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Mayaku, Gókan to Damaru [Teil I]

Die Vergangenheit ist unwiderruflich
von

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Aus Liebe gepeitscht [Teil 3]

Selten gibt es Tage, an denen ‘Vater’ ruhig ist. Meistens schläft er dann den ganzen Tag über seinen Rausch aus. Eine kurze Verschnaufpause für mich. Doch wenn ‘Vater’ wütend ist und dabei getrunken oder wieder diesen ‚Shit‘ geraucht hat, dann ist er unberechenbar. Seit über einem Jahr wird es von Monat zu Monat immer schlimmer. Zwischen seinen kräftigen Händen zerbricht alles. Wirklich alles! Holzmöbel, Porzellangeschirr, Glasscheiben, Keramikfliesen, Knochen... Und zwischen all diesem Schutt zerbrach mein Wille - mich gegen ihn zu widersetzen - wie Glas. Er kann und schafft das, schließlich ist er ein Monster. Doch meinen Willen, zu überleben, wird er nicht brechen können…
 

Aus Liebe gepeitscht [Teil 3]
 

28. Oktober 2009
 

Sakende...

koe ga kareru made hikari sasu ano

basho made todoke.
 

Shisen wa tsubusarenani hitotsu miezu,

nani hitotsu kanjinai.

Tesaguri makase no aimai na keshiki

fuan ni taekirezu.
 

[Ich schreie...

bis meine Stimme versagt

und das Licht diesen Ort erreichen würde.
 

Mir wird schwarz vor Augen,

ich kann nichts sehen und nichts fühlen.

Ich taste nach dem mehrdeutigen Bild

vor meinen Augen

und kann aus Angst nicht aufhören.]
 

‚Ray‘ von ‚the GazettE‘ lief so eben. Gedämpft hörte Gaara die Musik aus den Kopfhörern seines MP3-Players, welcher unangetastet neben seinem Kopf lag. Er selbst ruhte auf seinem Bauch. Spürte unter dem Stoff seines schwarzen T-Shirts die einzelnen Sprungfedern der Matratze.
 

Das Gesicht hatte er tief im Kissen vergraben. So sehr, dass er fast keine Luft bekam. Die Finger tief in den Kopfkissenbezug gekrallt. So verkrampft und so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
 

Sein Körper bebte vor pochendem Schmerz. Heiß lief das Blut über seine Arme. Über den Rücken. Im Moment war es ihm egal, dass er die weißen Bettbezüge mit seinem eigenen Blut rot färbte. Es war ihm so egal. Denn im Augenblick hing er mit seinen Sinnen und Gedanken noch bei den letzten, für ihn qualvollen Minuten.
 

Immer noch herrschte das Gefühl des Gürtels auf seiner Haut. Die Schnalle, wie sie sich tief in seinen Rücken bohrte. Tief in die Haut, um neue Narben reinzureißen. Um neue Wunden zuzufügen.
 

Er wusste schon lange nicht mehr, wie viele Narben er hatte. In diesem einen Jahr hatte er aufgehört zu zählen. Aufgehört sich gegen seinen Vater aufzulehnen. Er war der Prügelknabe für dieses Monstrum geworden, das sich ‘Vater’ schimpfte. Er war der Haussklave, dem alle Aufgaben in die Hände gelegt wurden. Die er in bestimmten Zeitabschnitten erledigen musste. Oft war es unmöglich…
 

Doch er wollte noch nicht aufgeben. Wollte das Bisschen Würde, das Bisschen Ehre, welches er noch besaß, verteidigen. Wollte darum kämpfen, das Bisschen Leben zu halten. Das Bisschen Leben, das noch seins war…
 

Doch wie lange würde er es noch aushalten können? Wie lange würde dieser Kampf gehen? Dieses Schweigen? Diese Unterdrückung? Oft dachte er daran, dass er allem ein Ende setzen wollte. Einfach aufhören zu kämpfen. Aufhören zu leben. Aber dann schlich sich dieser eine Gedanke dazwischen. Dieser Gedanke, dass es vielleicht genau das war, was sein Vater wollte.
 

Dieser Mann hatte zwar seinen Willen gebrochen, sodass er sich den Strafen und „Spielchen“ dieses Verrückten fügte. Aber den Willen zum Überleben... Diesen hatte und würde dieses Monster niemals brechen! Zurzeit war der Wille, zu leben, in seinem Herzen noch größer, als der Wunsch, zu sterben.
 

In der Hoffnung, dass der Mut und der Wunsch zum Überleben größer waren als die Macht seines Vaters…
 

Hart schlug er mit geballter Faust in sein Kopfkissen. Immer wieder. So oft und so lange. Seine Fingernägel bohrten sich tief in die Haut. Hinterließen rote Kerben in dieser. Seine Arme brannten bei jeder Bewegung immer mehr. Das Blut sickerte weiter aus der aufgerissenen Haut.
 

Die Zeit zum Verarzten und Versorgen der Wunden hatte er nicht. Sein ‘Vater’ hatte ihn sofort in sein Zimmer gestoßen. Hier war er gefangen. Zwischen den vier Wänden, die er vor Jahren mal ‚Seins‘ nennen durfte. Doch jetzt war es sein Verlies, wo er die Zeit absitzen musste. Wo er abgeschieden vom Rest der Familie lebte. Somit war er weg. Weg von seinem ’Vater’. Weg von diesem Monstrum. Aus dessen Augen.
 

Solange, bis das Monstrum wieder kam. Sich ihn holte und erneut quälte. Aber so lange musste er hier warten. Warten. Mit der Angst und der Unwissenheit leben, was als Nächstes kommen würde. Verschlossen hinter verriegelter Tür…
 

Dennoch… Oft sagte er sich, dass er sich damit glücklich schätzen konnte. Er war oft glücklich, wenn er mehrere Stunden am Stück hier eingesperrt zwar. Zwar mit Hunger und Durst, aber weg von diesem Monster. Weg von seinem Vater, der seine angebliche Liebe mit Hieben und Schlägen ausdrückte. Hier war er allein. Und solange es so blieb, so fühlte er sich ein wenig sicher. Sicher und in dieser Dunkelheit seines Zimmers geborgen.
 

Aber nicht nur Sicherheit begrüßte ihn in seinem dunklen Zimmer. Er bekam hier auch die Zeit zum Erholen. Um neue Kraft zu schöpfen. Zum Nachdenken. Die Dunkelheit beruhigte seine Gedanken. Er mochte sie ein wenig. Schließlich wusste Gaara doch, dass er da sicher und geborgen war.
 

Denn in der Dunkelheit sah man vergossene Tränen nicht.

Sah man das Schimmern in den Augen nicht. Diesen toten Glanz.

Er konnte stumm weinen, ohne dass es jemand bemerken konnte.

Er konnte Gefühl zeigen, ohne dass es jemand sah.

Diese Tatsache zeigte ihm, dass er noch Gefühle hatte. Dass er noch lebte…
 

Aber er wusste ebenfalls, dass in der Dunkelheit die meiste Gefahr lauerte.

Gefahren, die nicht sofort erkannt und gesehen werden konnten…
 

Doch wann hatte es begonnen? Gaara erinnerte sich nur vage daran. Vor einem Jahr – es musste knappe drei Monate nach Mutters Tod gewesen sein, genau da musste es begonnen haben. Aber er war sich nicht sicher. Es konnte ebenso ein Monat eher oder später gewesen sein. Dennoch wusste er noch genau, warum alles so geendet hatte.
 

Es war an einem dieser wenigen Tagen. Diese Tage, wo er den Strafen seines Vaters entkommen war. Den Krallen dieses Monstrums. Er wusste noch genau, dass er an diesem Nachmittag dem Gürtel und den Schlägen ausgewichen war. Noch genau vor Augen konnte er das überraschte und verblüffte Gesicht dieses Monstrums erkennen. Dieser hatte ebenso wenig damit gerechnet, wie Gaara selbst.
 

Was war das an diesem Tag für eine Genugtuung und ein Erfolg gewesen? Ein großer Sieg, den er überhaupt erreichen konnte. An diesem Tag hatte er gespürt, dass sein Vater ihn nicht gänzlich brechen konnte. Dass er mit Glück und Geschick immer eine Lücke finden konnte, um sich zur Wehr zu setzen. Er war stolz darauf. Stolz auf diese Erkenntnis, die er an diesem Tag damit erlangt hatte.
 

Beide standen sich nur eine kurze Zeit stumm gegenüber. Und kurz darauf war er gleich in sein Zimmer geflüchtet. Hatte sich mit aller Kraft gegen die Tür gestemmt. Wollte nicht, dass dieses Monstrum in sein Zimmer kam.
 

Es war damals ein Kampf gewesen. So hart. So schwer zu gewinnen.

Dennoch wollte er ihn nicht verlieren.

Am Ende war er als Sieger hervorgegangen. Zumindest für einen kurzen Augenblick.
 

Im Moment darauf hatte sein Vater begonnen, ihn in seinem eigenen Zimmer einzusperren. Jeden Tag von Neuem. Nur in der Nacht war es ihm erlaubt, das Zimmer frei zu verlassen. Nachts, wenn alle schliefen. Nachts und wenn er am Morgen zur Schule gehen musste…
 

An die Bilder aus dieser Zeit konnte er sich nur vage erinnern. Warum er diese Strafe erhalten hatte und was der Auslöser für seinen Mut und seine Gegenwehr gewesen war… Er hatte es gänzlich verdrängt oder vergessen. Das Einzige waren die Gefühle, die übrig geblieben waren. Die er tief in sich verschlossen hatte.
 

Dieser Stolz. Dieses Glücksgefühl. Und die panische Angst. Der Kraftaufwand gegen die Tür.
 

Das laute Pochen am Holz. Das starke Rütteln an der Türklinke. Er spürte es heute noch. Wenn er sich fest mit dem Rücken gegen die Tür presste. Voller Angst und mit aller Kraft, wie er es an diesem einen Nachmittag gemacht hatte. Er hatte noch dasselbe Gefühl, wenn er zitternd mit den Fingerspitzen über die Maserung fuhr. Seinen Kopf fest gegen das Holz drückte. Genau dieselbe Angst wie früher. Wie ein Déjà-vu.
 

Die Erinnerungen verdrängend, zog er zitternd die Luft ein. Seine Unterlippe bebte. Seine Zähne schlugen hart aufeinander. Eine Gänsehaut überzog seine Arme. Ließ seine Nackenhärchen aufrecht stehen. Er fror. So entsetzlich, dabei glühte sein Gesicht, als würde es unter Flammen stehen. Als würde es brennen. Sicherlich waren seine Wangen auf dem blassen Gesicht stark gerötet.
 

Fest kniff er die Augen weiter zusammen. So stark, dass weiße Punkte in der Dunkelheit aufflammten. So fest, dass er Kopfschmerzen bekam. Erneut holte er tief Luft. Verschluckte sich fast bei dieser Menge, ehe er schrie. So laut, wie er konnte. So stark, wie er konnte. So verzweifelt und schmerzvoll, wie er konnte. Das Kissen dämpfte alles ab.
 

Niemand hörte ihn. - Niemand bemerkte ihn.
 

Der Schrei verstummte. Leicht hob er das Gesicht an, um zu Atem zu kommen. Kälte schlug ihm entgegen. In seinem Zimmer war es eiskalt. Die Wärme durch das Kissen entwich schnell. Er japste nach Luft. Bewegte fast lautlos seine Lippen, sodass er nur ein Wispern über diese bekam…
 

‚ Da sonst die ‚heile Welt‘ zerbricht,

so hört man stumme Schreie nicht… ‘
 

Doch dieses „Warum?“ ließ ihm keine Ruhe. Warum immer er? Was hatte er falsch gemacht, dass sein Vater ihn so sehr hasste? Ihn verabscheute? Ihn nicht mehr lieb hatte? Dabei war Gaara ein lieber Junge gewesen. Wenn Vater und Mutter keine Zeit für ihn hatten, dann hatte er selten gebettelt oder genervt. Er hatte es oft hingenommen, lieb genickt und hatte sich alleine beschäftigt. Damit seine Eltern auch mal Ruhe für sich haben konnten.
 

War dies damals so falsch gewesen? Sein Verhalten? Oft fragte er sich, ob er früher hätte egoistischer sein sollen. Sich mehr in der Familie eingliedern sollen. Wie es wäre, wenn er sich nicht immer still und heimlich in seinem Zimmer verkrochen hätte. Oder draußen allein herumgetollt wäre. Wäre alles vielleicht anders, wenn er mehr mit Vater und Mutter geredet hätte? Ihnen mehr erzählt hätte, wie Schule und Freizeit waren? Wäre vielleicht…?
 

Doch er konnte es nicht mehr ändern. Die Vergangenheit war unwiderruflich. Vergangen und oft vergessen wie sie war…
 

Dennoch… So viele Fragen, welche ihn seit Jahren schon quälten. Doch nie… Nie bekam er eine Antwort auf eine einzelne Frage! Blieb unwissend und diese Tatsache machte ihn schier wahnsinnig.
 

Diese Unwissenheit, was als Nächstes kommen und passieren mochte. Warum dies alles passierte.
 

Oft fragte er sich immer noch, warum sein Vater ihn so misshandelte. Ihm somit die gewünschte Liebe entgegenbrachte. Aber insgeheim sagte er auch zu sich selbst, dass er den Grund nicht wissen wollte. Den Grund, warum sein Vater ihn wieder zusammenschlug. Es hatte ja doch sowieso keinen Sinn. Was würde es ändern, wenn er die Gründe wusste? Gaara würde sich nur schlechter fühlen, als es ihm schon so jetzt war.
 

Er hasste es. So sehr. Da er sich sicher war: In irgendeinem kleinen Winkel seines naiven Kinder-Ichs, stellte sich dieses immer wieder die eine Frage. „Warum?“
 

Am meisten hasste er es, dass er dieses kleine „Warum?“ nicht aus seinen Gedanken verbannen konnte. Dieses „Warum?“ was sich schon so tief in seinen jugendlichen Verstand gefressen hatte.

So tief, dass es in seinem Herzen schmerzhafte Wurzeln geschlagen hatte.

Seine Ketten um dieses schloss und somit schon ein Teil seiner selbst geworden war.

Ein Teil seiner selbst, dass sein Leben ein Stückchen mitbestimmte…
 

Stumm bewegte er seine Lippen…
 

‚ Bitte, Kami, so rette mich

Damit ‘Vater’ mich nicht zerbricht ‘
 

Wenn es Kami gab, warum half er ihm nicht? Warum ließ er ihn dieses Leid ertragen? Warum ließ er ihn so allein? Egal, wie oft er betete. Wie oft er flehte. Niemand half ihm. Wo war Kami, wenn man ihn brauchte? Er hatte schon vor einiger Zeit aufgehört zu beten. Aufgehört zu glauben. Zu hoffen, dass Kami ihn erhören würde. Ihm helfen würde. Anscheinend hasste Kami ihn so sehr, weswegen er das alles verdiente. Sonst hätte Kami auch nicht zugelassen, dass Mutter von ihnen ging…
 

Das Bild seiner lieben Mutter schoss vor sein inneres Auge. Das Gesicht schon verblasst. Es schmerzte ihn, dass er ihr Gesicht in Gedanken nicht mehr zusammenbekam. Dass er kein Foto mehr von ihr hatte. Es schmerzte sehr. Er wusste nicht einmal mehr, wie sie aussah.
 

Alle Bilder von ihr wurden in seinem Herzen verdrängt. Gelöscht durch den Mann, der sich ‘Vater‘ schimpfte. Vergrault durch dessen Schläge. In seinem Herzen war kein Platz mehr für seine geliebte Mutter. Nein, dort regierten nur noch die Angst und dieser Hass auf dieses Monster. Und der Wunsch zu überleben…
 

Er schluchzte laut auf. Holte erneut tief Luft und presste wieder das Gesicht in sein Kissen. Schrie erneut in den Stoff dieses. Schlug mit den Fäusten weiter darauf ein. Heiße, salzige Tränen rannen über seine Wangen. Liebkosten ihn und versuchten ihn zu trösten. Doch sie schafften es nicht. Stille Tränen brannten auf den heißen Wangen. Rissen weitere tiefe Narben ins Gesicht.
 

„Ich bin… nicht schuld…?“
 

Ein dünner Hauch kam über seine Lippen. Er war doch nicht schuld, oder? Er versuchte doch alles, um für seinen Vater der Sohn zu sein, den dieser ihn wünschte. Er gab sich doch erdenkliche Mühe, dass er alles diesem Mann zu Recht machen konnte.
 

Doch all seine Mühe wurde mit Füßen getreten.

All seine Arbeit mit dem Gürtel kaputt gepeitscht.

Alle seine erledigten Aufgaben mit Hungern und Schlägen belohnt.
 

Dabei wollte er doch nur von seinem Vater geliebt, geachtet und geschätzt werden. War dies etwa ein Verbrechen? War es zu viel verlangt?
 

Dennoch sagte er nichts. Schwieg über sein Leid und blieb stumm. Musste stumm bleiben.

Er jammerte nicht. Er schrie nicht, wenn Vater ihn schlug.

Sein Mund war zugenäht. Die Zunge taub, durch die Hand dieses Monsters.
 

Zitternd bewegten seine Lippen sich erneut.
 

‚ Warum?! Warum?! Warum?! Warum?!

Ich jammre nicht und bleibe stumm,

doch ‘Vater’ bringt mich langsam um... ‘
 

Keuchend hörte Gaara auf zu schreien. Stoppte damit, weiter auf das Kissen einzuschlagen. Sein Körper zitterte vor Anstrengung und Schmerz. Er unterdrückte jedes Geräusch. Immer wieder. Erneut wurden seine Schultern durch ein unterdrücktes Schluchzen geschüttelt.

Er war erschöpft. Zu müde, um weiter zu schreien. Zu müde, um weiter auf das Kissen einzuschlagen.

Weitere stumme Tränen rannen über seine Wangen. Träge hob er sein Gesicht an. Genoss für einen Moment die Kälte auf seinen hitzigen Wangen. Holte tief Luft und hielt sie für einen kurzen Moment an. Schnaufend ließ er diese wieder aus seinen Lungen heraus.
 

Fix und fertig ließ er den Kopf wieder sanft auf das Kissen sinken. Ein pochender Schmerz war in diesem zu spüren. Herrührend davon, dass er wie besessen geschrien, verzweifelt geweint und das Kissen geschlagen hatte.

Seine Augenlider öffnete er zitternd. Die türkisen Iriden ausdruckslos zum Fenster gerichtet.

Dunkelheit empfing ihn. Die dunkelblauen Gardinen waren geschlossen. Und draußen die Sonne schon längst untergegangen. Gaara wusste nicht einmal, wie lange er hier schon lag. Wie viele Stunden es waren. Wie lange er wütend und verzweifelt auf das Kopfkissen eingeschlagen hatte. Egal…
 

Jetzt lauschte er der Stille. Aus den Kopfhörern seines MP3-Players kam schon lange keine Musik mehr. Die Batterie war leer. Stille übernahm das Zimmer. Nur sein eigenes, angestrengtes Atmen war zu hören. Leise noch das Rauschen des Windes, welcher erbarmungslos gegen sein Fenster klopfte.
 

„Warum nicht?! Willst doch Daddy’s Mädchen sein, oder?! Hast du Daddy nicht mehr lieb?!“
 

Gaara erstarrte. Ein unangenehmer Schauer lief ihm über den Rücken. Die Augen weit aufgerissen, als er die Stimme dieses Mannes hörte. Die Stimme dieses Monstrums.

Erneut krallte sich die Angst in seinen Nacken. Packte zu und drückte ihm die Luft aus der Kehle. Sein Hals fühlte sich trocken an. Ein Kloß in diesem raubte ihm die Luft zum Atmen.

Dabei hatte er nicht einmal Angst vor seinem Vater. Der ihn niederschlug. Ihn demütigte. Diesem Monstrum, das er so sehr hasste. Sondern vor dessen Stimme. Dessen Worten, denen er gehorchen musste.
 

Früher hatte er Mitleid für diesen Mann empfunden. Mitleid dafür, dass dieser seinen Sinn im Leben verloren hatte. Doch aus diesem Mitleid war schnell Hass geworden. Aus dieser kindlichen Wut Angst…

Vor allem hatte er aber entsetzliche Angst, dass dieser Mensch - der sich ‘Vater’ schimpfte - eines Tages zu weit gehen würde. Soweit, dass er ihn tötete.
 

Er fürchtete sich vor dem Tod. Denn sonst wäre sein ganzer Kampf ums nackte Überleben umsonst gewesen…
 

Erneut bewegten sich seine Lippen. Ein dünner Hauch kam über diese.
 

‚ Wäre so gerne noch ein Kind,

doch bin schon lange nicht mehr Kind,

seit ‘Vater‘ sich scheiße benimmt,

mich einfach schlägt, wenn was nicht stimmt…‘
 

Ein lautes Pochen an der Tür riss ihn aus seiner Starre. Ein leises Kratzen zeigte ihm, dass sein Vater versuchte die Türe zu öffnen. Dieser es aber nicht auf Anhieb schaffte. Gaara konnte es sich bildlich vorstellen, wie dessen Hände verrückt zitterten. Wie blutunterlaufen die dunklen Augen in diesem Moment waren.

Erst nach gefühlten Ewigkeiten zeigte ihm das Klicken an, dass die Tür wieder offen war. Seine Schultern erzitterten. Leicht biss er sich auf seine Unterlippe. Kaute auf dieser herum, bis er trockene, dünne Haut wieder aufgerissen hatte.
 

Was würde dieses Mal auf ihn zukommen? Was musste er dieses Mal machen? Wie wollte sein Vater ihn dieses Mal in die Knie zwingen? Welche Strafe würde er diese Mal erhalten? Hungern? Oder wieder Schläge? Würde dieses Monster ihn wieder mit dem Gürtel auspeitschen? Ihm die Schulter auskugeln? Oder einen seiner Arme brechen?
 

„Mach den Abwasch in der Küche und putz sie! In 20 Minuten bist du damit fertig! Sonst setzt es was!“
 

Diese Worte hatten sich tief in Gaara gebrannt. 20 Minuten für den ganzen Abwasch. Es war bei diesem angesammelten Berg unmöglich, es zu schaffen. Dazu noch die Küche putzen und wischen? Unmöglich, dieses Zeitlimit einzuhalten. Doch er musste. Er musste sich reinhängen. Die Angst vor der darauffolgenden Strafe war einfach zu groß.
 

Träge stemmte er sich auf seinen Ellenbogen nach oben. Seine Arme zitterten so sehr, dass er Angst hatte, er würde sofort wieder in sich zusammensacken. Seine Knochen knackten, als er seinen tauben Körper wieder bewegte. So lange hatte er in ein und derselben Stellung verharrt.

Erschöpft richtete er seine türkisen Iriden vor sich auf das Bett. Ausdruckslos und tot starrten sie auf das nasse Kopfkissen. Vereinzelte rote Striemen zogen sich darüber. Von seinen blutenden Armen und Händen. Unschöne Abdrücke auf dem so reinen Weiß. Spätestens heute Abend würde das Blut getrocknet sein. Und aus den roten Flecken würden hässliche, braune werden. Ein Anblick, den er schon gewöhnt war.
 

Das rote Haar hing ihn matt und zerzaust im Gesicht. Legte dadurch einen Schatten über seine müden Augen. Zitternd drehte er seine Handinnenflächen zu sich. Betrachtete sich seine Wunden an den Händen. Sie waren feuerrot. Feucht und brannten fürchterlich. Doch er sagte nichts dazu. Weinte nicht darüber.
 

Feuerrote Hände hatte er oft, vor allem wenn dieses Monstrums ihn zwang, mit kochendem Wasser das Geschirr abzuwaschen. Doch heute hatte er sie, weil er mit bloßen Fingern auf die Herdplatte fassen sollte. Kleine Brandblasen hatten sich schon an einigen Stellen gebildet.
 

Ein hoffnungsloses Lächeln lag auf seinen Lippen. Würde es jemals enden? Diese Strafen? Diese Gewalt? Diese Demütigung? Diese Schmerzen? Diese Angst? Wie lange konnte er es noch ertragen? Wie lange würde er es noch ertragen müssen? Wie lange…
 

Oft dachte er daran aufzugeben. Oft dachte er daran, alles hinzuwerfen. Wie oft würde er noch fallen? Wie oft noch aufstehen können? Würde die Kraft reichen, um einen weiteren Tag zu überleben?
 

Dünn kamen die nächsten Worte über seine Lippen.
 

‚ Hör‘ doch, wie laut ER wieder schreit,

wär‘ gern taub, von allem befreit…‘
 

So verzweifelt. So am Ende mit den Kräften. Doch er musste kämpften. Wollte überleben, um diesem Mann zu zeigen, dass er ihn niemals soweit brechen konnte. Dass dieser es niemals schaffen würde, dass Gaara sterben wollte. Er hing am Leben. So lange, wie es von Nöten war. So lange, wie es seine Kraft erlaubte.
 

Er hoffte auf den Tag, von dem an irgendwann alles sein Ende nahm.

Er hoffte auf den Tag, an dem er sagen konnte „Ich habe überlebt…“.

Er hoffte auf den Tag, an dem er schreien konnte „Ich lebe!“.

Er hoffte auf den Tag, an dem er der ganzen Welt verkünden könnte „ICH BIN FREI!“

Er hoffte…
 

Hoffnung starb zuletzt und seine sollte nicht umsonst gewesen sein…
 

~*~*~
 

Mit zittrigen Schritten lief er zur Küche. Seine Wange pochte unangenehm, doch nahm er den Schmerz der Ohrfeige kaum wahr, die er im Flur eben bekommen hatte. Dafür war der Schmerz in seinem Inneren zu groß. Diese Demütigung. Dieser Hass auf ihn. Dieses Gefühl von Wertlosigkeit. Vom Ungeliebtsein.
 

In der Küche angekommen stützte er sich mit aller Kraft gegen das Spülbecken. Schnappte sich mit schmerzvollem Keuchen die Spülmittelflasche. Seine Hände brannten, als er das Plastik der Flasche ergriff. Verzweifelt klammerte er sich an diese heran. Schnell gab er ein wenig in das leere, metallische Spülbecken und ließ parallel dazu lauwarmes Wasser einlaufen. Angenehm warm, auch wenn er wusste, dass seine Hände sicherlich durch das Berühren von dem Geschirr brennen würden…
 

Keuchend stand er nun am Spülbecken in der Küche und wusch das Geschirr ab. Jetzt, nachdem die ganze Hektik mit dem Herkommen in die Küche und dem Spülwasser vorbei war. Jetzt, wo sein Körper ein wenig wieder zur Ruhe gekommen war. Ja, jetzt bemerkte er die entsetzlichen Schmerzen in seinem Körper deutlicher.

Sein Rücken brannte. Unangenehm fühlte er das getrocknete Blut auf seiner Haut. Bemerkte wie durchnässt mit Schweiß und Blut der Stoff seines schwarzen T-Shirts war. Wie es schwer an seinem Körper hing. An ihm klebte.
 

Ein Zittern durchfuhr seinen Leib. Fest biss er die Zähne zusammen, damit kein Wimmern, kein Schrei über seine Lippen kam. Er krümmte sich leicht. So sehr schmerzte sein Körper. Er wusste wirklich nicht, wie er sich stellen sollte, um diese Pein in seinem Leib ein wenig abzudämpfen.

Seine Finger krallten sich tief in die Arbeitsplatte. Die Hände brannten fürchterlich. Doch er musste durch. Erneut tauchte er seine geschundenen Hände ins Becken. Seine türkisen Iriden starrten leer auf den Schaum in der Spüle. Wie mechanisch wusch er das Geschirr ab. Die Hände zitternd in das lauwarme Wasser getunkt. Zwischen den bebenden Fingern einen roten Porzellan Teller. Stumm fuhr er mit dem Lappen über die glatte Oberfläche.
 

Das Ticken der Küchenuhr, vermischt mit dem platschenden Laut - wenn er den Lappen wieder ins Wasser tunkte – waren die einzigen Geräusche, welche die Küche erfüllten. In Gedanken versunken. Er musste das Limit schaffen. Er musste. Auch wenn es fast unmöglich war, da schon allein fünf Minuten vergangen waren, ehe er es überhaupt geschafft hatte in die Küche zu kommen.
 

„Nein… nicht…“
 

Erschrocken riss Gaara seine Augen auf. Ließ vor Schreck den Teller aus der Hand fallen. Nicht wieder... Warum konnte Vater Temari nicht in Frieden lassen? Seine Finger von ihr lassen? Wieso musste dieses Monstrum sie so berühren? Warum?

Anscheinend reichte es dem Vater nicht, dass er seinen Sohn kaputt machte. Seine einzige Tochter wurde ebenfalls Opfer seiner krankhaften Spielchen…
 

Welches Tier in seinem ‘Vater’ fristete dort sein Dasein, dass dieser seine Kinder so kaputt machte? Sie Einen nach dem anderen zerbrach? So lange, bis sie fast willenlos waren?

War es der Alkohol? Die unzähligen Flaschen, die er am Tag trank? Literweise vor dem Fernseher?

War es dieser ‚Shit‘, welchen dieser rauchte? Diese Joints, wie Kankuro es bezeichnete? Er hatte von seinem Bruder gehört, dass dieses Zeug verrückt machte und den Verstand des Menschen zerstörte.

Oder diese Medikamente? Der Drang, Haufen Tabletten zu schlucken?

Welche Sucht war es, die in der ganzen Zeit aus diesem strengen, doch liebevollen Vater ein Monster erschaffen hatte?
 

Warum, To-san…
 

Klirrend fiel der Teller zu Boden und zerschellte dort in einem Haufen Scherben. Die roten Splitter verteilten sich über den Fliesenboden. Das Klirren des Porzellans zog seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschirr. Müde betrachtete er das Missgeschick. Ein trostloses Lächeln legte sich auf seine Lippen.

Tränen kämpften sich in ihn hoch. Brannten in seinen Augen, als er sich dieses Bild genauer ansah. Er schluckte sie herunter. Durfte nicht weinen. Doch es schmerzte ihn so sehr, da es ihn an etwas erinnerte.
 

Das Rot der Scherben stach aus dem Weiß der Fliesen hervor. So rot wie das Blut auf seiner wundgeschlagenen, blassen Haut…
 

Träge kniete er sich vor den kaputten Teller und sammelte die einzelnen, größeren Scherben zusammen. Bei einer schnitt er sich. Zuckte nicht einmal zusammen, sondern sammelte weiter die Scherben ein. Er bemerkte den stechenden Schmerz nicht einmal. Dieser kleine Stich in seinem Finger war einfach nicht präsent. Er wusste, dass er sich verletzt hatte. Er sah, dass ein wenig Blut heraussickerte. Doch er spürte den Schmerz nicht. Der kleine Schnitt war nicht annähernd so schmerzhaft wie die erdrückenden Gefühle in seinen Inneren. Nicht einmal annähernd schmerzvoll wie die in seine Haut geschlagenen Narben. Er spürte es nicht einmal, dass er sich geschnitten hatte. Dieser Schmerz war nichts… Genauso, wie er sich oftmals fühlte.
 

Er war nichts…
 

Das Blut lief seine Bahn über die blasse Haut. Perlte vom Fingernagel ab und tropfte zu Boden. Vermischt mit den roten Scherben. Unauffällig, als wäre dieser kleine Tropfen Blut nicht vorhanden. Als wäre er nichts wert. So wie er…
 

„To-san…“
 

Kurz hielt er inne. Hielt die Luft an, als er Temaris Stimme vernahm. Als er ihr Wimmern hörte. Ihr verzweifeltes Flehen. Beide waren nur drei Meter voneinander entfernt. Die Küchen- und Kinderzimmertür waren offen. Somit konnte man bei der Stille in der Wohnung fast jedes Geräusch wahrnehmen.
 

So verzweifelt wie seine Schwester eben war, so war auch er es. Verzweifelt, weil er nichts unternehmen konnte. Was sollte er auch mit seinen fünfzehn Jahren unternehmen können? Was sollte er versuchen? Er selbst hatte alle Hände voll zu tun, um mit seinem eigenen Leben fertig zu werden. Um mit seinem eigenen Leid klarzukommen.
 

Um selbst zu überleben…

Er musste blind sein. Das Elend der anderen nicht mehr sehen.

Er musste taub sein. Das Leid anderer nicht zu hören.

Er musste stumm sein. Die Qual anderer nicht beim Namen nennen.

Er musste, um seinen ‘Vater’ zu überleben.

Dieses Monstrum…
 

„Stell dich nicht so an! Willst du Daddys Mädchen sein oder nicht?!“
 

Leise war die Stimme seines ‘Vaters'. Doch in seinen Ohren so laut, als würde dieser neben ihm stehen.

Sein Herz raste in seiner Brust. So laut, so schnell. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Immer lauter. Immer schneller.

Eine Gänsehaut zog sich über seinen Körper. Wie immer, wenn er die Stimme dieses Mannes hörte. Wie immer, wenn er die Laute von ihm vernahm.
 

Wie immer…
 

Zitternd legte er seine eine Hand auf seine Brust. Krallte sich tief in den schwarzen Stoff seines Oberteiles. Versuchte sein Herz zur Ruhe zu bekommen. Seinen Geist.

Ein Schweißtropfen lief über seine Schläfe und seine Wange entlang. Hastig wischte er sich mit dem freien Handrücken über die Stirn. Eiskalter Schweiß benetzte seine Haut. Die Angst hatte seine Krallen um ihn gelegt. Wollte zudrücken. Ihn lähmen. Aber er musste weiterarbeiten!
 

Hastig schmiss er die Scherben in den Müll und stellte sich wieder an die Spüle. Trat dabei mit seinen nackten Füßen in kleine Splitter, die er später wegkehren wollte. Sie schnitten in seine Haut. Sein Körper fühlte sich oft wie taub an. So spürte er es nicht. Seine Gedanken waren wieder auf das abzuwaschende Geschirr gerichtet. Seine Hände brannten wie Feuer. Schmerzten noch von der Strafe mit der Herdplatte. Doch er musste durch. Biss die Zähne fest zusammen.
 

Ihm blieb gar keine Zeit zum Klagen. Keine Zeit, um sich Gedanken darüber zu machen, wie sein Leben war. Seine Zeit war begrenzt. War bestimmt. Zeit zum Jammern und Nachdenken hatte er nur, wenn er wieder in seinem Zimmer eingesperrt war. Ebenso die Zeit zum Ausruhen…
 

Zitternd bewegten sich seine Lippen erneut.
 

‚ Kleiner Junge, ruh‘ dich gut aus,

morgen kommst du vielleicht hier raus… ‘
 

Doch die Zeit neigte sich schneller dem Ende zu, als er mit Arbeiten fertig werden würde…
 

~*~*~
 

Gaara wischte soeben den Boden. Die 20 Minuten waren längst um. Bestimmt schon seit einer halben Stunde. In Gedanken versunken bemerkte er den Mann hinter sich nicht.

Plötzlich legte sich eine kräftige Hand auf seinen Mund. Erschrocken ließ Gaara den Mopp fallen. Krallte sich mit seinen zittrigen Fingern haltsuchend an den Arm, welcher ihn eisern umklammert hielt. Rammte seine Nägel tief ins Fleisch.

Leicht strampelte er, um sich aus dem Griff zu befreien. Doch zwecklos. Unnachgiebig wurde er von seinem Vater festgehalten.
 

„Ab ins Bad und keine Widerworte!“
 

Erschrocken hielt er die Luft an. Ein heißer Atem wurde ihm gegen das Ohr gehaucht. Er roch den starken Geruch von Bier und Schnaps. Den ekligen Geruch von Zigaretten. Die schmierige Hand presste sich fester gegen seinen Mund.

Am liebsten würde er kotzen. Alles aus sich herausholen. Mitten vor die Füße dieses Monsters. Doch er hatte Angst schon alleine den Mund zu öffnen. Hatte Angst überhaupt zu atmen.
 

Eingeschüchtert nickte er. Sofort lockerte sich der Griff um ihn. Tief atmete er ein und wieder aus. Ein Stoß in seinen Rücken forderte ihn zum Weitergehen auf. Er taumelte nach vorne. Wankte weiter in Richtung Badezimmer.

Ihm war schlecht. Er war müde. Er wollte einfach für heute nur noch seine Ruhe. Alles drehte sich um ihn.

Wie in weite Ferne gerückt, hörte er das Wimmern seiner Schwester. Das Ticken der Küchenuhr. Sein eigenes schnell schlagendes Herz. Träge fühlten sich seine Beine an. Unsicher seine Schritte.
 

Instinktiv setzte er einen Schritt vor den anderen. Schleppte seinen Körper in Richtung Badezimmer. Widersetzte sich nicht weiter. Die Kälte der Badezimmerfliesen drang durch seine Füße. Er begann vor Kälte zu zittern.
 

Den Blick trübe auf die leere Badewanne gerichtet. Verständnislos beobachtete er dieses Monster aus den Augenwinkeln heraus. Keine Emotion spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Doch die Angst in seinem Inneren loderte auf.
 

Heiße Flammen leckten an seinem Verstand. Bisher war dieses Monstrum noch nie mit ihm im Badezimmer gewesen. Nicht mit dem Gürtel oder sonst irgendetwas. Was sollte dieses Mal auf ihn zukommen? Würde es schmerzhaft werden? Schlimmer als die anderen Schläge?
 

Sein Vater ließ eiskaltes Wasser ein. Gaara verstand nicht. Was sollte das werden? Was hatte dieses Monstrum heute sich für eine Bestrafung ausgedacht? Womit wollte er ihn dieses Mal quälen? Doch lange musste er nicht darauf warten. Mit weiteren Stößen wurde er Richtung Badewanne geschubst.
 

„Ausziehen und reinlegen! Sofort!“
 

Gaara reagierte sofort, auch wenn er ein wenig skeptisch gestimmt war. In Ordnung… Mit kaltem Wasser konnte er leben. Besser, als würde er in kochendheißen Wasser verbrennen.

Zitternd vor Müdigkeit zog er sich seine Anziehsachen aus. Bei dem T-Shirt hatte er einige Probleme, da dieses unangenehm an seinem Körper klebte. Mit einen schmerzvollen Keuchen schaffte er es dieses über den Kopf zu ziehen. Schwer fiel es zu Boden.
 

Sein ganzer blasser Rücken war blutrot gefärbt. An einigen Schnitten riss die dünne, schon verheilte Kruste wieder auf. Kleine Tropfen an Blut sickerten heraus. Liefen in schmalen Bahnen über den geschundenen Leib. Sachte kletterte er über den Rand der Wanne. Seinen Körper durchfuhr ein Zittern. Kälte drang durch seinen dürren Leib hindurch.
 

Träge legte er sich rücklings in die Badewanne. Das Wasser wusch das getrocknet Blut von seiner Haut. Verfärbte damit die Wasseroberfläche in ein seichtes Rosa. Er keuchte leise. Legte sich so tief in das Wasser, dass sein Kopf noch herausragte. Zitternd schloss er ein wenig seine Augenlider.

Die Kälte umfing sofort seinen kaputten Körper. Lullte seinen müden Geist ein. Diese Temperatur machte ihn träge. Wogte ihn in ihren Wellen. Seine Lider wurden schwerer.

Nur für einen Moment wollte er die Augen ganz schließen.
 

Er wollte schlafen. Nur für einen Moment an nichts denken. Nichts sehen. Nichts hören. Vergessen. Und einfach nur fliehen. In seine Traumwelt…
 

Doch plötzlich drückte sich eine Hand auf sein Gesicht. Erschrocken riss er die Augen auf. Starrte mit panischem Ausdruck in diesen das Monster an.
 

‚Willkommen in der Hölle‘, sprachen die dunklen Iriden vor ihm. Der Wahn flammte in diesen Augen.
 

Noch ehe er etwas unternehmen konnte, wurde sein Gesicht unter das Wasser gedrückt. Er schluckte eine Unmenge an Wasser. Große Luftblasen stiegen empor. Gaara realisierte nicht gleich, was wirklich geschah. Erst als die Luftblasen kleiner und weniger worden. Erst als sein Körper immer schwächer wurde. Da reagierte er.

Panik umfasste ihn. Hastig streckte er seine Arme aus. Wollte damit seinen Vater zur Seite stoßen. Doch seine Finger erreichten nicht einmal die Schultern dieses Monstrums.

Seine Arme wurden schwerer. Seine Glieder steifer. Seine Augenlider senkten sich. Die stärkere Hand drückte weiter erbarmungslos zu. Mit den Fingern krallte er sich an das Handgelenk dieses Monstrums. Rammte mit aller aufbringbarer Kraft seine Fingernägel in dieses. In der Hoffnung, freigelassen zu werden.
 

Zum ersten Mal in seinen Leben wollte er schreien. Um Hilfe schreien. Laut, damit es jeder hörte. So laut, damit ihn jeder hörte. Doch kein Ton kam über die Lippen. Er brachte nur ein ersticktes Gurgeln zusammen.

Er kämpfte einen verzweifelten Kampf. Gegen seinen Vater und gegen die Bewusstlosigkeit.

Ihm schoss nur ein Gedanke durch den Kopf:
 

Er würde sterben… ER WÜRDE STERBEN!
 

Plötzlich lockerte sich die Hand, bis sie ganz verschwand. Jemand riss Gaara an der Schulter nach oben. Ein lautes Husten durchschüttelte seinen Körper, als er einen Schwall Wasser ausspuckte. Sofort strömte Luft in seine schmerzenden Lungen. Brannte in seinem Hals. Er japste nach dem wichtigen Sauerstoff. Zog ihn gierig ein, als wäre es das Letzte, was er in diesem Leben machen würde.

Weiter Wasser ausspuckend öffnete er seine Augen einen Spalt. Seine Sicht war verschwommen. Sein rotes Ponyhaar klebte ihm an der Stirn. Kleine Wasserbahnen liefen über sein Gesicht. Erschwerten ihm damit noch mehr das Sehen.

Er besaß nicht einmal mehr die Kraft, um aufrecht sitzen zu können. Leicht schwankte er zur Seite. Zwei warme, starke Arme fingen ihn auf.
 

Geschrei war im Badezimmer zu hören. Es war sein Vater. Doch die Stimme kam ihm wie in weite Ferne gerückt vor. Immer weiter weg. Dieses Monster wurde von zwei Männern mit Gewalt aus dem Zimmer gezogen.

Benommen taumelte Gaara leicht zur Seite. Jemand schlug ihm sachte gegen die Wange. Wollte damit anscheinend bezwecken, dass er nicht wieder einschlief. Dabei war er so müde. So kaputt von dem Kampf. Er war dem Tod entkommen. Diese Erkenntnis trieb ihm Tränen in die Augen.
 

Er hatte überlebt… Er hatte überlebt!
 

Unermessliche Freude stieg in ihm auf. Und gleichzeitig diese endlose Angst, dass er hätte sterben können.

Heiß liefen ihm die Tränen über die Wangen. Er schlug sein Gesicht in seine Hände und schluchzte herzzerreißend auf. Jemand griff ihm unter die Arme, half ihm damit aus der Wanne. Man setzte ihn auf den kalten Fliesen ab. Sofort wurde er in mehrere Handtücher gewickelt. Sein Körper fühlte sich noch steif an.

Jemand zog ihn an dessen Brust. Anscheinend Temari, welche ebenfalls herzzerreißend weinte.
 

Bei dieser angenehmen Wärme zerriss es ihm fast das Herz vor Freude. Er fühlte sich seit so langer Zeit wieder einmal geborgen und sicher. Doch die Angst, dass es nur für einen Moment anhielt, war ebenso groß. Dass dies alles nur ein Traum war und er gleich wieder in seinem Bett oder am Boden in der Küche aufwachen würde. Doch für einen Traum fühlten sich die Schmerzen und diese Tränen zu echt an…
 

Er schluchzte wieder laut auf. Sein geschundener Körper und sein kaputter Geist wollten gar nicht mehr zur Ruhe kommen. Die ganzen unterdrückten Gefühle zerrissen seine Gedanken.
 

Wut. - Angst. - Hass. - Liebe. - Trauer. - Freude…
 

Sachte lehnte er sich Temari entgegen. Stille Tränen liefen noch über seine Wangen. Seine Atmung war noch hektisch. Jemand anderes legte seine Hand auf seine Schulter. Müde blickte er auf. Erkannte verschwommen das Gesicht seines Bruders. Dieser streichelte sachte über seine kalte Wange. Über seine kalte Stirn, ehe er einen Kuss auf diese setzte. Sanft lehnte sein Bruder die Stirn gegen seine eigene.
 

„Gaara, alles wird gut. Alles wird wieder gut… Wir können hier weg. To-san kann uns dann nichts antun.“
 

Er nickte nur matt. War zu schwach, um etwas zu antworten. War zu müde, um seine Augen weiter offenzuhalten. Träge schlossen sich diese. Seine Geschwister waren weiter um ihn. Gaben ihm in diesem Moment Halt und Geborgenheit. Er wollte es ausnutzen. Wollte es genießen. Wollte in diesem Moment das an sich reißen, was er all die letzten Monate nicht erhalten hatte.
 

Liebe. – Geborgenheit. – Wärme. – Sicherheit.
 

„Gaara, hörst du? Wir können von vorne anfangen. Ein neues Leben beginnen im Atarashii Semei. Iruka-san nimmt uns dann gleich mit…“
 

Atarashii Semei. - Neues Leben.
 

Er würde gerne von vorne beginnen. Alles noch einmal versuchen richtig zu machen. So zu leben, wie er es gerne möchte. Ohne mit der Angst zu leben, dass alle seine Mühen mit Schlägen bestraft wurden. Ohne mit der Angst zu leben, dass er den heutigen Tag nicht überleben würde. Ohne die Angst vor seinem Vater…
 

Zitternd bewegten sich seine Lippen. Doch kein Ton entkam ihnen.
 

‚ Da sonst die ‚heile Welt‘ zerbricht,

so hört man stumme Schreie nicht…

Sei nicht taub und schließ die Lider,

sonst hallt der Schrei im Wind wider…‘

_______________________________________________________________
 

© Songtext "Ray" by the GazettE

© Gedichtverse von Gaara by Tsunakai



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von: abgemeldet
2011-12-29T12:02:47+00:00 29.12.2011 13:02
ich finde solche storys immer wieder gleichsam faszinierend und grausam. du schreibst in einem sehr berührenden schreibstil und alles geht einem sehr nahe, vorallem weil es sie realistisch ist. ich lese sofort weiter und bin schon gespannt :D
Von:  Tsuki14
2011-07-07T14:05:07+00:00 07.07.2011 16:05
Und wieder einmal raubte mir dieses Kapitel den Atem, wieder einmal tut mir alles weh, kann Gaara´s Schmerzen spüren. Wieder sitzt ein Freund neben mir, sagt mir, dass macht auch er mit mir. Zeigt mir, dass alles Realität ist, was du dort niederschreibst, was du dort mit so viel Gefühl auf schreibst und rüberbringst, was du dort mit so viel Pein vermittelst.
Und wieder einmal sitze ich hier und vergieße Tränen, vergieße Tränen für meinen Freund, der schon lange nicht mehr weinen kann, weil er zu erschöpft ist. Und wieder einmal sitzte ich hier und frage mich, wie Gaara, Warum?
Warum gibst es Menschen, die so etwas tun?
Warum gibt es Menschen, die so etwas jemanden aufbürden, sie stumm machen?
Warum gibt es Menschen, die so krank sind und die Seele eines anderen töten? Warum?

Und warum erhalten wir nie eine Antwort auf diese Frage?

Das Kapitel war einfach nur unsagbar traurig und zugleich war das Happy End wunderschön. Das Kapitel hast du wunderbar geschrieben. Ich ziehe wieder meinen Hut vor deiner Kunst.

Ich fand das Thema mit Gaara ziemlich gut. Ich fand es klasse, dass du alles so ´krass´ dargestellt hast, denn so ist es nun mal. In dem Sinne hast du kein Blatt vor dem Mund genommen, hast gnadenlos aufgeschrieben, was manche Menschen täglich erleben und ertragen müssen.
Misshandlung dieser Art gibt es so oft und auch der Missbrauch von Temari.
Ich weiß nicht, wie viele Jugendliche ich kenne, die das erleben und erlebten. Ich finde es einfach nur erstklassig, wie du dich mit diesem Thema befasst hast und es niedergeschrieben hast.
Einfach nur klasse!
Danke für diese FanFiction, die Wahrheit ist.

In Liebe, Tsuki14
Von:  TyKa
2011-07-04T14:40:05+00:00 04.07.2011 16:40
so im nachgang
endlich mal komm ihc dazu
meine kommis los zu werden
da du ja schon auch ein neues kappi hochgeladen hast
was ich gleich lesen werde
^^

zu dem hier ... da weiß ich echt nicht
was ich schreiben soll
da bleibt einem die luft weg oder die worte im hals stecken
beides ist passend
und sagt vielleicht schon viel aus darüber
wie ich das kapitel finde

aber auch die story die sich dahinter verbirgt
ruft bei mir das gleiche hervor
und hat mir schon des öfteren, bei allen vorherigen kappis
des öfteren einen klos in den hals getrieben

jedenfalls
mach weiter so!

Lg
TyKa
Von:  FreakyFrosch1000
2011-06-18T11:25:53+00:00 18.06.2011 13:25
OMG!!! T.T
das war ein schreckliches Kapitel O.O
aber ich liebe deinen Schreibstil..
wie du die Gefühle und Gedanken von Gaara zum Ausdruck gebracht hast,war klasse...
endlich sind die Geschwister frei..
bis zum nächsten Kapitel
Lg freakyfrosch :)
Von:  Knuddel-chin
2011-06-08T17:37:45+00:00 08.06.2011 19:37
Hai,

du hast einen wunderbaren Schreibstil und du schreibst und beschreibst es einfach nur so ... es berührt mich sehr
ich finde Gaaras Gedicht sehr schön, auch wenn es traurig ist
und es hat mich erfreut als sie dann alle mitgenommen wurden
...

liebste Grüße
Knuddel-chin
Von:  Misawa
2011-06-04T08:36:46+00:00 04.06.2011 10:36
So jetzt komme ich auch endlich mal dazu einen Kommentar zu hinterlassen.
Ich bin wirklich sprachlos, wie du dieses Kapitel hinbekommen hast. Ich hatte an vielen Stellen Gänsehaut beim betan und musste immer mal wieder kurz unterbrechen.
Du hast genau die richtigen Worte gefunden, so dass es nicht zu überladen klang, aber auch nicht zu mager.
(Und du sgast immer, es wäre nicht!!)

Am Ende freue ich mich, dass sie endlich aus dem Höllenloch raus kommen, auch wenn es ihnen seelisch nicht besser gehen würde.
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel

(Ach es gab ein Wort, dass du permanent falsch geschrieben hast, was aber nicht so schlimm ist. Die Monter = Mehrzal; Das Mostrum = Enizahl
Aber ist nicht so schlimm.. irgendwie sagt jeder Monster, wenn er nur eine Person meint..)

Liebe Grüße,
Usuratonkachi_Naruto
Von: abgemeldet
2011-06-01T10:31:49+00:00 01.06.2011 12:31
T-T ich heul grad... das alles reist mich jedes mal aufs neue wieder mit. Ich weis nicht wie ich reagieren würde in so einer Situation... vermutlich, so wie jetzt, einfach nur heuln.
Du schreibst echt klasse, leider ;)
Das du so etwas geschrieben hast ist wirklich klasse. Ich bin mir sicher, dass alle die deine Kapis lesen unweigerlich den ganzen Tag darüber nachdenken. Mach weiter so, und auch wenn ich es schon kommen sehe, dass ich beim nächsten Kapi wieder flennen werde, freue ich mich schon drauf :,D

lg Fox
Von:  yoshi_in_black
2011-05-31T14:27:55+00:00 31.05.2011 16:27
Ich weiss nicht, ob ich schon bei einem früheren Kapitel ein Kommi hinterlassen hab, aber ich tu'S jetzt einfach mal an dieser Stelle.
Deine FF ist einfach unbeschreiblich gut. Ich habe selten etwas gelesen, dass mich so mitgenommen und nachdenklich gemacht hat, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann. Mehr kann ich dazu grad echt nicht sagen.

Von:  Mallibu
2011-05-31T13:17:53+00:00 31.05.2011 15:17
oha das ist ja mal wirklich arg...
das mit temari auch

aber echt erstklassig geschrieben und die Gedichte zwischendurch sind echt schön!
mal gucken wer dann als nächstes kommt

*knuff*


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