren typisch für ihn. Schon immer gewesen. Das schwarz-weiß Bild in seinem Schlafzimmer fand er wunderschön und sein Musikgeschmack war tadellos. Dafür war sein Kleiderschrank eine Katastrophe und er konnte sich nur ein wenig zufriedener zeigen als er einen Stapel Kleidung erkannte, der so aussah als hätte man ihn eilig zusammengeknüllt und ins Eck geworfen. Die Lederhose war schick und das weisse Top hatte etwas, auch wenn er sich frage, ob die Lederbändchen wirklich sein müssten. Und das Halsband brachte ihn zum lächeln.

Bis er die kleine Pistole daran näher betrachtete, sie in der Hand wog und nach einigen Minuten wie von der Tarantel gestochen aufsprang. Was seinem Kopf nicht gut tat und strengstens verboten war, aber das war in diesem Moment egal. Zielstrebig öffnete er eine Schranktür, schob einen Anzug beiseite und holte den Kasten, der sich dahinter verbarg hervor. Und ja, dort lagen zwei Waffen, ganz wie vermutet. Unterschiedliche Handfeuerwaffen, wovon ihn die eine deutlich mehr ansprach. Mit zittrigen Händen holte er sie hervor und ohne groß darüber nachdenken zu müssen entfernte er das Magazin, überprüfte es und legte es dann neben die Eagle. Ja.. das war eine Desert Eagle. Seine Desert Eagle.

"Was genau geht hier eigentlich vor?", murmelte er und verstaute die Kiste wieder, bevor er sich ein wenig mühsam in die Küche schleppte, sich einen Block und Stift griff und sich einige Minuten später in eine Decke gewickelt auf der Couch wiederfand. Wo er eine Weile ohne etwas zu sehen in die Luft starrte und schließlich einige Worte niederschrieb.

Desert Eagle

Waffen

Fellknäul

Savoy
 

Antonin würde diese Liste weiterführen und er würde dahinter kommen, was ihm diese Idioten verschwiegen. Auch wenn dieser Nicholas Andeutungen gemacht hatte, dass es vielleicht nicht falsch wäre zu vergessen, so war Antonin ganz anderer Ansicht. In ihm nagte etwas. Etwas, das ihn auf Trab hielt, das ihn auf Zehenspitzen gehen und ihn über die Schulter sehen ließ. Er war sich sicher etwas Wichtiges vergessen zu haben. Etwas, das ihm wichtig war. Dazu noch der Gedanke an den wichtigen Termin, auch etwas, das ihm keiner beantworten konnte oder wollte.

Abermals leuchtete Zorn aus seinen Augen, als er den Kopf zurück auf die Sofalehne legte. Die sollten ihn nur nicht unterschätzen. Sowie ihm auch nur ein Ort einfiel, würde er sich auf seine eigenen Spuren begeben.
 


 

Cole

"Wie er ist nicht mehr da?", fragte Cole verwundert. Als er diese Nacht zu Antonins Zimmer gekommen war, um wie üblich zu beobachten, wie er schlief, zu fragen, wie es ihm ging, ihm etwas zu Essen da zu lassen, hatte er jemand Fremden in dessen Zimmer vorgefunden. Cole hatte Glück, dass Dr Rosenberg heute Nachtschicht hatte, der ihn davon in Kenntnis setzte, dass Antonin seine Entlassung gefordert hatte, nachdem er ihm hatte mitteilen sollen, wie hoch die Gefahr eines Arterien- oder Venenverschlusses sei. "So ein verschissener Dreckskerl", fluchte Cole. "So ein verdammtes, kindisches, sturköpfiges Arschloch." Wut glomm in ihm auf.

Der Doktor, der sich offenbar auch verflucht fühlte, versuchte sich zu rechtfertigen, dass er keine andere Wahl gehabt habe. "Sie können nichts dafür", versicherte Cole. "Sagen Sie mir, was zwingend notwendig wäre, damit Antonin auch außerhalb der Klinik sicher ist." Der Doktor erklärte es ihm, stellte ihm Medikamente auf einem Rezept zusammen. Cole schrieb sich die wichtigen Dinge mit, ließ sich die Nummer von Nicholas geben, die auf Antonins Akte vermerkt war, und rief diese an. Eine Frau meldete sich. "Hier ist Cole", sagte Cole kühl. "Antonin hat sich entlassen. Sucht ihn. Ich komme nachher vorbei und bringe Medikamente, die er braucht. Zwingt ihn, bei euch zu bleiben. Er muss beaufsichtigt werden. Wenn ihr ihn nicht findet, versuche ich mein Glück. Und wenn irgendetwas ist, ruft mich bitte an." Er wartete gar nicht auf eine Antwort, zumal sein Tonfall ohnehin keinen Widerspruch geduldet hätte.

Er dankte dem Arzt, der ihm versicherte, anrufen zu dürfen, wenn er Fragen habe. Dann verließ er das Krankenhaus.
 

Die letzten zwei Tage hatte Cole damit zu tun gehabt, sich so viel zu beschäftigen, dass er das 'Geburtstagsgespräch' mit Antonin vergessen konnte. Er organisierte und führte einige Deals durch. Ragnar, der offensichtlich ihn wie seinen Augapfel hütete, fragte immer wieder, wie es ihm ginge, doch darauf antwortete er nur halbherzig. Denn im Moment konnte er auch keine wirklich ehrliche Antwort dazu abgeben. Er war beruhigt gewesen zu sehen, dass jener nachts gut schlief, dass er sich daran hielt, was sie besprochen hatten. Aber mehr wusste er auch nicht.
 

Cole fuhr zu einer Apotheke, die Nachtdienst hatte, und besorgte die Medikamente. Dann fuhr er zu Nicholas nach Hause, wo er unschlüssig war, was er tun sollte. Eine Weile beobachtete er das Haus. Sie würden Antonin sicher noch nicht haben. Eines war ihm klar, er durfte sich nie wieder von Antonin sehen lassen. Er sollte die Möglichkeit erhalten, ein ruhiges, freies, sorgloseres Leben zu führen, als das, das er bisher führte. Und deshalb würde Cole sich diesem nicht mehr zeigen.

Schließlich stieg er aus, die Tüte und seine Aufzeichnungen in der Hand und ging hinüber zum Haus, um zu klingeln. Antonin sollte es gut gehen, das war das Wichtigste.
 


 

Tayra

Tayra öffnete dem Mann, bevor er klingeln konnte. Cole, wenn sie das am Telefon vorher richtig verstanden hatte. Sie nickte ihm zu, mit einem Ohr noch am Telefon, bedeckte die Muschel kurz mit einer Hand. "Warte kurz", bevor sie wieder der empörten Stimme lauschte.

"Du hättest es besser wissen müssen! Er sagt sowas nicht zum Spaß. Ich habe dir gleich gesagt, dass ich fahren sollte, aber nein, der gnädige Herr dachte ja, dass es so viel besser wäre nicht auf seine eigene Frau zu hören. Ich habe gute Lust, dich da sitzen zu lassen." Sie lachte ein wenig hohl auf. "Du in einer Zelle, dass ich das noch erleben darf. Sogar mit Ansage." Sie lauschte der Antwort und musterte nebenbei den Mann vor sich. Er war ein ganzes Stück größer als sie selbst, was nicht weiter schwierig war und sie musste Nicholas Beschreibung von ihm zustimmen. Ein Eiswürfelbad war wärmer als dieser Blick. Aber was Nicholas nicht erwähnt hatte, war, dass der Kerl ein ganz eindrucksvolles Stück Mann war. Auf ganzer Linie. Ob Toni, mit seinem neuentdeckten Schwulsein wohl ein Auge auf jenen geworfen hatte? Doch solche Gedanken waren jetzt nicht förderlich und als ihr Mann geendet hatte blitzten ihre braunen Augen unheilsvoll auf. "Dieser Cole ist hier", merkte sie an und warf einen Blick auf die Tüte. "Mit den Medikamenten. Hast du ihn eigentlich zu Gesicht bekommen?… Mh... er ist ein erwachsener Mann, Nicholas. Ich erkenne das ganze Drama daran nicht. Es ist alles völlig in Ordnung, wenn er innerhalb kürzester Zeit zweimal angeschossen wird, aber sich selbst aus einem Krankenhaus zu entlassen ist es nicht?" Da Nicholas nicht da war, um ihren Frust mit der ganzen Situation abzubekommen, musste eben dieser Cole dafür herhalten. Welchen sie unzufrieden betrachtete. "Ach ja?", höhnte sie. "Na dann ist ja alles wunderbar. Ich komme später, um die Kaution zu hinterlegen." Sie beendete das Gespräch und hob eine Augenbraue.

"Du bist sein Ziel richtig? Wie kommt es, dass man dich kein einziges Mal im Krankenhaus sieht, aber du jetzt weißt, dass er sich entlassen hat?", fragte sie gerade raus. Sie hatte keine Angst vor diesem Mann. Zumindest keine, die begründet werden konnte. "Er ist bei sich Zuhause und hat die Polizei gerufen, als Nicholas versucht hat, sich Zutritt zu der Wohnung zu verschaffen. Etwas, das er angekündet hatte, als ich ihn anrief. Ich zitiere: 'Ich war sowieso nur noch im Krankenhaus, weil ich angelogen wurde und wenn ihr mich heute nochmal nervt, dann lasse ich euch von der Polizei abführen. Habt ihr nichts Besseres zu tun, als mich zu stalken?' - Zitat Ende." Abwartend musterte sie den Mann vor sich. Ein wenig prüfend, ein wenig schwankend, doch dann schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. "Allerdings hatte Nicholas auch keinen Schlüssel, während ich nicht nur den hatte, den man mir im Krankenhaus gegeben und den Antonin mir geklaut hat, sondern auch den, den er bei mir zur Sicherheit hinterlegte. Das kommt davon wenn man seine Frau nicht aussprechen lässt."
 


 

Cole

Die brodelnde Wut auf Antonin, die in ihm gärte erhielt neue Nahrung, als er hier stand, wie bestellt und nicht abgeholt, während diese Frau offensichtlich mit Nicholas telefonierte. Die Frau galt sicher als hübsch, wenn man auf Frauen stand. Sie wirkte energisch und nicht auf den Mund gefallen. Sicher nicht schlecht, wenn man mit einem Mann wie Nicholas verheiratet war. Und Cole wusste ja auch, dass sie Rennen fuhr. Sie musste energisch sein.

Wer die dritte Person im Gespräch war, konnte er zunächst nicht aus dem Gespräch schließen. Es ärgerte ihn nur, dass es Nicholas offensichtlich nicht möglich war, nach Antonin zu suchen. Er wurde noch ungeduldiger und es fiel ihm schwer, dieser Frau nicht einfach das Telefon aus der Hand zu nehmen, um aufzulegen. Um nicht noch ungeduldiger zu werden blickte er sich um, leicht unruhig auf seinen Zehenspitzen wippend, ohne dass er es wirklich merkte. Als er jedoch seinen Namen hörte, blickte er Tayra wieder an. Und die nun folgenden Worte ließen ihn erahnen, was geschehen war. Sein Blick verdunkelte sich wieder. Dieser verdammte Sturkopf...

Ruhig erwiderte er den Blick, mit dem Tayra ihn bedachte. "Das geht dich nichts an", beantwortete er die Frage, die Tayra an ihn richtete. Es tat nichts zur Sache, wie es kam, dass er nun hier auftauchte. "Fakt ist, dass ich hier bin." Er hörte ihr aufmerksam zu, musste kurz wütend schnauben, als er hörte, was Antonin zu ihnen gesagt hatte. Er stützte einen Moment seinen Kopf auf seine Hand, seine Hand über den Augen liegend. "Dieser verdammte Vollidiot", knurrte er und seine Augen glommen vor Wut, als er Tayra wieder ansah. "Du hast noch einen Schlüssel?", fragte er überrascht. Einen Moment stutzte er. Nicholas in U-haft, Antonin in seiner verschanzten Wohnung, Tayra musste die Kaution zahlen. Wer würde zu Anotnin gehen - er kam sich vor wie in einer Rateshow, bei der man im Multiple Choice-Verfahren via Ausschluss auf die richtige Lösung kam: Cole, er selbst. Aber das ging eigentlich nicht.

Erstens, weil er Antonin nicht sehen sollte, und zweitens, weil er der Auslöser dieser Lüge war. Er war derjenige der gelogen hatte. Nicht, was den Gesundheitszustand betraf, sondern wegen seiner Identität. Offenbar musste Antonin herausgefunden haben, wer Dr. Sacks wirklich war. Er seufzte tief. "Mir scheint, mir bleibt nichts anderes übrig. Darf ich den Schlüssel haben?", er blickte Tayra fragend an. Und ein wenig konnte man sehen, wie kraftlos, hoffnungslos er eigentlich im Moment war, wie sehr ihn diese Sache wirklich mitnahm. Er hatte seit Tagen nicht mehr wirklich geschlafen, fand keine Ruhe, arbeitete, um nicht nachdenken zu müssen. Zudem nagten mehr und mehr Schuldgefühle an ihm. Schuld, weil er Antonin nie dazu hätte verpflichten sollen, sein Guard zu werden, denn dann wäre das alles nicht passiert.

Und nun ermöglichte ihm dieser Idiot nicht das zu tun, was er sich selbst offenbar doch eigentlich gewünscht hatte, unterbewusst. Nämlich von dem ganzen Scheiß in seinem Leben nichts mehr wissen zu wollen, einschließlich Cole selbst. Cole nickte müde. "Ich bin kein Schuljunge", murrte er und nahm den Schlüssel entgegen. "Ich melde mich, wenn es etwas Neues gibt." Er trat die wenigen Stufen hinunter. "Und danke", fügte er noch an und hob kurz den Schlüssel, sich die Worte sparend, weshalb er sich bedankte.

Als er im Auto war musste er einen Moment verschnaufen. Was, verdammte Scheiße, sollte er jetzt machen? Warum verhinderte man es ihm, Antonin einfach in Ruhe zu lassen? Nein,... Warum war es ihm nicht möglich, den anderen einfach in Ruhe zu lassen? Warum kümmerte er sich überhaupt, wieso war er hier, wieso würde er jetzt zu Antonin fahren? Er ließ die Stirn auf das Lenkrad sinken, atmete tief durch. "Du bist ein Idiot, Cole!", murmelte er und fuhr schließlich los. Er hatte eine Verantwortung für Antonin, ja so war es. Eine Verantwortung, weil er ihn in dieser Situation gebracht hatte. Und nun müsste er seine Pflicht tun. Er musste Antonin helfen, weil er es ihm schuldete.

Und wenn Antonin wieder fit war würde er ihn über Knie legen und ihm so lange den Hintern versohlen, bis er nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Das war ihm jetzt mehr als klar. So ein elendiger Scheiß Sturkopf!
 

Als er schließlich bei Antonin hielt, hatte er sich genug eingeredet, dass es nun einmal seine Pflicht war, dass er Verantwortung zeigen musste. Er trug die Schuld für die Misere.

In Antonins Wohnung brannte Licht. Er öffnete unten die Haustür und ging die Stufen hinauf. Vor der Wohnungstür blieb er kurz stehen, bevor er den Schlüssel ins Schloss steckte und die Wohnungstür öffnete. "Antonin, bist du da?", fragte er leise in den dunklen Gang hinein, der ihn empfing. Vorsichtig schloss er wie Tür wieder und ging leise in Richtung Wohnzimmer, wo er Licht sah. Er trat nicht aus dem Schatten heraus, als er Antonin dort sitzen sah, offensichtlich eifrig damit beschäftigt etwas aufzuschreiben. Einen Moment senkte er den Blick. Ob er die Medikamente einfach hier hinstellen und wieder gehen sollte? Dann hätte er doch seine Pflicht erfüllt oder? Aber was, wenn Antonin die Medikamente nicht nehmen würde... Ihm blieb wahrscheinlich keine andere Wahl. Einige Momente sah er Antonin noch zu, betrachtete das Gesicht, das ihn Nacht für Nacht verfolgte. Dann trat er in das Licht. "Ich fürchte ich muss etwas klar stellen und dir einige Fragen beantworten. Außerdem habe ich dir deine Medizin mitgebracht. Darf ich?" Er würde Antonin die Wahl lassen. Vielleicht würde dieser ja keine Fragen haben, würde nichts wissen wollen. Dann würde er wieder gehen, guten Gewissens. Ruhig blickte er Antonin ins Gesicht, abwartend, wie jener reagieren würde.
 


 

Antonin

Erschöpft drückte Antonin sich in das weiche Polster seiner Couch und seufzte. Er hatte es ihnen prophezeit, oder etwa nicht? Erstaunlich wie schnell die Polizei tatsächlich hier gewesen war, nur noch kurz seine Personalien haben wollte und den Russen dann mit ihnen genommen hatten. Ob er wohl Suaheli sprach, oder warum schien niemand auf das einzugehen, was er wollte? Er fühlte nur ein minimales schlechtes Gewissen, denn wenn die beiden ihn angeblich so gut kennen würden, dann wüssten sie, dass er mit so etwas keine Scherze betrieb. Abermals war ein Funken Misstrauen entfacht, besonders dem Mann gegenüber. Die Frau schien eher auf ihn eingehen zu wollen, aber wurde häufig von kleinen Blicken und Gesten gestoppt. Oh ja, zwar wusste er nicht genau warum aber er besaß offensichtlich ein sehr gutes Auge für solche Kleinigkeiten. Kleinigkeiten wie sie ihm inzwischen auch in seiner Wohnung aufgefallen waren. Wie die aufgerissenen Kondomhüllen, die beiden Kaffeetassen die in seiner Spüle standen und das beidseitig zerwühlte Bett. Vor welchem er nach der Aktion mit der Polizei geraume Weile gestanden und darauf gestarrt hatte. Wie konnte es sein, dass er anscheinend über ein intaktes Sexualleben verfügte und ihm niemand etwas darüber erzählte? Schlief er sich durch die Landschaft und er war deshalb nicht besucht worden? Aber würde er so jemanden zu sich in die Wohnung holen? Ein seltsamer Gedanke, der ihm nicht gefiel. Aber er war sich zumindest sicher, von einem Mann ausgehen zu können. Etwas das ihm schon im Krankenhaus aufgefallen war, als er sich über die hässlichen Pfleger geärgert hatte. Und weil er noch recht nachhaltig über jenen Mann nachgedachte, der ihn so dreist angelogen hatte.

Sich ein Glas Wasser einschenkend, hatte er nebenbei den Inhalt seines Kühlschranks gemustert und zufrieden festgestellt, dass er sich tatsächlich gut ernährt. Weniger zufrieden war er jedoch damit, dass er das Gemüse erstmal wegwerfen konnte. Naja, würde er sich später eben eine einfache Brühe machen. Suppenwürfel hatte kein Ablaufdatum von ein paar Tagen. Schulterzuckend war er mit seinem Glas wieder ins Wohnzimmer geschlendert und fand sich jetzt über verschiedene Blätter gebeugt. Alle mit vereinzelten Worten beschmiert, die er versuchte in eine Reihenfolge oder überhaupt in einen Zusammenhang zu bekommen.

Er hörte seinen Besucher nicht kommen und zuckte zusammen als jener ihn ansprach. Den Mann mit der eindrucksvollen Aura vor Überraschung mit aufgerissenen Augen musternd, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Der Kerl besaß einen Schlüssel zu seiner Wohnung? Antonin war zwischen Überraschung, Zorn und auch Neugierde hin und her gerissen und entschied sich schlussendlich für letzteres. Immerhin wurden ihm hier gerade Antworten versprochen. Er wandte den Blick ab, wieder auf den Tisch und griff sich zielgenau eines der Blätter und hob es hoch ohne den anderen anzusehen. "Nur zu, Doktor Who. Oder sollte ich Collins sagen? Stimmt das?", fragte er mit ruhiger Stimme, auch wenn das Blatt in seiner Hand mehr zitterte als ihm lieb war. Er schob es auf sein Schädeltrauma oder wie auch immer die das nennen wollten. "Wenn es nicht mein eigenes Leben betreffen würde, wäre dieses Zusammenpuzzeln sogar ganz spannend", fuhr er fort bevor er doch wieder zu dem Mann sah, mit fragendem Blick. "Es sind nur Kleinigkeiten, befürchte ich, aber ich denke Sie... nein, ich denke du bist aus irgendwelchen Gründen wichtig. Was mich nur weiter zu der Frage bringt, warum ich angelogen wurde." Er fühlte sich nicht so ruhig wie sich seine Stimme anhörte. Tatsächlich machte ihm das ganze deutlich mehr Angst als er zugeben wollte. Was wenn sein Gedächtnis so lückenhaft blieb? Was wenn ihm weiterhin Jahre fehlen würden? Was wenn er wichtige Personen nicht mehr erkannte? Jeder konnte ihn momentan die Geschichte vom Weihnachtsmann erzählen und ihm würde momentan gar nichts anderes übrig bleiben, als daran zu glauben. Es war so frustrierend!
 


 

Cole

Also erinnerte sich Antonin langsam aber sicher an gewisse Dinge, erkannte aber keine Zusammenhänge und Hintergründe. Und offenbar war er gerade damit beschäftigt, sich aufzuschreiben, woran er sich erinnern konnte, um alles doch noch in einen großen Zusammenhang zu bekommen. Doch was nun? Was bedeutete das für ihn? Sollte er die Wahrheit sagen? Sollte er ihm alles erzählen, was er wissen wollte? Cole wusste es nicht. "Cole", sagte er. "Mein Name ist Cole." Auf alles andere ging er gerade nicht ein. Er trat näher an das Sofa heran, spürte deutlich, dass ausgerechnet jetzt sein Körper beschloss, dass es zu viel war, spürte, dass er müde wurde, erschöpft, kraftlos. Er hob die Tüte mit den Medikamenten an und stellte sie auf den Tisch. "Ich bin auch kein Doktor, dennoch habe ich dir die Medikamente mitgebracht, die wichtig dafür sind, dass du weiterhin so erfolgreich gesund wirst. Seine Augen ruhten in denen des anderen. Er sah die Unruhe in diesem, sah sein Zittern, und er fühlte sich unglaublich hilflos. Er überlegte einen Moment, dann setzte er sich auf das Sofa, ans andere Ende, lehnte sich an und atmete tief durch. Er streifte seine Schuhe ab, zog die Beine an und setzte sich so, dass er Antonin ansehen konnte. "Du hättest auf mich hören sollen und im Krankenhaus bleiben, aber dein elendiger Sturkopf und deine offensichtlich gekränkte Eitelkeit sind wohl wichtiger als dein Verstand", knurrte er nun und spürte wieder die Wut, die ihn schon seit er im Krankenhaus mit dem Chefarzt gesprochen hatte, verfolgte. Und die Wut wurde größer, auch wenn sie sich nicht gegen Antonin richtete, sondern eigentlich gegen ihn selbst. Denn er spürte, wie er es kaum ertragen konnte, die Angst in Antonins Gesicht zu sehen. Und er kannte ihn gut genug, dass er sie wirklich sehen konnte. "Und ich habe dich nur angelogen, weil ich eigentlich nicht möchte, dass dir etwas zustößt. Also musste ich deinen verdammten und dreimal verfluchten Dickschädel austricksen. Sieh es als Notlüge, denn nichts anderes war es." Seine Wut hatte ihn mittlerweile so weit wieder aufgeputscht, dass seine Augen den anderen zornig anfunkelten. "Und was meine Person betrifft, so spielt sie in dieser Geschichte nur insofern eine Rolle, als dass sie für deinen Unfall verantwortlich ist, denn du warst zu mir unterwegs, beruflich. Und auf der Fahrt zu mir ist dir das passiert."

Cole atmete tief durch. Sein Blick wich von Antonins Gesicht ab ins Unbestimmte. "Woran kannst du dich noch erinnern?", fragte er dann plötzlich. "Ich meine aus den vergangenen 7 nein 8 Jahren, die dein Unterbewusstsein hat vergessen lassen?" Seine Augen waren wieder auf Antonin gerichtet. Er durfte jetzt nicht schwach sein. Als er klein war hatte er einmal mit seinem Vater einen alten Western angesehen, in dem John Wayne einen berühmten Satz geprägt hatte: A man´s gotta do what a man´s gotta do!
 


 

Antonin

Antonin sah dabei zu, wie dieser Nicht-Doktor es sich mit einer Selbstverständlichkeit auf seiner Couch bequem machte, die ihn sich abermals fragen ließ, wie gut er den Mann eigentlich kannte. Cole also, ja? Der Name passte irgendwie perfekt. Vielleicht weil Antonin ihn wirklich unter diesem Namen kennengelernt hatte. Vielleicht weil irgendwas jetzt plötzlich richtig zu sein schien, wo es bei dem anderen Namen nur ein schlechtes Gefühl gegeben hatte. Vielleicht besaß er momentan doch so eine Art inneren Lügendetektor, der sich meldete wenn man ihn mit etwas belog, dass er eigentlich besser wissen sollte. Warum sah Cole eigentlich so kaputt aus? Wäre es hier nicht vielmehr Antonins Part den Kranken zu mimen? Faszinierender Weise konnte Antonin allerdings bei sich selbst beobachten, dass er sich immer mehr entspannte, je mehr Cole ihn ankeifte und anfunkelte. Seltsame Welt, aber irgendwie beruhigte ihn dessen Wut. Schon komisch, hätte Nicholas ihn so angesehen, wäre er vor Angst wohl aus dem Fenster gesprungen.

"Mein Verstand arbeitet sehr gut Cole", beschied er ihm, doch es war eine ruhige, fast nachsichtige Stimme, die jene Worte trug. "Ein wenig zu gut sogar, weshalb es auch nichts mit gekränkter Eitelkeit zu tun hat, als vielmehr mit Unglauben und Zorn." Der Blick, der Cole traf, war prüfend, doch dann schüttelte er ein wenig ungläubig den Kopf. "Bleib sitzen, ich bin kein Invalide", gab er noch von sich, bevor er in die Küche ging und mit gleich darauf mit einem weiteren Glas zurück kam, das er vollschenkte und Cole dann hinstellte. Er deutete darauf und lächelte ein wenig. "Es ist seltsam sich von jemandem Vorhaltungen machen lassen zu müssen, der selbst aussieht wie der wandelnde Tod", erklärte er und setzte sich wieder, seine Decke erneut um sich schlingend, während er ganz unbewusst Coles Sitzhaltung kopierte und jenen dann wieder ruhig ansah. Wo die Ruhe auf einmal herkam? Woher wollte er das wissen?

"Mein dreimal verfluchter Dickschädel hat mir das Leben gerettet. Und nicht nur mir, sondern auch einem kleinen Kind", versicherte er ernsthaft bevor er grinste. Ein Grinsen, das sich zu einem Lächeln verbreiterte und in einem leisen Lachen endete. "Ach du bist verantwortlich ja? Warum? Hast du das Kind auf die Straße geworfen?", er schüttelte den Kopf ein wenig belustigt, doch dann stockte er und verengte die Augen ein Stück weit. "Beruflich? Du bist kein Chemiker." Das wusste er einfach. Und wie er das wusste. So sicher wie das Amen in der Kirche. Wiedermal ein Gefühl, wiedermal vertraute er darauf. "Erzähl mir jetzt bitte nur nicht, dass ich nebenberuflich Callboy oder sowas bin.. auch wenn das einiges erklären würde." Irritiert und auch ein wenig perplex schüttelte er sich und verzog den Mund. Es würde zumindest die vielen, relativ frisch benutzten Kondome erklären…

"Woran ich mich erinnere? Hmm..", er gab die Sitzhaltung auf und beugte sich wieder über den Tisch. "Das klingt teilweise ziemlich nach fantasievoller Einbildung", gab er zu und las dann einfach vor und fügte an, was er bisher in Bildern gesehen und zu Worten fassen konnte. "Waffen, da sind jede Menge Waffen. Eine Katze, die ich Fellknäul nenne. Ich kann mich an Bilder aus einem Club erinnern, wo jede Menge tanzender Männer waren. Ich weiß das mein Name Marakow ist und nicht Grombowitsch und dass mein Professorentitel nicht echt ist. Ich weiß, dass meine Narben mit Sicherheit nicht von einem Autounfall stammen. Ich weiß, dass ich mal unter Drogen gestellt wurde als Strafe für irgendwas. Ich habe Bilder vor meinen Augen wie dieser Nicholas mit einem Baseballschläger auf mich losgeht, aber ich weiß nicht, wie es weiterging. Ich sehe keine Schläge. Ich weiß, dass Tayra und ich häufig Autos gefahren sind. Ich weiß, dass ich auf Männer zu stehen scheine. Das und noch einiges mehr, das ich aber noch nicht einmal in Worte fassen kann. Mal kommt es, mal geht es." Er warf Cole einen flüchtigen Blick zu. "Kennen wir uns schon lange? Kommt dir davon etwas bekannt vor? Ich sehe es, aber irgendwie berührt mich nichts davon." Plötzlich genervt warf er die Blätter auf den Tisch. "Es fühlt sich an, als würde man einen Stummfilm sehen."
 


 

Cole

Cole griff zu dem Glas, das ihm eingeschenkt wurde und er blickte darauf, sah zu wie das Mineralwasser Blubberbläschen nach oben schickte, die auf der Wasseroberfläche zersprangen. Er reagierte träge auf die Tatsache, dass er aussah wie der wandelnde Tod. "Wie ich aussehe, geht dich nichts an. Ich muss nun mal viel arbeiten." Auf die Sichtweise des anderen hinsichtlich des Unfalls ging er nicht ein, sondern er beobachtete weiterhin sein Mineralwasser, bis er schließlich einen Schluck trank. Was wusste Antonin schon von seiner Schuld? Er konnte sich ja an nichts mehr erinnern. Er wusste ja nicht, was das große Ganze war, das dahinter stand. Und er konnte ja auch nicht wissen, dass er ihn aus Eigennutz an sich gebunden hatte. Sein Guard... Scheißdreck...

Cole blickte auf, als Antonin seinen Beruf hinterfragte. "Ich bin Jurist, ich werde nun mein Referendariat machen, wenn es klappt." Mit dieser Aussage log er nicht einmal. Er hatte vor ein paar Tagen seinen Abschluss erhalten. Er hatte sogar gar nicht schlecht abgeschnitten. Dennoch würde es wertlos sein. Und an ein Referendariat konnte und durfte er ohnehin nicht denken. "Wir hatten etwas zu besprechen an jenem Tag...", erklärte er ruhig. Dann lauschte er den Erinnerungen, die der andere noch hatte, ordnete zu, worüber er selbst Bescheid wusste, was er selbst nicht wusste. Kurz musste er über die Tatsache lächeln, dass sich Antonin an Corleone zu erinnern schien. Er trank das Glas leer und stellte das Glas wieder auf den Tisch. Dann umarmte er seine Beine, die noch immer angezogen waren. Fast wie ein Schutz suchendes Kind. Er schwieg eine Weile, dann begann er langsam, in Gedanken versunken, sich die Bilder wieder vor Augen führend. Er schluckte. "Wir waren zusammen aus, an jenem Abend..." Er blickte Antonin kurz an. Bevor er auf die Zettel blickte, die kreuz und quer über den Tisch verteilt lagen. "Nein, wir kennen uns noch nicht lange. Kein halbes Jahr. Wir haben uns durch Zufall kennengelernt und sind dann irgendwie häufiger ins Gespräch gekommen. Am Abend vor deinem Unfall waren wir in einem Club für Schwule und Lesben und haben die Nacht durchgetanzt. Irgendwann bist du zu dir nach Hause gefahren, mit einem Kerl. Wir hatten uns am nächsten Tag nachmittags um 16 Uhr verabredet. Aber du bist nicht gekommen." Wieder schluckte er und griff nach der Flasche Wasser, um sich wieder etwas einzuschenken. "Ich weiß, dass du Marakow heißt. Dass du unter einem anderen Namen lebst, hat mit deiner Vergangenheit zu tun. Aber diese Vergangenheit kenne ich nicht. Diese Vergangenheit kennt nur Nicholas. Ich kann dir damit nicht weiterhelfen. Zu allem anderen kann ich dir leider nicht weiterhelfen. Das ist nicht unsere gemeinsame Vergangenheit. Tut mir leid." Er lächelte den anderen schwach an. Sicher, er hätte ihm erzählen können, was er wusste, aber was wusste er schon wirklich? Nichts, gar nichts wusste er über Antonin. "Doch, die Katze. Sie gehört mir. Lustig, dass du dich an sie erinnerst. Du sagtest einmal, dass du das Gefühl hast, dass sie dich nicht mag." So genug geredet. Er hatte ohnehin schon mehr erzählt, als er hätte sagen dürfen. "Antonin", sagte er nun und sah den anderen ernst an. "Ich möchte, dass du weißt, dass ich dir gerne weiterhelfe, sofern ich es kann. Und wenn du hier nicht alleine zurechtkommen solltest, dann darfst du mich gerne anrufen, oder zu mir kommen. OK?" Cole griff nach einem der Blätter und angelte nach einem Stift, um seine Nummer und seine Adresse aufzuschreiben. "Wenn du nicht allein sein möchtest, bin ich da. Ich kann mir vorstellen, dass das alles gerade sehr sehr viel für dich ist. Scheue dich nicht, von meinem Angebot Gebrauch zu machen." Er reichte Antonin den Zettel und stand auf. "Ich werde jetzt lieber wieder gehen. Ruh dich aus und nimm die Medizin. Innen findest du einen Zettel, auf dem alles Wichtige steht. Wenn du Fragen hast, dann melde dich einfach."
 


 

Antonin

„Aha.. mein Rechtsverdreher also.", murmelte er und ließ den Kopf ein Stück sinken, um über den Rest nachdenken zu können. Warum ging es ihn nichts an, wenn der andere beschissen aussah, aber dieser dachte, das Recht zu besitzen, ihm zu sagen, was er tun und lassen sollte? Doch dann konzentrierte er sich auf die Worte, die er vernahm und nickte hin und wieder. Es klang logisch. Das Problem war nur, dass im Krankenhaus auch alles logisch geklungen hatte. Und er hatte es bedenkenlos geglaubt, genauso wie er jetzt bereit war, bedenkenlos zu glauben. Eine Tatsache, die ihn an sich selbst zweifeln ließ, aber auch die Hoffnung schürte, dass er auch diesmal im Grunde die Wahrheit serviert bekam. Die Schattendinger in seinem Kopf waren schließlich auch eine Tatsache, die nicht wegzureden war. Interessant war auch, dass er mit dem Mann wohl gemeinsam weggewesen war und sich selbst jemanden angelacht hatte. Konnte das sein? Dafür war er doch eigentlich gar nicht der Typ, oder inzwischen doch? Eine beantwortete Frage warf zehn neue auf.

Als Cole ihm seinen Namen bestätigte ließ er sich erleichtert zurück in sein Polster sinken und wandte dem anderen den Kopf zu. Musterte ihn ein wenig träge. Was genau sollte ihm jetzt das Lächeln sagen? Dass es in Ordnung war, so wenig zu wissen? Aber immerhin wurde damit auch die Katze zur Realität und unter Umständen hätte es ihn zum Lächeln gebracht, aber er wollte nicht daran denken, dass er mit diesem Nicholas sprechen sollte, um wirklich mehr zu erfahren. Bisher war ihm jener geschickt ausgewichen und Antonin wollte nicht zu viel riskieren, bevor er nicht wusste, was genau mit dem Kerl und ihm los war. Doch seine Aufmerksamkeit wurde von jenen Fragen wieder in die Gegenwart gerissen, als er seinen Namen vernahm und Cole fragend ansah. Dabei zusah wie jener ihm etwas aufschrieb und ihm den Zettel dann mit einem Angebot reichte. Ihn beobachtete wie er aufstand und weiter auf ihn einredete und mit einem Mal war die immer vor sich hin schwelende Feuersbrunst in ihm wieder da.

Antonin wusste nicht zu sagen, ob es daran lag, dass er sich jetzt noch viel konfuser als vorher fühlte. Ob es die nachlassenden Medikamente waren, die seinen Schleier durchdrangen, den er um sich selbst gelegt hatte, oder daran dass der Mann vor ihm wirklich glaubte, er würde das Angebot annehmen. Wo jener doch offensichtlich nicht einmal ein näherer Freund von ihm war, sondern nur ein eher flüchtiger Bekannter. Einer, der sich zu viel herausnahm. So nickte er nur und erhob sich ebenfalls, die Hand erwartungsvoll ausgestreckt.

"Meinen Schlüssel", verlangte er mit kühl gewordener Stimme. "Ich bin dir dankbar für die Medikamente, aber ich glaube ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn ein so flüchtiger Bekannter, wie du es anscheinend für mich bist, mit uneingeschränkten Zugang zu meiner Wohnung herumläuft." Und er verstand nicht, warum diese Sätze schmerzten. Warum sie sich so falsch anfühlten. Aber das war zweitrangig. Zumindest momentan. Momentan zählte nur, dass er sich seine Ruhe sicherte. Sonst würde er den nächsten von der Polizei abführen lassen. Denn niemand, auch nicht ein total fertig wirkender Mann mit tollen grünen Augen würde ihn davon abhalten können, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Auch nicht die 'Krankheit' an sich. Antonin würde nicht Ruhe geben, bevor er seine Erinnerungen nicht wieder hätte und daher waren Gedanken an Schlaf auch noch weit weg. Vielmehr wollte er in aller Ruhe in seinem Wohnzimmer sitzen und nachdenken. Ohne dass Personen durch seine Tür kamen, die ihn zuerst nur anpflaumten und ihm dann doch so gut wie nichts erzählen konnten. Nichts! Nichts, bis auf die komische Katze und einen Abend, den sie weggewesen waren? Seine Augen blitzen unwillig auf. Das sollte er so glauben? Das sollte er wirklich glauben? Warum war der Kerl dann um 24 Uhr im Krankenhaus gewesen? Warum war der Engel nicht von Tayra?

"Na los…", er machte eine auffordernde Handgeste und fragte sich, warum er dem Mann gerade eine reinschlagen wollte.
 


 

Cole

Es kam wie ein Schlag ins Gesicht. Zwei Worte, die ihm einen linken Haken und einen Schlag in den Magen verpassten.

'Flüchtiger Bekannter'

Sein Gesicht verhärtete sich, sein Kiefer knirschte leise, kaum hörbar, seine Augen verdunkelten sich. Wow, das saß.

Aber eigentlich konnte er doch darüber sehr froh sein.

Schließlich würde der Glaube des anderen daran, dass er nur ein flüchtiger Bekannter war, dafür sorgen, dass er wirklich sein Leben ohne ihn und seine Welt weiterführen konnte. So würde er es dem anderen überlassen können, ob er sich bei ihm meldet. Und wenn alles gut lief, würde er sich nie wieder melden. Wunderbar! Das war doch genau das, was er gewollt hatte. Nie wieder Antonin in so eine Scheiße hineinziehen, ihm nie wieder diese Brutalität vor Augen führen, ihn nie wieder in gefährliche Situationen bringen, ihn nie wieder zum morden verleiten, nie wieder in Schusswechsel verwickeln. Es war doch alles wunderbar...

Nur, warum fühlte es sich so Scheiße an? Warum hatte er so ein beklemmendes Gefühl in der Brust? Warum hatte er das Gefühl, gerade etwas Wichtiges in einem Leben zu verlieren? Und warum hatte er ausgerechnet jetzt die Bilder ihrer gemeinsamen Nächte vor Augen? Warum musste er nur jetzt an die Ruhe denken, die er immer gespürt hatte, wenn Antonin ihn in den Arm genommen hatte? Warum ging es ihm gerade beschissener denn je?

Cole konnte auf die eigentliche Aufforderung des anderen im Moment nicht reagieren, die Bitte, die Antonin eigentlich an ihn gestellt hatte. Er blickte den anderen nur an, bis er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, überwältigt von dem Gefühl der Übelkeit, die dieser Schlag nachdrücklich in seinen Innereien hinterließ. Er spürte, wie er zitterte, leicht schwindelte.

'Reiß dich zusammen, Cole!', schrie er sich innerlich an. 'Reiß dich zusammen, du Arschloch! Es ist das Beste für euch beide!!!!'

Er musste an die Odyssee denken, die er als Jugendlicher einmal im Theater gesehen hatte, und an einen Satz daraus, der ihn beeindruckt hatte: "Halte aus, mein Herz, du hast schon Hündischeres erlebt!" Und diesen Satz hatte er sich häufig hochgehalten, sich an ihm festgeklammert wie an einen Strohhalm, wie an ein Rettungsseil.

Und auch diesmal bewirkte er, dass er sich streckte, Haltung annahm, seine Aura, an der alles normalerweise abprallte, aufrichtete. Er würde das hier auch hinter sich lassen, würde es zu allen anderen Dingen stecken, die er unter Vergangenes ablegte. Er würde vergessen, wie schon so oft in seinem Leben. Was verlor er schon? Den Sex bekam er auch woanders.

Cole wusste, dass es nicht so einfach war, aber es war erstmal seine Art damit umzugehen.

Und als Antonin ihn noch einmal aufforderte schüttelte er den Kopf, diesen kühl ansehend. "Nein", erklärte er ruhig. "Den Schlüssel hat Tayra mir gegeben und mir das Versprechen abgenommen, ihn ihr zurück zu geben. Und daran werde ich mich halten. Es ist der Schlüssel, den du ihr höchstpersönlich anvertraut hast, weil sie deine beste Freundin ist." Cole drehte sich um und ging in Richtung Gang, in Richtung Tür. Im Gang stutzte er kurz, sah auf den Schutzengel, der dort auf der Kommode stand und ihn höhnisch anzulächeln schien. 'Bye, bye, mein Guardian Angel', flüsterte es in seinem Kopf.



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