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Koi Kizuato

- Lovescars -
von

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01 - Winterabend

„Ach, Himmel, Tamaki!“, zischte plötzlich die wutentbrannte Stimme scharf. Aus einem Selbstschutzreflex heraus zog ich die Beine ein.

Kyouya zeterte ungehalten, während er – mit allerdings nur mäßigem Erfolg - versuchte, mit Taschentüchern seinen von Tee durchtränkten Pullover zu trocknen.
 

Betreten betrachtete ich ihn, den Kopf auf die angezogenen Knie gelegt. Wie Ärgernisfalten seine Stirn kräuselten und seine hinter den Brillengläsern hervorblitzenden Augen sich verengten, bereitete mir ein bisher selten verspürtes Unbehagen.

„Zieh doch das nasse Zeug aus.“, wagte ich mich leise zu Wort zu melden.

Erst kurz darauf bekam ich den entscheidenden Einfall, dass ‚Tut mir Leid’ vermutlich eher besänftigend gewirkt hätte.

In mir machte sich ein langer imaginärer Seufzer breit. Erst denken, dann sprechen, Tamaki…
 

„Klar. Natürlich. Sicher doch!“, fauchte Kyouya - ohne auch nur einen Hauch der Fassung, die er sonst an den Tag legte - und tupfte verbissen weiter.

Diesmal entwich mir ein Schnauben.

„Der Koutatsu hält dich doch warm!“, warf ich ihm überzeugt entgegen und bekräftigte meine Aussage mit einem ernsten Nicken und demonstrativen Blick auf die dicke Daunendecke.
 

Mein Vater hatte erstaunlicherweise eingewilligt, einen Koutatsu für mein Zimmer zu besorgen, während Kyouya und ich uns für das Wochenende im Suou-Anwesen einquartierten. Natürlich hatte der kleidungstechnisch nicht besonders sorgsame Monsieur K nichts anderes mitgebracht außer dem, was er am Leib trug.

Im Geiste fragte ich mich, warum gerade solche Unachtsamkeiten einen solchen eigenen Charme besaßen, dass sie letztendlich doch nicht an jenem aufgeräumten, organisierten Eindruck kratzten konnten, den er der Außenwelt präsentierte.
 

„Komm schon!“, meckerte ich. „Ich will nicht umsonst fast eine Stunde lang um das Ding gebettelt haben. Bist du stolz genug zum Frieren?“ Ich erntete einen Blick voller Missbilligung.

„Neeein - nicht die Essigmiene!“, stöhnte ich auf und schälte mich schwerfällig aus meinem Nest. Ich krebste um den Tisch herum und schob Kyouya auf denselben zu. „Sooo, schön brav in die Decke kuscheln.“
 

Blitzschnell hatte er meine Hand weggeschlagen.

Meine Schultern erlagen augenblicklich der Schwerkraft und ich wühlte ich mich geschlagen wieder unter die Koutatsudecke auf meiner Seite.
 

„Pass dieses Mal auf, wo du Hand anlegst.“, bemerkte Kyouya trocken und zog sich mit einer einzigen, plötzlichen Bewegung den Pullover über den Kopf.

Genervt ausatmend warf er ihn in die Ecke und rückte seine Brille zurecht.

„Du kannst meinen haben, wenn du willst.“, nuschelte ich und hielt ihm den Becher hin, in der Hoffnung, seinen Ärger über den im wahrsten Sinne des Wortes verflossenen, nicht zu vergessen äußerst teuren Tee mindern zu können. „Danke, Tamaki, aber die Lust auf Tee lässt mich gerade im Stich.“, kam es gleichgültig zurück. Und schon war er wieder in sein Buch versunken. Japanische Mythologie. Nicht gerade Freizeitlektüre für einen Normalsterblichen.
 

Selbstvergessen starrte ich aus dem Fenster und beobachtete, wie tänzelnde Schneeflocken chaotische Muster auf die Kulisse des pechschwarzen Himmels malten. Ich fühlte mich ebenso unruhig wie der umherwirbelnde Schnee.

Kyouya hingegen quittierte meine Art stets mit stoischen Bemerkungen, als ob er die gute Absicht, die (meist) hinter meinem Handeln steckte, nicht sehen wollte.

Ich war irgendwann leider zu der Überzeugung gelangt, dass er mich nicht für voll nehmen musste.
 

Dabei ist jeder Mensch ein Schneekristall. Keiner gleicht dem anderen und doch sind sie von derselben Art. Auch die Unförmigen gehört zum Geschlecht der Schönen. Allesamt vereinigen sich letztendlich zu einer weitläufigen Struktur, einer dichten Schneedecke. Einzeln ist ein Schneekristall nur von kurzweiliger Schönheit, erst der Verbund erhält ihn am Leben und gibt ihm Sicherheit. Bestimmt nicht folglich der übergeordnete Rahmen den Menschen?
 

Kyouya las. Der Tee im Becher war bereits erkaltet. Ähnliches galt für die Atmosphäre an diesem Abend. Wenn ich es mir recht überlegte, befand er sich bereits seit dem Abendessen auf einem kontinuierlichen Kurs Richtung Stimmungstiefpunkt. Vor meinem inneren Auge blitzte mein Vater auf. Sein Blick, ein komprimierter Strahl Häme. Kyouya wehrte sich einfach nicht gegen seine Sticheleien. Ich hörte mich selbst versehentlich lachen über einen taktlosen Witz. Ich hatte ein Streichholz in eine Öllache fallen lassen.
 

„Es tut mir Leid, Kyouya.“ Ein Wunder, er bedachte tatsächlich auch zur Abwechslung einmal mich statt seinem Buch mit einem Blick. Er hob die Augenbraue.

„Ich weiß, ich hätte schon vorher…Nicht nur wegen dem Tee, sondern auch, weil, …wegen… ich…“ sprudelte ich hastig hervor, bevor er die Gelegenheit dazu bekam, mich zu tadeln. Wie war das noch mal mit „zuerst denken“?
 

Kyouya ertrug den Wortschwall gütig und wirkte zugleich latent belustigt.

Ich atmete einmal tief durch.

„Ich meine, Entschuldigung, wenn ich dir auf die Nerven gehe.“

Und Danke fürs Aushalten, dachte ich im Stillen dazu. Er war der Einzige, der meinen Charakter nicht als harmoniestörend empfand, was meinem Seelenfrieden durchaus zu Gute kam. Von Eisblock-Kyouya prallte so gut wie alles ab. Ihn brachte meine Überschwänglichkeit selten aus der Fassung, jedoch konnte er nicht umhin, es deutlich zu kennzeichnen, wenn er sich genervt fühlte.
 

„Schon in Ordnung, spar’s dir.“, antwortete er gelassen und winkte ab.

Ich musste schmunzeln. Gemächlich verlagerte ich mein Gewicht auf die Arme, die ich hinter mir abgestützt hatte, und versank mit dem Blick wieder in der dunklen Nacht vor dem Fenster.

„Schön.“, bemerkte ich mit einem wohligen Seufzen.
 

„Hm?“ Kyouya war kurz aus seiner konzentrierten Haltung aufgeschreckt.

„Draußen.“

Argwöhnisch drehte er sich um und sah aus dem Fenster. Sein Buch sank langsam zu Boden.

Vor mir erstreckte sich die Aussicht auf einen freigelegten, dynamisch zur Seite gebogenen Rücken. Ich bemerkte, dass ich mich zum Wegsehen zwingen musste.
 

„Nett.“ Kyouya blieb wie so oft einsilbig und wollte sich wieder seiner Lektüre zuwenden. Jedoch war ich schneller und robbte neben ihn. Bestimmt legte ich die Hand auf das Buch und drückte es zurück nach unten. Den eisigen Blick ignorierte ich gekonnt. „Es hat doch was Kunstvolles, oder?“, drängte ich unbeirrt weiter.

Gezwungenermaßen sah mein Gegenüber erneut nach draußen.

„Du bist leicht zu begeistern.“, lautete sein Urteil.

„Und du bist halsstarrig.“ Ich sah ihn herausfordernd aus den Augenwinkeln an.

„Kleinkind.“

„Steifling.“, konterte ich mit einem Zwinkern.

„…Alberne Ulknudel.“

„Prinz Hartherz.“ Die Versuchung war zu groß, also streckte ich ihm die Zunge raus.
 

Kyouya stutzte. Für nur eine Sekunde gefror die Luft und unsere Blicke hingen fest. Sein Mund war ein wenig geöffnet, über seine Augen flackerte kurz etwas, das nicht ganz fassbar, aber irgendwo zwischen Entsetzen und Trauer anzusiedeln war, doch er presste die Lippen schlagartig wieder zusammen und wendete den Blick von mir ab. Die Stimmung zersplitterte wie Eis. „Im Grunde…“, er legte einen Arm übers Knie und lehnte sich ein wenig zurück, nun die Decke betrachtend, „…kann es mir auch egal sein, was du von mir denkst.“

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ich hab einen wunden Punkt getroffen.“

Das Grinsen wurde breiter.

„Dir ist es eben nicht egal! Dir ist mal etwas nicht egal!“, startete ich einen neckischen Singsang.

„Klappe, König Schwammhirn.“

Sofort verstummte ich.

„Zuerst denken, dann sprechen“, murmelte ich schließlich zwischen den Zähnen hervor.
 

Kyouya lächelte beinahe. „War das ein Entschuldigungsversuch?“

„Sieht so aus.“ Ich spürte die Röte mein Gesicht hinaufkriechen.

Inzwischen milderte sich seine Mimik.

„Themawechsel.“, brummte ich finster.

„Schlag was vor.“
 

Nach einigen Momenten Denkpause schnappte ich sein Handgelenk und zog ihn hoch. Mit der anderen Hand klaubte ich eine Wolldecke von meinem Bett und warf sie Kyouya über die Schultern. Dann zerrte ich ihn hinaus auf meinen zimmereigenen Balkon.
 

„Herrliche Nachtluft.“ Zufrieden sah ich zu, wie die Schneeflocken langsam einen bedröppelten Kyouya berieselten, der mich ansah, als sei mehr als der übliche Wahnsinn in mir ausgebrochen. „Ist was? Du schaust ja aus der Wäsche, als würdest du in der Eiseskälte im Schnee stehen.“ Nach einer Weile, in der er mir beim Lachen zugesehen hatte, konnte ich Kyouya sogar ein belustigtes Grinsen entlocken.

„Du erstaunst mich immer wieder, Tamaki. Wie kann man so ernsthaft und gleichzeitig so einfach gestrickt sein? Du begeisterst dich mit Feuereifer für Banalitäten.“

„Du bist letzten Endes doch nur neidisch, weil ich nicht so kompliziert bin wie du.“

Mit einem Zwinkern wandte ich mich dann wieder dem Himmel zu.

Ich machte ein paar Drehungen und versuchte mit dem Mund Schneeflocken zu fangen, bevor ich mich glucksend und schwindelig auf den Boden fallen ließ. Kyouya setzte sich schmunzelnd zu mir. „Du machst dir echt über gar nichts Sorgen, oder?“, fragte er nachdenklich.

„Doch.“, meinte ich bitterernst, „Darüber, dass es aufhört zu schneien.“

Kyouya lachte. Der altbekannte bittere Unterton war unüberhörbar.
 

Wir gaben uns – jeder auf seine Weise - der schönen Winternacht hin. Die Luft war klar und so frisch, dass es mir vorkam, als könnte keine andere Luft meine Lungen komplett ausfüllen. Die kalten Flocken, die auf meinem Gesicht zu winzigen Eiswasserpfützen zerschmolzen, störten mich nicht. Im Moment war nur wichtig, mit meinem besten Freund hier draußen zu sitzen. Man konnte am Himmel die Sterne nicht mehr von den Schneeflocken unterscheiden.
 

„Meinst du, es gibt ein Sternzeichen ‚Riesenkristall‘? Oder ‚Eisprinzessin‘?“, fragte ich.

„Sicher. In einem anderen Universum. Sprich, in deinem Kopf.“

Kyouya antwortete wie immer so ernst und platt, dass es mir ein unwillkürliches Lachen hervorkitzelte. Vor mir wirbelte mein Atem zu weißem Rauch auf. Ich kauerte mich enger zusammen, damit meine Körperwärme nicht entwich. „Kalt.“

„Lass mal nachdenken, wieso nur? Nicht eventuell, weil wir gerade tiefsten Winter haben? Zuerst denken, dann handeln, Tamaki.“, mahnte Kyouya ganz in lehrerhafter Manier und konnte sich den Seitenhieb wohl nicht verkneifen.
 

Ich sah ihn strafend an. Kyouya rollte die Augen und breitete ein Stück der Decke über mir aus. Verwirrt über diese Geste starrte ich ihn erst einmal an. Sein mondbeschienenes Gesicht war ernst, wenn auch nicht hart, und seine Züge schimmerten im Licht, das seiner blassen Haut schmeichelte.

Wie in Trance hob ich die Hand an musste ihm unerklärlicherweise die Brille abnehmen, nur um diesen seltsam kostbaren und vollendeten Moment auf mich wirken zu lassen. In seinen dunklen Augen glänzten bislang unentdeckte Facetten.
 

„Was machst du da?“, fragte Kyouya verwundert und wollte mir die Brille entreißen, die ich aber bestimmt in meiner Hand verwahrt ließ. Seine Stimme zerrte mich allerdings aus meiner Versonnenheit und ich schüttelte den Kopf, als wollte ich ein lästiges Insekt abschütteln. Was genau hatte ich mir noch gleich dabei gedacht? Vermutlich nichts. Impulskontrolle sechs, setzen.

Der Zauber der Winternacht war erschreckend benebelnd.

Kyouya ließ nur ein Seufzen verlauten. „Was für eine Laune ist das jetzt wieder?“

„Ich…Ich weiß nicht.“, erwiderte ich ehrlich. Anstatt einer weiteren Erklärung rückte ich näher an ihn heran, da meine Körpertemperatur rasch abzusinken drohte. Er nahm mich in Gewahrsam, indem er die Decke fester um mich schlang, wobei sein warmer Oberkörper mich berührte. Ich schauderte. „Ah. Du bist echt total unterkühlt.“, murmelte Kyouya, der sich ein wenig unbehaglich fühlen musste. „Tut…mir leid.“, flüsterte ich und hauchte mir in die Hände.
 

Im nächsten Moment spürte ich Haut, die Begegnung mit meiner eigenen machte. Er hatte meine Hände genommen und hielt sie in den eigenen. Fragend ließ ich einen Blick zu ihm schweifen.

Er sah nur teilnahmslos in die Ferne.

„Ich will mich nachher nicht damit rumplagen, dich gesund zu pflegen, wenn du mit einer Erkältung im Bett liegst.“ Bildete ich mir das nur ein, oder lag da ein rötlicher Schleier über seinen Wangen? „Ja…Okay.“ Mehr brachte ich nicht zustande.
 

Schüchtern schmiegte ich mich an seine Schulter. Die ungewohnte Nähe jagte mir eine Gänsehautwelle über den Rücken. Ich wollte allerdings weder erfrieren noch unsere spontane Exkursion verfrüht beenden. Ein bisschen Zittern gehört immer dazu.

Tief atmend saßen wir aneinander gepresst unter dem Sternendach und beobachteten die Flocken, die sich zu einem beträchtlichen weißen Schleier sammelten.
 

„Ist doch schön, oder?“, fragte ich wieder einmal. Vielleicht nur, um das Schweigen zu brechen, vielleicht auch nur, um meine Aufmerksamkeit wieder auf die Szene zu richten und zu verhindern, dass ich mich zu sehr auf die eigenartige körperliche Situation fixierte. Mit einem mulmigen Gefühl riss ich den Blick von seiner Halspartie los. Meine Schwäche für alles Schöne hatte in diesem Bezug keinen Platz. Sie durfte mich jetzt nicht übermannen.

„Hm…“

„Sag schon!“ Ich stieß ihm in die Rippen.

Kyouya seufzte. „Ja, es stimmt schon… Es hat seine ganz eigene Magie.“

Ein freudiges Lächeln kam über meine Lippen.

„Oh. Süß. Hab ich dich glücklich gemacht?“, meine Kyouya in seinem ach so boshaften Ton.

Mein Herz flatterte, ohne dass ich es darum gebeten hatte. Auf meine reflexartigen Gefühlsregungen war immer Verlass, schon immer hatten sie alles restlos offenbart, ganz ohne Rücksicht auf etwaige rational geprägte Anwesende (ergo, Kyouya).

Wenn Gegensätze sich anziehen, konnte das zumindest erklären, warum ich mich allmählich immer behaglicher fühlte.

Rasch musste ich den Gedanken verscheuchen, bevor er sich vertiefen konnte.
 

Es freute mich, zu sehen, dass Herr Eisprinz ein wenig aufgetaut war. Ich wertete es als gutes Zeichen, dass er so lange mit mir in der Kälte ausgeharrt hatte, ohne sich zu beschweren.

Ich musste ihm wohl doch ein klein wenig wichtig sein, wenn er sich mir gegenüber öffnete und mich sogar in seine unmittelbare körperliche Privatsphäre eindringen ließ. Zufrieden kuschelte ich mich in die Decke und pustete ein paar Schneeflocken weg.

Den Moment der vollkommenen Harmonie zu genießen, der eine dickflüssige, melancholische Atmosphäre innewohnte, war im Augenblick alles, was ich brauchte.
 

„Tamaki?“

Ich erwachte aus meiner verschwommenen Gedankenwelt.

„Hm?“ Ich wandte mich seinem Gesicht zu, das gen Himmel gerichtet war. Seine Augen sahen in keine bestimmte Richtung.

„Wir sollten reingehen. Wir erkälten uns noch.“

Ehrlich gesagt störte es mich, dass er die Faszination des Moments durchbrach, jedoch hatte er nicht ganz Unrecht. Wie in Zeitlupe erhob ich mich und die Decke glitt langsam von meinen Schultern.
 

Kyouya schwang sich so abrupt auf die Beine, dass es einem Sprung gleichkam, und taxierte mich dann kurz mit einem schwer zu deutenden Blick. Zögernd legte er mir wieder ein Stück der Decke über den Rücken, just in dem Moment, als ich nach ihr greifen wollte. Wir erstarrten eine Weile unsicher in dieser Position.

„Mh. Entschul-“, fing Kyouya gerade an, als ich ihm mit erhobener Hand Schweigen gebot.
 

„Weißt du, was gerade wichtiger ist?“, fragte ich ruhig.

„Nein.“

„Willst du‘s wissen?“ Ich war erstaunlich ernst, wie es eigentlich nur im kompletten Ausnahmezustand vorkommt. Hier, umfangen vom Mondlicht, umgeben von tausenden weißen, einen Tanz darbietenden Punkten, eingehüllt und geschützt vom Schwarz der Nacht, hatte ich nur einen einzigen Wunsch, der sich ungehindert Raum verschaffte.

Kyouya zögerte. „Kommt ganz drauf an.“

„Auf was denn?“

„Darauf, ob es mich betrifft.“ Er verschränkte die Arme, als ob er etwas Ungutes ahnte.

„Tut es.“

„Was denkst du, wie würde ich reagieren?“

„Ich hoffe doch gut.“
 

Wir spielten miteinander wie so oft. Wir lenkten uns gegenseitig mit Aussagen ab, die alles und nichts bedeuten konnten. Meine Lippen formten sich wieder zu einem Lächeln. Vorsichtig griff ich nach seinen Händen und löste sie aus der Verschränkung, um sie dann dazu zu missbrauchen, ihn an mich zu ziehen. Das Gefühl seines aufgeheizten Körpers an meinem versetzte mir einen angenehmen Schauer.
 

Ich sah zu seinem weich umleuchteten Gesicht auf. Ohne die Brille hatte ich klare Sicht auf die Augen, die misstrauisch und erschreckt zugleich dreinblickten.

Ich achtete nicht weiter darauf.
 

Seine Lippen lagen geschmeidig auf meinen, als ich die einen mit den anderen vereinte.

Gierig sog ich seinen Duft ein. Der Kuss verschleppte mich endgültig in eine kummerfreie Traumwelt. Ich verlor mich gänzlich in der sanften Verschmelzung und schlang meine Arme um seinen Oberkörper. Nach einer gefühlten Ewigkeit spürte ich eine zaghafte Erwiderung von seiner Seite. Der Druck steigerte sich mit einem Mal. Wir wollten mehr voneinander, nahmen große Stücke voneinander, atmeten eine tiefe Lunge voll vom anderen ein. So durfte ein harmonischer Abend gern ausklingen.

Als er sich löste, flüsterte er mir tadelnd zu: „Zuerst denken, dann handeln.“

Aber er lächelte.

02 - Blut

„Du …blutest, Tamaki.“

Meine linke Augenbraue klettert sogleich ein gutes Stück in die Höhe.

Taumelnd, wankend, mit aufgerissenen Augen hältst du dir die Nase, zwischen deinen Fingern quillt Blut hervor, ergeben sinkst du auf den Liegestuhl, fertig mit der Welt.
 

„Zu…heiß!“, ächzt du ermattet hinter deinem provisorischen Spritzschutz. Mir fällt auf, dass meine Augenbraue noch ein paar Millimeter nach oben Platz hat und ich vergesse dabei beinahe, dass ich ein T-Shirt in der Hand habe, das gerade eben noch meinen Oberkörper bedeckt hatte. „Das Wetter!“, leitest du deine Erklärung ein, die mich unweigerlich an plumpen Smalltalk erinnert. „Von – dieser - Hitze – krieg – ich - Nasen…bluten!“, schnaufst du gegen deine gerötete Haut. Sind deine Wangen etwa auch blutbeschmiert?
 

„Du musst mal wieder übertreiben. In dieser Anlage ist der Wellnessbereich durchgehend klimatisiert.“ Über auch gar nichts bist du informiert. Ich muss mich zusammenreißen, mich nicht wieder darüber aufzuregen, dass du einmal mehr meinen ausführlichen Beschreibungen, die ich noch vor Reiseantritt mehrmals wiederholt hatte, nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt hast. Nein, ich werde mich jetzt sicher nicht wieder über deine unsägliche und unverschämte Ignoranz ärgern! Beiläufig werfe ich das Shirt auf den von mir in Beschlag genommenen Liegestuhl.

„WAAAH!“

Du fällst hintenüber, die Hand panisch auf die Nase pressend, aus der erneut ein roter Bach zu sprudeln beginnt. „Das macht mich fertig… Das macht mich echt noch fertig!“, nuschelst du mit einem jetzt vollständig bedeckten Gesicht, von dem nur noch ein paar abstehende Haarfransen auszumachen sind.
 

Ich erbarme mich seufzend.

„Jetzt stell dich nicht an!“

Die Plastikliege knackt unter meinem Gewicht. Vorsichtig greife ich deine Hände an den Gelenken und löse sie von deinem Gesicht.

„Jetzt stillhalten.“, befehle ich, dich eindringlich fixierend, dann ein Taschentuch zückend.

„So gehört sich das gar nicht für einen King und Vater.“

Nachdem mir in letzter Sekunde die Lust auf noch mehr Spott und Tadel vergangen ist, wische ich ohne weiteres Federlesen das ganze Blut gründlich aus deinem Gesicht, genauestens darauf achtend, Schlieren zu verhindern. Je weniger Spuren diese Peinlichkeit hinterlässt, desto besser. Zudem habe ich im Hinterkopf behalten, dass du eigentlich kein Blut sehen kannst.

Was bist du nicht für ein Trottel.
 

Ich vernehme ein leises „Kyo-“, begleitet von einem glitzrig glänzenden Augenpaar, das mir seinen hilflosesten Hundeblick schenkt. Du starrst mich an, als hätte ich beschlossen, dich mit außerirdischen Verwirrungsstrahlen zu traktieren.

„Ist was…?“, irritiert beuge ich mich ein Stück vor, um dich genauer mustern und etwaige Auslöser für deine Schockstarre entdecken zu können.

„AAAH!“ Dein plötzlicher Schrei lässt mich zusammenfahren. Sofort macht meine Hand eine herzliche Begegnung mit meiner Stirn. Und wieder liegt unser allerliebster König auf dem Rücken.

Verzweifelt versuchst du abermals, den Blutfluss zu stoppen.
 

„Tamaki?“, versuche ich es etwas freundlicher.

„ZU HEISS! ZU HEISS FÜR MICH! NEIN! FÜR UNS ALLE!“

Ich entschließe mich dazu, es für’s Erste dabei zu belassen und auf die ordnende Kraft der Zeit zu hoffen. Kopfschüttelnd stehe ich auf und suche im Schatten der Palmen einen bequemen Platz zum Arbeiten. Fernab von Tamakis Wahnsinn.
 

Während meine Finger über die Tasten des Laptops auf meinem Schoß fliegen und ich mich flugs mit verschiedensten Befehlen durch Datensätze manövriere, gleitet doch der ein oder andere neugierige Gedanke zwischen meine intensiven verwaltungstechnischen Überlegungen. Eigentlich wird dem Nasenbluten in Japan nachgesagt, dass es als Anzeichen für erotische Erregung gilt. Das ist natürlich nur ein albernes Ammenmärchen.
 

Mein Blick schweift dennoch über die Anlage, bestrebt, einen Anlass für mögliche schmutzige Gedanken zu finden. Nur zur Sicherheit. Hikaru und Kaoru haben Haruhi dazu gezwungen, sich ihre zweifelhaften Kunststückchen am anderen Ende des lagunenartig angelegten Pools anzusehen (Hikaru versucht gerade, Wasser aus einem Nasenloch zu schießen).

Ob man Haruhis weiten Pullover und Karoshorts wirklich als heiß bezeichnen kann? Mir ist klar, dass deine unglaublichen Gedankensprünge viele kuriose Parallelen erschaffen, doch scheint mir deine Reaktion selbst für deine Umstände etwas übertrieben.
 

Die Temperaturen sind auch wirklich nicht extrem. Sie reichen nicht einmal dazu aus, die Schweißproduktion hochzufahren. Ich atme einmal tief durch und fahre mit der Arbeit fort.

Den Chef wird und muss man niemals verstehen. Es ist doch niemand in der Nähe, der –

Ach was. Nein. Was für eine hochtrabende Anmaßung.
 

Meine Finger halten inne und skeptisch werfe ich einen Seitenblick zu dir hinüber, der du dich auf dem Liegestuhl windest. Du siehst auf, glotzt mich fragend an – und klappst unter Bluten zusammen. Schon wieder.

Nervös schüttle ich diesmal wiederholt den Kopf und versuche, der Verwirrung nicht zu viel Hirnkapazität einzuräumen, da selbige eigentlich für den aktuellen Finanzcheck zu verwenden gedenke.
 

Bevor ich mein Vorhaben umsetzen kann, taumelt ein weißes und blondes Bündel auf mich zu. Ein Stück Stoff tänzelt zittrig vor meiner Nase herum. Du holst pseudo-dramatisch Luft. „Kyouya.“

Als du bemerkst, dass es nicht zur Klärung der Lage beiträgt, mich einfach nur mit dem Vornamen anzusprechen, fügst du bitterernst hinzu: „Zieh das an.“

„Hä? Was? Warum?“ Du hast meine Gedanken durcheinander geworfen. Im Geiste bin ich eben noch halb im Nichtbeachtungsmodus und wieder bei meinen Tabellen gewesen.

„Keine Fragen. Mach einfach!“ Dann streckst du mir den Fetzen entgegen, der sich als Rollkragenpullover entpuppt, und wendest gleichzeitig so weit wie möglich den Kopf ab, als ob du dringendst deine Augen vor einem netzhautzerfressenden Anblick (oder auch vor einer erneuten Attacke der Verwirrungsstrahlen) schützen müsstest.
 

„Es ist Sommer. Es ist warm.“ Eigentlich überflüssig zu erwähnen, aber vielleicht ist es dir ja noch nicht aufgefallen.

„Und du läufst einfach seelenruhig halb nackt durch die Gegend.“ Die Ironie dieser Aussage von jemandem, der die ganze letzte Woche zugunsten eines strandtauglichen Körpers mit Epilieren und Selbstbräunen verbracht hat, brächte mich ja normalerweise zum Lachen, würde nicht gerade wieder ein enormer innerer Unmut in mir hochkochen.

„Ja und? Du doch auch. Und die Zwillinge. Und Mori. Und Honey. Ich ziehe keinen Pullover an.“ Ich strafe das Kleidungsstück mit einem verachtungsvollen Blick. „Schon gar keinen schwarzen. Mit Rollkragen…“

„Dein King befiehlt es dir!“ Albernerweise widerspricht es gerade deiner selbstzugesprochenen Königswürde, wie du immer noch blutend hinter vorgehaltenen Händen nuschelst.

Ich schnappe mir den Pullover und schleudere ihn geradewegs ins Schwimmbecken.

„HA! Hättest du wohl gern! So leicht kommst du mir nicht davon!“, konterst du sofort aufgebracht.

Und dann – ein Schauer aus Textilien regnet auf mich herab, als du immer mehr Wäsche auf mich schaufelst. Vorsorglich klappe ich meinen Laptop zu und widme dir meinen vortrefflichsten Todesblick (der, bei dem ich dämonisch über den Rand meiner Brille hinwegfunkle).

Da stehst du mit einem leeren Wäschekorb, unbeeindruckt grinsend. Mistkerl! Idiot!

Grenzdebiler Parasit!
 

Selbstverständlich findet keiner dieser genervten Gedanken den Weg in die Außenwelt und ich klaube mir so ruhig wie möglich ein T-Shirt vom Kopf.

„Lass das.“ Mit einer einzigen Armbewegung schiebe ich sämtliche Kleidung von mir, die gerade beinahe zu meinem Grab geworden wäre.

„Du wirst das sofort anziehen!“, wütest du und wedelst demonstrativ mit den Armen. Das Bild eines aufgescheuchten Huhns drängt sich mir auf. Igitt. Jetzt habe ich Blut auf dem Laptop. Pass doch auf, wo du deine Körperflüssigkeiten verteilst.

„Wenn’s dich so stört, sieh doch nicht hin.“ Bemüht simuliere ich Teilnahmslosigkeit.

„Zu spät! Jetzt bin ich schon von dem Anblick geschädigt!“
 

Knurrend greife ich nach einem Pullover und stopfe ihn dir ins Gesicht, um deine unerträglichen Übertreibungen wenigstens kurzzeitig abzustellen. Ist dir deine sinnentleerte Hysterie eigentlich bewusst? Letzten Endes habe ich nicht einmal begriffen, warum ich mich am besten auf einmal in drei Lagen Kleidung hätte einhüllen sollen.

„Tamaki – du – NERVST!“

Der angestaute Groll findet seine jähe Entladung in diesen zwischen den Zähnen hervorgequetschten Wörtern. Ich raufe mir das Haar und stehe ungestüm auf.

„Du weißt, wie man jemandem selbst den ruhigsten Sonntag verdirbt.“
 

Abrupt mache ich kehrt und ziehe mich in einen der kleinen Bungalows zurück, welche die Poolanlage säumen. Noch während mein zorniger Gang den Boden malträtiert, entweicht die Anspannung, die in den vorherigen Tagen kontinuierlich in mir aufgestiegen war und in den vorherigen Momenten kulminiert hatte.

Stirnrunzelnd schließe ich für einen Moment die Augen. Irgendwo habe ich mich damit abgefunden, dass man dich nicht verstehen muss. Man kann es nicht. Vielleicht war dir schlichtweg langweilig oder du brauchtest dein tägliches Pensum an Aufmerksamkeit. Die Wahrscheinlichkeit der letzteren Option beträgt…so in etwa 96,947 Prozent, nach empirischen Daten.
 

„…Mutter?“

Nicht jetzt. Nicht du. Hau ab.

„Was denn?“, knirsche ich mit der größten Beherrschung, die mir momentan möglich ist. Jetzt ziehst du wieder deinen Schmollmund. Eigentlich ist mein Blick auf den Bildschirm gerichtet, aber ich sehe es trotzdem.

Neben mir sackt das Bett etwas ein, auf dem ich liege und tippe. Ich starre stur meine Dateien an.

„Ich hab überreagiert.“, sagst du so leise, dass deine Stimme wohl zerbrochen wäre, hätte man sie in einem Festkörper manifestieren können.

„Welch seltener Umstand.“, surre ich monoton.

„Verzeih Vater, ja?“ Der Hundeblick. Ich weiß es auswendig, ich muss gar nicht hinsehen.

„Meinetwegen. Wenn du mir den Grund für deine Show verrätst.“ Und mich dann endlich in Ruhe lässt. Ich sehe nur kurz zu dir hoch, um direkten Tadel mit meinem Blick zu transportieren.

Jetzt stemmst du aufsässig die Hände in die Hüften.

„Ich sagte doch: es war zu heiß!“

„Spinn nicht rum. Was zur Hölle war dir denn zu heiß?“ Ich frage mich, wieso ich eigentlich darauf eingehe. Schließlich muss ich dein Getue mehrmals täglich ertragen, mit Pech auch noch mitten in der Nacht, wenn dir wieder einmal eine Schnapsidee gekommen ist.

„Denk mal scharf nach.“
 

Deine Arme sind jetzt im Nacken verschränkt, richtig? Ich bestätige meine Vermutung durch knappes Hinsehen. Bitterkomisch, wie vorhersehbar du manchmal bist. Diese lockere Geste hinterlässt bei mir aber keinen Eindruck. Heute gibt’s keine Beißhemmung für Kyouya Ootori.

„Der Meistersammler der benutzten Mädchenunterwäsche hatte schmutzige Gedanken?“

„Das war aber nicht meine Schuld!“, verteidigst du dich vehement.

„Wessen dann? War’s der böse Kaiser Namahage? Oder nein, lass mich raten, Baron Shisa?“

Bewusst baue ich diesen Seitenhieb ein und rücke dich verbal ins Lächerliche.
 

„Nein.“ Du schnaufst entrüstet. Langsam scheint dich das Gespräch zu zermürben.

„Es war die Schuld des bitterbösen Graf von und zu Ootori.“

Ich halte es immer noch nicht für nötig, dir besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und schaue dich auch weiterhin nur für Sekundenbruchteile an. Deine Zähne schaben jetzt an deiner Unterlippe.

„Bitterböse, sagst du? Sicher, dass du das richtige Schriftzeichen gelernt hast?“, gebe ich zurück.

„Ich sag dir mal was - “, schäumst du plötzlich.

„Oho. Sieh mich zittern.“, falle ich dir neutral ins Wort.
 

„Nur, weil du hier aufgewachsen bist, ist Intelligenz also automatisch japanisch, ja? Genau, Denkvermögen definiert sich neuerdings durch die Kenntnis von irgendwelchen kryptischen Symbolen! Wenn du tatsächlich so klug wärst, wie du tust, dann hätten weder du noch ich einen solchen Aufstand machen müssen, weil du verstanden hättest, was man dir zu sagen versucht, aber nein, den guten Herrn interessiert nur, was er denkt. Hättest du auch nur ansatzweise so etwas wie ein Einfühlungsvermögen, dann hätte ich mir gar nicht die Blöße geben müssen. Du kapierst ja nicht mal etwas, wenn man es dir förmlich ins Gesicht brüllt. Und dann heißt es noch, man soll in Japan bloß nicht zu direkt sein!“
 

„Exzellenter Vortrag. Muss ich beeindruckt sein?“, frage ich mit extremer hochgezogenen Brauen als je zuvor. Ich bin ein Egoist, weiß ich, danke. Du brauchst mich trotzdem. Du darfst überhaupt nicht einmal sauer auf mich sein. Sowieso ist deine ganze Aufregung einfach nur ein gekünsteltes Schauspiel.
 

Oder? Du schnaufst und siehst mich anklagend an, was mir signalisiert, dass dir sonst nichts zu erwidern übrig bleibt. Mit durchhängenden Schultern und ohne Worte sinkst du auf das Fußende des Bettes. Mehrere lange Seufzer dringen zu mir herüber. Dein Blick gilt vollends dem Boden. Sag mir doch nicht, dass du jetzt ernsthaft niedergeschlagen bist.

„Sitz da nicht so wie ein Häufchen Elend. Du lässt einem ja keine Ruhe.“

Betont ausatmend setze ich mich auf und lege den Laptop beiseite.

Innerlich schimpfe ich mich selbst dafür, dass ich mich wieder einmal von dir habe ablenken und erweichen lassen, doch nach mehreren Sekunden des Schweigens erhebt sich in meinem Geist abermals die Erkenntnis, welche mein Bewusstsein über all meiner Aufregung niedergerungen hatte: dass ich immer noch dein Freund bin.

„Ich denke, ich weiß bereits, wieso du deinen Blutfluss heute nicht kontrollieren kannst.“ Natürlich weiß ich es. Es scheint mir nur immer noch zu abstrus, um es wirklich als wahr anzunehmen.
 

Schüchtern drehst du den Kopf in meine Richtung. Jetzt, wo ich deine Aufmerksamkeit habe, rutsche ich neben dich an den Bettrand und kann ein bösartig angehauchtes Feixen nicht vermeiden.

„Ich hab dich nervös gemacht, hm?“

„Hör mit diesem ekelhaften Grinsen auf.“ Hilfesuchend schnellt deine Hand gegen deine Nase.

Ich glaub es nicht. Als groß hatte ich deinen Dachschaden schon immer eingeschätzt. Aber als so enorm? Es dauert einen kurzen Moment, bis von den Schaltzentralen in meinem Gehirn verarbeitet ist, was diese Situation für mich bedeutet. Mir entweicht ein trockenes Lachen.
 

„Lach mich nur aus. Du musst ja nicht in meiner Haut stecken.“, murmelst du betreten vor dich hin.

Dein getroffener Tonfall entwaffnet meine boshaften Gedanken schlagartig und ich gebe mir Mühe, deine Lage nachzuvollziehen. „Sag mal. Ich dachte, du hättest ein Auge auf Haruhi geworfen. Wenn nicht sogar zwei.“ Mich erfasst eine leichte Beunruhigung, besonders aufgrund deiner missmutigen Laune. „Das dachte ich auch.“

„Und wie geht es dir jetzt?“

Deine Mimik zeugt von Nachdenklichkeit. „Ich habe Angst.“
 

Das letzte Wort wird lange zwischen meinen Nervenzellen verschaltet, bevor ich es begreifen kann. Es klingt fremd, unpassend in diesem Zusammenhang.

„Vor…mir?“

Eine Weile bleibst du stumm. Dann: „Vor den Konsequenzen dieser … Offenbarung.“ Ich muss mich doch ernsthaft fragen, ob du weißt, dass du gerade mit deinem besten Freund sprichst, der bisher nicht einmal auch nur auf die Idee gekommen ist, die Freundschaft in Frage zu stellen.
 

„Du hältst mich wohl wirklich für bitterböse.“ Ich ziehe einen Mundwinkel zu einer verzerrten Version eines gefassten Lächelns hoch. Du bist ein Trottel, aber du bist mein Freund. Wo enden wir denn, wenn du plötzlich Angst vor meinem übersteigerten Zynismus ausbildest? Ich weiß, dass man gelegentlich Grenzen abstecken muss, wenn man mit dir zu tun hat - inzwischen müsstest du doch meine Art gewöhnt sein, auf die ich ebendies bewerkstellige.

„Nein, eigentlich nicht.“, unterbrichst du meine Gedanken. In deinen Augen glänzt so etwas wie eine wiedergewonnene Hoffnung. Ich muss wohl gerade meinen skeptischen Blick aufgesetzt haben, denn du fügst sogleich hinzu: „Wirklich nicht. Ich…“ Deine Lippen sind nur eine schmale Linie.

„Ich beweise es.“

Meine Stimme ist ruhig. Ich bin dir gegenüber vollkommen offen. „Nur zu.“
 

Ich habe keine Zeit, mich zu fragen, was du tun wirst. Im nächsten Augenblick wirft sich dein Körper gegen meinen und deine Hand schnellt meinen Hals hinauf. Am Unterkiefer innehaltend, beugst du meinen Kopf gefährlich nah an deinen eigenen. Du übst eine solche Kraft auf mich aus, dass ich in die Kissen sinke, im nächsten Augenblick bist du über mich gestützt, um unsre Lippen in einem intensiven Kuss verschmelzen.

Ich spüre Finger in meinen Haaren.

Mir bleibt kaum Raum, weder zum Bewegen, noch zum Atmen, noch zum Denken. Definitiv ein äußerst einnehmender Beweis. Ein verlangender Druck von deiner Seite fordert mich auf, zu reagieren. Du willst es wirklich? Dann sollst du es kriegen.
 

Atemlos schlinge ich die Arme um deinen Oberkörper und ziehe dich ganz nach unten. Dann schiebe ich mich ein Stück unter dir hoch, sodass ich mich mit dem Rücken gegen das Kopfteil lehnen kann, und du beginnst, deine Lippen stürmisch zu bewegen.

Wir sind uns so nah, dass ich dein Herz hämmern spüre, während mein eigenes wild dagegenhält. Und trotz des fremden Geschmacks, trotz deiner fordernden Berührungen auf meinem ganzen Oberkörper, muss sich sogar ein Kyouya Ootori eingestehen… Dass es sich gut wider Erwarten gut anfühlt. Ich hoffe nur, dass sich nicht gleich Blut auf mein Gesicht ergießt.

03 - Eisige Schneide

„Tamaki.“

In seinem geistigen Ohr dröhnte der Widerhall dieser melodisch fließenden Stimme.

Er beugte sich seiner Schwäche und presste die Fingerkuppen fester gegen das kalte Metall, dessen Kante bereits auflag. Nur ein Augenzwinkern lang dauerte es, nur ein winziger Zug, ein Schmerzesblitz, der beißend auf seinem Arm brannte, und dunkler Lebenssaft, der die Klinge säumte. In den roten Tropfen schien sich eine verschwommene Ahnung wohlbekannter Augen zu spiegeln, die ihn argwöhnisch fixierten. Ein weiterer Schnitt beförderte diesen entwürdigenden Blick aus seinem Gedächtnis. Ein dritter, und er war für ein paar Sekunden fähig, zu vergessen.
 

Funkelnde Finsternis sammelte sich um die glänzende Klinge, die unter Tamakis Keuchen beschlug. Stechend verschmolz der körperliche Schmerz mit dem Bohrloch, welches gewaltvoll in seine Psyche gerammt worden war, erstanden aus Einsamkeit, verbunden zu ewiger Zwiespältigkeit. Tamaki betrachtete schmerzlich sein Spiegelbild. Er war kreidebleich und Hautfetzen blätterten von seinen trockenen Lippen ab. Noch nie hatte er sich selbst so nah an der Grenze zur Abscheulichkeit gesehen – noch nie hatte er sich für den eigenen Anblick geschämt. Seine geschundenen, abgemagerten Arme waren nur ein weiteres Armutszeugnis, ein weiterer erstickter Schrei hinaus in die Leere.
 

Die Abwesenheit jedes positiven Gefühls tauchte ihn in neblige Schleier von Angst und Selbsthass – nur die Autodestruktion hatte ihm neue Pforten öffnen können, durch die er in ein Leben mit betäubten Sinnen wankte. Dort war es ihm erlaubt, gänzlich in seiner melancholischen Stimmung zu versinken, weit unterhalb der Oberfläche, versunken im trüben Ozean, tief in sich gekehrt, sodass einzig eine ferne, dumpfe Stimme sein Denken einnahm und ihn in unruhigen Schlaf wiegte.
 

Der tägliche Kreislauf von Arbeit und Isolation ging nun eine ganze Weile so.

Ein paar Monate waren es nun, seit denen Tamaki sich jeden Morgen nur noch lustlos seine Schuluniform überzog und jegliche Kostümierung verweigerte, welche zu viel Haut entblößte. Sobald er wieder zu Hause war, schälte er sich sofort aus der lästigen Hülle und schlüpfte in seinen formlosen, reinweißen Pullover und ein Paar Shorts und war sein eigener Mensch. Niemand kannte ihn so und niemand würde ihn so je kennen lernen. Mechanisch legte er sich dann ins Bett und betrachtete den Himmel, während die tagtäglich gleichen Gedanken über ihn hereinbrachen.
 

Manchmal telefonierte er mit Kaoru, welcher genau zu wissen schien, was in Tamaki vorging - dennoch verliefen ihre Gespräche aus Höflichkeit immer nur auf einer sehr oberflächlichen, neutralen Ebene. Solange Tamakis offizielles Leben keine Spuren von seinem innerlichen Chaos abbekam, hatte er auch keinen Grund dazu, den anderen seinen wahren Zustand zu offenbaren.

Dessen negative Ausmaße waren allerdings nicht mehr zu leugnen. Das Gefühl des stetigen, schleichenden Verlustes seiner Lebensfreude begleitete ihn seit nunmehr fast drei Jahren. Anfangs hatte er die Strategie verfolgt, seine Gefühle auf eine solch übertrieben fröhliche und quirlige Art auszuleben, dass keiner auf den Gedanken kommen konnte, dass eine tatsächliche bewusste Motivation dahinter steckte. Doch bald schon war dies einer lächerlichen Inszenierung gewichen. Alle seine Versuche waren ertraglos gewesen. Er hatte sich die Person, die er sich am meisten an seiner Seite wünschte, nur durch verborgene Träume näher bringen können – alles andere schien sie einfach nie erreicht zu haben.
 

Sein Gefühlsdurcheinander war inzwischen nur noch mit stürmischen Launenumschwüngen auszugleichen, was bedeutete, dass er seit geraumer Zeit eine wacklige Gratwanderung zwischen einem Extrem und dem anderen bestritt. Irgendwann war es zermürbend geworden.

Nun war er sich fast hundertprozentig sicher, dass die anderen bereits wussten, was der Grund dafür war. Haruhi hatte ihn neulich mit einem wissenden Grinsen beim Starren erwischt und Mori hatte die Augenbrauen gehoben.

„Tama-Tama muss endlich zu seinen Gefühlen stehen.“, hatte Honey eines besonders seufzerlastigen Nachmittags geradeheraus in den Raum geworfen.

Hikaru und Kaoru hatten ebenfalls die Lunte gerochen und ein neues Spiel vorgeschlagen, in dem es darum gehen sollte, die Host-Club-Mitglieder für eine Woche lang mit einem für sie interessanten Partner zu verkuppeln. Tamaki hatte strikt abgelehnt. Solang er sich in sicherer Unsicherheit wiegte, konnte er immerhin noch träumen. Er entging einer möglichen indirekten Abfuhr, die er nicht hätte ertragen können.
 

Der Einzige, der absolut nichts bemerkt zu haben schien, war er.

Natürlich hatte er sich halbherzig nach dem Grund seiner gedämpften Gemütslage erkundigt, aber hatte sich auch schnell wieder abwimmeln lassen. Tamaki hätte zu gern gewusst, ob es Kyouya schlichtweg nicht interessierte, dass Tamaki deutliche Anzeichen depressiver Verstimmung zeigte, oder ob er erst einschreiten wollte, wenn die Sache eskalierte. Doch bevor es so weit kommen konnte - das hatte Tamaki schon beschlossen - würde er einfach einen Schlusspunkt setzen (auch wenn er sich beim Stichwort „einfach“ noch nicht so sicher war). Wenn er es nicht mehr aushielt, würde er den Host Club verlassen.
 

Es war gewagt, einen solch radikalen Schritt in Erwägung zu ziehen, jedoch war er in den letzten Tagen immer näher daran gewesen, seinen Entschluss zu verwirklichen. Er ertappte sich sogar dabei, dass der gesamte Host Club - vormals sein Lebensinhalt - in unwichtige Ferne rückte. Kyouyas Position als Tamakis bester Freund und einzige wahre Vertrauensperson bildete den Höhepunkt der Schwierigkeiten, da sie ihn gleichermaßen am Club hielt, wie sie ihn von ihm fortdrängte.
 

Allerdings hatte Tamaki sich immer schon unwürdig gefühlt, einem solch vorbildlichen Menschen zur Last zu fallen. Jetzt, da er seine wahre Neigung erkannt hatte, hielt er sich und die Freundschaft für unwiederbringlich befleckt. Als Kur für sein Selbstwertgefühl hatte er alle Zweifel nach außen hin rigoros verdrängt und begonnen, sich wie ein über alle Mitmenschen erhabener König in seinem persönlichen Palast zu geben.

Das Kleingedruckte dabei: Es war keine Lösung für die Ewigkeit. Seine Laune sackte immer weiter ab und obwohl ihm der Gedanke, womöglich bald den Host Club verlassen zu müssen, heftige Torturen bereitete, hoffte er, er würde er schneller vergessen können, hatte er erst einmal Abstand zwischen sich und Kyouya gebracht.

Noch plagte ihn tagein, tagaus der Anblick desselben, grausam brennend davon begleitet, dass er ihn nie würde für sich haben können. Mit dieser Gewissheit schlief er ein und mit dieser Gewissheit wachte er morgens auf.
 

Es war sein allererster Gedanke, wenn ihn die frühmorgendlichen Sonnenstrahlen aus dem Bett lockten. Wie sonst auch fühlte sich Tamaki an diesem einen, spezifischen Morgen hundeelend und trotz des langen Schlafs seltsam unruhig und gerädert. Seine Nachtruhe war seit einiger Zeit gestört, da seine Psyche den ganzen Tag über unangenehm von einer brummenden Hochfrequenz an Gedanken durchschwirrt wurde. Sich die Augen reibend und wohl wissend, dass es ihn zwar in die Schule zog, er aber gleichzeitig nicht mehr lange die Dreifachlast aus Host Club, Erhaltung der schulischen Leistungen und Kyouya würde tragen können, schwang er die Beine aus dem Bett.

Vor dem Spiegel wurden obligatorischerweise ein paar Posen aufgefrischt, danach wandte er sich der Morgentoilette zu. Blitzend weiße, geputzte Zähne und ordentliche Haare waren ebenso entscheidend wie angenehmes Parfüm und eine gebügelte Uniform. Es verschaffte Tamaki einen gewissen Trost, wenn er das Ich betrachtete, das er der Welt zeigte, die Farce, die er errichtet hatte. Wenigstens dieses Konstrukt schien von allen emotionalen Begebenheiten unberührt und noch immer unverändert zu sein.
 

Es hätte Tamaki wirklich gewundert, wenn er Appetit verspürt hätte, doch die Gewohnheit ließ ihn auch diesmal nicht im Stich. Er stocherte in seinem Essen, würgte zwei oder drei Bissen hinunter und ließ den Rest stehen, um sich eilends aus dem Staub zu machen, bevor er mit neugierigen Fragen seitens des Personals gelöchert werden konnte. Normalerweise aß er mit großem Appetit, doch sein Magen verweigerte seit jeher jegliche morgendliche Aufnahme von Nahrung strikt. Tamaki konnte seinem Körper nur kopfschüttelnd zusehen und ausharren.
 

Der Weg zur Schule auf der Autorückbank und hinter getönten Fensterscheiben war nur ein kurzer Moment der Entspannung und des inneren Friedens, bevor er in die Welt der Realität zurückkehren musste. Mit halbherzigen Komplimenten und lässigem Winken schaffte er sich größtenteils die Menge der ihn stürmisch begrüßenden Mädchen vom Hals und kam gut durch die erste Unterrichtsstunde, die ein Wahlfach behandelte. Fortgeschrittene Kanji-Lehre – im Gegensatz zu seinen einheimischen Mitschülern hatte er auf dem Feld der Schriftzeichen noch einiges nachzuholen, ein Umstand, der mit Leistungsdruck Hand in Hand ging und seine Laune definitiv nicht anhob. Sie war dennoch verräterisch frei von Schwankungen bis dahin, was sich schlagartig änderte, als er sich zur zweiten Stunde seiner regulären Klasse anschloss. Sein Magen vollführte zuckende Tanzeinlagen, als er ein Paar unverkennbare, dunkle Augen erkannte, die seinen Bewegungen folgten, als er sich setzte.

„Guten Morgen.“, sagte Kyouya, bevor er sich wieder seinem Heft zuwendete. Er hatte den Kopf auf eine Hand gestützt und ihm fielen ihm ein paar Haarsträhnen ins Gesicht, während er in seiner ordentlichen Schrift weiterschrieb. Der konzentrierte, dennoch ruhige Gesichtsausdruck, ergänzt von dem leicht geöffneten Mund und den langen Fingern, die bis in seinen Nacken reichten und sich dort im Haaransatz vergruben, bannte Tamakis Blick auf eine erschreckend heftige Weise.

Murmelnd brachte er ihm ein „Morgen, Kyouya.“ entgegen und lenkte sich ab, indem er nach seinen Unterrichtsmaterialien kramte. Obwohl Kyouya sein bester Freund war, war er unfähig, so vertraut mit ihm umzugehen wie sonst. In seinem Inneren zwang ihn das zur Distanz, was ihn schon so lange plagte. Allerdings schien es in Kyouyas Interesse zu liegen, wenn Tamaki ihn nicht mehr ständig belagerte.
 

Seufzend wendete er sich dem Unterricht zu, konnte ihm aber nicht folgen. Die Worte strichen durch seinen Kopf, ohne im Geringsten haften zu bleiben. Tamaki hatte sich an den enormen Rückkopplungseffekt gewöhnt, der dafür verantwortlich war, dass er umso mehr an Kyouya denken musste, desto mehr er es sich zu verbieten versuchte. Die Maßnahme gegen mögliche überschwappende Gefühle brachte ihn so sehr um den Verstand, dass er noch stärker auf reserviertes Verhalten umschalten musste und den Teufelskreis noch mehr befeuerte. Tamaki hatte Glück, dass sein Maß an Intelligenz es ihm ermöglichte, sich den Stoff selbstständig mehr oder minder effektiv anzueignen und seinen Notendurchschnitt zu halten. Nüchterner Unterricht war für ihn inzwischen auch eine willkommene Abwechslung zum komatösen Träumen und Hoffen, das ihn sonst beanspruchte.
 

Als nächste Station in seinem Tagesablauf folgte der Host Club. Auf Mittagessen hatte Tamaki verzichtet. Sehnsüchtig erwartet wurde er nur von den Mädchen, die sich darum rissen, von ihm mit klebrig süßen Schmeicheleien umgarnt zu werden. Tamaki wusste nicht mehr wohin mit seinem Kopf, den eine beharrliche Kraft von seinem Tagesgeschäft wegzerrte und ihm nur ein Minimum an Konzentration für die Gäste zurückließ.

Seine Blicke schweiften immer wieder zu dem delikaten, begehrenswerten Wesen, das mit gediegener Coolness und herausragendem Organisationstalent seiner Arbeit nachging. Tamaki ertappte sich bei stummer Eifersucht gegenüber den Mädchen, die Kyouyas volle Aufmerksamkeit genießen durften. Er sehnte sich nach dem charmanten Zynismus des nonchalanten Hosts, den er nur aus der Ferne zu spüren bekam.
 

„Was ist denn los mit dir, Tamaki?“, fragte Sayuri Kanazawa, die sich an Tamakis Schulter gelehnt hatte.

„Was soll denn sein, Prinzessin?“, stellte Tamaki in seiner liebenswürdigsten Stimmlage die Gegenfrage.

„Du siehst so verbittert aus.“

Tamaki bemerkte, dass er unterbewusst die Hand zur Faust geballt hatte und löste die Verkrampfung sofort, um die Finger um das Kinn des Mädchens zu schließen und kurz über dessen blonde Haarpracht zu streichen.

„Es hat mich in solche Aufregung versetzt, …“ wie so oft in letzter Zeit musste er kurz stocken, da sein Formulierungsfluss von seinen verdrießlichen Gedanken unterbrochen wurde „…dass wir hier den störenden Blicken der anderen ausgesetzt sind. Wie soll ich dir denn so meine strahlende Liebe beweisen?“, hauchte er Vergebung heischend und sah Sayuri tief in die Augen, woraufhin sie förmlich dahinschmolz.
 

Sobald er sich eine günstige Ausrede einfallen lassen hatte, verließ er den Kreis der Mädchen und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen zu Haruhi hinüber, die in den meisten Fällen kurzzeitig ausgleichend auf seine Stimmung wirkte.

„Du siehst fertig aus, Tamaki.“, sagte sie rundheraus, als er sich näherte.

Tamaki zog die Fingerspitzen durchs Haar und lächelte gequält.

„Glaub mir, liebste Tochter, das bin ich auch.“

„Willst du dich nicht um die Gäste kümmern?“, fragte Haruhi skeptisch.

„Wie soll ich mich denn auf die konzentrieren, wenn ich mir ganz andere Sorgen machen muss? Als Vater hat man ja so entsetzlich viel um die Ohren.“ Tamaki schmollte bekräftigend, vermied jedoch Augenkontakt. Haruhi hatte dafür nur ein sarkastisches Halblächeln übrig.

„Du machst dir nur um eine ganz bestimmte Sache Sorgen, hab ich Recht?“, vermutete sie mit einem Nicken in Richtung Kyouya.
 

Tamaki breitete freudestrahlend die Arme aus, obwohl ihm der Sinn sehr viel mehr danach stand, sich ungeachtet aller Umstände mitten in den Saal zu erbrechen.

Es bereitete ihm höchstes Unbehagen, damit konfrontiert zu werden, dass die Clubmitglieder anscheinend über alles im Bilde waren. Dies klagte zum einen deutlich an, dass sein Talent darin, innere Turbulenzen zu verbergen, sehr zu wünschen übrig ließ, zum anderen wurden so seine Gedanken zunehmend zurück in die Umlaufbahn seiner Probleme gedrängt.

„Haruhi, deine erstaunliche Einfühlsamkeit berührt mich zutiefst!“, überspielte Tamaki seine dem absoluten Tiefpunkt entgegendriftende Laune und sah Haruhi mit großen, tränenglitzernden Augen an. „…Natürlich.“, murmelte sie ungläubig. „Es wird immer offensichtlicher, dass du dich zwingen musst.“ Tamakis theatralische Mimik stürzte augenblicklich an seinem Gesicht hinab.

„Sag es ihm besser, bevor du dich selbst kaputtmachst.“, fuhr sie achselzuckend fort und widmete sich dann ihren Kundinnen, die sie mit einem zaghaften, natürlichen Winken begrüßte, und setzte sich zu ihnen.

„Leicht gesagt…“, flüsterte Tamaki für sich als Antwort. Zweifellos schätzte er Haruhis offene, ehrliche Art, konnte sich aber beim besten Willen nicht dazu aufraffen, ihrem Ratschlag Folge zu leisten.
 

„Tama-Tama, du siehst traurig aus!“, piepste Honey aus seiner Ecke hervor und trippelte zu ihm hinüber. „Möchtest du mein Häschen haben? Oder ein Stück Kuchen zur Aufmunterung?“

„Nein danke, mein lieber Honey.“, schmunzelte Tamaki, zerzauste dem kleinen Host die Frisur und richtete seinen Blick mit einem elegischen Lächeln ins Leere.

„Kyouya ist da hinten!“, mischte sich Hikaru flötend ein.

„Du solltest mit ihm reden!“, fügte Kaoru hinzu und nickte übertrieben ernst. Trotz dass die Zwillinge es vermutlich nur gut meinten, quoll aus ihrer Singsangstimme ein leichtfertiger Spott.
 

Tamakis Plan schrieb eigentlich vor, keinerlei Gefühle durchdringen zu lassen und Kyouya eiskalt zu ignorieren, und doch erlaubte er sich einen Blick in seine Richtung. Verharrend in einer eleganten Körperhaltung schrieb er schwungvoll auf sein Klemmbrett, legte es beiseite, setzte zu einem geschmeidigen Gang an und stellte sich zu der Gruppe seiner Kundinnen. Er gestikulierte selten. Sein mildes Lächeln reichte als Charismabote vollkommen aus. Tamaki hatte zwar die meisten Kundinnen, aber auch die sprunghaftesten. Keine von ihnen bemühte sich ernsthaft darum, als Einzige in seinen Fokus zu geraten, da sie sich mit kurzweiliger Heuchelei begnügen konnten.
 

Tamaki fiel auf, dass ihn das nicht mehr erfüllte. Ein inbrünstig strahlendes Mädchen erwärmte sein Herz ungemein, doch fühlte er sich ohne beständige und bedeutungsvolle Zuneigung leer und leblos. Ihm reichten lange, glatte Haare, zierliche Körper und große Augen nicht mehr.

Er konnte sich selbst inzwischen gut eingestehen, dass er sich nach ausgeprägten Muskeln sehnte, nach dichten Haaren, in die er gierig seine Finger versenken konnte, Augen, die ihn mit herausforderndem, selbstsicherem Blick in wilde Träume stürzten und nach jemandem zum Anlehnen, zum Festhalten, einem Mann, der es wert war, ihn zu begehren und zu achten.
 

Tamaki war sich nicht sicher, ob er jemals auf irgendeine Weise Kyouyas Herz berühren würde können. Seine lässige Eleganz, die authentische Höflichkeit, die versteckte Einfühlsamkeit konnte er langsam, aber sicher nicht mehr ertragen, solange stets das Wissen mitschwang, dass die Person mit diesen Eigenschaften absolut unnahbar war.
 

Sich immerzu damit arrangieren zu müssen, trieb Tamaki in den unausweichlichen Zustand des Wahns. Er hatte außer unerbittlicher Verdrängung keine andere Wahl. Irgendwann würde alles, was er unterdrückt hatte, wieder hochschäumen und ihn übertürmen wie eine monströse Welle.

Tamaki brauchte einen Tee. Schleunigst.

„Kyouya. Teetasse.“, ordnete er knapp und mit leidgetränkter Stimme an, als hätte er eine enorme Anstrengung hinter sich. Kyouya widmete ihm einen fragenden Blick aus den Augenwinkeln und schob sich die Brille hoch, bevor er mit einem gemurmelten „Natürlich.“ eine Tasse mit heißem Tee füllte und betont langsam vor Tamaki abstellte, nicht ohne ihn eindringlich zu taxieren. Tamaki beschlich das untrügliche Gefühl, dass Kyouya ihm seine Antriebslosigkeit übel nahm, da sie drohte, sein wertvolles Geschäft in Richtung Abgrund zu steuern.
 

Tamaki gewährte einem Seufzer die Freiheit und diejenige Freude, die wenigstens in Ansätzen noch erhalten geblieben war, erlosch bei Kyouyas strafender Miene sofort. Zeitlupenhaft hob Tamaki seine Teetasse hoch und führte sie an die Lippen, um einen Schluck zu nehmen, der eine angenehme Wärme in seinen Körper ausstrahlen ließ. Kyouya hatte seinen entspannten Gesichtsausdruck und das subtile Lächeln wiedererlangt, von dem Tamaki besonders angetan war.

Es tat ihm schrecklich weh, wie sehr er ihn wollte.
 

Schien ihm die brühwarme Flüssigkeit in seinem Magen doch so wirkungslos im Vergleich zu der gähnenden Kälte in den Tiefen seines seelischen Innenlebens. Abgesehen von der pochenden Dauersehnsucht fühlte Tamaki sich so gefühlskalt wie nie. Er machte einen routinierten, kleinen Ausfallschritt, um elegant seine nun leere Tasse wieder auf dem Tisch zu platzieren (und entzücktes Schmachten von weiblicher Seite dafür zu ernten). Abwesend wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund, seine edlen Manieren sofort wieder verwerfend, und verlor seinen Blick im strahlenden Blau des Frühsommertages.
 

„Hey. Zeig das mal her.“, schnitt ihm plötzlich eine gelassene Stimme durch die Gedanken.

Mit einer einzigen Bewegung, ohne unnötige Erklärungen, schnappte Kyouya nach Tamakis Hand, die er scharfäugig ins Visier genommen hatte.

Verflixt. Er hatte vergessen, darauf zu achten, welche Hand er benutzte, und die von Kyouya festgehaltene trug eine lange, rote Narbe quer über dem Gelenk. Bevor Kyouya dazu kam, Notiz davon zu nehmen, zog Tamaki die Hand weg und ging benommen von dannen.
 

Als er sich außerhalb seiner Sichtweite wusste, floh Tamaki vor Kyouyas Blick ins Badezimmer der Hosts. Die weißen, sterilen Wände hatten genau die Unkompliziertheit und Banalität inne, die er jetzt brauchte. Das Helle und Klare beruhigte ihn und tief atmend ließ er sich die Wand hinabsinken, gänzlich fixiert auf die blanken Fliesen und deren spiegelnden Glanz. Nach ein paar zittrigen Atemzügen verlangsamte sich sein Herzschlag wieder auf ein Normalmaß. Seine Hand prickelte noch immer dort, wo er von Kyouya berührt worden war. Langsam drehte er sie in seinem Blickfeld hin und her und das Licht streifte über die roten, leicht erhabenen Linien.
 

Tamaki hatte keine Zeit. Jede Sekunde war zu viel und knallte auf den harten Boden seiner Seele, während sie glühend und zäh verstrich. Unter gepresster Schnappatmung, seine Tränen hinunterschluckend, führte er die Striche seines abstrakten Bewältigungskunstwerks, zeigte der hellen Klinge den Weg und strich mit den Fingerkuppen gegen das Rasierblatt, zärtlich, als wäre es etwas unaussprechlich Kostbares.

Er spürte den Blutstrom anschwellen. Er floss nicht, er sprudelte wie aus einer Quelle hervor und sammelte sich zu einem See von Rot. Ein Rot von Rosen, Aggression und Liebe. Der See war ein Spiegel, in dem er sich selbst sah, in dem seine gelähmten Friedenstauben matt ein letztes Mal mit den Flügeln flatterten und sich ergaben, um zu ertrinken.

Tamaki fluchte.
 

„Was hast du denn bloß angestellt?“

„Hab mich beim Rasieren geschnitten.“, nuschelte er leise mit gesenktem Kopf hinter dem schützenden Vorhang aus Haaren hervor.

„Am Handgelenk?“

Es sollte keine Antwort geben.

„Hm. Wichtiger ist jetzt, dass das schnell wieder verheilt. Du hättest sterben können!“ Der letzte Satz Kyouyas klang weniger besorgt als geringschätzig.
 

Tamakis Unterlippe blutete fast, so fest zwängte er sie mit den Zähnen ein, damit nicht sofort alles aus ihm hervorbrach. Innerlich zählte er die Sekunden bis zum Ende dieser Begegnung. Seit wann konnte die reine Anwesenheit eines Menschen einen derart quälenden Effekt haben?

Die geschickten Finger Kyouyas, die Tamakis Hand verarzteten, reichten völlig aus, um das Maximum seiner emotionalen Strapazenkapazität mit einem Schlag zu erreichen. Er fragte sich im Stillen, wann Kyouya sein Pensum daran, ihn mit seiner Kühle verrückt zu machen, endlich abgearbeitet haben mochte.
 

Erschrocken bemerkte Tamaki, dass ihn eine merkwürdige Taubheit gegenüber sich selbst erfüllt hatte – es war ihm vollkommen gleich, wie es um seine Laune stand. Es war ihm, als sei seine Selbstwahrnehmung mit einem schweren Dunst belegt. Allein, dass er Kyouyas volle Aufmerksamkeit für einen Moment genießen konnte, drang zu ihm durch. Seine gedanklichen Abläufe waren gänzlich nach diesem einen Objekt der Begierde ausgerichtet.
 

Tamaki war dies vollkommen neu. Unbeschwertheit hatte ihn lange durchs Leben getragen, ihn beflügelt und ihm Auftrieb gegeben. Der Schwund dieser Leichtigkeit hatte sich so hinterhältig eingestellt, dass er sich einfach damit zurechtgefunden hatte, ohne dass das Ausmaß der Veränderung sich jemals bemerkbaren Raum in seinem Bewusstsein verschafft hatte. Seine Leitlinien waren verblasst, er taumelte wirr an der Kluft der Schwermut umher und wusste sich nicht zu helfen. Als griff er mit bloßen Händen in die Luft, verbittert versuchend, etwas zu fassen zu bekommen. Doch da war nirgendwo etwas Greifbares.
 

Die endlosen Hechtsprünge nach Substanz ermüdeten Tamaki.

Sein Blick schweifte an Kyouya vorbei, der seine Hand nun zur Genüge versorgt hatte.

Mit einem letzten mahnenden Blick wandte er sich ab. Tamaki glaubte durch diese Miene hindurch einen Funken Besorgnis zu erahnen, wischte sich die Gedanken doch wieder aus dem Kopf.

Hoffen hatte er sich abgewöhnt.
 

Kyouya seufzte. „Mach… das bloß nicht noch mal.“, zwang er die Worte aus sich heraus, ein letztes Mal über die Schulter blickend, bevor er endgültig aus dem Raum ging. Die täglichen Geschäfte waren erledigt, der Musikraum Nummer drei war mit dem Zufallen der Tür bis auf den zurückgebliebenen Host nun vollends menschenleer. Tamaki badete im hereinflutenden Licht der Sonnenstrahlen und erwog für einen Augenblick, sich an den Flügel zu setzen, jedoch fehlte ihm der Antrieb dazu. Selbst eine leidvolle Ballade hätte ihm nicht helfen können. Der Grund dafür war, dass sich allmählich eine weitere beunruhigende Erkenntnis in seinen Geist einschlich.
 

Tamaki wusste, dass der Moment kommen würde, an dem er es verkünden musste.

Und der Moment kam gewiss. Er wusste nicht, wie er am nächsten Tag in den Clubraum gekommen war, warum er mit einem Mal Kyouya gegenüberstand, abgeschlagen und sichtbar zitternd.

Es war so automatisiert geschehen, dass er keinerlei Gedanken daran hatte verschwenden müssen. Dimensionsfern war er im Strudel der Emotionen untergegangen und hatte sein Zeitgefühl dabei hinter sich gelassen.

Die innere Leere blähte sich nunmehr unaufhörlich zu einer allumfassenden Sphäre auf.
 

„Ich muss etwas mit dir besprechen.“ Tamaki war selbst überrascht davon, wie gefasst er klang. Unbewegt von jeglicher Regung wie Schilf im Wasser.

„Das wäre?“, fragte Kyouya neutral, vertieft in seine alltäglichen Arbeiten. So gehörte es sich – Tamaki wagte es kaum, die Routine zu stören. Solange sie aufrechterhalten wurde, würde die Katastrophe nie eintreten. Das perfekte Bild würde nicht brüchig werden, die Illusion für einen weiteren winzigen Moment nicht splittern. Für diesen Moment war seine Weltordnung noch intakt.
 

„Ich habe darüber nachgedacht… Aufzuhören.“

Nach dieser Stellungnahme waren erst einmal ein paar tiefe Atemzüge nötig.

„Was!?“ Kyouya war tatsächlich erschrocken. Er hatte seinen Laptop ruckartig auf den Tisch geknallt und war aus seiner starren Arbeitsposition gefallen.

„Was bringt dich denn darauf?“, fragte er ungehalten.

In Tamaki wurde beinahe ein Lachreiz hervorgekitzelt, so bitterlich ironisch war Kyouyas Reaktion. Ganz im Kontrast zu seiner sonstigen Indifferenz zeigte er gerade jetzt Sorge. Wie oft hatte er sich ein solch freundschaftliches Bekenntnis gewünscht, doch kam es gerade dann, wenn er schon vergessen hatte, dass zwischen ihnen überhaupt so etwas wie Verbundenheit bestand.
 

„Ich kann unter den jetzigen Umständen nicht mehr im Club tätig sein.“ Diese Worte hatte Tamaki sich sorgsam zurechtgelegt, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, an die Wand argumentiert zu werden. Vage und dennoch mit einer hörbaren Endgültigkeit, wie eine Pressemitteilung. Kyouyas Stirn durchzog sich mit feinen Falten. Er erhob sich langsam von seinem Stuhl und musterte Tamaki verständnislos.

„Tamaki. Was stimmt diesmal wieder nicht?“
 

Beim Klang seines eigenen Namens, ummantelt von jener ruhigen, festen, dunklen Stimme, ließ es den Angesprochenen kurz schaudern, auch wenn er damit gerechnet hatte, dass Kyouya versuchen würde, ihn auf seine strikte und bestimmte Art zur Vernunft zu bringen.

„Geht dich nichts an.“, nuschelte er betreten. Beileibe war dies nicht der Gesprächsverlauf, den er angestrebt hatte, jedoch schienen ihm die Worte davonzugleiten, bevor er sie fassen und aussprechen konnte.
 

„Jetzt hör mal!“ Kyouya packte ihn an den Schultern.

„Wenn es jemanden etwas angeht, dann ja wohl mich!“, appellierte er an Tamakis Vertrauen.

Tamaki wich aus: „Sieh es doch mal so - wenn das Geschäft nicht mehr laufen sollte, hast du ohne den Club immerhin eine Sorge weniger...“

Es war ihm ein dringendes Anliegen, wenigstens Kyouyas Gewissen mit einem vorgetäuschten Optimismus zu säubern. Umso weniger sie sich jetzt in diesem Thema verkeilten, desto schmerzloser würden sie sich beide aus der Angelegenheit ausklinken können.
 

„Red‘ doch keinen Unsinn. Wir brauchen dich hier. Falls es dir nicht aufgefallen ist: Alle haben mit dem Club einen Heidenspaß.“

Tamaki störte sich an dem Wort „alle“. Es war zu unpersönlich und flach.

„Gilt das auch für dich? Du machst eher den Eindruck, als sei er dir eine unliebsame Last.“

Obwohl er versucht hatte, sein Lechzen nach einem offensichtlichen Zuneigungsindikator, sei er noch so beiläufig, möglichst im Zaum zu halten, hatte er es unwillkürlich kundgetan. In ihm wuchs stetig das Verlangen danach, die seelischen Narben offen darzulegen… wie auch die körperlichen.
 

„Tamaki.“ Einmal mehr dieser resolute und doch sanfte Ton, der nur Kyouya zu eigen war. Diese einnehmende, aber keineswegs provokante Aura, die selbst jedem Tadel seinerseits innewohnte.

„Wir sind Freunde.“ - Tamakis Herz stolperte - „Ich bin an dich gewöhnt.“ - und seine innere Freude zerbarst. Kyouya hatte seine Aussage selbst entkräftet. „Und ja, auch ich habe meine Freude am Host Club.“ Durch die vorausgegangene Sachlichkeit verlor dieses Zugeständnis an Aussagekraft, was Tamaki nur schmunzeln ließ.

„Freunde…“, murmelte er und ließ das Wort mit einem gefühlten Fragezeichen im Raum hängen.

Seine innere Unsicherheit hatte von ihm genau dann den absoluten Besitz ergriffen, als er doch hatte standhaft bleiben wollen - als er sich dessen noch vollkommen sicher gewesen war, dass er als Host aufhören wollte.
 

Nach und nach erschlossen sich ihm seine eigentlichen Beweggründe, die viel stärker mit einem Provokationsdrang zusammenhingen als mit einem tatsächlichen Bedürfnis nach Abschied und Distanz. Er hatte nur seinen Fortgang androhen wollen, um streng am Arm gepackt und davon abgehalten zu werden. Eine konstruierte Extremsituation, von der er sich eine eindeutige emotionale Rückmeldung erhofft hatte.
 

„Spuck’s schon aus. Was ist los?“, argwöhnte Kyouya nun nach einer Schweigepause, in der ihm nicht entgangen war, dass Tamaki etwas auf der Zunge lag.

„Ich sagte doch: geht dich nichts an.“, erwiderte er stur.

Kyouya ließ seine Hände irritiert von Tamakis Schultern gleiten.

An diesem Punkt hätte Tamaki eigentlich den Sieg einfahren und Lebewohl sagen können, was er ja oberflächlich hatte bezwecken wollen. Anstatt sich jedoch weiterhin selbst in die Tasche zu lügen, wollte er lieber Kyouyas aufgebrachte Stimmung weiter ausreizen, beseelt von der wahnwitzigen Hoffnung, in den Untiefen seiner Gefühlswelt etwas zu finden, dass man zumindest teilweise als Erwiderung von Tamakis romantischen Interessen verbuchen könnte.

„Was kümmert es dich überhaupt…“, entfloh ihm ein laut gewordener Gedanke, der aus der Suche nach möglichst streitsüchtig klingenden Anklagen hervorgegangen war.
 

„Was es mich kümmert? Ich mache mir Sorgen, Idiot!“, zischte Kyouya. „Sonst blühst du als Host mehr auf, als es die anderen je könnten, aber seit geraumer Zeit ist alles für dich nur noch purer Zwang, glaubst du, wir sehen das nicht? Für wie ignorant und dämlich hältst du uns eigentlich?“ Kyouyas Lautstärke war innerhalb des Satzes graduell angestiegen, bis sie bereits an Schreien grenzte.

Tamaki schluckte und leitete eine erneute Sprechpause ein, um sich geistig neuzuordnen. Es war soweit sicher, dass Kyouya doch beharrlicher sein konnte, als Tamaki geahnt hatte. Wenn er ihn noch länger in Sorge ließ, lief er Gefahr, ihn entweder ernsthaft zu verletzen oder maximal zu verärgern.
 

Tamakis Schultern sanken in einem Anflug von Mutlosigkeit ein. Fast bemerkte er nicht, wie es sich anbahnte, dann überzogen sich seine Augen mit einem brennenden Schmerzfilm, gefolgt von einer unangenehmen Ansammlung von Feuchtigkeit an seinem Unterlid. Schnell blinzelte er die Tränen weg, die jedoch zu immer größeren Tropfen anschwollen und sich ihren Weg aus seinen Augenwinkeln bahnten. Tamaki wischte sich über die Augen, um das Zeichen der Schwäche zu unterbinden. Die Sinnlosigkeit, mit der das Leben in den letzten Wochen an ihm vorbeigezogen war, räumte jetzt den Platz für eine erschütternde Emotion, die ihm zumindest einen Anhaltspunkt zurückgab. Stumme Tränen verliehen dem Schmerz Ausdruck, der sich angestaut hatte und jetzt als schmaler Streifen Salzwasser von seiner Wange perlte.
 

Abgehackt sog er eine Ladung Luft ein und hörte, dass Kyouya sich vorsichtig näherte. Er beugte sich ein Stück hinunter, um in Tamakis dem Boden zugewandtes Gesicht sehen zu können.

„Tamaki…Weinst du?“, fragte er mit einer undefinierbaren Mixtur aus Besorgnis und Verwunderung. Tamaki presste als Antwort nur verspannt die Lippen zusammen.
 

Begleitet von einem billigenden Seufzen empfing Kyouya den niedergeschlagenen Host in seinen Armen und hielt in dort vorsorglich fest. Hemmungsloseres Schluchzen wurde laut. Dem sonst glamourösen King blieb in diesem Moment nichts anderes übrig, als sich hilfesuchend anzulehnen. Trotz dieser Schmach löschte die Geborgenheit in Kyouyas Armen die Glut der Schmerzen aus, dämpfte alle übrigen Sinneswahrnehmungen und lenkte die volle Konzentration auf den warmen Schutz am Körper des Anderen.
 

Sobald er sich wieder zu halbwegs klarem Denken fähig fühlte, schnaufte er heftig und drückte Kyouya mit den Handflächen ein Stück auf Abstand. Kyouya hob nur fragend eine Augenbraue.

Tamaki konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihm diese Umarmung mehr schadete als half. Er wurde immer dann mit kleinen Brocken an Zuwendung gefüttert, wenn es ein Sonderfall erforderte, ohne dass er jemals all das haben konnte, was er sich ersehnte. Wenn man ihm Appetit machte, würde seine Gier immer wieder neu aufflammen. Da sie nie würde gestillt werden können, wäre er über kurz oder lang in einem ständigem Bereitschaftszustand gefangen, der auf ein weiteres kleines Highlight sofort anspränge, was ihm allerdings nur das Warten eine Winzigkeit einfacher machen würde.
 

„Du gibst dich wie der Egoismus in Person… selbst wenn du mal Güte zeigst… du wirst du danach sofort klarstellen, dass du dich nur ausnahmsweise dazu herablässt. In Wahrheit hast du rein gar nichts für andere – für mich – übrig… Nichts!“ Tamaki brach seine fieberhafte Rede tränenerstickt ab und atmete tief aus, um seine Verzweiflung versickern zu lassen. Seine Verdrängungskünste durften ihn jetzt nicht enttäuschen. Er würde seiner Emotionen wieder Herr werden und…und was dann, das wusste er nicht. Gar nichts schien er mehr zu wissen und er kam sich so unsäglich einfältig und fremdgesteuert vor.

„Ich bin doch… Dabei will ich doch nur…“, versuchte er unbeholfen, die Leere zu füllen, als er bemerkte, dass Kyouya seinen Vorwurf übergangen hatte.
 

„Ja?“, hakte Kyouya skeptisch nach, beließ es jedoch bei einem sachteren Tonfall. Tamakis Unbehagen schwand dennoch nicht, da sein Gegenüber die Hände ungeduldig in die Hüften stemmte. Angesichts dieses Argwohns verweigerte seine Stimme ihren Dienst. Mehr als ein leises „Ich…ich…“, konnte er nicht aussprechen und jedweder Erklärungsversuch wurde schon im Ansatz vernichtet.
 

Einen Wimpernschlag später fand er sich wieder an den Körper des Anderen gedrückt, dessen Rücken zittrig umschlingend. Im Rekordtempo durchlebte Tamaki widersprüchliche Gefühlszyklen und sah sich nicht imstande, zu entscheiden, ob ihm nun Nähe oder Abstand lieber war. Je länger er Kyouya jedoch umklammerte, desto bewusster wurde ihm, dass er sich selbst nicht weiter überzeugend vorgaukeln konnte, dass er nicht mehr im Host Club sein wollte. Der Host Club, sein Leben… Und Kyouya… Kyouya war nicht nur sein Freund, Kollege und Geschäftspartner, sondern sein momentan vordergründiger Anreiz dazu, morgens überhaupt aus dem Bett zu steigen und diejenige Person, die in ihm ehrliche Gefühle weckte, fernab von der theatralischen Turtel-Maskerade mit den Kundinnen.
 

Kyouya beantwortete Tamakis überstürzte Handlung damit, dass er seufzend die Arme um dessen Oberkörper legte und ihn einfach gewähren ließ.

„Ich wollte doch nicht…Dabei ist…“, nahm Tamaki erneut Anlauf. Kyouya strich einmal kurz bekräftigend über die Schulter seines nach Worten ringenden Freundes. Tamaki war beklemmt von einer falschen Luftnot, sein Herzschlag dröhnte in seinem Kopf, das Blut rauschte ihm rasant durch die Gehörgänge. Die somatische Komponente seines Gefühlsdurcheinanders nahm nun stetig an Bedeutung zu und zwang ihn, sich stärker an Kyouya zu lehnen.
 

Obwohl er es niemals beabsichtigt hatte, verlangte die körperlich wie seelisch enorm überfordernde Situation, dass Tamaki das preisgab, was seit Wochen und Monaten als stetiges Echo in seinem Geist widerhallte. Er hatte das Gefühl, dass Kyouya jetzt so mild gestimmt war, dass er die glimpflichsten Konsequenzen erwarten konnte.
 

„Dabei liebe ich dich doch.“

Kaum mehr als ein Flüstern war es, das die Luft durchwanderte und sich sachte über die beiden Erstarrten legte. Tamaki kniff schmerzhaft stark die Augen zusammen. Er bereitete sich auf den monströsen Schlund der Leere vor, der ihn jeden Moment verschlingen würde. Wie oft hatte er bereits alle Szenarien, die im Rahmen des Realistischen waren, immer wieder im Kopf abgespielt, um sich daran zu gewöhnen, dass seine Liebe immer an das Unerfüllbare gekoppelt bleiben würde. In diesem Moment wusste er schon, was seiner harrte.
 

Kyouya löste die verkrampfte Umarmung ein wenig. Mit separierten Lippen, als sei er im Begriff, etwas zu sagen, sah er zu Tamaki hinunter und brachte doch keinen Laut hervor.

In seinem Gesicht ließ sich nichts außer Unlesbarkeit lesen, das Fehlen auch nur der geringsten Emotion oder kurz: purer Schock. Ein Blick, der keiner war. Nur Augen, ungewöhnlich hart reflektierend wie ein Kunststoff, eine Plastikmurmel, leblos, zwecklos.

Tamaki bemühte sich, nicht hinzusehen.
 

„Du willst du mir also sagen, dass das der Grund für … das alles ist?“, fragte Kyouya jetzt leise. Er klang so monoton, weder berührt noch böse, einfach nur neutral, als hätte er die Tragweite von Tamakis Worten nicht begriffen.

Tamaki nickte heftig gegen Kyouyas Schulter und vergrub sich noch verzweifelter daran. Seine bestialische Angst vor der unweigerlichen Zurückweisung lähmte ihn, ließ ihm keine andere Wahl, als in seiner Position zu verkrampfen und ein wenigstens für ein paar Sekunden noch das Privileg auszureizen, sich Kyouya so nah zu wissen.
 

Tamaki wurde von seinem Freund - so gut es ihm in seiner Beengung möglich war - in Richtung eines Stuhls manövriert und nachdem er der verspannten Lage druckvolle, bestimmte Gegenwehr geleistet hatte, gelang es Kyouya, ihn darauf niederzulassen. Tamakis Arme erschlafften mit einer solchen Enttäuschung, dass sie unkontrolliert um seinen Körper schlackerten, um dann so unbeseelt wie Gummischläuche herabzuhängen.

Kyouya kniete sich auf Augenhöhe herunter und sah Tamaki konsterniert an.

„Ich wollte dir niemals wehtun.“, versicherte er eindringlich.

Tamaki hätte fast gelächelt. Er hatte nichts anderes von Kyouya erwartet als seine typische sachlich-professionelle Vorgehensweise. Die langjährige Erfahrung hatte ihm bereits mehrfach gezeigt, dass dieser Selbstschutzmechanismus Kyouya davor bewahrte, der endgültigen Fassungslosigkeit anheim zu fallen und sich eingestehen zu müssen, mit der Situation überfordert zu sein. Tamaki konnte ihm nicht verdenken, dass er nun, in einer emotional explosionsgefährdeten Atmosphäre, mehr denn je darauf angewiesen war, sein System funktionstüchtig zu halten.

Dies war ein solch aussagekräftiger Hinweis auf eine enorme Gefühlsreaktion Kyouyas, dass es ihm eine gewisse Gelassenheit gewährte.
 

„Du hast nichts getan. Ich habe mich mit Absicht auf Abstand gehalten… Und mich damit selbst verletzt.“, entgegnete Tamaki mit einem leidseligen Blick zur Seite, aber einem Willen zur Tapferkeit in der Stimme. Ein bisschen fühlte er sich wie ein gepeinigter Krieger, der stur und kühn alle Lasten auf sich herniedergehen ließ.
 

Unterdessen sank Kyouyas Blick suchend nach unten und fiel dann auf Tamakis Handgelenk.

Unverzüglich und forsch packte er seinen Arm, stülpte den Ärmel um und schob ihn in einem Ruck hoch. Wie ein Spinnennetz zogen sich feinste rote Linien über Tamakis weiße Haut und dank der Brille entgingen Kyouya auch die blassen Wülste am Handgelenk nicht, die von einer langen Vergangenheit erzählten.

Er stieß einen ungläubigen Atemstoß aus. Vor lauter Bestürzung brachte er kein richtiges Kopfschütteln zustande, nur eine langsame, energielose Hin- und Herbewegung.

„Du hast dich selbst verletzt.“, stellte er atemlos fest, Tamakis letzten Satz jetzt erst vollständig begreifend, begleitet von einer unverkennbaren Verzweiflung.
 

Tamaki schlug Kyouyas Hand weg und zog seinen Arm zurück. Er konnte den stillen Vorwurf nicht ertragen, auch wenn er sich dessen bewusst war, dass Kyouya um seine körperliche Gesundheit besorgt war. Allerdings schien er umso mehr davon alarmiert, dass er sich weitgehend unbemerkt derart Schaden zugefügt hatte. Tamaki empfand eine perverse Genugtuung dabei, dass Kyouya unter seiner Empörung nun sicher von einem schlechten Gewissen geplagt war, da er Tamakis Verletzungen nicht nachgegangen war. Schließlich hätte Tamaki doch unmöglich einfach von sich aus gestehen können „Übrigens, wusstest du schon, dass meine Arme und meine Rasierklinge sich neuerdings blendend verstehen?“
 

„Was ist nur aus dem ausgeflippten, stets optimistischen Tamaki geworden…?“, fragte Kyouya sich selbst murmelnd, mit einem schuldbewussten Ton. Unter die Betroffenheit hatte sich jedoch ein Teil Unverständnis gemischt.

„Ich kann nicht glauben, dass du dir das angetan hast…Wegen so einer belanglosen…“

„Du hast doch keine Ahnung!“, rief Tamaki gellend dazwischen. Jegliche Zurückhaltung und Geduld, jegliche Bereitschaft, die Qualen im Verborgenen zu erdulden, war ein für alle Mal erschöpft. „Du weißt gar nichts. Du hast nicht den blassesten Schimmer! Wenn jemand dir alles bedeutet… Was weißt du schon, wie es wehtut, ihm nie nahe kommen zu können?! Wie kannst du es dir anmaßen, darüber zu urteilen? Diesen Schmerz als belanglos abzutun?“ Tamaki musste zwischendurch Wut und Tränen herunterschlucken. Doch schon bald gewannen sie wieder Überhand und peitschten Kyouya ungehalten entgegen. „Und jetzt stehe ich hier, mit meinem naiven Glauben, ich wäre dir nicht egal… nur um zu hören, dass mein immer ach so kontrollierter, sogenannter bester Freund meine Gefühle belächelt…“

Kyouya schluckte und konnte Tamaki nicht mehr in die Augen sehen. Der Schreck über den plötzlichen Wutausbruch ließ ihn für mehrere Sekunden beschämt verstummen. Dann sagte er leise: „Kein Mensch auf Erden ist es wert.“
 

Tamaki atmete schwer aus und ein und funkelte sein Gegenüber anklagend und verletzt an. Dass er seinen Gefühlen so offenherzig und blindwütig Freiraum gegeben hatte, war seiner übergelaufenen Wehmut geschuldet. Auf der einen Seite stand der verletzte Stolz, der unendliche Frust darüber, so verletzlich gemacht worden zu sein, ohne dass ihm auch nur die geringste Kontrolle geblieben war. Dagegen stand der Wunsch, alle Karten auf den Tisch zu legen, dazu zu stehen, was er durchlitten hatte, sich mitzuteilen, zu erklären.
 

Falls du es nicht merkst, Kyouya, das ist meine zerbrochene Seele, die da in Scherben vor dir liegt...
 

Kyouyas Augenlider flatterten, als er sich seinerseits ergeben auf einen Stuhl sinken ließ. Er stützte sich vornüber mit den Ellenbogen auf den Oberschenkeln ab und atmete ein paar Mal tief und geräuschvoll durch. Auch er war irgendwann offensichtlich am Ende und gab sich keine Mühe mehr, seine Ratlosigkeit zu überspielen. Tamakis Blick zuckte immer wieder kurz verschüchtert zu ihm hinüber, blieb aber hauptsächlich auf den Boden fokussiert. Nach seiner Emotionseruption fühlte er sich wieder seltsam nüchtern.

„Komm her.“, hob Kyouya mit einem Mal matt an und präsentiere Tamaki seine offene Hand.

„…W-Was?“, fragte dieser irritiert und wischte sich schnellstens die Tränen aus dem Gesicht. Je mehr er in die Realität zurückkehrte, desto mehr wurde ihm bewusst, wie blamabel und kindlich er sich benommen hatte.

Er schämte sich dafür, Kyouya so penetrant mit seinen Gefühlen überrollt zu haben.
 

Als sein Blick auf die Hand des anderen fiel, weiteten sich seine Augen jedoch ein Stück. Tranceartig hoben seine Beine ihn in die aufrechte Position, als er ein paar zaghafte Schritte machte. Durchgeschaukelt vom Wechselbad der Gefühle, begann sich eine angenehme und abgeschreckte Empfindung zugleich in seiner Magengegend bemerkbar zu machen.

Alsbald hatte er Kyouya erreicht, und trotz jeglicher Angst, allem Schmerz und Leid zum Trotz, wie ein aufmüpfiger Ritter in seiner Seele, der aller Not die Stirn zu bieten wusste, legte er zaghaft die Hand in die Kyouyas.
 

Der andere Host zog sich an Tamaki hoch, bis er direkt vor ihm stand und ihm aufbauend ein vorsichtiges Lächeln schenkte. Obgleich Tamaki bewusst war, dass Kyouya sich wohl aus Mitleid dazu entschlossen hatte, ihn zu trösten, war jeglicher Zweifel durch sein angeschwollenes Verlangen wie ausgehebelt.
 

Wenn ich ihn jetzt nicht berühre…
 

Tamaki sah seine Chance gekommen, nur einmal seinem Begehren nachzugeben und Kyouyas Entgegenkommen dafür zu haben. So nahe, wie sie beieinander standen, benebelte ihn dessen vielverheißender Duft und er spürte den Blick der dunklen Augen auf sich. Der brennende Schmerz in seinem Inneren verdichtete sich zu einem bittersüßen, unwirklichen Delirium, das ihn vollends in seiner melancholischen Trübheit zu ersticken drohte. Wie lange hatte ihn die Sehnsucht ausgehungert, nur um jetzt per Reizüberflutung mit einem plötzlichen Mal davongeschwemmt zu werden…
 

Sein Gegenüber streckte vorsichtig die Finger nach seinem Gesicht aus, und nachdem die anfängliche Verwirrung über die intime Geste aus seiner Mine verflogen war und beide ihr stilles Einverständnis zu dieser ungewohnten Berührung gegeben hatten, bettete Kyouya Tamakis Kinn in seine Hand und hob es behutsam zu sich. Federleicht legte sich ein tröstender Kuss auf Tamakis Lippen und versiegelte mit ihnen den reißenden Quell der Angst und des Leidens, der ihn bis dahin umtrieben hatte. Sein Atem zitterte, doch er wagte es, Kyouya entgegen zu kommen, um den ersehnten Geschmack, den Stoff seiner vielen wilden Träume aufzunehmen und sich gänzlich darin zu verlieren.
 

Wie…Warum...
 

Kyouya küsste ihn so zärtlich, so selbstverständlich, dass die Harmonie Tamakis Körper wie eine Wärmewelle durchfuhr, jeden Muskel glättete, alle Ketten um sein Herz sprengte.

Ein tosender Wind der Befreiung beflügelte ihn und wirbelte ihn durch die duftenden, himmlischen Lüfte der Leichtigkeit und Seligkeit. Entspannt ließ er sich gegen Kyouya sinken und seufzte erleichtert auf. Der Preis von trauerdurchweichten und leiddurchflossenen Nächten erschien ihm vergleichsweise klein für das, was er bekam und das, was er sich nehmen durfte.

In diesem Moment ließ er sich vollkommen fallen, endlich im Wissen, dass friedliche Ruhe unten auf ihn wartete. In diesem Moment war er kein Host. Kein leidender, vernarbter, im Edelmut verletzter Ritter.

Er war einfach nur ein verliebter Trottel.
 

Dieses einfache, natürliche Gefühls beseitigte alle komplizierten Verwirrungen seines zerrissenen Gemüts und hob ihn mühelos über alle Limits hinweg, die sein Geist ihm in den letzten Monaten in den Weg gestellt hatte. Es entfesselte alle unterdrückten Emotionen und öffnete die Tore weit für einen Schwall von Liebe und Euphorie. Er begehrte den dunkelhaarigen, mysteriösen Host mehr als alles andere.
 

Verlangend presste er sich enger an Kyouya und genoss in vollen Zügen das Gefühl seiner Haut und Lippen unter sich. Regelmäßig jagten Blitze der Aufregung durch seinen Körper, wenn er sich nur seine neugewonnene Erlaubnis zur Unbändigkeit und Zurückhaltungslosigkeit bewusst machte.

Seine Arme fanden ihren Weg und schlangen sich fester um Kyouyas Oberkörper, um den Abstand zwischen ihnen noch mehr zu verringern. Sein Durst nach Nähe ließ keinen rationalen Gedanken mehr zu und umgab ihn endgültig mit einer Wolke vollständiger Sorglosigkeit. Wie ausgedurstet saugte er an Kyouyas Lippen und drängte mit der Zungenspitze gegen sie. Kyouya zögerte kurz, ehe er Tamaki Einlass gewährte und ein Liebkosen ihrer Zungen entbrannte, während sie ihre Lippen auf und ab bewegten.
 

Trotz der befremdlichen neuen Freiheit war Tamaki völlig berauscht. Er wollte Kyouya erkunden. Jeder Winkel, den er in dessen Mund erforschte, ließ ihn behaglich erzittern und ein Stück weiter in der Vollkommenheit des Augenblicks versinken.

Er wollte nur Kyouya entdecken – nur von ihm entdeckt werden.

Diese Leidenschaft, die Tamakis Sinne in einen Schleier der bedingungslosen Glückseligkeit hüllte und ihn mit Zuversicht tränkte, brachte ihn – dessen war er sich sicher – seinem Ziel einen bedeutenden Schritt näher.



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  Ree
2009-12-16T21:53:41+00:00 16.12.2009 22:53
übertrieben wie du schreibst
so was schoenes
so schoene formulierungen sind echt wahnsinn
sowas hab ich noch nieee gelesen
echt total toll
*___*
Von:  Dorobbong
2009-10-31T23:24:11+00:00 01.11.2009 00:24
Wunderschön.

Wie zuvor schon geschrieben, kann ich es jetzt nur wiederholen, finde ich deine Wortwahl beeindruckend.
Du bist wahrlich mit einem außerordentlichen Talent gesegnet was das Schreiben solcher Texte angeht.
Und ich hoffe wirklich sehr, dass es noch eine Menge mehr von dir zu lesen gibt, denn man bekommt beim Lesen wirklich das Gefühl das Ganze nicht einfach nur aus einer völlig 'oberflächlichen' Position mit zu bekommen, sondern sich der Story selbst voll und Ganz öffen zu können, als wäre man mitten drin.
Man kann sich hinein versetzen, obgleich in Tamaki oder gar Kyouya.
Die Verliebtheit, die Ängste und Zweifel lassen sich gut nachempfinden und das beim bloßen Lesen dieser Fanfiktion.

Das beeindruckt mich.
Und ich möchte mehr von dir lesen.
Auch gern über dieses Pairring, weil dieses vollkommen im Kontrast zueinander stehende find ich super. :3

In diesem Sinne, wünsche ich mir sehr, dass deinerseits noch einges kommt, worüber ich mich freuen darf und bleibe gespannt.

LG
Psy~

Von: abgemeldet
2009-10-22T18:51:37+00:00 22.10.2009 20:51
boah, war das ein laaaaanges kapi. echt damit hast du absolut den vogel abgeschossen!
So nun zu dem sprachlichen:

Du hast einen supa Satzbau! *hab ich glaub ich noch vergessen zu erwähnen*^^' Sehr abwechslungsreich, manchmal etwas niveauhöher und ein wenig anstrengender zu lesen und dann mal wieder ganz einfach zu überfliegen. Aber genau diese Proportion ist wirklich gut und hält (speziell mich) bei der Stange.
Eine geniale Formulierengen. Davon könnt ich mir auch mal ne Scheibe abschneiden.^^ Aber wie gesagt, ich kann verstehen warum man dafür etwas länger braucht. Fast alle Sätze beinhalten eine erstklassige Wortwahl. Hut ab!

ich denk mal sprachlich hab ich alles losgelassen, was ich zu deiner FF bis zu diesem kapi zu sagen habe... jetzt zum inhaltlichen:

Es hat mich ziemlich gerührt und auch emotional bewegt, wie du Tamakis Gefühle mit solche einer Tiefe und solch einen Einfühlungsvermögen beschrieben hast. Es war realistisch und wirklich nachvollziehbar, was Tama durchmacht.
Besonder tief triff es einem, wenn man sich auf der einen Seite nur seinen fröhlichen unbeschwerten Charakter vor Augen hält, und dann auf der anderen die traurigen Gefühle, welche auf einmal durch die unerwiderte Liebe sein Innerstes plagen. Beeits im Anime und im Manga hat man mitbekommen, dass Tamaki noch etwas anderes in sich versteckt, als sein überschwengliches aufgedrehtes Wesen, etwas weitaus Verletzlicheres. Und genau diese sensible Seite versucht er mit allen Mitteln, hinter seiner übertriebenen theatralischen Art zu verbergen. Nun in diesen Kapi hat man einmal zu spüren bekommen, was es heißt wenn dieses von Tamaki selbst errichtete Kartenhaus zusammenbricht und ganz ehrlich, dieser Umstand ist allein von Tamas Charakter her möglich.


ach ja noch etwas:
>Seine Hand prickelte noch immer dort, wo er von dem Braunhaarigen berührt worden war.<

Kyoya ist doch schwarzhaarig^^

was mir übrigens nach zu denken gibt, ist wie du es mit der rollenverteilung beabsichtigst zu handhaben. in den beiden vorigen kapis hab ich tamaki immer als den seme gesehen, da die annährungsversuche zum größten teil von ihm stammten.
nun in diesem kapi ist er seiner sensibelität unterlegen um einiges schwächer als kyoya und dann würde ich kyoya nun als seme betrachten, weil tamas verletzlichkeit ihn auf das anrecht des semes machmal einen Strich duch die Rechnug zieht... Die Entwicklung könnte noch äußerst intressant werden, da du meines erachtens bisher wies den Anschein macht die objektive in angriff nimmst einen stetigen rollenwechsel deiner geschichte einzuverleiben. dies finde ich relativ passend zum pairing, da beide etwas uke- und etwas semehaftes an sich haben. :D

so das war jetzt nen langes kommi... aber es war ja auch ein langes kapi...

mach weiter so! ich freue mich schon auf das nächste kapi!



LG
honig_bienchen
Von: abgemeldet
2009-10-22T08:59:10+00:00 22.10.2009 10:59
tolles kapi. ich habe jeden abschnitt genossen. ein schreibstile it sooooo schön. die reaktionen haben wieder richtig perfekt zu den charakteren gepasst und zu meinen amüsement war die ganze situation von ein klein wenig humor anghaucht. Göttlich Tamas Nasenbluten XD
und das ende war auch wieder sooooo schööööön:D

Von: abgemeldet
2009-10-21T21:44:10+00:00 21.10.2009 23:44
Jaaaa, auf so eine FF hab ich lange gewartet. Hab gerade das erste Kapi gelesen und ich bin voll auf begeistert.


So erstenmal muss ich betonen, dass ich deinen Schreibstiel wirklich mag. Du umschreibst die Situationen und Empfindungen extremst gut und spiegelst so die Lage der beiden nachvollziehbar wieder. Was mir besonders an dem ersten Kapi gefallen hat, war, die Tatsache, dass du dich an die Charaktere der beiden gehalten, aber dennoch das Verhältnis der zwei und somit die damit einhergehenden Veränderung bei dem Verhalten der beiden zueinander beachtet hast. Längst ist Kyoya nicht so eisig und kühl gegenüber Tamaki wie zu anderen diversen Menschen, trotzdem ist er immer noch der berechnende undurchschaubare Kyoya. Nun zu Tama, den du wirklich perfekt aus meiner Sicht hinbekommen hast (Kyo ist auch erfekt geworden).
Hinzu kommt, dass ich deine Umschreibungen der Vorgänge, was die Umgebung anbelangt, sehr treffend finde. Du witmest dich diesen Abschnitten nicht zu sehr und auch nicht zu wenig. Es sind genau in der richtigen Menge Detailles geboten, damit man es sich selbst vorstellen kann und die Handlung nicht langatmig wirkt.


okay ich würd jetzt ja voll gern weiterlesen aber *gääääähhhnnn* es ist schon viel zu spät. so müde. auf alle fälle les ich morgen weiter.
hab ich dann schon mal was, worauf ich mich freuen kann :D
Von:  Dorobbong
2009-10-12T23:40:47+00:00 13.10.2009 01:40
Sehr schöner Stil.
Deine Wortwahl is sowas von beeindruckend.
Ich bin baff.
... und will das Chapter weiter lesen. >.<
Bitte schnell weiter schreiben.

LG
Psy
Von:  Dorobbong
2009-10-12T23:24:46+00:00 13.10.2009 01:24
Ich liebe deine Art zu schreiben.
Ehrlich.
Wunderschön. x)
Von:  Dorobbong
2009-10-12T22:58:36+00:00 13.10.2009 00:58
Darf ich dich küssen? .//.
Gott. Deine Art Dinge zu beschreiben... aus emotionaler Sicht.
Das ist wundervoll.
Die Story ist wunderschön und die Atmosphäre hat mich fast fertig gemacht.
Sowas schönes hab ich schon lange nicht mehr gelesen.
Tamakis wie auch Kyouyas Charakter hast du wirklich eindrucksvoll eingefangen und wieder gegeben.
Ich bin beeindruckt.

LG
Psy~
Von:  Aylen
2009-09-28T17:15:15+00:00 28.09.2009 19:15
Ich sehe die Szene geradezu vor mir, dass ist ja gruselig x'D
Ich mag die FF :3
Von:  PeachBunBun
2009-09-28T13:16:13+00:00 28.09.2009 15:16
*_* die FF ist mega süß!!!
die beiden passen soo toll zusammen und die story ist einfach toll!!!
*ff in meine Favos mach*^^


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