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Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

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9. Kapitel

Es hörte sich so an, als hätte der Panther jemanden gefunden. Allerdings beruhte die Abneigung wohl auf Gegenseitigkeit oder er hatte ein Weibchen gefunden und mochte es rauer, als Amanda ihm zugetraut hätte. Wer kannte sich da schon so genau aus?

Sie hatte noch eine Weile gewartet, um einigermaßen sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt oder beobachtet wurde. Dann schob sie sich näher an das Haus heran und sah zuerst einmal durch die verdreckten Fenster in die leeren Räume. Es sah aus, als hätte nicht nur eine, sondern gleich mehrere Naturkatastrophen auf der kleinen Farm gewütet. Alle mit spitzen Krallen und Zähnen.

Bereits von dem Wenigen, was sie hatte sehen können, war sie angewidert. Was sich allerdings noch steigerte, als sie zur Tür kam.

Das Blut und die Kratzspuren hatte Amanda schon vom Auto aus gesehen, als sie kurz vorbei gefahren waren. Aber von Nahem konnte sie erkennen, dass sich das Blut auch über die Dielen der kleinen Terrasse zog und offensichtlich jemand weggezerrt worden war. Die Kratzer führten von der Tür weg und eine abgerissene Kralle steckte noch im Holz fest.

Bilder von einem Kampf drängten sich Amanda auf, in der allerdings die Mitglieder der Luchsfamilie mit denen ihrer eigenen Eltern verschwammen. Ihre Wut nahm ihr fast den Atem und ein Übelkeitsgefühl breitete sich in ihrem Magen aus.

Fast hätte sie die Tür mit einem Ruck aufgestoßen und wahrscheinlich blind auf alles geschossen, was sich bewegte, aber da waren die Kampfgeräusche hinter dem Haus beinahe explodiert.

Schon bei Hauskatzen war der Lärm beeindruckend, wenn sie sich stritten, aber das hier war damit noch nicht einmal mehr zu vergleichen. Das Brüllen und Fauchen musste bestimmt über einen Kilometer im Wald zu hören sein.

Wie schön, dass sie beschlossen hatten, unauffällig vorzugehen und sich dieser Kater so ausnehmend daran hielt.

„Vollidiot!“

Leise aber mit schnelleren Schritten huschte Amanda um die Hausecke herum. Das Grollen und die anderen Geräusche wurden immer lauter, bis sich vor Amandas Augen zwei Fellknäuel überschlagend in den nächsten Busch warfen.

Zu allem Überfluss lag der Panther auch noch unten und sah eindeutig abgerissener aus als sein Gegner. Er schaffte es gerade noch den Anderen von sich runter zu werfen und zog dann den Schwanz ein, um abzuhauen. Allerdings schaffte er das nur sehr angeschlagen und auf drei Beinen.

Blut troff aus seiner Wunde im Gesicht und nicht nur dort glitzerte sein Fell von der dunklen Flüssigkeit.

Mitgefühl machte sich in Amanda breit, wo sie schon gedacht hatte, es wäre nur Platz für die flammende Wut auf denjenigen, der die Familie umgebracht hatte, der die Farm gehörte.

Sie musste nicht einmal darüber nachdenken, auf welchen der beiden sie ihre Waffe richten sollte. Sie musste nur an die Spuren an der Tür und die zerstörten Zimmer des Farmhauses denken, damit sich ihre Waffe wie automatisch auf den Leoparden richtete.

Ihre Augen verengten sich ein wenig, als sie auf den Moment wartete. Es war doch immer das Gleiche und jede der Katzen war in diesem Fall gleich. Sie wollten ihren Feind nicht nur töten, sondern sie wollten eine Show daraus machen. Sich profilieren. Und wenn es nur vor sich selbst war, um ihr Ego noch mehr aufzublasen.

Weil sie wusste, dass sie Recht hatte, zielte sie ein wenig über Nataniels Körper und wartete ab.

Sie brauchte nicht lange zu warten. Die Muskeln des Leopards waren angespannt und das Tier katapultierte sich mit einem lauten Fauchen in Nataniels Richtung, um sich auf ihn zu stürzen und ihn zu erledigen. Zum Glück zog der schwarze Jaguar auch noch ein wenig den Kopf ein, um sich vor dem Angriff zu schützen, was Amanda die Sache erleichterte.

Der Schuss riss die Raubkatze direkt aus der Luft und Blätter und Dreck stob auf, als der massige Körper im Dickicht landete.

 

Als der Leopard erneut auf ihn zu sprang, dachte Nataniel nun wäre es vorbei. Natürlich hätte er sich noch so gut wie möglich gewehrt, aber letzten Endes würde er nicht mehr länger als wenige Minuten zu leben haben. Weshalb er sich schon in Erwartung des Schlimmsten zusammen duckte und den Angriff abwartete.

Dieser blieb aber überraschenderweise auf halbem Wege aus, als der Leopard mitten im Sprung aus der Luft gerissen und zur Seite geschleudert wurde.

Überrascht blickte Nataniel sich um, bis er Amanda mit gezogener Waffe sah.

Er musste nicht einmal sehen, dass es aus dem Lauf qualmte. Er konnte es auch so riechen. Also hatte sie doch den Mumm abzudrücken. Für die Zukunft würde er sich das wohl merken müssen. Doch im Augenblick hatte er wirklich andere Probleme.

Mühsam raffte er sich wieder hoch und unterdrückte jeglichen Schmerzenslaut, der ihm entkommen wollte. Vorhin, während des Kampfes hatte er die Schmerzen natürlich auch verspürt, doch erst jetzt, wo das Adrenalin langsam aus seinem Körper verschwand und nur noch die Nachwirkungen zu spüren waren, fühlte er jede einzelne Blessur.

Vor Amanda diese Schwäche zu zeigen, behagte ihm gar nicht. Doch er hätte dem Kampf nicht ausweichen können, außer er wäre gar nicht hierhergekommen. So aber war er wenigstens ein bisschen schlauer. Auch wenn es eher spärliche Informationen waren, so waren sie doch zumindest ein Anfang.

 

Amanda hatte das Gefühl, dass ihre Waffe weniger Krach gemacht hatte, als der Kampf der beiden Kater, aber trotz Schalldämpfer klingelten ihr die Ohren von der kleinen Explosion.

Sie brauchte nur wenige Schritte, um bei Nataniel anzukommen, der sie mit seinem Blick durchbohrte und ihr dann zum Körper seines Gegners folgte. Er humpelte auffällig und sah wirklich mitgenommen aus.

Amanda unterdrückte mit Mühe den Reflex, ihm durchs Fell zu streicheln. Gerade jetzt fragte sie sich unpassenderweise, ob er wohl weich war oder sich eher struppig anfühlte.

„Geht’s dir gut?“

Der Leopard atmete noch und bleckte die Zähne mit einem donnernden Knurren, als sie sich ihm näherten. Er hatte auch einige Wunden davongetragen, die allerdings alle weniger bluteten als das Loch in seiner Brust. In seiner jetzigen Form konnte er nichts verraten, auch wenn er es gewollt hätte, aber sie mussten nur warten.

Ein Beweis, dass der größere Teil der Wandler doch menschlich war, war die Tatsache, dass sie immer in menschliche Körper zurückkehrten, wenn sie starben. So war es auch bei dem Leopard, der sich bereits jetzt zu verformen begann, so wie Amanda es vor Kurzem auch an Nataniel gesehen hatte.

Er verwandelte sich nicht freiwillig, weswegen sich sein Fell schmerzhaft langsam in ihn zurückzog und sich seine Muskeln, Knochen und Proportionen angestrengt veränderten. Immerhin verließen ihn mit der Menge Blut, die er verlor, auch die Kräfte immer mehr.

Wenn man sich seine menschliche Form ansah, wäre es anders vielleicht sogar angenehmer gewesen. Nataniel hatte den Anderen ganz schön zugerichtet, auch wenn er am Ende der Unterlegene gewesen war.

 

Als Amanda vor ihm stand, versuchte er in ihrem Gesicht zu lesen, was sie wohl gerade dachte. Bestimmt war es eine ganz schöne Menge. Immerhin hatte sie gerade einen Gestaltwandler getötet. Oder besser gesagt, dieser würde gleich abtreten.

Weshalb Nataniel Amanda folgte, als sie zu dem schwer verwundeten Leopard hinüberging. Dabei fragte sie ihn nach seinem Wohlbefinden. Was Nataniel ziemlich absurd fand, immerhin sah er bestimmt so beschissen aus, wie er sich fühlte.

Zum Glück musste er ihr in dieser Form keine Antwort darauf geben, was er auch nicht tat. Im Augenblick war ihm alles andere, als nach diesen Spielchen zwischen ihnen beiden, zumute.

Er selbst konnte regelrecht nachvollziehen, wie schmerzhaft die Wandlung des Leoparden in diesem Zustand sein musste, da sie äußerst unfreiwillig geschah und noch dazu quälend langsam. Dennoch empfand er kein Mitleid. Diese Bestie hatte nichts anderes verdient.

 

Amanda warf dem Panther, der neben ihr stand und ihr bis zur Hüfte reichte, einen Seitenblick zu, der allerdings ihre Besorgnis nicht verriet. Er musste unter dem dunklen Fell auch ganz schon mitgenommen aussehen. Um nicht doch noch über seinen Kopf zu streicheln, was sie höchstwahrscheinlich ihre Hand gekostet hätte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den sterbenden Leoparden.

Allerdings blieb sie still und sah ihn nur an, denn sie war sich ziemlich sicher, dass er nichts verraten würde. Warum sollte er? Er würde an der Verletzung sterben.

Amanda war einigermaßen überrascht, als er doch den Mund öffnete und leise zu sprechen anfing – was sich allerdings mehr wie ein raues Krächzen anhörte. Mit einem Grinsen auf dem schmutzigen Gesicht und bereits leer werdenden Augen sprach er Nataniel direkt an.

„Wenn du ein Menschlein brauchst, um dich zu schützen, wirst du gar nicht bis zu ihm durchkommen.“

Das Lachen war gurgelnd und das Letzte, was er in seinem Leben von sich geben würde.

 

Auch wenn es Nataniel besser hätte wissen müssen, so trafen ihn die letzten Worte, dieses verdammten Mörders ganz tief in sich drin. Dort wo es so richtig wehtat und nicht nur wegen seines verletzten Stolzes.

Geknickt, angeschlagen und auf ungewöhnliche Weise auch sehr traurig, wandte Nataniel sich von dem Toten ab und schleppte sich davon. Erst um das Haus herum, dann auf die Straße. Amanda beachtete er gar nicht. Er sah ohnehin nicht mehr hoch, sondern ließ den Kopf hängen, da dieser sich viel zu schwer anfühlte.

Nataniel wusste nicht genau, wie er es schließlich schaffte, doch er fand nach einer ganzen Weile wieder die Stelle am Waldrand, wo er seine Klamotten fallengelassen hatte, um sich zu verwandeln. Amanda hatte er mit einem Knurren zu verstehen gegeben, dass sie ihm bloß nicht nachlaufen sollte. Ihm wäre es lieber, sie bliebe beim Auto, bis er es hinter sich hatte.

Schwer atmend legte er sich auf den bemoosten Waldboden und begann seine Wandlung zu vollziehen. Es war anstrengend und dauerte fast dreimal so lange wie sonst, doch schließlich lag er wieder in Menschengestalt da, von oben bis unten verdreckt und mit seinem eigenen Blut verschmiert.

Zwar war keine der Wunden tödlich oder sehr schwer, aber seine rechte Hand konnte er vor lauter Schwäche noch immer nicht bewegen und im Augenblick hatte er viel eher Lust, hier auf der Stelle einzuschlafen, als sich aufzuraffen. Was er dann doch schließlich tat.

Mühsam zog er sich seine Hose wieder an, was einem weiteren Wunder glich, dass es ihm gelang, sie auch noch korrekt zuzumachen. Danach taumelte er aus dem Wald, öffnete die hintere Tür des Wagens, um sein Hemd herauszuholen. Auch das zog er sich mühsam über, damit er Amandas Wagen nicht zu sehr versaute. Erst dann setzte er sich auf den Beifahrersitz und schloss erschöpft die Augen, während er seinen Kopf gegen das Fenster lehnte.

„Ich will … nichts … hören …“, flüsterte er leise, während er seinen verletzten Arm gegen seine Brust presste, um ihn etwas zu stützen. Hoffentlich kam Amanda von selbst darauf, dass er keine Lust hatte, jetzt über diesen Vorfall zu sprechen.

„Bitte … dein Zimmer …“, stieß er noch leiser hervor, ehe er sich regelrecht in den Beifahrersitz kuschelte und sich leicht zu einem Ball zusammenrollte. Ihm war ganz schön kalt.

 

Sie war nicht einmal auf die Idee gekommen, ihm zu folgen. Zwar kannte sie ihn noch nicht lange, aber so wie er sich ihr bis jetzt gezeigt hatte, wollte er garantiert keine Schwäche vor ihr zeigen und Amanda wollte ihm bei der leidvollen Verwandlung, die er zweifelsohne vor sich hatte, nicht zusehen. Stattdessen ließ sie ihn den Weg zur Straße zurücktrotten und blieb bei dem Leopard stehen, den sie vor wenigen Minuten erschossen hatte.

Eigentlich sollte sie ihn nicht hier liegenlassen.

Wenn das Gerücht stimmte und dieser Kerl zu dem Rudel gehört hatte – wovon auszugehen war – dann konnte es kein guter Schachzug sein, seine Leiche für alle sichtbar hier so nah am Naturschutzgebiet verrotten zu lassen.

Aber allein brachte sie ihn von hier nicht weg und sie wusste auch gar nicht wohin mit der Leiche. Also begnügte sie sich damit, Fotos von seinem Gesicht zu machen, die sie sofort an die Zentrale, allerdings zu Cleas Händen schickte mit dem Vermerk, dass es sich um einen nicht registrierten Felidae handelte. Dass er nicht der Einzige war und sich ein weiterer gerade auf dem Weg zu ihrem Auto schleppte, um mit ihr ins Hotelzimmer zurückzufahren, verschwieg sie ein wenig schuldbewusst.

Nachdem sie auch noch ein paar Aufnahmen der Umgebung gemacht hatte, lief sie zum Auto zurück, wo Nataniel hoffentlich nicht aufgefallen war, dass sie länger als nötig für den Weg gebraucht hatte.

 

Als er sich schließlich auf den Beifahrersitz fallenließ, war klar, dass es ihm nicht aufgefallen wäre, wenn Amanda auf einmal den Kopf eines Insekts auf den Schultern gehabt hätte.

Am liebsten wäre sie ihm für seinen Befehlston gleich über den Mund gefahren, aber das hätte in seinem Zustand auch nichts gebracht. Genauso wenig wie die kleine Bitte ihre Wut dämpfen konnte.

Klar, gern geschehen. Du musst dich nicht dafür bedanken, dass ich dir gerade das Leben gerettet habe. Mach ich gern. Und natürlich darfst du in mein Zimmer zurück. Ich schulde dir ja auch noch die Milch und die Kekse!

Im Geiste zickte sie weiter vor sich hin, während sie die ganze Fahrt über den Mund hielt. Nicht nur sein Verhalten ging ihr an die Nerven, sondern auch die Tatsache, dass sie gerade jemanden erschossen hatte. Amanda hatte immer damit gerechnet, dass es ihr nichts ausmachen würde, einen Wandler zu töten. Dass sie es für eine Art Racheaktion halten würde. Rache für ihre Eltern, die ihrem Bruder und ihr von einem dieser Wandler genommenworden waren. Aber es war nun einmal nicht dieser Wandler gewesen.

Und obwohl er den Tod verdient hatte, war da ein leeres Gefühl in Amandas Innerem, mit dem sie erst fertigwerden musste, bevor sie wieder mit irgendjemandem geschweige denn mit Nataniel wieder ruhig sprechen konnte. Er war auf der kurzen Fahrt zum B&B bereits eingeschlafen und Amanda parkte den Wagen vorsichtshalber hinten in der Auffahrt, wo sie den Nebeneingang zu den Zimmern benutzen konnten.

Auch jetzt sagte sie nicht mehr als: „Wir sind da“, und stieg aus dem Wagen aus. Als er durch die schwere Feuertür ging, die sie ihm aufhielt, drückte sie ihm den Zimmerschlüssel in die Hand, mied aber seinen Blick.

„Bin in zehn Minuten wieder da.“

Sie wartete keine Antwort ab, sondern schwang sich wieder in ihren Dodge und fuhr langsam auf die Hauptstraße zurück, wo sie nach dem Schild einer Apotheke Ausschau hielt.

 

Es waren keine zehn Minuten, aber auch nicht wesentlich länger, bis sie die Tür zu ihrem Zimmer leise aufstieß und Nataniel auf ihrem Bett vorfand.

Wieder ein Grund ihn eigentlich anzuschreien, aber so wie er zugerichtet war, brachte sie das nicht übers Herz. Lautstark, damit er sie nicht anfiel, wenn sie sich ihm näherte, ließ sie ihre Tasche zu Boden fallen und warf die Plastiktüte der Apotheke neben ihn aufs Bett.

Die Hände hatte sie sich schon gewaschen, weswegen sie sich einfach zu ihm setzte und das Jodfläschchen, ein paar Tupfer, Verbände und sogar Nadeln und medizinischen Zwirn auspackte.

Sein Ego räumte sie mit einem stählernen Blick zur Seite und schraubte wortlos das Fläschchen auf. Sie träufelte die gelbliche Flüssigkeit auf einen Wattebausch und suchte sich eine der vielen Wunden an seiner Seite aus, bei der sie anfing. Das würde wohl eine Weile dauern.

 

Nataniel bekam es nicht einmal wirklich mit, dass Amanda ihm nicht folgte. Dafür spürte er jedoch deutlich die Zimmerschlüssel in seiner Hand. Sein äußerst müde gewordener Verstand begriff den Zusammenhang, wodurch sich seine Beine in Bewegung setzten und er zum Glück, ohne gesehen zu werden, in ihr Zimmer kam. Weiter brauchte sein Verstand auch nicht mehr zu reichen. Denn schon beim bloßen Anblick des großen Bettes drohten seine Knie nachzugeben, weshalb er die paar Schritte noch taumelnd vorwärtsging und sich dann einfach fallenließ.

Seine Augen waren so schwer, dass er gar nicht erst versuchte, wach zu bleiben, sondern sie einfach schloss. Erst ein Geräusch neben ihm ließ ihn wieder aufblicken.

So mühsam wie noch nie kämpfte er sich wieder in eine halbwegs aufrechte Position und betrachtete kurz die Plastiktüte. Auch wenn es ihm total widerstrebte, so zog er sich doch das Hemd aus, damit Amanda ihn wieder zusammenflicken konnte.

Bei nächster Gelegenheit würde er sich noch in Grund und Boden schämen müssen, dass er sich selbst überhaupt in diese Lage gebracht hatte. Schuld an allem war doch im Grunde nur dieses verdammte Auto, das ihn angefahren hatte. Wäre er bei vollen Kräften gewesen, hätte er diesen Leoparden in der Luft zerrissen. Aber es half ohnehin nichts mehr. Was geschehen war, war geschehen und konnte nicht mehr rückgängiggemacht werden. Alles, was Nataniel nun tun konnte, war einfach das Beste daraus zu machen. Oder vielleicht auch erst später, wenn er wieder halbwegs gerade laufen konnte.

Obwohl das Jod in seinen Wunden brannte und Amanda höchst wahrscheinlich Gefallen daran fand, ihn mit dem Teufelszeug zu betupfen, zuckte Nataniel nicht ein einziges Mal während der Behandlung zusammen. Er gab auch keinen Laut von sich, sondern atmete einfach so ruhig und gleichmäßig, wie er konnte, während er auf einen imaginären Punkt an der Wand starrte und sich gegebenenfalls auch einmal so drehte, dass die Blondine besser an seine Wunden herankam.

Als sie jedoch die Verletzung über seinem Auge abtupfte, konnte er nicht anders, als sie dabei anzusehen. Fast gänzlich, ohne zu blinzeln. Wäre er jetzt in diesem Augenblick ein Kater, er hätte geschnurrt.

Erstens um sich selbst zu beruhigen und zweitens, um sein Wohlbefinden auszudrücken. Denn auch wenn Amanda ihm mit ihren Berührungen wehtat und zu gleich half, so mochte er es dennoch angefasst zu werden. In seiner Pflegefamilie waren Berührungen alltäglich und geschahen meistens ganz nebenbei.

Ein Streicheln über den Kopf, eine Hand, die sich einen Moment lang auf den Rücken legte, während man sich gemeinsam über irgendetwas beugte, um es besser sehen zu können. Ein Küsschen auf die Wange oder auf die Stirn und immer mal wieder herzliche Umarmungen, wenn man sich längere Zeit nicht mehr gesehen hatte.

Seit er von zuhause weg war, hatte es niemanden gegeben, der ihn berührt hätte. Der ihm das Gefühl gegeben hätte, er gehörte zu einer Familie. Natürlich war er es auch gewohnt, ein Einzelgänger zu sein und wochenlang alleine durch die Wälder zu streifen. Aber das hieß nicht, dass er es nicht zu schätzen wusste, was Amanda da für ihn tat. Auch wenn er das niemals vor ihr zugeben würde.

Schließlich, als er versorgt war, stand Nataniel langsam auf und ging vorsichtig zur Tür. Während er die Hand auf dem Türgriff legte, blieb er noch einen Moment stehen. Das wäre jetzt wohl der Moment, wo er danke sagen sollte. Aber da es ohnehin nicht einmal ansatzweise gereicht hätte, für die Tatsache, dass Amanda ihm heute das Leben gerettet hatte, behielt er es für sich. Stattdessen verkündete er mit kaum hörbarer Stimme, dass er ins Bad ging, um sich notdürftig zu reinigen. Amanda hatte seine Wunden versorgt, er würde sich um den Rest kümmern und danach konnte ihn nichts mehr davon abhalten, sich für mehrere Stunden schlafen zu legen. Sein Körper heilte schneller, als der von normalen Menschen, aber auch nur, wenn er die nötige Ruhe und vor allem ausreichend Nahrung zur Verfügung hatte.

Dass Nataniel letztendlich auf dem Badezimmerteppich einschlief, und zwar in seiner bepelzten Form, damit hätte wohl keiner von ihnen beiden gerechnet.

 

Amanda räumte die Sachen von dem Bett, warf die benutzten Wattepads in den Mülleimer und zog zum zweiten Mal das obere Laken ab.

Sie würde ein Neues besorgen, bevor Mrs. Cauley Morgen die Betten machte und fragen konnte, warum so viele Blut- und Jodflecken darauf waren. Es wunderte Amanda sowieso, dass es der aufmerksamen Lady bis jetzt entgangen war, dass ein Mann in ihrem B&B herumlief, der für kein Zimmer zahlte. Um es dabei vorerst zu belassen, leerte Amanda ihren Mülleimer in das Laken, packte das ganze in eine große Plastiktasche und verließ das B&B durch den Nebeneingang.

Erst als sie die Tüte in den Müllcontainer hinter dem Haus warf, hielt sie kurz inne. Ihre Hand ruhte auf dem kalten Griff des Metallcontainers, während Amanda ins Leere starrte.

Eigentlich hätte sie damit gerechnet, wütend zu werden, vielleicht sogar verletzt. Aber die Tatsache, dass sie Nataniel nicht einmal ein ‚Danke’ wert war, überraschte sie letztendlich nicht. Es erhöhte nur den bitteren Geschmack, der sich jedes Mal bildete, wenn sie an die Wandler dachte.

Amanda wusste gar nicht, warum sie beinahe geglaubt hatte, dass Nataniel anders war. Dass er ihr ein wenig mehr entgegenbringen würde als Verachtung, weil sie nicht so war wie er. Bestimmt war Nataniel auch einer von denen, die sich einredeten, dass die Menschen und die Organisation die Bösen waren. Aber wenn man es einmal objektiv betrachtete, verhielten sich die Wandler nicht weniger unfreundlich. Sie waren nun mal eine andere Art und wollten sich gar nicht mit den Menschen abgeben. Ob man es nun versuchte, oder nicht. Und für ihre Verhältnisse hatte Amanda es versucht.

Mit einem leichten Kopfschütteln kämpfte sie die Traurigkeit hinunter, die sich in ihr breitzumachen drohte, wandte sich schließlich ab und lief langsam die Auffahrt bis zur Hauptstraße hinunter. Ihre Hände vergrub sie in den Jackentaschen und ließ den Kopf etwas hängen. Noch immer schienen ihre Augen nicht wirklich scharf gestellt auf die Dinge und Menschen, die sie umgaben. So bekam sie gar nicht richtig mit, wie sie den Weg zum Café einschlug, hineinging, sich an irgendeinen der hinteren Tische setzte und das bestellte, was die Kellnerin ihr als Tagesangebot empfahl.

Amanda zog ihre Jacke aus, schlang aber dann sofort ihre Arme um ihren Körper und sah aus dem Fenster. Sie sollte das Bettlaken besorgen, sonst würden die Läden schließen, bevor sie dazu kam. Aber im Moment hatte sie das Bedürfnis sich ein wenig auszuruhen und nachzudenken.

Seit sie von Erics Verschwinden gehört hatte, war so wahnsinnig viel und doch nicht genug passiert.

Sie war hierhergekommen, um ihn zu suchen, hatte aber nichts anderes gefunden als einen Canidae, einen Felidae und das Gerücht einer Gruppe von Nicht-Registrierten, die sich hier irgendwo in den Wäldern herumtrieben.

Nachdem die Kellnerin ihr einen Erbseneintopf mit Weißbrot gebracht hatte, faltete Amanda eine der Servietten auseinander und holte einen Kugelschreiber heraus. In die rechte obere Ecke schrieb sie Erics Namen und ein großes Fragezeichen. Ein Stück daneben malte sie ein Kästchen mit Nataniels Namen und darunter eines mit den Buchstaben „William Hunter“. Ihn verband sie mit einem Pfeil und einem Strich mit den beiden anderen, während ein Pfeil zu einem noch größeren Fragezeichen darunter führte.

Soweit Amanda das bis jetzt verstanden hatte, war William Hunter der Anführer eines Rudels hier in der Gegend gewesen. Eric war hierhergekommen und hatte ihn suchen wollen. Aus welchen Gründen, war nicht klar.

Jetzt war William Hunter, der Einzige der Amanda etwas über Eric sagen könnte, tot.

Das kennzeichnete sie auf der Serviette mit einem kleinen Kreuz neben seinem Namen, das sie ebenfalls mit Nataniels Kästchen verband. Immer noch war sie sich sicher, dass William sein Vater gewesen war. Dann musste Nataniel hier sein, um seine Nachfolge anzutreten. So war das doch in den Familienbanden der Felidae. Bloß dass Nataniel zu spätgekommen war und ein Anderer seinen Platz eingenommen hatte.

Denjenigen wollten sie nun beide finden. Nataniel wollte seine Position einnehmen und das Rudel anführen, wie es sein Vater getan hatte. Amanda wollte ihn nur befragen, um ihren Bruder zu finden. In was war Eric denn da nur hineingeraten, dass er derart unter die Räder geraten konnte und einfach verschwand?

Mit einem kleinen Seufzer wandte sich Amanda dem Eintopf zu und versuchte gleichzeitig zu einer Lösung zu gelangen. Wie sollte sie weiter vorgehen?

Am liebsten wäre es ihr gewesen, Nataniel einfach außen vor zu lassen und allein loszuziehen. In seinem jetzigen Zustand war er sowieso, zu nichts nütze und wenn sie ganz ehrlich war, hatte er mit seiner Reaktion oder eben seiner Nichtreaktion dafür gesorgt, dass jede Sympathie für ihn bei Amanda verflogen war.

Eigentlich hatte sie darüber nicht nachdenken wollen, aber es drängte sich erneut in ihren Verstand, dass sie mit jemandem zusammenarbeiten musste, der sie verabscheute, weil sie keine Halbkatze war.

Und dennoch brauchte sie ihn. Ein paar – vielleicht sogar die meisten – Mitglieder des Rudels mussten an William Hunter gehangen haben. Vielleicht hatte sein Sohn tatsächlich die besten Chancen sie für sich zu gewinnen. Dann wäre es auch einfacher Eric zu finden.

Der Löffel schepperte auf die Tischplatte, als Amanda ihn fallenließ und ihr Gesicht in ihre Hände stützte. Verdammte Zwickmühle.

Mit ihren langen Fingern raufte sie sich ein wenig die hellen Locken, bis sie doch wieder aufsah und sich schließlich aufraffte, um das Laken kaufen zu gehen.

 

So wie Amanda Mrs. Cauley einschätzte, würde der Dame auffallen, dass das Laken keine blaue Naht hatte. Aber das war Amanda nun auch egal, nachdem der Verkäufer Mrs. Cauley sowieso jederzeit erzählen konnte, dass diese seltsame Frau aus der Stadt das Laken bei ihm erworben hatte.

Nataniel war nicht im Zimmer, weswegen Amanda vermutete, dass er es war, der das Bad blockierte. Glücklicherweise schien das Nachbarzimmer, dem das Bad teilweise zugeteilt war, nicht belegt. Sonst wären sie bei Mrs. Cauley schon längst aufgeflogen. Der Kerl hatte wirklich kein großes Talent darin, sich unauffällig zu verhalten.

Inzwischen auch müde schälte Amanda sich aus ihren Klamotten, meditierte exakt eine Stunde lang und ließ sich dann einfach nach hinten fallen, zog sich das Laken über und sah an die Decke hinauf. Eine kleine Spinne krabbelte auf den Lampenschirm zu und verschwand darunter.

„Verhalt dich bloß nachbarschaftlich ...“, sagte Amanda müde.

Ihr Blick wanderte zur Tür hinüber und kurz war sie versucht, noch einmal aufzustehen und abzuschließen. Der Schlüssel steckte von innen im Schlüsselloch. Es wäre also kein Problem gewesen, sich zumindest für diese Nacht garantierte Privatsphäre zu verschaffen. Dann hätte sie zumindest durchschlafen können. Aber der Panther würde sowieso im Bad schlafen, bis ihn der Hunger am nächsten Morgen weckte. Also rollte Amanda sich auf die Seite, kuschelte sich in ihr Kissen und schloss die Augen.

Wieder erschien die dunkle Katzenschnauze vor ihrem geistigen Auge und sie versuchte die Augen weiter offen zu halten, um das Bild zu verscheuchen. Es klappte zwar nicht, aber nach einer Weile merkte Amanda gar nicht, wie ihr die schweren Lider zufielen und sie doch einschlief.

 
 

***

 

Irgendwann, es musste mitten in der Nacht sein, weil es draußen bereits dunkel und sehr still war, wachte Nataniel auf.

Wenn er sich vorher schon so gefühlt hatte, als wäre er als Kratzbaum verwendet worden, so waren nun definitiv Elefanten über ihn hinweggetrampelt.

Er fühlte sich so dermaßen erschlagen, dass er nur mit gewaltiger Willenskraft hochkam. Immerhin war ihm erst jetzt aufgefallen, welchen Ort er sich zum Schlafen gesucht hatte.

Da es ihm zu anstrengend gewesen wäre, sich in einen Menschen zurückzuverwandeln, öffnete er mit seiner Pfote die Tür, lugte um die Ecke in den Flur, und als die Luft rein war, schlüpfte er lautlos in Amandas Zimmer.

Sie schlief bereits, weshalb er sie nicht weiter störte, sondern die Tür hinter sich wieder ins Schloss gleiten ließ und sich dann davor auf den Boden legte. Er konnte tatsächlich noch eine Mütze voll Schlaf gebrauchen.

Allerdings gelang es ihm nicht gleich, wieder ins Land der Träume zu gleiten. Stattdessen begann er langsam die Erlebnisse dieses Tages aufzuarbeiten, wozu er seit dem verlorenen Kampf nicht mehr gekommen war.

Die Informationen waren wirklich spärlich, aber vielleicht konnten sie ihm helfen. Und vielleicht wusste Amanda mehr darüber. Gleich morgen früh beim ausgiebigen Frühstück würde er ihr mitteilen, was er erfahren hatte.

Es war seltsam, aber seit dem sie ihm das Leben gerettet hatte, fiel es ihm schwerer, sie als den Feind anzusehen. Sie hätte ihn inzwischen registrieren können, doch dieser Eric war ihr wichtiger, was eigentlich viel über ihren Charakter aussagen müsste. Wenn ihr die Arbeit nicht so wichtig wie ein Menschenleben war, dann konnte sie einfach nicht so schlecht sein, wie er es von den Mitarbeitern der Moonleague bisher angenommen hatte.

Vielleicht verspürte er deshalb nur leichten Frust, weil er ihr nun eine Menge schuldete.

Ob es ein guter Ausgleich war, wenn er ihr stärker dabei half, Eric zu finden? Nataniels Leben gegen das dieses Menschen?

Nataniel hoffte es. Denn auch wenn er sich auf diesen Nicolai konzentrieren sollte, so würde er Amanda bei der Suche helfen. Er konnte nicht genau sagen, wieso, aber irgendwie schien das alles auf eine seltsame Weise zusammenzuhängen.

Sein Vater starb vor einigen Wochen, als Nicolai die Herrschaft über das Rudel übernahm. Dieser Eric war auch schon seit ein paar Wochen verschwunden und mit ihm vermutlich einige Gestaltwandlerfamilien wie die Luchse. Das konnten alles keine Zufälle sein. Immerhin gehörte dieser Mann zu Amanda. War er dann nicht auch ein Sammler? Und gab es hier an diesem Ort nicht haufenweise unregistrierte Gestaltwandler?

Seine Barthaare zitterten, als er auf Katzenart seufzte und unruhig mit dem Schwanz hin und her zuckte. Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Obwohl sie wenigstens ein paar Anhaltspunkte hatten, erschien ihm das Rätsel so verdammt groß, dass er fast schon Hoffnungslosigkeit empfand.

Wie sollte er denn je gegen einen Tiger ankommen? Noch dazu mit seinen Verletzungen?

Gut, bestimmt hatte er noch einige Tage Zeit, um sich zu erholen, doch selbst wenn er fit wäre, würde es viel zu knapp werden.

Nicht umsonst war er die drittgrößte Raubkatze der Welt. Gleich nach Löwen und Tigern. Aber dafür hatte er das kräftigste Gebiss von allen. Zu irgendetwas musste das auch gut sein. Auch wenn er nicht wirklich scharf auf einen Kampf war und im Grunde überhaupt kein Anführer sein wollte.

Hatte sein Vater ihn jemals gefragt, ob er die Verantwortung für mehr als fünfzig Familien übernehmen wollte? Hatte er ihn gefragt, ob er sich überhaupt bereit genug dazu fühlte?

Nataniel hatte lange keine so große Angst zu kämpfen, als eine so große Verantwortung zu übernehmen. Er wollte es gar nicht, und wenn er sich nicht verpflichtet fühlen würde, würde er hier einfach verschwinden und die Sache vergessen. Doch seit der Sache mit der Luchsfamilie nagte ein gewaltiges Schuldgefühl an ihm, wenn er nur an Flucht dachte.

So viele waren schwächer als er und konnten sich nicht wehren. Wenigstens er musste für diese Wesen einstehen. So hatte man ihn erzogen.

Als Nataniels Gedanken zu seiner Pflegefamilie abdrifteten, fand er schließlich die Ruhe, die er brauchte, um wieder einzuschlafen. Dennoch war das nur ein weiterer kleiner Aufschub der Verantwortung und das wusste er.



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