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Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

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2. Kapitel

Zurück auf der Straße hatte Amanda kurz die Kamera kontrolliert und sich dann in der näheren Umgebung nach einem Hotel oder etwas Ähnlichem umgesehen. Leider ohne Erfolg. Auch der PDA hatte nichts ausgespuckt. Was nicht überraschend war, wenn man bedachte, dass es sich um ein Tausend-Seelen-Dorf mitten in der Wildnis handelte.

Da sie hier sowieso von jedem auf der Straße misstrauisch beäugt wurde, konnte sie die Aufmerksamkeit auch sinnvoll nutzen, indem sie einen vorbeigehenden Mann anhielt.

Dem Guten sträubten sich die Barthaare und aus seinen Augen konnte Amanda lesen, dass es zu seiner Zeit nicht üblich gewesen war, dass eine Frau einfach so nach einer Unterkunft fragte. Wahrscheinlich hatte man in seinem Jahrhundert die Ehefrau noch am Herd festgekettet.

Nachdem sich Amanda strikt, aber mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen weigerte, ihm irgendetwas über ihren Aufenthalt hier zu erzählen, empfahl er ihr das Bed & Breakfast von Mrs. Cauley in der Hauptstraße.

Die Empfehlung war leicht getroffen, weil es sich um das einzige Bed & Breakfast in der Umgebung von zwanzig Kilometern handelte.

Amanda unterdrückte ein Seufzen und bedankte sich leicht frustriert. Eigentlich wäre es ihr lieber gewesen, sich nicht hier direkt im Ort eine Bleibe zu suchen, aber das war ja fast zu erwarten gewesen.

Etwa fünf Minuten später sanken ihre Wildlederstiefel in den geblümten Teppich von Mrs. Cauleys B&B, wo Amanda die kleine Klingel an der Rezeption betätigte und ihren Rucksack auf den Boden fallenließ.

Zuerst zeigte sich so lange niemand, dass sie schon befürchtete, diese Mrs. Cauley hätte schon vor langer Zeit das Weite gesucht und niemandem wäre es aufgefallen.

„Gut für sie“, murmelte Amanda gerade vor sich hin, als sich ein grauer Haarschopf durch die Tür neben den Schlüsselfächern schob.

„Sie wünschen?“

Es dauerte einen Moment, bis Amanda das Schaben von Stuhlbeinen auf Holzbohlen hörte und schließlich das Gesicht einer älteren Frau über der Theke erschien. Mrs. Cauley zog das Anmeldebuch zu sich heran, das in ihren kleinen Händen noch wuchtiger wirkte als normalerweise, und legte Amanda einen Stift hin.

„Ich nehme an, dass sie ein Zimmer möchten. Frühstück ist im Preis mit inbegriffen, das Badezimmer teilen Sie sich mit dem Nebenzimmer und Haustiere sind nicht erlaubt.“

An Amanda vorbei schien die Dame nach Kleintieren Ausschau zu halten, die ihrem neuen Gast eventuell durch die Tür gefolgt sein könnten, um den geblümten Teppich oder die ebenfalls geblümten Sessel zu beschmutzen.

 

 

***
 

Das Zimmer war in Ordnung. Ein großes Bett, ein Frisiertisch, eine Kommode und ein Sessel neben dem Fenster. Amanda wäre ein Schreibtisch noch ganz lieb gewesen, aber sie konnte darauf verzichten.

Nun saß sie im Lotussitz auf dem breiten Bett, hatte die Augen geschlossen und versuchte sich ins Hier und Jetzt zurückzurufen. In letzter Zeit hatte sie die Meditation kaum benötigt. Sie hatte nichts abzuschütteln gehabt, musste ihren Körper und ihren Geist nicht reinigen. Aber das konnte sich bald ändern. Nein, es würde sich bald ändern.

Einatmen ...

Hier und jetzt ...

Ausatmen …

Nach einer Stunde öffnete sie die Augen.

Es war immer exakt eine Stunde. Dafür brauchte sie keine Uhr. Keinen Wecker, der sie daran erinnerte, wie viel Zeit vergangen war. Diese Stunde hatte sie in ihrem Inneren verankert. Weil diese Stunde ihr das Leben rettete. Jedes Mal aufs Neue.

Das Bad war glücklicherweise frei und Amanda gönnte sich eine heiße Dusche, bevor sie sich in den Sessel am Fenster setzte und im Menü ihres PDAs auf die Direktübertragung der Kamera schaltete.

Der Felidae schlief bereits oder rührte sich zumindest nicht, weshalb sich Amanda die Aufzeichnung seiner Aktivitäten von vorher ansah.

Nichts Besonderes. Er hatte sich die Wanze angesehen, aber keine Anstalten gemacht, sie zu entfernen oder zu deaktivieren. Er hielt seine Tarnung so gut aufrecht, dass Amanda fast beeindruckt gewesen wäre. Aber was hätte es ihm auch gebracht, sich zurückzuverwandeln? Dann hätte er noch mehr Aufsehen erregt und wäre aus diesem Käfig vielleicht gar nicht mehr herausgekommen.

Sie war nicht sicher, ob sie bereits in dieser Nacht gehen sollte. Die Meditation hatte gut getan, aber ob es reichen würde? Immerhin war sie lang hierher unterwegs gewesen. Ihr Körper war müde.

Der Bildschirm des PDAs zeigte immer noch das Innere des Käfigs, in dem sich der große Kater bis auf das gleichmäßige Heben und Senken seines Brustkorbs nicht bewegte.

Also gut. Sie würde seinem Vorbild folgen. Immerhin saß er fest. Und selbst wenn er ausbrechen sollte … Amanda hatte ihre Drohung nicht umsonst ausgesprochen. Sie würde ihn finden, egal wohin er ging.

 

 

***
 

Einige Zeit nach Einbruch der Nacht öffnete er wieder sein unverletztes Auge, gähnte ausgiebig und streckte sich so gut er konnte. Seine Pfote tat inzwischen nur noch in halbwegs erträglichem Rahmen weh und seine Kopfschmerzen hatten auch nachgelassen. Warum auch immer, er schien sich rasch von seinen Verletzungen zu erholen.

Es war fast stockfinster im Raum, als er sich schließlich aufraffte und zu den Gitterstäben hinüber humpelte, um herauszufinden, wie genau die Tür zu seinem Käfig verriegelt war.

Leider war ihm schon nach dem ersten Versuch klar, dass ein Ausbruch zwecklos sein würde.

Man hatte die Tür mit einem soliden Schloss versehen, bei dem man einen Bolzenschneider gebraucht hätte, um es aufzuknacken. Oder natürlich den passenden Schlüssel.

Da er beides nicht hatte, versuchte er eine Weile völlig sinnlos mit den Krallen an dem Schloss herum zu kratzen, was lediglich seinem Frust etwas Abhilfe verschaffte, aber keinesfalls seinen Ärger milderte. Schließlich gab er es auf, an der Tür herumzunesteln und betrachtete wieder den Verband an seiner Pranke.

Er war versucht, ihn abzubekommen, egal wie, doch dann hätte das die Ärztin am nächsten Tag gesehen und ihn vermutlich wieder betäubt, um ihm einen Neuen anzulegen.

Darauf konnte er nun wirklich verzichten, also leckte er noch eine Weile daran herum, um den Juckreiz darunter zu dämpfen und rieb auch seine einbandagierte Gesichtshälfte an einem Gitterstab, was zwar etwas wehtat, aber zumindest teilweise das heilende Jucken milderte.

Der Drang sich mit einem Hinterlauf zu kratzen, war so enorm, dass es ihn halb wahnsinnig machte, es nicht zu tun.

Unruhig humpelte er hin und her, versuchte sich zu überlegen, wie er diese Tür aufbekam und wenn ihm das nicht gelang, wie er heil wieder hier herauskam. Keiner konnte ihm garantieren, dass er nicht doch noch als schöner Bettvorleger endete und freiwillig würde er das sicherlich nicht über sich ergehen lassen.

Außerdem hätte er gerne gewusst, was passiert war. Gewisse Grundkenntnisse konnte er in seinem Gehirn noch aufrufen, aber weder erinnerte er sich an den Unfall, oder was auch immer es gewesen sein mochte, das ihn so verletzt hatte, noch hatte er eine Ahnung von seiner Persönlichkeit.

Wer war er? Woher kam er? Weswegen hatte er das Gefühl, keine normale Raubkatze zu sein, obwohl er sich voll und ganz als solche fühlte?

Es war verwirrend und machte ihn noch wütender. Weshalb er eine Weile am Boden vor der Tür seine Krallen wetzte, was ein unangenehmes Kreischen verursachte, und irgendwo Hunde zum Bellen brachte.

Die Ärmsten. Saßen hier wohl auch genauso fest wie er, denn das Geräusch kam definitiv von innerhalb dieses Gebäudes.

Schließlich fiel sein Blick wieder auf den fremdartigen Gegenstand innerhalb seines Käfigs.

Er kam ganz dicht heran und beschnupperte es. Inzwischen hing nur noch ein Hauch von dem Geruch der Frau daran. Der Rest wurde bereits von seiner eigenen ganz speziellen Duftnote überdeckt.

Als er daran leckte, konnte er sie ganz leicht schmecken. Was nicht einmal so übel war. Ganz im Gegenteil. Er schleckte noch ein paar Mal darüber, bis nichts mehr davon übrig war.

Seufzend – was sich in einem Schnauben äußerte – ließ er kurz den Kopf hängen, während er nachdachte.

Das Ding – was auch immer es sein mochte – war für einen Moment lang spannend gewesen, half ihm aber auch nicht merklich weiter. Trotzdem entschloss er sich dazu, sich noch eine Weile damit zu beschäftigen, weshalb er schließlich seine Krallen ausfuhr und es von der Wand fischte.

Klimpernd fiel es zu Boden, wo er es in spielerischer Art mit der Tatze hin und her schob. Kaum zu glauben, dass er sich wieder wie ein kleines Baby aufführte, aber alles war besser, als an das Jucken seiner Verletzungen und seine miese Lage zu denken.

Als ihm dieses Spiel dann doch zu langweilig wurde, nahm er es in den Mund und biss mit seinen kräftigen Kiefern darauf herum, bis er nur noch kleine Metallteile im Mund hatte, die er angewidert ausspuckte und achtlos liegen ließ, ehe er sich wieder in seine Ecke zurückzog, um noch eine Runde zu schlafen.

Das war alles so wahnsinnig frustrierend!

 

 

***
 

Beim ersten leisen Piepsen des PDAs war sie wach und setzte sich schnell auf. Die Decke, die ihr dabei vom nackten Oberkörper glitt, beachtete sie gar nicht, sondern schnappte sich das kleine weiße Gerät und sah sich an, was passiert war.

In dem hellen Bildausschnitt war der Panther zu sehen, wie er sich immer weiter näherte. Dann füllte seine Nase das gesamte Bild aus und sein Atem ließ die Linse beschlagen.

„Was tust du da?“

Er führte sich tatsächlich auf wie ein zu groß geratener Stubenkater.

Als er die Wanze schließlich von der Wand pflückte, war Amanda bereits klar, was als Nächstes passieren würde. Auch wenn sie nicht mit seinem Spieltrieb gerechnet hatte. Wieder runzelte sie die Stirn.

„Was soll das denn?“

Eine Gänsehaut legte sich über ihren Körper, als ein Windhauch durchs Fenster hereinkam und die leichten Vorhänge aufbauschte. Draußen konnte sie außer dem Rauschen von Blättern nichts hören. Also stand sie auf, ging die paar Schritte zum Fenster hinüber und sah hinaus auf die Straße. Wie sie erwartet hatte, war um diese Uhrzeit keiner der Dörfler mehr unterwegs.

Zerknirscht warf sie noch einen Blick auf das Display, auf dem nun nur noch weißes Rauschen herrschte.

Dieser Kerl führte sich wirklich seltsam auf. Und langsam begann er, sie wirklich damit zu nerven.

Amanda fischte Unterwäsche aus ihrer Tasche, zog sich eine Jeans und einen dicken Wollpullover über und band ihre Haare zu einem Knoten zurück.

Zu früh gefreut.

Wie hätte es anders sein sollen? Ihre Augen schienen eine Nuance dunkler zu werden, als sie sich ihre Jacke und die Schlüssel schnappte und sich auf den Weg zur Tierarztpraxis machte.

 

 

***
 

Es war nicht kalt für diese Jahreszeit, aber Amanda legte die Jacke nicht ab. Sie würde sie noch brauchen.

Ihre Schritte knirschten auf dem Kies der Einfahrt, wurden aber durch den Rasen, der sich schließlich wie eine weiche Decke um das Haus zog, gedämpft.

Es dauerte nicht lange, bis sie die großen Fenster des Untersuchungszimmers gefunden hatte. Der Segen der Technik zeigte ihr, dass diese vertrauensselige Ärztin keine Alarmanlage in den hinteren Räumen angebracht hatte. Darüber wollte sich Amanda nun wirklich nicht beschweren, aber wie dumm konnte man sein? Oder kamen die Jugendlichen hier so leicht an Drogen, dass der Medizinschrank gar nicht als Vorrat in Erwägung gezogen wurde?

Amanda schüttelte kurz den Kopf, bevor sie sich am Fensterrahmen festhielt und sich hochzog, um in das Behandlungszimmer sehen zu können. Schränke, freie Fläche und der Behandlungstisch. Perfekt. Sie ließ sich wieder an der Mauer herab, lehnte sich an die Wand und überlegte.

Vom Fenster bis zum Tisch waren es ungefähr zwei Meter. Dann noch einen Halben dazu und ungefähr auf siebzig Zentimeter Höhe.

Bereits mit ihrem Mantra im Kopf ließ sie sich in die Hocke sinken, direkt neben der kalten weiß getünchten Wand des Gebäudes und schloss die Augen.

Hier und Jetzt.

Sie konnte das Mondlicht auf ihrem Gesicht spüren, wie es Schatten in dem kalten, sterilen Raum hinter der Mauer warf. Wie sich das Licht über die Gegenstände legte und andere Teile ausschnitt, um sie im Dunkeln zu lassen. Sie rief sich den Metalltisch vor Augen. Seine Form, seinen Schatten. Dann ließ sie sich fallen.

Der Schmerz war so intensiv wie immer. Als würde sie in Millionen winzige Stücke zerrissen und in alle Winde zerstreut, nur um dann immer weiter zerbrochen zu werden, bis sie in die Kälte hinein schreien wollte, die sie umgab. Doch nur ein leises Keuchen war zu hören, als sich ihr Geist in ihrem Körper an den kalten Metalltisch gelehnt wiederfand.

Amanda wusste, dass ihre Augen sich verändert hatten, wie jedes Mal, wenn sie durch die Schatten ging, aber das würde sich geben.

Langsam richtete sie sich auf und ging die paar Schritte bis zu der Tür, mit der kleinen Scheibe und stieß sie auf. Das leise Quietschen rief die Hunde auf den Plan, die aber nur einen Moment anschlugen, bis Amandas Gegenwart ihnen das Bellen im Halse steckenbleiben ließ.

Die Schatten hafteten noch an ihr. Sie konnte es spüren. Vielleicht sogar mehr als die Hunde, die in die hintersten Ecken ihrer Zwinger zurückgewichen waren und nicht einmal ein Winseln von sich gaben.

Als sie das Gitter erreicht hatte, das sie suchte, hockte sie sich hin. Sie sagte nichts, sondern blickte in den Käfig. Wie schwarze Perlen blinkten ihre Augen in dem wenigen fahlen Licht, das vom Nebenraum hereinfiel.

Der Felidae war wach.
 

Ein seltsames Geräusch, wie das Keuchen eines Menschen ließ seinen Kopf hochfahren und seine Ohren stellten sich auf die Richtung ein. Einen Moment lauschte er in die Dunkelheit hinein, doch das Geräusch wiederholte sich nicht und seine Augen konnten ihm auch nicht mehr zeigen, als den faden Blick auf die gegenüberliegende Wand.

Als auch noch einen Moment lang die Hunde zu bellen begannen, obwohl er überhaupt nichts getan hatte, war er sofort auf den Beinen. Sein Instinkt warnte ihn. Da war etwas. Er konnte nicht sagen, was es war, aber es ließ selbst die Hunde verstummen.

Seine Nackenhärchen standen ihm zu Berge, als er etwas näherkommen hörte. Ganz leise nur, aber trotzdem deutlich wahrnehmbar. Sofort spannte er jeden einzelnen Muskel in seinem Körper an und fuhr seine Krallen aus. Selbst die Haare auf seinem Rücken hatten sich aufgerichtet, was ihn noch größer erscheinen ließ und sein Schwanz zuckte nervös hin und her.

Als plötzlich die blonde Frau vor seinem Käfig auftauchte, mit einer Ausstrahlung, die sein Herz für einen Moment zum Stocken brachte, fauchte er nicht nur mit reiner Drohgebärde.

Sein Kopf neigte sich etwas und seine Zähne traten deutlich aus seinem Kiefer hervor, als er die Lefzen zurückzog. Seine Hinterbeine drückten sich gegen die Wand, jeden Moment bereit anzugreifen.

Zwar verspürte er Panik und auch Angst vor dieser seltsamen Frau, doch sie hatte ihn nicht im Griff. Er war bereit sich zu verteidigen, sollte sie ihm auch nur zu nahe kommen.

Sein Instinkt riet ihm dazu, sich laut zu gebärden. Zu brüllen und mit der krallenbesetzten Pranke nach ihr zu schlagen, doch außer einem tiefen Grollen und einem relativ leisen Fauchen kam nichts von ihm. Denn seltsamerweise hatte er das Gefühl, er dürfe die Anwesenheit der Frau nicht verraten, in dem er sich laut dazu äußerte.

Schließlich schaltete sich der nicht ganz tierische Teil in seinem Gehirn dazu, obwohl es schwer war, klar zu denken, wenn einem haufenweise Adrenalin durch die Adern gepumpt wurde.

Trotzdem stellte sich ihm schließlich die Frage, wie diese Frau überhaupt hier hereingekommen war und was sie verdammt noch mal von ihm wollte? Warum war sie heute überhaupt bei ihm gewesen? War sie etwa scharf auf einen neuen Pelzmantel?

Allein der Gedanke brachte ihn dazu, sein offenes Auge noch kälter aufblitzen zu lassen. Wenn sie ihn wollte, dann würde er es ihr so schwer wie möglich machen. Das garantierte er ihr!
 

In einer seltsam anmutenden Geste legte Amanda den Kopf schief und lächelte in den Käfig hinein.

Wenn ihre düsteren Augen nach einem Gang durch die Schatten etwas genau erfassen konnten, dann war es Angst.

Die Raubkatze hatte erst einmal instinktiv reagiert, als sie hier mit dieser Aura aufgetaucht war. Aber jetzt schien sich sein Verstand eingeschaltet zu haben.

Amanda hatte schon immer zu verstehen versucht, was in den Wandlern vorging, wenn sie sich in ihrer tierischen Gestalt aufhielten. Zumindest reagierten die meisten so, als hätten sie ihre menschliche Vernunft zusammen, auch wenn sie von den tierischen Instinkten sehr leicht überlagert werden konnte.

„Ich will mich mit dir unterhalten. Hier gibt es keine Überwachungskameras. Verwandle dich zurück.“

Es war keine Bitte, sondern ein kalt geäußerter Befehl. So wie Amanda die Lage und ihr Gegenüber einschätzte, würde er nichts dergleichen tun, aber vielleicht konnte sie mit Provokation herausfinden, warum er sich so seltsam verhielt.

Sein blaues Auge funkelte ihr aggressiv entgegen, aber da sie durch die Gitterstäbe voneinander getrennt waren, drohte Amanda keine Gefahr. Ihnen beiden nicht, denn selbst wenn sie gewollt hätte, könnte sie die Barriere nicht überwinden.
 

Als sie auch noch sprach, brachte das für ihn das Fass seiner Überlebensinstinkte fast zum Überlaufen. Beinahe wäre er einfach nach vorne gesprungen. Selbst wenn sie schnell reagiert hätte, hätte er sie vielleicht noch mit seiner Kralle erwischt, doch er hielt sich zurück.

Er wusste nicht, was das für eine seltsam beängstigende Ausstrahlung um sie herum war, die nur langsam nachließ und dann erst diese Augen!

Da er sich gerade noch hatte zurückhalten können, zuckten lediglich seine Flanken einen Moment, ehe er sich etwas zur Seite bewegte, damit sie mehr von seinem angriffsbereiten Körperbau sehen konnte.

Sein Instinkt riet ihm dazu, sich so gefährlich wie möglich zu gebärden, während sein Verstand sich fragte, was sie mit ihren Worten gemeint hatte.

Verwandeln … das sollte ihm etwas sagen.

Er hatte es im Gefühl, aber obwohl er sich deutlich bewusst war, dass es wohl sehr wichtig sein musste, konnte er sich einfach nicht daran erinnern. Als wäre es zum Greifen nahe und doch nicht nahe genug.

Gerade bei dem Versuch, sich daran zu erinnern, bekam er wieder pochende Kopfschmerzen, was ein noch aggressiveres Grollen in seinem Brustkorb hervorbrachte.

Seine linke Vorderpfote machte ein hohes Geräusch mit der Kralle, als er sie leicht zurückzog, als würde jemand mit den Fingernägeln über eine Tafel kratzen.

Es tat ihm selbst in den Ohren weh, doch er wollte nur noch deutlicher machen, dass sie sich bloß nicht mit ihm anlegen sollte. Er mochte vielleicht verletzt und geschwächt sein, aber mit einem Menschen konnte er es auf alle Fälle noch aufnehmen. Obwohl er sich nicht sicher war, dass sie überhaupt einer war. Im Augenblick wirkte sie alles andere als rein menschlich.

Was willst du von mir?!, stieß er schließlich frustriert hervor, was einem wütenden Fauchen glich. Zu blöd, dass sie ihn nicht verstehen und er es ihr auch nicht verständlich machen konnte.
 

Drohgebärden. Das hatte sie schon oft gesehen und war es im Umgang mit den Gestaltwandlern gewohnt. Allerdings schien es dieser hier unnötig lange aufrechtzuerhalten. Und sie konnte nicht umhin, erneut zuzugeben, dass seine Statur mehr als beeindruckend war.

Wenn diese Metallstäbe nicht zwischen ihnen stehen würden, hätte Amanda ohne Waffe wahrscheinlich wenig Chancen, außer die Flucht zu ergreifen.

Aber sie hatte ihn nicht bedroht, hatte sich ihm nicht einmal auffällig genähert. Warum führte er sich so auf?

Langsam hob sie ihre Hände und zeigte ihm die leeren Handflächen.

„Ich habe keine Waffe bei mir.“

Was er da spüren und an ihren Augen sehen konnte, würde sich bald verflüchtigt haben. Und außerdem war sie ihm sicher keine Erklärung über ihr Wesen schuldig.

Bei diesem Gedanken blitzten ihre schwarzen Augen noch einmal auf, was sie aber von ihm abzulenken versuchte, indem sie die Lider kurz senkte.

Es war nicht dieser Panther, der diesbezüglich ihre Wut verdiente. Das gehörte nicht hierher und es würde nicht ihre Chancen verringern Eric zu finden.

„Hör zu. Ich suche jemanden. Sein Name ist Eric. Er ist von der Organisation, wie ich. Er war hier, um eine Untersuchung durchzuführen. Bestimmt hast du ihn gesehen. Ich will wissen, wo er ist.“

Und wenn er es ihr nicht freiwillig sagte, würde sie ihm zeigen, wie angsteinflößend sie wirklich sein konnte.
 

Wenigstens war er in der Lage, sie ganz genau zu verstehen.

Dennoch traute er ihr keinen Moment lang über den Weg. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie gar keine Waffen in ihren Händen brauchen würde, um ihn fertigzumachen, wenn sie es wirklich wollte. Zumindest ahnte er da etwas.

Wie sich das wirklich äußern würde, wusste er nicht, aber er konnte nun einmal seine Vorsicht nicht so einfach beiseiteschieben.

Dennoch gab er wenigstens sein Fauchen und Knurren auf, als sie weitersprach. Natürlich half ihm selbst das kein Bisschen weiter, da er nicht wusste, um was es hier eigentlich ging.

Er kannte niemanden namens Eric, wusste nichts von einer Organisation und hatte keinerlei Erinnerungsvermögen daran, dass er diesem Mann vielleicht schon einmal begegnet sein könnte. Wie auch? Er war eine Raubkatze, verdammt nochmal!

Der Gedanke klang seltsam falsch in seinem Kopf. Dabei hätte er noch nicht einmal sagen können, was genau nicht damit stimmte, doch da die Frau offensichtlich eine Antwort von ihm erwartete und ihm ohnehin schon tausend Gedanken im Kopf herumschwirrten, inklusive seiner Unsicherheit über seine Existenz, ließ er sich schließlich zu einem mehr als frustriertem Schnauben herab und schüttelte dann einmal seinen großen Kopf.

Ein 'nein' würde sie wohl verstehen, selbst wenn es von einem Tier kam. Immerhin schien sie wohl zu glauben, mehr über ihn zu wissen, als er über sich selbst wusste.

Leider könnte genau das der Wahrheit entsprechen. Doch sie wollte etwas von ihm und er wollte hier raus. Vielleicht könnten sie sich einigen, auch wenn das nun ganz und gar nicht seinen Instinkten entsprach.

Das Tier wollte zubeißen, der unergründliche Rest gewann den innerlichen Kampf jedoch, ließ die geduckte Haltung fallen und kam humpelnd auf die Gitterstäbe zu.

Seine Haare standen ihm immer noch zu Berge und seine Muskeln waren auch weiterhin angespannt, aber sein Maul war geschlossen, um etwas von seiner Drohung abzumildern.

Danach starrte er ihr einen Moment lang so intensiv, wie er konnte in die Augen, ehe sein Blick zu dem Türschloss wanderte, das ihn von der Freiheit trennte.

Er gab einen seltsam gurrenden Laut von sich, während er das Schloss anstarrte und dann seinen massigen Kopf wieder zu der blonden Frau hinüber schwenkte.
 

Sie hatte ihn verstanden.

Das Kopfschütteln war eindeutig gewesen. Aber sie glaubte ihm nicht.

Eric war hier gewesen, das wusste sie mit Sicherheit. Und ihr Bruder war bestimmt nicht hierher gekommen, um Urlaub zu machen. Der Panther musste ihm begegnet sein.

Als er auf sie zukam, auch wenn es nicht in drohender Haltung passierte, spannten sich ihre Muskeln so weit an, dass sie augenblicklich aus seiner Reichweite entkommen konnte.

Sie ließ ihn nicht aus den Augen, als er sich ganz nah an den Stäben niederließ und ihr wieder seinen massigen Körper zeigte. Das gesträubte Fell war wohl hauptsächlich ein Zeichen von Aggressivität. Amanda konnte fühlen, wie sich die Schatten um sie herum verflüchtigten.

Zumindest waren sie für ihre Umgebung nicht mehr wahrzunehmen. Genauso, wie sich ihre Augen zurück ins Hellbraune färbten und dem Blick des Tieres begegneten, nachdem er sie unmissverständlich auf einen Deal aufmerksam gemacht hatte.

Amanda wägte ihre Optionen ab. Sie hatte eine Antwort von ihm bekommen, die sie ihm keinesfalls abkaufte. Und er wollte hier raus. Zu einem Deal wäre sie bereit, weil sie sowieso in der besseren Position war. Er konnte ihr nicht entkommen, selbst wenn sie ihn aus diesem Käfig ließ. Aber das würde sie nur unter einer Bedingung tun.

„Ich will mit dir als Mensch reden. Eric war hier und du musst ihm begegnet sein. Wenn du dich nicht zurückverwandelst, werde ich dich nicht hier rauslassen. Du wirst dich der Behandlung der Ärztin unterziehen, bis sie dich in den Wald zurückschafft. Wann immer das sein wird.“

In ihren Augen lag lange nicht mehr diese nachdrückliche Drohung, die von der Dunkelheit verstärkt worden war, aber ihm würde klar sein, dass sie es ernst meinte.

„Rede mit mir und ich lass dich hier raus.“
 

Langsam glaubte er, sie hätte nicht mehr alle, obwohl eigentlich sein Kopf es war, der unter irgendetwas gelitten hatte. Der Verband war doch wohl eindeutig, oder nicht?

Er und ein Mensch? Wäre schön zu glauben, dass das ginge, weil es sich richtig toll anhörte. Dann könnte er ihr wenigstens endlich die Meinung geigen und ihr mitteilen, dass er keine Ahnung hatte, wovon sie da sprach.

Eric, Eric, immer dieser Eric! Verdammt noch mal, er wusste doch noch nicht einmal, wie sein eigener Name war, obwohl das gemeinhin bei Raubkatzen, besonders bei Einzelgängern ohnehin vollkommen egal war. Seine Beute fragte sicherlich nie nach seinem Namen. Also war das hinfällig.

Wie konnte die Frau auch nur so etwas Absurdes von ihm verlangen? Wenn er gekonnt hätte, würde er sofort die Situation aufklären, auch wenn er keine Lust hatte, sich mit der Blondine anzulegen. Weder kannte er sie noch diesen Eric oder die Organisation und es kümmerte ihn auch einen Dreck. Alles, was er wollte, war hier raus. Basta!

Knurrend schlug er wieder mit seiner Pranke nach dem Schloss, ehe er mehr als nur wütend und verärgert wieder in seiner kleinen Zelle auf und ab humpelte, dabei vor sich hinschnaubend, während sein Schwanz wild hin und her zuckte, als müsse dieser ebenfalls ordentlich Dampf ablassen.

In seiner Brust grollte es wieder, als gäbe es bald ein heftiges Gewitter. Am liebsten hätte er in diesem Augenblick irgendetwas zerlegt. Doch den soliden Wänden war er nicht gewachsen und selbst die Gitterstäbe erwiesen sich eindeutig als zu hart, als er versuchte seine Zähne darum zu legen. Allerdings passte nicht einmal seine Schnauze zwischen den Abstand dazwischen.

Schließlich hockte er sich wieder vor die Stäbe, hob dabei ganz leicht seine verletzte Pfote vom Boden an, damit er sie entlastete, und starrte ausdruckslos die Frau an.

Entweder sie ließ ihn jetzt raus, oder die Ärztin würde es vielleicht in einiger Zeit tun. So oder so. Er konnte warten, wenn es sein musste. Hoffte er zumindest. Die Portion an negativen Emotionen in ihm war so gewaltig, dass er gar nicht mehr wusste, wohin damit. Es wäre durchaus möglich, dass er nach mehreren Tagen hier, einfach in die Luft ging.

Als die Blonde sich kurz darauf einfach von ihm abwandte und verschwand, ohne ihm zu helfen, starrte er regungslos mehrere Minuten lang auf seine ausgefahrenen Krallen und begann zu zittern.

Erst nur ganz leicht, doch je länger er versuchte, die Enttäuschung hinunterzukämpfen, umso heftiger wurde das Beben, bis es ihn regelrecht schüttelte und er endgültig durchdrehte.

Er hatte tatsächlich das Gefühl, es würde ihn zerreißen, als seine Gefühle aus ihm herausbrachen. So laut, wie er konnte, schrie er seinen Hass diesem Ort und vor allem den Menschen gegenüber hinaus, schlug blind vor Wut um sich, dellte die Wände ein, zog deutliche Kratzspuren über das Metall und rammte immer wieder sein ganzes Gewicht gegen die Gitterstäbe, die trotz allem keinen Moment lang nachgaben.

Er veranstaltete einen unglaublichen Krach, was die Hunde schließlich auch noch zu lautstarkem Jaulen und Bellen animierte, während er sich wie wild gebärdete.

Sein Atem stockte ihm immer wieder dank des Ausmaßes seiner Aggressionen, bis ihm schließlich alles vollkommen egal war.

Zuerst kratzte er sich den Verband von der Pranke, während er fasziniert feststellte, dass der Schmerz vollkommen in seiner körperlichen Raserei unterging und er ihn nicht fühlte. Daher war er noch schneller dazu bereit, sich den Verband um seinen Kopf abzustreifen, egal was es ihn kostete.

Als er endlich wieder mit zwei Augen sehen konnte, bekam er einen Moment lang ein deutliches Déjà-vu.

Licht flammte in seinen Augen auf, was ihm die Sicht raubte, bis sich seine Pupillen den veränderten Lichtverhältnissen angepasst hatten. Doch da war das Gefühl, als hätte er diesen Moment schon einmal erlebt, auch schon vorbei und seine Ohren konnten hastige Schritte näherkommen hören.

Wieder warf er sich wild gegen die Gitterstäbe, brüllte und fauchte, als ginge es um sein Leben, was es auch tat. Den Stich in seine Seite spürte er noch nicht einmal, allerdings machte ihn die sich ausbreitende Taubheit noch rasender.

Er sah noch nicht einmal die Gesichter der Anwesenden. Es war, als wäre sein Sichtfeld rot verschleiert, bis er schließlich unfähig war, seine Hinterbeine zu bewegen und zusammenbrach. Danach erreichte ihn die Wirkung der Betäubung auch schnell im Kopf und endlich kehrte wieder Ruhe in seinem brodelnden Inneren ein.



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