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Sallow Night

eine Ryou/YamiBakura/Amane Story
von

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Sallow Night

prolog

 
 

Es war eine dieser seltsamen Nächte, in denen alles passieren konnte: während der Himmel klar war und den Vollmond neben all den ganzen Sternen beinahe schon blass erscheinen ließ, zog langsam ein dichter weißer Nebel auf und verschlang Stück für Stück das ganze Viertel.
 

Ich liebe solche Nächte. In ihnen lässt sich oft die reichste Beute machen, da einem fast nie jemand unterwegs begegnet.
 

Auch in dieser Nacht waren die Straßen menschenleer, mein Rucksack dafür umso voller.
 

Ich hatte ein Abkommen mit Hikari getroffen: ich erzählte ihm nicht, woher ich das viele Geld hatte und er fragte nicht. So blieb er unschuldig, falls man mich je erwischen sollte, und konnte einfach behaupten, er hätte gedacht, ich habe einen Job. Und ich konnte ihm ungeniert die Welt zu Füßen legen und jeden Luxus verschaffen, den er wollte. Ob ich das legal oder durch Raubzüge schaffte, war egal, solange ich mich von den Häusern seiner Schulfreunde fernhielt - inklusive der Kaibavilla.
 

Schade eigentlich, immerhin stank der Schuppen geradezu vor Geld, aber das verstand Hikari nun mal von Dankbarkeit: der Präsident hatte mir und dem dummen Pharao damals die nötigen Papiere besorgt, als wir unsere eigenen Körper bekamen und deshalb fiel sein Eigentum in die Rubrik "anfassen verboten".
 

Hikari und ich waren seitdem offiziell Brüder.

Ryou und Yoru Bakura.
 

Yoru, Nacht.
 

Ein Name, den er mir schon als kleines Kind gegeben hatte.

Ich redete mir manchmal ein, es wäre sogar das erste Wort gewesen, das er beherrschte. Der Gedanke gefiel mir irgendwie und machte den Namen zu etwas Besonderem.

Der Ring allerdings, der uns damals zusammengebracht hatte, war fort und lag nun irgendwo unter den Trümmern von Klein-Atis Gruft begraben, ebenso das Puzzle und alle anderen Millenniumsgegenstände.
 

Klein-Ati selbst interessierte das nicht, der hatte auch so schon genug um die Ohren, seit sein "Aibuuu" sich (endlich) offiziell als Fan der Masaki geoutet hatte. Die wiederum lief ja schon von Anfang an hinter dem Pharao her und der rannte noch immer seinem Zwerghikari nach. So was nannte man dann wohl einen Teufelskreis, vor allem seit Madam Anzu sich scheinbar für einen Gruftie hielt und nur noch in schwarzen Fummeln durch die Gegend lief.

Grauenhaft.

Zu meinem Pech sah ich die Frau deshalb auch noch andauernd, wenn ich meine geliebte Abkürzung über den Friedhof nahm.

Glücklicherweise hatte sie mich dabei noch nie angesprochen, wer weiß, was ich ihr sonst angetan hätte.
 

In dieser Nacht war sie jedoch nicht dort.
 

Ich war wie vorhergesehen ganz allein unterwegs und begegnete nicht einer Menschenseele; nicht einmal die Katzen trauten sich auf die Straße, als ahnten sie, dass etwas passieren könnte.
 

Und sie hatten Recht.

 
 

Es geschah, als ich wieder daheim war.
 

Wie immer begrüßte Hikari mich mit einem unschuldigen Lächeln und einem "Hallo Yoru. Na, fertig für heute?" und ich antwortete nur mit einem Kuss auf seine Stirn. Ein nächtliches Ritual zur beidseitigen Beruhigung, das wir uns irgendwann angewöhnt hatten. So wusste er, dass mir nichts passiert war und ich, dass es ihm gut ging.
 

Vielleicht war es albern, aber danach konnten wir einfach besser einschlafen. Seitdem der Ring fort war fehlte dieser sechste Sinn für die Gefühle und Gedanken des anderen, was einen - war man ihn erst mal gewohnt - verdammt schnell verunsichern konnte. Intuition hatte man nicht von einem Tag auf den anderen, man musste sie erlernen und wir waren noch dabei.
 

Sonst hätte ich diese seltsame Vorahnung vielleicht nicht als Einbildung abgetan, die sich in dem Moment bestätigte, als es an der Tür klingelte.

Leise vor sich hin summend verschwand Hikari im Flur und öffnete.

Neugierig folgte ich ihm und erstarrte regelrecht zur Salzsäule.
 

Ein Sprichwort besagte zwar, dass jeder Mensch irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger hatte, aber wir hatten uns ja bereits gefunden. Trotzdem stand dort draußen eine weitere Person, die Hikari wie aus dem Gesicht geschnitten war: tiefbraune sanfte Augen, blasse Haut, silbernes Haar, eine zierliche Figur...
 

Es gab nur einen Unterschied: einen gut geformten, handlichen Busen, der sich unter ihrer türkisen Bluse abzeichnete.
 

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intruder

 

 
 

"Du machst einen unerwartet sanften Eindruck, Yoru-kun. Ich hatte dich brutaler in Erinnerung."

Sie konnte sich einschmeicheln soviel sie wollte, das einzige, was sie von mir zu hören bekam, war ein leises Murren. Und ich hatte auch nicht vor, näheren Kontakt zu ihr zu knüpfen, solange ich nicht wusste, wer sie wirklich war.

Klar, sie nannte sich Amane Bakura und behauptete Hikaris jüngere Schwester zu sein. Ähnlich war sie ihm auch.
 

Aber sie war es nicht.
 

Sie konnte es einfach nicht sein.
 

Nur war ich eben der einzige, der auch wusste, warum sie es nicht sein konnte und leider beim besten Willen nicht in der Lage, Hikari einzuweihen.

Und so zeigte er nichts ahnend sein Engelslächeln, während er dieser Betrügerin ein Glas Wasser eingoss, und sie freundlich fragte, wo sie gewesen sei und warum er nie etwas von ihr gehört hatte.

Es gab wahrscheinlich sonst niemanden auf dieser Welt, der so gastfreundlich mit einem Zombie umging, oder was auch immer sie war.
 

Ich selbst bekam von ihrer abenteuerlichen Geschichte nur Bruchstücke mit.

Nach dem Autounfall, bei dem Hikaris Eltern starben, hatten sie wohl irgendwelchen entfernten Verwandten aufgenommen und aus Japan verschleppt. Diese Leute hielten Hikari für verrückt - was musste er auch von mir erzählen - und hatten Angst vor ihm. Und nun, da sie endlich volljährig war, war sie einfach abgehauen und auf eigene Faust hierher gekommen.

Na aber sicher doch... und ich war die Queen von England.
 

Hatte Hikari vergessen, was wirklich gewesen war? Dass er mit angesehen hatte, wie ihr lebloser kleiner Körper von dieser Klippe fiel?
 

Scheinbar.
 

Dass sie während dem Sturz bereits tot war, hatte er nie begriffen und dass ich in jenem Augenblick die Kontrolle über seinen Körper hatte, ebenso wenig.

Für ihn war das Ganze all die Jahre ein tragischer Unfall gewesen und hatte sich nun anscheinend sogar in einen harmlosen, surrealen Alptraum verwandelt.

Er freute sich richtig, sie wieder zu sehen, auch wenn eine seltsame Distanz über ihnen beiden zu schweben schien.

Amane - ich wusste nicht, wie ich sie sonst nennen sollte - wandte sich mit diesem wahrscheinlich genetisch veranlagten Lächeln schließlich zu mir um und wollte wissen, weshalb ich einen eigenen Körper hatte.

Schon skurril, wenn eine Tote einen so etwas fragte.

"Frag Hikari."

Ich hatte genug von dieser Frau und verzog mich nach oben in mein Zimmer, schloss ab und legte möglichst laute Musik ein.
 

Es ging wirklich nichts über ein eigenes Zimmer.
 

Gut, ziemlich genau an der Stelle, an der ich gerade stand, hatte sich der Vorbesitzer umgebracht, aber ich war nun wirklich der Letzte, der sich an so was störte. Außerdem hatte Hikari sich genau so ein Haus gewünscht - na ja, nicht ein Haus mit einem geisteskranken Vorbesitzer, aber eines, mit genau 3 Schlafzimmern, zwei Bädern, einer Küche, Keller, Wohnzimmer und Dachboden.

Da konnte er lächeln, so viel er wollte, er wusste schon immer ganz genau, wie man andere dazu brachte, einem das zu geben was man haben wollte.

Drei Schlafzimmer waren notwendig, falls wir mal Besuch bekamen, was aber eigentlich nie geschah. Reine Vorsichtsmaßnahme eben, die sich mit dem Auftritt dieser Betrügerin sogar zu lohnen schien.
 

Mein Blick fiel auf die Uhr.
 

Schon halb vier...
 

Es hämmerte an der Tür.

Natürlich war es Hikari.

Und natürlich lächelte er.

 
 

Manchmal war mir wirklich danach, in dieses Lächeln hinein zu schlagen, aber das hatte ich vor längerer Zeit schon oft genug getan. Aus diesem Grund war die Bezeichnung makellos für seinen Körper eigentlich auch nur pures Wunschdenken meinerseits. Auf seiner Brust befanden sich genau fünf kleine Narben, durch die sich der Ring des Öfteren in seine Haut gegraben hatte.

 

Nicht zu vergessen die lange Schnittwunde am linken Oberarm, die ich ihm während des einen DuelMonsters-Turniers verpasst hatte und zwei Stichverletzungen an seiner Taille - eine vorn, eine hinten - als ich damals meinen eigenen Körper gefeiert hatte und vor lauter gute Laune das große Küchenmesser nach ihm warf. Das hatte ihn dummerweise regelrecht an der Wand fest gepinnt und im Nachhinein bin ich doch ein klein wenig erleichtert, dass es ein paar Zentimeter an der Schlagader vorbeigegangen war.
 

Ach ja, hatte ich bereits die Wunde in seiner linken Handfläche erwähnt? Ich hatte seine Hand während eines Rollenspiels auf das Dach des dazugehörigen Schlosses gespießt, als Hikari versucht hatte, die Kontrolle über seinen Körper zurück zu erlangen. Danach konnte man regelrecht durch sie hindurch sehen und komplett heilen tat sie nie. Ein oder zwei Mal hatte sie sogar schon versucht, ihn zu erwürgen.
 

Und trotzdem lächelte er.

 
 

"Könntest du ein wenig leiser machen, Yoru? Ich geh jetzt schlafen."

Ich nickte. "Ist sie immer noch da?"

"Sie wird hier bleiben, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hat. Könntest du ihr heute Vormittag die Stadt zeigen, während ich in der Uni bin?"

"Du weißt genau, dass ich bis eins schlafe. Kann sie sich nicht alleine umschauen? Immerhin hat sie doch auch hergefunden."

"Bitte, Yoru."
 

Dieser... argh! Bei jedem anderen klang das Wort 'Bitte' auch nach einer Bitte, nur bei Hikari klang es wie eine Feststellung. Wenn er um etwas bat, dann ging er einfach davon aus, dass er seinen Wunsch erfüllt bekam und gab sich auch nicht die Mühe, das zu verbergen.

Hatte ich ihn zu sehr verwöhnt?

Wahrscheinlich.
 

"Hm..."

"Gut. Dann schlaf schön, bis morgen."

Weg war er und handzahm, wie ich war, stellte ich auch noch brav die Musik leiser.
 

Kurz darauf klopfte es wieder. Diesmal war es Amane.
 

In einem schwarzen Seidennachthemd, das gerade so ihre Hüften bedeckte, schlüpfte sie in mein Revier und sah mich stirnrunzelnd an. Erst jetzt konnte ich die Tätowierung an ihrem linken Arm erkennen, die sich genau dort befand, wo ich Hikari einst Mariks Millenniumsstab hineingerammt hatte.

Schwarzes Dornengeflecht, aus dem eine blutrote Rose und eine gleichfarbige Knospe sprossen, schlang sich um den Oberarm der Betrügerin und wirkte im Vergleich zu ihrer milchweißen Haut so schwer, dass es auf den ersten Blick schien, als versuchte es, ihr den Arm abzureißen.
 

"Was willst du?"

"Passiert es öfters, dass sich bei euch Gegenstände von allein bewegen?"

"Das war sicher Ed."

"Ed?"
 

Ja, Ed. Wie Edvard Munch. So hatten Hikari und ich den toten Vorbesitzer getauft, dessen Geist in diesem Haus des Öfteren sein Unwesen zu treiben schien, nachdem wir auf dem Dachboden verstaubte Imitate einiger Gemälde vom gleichnamigen Maler gefunden hatten. Vielleicht gab es auch rationalere Erklärungen für das Eigenleben gewisser Einrichtungsgegenstände, aber die Vorstellung einer verirrten, ruhelosen Seele war mir persönlich irgendwie lieber.
 

"Unser Hausgeist."

"Macht er noch andere Sachen außer herumzuspuken?"

"Bisher nicht."

Ein leises Schmunzeln breitete sich auf ihren Lippen aus. "Da bin ich ja beruhigt."

"Schön für dich."

"Gute Nacht, Yoru-kun."
 

Und wieder war ich allein.
 

Und frustriert.
 

Amane hatte keine Angst vor mir. Nicht mal ein klitzekleines Bisschen. Sogar der harmlose alte Ed machte ihr mehr Sorgen als ich und der spukte nur friedlich herum, während ich derjenige war, der...

Sie wusste, wer ich war.

Sie hatte mich damals gekannt und jedes Mal geweint, wenn ich die Kontrolle über ihren Bruder hatte.

Und nun lächelte sie und tanzte in abartig kurzen Fummeln vor mir herum.

Ich musste herausfinden, was sie wirklich hier wollte... jedenfalls sobald ich ausgeschlafen und gefrühstückt hatte.
 

~

 
 

Als ich gegen 10 aufwachte war Hikari schon außer Haus. Seine erste Vorlesung fing bereits um acht oder so an.

Da ich Amane auf dem Weg zur Küche nirgendwo begegnete, fing ich an mir einzureden, ihr Auftauchen wäre nichts weiter als ein dummer Alptraum gewesen.

Leider... leider irrte ich mich.

Für meinen Geschmack etwas zu real fand ich sie später in meinem Zimmer vor, wo sie sich ungeniert umschaute. Anscheinend schreckte diese Frau nicht einmal vor dem Eigentum anderer Leute zurück.

Das hier war mein Revier!

Sperrgebiet für Betrügerinnen!

Mit einem verteufelt typischen Engelslächeln wandte sie sich zu mir um und deutete auf eines der Poster an der Wand. "System of a Down? ... Du hörst Musik?"

Nur wenn die Stille zu laut wurde. "Was willst du?"

"Onii-san meinte, du würdest mir heute die Stadt zeigen."

Soso, meinte er das... verdammter Hikari! "Dann wird das wohl auch stimmen."

"Schön."

"Hast du keine Angst, alleine mit mir zu sein?"

"Sollte ich denn?"

Gute Frage. Sollte sie? "Ja."

Ein amüsiertes Schmunzeln. "Passt du denn nicht auf mich auf, wenn wir unterwegs sind?"

Erwartete sie darauf ernsthaft eine Antwort? Wenn ja, dann konnte sie lange warten.

Murrend ließ ich sie stehen, schnappte mir einen Stapel Klamotten und verzog mich ins Badezimmer.

Das letzte, was ich aus ihrer Richtung hörte, war ein "Ich warte draußen."
 

Ich verzichtete darauf, mich bemerkbar zu machen, als ich aus dem Haus trat.

Stattdessen beobachtete ich stumm die junge Frau, die aus diesem verheulten kleinen Mädchen geworden war.

Mit ihrem - Hikari ähnelnden - zierlichen Körper, ihrer scheinbar schwerelosen Art sich fortzubewegen und dem pastelllilanem Kleid, das sich durch den leichten Wind mal eng an ihren Körper schmiegte, mal fast davon geweht wurde, glich sie beinahe einem Schmetterling.

Sie war im wahrsten Sinne des Wortes bildhübsch und ich hasste sie dafür.

Genauso wie für das zuckersüße Lächeln, dass sie mir plötzlich zuwarf und bei dem ich mich am liebsten sofort übergeben hätte.

"Gehen wir?"

Ich nickte nur. Lust mit ihr zu reden hatte ich nun wirklich nicht.

Mein Blick fiel auf die voll gehängte Wäschespinne und wieder einmal wurde mir beruhigenderweise klar, dass ich nicht der einzige Verrückte hier war.

Dass Hikari einen mindestens genauso großen Schaden hatte wie ich.

Alle Wäscheklammern waren farblich aufeinander abgestimmt: sämtliche Socken waren mit gelben Klammern befestigt, die Unterwäsche mit Weiß, die Hosen mit Blau usw...
 

Ich erinnerte mich mit einem leisen Schmunzeln daran, wie Hikari vor ein paar Wochen völlig aufgelöst mit einem halbvollen Wäschekorb unter dem Arm in die Stube gestürzt kam und irgendetwas von "12 rote fehlen... und 14 weiße... ich hab eine einzelne gelbe gefunden, das heißt da fehlt auch eine..." vor sich hin stammelte.

Da es Sonntag war und alle Läden zu hatten, musste ich zu guter Letzt los und ihm am helllichten Tag welche klauen, damit er sich wieder beruhigte. Kaum war ich zurück, breitete sich ein ausgeglichenes und rundum glückliches Lächeln auf seinem Gesicht aus und er verschwand wieder im Garten, um die restlichen Sachen aufzuhängen.

Es gab Leute die sich am Tag exakt 30 Mal die Hände waschen mussten.

Es gab Leute, die auf den Fußwegen in bestimmten Mustern über die Pflastersteine gehen mussten.

Und es gab Hikari, der seine farbig abgestimmten Wäscheklammern brauchte.

Wenn ich geisteskrank war, was war dann er?
 

Während ich über solche und ähnliche Dinge nachdachte, betraten wir - also Amane und ich - die fast leere S-Bahn, die uns in die Innenstadt bringen sollte. Trotz der vielen freien Plätze standen wir und ich musste ihr an jeder Station erklären, wo wir waren und was es dort zu sehen gab.

Je länger wir zusammen waren, umso bewusster wurde mir die verblüffende Ähnlichkeit zwischen ihr und Hikari. Sie erinnerte mich an ihn als Teenager. Als er zusammen mit dem Pharao nach Ägypten ging, um zuzusehen, wie Atilein und der Gartenzwerg sich duellierten. Um den beiden unseren Ring zu überlassen.

Damals war er noch viel aktiver.

Reiste herum - zwar nicht ganz freiwillig aber immerhin - und erlebte etwas.

Aber seit die Schule vorbei war und seine wenigen Freunde sich immer mehr zerstreuten und eigene Existenzen aufzubauen versuchten, zog er sich immer weiter zurück.

Bis nur noch sein kleiner Alltag, sein kleiner Garten und seine Grübeleien übrig waren. Bis es plötzlich wichtig wurde, welche Farben die Wäscheklammern hatten.

Einmal im Monat Treffen mit der alten "Clique" in irgendeinem Pub. Perfektes Leben heucheln. Leben heucheln.

Ich blieb daheim.

"Was ist das da?" Neugierig blickte Amane mich an und zeigte auf einen gläsernen Wolkenkratzer. Sie war sicher die einzige auf diesem Planeten, die ihn nicht kannte.

Ich musste grinsen. "Das ist der Hauptsitz der Kaiba Corporation."

"Kaiba Corporation?"

Nicken. "Ein Bekannter aus Hikaris Schulzeit leitet den Schuppen. Die KC stellt irgendwelchen Elektrokram her oder so." Yeah, der Präsident würde mich mit seiner alten DuelDisk erschlagen, hätte er das gehört. Ich hatte nichts gegen ihn. Aber trotzdem überlegte ich, ob ich mit dem Mafiamärchen über ihn noch eins draufsetzen sollte - eines meiner persönlichen Lieblingshighlights.

"Ach so. Der Reiche, von dem Onii-san erzählt hat."

Herzallerliebst. Na ja, zumindest hatte er ihr das Wichtigste gesagt: dass es dort Geld gab. Mehr musste sie auch nicht wissen.

"Next stop: Domino main station. Please exit the train on the left hand side. Nächster Halt: Domino Hauptbahnhof. Bitte links aussteigen."

Ich mochte Bahnhöfe nicht.
 

Aber Gleise.
 

Blankpolierte Bahngleise, von pechschwarzem Schotter umgeben, angenehm warm in der Abendsonne. So, wie sie nur wenige hundert Meter von unserem Haus entfernt lagen. Einer meiner Lieblingsorte.

Dank der lautstark klingelnden Schranke in der Nähe war ich bisher auch noch nicht überfahren worden.

Die Bahn hielt und wir stiegen artig auf der linken Seite aus.

"Ich hab gehört, hier in der Nähe gibt es einen schönen Park."

Man hörte viel, wenn der Tag lang war. Aber wenn Mademoiselle in den Park wollte: Bitte sehr...
 

Es endete damit, dass wir bei kitschigem Wetter auf einer Parkbank saßen und ich ihr dabei zusehen durfte, wie sie neontürkises und babyrosanes Eis aß.

Angenehmes Schweigen herrschte.

Die perfekte Gelegenheit also, um herauszufinden, wer sie war.

Ich hatte noch nicht einmal Luft geholt um sie zu fragen, als sie auch schon als erste die Stille brach.

"Ihr habt euch sehr verändert."

"Soll passieren."

"Onii-san ist..."

Schwach? Feige? Furchtbar? Unheimlich? Peinlich? Ich hatte noch mehr auf Lager.

"... ist irgendwie seltsam. Er kommt mir fremd vor."

Nett formuliert. "Ach?"

"Er ist hübsch geworden und so... zerbrechlich. Aber schweigsam."

Wie man's nimmt...

"Du auch."

"Was?"

Sie blickte mich sanft lächelnd an und leckte dann den Rand ihrer Eiswaffel ab, damit es nicht tropfte. "Du redest auch nicht gerade viel. Hübsch bist du auch, aber anders."

Das wollte ich aber auch hoffen! "Im Gegensatz dazu redest du aber sehr viel."

"Nur, wenn ich etwas wissen will."

Es hätte mich gefreut, wenn Hikari weniger schweigsam gewesen wäre. Dann hätten wir mehr miteinander reden können. Nicht über das Wetter, über Essen, über andere... über Wichtiges. Aber das, was wichtig war, konnte ich ihm nicht sagen. Er hätte es nie verstanden. Würde es nie verstehen. Wäre verletzt.

Ich sollte froh sein, dass er schwieg.

Mein Blick fiel auf die bunt gefleckte Blumenwiese und blieb schließlich an einem schneeweißen Schmetterling haften, der - scheinbar nach einem sonnigen Plätzchen suchend - geschäftig umherflatterte.

Ob ich es noch konnte?

Ihn fangen ohne zu zerquetschen?

Wären keine Leute da gewesen, hätte ich es sicher versucht.

"Yoru-kun?"

"Hm?"

"Tust du Onii-san noch weh?"

Diese Frage passte nicht in das Bild. Jedenfalls nicht in meins.

In ihrs schon.

Ich stand auf und wandte mich zum Gehen.

"Lässt du mir Geld für die Rückfahrt da?"

Meine Hand glitt in die Hosentasche, holte ein paar Münzen heraus und warf sie achtlos hinter mich.

Hörte sie zu Boden fallen. Ohne mich noch einmal umzudrehen ließ ich Amane allein.

 
 

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my own summer

 

 
 

Auf meiner Tour durch die Stadt hatte ich immer wieder das Gefühl, dass sie mich beobachtete.
 

Wie ein paranoider Idiot drehte ich mich alle paar Meter um und hielt Ausschau nach einem bunten Schmetterling.

Wurde von nicht wenigen Passanten misstrauisch beäugt.

Die Sonne brannte mir brutal auf den Kopf.

Der Tag wollte und wollte kein Ende nehmen, so sehr ich mich auch nach der kühlen, frischen Nacht sehnte.

Nach meinem geliebten Raubzug.

Zu gern wäre ich ein einfacher Taschendieb gewesen.

Einer von vielen in der Menschenmenge.

Damit ich auch bei Tag etwas zu tun hatte.

Aber mit meinen strahlend weißen Haaren und der hellen Haut war das leider unmöglich.

Aus diesem Grund war ich auch Räuber und nicht Dieb. Da gab es einen kleinen aber feinen Unterschied.

Für mich jedenfalls.
 

Unbewusst hatte mein Weg mich zum Campus geführt.

Auch hier lagen immer wieder nachdenkliche Blicke auf mir, wahrscheinlich hatte Hikari von mir erzählt oder man hielt mich schlicht und ergreifend für ihn.

Ich tippte auf zweiteres.

Interessanterweise war er der einzige aus der "alten Clique", der die Universität besuchte, wenn man einmal von Kaiba jr. absah, der diesen Oktober angeblich damit anfangen sollte.

Die anderen, auch sein "Nii-sama", arbeiteten oder hingen als erbärmliche Schmarotzer ohne Zukunft ihren Eltern am Bein.

Gut, der einzige Schmarotzer war unser Anzu-Gruftimäuschen, das auch noch die meiste Zeit am jammern war, weil angeblich niemand sie mochte und alle gegen sie waren.

Wäre Atis Gartenzwerg tot, würde das vielleicht sogar hinhauen.

Woher ich das alles wusste?

Von Hikari, der gerade mit einem (für Laien) umwerfenden Lächeln aus einer der vielen Türen spazierte und sich mit einem Kommilitonen oder jungen Professor unterhielt - wahrscheinlich über die Dummheit anderer Leute.

Ich hörte das leise Knirschen meiner Zähne.

Spürte mein Herz schneller schlagen.

Meine Fäuste schmerzen.

Dieses erhabene Zuckersmile kotzte mich an.

Genauso wie diese aufdringliche Sonne, die noch immer auf meinen Kopf knallte. Es leicht darin hämmern ließ.

Murrend fuhr ich mir durch die Haare.

Fühlte die Blicke der Frauen und auch einiger Männer auf mir liegen.

Ihre Faszination.

Alle hier waren hingerissen von mir, vor allem die, die mich als Hikaris "Bruder" erkannten.
 

Alle.
 

Ausnahmslos.
 

Bis auf Hikari selbst.
 

Ich konnte ihn schlecht am Arm packen und wie ein alberner, betrogener Geliebter nach Hause zerren.

Also machte ich einfach auf der Hacke kehrt und verschwand irgendwo in der brütenden Sommerhitze.
 

Wie nicht anders zu erwarten ging es mir bei meiner Heimkehr beschissen.

Aus lauter Trotz hatte ich einen Bogen um alles gemacht, was schattig war und nun zwar keinen richtigen Sonnenstich aber dafür immerhin das Gefühl, gleich kotzend aus den Latschen zu kippen.

Zu ihrem eigenen Glück kam Amane mir nicht noch vor die Nase, sonst hätte ich meine schlechte Laune vielleicht an ihr ausgelassen.

Hikari saß im Wohnzimmer und verfolgte irgendeine Dokumentation über ägyptische Archäologie. Hatte davon noch immer nicht die Nase voll, nach allem was passiert war.

An der Wand hinter ihm saß eine riesige Spinne; schwarz, glitschig, ihr Körper so groß wie mein Kopf. Meine Umgebung verlor jede Farbe und wurde zu einem schwarz-weiß Stummfilm.

Ich achtete nicht weiter darauf.
 

"Hikari?"
 

Er sah auf. Von seinen Augen aus bahnten sich dickflüssige schwarze Tränen, wie zerlaufenes MakeUp, ihren Weg über sein weißes Gesicht. Die Porzellanlippen formten ein lautloses "Ja?".

Sollte ich ihn darauf aufmerksam machen, dass das Fenster noch offen war? Nicht dass die schwarzen Falter von draußen hereinkamen, wenn es dunkel wurde...

Wieder bewegte sein Mund sich. "Yoru?" Kein einziger Ton.

"Nichts." Ich drehte mich um und rannte ins Bad, um mich zu übergeben. Danach schleppte ich mich in die Küche und legte mir eine Packung gefrorener Erbsen auf den überhitzten Schädel, wohl wissend, dass die pralle Sonne nichts mit den "kleinen" Sinnestäuschungen zu tun hatte, die mich manchmal heimsuchten.

Wahrscheinlich lag ich dann noch ein paar Minuten ohnmächtig auf dem Küchentisch, kam jedoch in einer von Geräuschen durchzogenen, farbigen Welt ohne Riesenspinnen wieder zu mir.
 

Irgendwann gewöhnte man sich daran.
 

Ich legte die Erbsen ins Gefrierfach zurück, spülte mir den Mund mit Wasser aus und ging wieder zu Hikari.

"Zu spät, Yoru, die Doku ist gerade vorbei."

Der einzige Grund bei ihm zu sein?

 
 

~

 
 

Hikari und ich betraten das Haus, zusammen mit seiner Mutter.

Wir gingen in die Küche, wo die Frau begann herumzuwirtschaften und für sich und ihren Sohn etwas zu trinken hinzustellen.

Hikari war 16 oder 17.

Ich setzte mich und legte - die Arme hinter dem Kopf verschränkt - die Beine auf den Tisch.

Plötzlich sah sie mich an.

Und sprach, ohne den Blick von mir abzuwenden, mit ihrem Sohn darüber, dass ich ein gottloser Parasit sei.

Lächelnd verteidigte er mich.

Ich hatte sie noch nie in so einem Ton reden hören.

Sie fragte, ob ich meinen Körper verkaufte.

Hikari sah sie entgeistert an. Ich grinste.

Sie fragte, ob ich Menschen verletzte.

Hikari schwieg. Ich grinste noch immer. "Manchmal."

Ob ich stehlen würde. Betrügen. Lügen.

"Wenn etwas dabei heraus springt, warum nicht?"

Auf einmal schrie sie ihren Sohn an, er solle mich am besten verstoßen. Sich nicht mehr mit mir abgeben.

Mit einem Gefallenen, wie sie sich ausdrückte.

Ich sprang auf und verließ den Raum. Hikari folgte mir.

Sie schrie noch immer.

Ich schaute mein anderes Ich an und fühlte das Blut in mein Gesicht schießen. Mein Herz schlagen. "Lass uns weglaufen."

Er zögerte kurz und nickte dann. Ließ sich an die Hand nehmen und aus dem Haus führen.

Rannte mit mir auf die Straße.

Erst wussten wir nicht wohin. Dann entschieden wir uns für den Bahnübergang.

Kaum berührten meine Füße die Gleise, war das Läuten von Glocken zu hören und die Schranke zu.

Ein Zug kam auf mich zu.

Hikari zerrte mich beiseite, in das hohe Gras zwischen den Gleisen.

Schon donnerte der Zug an uns vorbei.

Wind.

Ich wollte weiter, aber aus der anderen Richtung kam ein weiterer Zug.

Und noch einer.

Die Glocken, die seltsamerweise direkt an den langen Schranken hingen, hörten nicht auf zu läuten.

Totenglocken.

Wir saßen fest.

Wann immer wir weiter wollten kam ein weiterer Zug.

Langsam wurde es dunkel.

Hikari sah mich vorwurfsvoll an.

Als hätte ich ihn gezwungen, mitzukommen.

Als wäre es meine Schuld.

Die Glocken wurden lauter und der Boden bebte leicht.
 

Ich wachte auf.
 

Die Gleise waren warm von der Abendsonne.

Weicher Wind strich durch das Gras.

Ich lag oft hier, etwas abseits vom Bahnübergang selbst, wenn ich allein sein wollte.

Aber es war das erste Mal, dass ich eingeschlafen war.

Das Glockenläuten aus meinem Traum begleitete mich noch immer.

Neben mir stand Amane und hielt mir die Hand hin. "Ein Zug kommt. Steh auf."

Ich griff zu und ließ mich auf die Beine ziehen. Kaum trat ich auf die ersten Grashalme, rauschte auch schon der angekündigte Zug an mir vorbei.

Amane lächelte.

Ich hätte mir gewünscht, dass Hikari mich in meinem Traum so angesehen hätte.

Wir warteten noch, bis die Schranke wieder nach oben ging und mit ihr die Glocken verstummten.

Dann machten wir uns schweigend auf den Heimweg.
 

Hey you, big star, tell me when it's over

Hey you, big mood, guide me to shelter

'Cause I'm through

When the two hits the six and it's summer
 

Cloud come shove the sun aside
 

I think, god is moving it’s tongue

There're no crowds in the streets and no sun - in my own summer
 

The shade is a tool

A device a savior

See I try to look up to the sky but my eyes burn
 

Cloud come shove the sun aside
 

(lyrics: Deftones – My own summer)

 
 

___________________________________________
 

playin' around with knives

 

 
 

Im Nachhinein fände ich es schön, wenn Hikari diese Geschichte miterzählen könnte.

Mir helfen könnte, das Geschehene zu ordnen. Zu sortieren.

Nein.

Eigentlich fände ich es furchtbar.

Ich könnte das keine Sekunde ertragen.

Er kann nicht gut erzählen.

In seinen Erzählungen passiert nichts und wenn etwas passiert, dann ist immer jemand schuldig.

Irgendwer trägt die alleinige Verantwortung dafür, dass die Dinge nicht wie geplant gelaufen sind.

Und in dieser Story wäre ich es wohl.

Es gibt schließlich nur 3 Personen: Hikari, Amane und mich.

Hikari ist das Opfer. Alle machen etwas falsch, er leidet darunter - war immer so, wird immer so sein.

Amane war die Neue. Platzte einfach in unseren gläsernen Palast hinein in Gestalt einer reinen und unschuldigen Jungfrau.

Wer bleibt übrig?

In einem Kinderrätsel ist es das "und".

In meinem Rätsel auch.

Es waren einmal drei Kinder: Ryou, Amane und Yoru.

Ryou und Yoru spielten gerne kaputtes Spiegelbild, sahen sich unendlich lange schweigend an und erstachen sich dabei, ganz langsam.

Amane kam erst sehr spät dazu und zog die Messer aus ihnen heraus. Wusste nicht, dass die Wunden nun noch stärker bluten würden als zuvor.

Fing sich ein tadelndes Lächeln von Ryou ein.

Yoru nahm Amane die Messer wieder weg und stieß sie sich lachend ins rote Fleisch zurück - dorthin, wo sie herkamen. Hatte danach noch ein paar übrig und bohrte auch die in seinen Kinderkörper.

Und Amane verschwand im hohen Gras, als sie einen hübschen Schmetterling entdeckte.

Ryou, Amane und Yoru.

Einer ist schuld.

Ryou ist das tapfere Opfer, das weiter lächelt.

Amane das nichts ahnende Schmetterlingsmädchen.

Yoru ohne Alibi, mit Beweisen überlastet, von Zeugen erkannt und mehrfach vorbestraft - aber zur Tatzeit unzurechnungsfähig.

Wer bleibt übrig?

Das "und".

Das Komma.

Und viele viele tiefe Wunden.

Aber genug Geld für Ryou, um sich neue Messer zu kaufen.

Ryou, Amane und Yoru.

Drei Kinder.

Tote Kinder.

Eingesperrt, ermordet und verrückt.

Selbstmord, Mord und Totschlag.

Wer ist schuld?
 

Wie immer mit vollen Taschen kehrte ich auch in dieser Nacht gegen 2 Uhr heim.

Hikari empfing mich lächelnd an der Tür.

Bekam aber keinen Kuss auf die Stirn, trotz (oder gerade wegen) der Unschuldsmiene.

"Warst du erfolgreich?"

Idiotische Frage. "Natürlich."

"Gut. Die Stromrechnung ist fällig."

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Es fehlten nur noch die ausgestreckten hohlen Hände. "Was interessiert mich deine Stromrechnung? Besorg dir gefälligst selbst Geld."

Verständnisloses Blinzeln. "Woher denn?"

"Andere schaffen das auch, denk dir eben was aus!" Schon ließ ich ihn stehen und verschwand in meinem Zimmer.

In solchen Momenten hasste ich Hikari. Abgrundtief.

Klar, meine Reaktion war völlig übertrieben gewesen, aber...

Warum ich?

Warum musste ich Geld besorgen?

Energie verschwenden?

Für ihn?

Ich wollte ihm helfen.

Ich wollte ihn glücklich machen.

Alles ermöglichen.

Die Welt zu Füßen legen...

Weil er mein Hikari war.

Weil er alles war.

Alles.

Aber es reichte nicht.

Ich gab alles.

Gab IHM alles.

Wenn er schwach wurde, gab ich ihm Kraft.

Nicht so weich und vorsichtig wie andere - damit erreichte man nichts.

Ich schlug mit meiner Kraft auf ihn ein. Immer und immer wieder. Überrannte ihn damit. Bis er entweder zusammenbrach oder sie in sich aufnahm.

Es gab Tage, an denen ich nichts anderes tat.

Meist waren es die Wochenenden, wenn er keine Vorlesungen hatte und nichts mit sich anzufangen wusste.

Dann begann er nachzudenken.

Viel zu viel nachzudenken, vor allem über alles Schlechte in der Welt.

In seiner Welt.

Seine scheinbare scheinheilige Hilflosigkeit.

Er verlor sich in seinen Gedanken.

Erinnerungen.

Wurde schwach.

Dann packte ich ihn und schrie ihn an.

Er solle gefälligst raus und den Sonnenschein genießen.

Unter Leute gehen.

Verreisen, möglichst weit weg.

Nein, er sei wetterfühlig und spüre wie Wolken aufzogen.

Nein, er wolle allein sein.

Nein, er habe in der Stadt zuviel zu tun.

Es tat weh.

Es war das einzige, was mir wirklich wehtat.

Mich dazu brachte, noch mehr Energie zu investieren, bis er sich endlich aufraffte.

Und wenn er dann am Montag mit meiner Kraft in sich zur Uni ging, lag ich regungslos im Bett.

Ausgelaugt.

Antriebslos.

Selbst schwach.

Und... ich... ja, ich war unglücklich.

Sehr sogar.

Weil ich wusste, er würde nie stark sein.

Weil ich nichts daran ändern konnte, solange er keine Änderungen wünschte.

Aber mir meine ganze Kraft aussaugen, wie ein Vampir, das konnte er gut.

Ich hasste ihn dafür.

Immer nur nehmen, nehmen, nehmen.

Immer mehr.

Nicht aufstehen und sich selbst um Energie kümmern, nur von der anderer leben.

Nur von meiner leben.

Und nichts dagegen tun.

Weil er nicht einmal merkte bzw. merken wollte, wie sehr er allen wehtat.

MIR wehtat.

Und dafür hasste ich ihn noch mehr.

Weil er sich für stark hielt.

Weil er dachte, langfristig unangenehme Situationen und Unzufriedenheit ertragen zu können, zeuge von Stärke.

Von wegen.

Etwas Schwächeres gab es wohl kaum.

Niemand gewann einen Kampf, indem er in der Defensive ausharrte.

So konnte man höchstens ÜBERleben.

Um wirklich zu leben, musste man aufstehen und mit lautem Schrei allem, was es einem schwer machte, abschwören. Den Krieg erklären.

Kämpfen.

Auch auf die Gefahr hin sich zu verletzen.

Zu sterben.

Besser mit Pauken und Trompeten untergehen, als still und leise vor sich hinzudümpeln und nie gelebt zu haben.

Wer nur ausharrte und auf ein Wunder wartete, verdiente kein Glück.

Nur den langsamen, schleichenden Tod.

Oft stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn Hikari sich umbringen würde.

Mir vorher Bescheid gäbe.

Dann würde ich ihm alles sagen.

Alles.

Dass ich ihn hasste.

Dass es gut war, dass er starb.

Weil er zu schwach für das Leben war.

Dass ich mir einen anderen Hikari gewünscht hätte.

Einen hell leuchtenden, von innen heraus strahlenden Engel voller Kraft.

Dass ich besseres verdient hatte.

Und dass ich nicht um ihn weinen, sondern lachend auf seinem Grab herumtanzen würde.

Weinen machte müde und erschöpft.

Und erschöpft war ich wegen ihm auch so schon oft genug.

Er hatte es nur nie bemerkt.
 

Das einzige, worum ich den hohlen Pharao je beneidet hatte war die Tatsache, dass sein Hikari, sein Licht, echt war.

Wenn der Gartenzwerg ihn ansah und lächelte, konnte man förmlich sehen, wie Klein-Atis Kraft und Entschlossenheit zunahmen.

Und er lächelte ebenfalls.

Sogar, wenn er nur an seinen Aibuuuh dachte.

Und ich?

Ich wollte nicht an meinen denken.

Tat es aber die ganze Zeit.

Je weniger er an mich zu denken schien, umso mehr dachte ich an ihn.

Und je mehr ich an ihn dachte, umso mehr hasste ich ihn.

Er war nicht echt.

Wie ein Hologramm.

Faszinierend, schillernd.

Aber durchscheinend.

Ich durfte ihn nicht einmal berühren.

Nur flüchtig einen Kuss auf die Stirn hauchen.

Er konnte mich nicht berühren.

Konnte mir keine Kraft geben, weil er keine hatte.

Redete sich ein, dass ich keine wollte, solange ich nicht darum bat.

Mischte sich aber in alles ein.

Verurteilte alles, was nicht seinen Ideen entsprach, als nicht gut genug für ihn.

Dachte an die Probleme anderer.

Sah seine eigenen nicht.

Das war alles andere als ein nobler Wesenszug.

Es war ein feiges Versteckspiel.

Nichts weiter.

Schwäche.

Und ich konnte nur noch hassen...

Und tat es auch.

Bedingungslos.

Aus tiefstem Herzen.

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black moth
 

Wochenende.

Der schlimmste Teil der Woche.

Normalerweise.

Diesmal nicht.
 

Amane war da und hielt Hikari auf Trab, ließ nicht zu, dass er sich in seinen Gedanken verlor.

Barfuß und mit einem federleichten lindgrünen Sommerkleid bekleidet, erkundete sie den Garten, naschte von den Himbeeren, spielte mit der Nachbarskatze und platzte Hikari in sein heiliges Kreuzworträtsel, um ihn zu verbessern, wenn er sich irrte.

Er hasste das, sagte aber nichts, sondern lächelte.

Nur bei den Erdbeeren, da hatte er ein Machtwort gesprochen.

Seine jährliche Ernte stand erst noch bevor.

Einen herzzerreißenden Augenaufschlag später erhielt seine Schwester dann immerhin die Erlaubnis, das zu pflücken, was schon blutrot und fast überreif war.

Nicht einmal mir war diese Ehre vergönnt.

Irgendwann brach die Nacht herein und mit ihr mein Verlangen, auszugehen.

Hikaris Antwort: zu gefährlich in der Innenstadt, er bleibe hier.
 

Schön, dass er mir so vertraute.
 

Ich hasste ihn wieder.
 

Amane biss sich grinsend auf die Unterlippe, bat um eine zehnminütige Frist und verschwand dann in ihrem Zimmer um sich umzuziehen.

Dabei hatte ich sie nicht einmal gefragt, ob sie mit wollte.

Dabei kam ich auch gut allein zurecht.

Dabei... wünschte ich mir eigentlich, dass Hikari mitkam.

Dass er sich von mir in alle finsteren Gassen führen ließ.

In die stickigen Kneipen.

Durch den verlassenen Park.

Himmel, dass ich ihm wenigstens mal die Stadt zeigen konnte, in der er lebte und die er gerade mal zur Hälfte kannte!

Aber nein.

Zu gefährlich.

Zu gefährlich mit mir.

Zu gefährlich trotz mir.

Idiot.

Zwanzig Minuten später erschien seine Schwester wieder.

Ein knappes zitronengelbes Top und Jeansrock.

Pferdeschwanz.

Glänzende Lippen wie aus Zuckerguss.

So hübsch, dass ich am liebsten nach dem Küchenmesser gegriffen hätte um sie abzustechen.

Wenn Hikari ausging, brauchte er auch immer lange, sah aber anschließend trotzdem genauso aus wie vorher, abgesehen von anderen Klamotten. Ich versuchte erst gar nicht herauszufinden, was er so lange trieb.

Unnötiges Wissen, das eh bloß belastete, da war ich mir sicher.

Ich war wieder wütend auf ihn, wie so oft, schlüpfte in meine Jeansjacke, steckte meine Schlüssel ein und ging einfach.

Amane folgte mir.

Interessierte sich dafür, wohin ich wollte.

Genoss die leeren Straßen und das Herzklopfen, das sie bekam, wenn wir an einer dunklen Nebenstraße vorbeikamen, aus der uns leuchtende Augen anzustarren schienen.

Vertraute völlig darauf, dass ich sie beschützte, falls etwas passierte.

Ich hasste sie gleich noch mal so stark.

Sie ähnelte immer mehr dem Hikari, den ich haben wollte.

Der schon das ein oder andere Mal durch meine Träume spaziert war.

Wegen dem ich jedes Mal wieder einzuschlafen versuchte.

Aber sie war nicht mein anderes Ich.

Und das war das Problem.
 

Kneipe.

Rauch.

Sie eine niedliche kleine Limo.

Ich eine Coke und den unerfüllbaren Wunsch, noch Whiskey oder Rum hineinkippen zu können.

Vernunft siegte, kein Alk.

"Liebst du ihn?"
 

Zum Teufel, wie ich diese Frage langsam hasste!

Amane war noch nicht einmal die erste, die sie mir stellte, vor ihr hatten bereits der Pharao, sein Zwergimitat und Jounouchi ihr Glück versucht und alle hatten dieselbe Antwort gekriegt: "Frag mich das wieder und du bist tot."

Was dachten diese Luschen eigentlich, warum ich noch immer in dieser Stadt war und mich nicht schon längst ins Ausland abgesetzt hatte? Weil ich so auf ihre Gesellschaft stand? Natürlich hatte ich was für Hikari übrig. Ich sabberte ihm nicht so albern hinterher wie Klein-Ati seinem Aibuhu, logisch, und über Beziehungen und diesen menschlichen Unsinn dachte ich auch nicht nach, aber trotzdem hing ich irgendwie an ihm. War abhängig von ihm.

Ich wollte ihn nicht ficken. Hikari sollte so perfekt und unberührt bleiben, wie er war und wer ihn durchnehmen wollte, musste erst an mir vorbei.

Konnte man das als Liebe bezeichnen?

Da es mir schon immer schwer fiel Todesdrohungen auszustoßen, wenn große braune Augen mich ansahen und ein unschuldiges Lächeln vor mir herum schwebte, bekam Amane nicht die übliche Standardantwort - auch wenn mir diese schon auf der Zunge lag.
 

"Was erwartest du von jemandem, der ihn schon so lange kennt?"

Gute Gegenfrage. Sehr gut sogar. Und die richtige Antwort, die sie aber nicht zu wissen brauchte, lautete natürlich: so jemand wird zu einem durchgedrehten, vereinsamten Yami.

Yeah.

"Stimmt, was erwarte ich da?" Die zartrosa geschminkten Lippen von Hikaris... nein, unserer "Schwester" - offiziell waren wir ja Brüder - verzogen sich zu einem amüsierten Schmunzeln.

Beinahe hätte ich sie gefragt, wer sie wirklich war, beinahe.

Aber es klappte einfach nicht. Irgendwie wollten die Worte nicht nach draußen und je länger ich sie ansah, umso weniger interessierte es mich, woher sie tatsächlich kam.

Das alles konnte warten...
 

Mit abartiger Wucht knallte ich gegen den Tresen.

Für einen kurzen Moment blieb mir die Luft weg, dann raffte ich mich wieder auf und wischte das Blut aus meinem Mundwinkel.

Was bildete dieser Schrank von einem Kerl sich eigentlich ein?

Niemand machte mich ungestraft dumm von der Seite an.

Ob 2m groß oder nicht.

Der Geruch meines eigenen Blutes ließ die Umgebung um mich herum verschwimmen, ließ alles unscharf werden - bis auf ihn.

Meine Fäuste ballten sich noch stärker zusammen.

Mein Herz schlug schneller.

Ich leckte mir über die Lippen.

Er wollte Ärger?

Bitte sehr.

Er bekam Ärger.

Ein boshaftes Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.

Irgendwo war das Klirren von Glas zu hören, frische Nachtluft drang in die sonst verräucherte Kneipe, Leute tuschelten.

Sirenen.

Eine kühle, zarte Hand packte mich am Arm und zerrte mich davon.

An mehr erinnere ich mich nicht.

Weit ab vom Ort des Geschehens, auf der Treppe einer U-Bahnstation, kam ich wieder zu mir.

Mein linkes Auge begann langsam aber sicher zuzuschwellen und der metallische Geschmack von Blut klebte auf meiner Zunge. Das Atmen schmerzte.

Und noch immer pochte mein Herz wie wild.

Ich fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr.

"Yoru-kun?"

Ich wandte mich zur Seite. "Hm?"

Amane lächelte. "Du bist also wieder da. Kannst du aufstehen?"

Hielt sie mich für einen Schwächling? Ohne sie anzusehen erhob ich mich.

Ignorierte den anfänglichen Schwindel.

Scheinbar hatte dieser Arsch mir gehörig eine auf den Schädel verpasst.

"Gehen wir nach Hause, Onii-san wartet sicher schon."

Auf dem Heimweg erzählte sie mir was geschehen war, auch wenn ich sie nicht danach gefragt hatte. Kleinere Filmrisse war ich schließlich gewohnt.

"Er ist aus dem Fenster gefallen, mitten durch die Scheibe. Ich hab rausgeschaut. Auf dem Pflaster um ihn herum war alles voller Blut und ziemlich glitschig." Sie grinste. "Es war schon ziemlich eklig, aber irgendwie... sah es schön aus. Hoffentlich kommst du jetzt nicht ins Gefängnis."

"Kein Wort zu Hikari. Verstanden?"

Ein sanftes Nicken. "Onii-san mag kein Blut, ich weiß."
 

"Onii-san" hatte auch noch an einigen anderen Dingen was auszusetzen.

"Verdammt, Yoru, warum legst du dich dauernd mit irgendjemandem an? Musst du immer gleich aggressiv werden, wenn jemand mal unfreundlich zu dir ist?"

Straff wickelte sich ein Verband um meinen ramponierten Oberkörper. Ließ mich stumm aufkeuchen, als er die geprellte Rippe passierte.

"Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen?"

"Ihn einfach ignorieren zum Beispiel."

"Oh natürlich, was frag ich überhaupt." Ein Knurren kroch aus meiner Kehle. "Am besten hätte ich ihn vielleicht noch zu Kaffee und Kuchen einladen und mit ihm dabei über seine schwere Kindheit, durch die er erst so ein hirnloser Arsch geworden ist, diskutieren sollen. Schon klar."

"Du weißt genau, was ich meine."

"Nur weil du gleich das Weite gesucht hättest, muss ich nicht genauso reagieren. Dieser Idiot hat mich vom Hocker geschubst und sich darüber ausgelassen, dass Kinder nichts in einer Kneipe zu suchen haben. Soll ich das auf mir sitzen lassen?"

"Solche Leute gibt es eben auch. Du musst damit rechnen, denen über den Weg zu laufen, vor allem wenn du dich nachts in 'so einem' Viertel aufhältst."

Ich lachte kurz und stand auf. "Stimmt ja, deshalb gehst du ja um diese Zeit nicht aus dem Haus."

Ohne mich anzusehen packte Hikari das Verbandszeug zusammen. "Du weißt genau, dass das nicht wahr ist. Ich gehe öfters nachts weg."

"Aber nicht mit mir."

Ein vorwurfsvoller Augenaufschlag. "Und dreimal darfst du raten, warum. Weil du jedes Mal irgendwelchen Unsinn anstellst."

Ich verkniff mir meine Antwort. Letzten Endes würde sie ja doch nichts bringen.

Wäre nur reine Energieverschwendung.

Ohne mich noch einmal umzudrehen verschwand ich auf meinem Zimmer.

Hörte noch Amanes unnütze Versuche, mich zu verteidigen.

Schlug die Tür zu, drehte die Anlage auf und warf mich aufs Bett.

An der Decke hockte ein schwarzer Falter.

Ich klappte mein Taschenmesser auf und warf es nach ihm.

Es spießte ihn auf.

Ein kümmerliches Flattern, dann war er still.
 

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butterflys and angelwings

 
 

Seit Amane aufgetaucht war, dachte ich immer öfter über Hikari und mich nach.

Wurde ihm durch diese alberne Grübelei immer ähnlicher.

Dadurch dass ich mich selbst bemitleidete und anderen - sprich: ihm - die Schuld daran gab.

Ich nahm das, was um mich herum geschah, nur noch schemenhaft wahr und erinnere mich auch kaum daran.

War ich mit diesem Weib auf dem Jahrmarkt gewesen?

Hatte ich sie im Haunted House stehen lassen und mich kurz vor dem Ausgang wieder hinter sie geschlichen, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen und ihr damit einen erschrockenen Schrei zu entlocken?

Vielleicht.

Waren wir nachts über den Friedhof gelaufen und hatten ausgerechnet, wie alt die Toten geworden waren?

Hatten dem Gruftimäuschen Masaki aufgelauert und ihr bei ihrer schwarzen Messe, oder auch immer sie da getrieben hatte, aus einem Versteck heraus einen grausamen, frühzeitigen Tod geweissagt?

Womöglich.

Im Nachhinein betrachtet spielte es sowieso keine Rolle.

Egal in welcher Situation, sie war fast immer um mich herum und das zählte.

Sie vertraute mir.

War vernarrt in mich.

Zuckergusslächeln.

Zitronenfalterstaub auf den Lidern.

Lange schwarze Wimpern.

Porzellanhaut, bedeckt mit federleichtem, pastellfarbenen Stoff.

Es tat mir beinahe schon leid, dass ich unfähig war, mich in sie zu verlieben.

Aber mein Herz war schon lange tot, als sie kam.

Zu spät.

Genoss ihre Nähe trotzdem und stellte mir vor, sie wäre Hikari.
 

Einmal entführte er sie mir und verschwand für ein paar Stunden mit ihr in der Stadt um dort irgendwelche Besorgungen zu erledigen.

Ich war nach langer Zeit wieder allein und es tat irgendwo gut.

Verdammt gut.

Trotz des Sonnenscheins verließ ich das Haus und begab mich an meinen Lieblingsort.

Allein.

Wieder allein.

Angenehm.

Normalerweise besuchte ich den Friedhof nur nachts, wenn sich dort - abgesehen von der kleinen Hobbysatanistin Anzu - außer mir niemand mehr aufhielt.

Ich liebte diese Stille.

Die Grabsteine und Skulpturen im Mondlicht.

Besonders hatte es mir ein kleiner schlafender Engel angetan.

Wie eine Katze zusammengerollt, den Kopf auf einen der Arme gebettet und die gelockten Haare wie einen Schleier um die Schultern und sich herum ausgebreitet - in der Gestalt eines kleinen Mädchens - lag er auf einem kleinen Steinsarg im Schatten der Bäume.

Bei Vollmond, wenn der Wind mit den Zweigen über ihm spielte, schien es fast als atmete er. Die kleinen Flügelchen bewegten sich dabei. Als träumte er vom Fliegen.

Ich hatte mich schon früh an den Gedanken gewöhnt, dass die echte Amane nicht in der Hölle schmorte, sondern vielleicht doch woanders war... an den Himmel dachte ich dabei natürlich nicht.

Es war zwar amüsant, sich die Kleine als Engel vorzustellen, aber für mich war wahre Erlösung, wenn Körper und Seele sterben durften.

Gemeinsam.

Schließlich wusste ich aus eigener Erfahrung, dass wiedergeboren werden, ewig leben, alles andere als wunderbar war.

Zu viele zurückliegende Erinnerungen.

Erdrückend.

Ungesund.

Sah man ja an mir.

Völlig gestört, verfolgt von flackernden Bildern, panischem Geschrei und anderen Wahnvorstellungen.

Trotzdem.

Besser so, als eingesperrt in einer Gummizelle.
 

Manchmal erinnerte ich mich daran, wie Hikari und ich als Kinder auf dem Friedhof gespielt hatten.

Ja, ich habe gespielt.

Wie ein ganz normales Kind.

Es war zu der Zeit, als ich gerade erst lernte, mich zu materialisieren.

Ich wusste noch nicht, wer oder was ich war.

Meine Identität, mein Verständnis von mir selbst, definierten sich noch ausschließlich über Hikari.

Wir Yamis erwachen wahrscheinlich in dem Alter zu neuem Leben, in dem wir gestorben sind.

Und als meine eigentliche Seele, mein "Herz" starb, war ich eben noch ein kleines Kind. Mein Körper und diverse Bewusstseinsfetzen, bestehend aus Rachsucht und Habgier, lebten natürlich noch länger weiter.

Ich bereue nichts von dem, was sie taten.

Weiß selbst jetzt noch nicht alles.

Blasse Erinnerungen daran, wer ich war.

Ein Dieb auf der einen Seite.

Die kranke Seele eines alten Mannes auf der anderen.

Beides wunderbar vergessen, bis der Pharao wieder erwachte.

Davor war ich ein Mensch.

Ein Kind, wie auch Hikari.

Wir liefen lachend über den Friedhof, versteckten uns hinter Grabsteinen, beobachteten bunte Schmetterlinge.

Hikari brachte mir bei, wie man sie fing, ohne sie dabei zu zerquetschen.

Aber sobald ich einen erwischte, rupfte ich ihm die Flügel heraus und sah dem wurmähnlichen Rest dabei zu, wie er starb.

Den glitzernden Staub, der danach an meinen Fingern klebte, schmierte ich auf Hikaris Wangen und brachte ihn anfangs damit zum Weinen.

Später lächelte er nur noch.

Auch dann, als ich von Schmetterlingen auf kleine Echsen umstieg und diesen die Beine herausriss.

Blut roch.

Zu streunenden Katzen und Hunden überging.

Hikari übte sich stumm in seiner perfekten Engelsmaske.
 

Der erste Mensch, den ich tötete, war seine Schwester.
 

Eines Tages nahm er sie mit auf den Friedhof.

Ihre Anwesenheit machte alles zwischen uns kaputt.

Wie ein bunter Falter flatterte sie um ihn herum und ließ ihn vergessen, dass ich da war.

Ich wurde noch nie gerne vergessen.

Sie wusste, dass er ein zweites Ich hatte und weinte jedes Mal, wenn ich mich ihr zeigte. Kein hübsches Lächeln. Und selbst wenn: sie war nicht Hikari.

Am Tag der Beerdigung ihrer beider Eltern gingen wir ans Meer.

Strahlender Sonnenschein.

Das Geschrei der Möwen beschwerte die Luft.

Wir kletterten weit nach oben und setzten uns auf einen Felsvorsprung, ganz nach vorn. Wenn wir nach unten sahen, bekamen wir das Gefühl zu schweben.

Amane legte die Arme um Hikari und begann zu weinen. "Nicht traurig sein, Onii-san, ich bin ja noch da. Du bist nicht alleine."

Sie wollte ihn mir wegnehmen.

Mir blieb nichts anderes übrig.

Ich musste es tun, wenn ich ihn nicht verlieren wollte.

Er hatte keine Chance zu reagieren.

Ich übernahm seinen Körper so schnell, dass es seinen Geist förmlich beiseite schleuderte.

Packte seine Schwester an der Kehle und drückte so fest zu, wie ich konnte.

Es fühlte sich so vertraut an.

Das Wimmern.

Die Tränen.

Ihr alberner Versuch sich zu wehren.

Mein Herz schlug schneller und der Geruch ihrer Angst legte sich wie weicher Nebel auf meine Sinne.

Dann war es still.

Ich stieß ihre leere Hülle die Klippe hinunter und ließ Hikari wieder in seinen Körper, damit er es sehen konnte.

Erzählte ihm, sie wäre gefallen.

Legte die Arme um ihn und sagte ihm, er solle nicht traurig sein.

Er habe ja noch mich.

Er sei nicht alleine.

Trotzdem weinte er.

Hörte nicht auf.

Ich haschte nach einem vorbei fliegenden Schmetterling und malte mit seinem Staub glitzernde Bahnen auf Hikaris Wangen.

Sie verschwammen.

Gingen in den vielen Tränen unter.

Ich verstand damals nicht, warum er nicht lächelte.

Es dauerte lange, bis er wieder dazu in der Lage war.

In all der Zeit, in der wir uns seinen Körper teilten, gelang es mir nicht ein einziges Mal, ihn zum Lachen zu bringen. Immer waren es andere, die das schafften.

Bei mir lächelte er nur.

Als er zwölf war, sprach ihn an der Bushaltestelle ein alter betrunkener Mann an, ob er nicht ein wenig Kleingeld hätte.

Und Hikari lächelte. Drückte ihm ein paar Yen in die dreckige Hand und stieg in seinen Bus.

Es war dasselbe Lächeln, das er mir auch immer schenkte.

Ich hasste ihn dafür.

Zum ersten Mal.

Machte ihm das Leben ab da zur Hölle.

Ich wollte kein Mitleid. Der Gedanke, dass er für mich nicht mehr übrig hatte als für einen widerlichen Bettler, machte mich wahnsinnig.

Die Vorstellung, dass er mich nur widerwillig ertrug...

Mich nicht haben wollte...

Nun gut.

Wenn er mich nicht wollte, dann wollte ich ihn eben auch nicht.

Und auch sonst niemand sollte ihn wollen.

Dafür sorgte ich.

Ich quälte die, die sich mit ihm anfreunden wollten und machte sie zu meinem Spielzeug.

Ich half denen, die ihm wehtaten.

Zwang ihn damit, immer wieder die Schule zu wechseln.

Bereitete seinen Großeltern, die ihn bei sich aufgenommen hatten, so viel Kummer wie nur möglich.

Brachte ihn dazu, von daheim wegzulaufen.

Und dann, als er wirklich nur noch mich hatte, nur mich, niemanden sonst, wandte ich mich hoch erhobenen Hauptes von ihm ab und nannte ihn ein erbärmliches Stück Dreck.

Brachte ihn dazu, traurig zu lächeln.

Je länger wir dieses Spielchen trieben, umso gereizter und brutaler wurde ich.

Und umso stiller und zurückgezogener er.

Ein Ende fand es erst, als der Pharao und sein Zwerghikari sich vor dem Tor zur Unterwelt duellierten.
 

Yugi verlor.

Idiot.

Zum Glück.
 

Klein-Ati und ich, den alle schon als tot/verschollen/etc. abgestempelt hatten, erhielten unsere eigenen Körper.

Um Hikari keine falschen Hoffnungen auf eine (wie beim Pharao und seinem Aibuuuh herrschende) Friede-Freude-Eierkuchen-Idylle zu machen, ging ich daheim auf ihn los und richtete ihn dabei schlimmer zu als je zuvor.

Ich frage mich noch immer, wie er danach überhaupt noch aufstehen konnte.

Wie er es fertig brachte, das Messer herauszuziehen, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken.

Aber er schaffte es.

Erholte sich.

Und warf mich hochkant raus, noch bevor ich von selbst gehen konnte.

Natürlich hasste ich ihn dafür.

Stürzte aus lauter Trotz soweit ab, wie es nur ging; verlor mich in den Tiefen unzähliger Schnapsflaschen und den stechend grellen Farbgesängen kleiner Pillchen und Blättchen, deren Nachwirkungen mich auch heute noch hin und wieder einholen.

Ich glaube, ich wollte sogar sterben.

Oder?

Wer weiß.

Viel ist mir aus dieser Zeit nicht geblieben.

Unscharfe Bildfetzen sich bewegender Wände, einer knarrenden Tür... mittendrin ein grauenhaft sanftes Lächeln, das dem glich, mit dem manche Eltern ihren missratenen Sprösslingen erklären, dass sie etwas falsch gemacht hatten...

Das war's.

Als ich schließlich irgendwann in Hikaris Wohnung auf seiner Couch wieder zu mir kam, hasste ich ihn mehr als je zuvor.

Er hatte mich aus meiner Welt zurückgeholt.

Heuchelte Treue.

Das war mehr, als ich ertragen konnte.

Ich stand auf und schleppte mich nach draußen.

Als er aus der Schule kam, fand er mich auf der Schaukel eines heruntergekommenen Spielplatzes vor.

In meiner Hand hielt ich einen Schmetterling, der nur noch schwach zappelte.

Ich setzte ihn auf die leere Schaukel neben mir und malte mit dem Staub seiner Flügel die unsichtbaren Tränen auf Hikaris Wangen nach.

Als ich mich wieder zu ihm umdrehte, war er schon davongeflogen.

Ich dagegen blieb.

Hikari und ich vermieden es, jemals wieder von diesem Nachmittag zu reden, genauso wie wir die Wochen davor totschwiegen.

Oder den Tod seiner Schwester.

Die unzähligen Schmetterlinge.
 

Nach wie vor fiel es mir schwer, daran zurückzudenken, aber der Anblick bunter Falter, die sich auf einem Grabstein sonnten, verdrängte einfach alles andere aus meinem Kopf.

Ich hockte mich neben sie.

Als ich versuchte einen von ihnen zu berühren, flogen sie davon.

Ob die falsche Amane dasselbe tun würde?
 

I wish I had an angel

For one moment of love

I wish I had an angel

Your Virgin Mary undone
 

I'm alone with my lust

Burning angelwings to dust

I wish I had your angel tonight
 

Deep into a dying day

I took a step outside an innocent heart

Prepare to hate me fall when I may
 

This night will hurt you like never before...
 

(lyrics: Nightwish – Wish I had an Angel)
 

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dreams and illusions

 
 

"Ich gehe in einer Stunde los. Du kommst bitte mit, Yoru."

Schon wieder dieses hinterhältige "Bitte", das keine Widerrede zuließ.

"Wohin geht's denn?"

"Kaibas Hochzeit"

Ich konnte einfach nicht anders, ich musste lachen. "Hat der Blonde also endlich Ja gesagt?" Allein die Vorstellung...

Die Augen verdrehend kam Hikari in mein Zimmer und warf ein sauberes Hemd und eine Jeans auf mein Bett. "Er heiratet nicht Jounouchi..."

"Wen sonst? Den Pharao?" Auch eine witzige Idee.

"Atemu-kun ist vielleicht schwul, aber zwischen den beiden läuft nichts."

"Und wer ist dann der oder die Unglückliche?"

"Seine Lebensgefährtin. Die beiden kennen sich schon seit ihrer Kindheit."

Kaiba hatte eine Sandkastenfreundin? Und die lebte mit ihm zusammen? "Kenn ich die?"

"Nein, du kommst ja nie mit, wenn wir uns alle treffen."

Schande über mich ungeselligen Einsiedler, Schande... "Ich dachte, der Präsident kommt auch nie."

"Tut er auch nicht, aber du kennst ja das Gerede, da sprechen sich solche Dinge eben rum."

Womit wir auch schon den Grund hätten, warum ich zu diesem albernen Cliquen-Treff nicht mitkam. Einmal und nie wieder!

Yugi himmelte die ganze Zeit die Masaki an, die Masaki flirtete mit dem Pharao und der Pharao versprühte rund um die Uhr regelrecht kleine Herzchen in Richtung seines "Aibuus". Gleichzeitig laberte Jounouchi davon, wie schön doch die alten Zeiten waren, in denen er noch irgendwo in der Nähe der Spitze der DuelMonsters-Champions war und das Spiel noch in war. Honda redete dauernd von der Schwester des Köters, die redete über den Würfelheini und der schwafelte von seinem neuen Kumpel Peggy.

„Peggy-"Boy" himself war glücklicherweise nicht anwesend, genauso wenig wie diese Blonde, mit der Jounouchi wohl mal was hatte oder so.

Und mittendrin: wir.

Während Hikari zuckersüß lächelnd alle Gespräche belauschte, wurde ich komisch von der Seite angeguckt und ab und an versuchte sogar jemand, mich anzusprechen.

Der Pharao übertrieb es und folgte mir aufs Klo, um mich zu bitten ihn doch vor den anderen zu unterstützen, wenn er das Thema wieder darauf lenkte, dass Yamis und Hikaris einander brauchten und zusammen sein sollten.

Ein blaues Auge später hielt er dann endlich den Rand und Hikari zerrte mich mit entschuldigender Miene heim.

Und nun sollte ich auf eine Hochzeit, auf der all diese Idioten versammelt waren?

"Ich bleibe hier."

"Du bist aber eingeladen." Eine Karte wurde vor mir hin und her gewedelt. "Bitte, Yoru."

"Nein!"
 

Letzten Endes kam ich dann doch mit. Gegenüber Hikaris blödem "Bitte" mit diesem hypnotischen "Gehorche"-Unterton war ich einfach machtlos...

Es war sogar nur halb so schlimm.

Es blieb bei einer standesamtlichen Zeremonie. Alles andere hätte mich ehrlich gesagt auch verwundert.

Ich hätte nie gedacht, dass der Präsident als erster von uns allen heiraten würde.

Genauso wenig, dass er jemanden vor aller Augen küssen konnte.

Aber es passierte eben und sah sogar ernst gemeint aus.

Die Braut war übrigens auch ganz hübsch in ihrem langen roten Kleid, aber das war wohl vorherzusehen, immerhin war ihr werter Herr Gemahl eine verdammte Berühmtheit und bewegte sich nur unter Reichen und Schönen.

Ach ja, um einmal auf mein Verhältnis zu dieser Berühmtheit zu kommen:

Kaiba - oder Präsident, wie ich ihn eigentlich gerne nenne - und ich waren nie Freunde und werden auch nie welche sein. Das steht fest.

Allerdings war er der einzige aus der ganzen DuelmonstersFanatiker-Ägyptenvergangenheits-Truppe, mit dem man sich halbwegs normal unterhalten konnte. Er war genauso ungern unter Leuten wie ich, trug sein Innenleben auch nie auf einem Schild mit sich herum und redete selten mehr als das nötigste, außer man provozierte ihn. Was meine kleinen Schandtaten betraf, war er auch nicht sonderlich nachtragend.

Und so kam es, dass ich mich auf der kleinen "Aftershow-Party" zu ihm gesellte, als seine Angetraute, deren Name ich schon wieder vergessen hatte, ihn allein ließ.

Seine Begrüßung, die nur aus einem angedeuteten Nicken bestand, war eine willkommene Abwechslung zum Gequieke und Gequake der anderen.

"N'Abend, Präsident."

"Du bist also doch gekommen."

"Warum war ich eingeladen?"

"Damit es nicht so aussieht, als würde ich nur kleine Kinder wie Yugi und Co. kennen."

"Gute Antwort. Und warum sind die auch eingeladen?"

"Damit die freien Stühle voll werden."

Man sollte vielleicht festhalten, dass er während dieses Smalltalks nicht mich ansah, sondern seine Frau, die irgendwo in der Menge herumturnte und seinen Blick ab und an sogar erwiderte. Irgendwie faszinierte mich diese Ruhe, die der Präsident ausstrahlte, nun wo er fest gebunden war.

"Verrätst du mir, warum du mit ihr zusammen bist?"

Endlich drehte er sich zu mir um. Sein typisch kühler Gesichtsausdruck war angenehm. "Irgendwann hat man keine Lust mehr, allein aufzuwachen."

In Wortwahl und Tonfall hatte diese Aussage etwas ziemlich Nüchternes und Berechnendes an sich. Sie klang auf seltsame Art und Weise erwachsen.

Bevor ich antworten konnte, entschuldigte er sich mit einem kurzen Nicken und ging zu seiner Braut, die ihn anscheinend zu sich gewunken hatte um ihm etwas zu zeigen oder zu erzählen.

Ich war wieder allein.

Nach wie vor glaube ich, dass er meine Gesellschaft genauso schätzte, wie ich seine.

Plötzlich drang eine weiche Stimme zu mir vor. "Hey Yoru, wo warst du?"

Ich seufzte leise. "Hab ein bisschen mit dem Präsidenten geplaudert."

Hikari lächelte. "Ach so. Gehen wir?"

Gerade wollte ich nicken, als mir jemand auf den Rücken klopfte - es war der Pharao, dessen Zustand man in einem einzigen Wort zusammenfassen konnte: breit. "Bakura altes Haus, weißt du was? Ich spendier dir n Drink!"

"Verzieh dich, Atilein, nerv deinen Aipuh!"

Hätte ich nur die Klappe gehalten. Jetzt lehnte der Kerl sich auch noch an mich und schluchzte mir ins Ohr. "Aibou ist mit Anzu weggegangen... er hat mich allein gelassen... er mag sie lieber als mich..."

Ach du liebe Scheiße!

Mit rührendem Augenaufschlag reichte Hikari dem Pharao ein Taschentuch. "Er kommt sicher bald wieder, Atemu-kun."

Ein ekliges Schniefen. "Sicher?"

"Ganz sicher."

Ich schob Klein-Ati von meiner Schulter. "Solange du ihn nicht mit deiner Bierfahne vergrault hast..."

Und das Schluchzen begann von vorn. "Baku, komm schon, trink was mit mir, lass mich nicht auch alleine."

Langsam aber sicher wurde mir übel. "Zieh Leine und bagger mich gefälligst nicht an, sonst muss ich kotzen."

Bevor er eine zweite Anmache starten konnte, machte ich auf der Hacke kehrt und steuerte auf den Ausgang zu, gefolgt von Hikari, als ich jemanden anrempelte.

"Ihr geht schon?"

"Ich bin nicht so der Gesellschaftstyp und Hikari muss früh raus."

Ein Nicken.

"Und schmeiß Atilein mal raus, der startet unheimliche Annäherungsversuche im Vollrausch."

Zu meiner tiefsten inneren Befriedigung: ein weiteres Nicken.

"War ein ganz netter Abend. Man sieht sich."

"Bis irgendwann."

Schon war ich draußen und der Präsident außer Sichtweite. Kurz darauf hatte es auch Hikari nach draußen geschafft.

"Ich wusste gar nicht, dass du Kaiba magst."

"Wie kommst du darauf?"

"Das mit dem netten Abend war ein Kompliment."

Ich grinste. "Zeig mich doch an."

Ein Lächeln. "Ich bin übrigens stolz auf dich, weil du nichts getrunken hast."

"Du klingst, als wäre ich ein verdammter Alki."

"Sorry."
 

Genau genommen hätte ich gerne was getrunken - zwar nicht mit dem Pharao, aber so. Allerdings sah Hikari es nicht besonders gern, wenn ich das tat und ich selbst traute mir dabei auch nicht über den Weg.

Ich kannte meine kleinen Schwächen und Maßlosigkeit war eine davon.

Ganz schwach erinnerte ich mich sogar daran, schon einmal eine leere Wodkaflasche nach Hikari geworfen zu haben und zumindest eines weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit: in dem Augenblick, als ich das tat, wünschte ich mir ehrlich und von ganzem Herzen, die Flasche möge ihn treffen und umbringen. Wann das passiert war, weiß ich nicht mehr.

Apropos vergessen...
 

"Wo ist eigentlich deine Schwester?" Kaum hatte ich es ausgesprochen, enterte ihr Bild wieder mein krankes Hirn und ließ keinen Platz für andere Dinge.

"Daheim. Sie war nicht eingeladen."

Ah ja...

"Yoru, gehst du schon mal heim? Ich muss noch was erledigen."

"Kurz vor Mitternacht?"

"Ich muss für morgen was nachschlagen und geh dafür noch mal fix in die Unibibliothek."

"Kurz-vor-Mit-ter-nacht?"

Ein zuckersüßes Lächeln. "Ich arbeite doch am liebsten nachts. Die Schlüssel für das Gebäude hab ich ja." Ja ja, sein (unbezahlter) Nebenjob... "Du findest doch allein heim, oder?"

"Hm..."

Unsere Wege trennten sich.

Und so kam es, dass Amane und ich an jenem Abend allein zuhause waren.
 

Den ganzen Nachmittag über (zumindest vor der Hochzeit) hatte ich mir schon Gedanken gemacht, wie ich sie am geschicktesten abfangen konnte, um endlich mit ihr Klartext zu reden. Letzten Endes kam ich zu dem Schluss, dass Frontalangriff die beste Lösung war.

Also ging ich nach oben.

Ich wusste, dass sie gerade ein Bad nahm; Fliederduft drang aus allen Ecken. Trotzdem kam ich ohne anzuklopfen herein, immerhin war das zur Hälfte auch mein Haus.

Die eigentlich türkisenen Fliesen an den Wänden des Badezimmers wirkten in der Dunkelheit, die nur vom hereinfallenden Mondlicht und einigen Teelichtern durchbrochen wurde, nahezu saphirblau. Statt für Fenster hatten wir uns damals für Glaswürfel entschieden, wie sie normalerweise auf Terrassen verwendet werden. So konnte das Licht hinein, unsere Privatsphäre jedoch nicht nach draußen. Dass der Mondschein durch das unebene Glas den Eindruck einer Unterwasserwelt erweckte, war nicht mehr als ein interessanter Nebeneffekt, der mir erst jetzt bewusst auffiel.

Die auf dem Rand der blauen Eckbadewanne platzierten Teelichter flackerten leicht, als ich die Tür öffnete.

Ohne mich anzusehen steckte Amane ein Lesezeichen in ihr Buch und legte es auf einen kleinen Hocker.

Stand auf.

Kleine Wasserperlen rannen an ihrem schlanken blassen Körper hinab, glitzerten leicht in dem schwachen Licht. Das silberne Haar hatte sie hochgesteckt, damit es nicht nass wurde.

Ihr Blick war unendlich sanft, ebenso das Lächeln auf ihren Lippen, als ich langsam näher kam.

Ich wusste, dass ich ihr in jeder Hinsicht überlegen war.

Ich wusste, dass ich sie jederzeit wieder umbringen konnte.

Dass sie nicht perfekt war.

Und sie wusste, dass ich irgendwann zu ihr kommen würde. Hatte es die ganze Zeit gewusst.

Und gewartet.

Wie ein hypnotisiertes Kaninchen vor der Schlange musste ich ausgesehen haben, als ich mich neben die Wanne stellte - unfähig, den Blick von ihr zu lassen.

Ich hatte vergessen, weshalb ich gekommen war. Es schien mir auch völlig unsinnig, überhaupt noch darüber nachzudenken. Oder darüber, dass wir laut den Papieren Geschwister waren.

Ich legte einfach die Hände an ihre Taille und hob sie aus der Wanne. Sie schien kaum schwerer als eine Feder zu sein...

Einen kurzen Moment standen wir uns einfach schweigend gegenüber, dann beugte ich mich nach vorn und küsste sie.

Es fühlte sich falsch an.

Verboten.

Sinnlos.

Und so verdammt gut.
 

I reach and I reach for you

It's so surreal

and I'm not sure
 

I breath each breath for you

Now I'm afraid

What can I do?
 

Close my eyes and it will go away

Close my eyes and it will go
 

I see

yet I'm blind

I'm not alone

What can I say?
 

I feel

yet I'm so numb

I'm so immune

I bleed for you
 

Close my eyes and it will go away

Look inside - what do you see?

Define your own reality

Close my eyes and it will go
 

Illusion, so confusing

Dreaming

No conclusion

Soothe your

Soothe your aching mind
 

I reach

And I reach down under

in the dream

It pulls me under

I reach for you...
 

(lyrics: Collide – Dreams and Illusions)
 

___________________________________________

 
 

breaking

 
 

Wahrscheinlich fand Ed es nicht sehr angemessen, dass ich in dem Zimmer, in dem er sich das Leben genommen hatte, mit einem Mädchen geschlafen hatte, das laut den Papieren nicht nur meine Schwester sondern auch schon längst tot war.

Sämtliche Bücher, CDs und Ordner lagen auf dem Fußboden verstreut, als hätte man sie von den Regalen heruntergefegt. Der Spiegel an der gegenüberliegenden Wand hatte einen langen Riss - genau durch die Mitte.

So sehr hatte der alte Geist noch nie aufgedreht.

Ich gähnte genüsslich und machte mich dann auf den Weg in die Küche. Amane ließ ich einfach weiterschlafen.

Hikari, der seltsamerweise noch nicht fort war, schaute nicht einmal von seinem Tee auf, als ich hereinkam.

"Morgen."

"Hm..."

"Musst du nicht in die Uni?"

Keine Reaktion.

Ob er krank war? Nein, das hätte ich bemerkt. Außerdem gab er sich immer besonders gut gelaunt, wenn es ihm mies ging. Aber was war dann los?

Um die Möglichkeit einer Krankheit doch ausschließen zu können, streckte ich die Hand aus um seine Stirn zu fühlen.

Hielt jedoch kurz davor inne.

Ich konnte nicht.

Ich konnte ihn nicht berühren. Es ging einfach nicht.

Als würde er zerbrechen oder sich in Luft auflösen, wenn ich es doch tat.

Ruhig nahm Hikari einen Schluck Tee und stellte die Tasse ab, während hinter mir die Zimmerpflanze umkippte.

Schließlich stand er auf und lächelte mich wie immer an, sah mir allerdings nicht direkt in die Augen, sondern eher durch mich hindurch. "Geh bitte beiseite, ich muss los. Bin spät dran."

Und ich gehorchte.

Ohne mich auch nur zu streifen schlüpfte er an mir vorbei, schnappte seine Jacke und verschwand.

Er war sauer.

Stinksauer, keine Frage.

Mein Blick fiel auf den kaputten Blumentopf und die darum herum verstreute Erde.

Je länger ich sie ansah, desto stärker glaubte ich daran, dass der alte Ed - oder wie auch immer er wirklich zu Lebzeiten hieß - vielleicht doch schon längst seine letzte Ruhe gefunden hatte.

Und plötzlich hielt ich es daheim nicht mehr aus.

Rannte nach oben, schnappte mir ein paar Klamotten, gurgelte kurz mit Mundwasser und stürmte dann zur Hintertür hinaus.

Amane, die gerade aufwachte und mich mit wissendem Blick ansah, ließ ich einfach zurück.
 

Ich schlenderte bereits stundenlang durch die überfüllten Straßen, als mir plötzlich eine fremde Frau zuwinkte.

Sie kam mir seltsam bekannt vor, aber ich hatte keine Ahnung, woher.

Lange schwarze Haare... Locken... wo hatte ich sie nur schon gesehen? Ich kam einfach nicht drauf, hob aber trotzdem kurz die Hand und grüßte stumm zurück.

Sie lächelte und verschwand dann in einer schier endlos langen Limousine.

Ah!

Limousine!

Limo bedeutete Geld und Geld bedeutete Kaiba.

Das war die Frau vom Präsidenten, die First Lady der KaibaCorp.

Wen man nicht alles traf... ein Wunder, dass sie sich an mich erinnerte. Gut, meine silberne Haarpracht war schon einmalig, wenn man von Hikari und Amane absah...

Lustig.

Ich wurde noch nie von jemand anderem gegrüßt als von der alten Truppe aus den Turniertagen. Da hatte der gute Kaiba sich ja wirklich jemand kontaktfreudigen angelacht.

Apropos kontaktfreudig...

"Bakura! Schön dich hier zu treffen!"

Konnte den Kerl nicht endlich mal jemand in seinen Sarg zurücksperren?

Strahlend guter Laune und scheinbar ohne Kater rannte der Pharao auf mich zu und leider - leider! - gab es außer mir niemanden weit und breit, den er mit Bakura meinen konnte.

"Was soll dieses Gegrinse? Hast du gekifft?"

Ich bekam wirklich das Bedürfnis, mir eine Bleischürze umzuhängen. Ob der Typ vor lauter Strahlerei auch im Dunkeln leuchtete?

"Was machst du hier?"

"Was soll ich hier schon machen, Atilein, ich verstecke Ostereier, was sonst?"

"Aber wir haben doch Anfang Juli!"

"... Das war ein Witz, du hohle Nuss."

Jetzt lachte er. Haha. Toll... Kill me now. "Du bist lustig, gehen wir was trinken?"

"Ich hab dir schon mal gesagt, du sollst mich nicht anbaggern, vergessen?"

"Ich bagger dich nicht an, ehrlich!" Ob ich ihm das glauben konnte?

"Egal, ich geh nicht mit dir aus. Am Ende schleppst du mich noch in die nächstbeste Schwulenbar."

"Nee, die macht doch erst in zwei Stunden auf." Dieses Gegrinse... buah!

"Geh doch mit deinem Gartenzwerg was saufen."

"Aibou ist arbeiten und heute Abend trifft er sich mit Jounouchi-kun."

Klar doch... ich wusste aus sicherer Quelle, dass der Blonde Donnerstags bis Mitternacht schuftete, aber wenn ich das dem Strahlepharao erzählte, fing der nur wieder an zu flennen.

"Also? Kommst du mit?"

"Ich trinke nicht vor Sonnenuntergang." Ich trank auch nach Sonnenuntergang nicht mehr, besoffen ließ es sich schlecht auf Beutezug gehen.

"Komm schon, nur heute!"

Aber wenn ich so an Hikari dachte... seine schlechte Laune von heute Morgen... Amane... dann wollte ich noch nicht nach Hause. Schade, dass der Präsident mich nicht eingeladen hatte, sondern der schwule Pharao. Ich hätte lieber auf einem weichen Sofa mit einem Glas eisgekühltem Whiskey oder so gesessen und mich ordentlich unterhalten, anstatt mit einer Flasche Bier auf einem Barhocker zu fleezen und mir irgendwelches Geheul anzuhören. Oder was auch immer Ati vorhatte.

"Und? Kommst du mit?"

"Kommt darauf an, wohin. Und ob du zahlst."

'Es' strahlte wieder. "Mir egal, wohin. Die ordentlichen Kneipen machen aber erst noch auf. Solange können wir zu mir, ich hab Sake daheim und Whiskey und Wodka und..." Er beugte sich vor und flüsterte mir etwas zu. "Ich hab auch Gras. Du verstehst schon, ne?"

Oh Gott... war ich an einen Junkie geraten? Ich sah Atileins Bude schon vor mir: leere Schnapsflaschen überall, bunte Poster, Wasserpfeifen...

Ich brummte leise. Nickt aber. Wenn ich von einer Sache was verstand, dann war es Stoff. Leider... oder zum Glück?

"Also?"

"Was also? Wohnst du alleine oder mit deinem Chihuahuahikari zusammen?"

"Alleine. Aibou braucht ein bisschen Freiraum. Ich denke, er fühlt sich von mir eingeengt, aber so ein bisschen vorübergehender Abstand sollte das wieder richten."

Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt...

"Gut, ich komm mit, aber nur, bis die Kneipen offen haben."
 

Soviel zu meinen Gedanken vom Vortag, dass ich bei Alkohol vorsichtig war etc etc...

Ich war so sturzbetrunken wie schon lange nicht mehr, als ich den Pharao endlich alleine ließ. Draußen war es bereits stockfinster.

Natürlich waren wir nicht in eine Kneipe gegangen. Wieso auch, wenn der Kerl soviel Zeug gratis bei sich herumstehen hatte?

Er hatte sein Wasserpfeifchen geraucht, mit einer Flasche Bier herumgewedelt und ununterbrochen von seinem Aipuu gelabert. Dass der Arme gar nicht wissen konnte, dass die Masaki nichts für ihn war, dass die sicher auch schwul war - was auch immer das zu bedeuten hatte - und lauter anderes wirres Zeug. Ich ließ ihn texten und trank einfach.

Damit ich ihm nicht zuhören musste.

Meine Befürchtung, dass er über mich herfallen würde, wenn ich erst einmal zu genug war, bewahrheitete sich Gott sei Dank nicht.

In dem Zustand hätte ich ihn womöglich noch gelassen.

Allein der Gedanke... urks.

Die hell erleuchtete Stadt drehte sich fröhlich um mich herum, mein Magen gleich mit und ich versuchte, so gut es eben ging, vorwärts zu kommen.

Der einzige Gedanke, den ich irgendwie fassen konnte, war die Hoffnung, dass ich niemandem Bekannten begegnete. Und dass ich auf zwei Beinen daheim ankam und nicht kriechen musste.

Ich hatte sogar Glück, was das erste betraf und zweiteres... na ja, die letzten paar Meter machten nun auch keinen großen Unterschied mehr.

Schwierig war es nur, das Schlüsselloch zu finden, aber diese Herausforderung wurde mir abgenommen als drinnen das Licht anging und Hikari die Tür aufmachte und mich am Ärmel nach oben zog.

Angewidert verzog er das Gesicht. "Du stinkst nach Schnaps."

Na wow! Konnte vielleicht daran liegen, dass ich genug davon intus hatte. Aber die Art und Weise, wie er das Wort Schnaps ausgesprochen hatte, brachte mich zum Lachen. Es klang süß. Zuckersüß sogar.

Und dieser leichte Hauch von Angst in seinem Gesicht, ich könnte ihm wieder wehtun, war auch einfach nur goldig.

Ich kam mir vor wie ein dummer Teenager, der Unsinn angestellt hatte.

Ich warf alle Gedanken an Hikaris schlechte Laune, an seine Schwester, den kiffenden Pharao und meine Fahne von Bord und tat das einzige, was mir in diesem Moment logisch erschien:

Ich schlang die Arme um Hikaris Hals und küsste ihn.

Einfach so.

Und fing mir eine richtig dicke Ohrfeige ein. Mit sich überschlagender Stimme schrie er mich an. "Fass mich nicht an, verstanden? Und erst recht nicht so!" Dann drehte er sich um und rannte nach oben auf sein Zimmer.

Ich erinnere mich noch, dass ich gelacht habe.
 

Ob mir dabei Tränen über die Wangen liefen weiß ich nicht.
 

___________________________________________
 

 

palace made of glass

 

 
 

Ich hatte Hikari schon so oft verletzt.

Auf so viele verschiedene Arten.

Aber dieser volltrunkene Kuss schien ihn stärker getroffen zu haben als alle Schläge, Tritte und Beschimpfungen zusammen.

Da irgendwelche Vorlesungen auszufallen schienen, verbrachte er den Tag daheim.

Die ganze Zeit drang Musik aus seinem Zimmer.

Ein einziges Lied, von dem nur ein paar Zeilen zu mir durchdrangen.
 

I've lied to you the same way that I always do...

This is the last smile that I fake for the sake of being with you...
 

The sacrifice I've hiding in a lie...

The sacrifice is never knowing

why I never walked away

why I played myself this way

but now I see the destiny(?) pushes me away...

why I never walked away

why I played myself this way

but now I see the destiny pushes me away...
 

I've tried like you to do everything you wanted to...

This is the last time that I blame myself for the sake of being with you...
 

Und dann begann irgendwie alles wieder von vorn.

Wieder.

Wieder.

Immer wieder.

Dasselbe Lied. (Ob der Typ wirklich destiny - Schicksal - sang bzw. schrie, weiß ich bis heute nicht.)

Auf jeden Fall hatte ich die Schnauze voll.

Von den Tränen, die Hikari wahrscheinlich heimlich in seinem Zimmer weinte.

Von dem gebrüllten Text, der mich irgendwie runterzog.

Dem scheiß Kater.

Kurz und knapp: alles kotzte mich an.

Amane war auch nirgendwo aufzutreiben.

Deshalb blieb mir nichts anderes übrig als abzuhauen und auf der Straße ein bisschen Taschendieb zu spielen.

Meine Jacke stank noch immer abartig nach Schweiß und Atileins Gras, was mir als Grund ausreichte um den schwarzen Mantel zu nehmen.

Der alten Zeiten willen...
 

Es dämmerte bereits, als ich wieder heimkehrte.

Dem Pharao, der mich schon wieder einladen wollte, donnerte ich ohne zu zögern die Faust ins Gesicht.

Immerhin war es allein seine Schuld, dass ich so zu gewesen war.

Hikari angefallen hatte.

Auf diese Art.

Ihn mal wieder zum Weinen gebracht hatte.

Zuhause war noch alles so, wie ich es verlassen hatte.

Mein anderes Ich hatte sein Zimmer verlassen und saß am Küchentisch.

Das seltsame Lied lief noch immer auf Dauerrepeat.

Lange würde die CD das nicht mehr mitmachen...

"Auf dem Herd steht noch Brokkolisuppe. Falls du Hunger hast."

"Ich hasse Brokkoli."

Hikari sah den Topf an. "Oh..."

Ich öffnete den Kühlschrank und nahm eine Packung Schweinezunge heraus.

Verschlang deren Inhalt so wie er war.

Der Blick meiner "besseren Hälfte" wanderte nachdenklich durch den Raum und blieb schließlich an mir hängen. Zu gern hätte ich gewusst was er nun dachte... oder fühlte...

Ich selbst empfand nichts.

Hing völlig in der Luft, sowohl mit den Gedanken als auch emotional. Hatte noch nicht über das Ganze nachgedacht und durfte es auch nicht.

Es war ungesund.

Noch immer fixierte Hikari mich durchdringend. Schließlich begannen seine weichen Lippen sich doch noch einmal zu bewegen. "Bitte entschuldige dich."

Das war mit Abstand das Albernste, was er je von sich gegeben hatte. Ich und mich entschuldigen? "Und für so einen Mist hast du den ganzen Tag gebraucht?"

Der sonst meist sanfte Blick kühlte aus. "Es war mir unangenehm."

Es war klar: ein falsches Wort von mir und der ganze Glaspalast, den wir uns mühsam aufgebaut hatten, könnte mit einem Mal zerbrechen. Ein mürrisches "Sorry" würde völlig ausreichen, damit alles beim Alten blieb, aber...

"Sag bloß, ich bin ein schlechter Küsser." Was Blöderes hätte ich nicht loswerden können. Dazu ein albernes Grinsen.

Ich konnte das Klirren des zerberstenden Glases förmlich hören...

Kein Lächeln.

Kein Erröten.

Nur eine Stimme, die eisig und monoton genug schien, um sogar einen Vulkan einzufrieren. "Es war mehr als nur ekelhaft."

"So schlimm?" Bescheuertes Gegrinse meinerseits.

"Ich habe mich 20 Minuten lang übergeben, wenn du es genau wissen willst."

Natürlich konnte ich mir denken, worauf er hinaus wollte. Noch hätte ich es vielleicht retten können, aber nun hatte ich meine Klappe schon soweit aufgerissen, dass ich sie einfach nicht mehr zu bekam... "Soll ich jetzt Mitleid haben?"

"Ich finde es widerwärtig, mich von einem besoffenen Ex-Junkie abknutschen lassen zu müssen, der ein paar Stunden vorher erst meine Schwester gefickt hat."
 

Es war also endlich raus.
 

Schön.
 

Ich hatte mich ja immer beschwert, dass Hikari mein ganzes Rumgegurke schweigend erduldete und mir seine Meinung vorenthielt.

Wahrscheinlich sollte ich mich jetzt freuen... aber ich tat es nicht.

Ich war nur wütend, dass er anfing von Dingen zu reden, über die wir nie sprechen wollten – über die ich nie sprechen wollte.

Über die riesigen Spinnen, die ich manchmal sah obwohl sie nicht da waren.

Über die Drinks, um die ich mehr oder minder erfolgreich einen Bogen machte.

Über... sie.
 

"Wo ist Amane?"

"Weg."

"Was heißt hier weg?"

Seelenruhig trank Hikari seinen abartigen Kräutertee aus. Wie ich das Zeug hasste. "Weg bedeutet fort. Dahin, wo sie herkam."

"Wo ist sie?"

"Sie hat es wahrscheinlich gar nicht richtig begriffen..." Ein trauriges Lächeln umspielte für einen Sekundenbruchteil seine Lippen als er aufstand und die leere Tasse in die Spülmaschine stellte. Als wäre unser Gespräch damit zu Ende wandte er sich ab um zu gehen.

Ich packte ihn an der Schulter.

Unwirsch riss er sich los. "Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich nicht anfassen!"

"Was hast du mit ihr gemacht?" Ich war regelrecht auf 180. Amane war all das, was Hikari nicht war und nie sein würde. Nun war sie verschwunden. Und nur er wusste, wohin.

Völlig ruhig strich er seinen Ärmel glatt. "Wir waren gestern an der Küste, während du fort warst."

Meine Augen weiteten sich.

Emotionslos, als ginge es um die neuesten Börsennachrichten, fuhr mein anderes Ich fort. "Ich wollte mich entschuldigen, aber sie hat nicht zugehört. Ich sagte ihr, dass ich mich geirrt hatte, als ich dachte, ich würde sie unbedingt in meinem Leben brauchen. Um nicht mehr innerlich frieren zu müssen. Dass ich sie nur deshalb zurückgeholt hatte. Aber sie lachte nur, umarmte mich und kletterte höher. Auf die Klippe. Du weißt welche."

Und wie ich das wusste.

"Schau, Onii-san, wenn du dich ganz nach vorne stellst glaubst du, du könntest fliegen. Das sagte sie und schaute auf das Meer."

Hikaris Blick traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich sah mich selbst. Ein kühles Blitzen in den Augen...

"Ich hab nicht geantwortet, sondern nur meine Hand auf ihren Rücken gelegt. Ich musste gar nicht richtig zudrücken. Schon war sie weg."

Ich war wie betäubt. "Du hast sie... umgebracht?"

Ein sanftes Lächeln. "Sie stand zwischen uns und musste weg. Es war ganz einfach."

"Du... du kannst doch keinen umbringen!"

"Oh, ich kann und ich konnte, Yoru. Man wird es nicht herausfinden, offiziell existierte sie ja schon lange nicht mehr. Warum regst du dich auf?"

"Ist die Frage ein schlechter Witz?" Ich kam mir einfach nur noch verarscht vor.

"Du hast sie doch an derselben Stelle schon einmal getötet. Warum darf ich das nicht auch?"

Er wusste also Bescheid...

"Warum darfst nur du jemanden umbringen, Yoru? Warum darfst nur du anderen wehtun?" Seine Stimme wurde lauter. "Wieso darfst nur du alles zerstören, was sich zwischen uns stellt? Warum nur du? Immer darfst nur du ausrasten und ich muss grinsend daneben stehen und mich blind stellen, oder wie?" Hikaris Faust ballte sich immer stärker zusammen. "Ich habe es satt! Immer darfst nur du dich gehen lassen, immer nur du! Du! Du! Du!"

Noch immer bekam ich keinen Ton heraus. Es war faszinierend, wie mein anderes Ich komplett die Beherrschung verlor und alles hinaus ließ... bis er mit einem Mal wieder leise wurde und seine Stimme einen nahezu tödlichen Unterton bekam.

Wie Gift.

"Ich hasse dich!"

Im ersten Augenblick hatte ich das Gefühl, als würden mir die Beine unter dem Körper weggerissen.

Die ohrenbetäubende Stille, die seinen Worten folgte, wich nach und nach einem stetig lauter werdenden Rauschen in meinen Ohren.

"Ist das dein Ernst?" Ein Ja wäre schön gewesen, ein Nein furchtbar, aber Hikaris Antwort... war der blanke Horror.
 

"Manchmal. In letzter Zeit immer öfter."
 

Irgendwie hatte sich bei mir, seit wir getrennte Körper hatten, unterbewusst die naive Illusion festgesetzt, dass Hikari unfähig war zu hassen. Dass er an mir hing, mir alles verzieh, mich nie wieder gehen lassen würde.

Vielleicht stimmte es ja doch und vielleicht war genau das der Grund, aus dem er mich hasste, aber darauf kam ich in diesem Moment nicht.

Je länger ich später - nachdem Hikari sich einfach umgedreht hatte und gegangen war - darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass wir uns vielleicht doch ähnlicher waren als anfangs vermutet. Wir hassten uns aus demselben Grund: weil wir uns irgendwie... liebten?

Aber genau wie ich brachte Hikari das Wort Liebe nur schwer, wenn nicht sogar gar nicht über die Lippen. Dahinter steckte sicher zum einen die Angst vor Ablehnung, als auch die Erfahrung, dass alle, denen er bisher gesagt hatte, wie viel sie ihm bedeuten, irgendwann verschwanden.

Wenn er mir also sagte, dass er mich hasste, dann musste ich doch eigentlich für immer bleiben.

Paradox aber logisch. Zumindest in der Theorie.

In der Praxis hielt sich mein Verständnis und meine Ausgeglichenheit eher in Grenzen und ich verließ das Haus um das in dieser Situation einzig "Richtige" zu tun: mich wieder bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken und am besten auch gleich richtig zuzudröhnen.
 

Was danach geschah ist wieder einmal nicht mehr als ein unzusammenhängender Haufen aus Bildfetzen, verzerrten Geräuschen und komplettem Realitätsverlust.

Ich weiß weder, wie lange ich weg war, noch, was ich alles getan habe.

Sicher ist nur, dass ich irgendwann in fremden Klamotten und mit grauenhaften Kopfschmerzen irgendwo in einer voll gepissten Gosse wieder zu mir kam. Nachdem ich mich erst einmal an Ort und Stelle übergeben hatte, war ich wieder halbwegs in der Lage, aufzustehen und mich fortzubewegen.

Idiotischerweise war es helllichter Tag und die Straßen voller Menschen, die das warme Wetter und die frische Luft, von der ich nur wenig mitbekam, genießen wollten. Doch niemand bemerkte mich.

Über unzählige Schleichpfade und einige U-Bahn-Stationen gelangte ich schließlich in unser Viertel am Stadtrand und zu guter Letzt nach Hause.

Hikari empfing mich mit ausdruckslosem Gesicht an der Hintertür. Ich weiß nicht, wie ich ausgesehen haben musste, damit er mir die Hand an die Wange legte, aber er tat es. Und es fühlte sich wirklich gut an. Ohne irgendeine Gefühlsregung zu zeigen, wandte er sich mit einem "Geh dich frisch machen" ab und verschwand im Garten.

Fertig geduscht und sauber eingekleidet (aber immer noch mit dem Gefühl, mit dem Schädel in einem Schraubstock zu klemmen) ging ich einige Zeit später wieder nach draußen.

Dort kniete Hikari zwischen den Erdbeerpflanzen und beobachtete irgendwelche Insekten, die vor ihm herumkrabbelten. "Wieder klar im Kopf?"

Ich nickte, so gut es ging. "Hm."

"Gut." Einen Marienkäfer auf dem Zeigefinger balancierend erhob mein anderes Ich sich. "Du solltest dich hinlegen, Yoru."

"Geht schon."

"Wenn du meinst..."

Ich setzte mich an den Gartentisch und schaute Hikari zu, wie er den Käfer auf eine von Blattläusen befallene Kornblume setzte, bevor er sich wieder seiner Erdbeerernte zuwandte. Es war jedes Jahr wieder angenehm beruhigend, in dabei zu beobachten. Mit seinem Pferdeschwanz, der Sonnenbrille und der hochgekrempelten dreckigen Latzhose sah er immer wieder aufs Neue zum Schießen aus. Trotzdem lachte ich ihn nie aus, sondern grinste nur.

Diesmal allerdings lächelte ich.

Verschränkte die Arme auf dem Tisch, legte den Kopf auf sie und dämmerte mit einem leichten Schwindelgefühl in der Sommerhitze weg.
 

Aufwachen tat ich erst, als ein dicker kalter Tropfen mich am Rücken traf, der anscheinend vom Rand des inzwischen aufgespannten Sonnenschirms gerollt war.

Es regnete. Von der heißen Sonne und dem blauen Himmel war weit und breit nichts zu sehen.

Genauso wenig von Hikari.

Müde stand ich auf und schlich mich ins Haus, um ihn zu suchen. Schließlich fand ich ihn in seinem Zimmer - zusammengerollt auf dem Bett liegend, schlafend und mit nass glänzenden Tränenresten auf den Wangen.
 

(lyrics: Linkin Park - Pushing me away und ich kenn' im Gegensatz zu Yoru den richtigen Text, keine Sorge XD)
 

___________________________________________
 

 

happy end

 
 

Ohne ihn zu wecken schloss ich die Tür wieder und schlich in mein eigenes Zimmer.

Kratzte meine wichtigsten Papiere zusammen.

Stopfte sie zusammen mit einigen Klamotten in einen Rucksack und verließ schließlich das Haus, in dem ich die letzten vier Jahre zusammen mit meinem anderen Ich verbracht hatte.

Ich hatte seine Tränen nicht sehen sollen, dessen war ich mir sicher. Sonst hätte ich mich nicht so fehl am Platz gefühlt.

Aber das spielte nun auch keine Rolle mehr.

Ich überquerte die nassen, von der Hitze noch immer dampfenden Gleise.

Wanderte ein wenig durch die leeren Straßen.

Klaute einen Strauß weißer Rosen aus einem Blumenladen und setzte meinen Weg fort zum Friedhof.

Die Luft war angenehm frisch und der Regen kühl. Wie der Blick, den man mir aus einiger Entfernung vom Rücksitz einer Limousine aus zuwarf, wie ich mir einbildete. Sayonara, Präsident.

Irgendwann erreichte ich die kleine Kirche, trat durch das schwarze Eisengatter hindurch und durchquerte das nasse Gras, bis ich zu einem der weiter abgelegenen Gräber vorgedrungen war.

Amane Bakura.

Im Alter von 5 Jahren gestorben.

Weißer Marmor und silberne Schrift.

Davor ein toter Zitronenfalter in der feuchten Erde.

Weiße Porzellanhaut und silbernes Haar.

Unsichtbare Schmetterlingsflügel auf dem Rücken.

Ich legte den Strauß ab und setzte dann meinen Weg fort.

Ein Blitz erhellte den Himmel und zog sich wie ein greller Riss durch die grauvioletten Wolken.

Donner.
 

Stehe nun auf einer Eisenbahnbrücke.
 

Warte an einen der Stahlträger gelehnt auf den nächsten Zug.
 

Vielleicht würde ich irgendwann zurückkommen.
 

Vielleicht würde ich mich vorher bei Hikari melden.
 

Vielleicht würde er in meiner Abwesenheit stark werden.
 

Der Boden vibriert.

Die Gleise beginnen zu singen.

Wie Sirenen.

Dann ist der Güterzug da.

Rauscht an mir vorbei.
 

Ich springe.
 

- ENDE -


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke an alle, die bis hierhin durchgehalten haben :3 Wer wissen will, ob (und wenn ja, wie) Yoru und Ryou sich wiedersehen werden, dem empfehle ich einen Blick in meine noch in Arbeit befindliche Fanfic Hollow Day ~ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  jyorie
2013-08-08T16:07:27+00:00 08.08.2013 18:07
Teil 3

Hey ^_^

also war Hikari eigentlich nicht so schwach, wie Youro die ganze Zeit gedacht hat. Er konnte seine Schwester um bringen und es tut ihm nicht mal leid. Und das weil Bakura und er etwas zusammen hatten.

Irgendwie gut, auch mal solche Gedanken über das Leben von Bakura zu erfahren :D

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-08-08T09:38:17+00:00 08.08.2013 11:38

Teil 2

Hey ^_^

ich wundere mich immer noch etwas wie Amane zurück kommen konnte, (das Ryou sich verkleidet kann ja schlecht sein, wenn Bakura ein Kind von ihr hat) aus deinen Worten ist gut der Hass und die Verachtung zu spüren, die Bakura für alle anderen übrig hat und die ihn verzehrt. Ich fand die Interpretation des Kindergartens wieder mal sehr treffend. Auch wie sie alle gegenseitig aufeinander stehen und sich nicht erhören (Anzu auf Yami, Yami auf Yugi, Yugi auf Anzu, etc.)

Die Stelle an der Youro erzählt, was er alles für Tiere verstümmelt hat, fand ich eklig.

Es wirkt für bakura seltsam, das sich sein Hass genährt hat, weil Ryou ihn nicht mehr anlächelt. Er hat doch mehr für den Kleinen übrig, als er öffentlich zugeben würde.

CuCu Jyorie

Von:  jyorie
2013-08-07T22:49:07+00:00 08.08.2013 00:49
Teil 1/3

Hey ^_^

(ich hoffe das ist okay für dich, aber so ein Monsterkapitel von fast 15.000 Wörtern pack ich nicht auf einmal ... )


es klingt so, als wenn es Bakura auch nicht immer leicht hätte, und ihn ein gewisses desinteresse von Ryou dahin getrieben hat, wo er jetzt ist. Das er Ryou so sehr wollte und dieser ihm nie das gegeben hat, was er will. Aber das Amane auftaucht ist wirklich rätzelhaft, gerade weil Bakura ja sagt, das er sie hat sterben sehen.

Der Kinderreim mit den 3 toten Kindern paßt gut zu Bakura.


CuCu Jyorie

Von: abgemeldet
2011-01-09T00:48:21+00:00 09.01.2011 01:48
Hallo!

Ich muss zugeben, ich war neugierig, was du so schreibst, und bin dann vor ein paar Tagen an dieser Geschichte hängen geblieben.

Erst mal fällt es mir wahnsinnig schwer, etwas zu deinem Text zu sagen, deshalb komme ich auch erst jetzt zum Kommentieren. Ich gebe mir aber Mühe, dich wenigstens ein bisschen was von dem wissen zu lassen, was mir so im Kopf umherspukt. (Mit der Befürchtung, dass ich nicht besonders gut darin bin und das alles sich eher wie eine misslungene Textanalyse liest.)


Ein paar allgemeine Gedanken:

Mich haben die Wechsel erschreckt. Alles fängt noch ganz nett (und unspektakulär) an, teilweise sarkastisch - und mittendrin schlägt die Stimmung plötzlich extrem um. Ich finde es faszinierend, wie du alles langsam aufgebaut hast. Mit diesen ganzen wichtigen und unwichtigen Dingen, die du erwähnst und die am Schluss dazu führen, dass man den ganzen Inhalt hinterfragt und nach irgendwelchen Aussagen/Doppeldeutigkeiten sucht, die man überlesen haben könnte.

Und ganz langsam bekommt man das Bild von Bakura. Und von Ryou. Ich muss gestehen, ich hatte selten bei einer Geschichte so Probleme, einzuschätzen, wo der Schreiber mit der Handlung hinwill, weil ich irgendwann ständig damit gerechnet habe, dass jetzt etwas kommt, das ich nicht erwarte.

Gerade diese Gedankengänge haben etwas beklemmendes. Einerseits ist diese ganze Geschichte relativ nüchtern und knapp gehalten, weil du immer nur kurze Momente erzählst. Andererseits habe ich das Gefühl, dass alles andere zu viel gewesen wäre. Diese Geschichte tut weh. Du beschreibst die Gefühle selten direkt. Bakura sagt sogar teilweise das genaue Gegenteil von dem, was er fühlt. - Aber man weiß trotzdem, was wirklich los ist, weil es einfach typische Verhaltensweisen sind. Gerade das auszunutzen machen die wenigsten. Eigentlich schade.

Überhaupt tut Bakura mir Leid. Er kommt so verdammt wütend rüber in dieser Geschichte und mit allem, was er tut, trifft er eigentlich nur sich selbst. Das ist überhaupt komisch: Obwohl er in deiner Darstellung viel verletzlicher ist als in der Serie, hatte ich nicht das Gefühl, dass er OOC ist. Und Ryou ist ... ich weiß nicht, ich bin mir nicht sicher, wie ich ihm gegenüberstehe. Aber sie sind beide ziemlich kaputt.


Vielleicht ganz interessant: Ich muss zugeben, ich mag tendershipping überhaupt nicht. Ich mag weder diese extrem überzuckerte, noch diese furchtbar leidende Darstellung von Ryou. Ich glaube, diese Geschichte ist die erste, die ich wirklich (und in einem Rutsch) durchgelesen habe.

Ansonsten möchte ich mich (und dich) ungern mit Detailkritik aufhalten. Zum einen hat das meiner Meinung nach wenig Sinn bei einer älteren Geschichte, zum anderen ist mir nichts aufgefallen, das mich wirklich gestört hätte. Im Gegenteil, man wird dann doch ein bisschen neidisch, weil diese schlichte Erzählweise wahnsinnig viel transportiert!


Mehrere Überlegungen, die mir spontan durch den Kopf gegangen sind (Achtung, sehr viel Eigeninterpretation!):

Mir war lange Zeit nicht klar, ob diese Geschichte im Canon spielt oder eine AU-Story ist. Für beides gab es genug Andeutung und am Ende ist es wohl eine Mischung aus beidem. Das zweite: Du erzählst nicht chronologisch, sondern springst hin und wieder vor und zurück.

Gerade dadurch, dass in manchen Absätzen nicht klar wird, wann diese Geschichte spielt (bevor Bakura seinen Körper hat oder danach), hat diese Geschichte einige Stellen, die man unterschiedlich deuten kann. Vor allem im Kapitel "my own summer", als Ryous Mutter Bakura beschimpft, ist mir im nachhinein aufgegangen, dass die Dialoge auf beides passen:
1) Bakura und Ryou sind im Raum und seine Mutter beschimpft tatsächlich Bakura.
2) Bakura wird von Ryou wahrgenommen. Seine Mutter beschimpft eigentlich Ryou bzw. Bakura als einen Teil (eine schlechte Eigenschaft) von Ryou.

Ryou antwortet ja auf ihre Fragen, aber er sagt nie direkt "Bakura hat das und das getan". Von der Art, wie die Reaktionen beschrieben sind, könnte er genauso gut sich selbst verteidigen, aber weil das Ganze aus Bakuras Sicht ist, ist ihm natürlich klar, dass Ryou eigentlich ihn meint.

Gerade bei den zwei letzten 'Sätzen' ("Manchmal." und "Wenn etwas dabei herausspringt, warum nicht?") ist nicht mal eindeutig, wer spricht. Ich weiß nicht, ob das Absicht ist, aber mir gefällt das eben wegen dieser Freiheit in der Auslegung sehr gut. Allerdings passt dann der eine Satz mit dem "Gefallenen" wieder nicht (wenn sie ihn so direkt bezeichnet, muss sie ihn ja doch wahrnehmen?), also interpretiere ich vermutlich zu viel hinein.


Das zweite Kapitel, das ich noch nicht ganz einordnen kann, ist "playing around with knives":
Wann spielt dieses Kapitel? Wie erzählt Bakura seine Geschichte, wenn er tot ist? Gut, das könnte auch einfach irgendwo dazwischen liegen. Aber ich hatte am Schluss den Verdacht, dass er nicht wirklich gestorben ist, sondern nur seinen Körper die Gleise runterwirft, weil ziemlich offensichtlich ist, dass er mit diesem Leben als Mensch nicht wirklich klar kommt. Gerade sein Abschiedsgruß mit dem "Zurückkommen" ist ziemlich zweideutig. Dazu kommt diese ständige Erwähnung von Schmetterlingen.

Abgesehen von der Möglichkeit, dass Bakura sich wirklich einfach nur umbringt, ging mir durch den Kopf, dass das ein bisschen den Kreislauf schließen würde zu dieser "Ryou hat Amane zurück geholt"-Geschichte. Das wurde nie wirklich ausgeführt (was mich seltsamerweise nicht mal gestört hat, auch wenn man natürlich auf eine absolut spektakuläre Auflösung wartet), aber wenn es mit Amane funktioniert, klappt das mit Bakura vermutlich auch. Auch interessant, dass beide "fallen".

Mein zweiter Gedanke war, dass er einfach als Geist wieder zu Ryou zurückkommt wie davor, sprich, sie hätten wieder den selben Körper. (Funktioniert das ohne Ring? Aber im Anime war das, wenn ich mich richtig erinnere, zumindest einmal der Fall. Auch wenn ich die Serie nie komplett gesehen habe ...) Naja, du siehst, ich rätsele noch! Und irgendwie habe ich die ganze Zeit das Gefühl, etwas überlesen zu haben.

Übrigens mag ich es, wie du (zumindest in Bakuras Kopf) diese Parasitenrolle umdrehst.

Was das alternative Ende angeht: Im Prinzip würde es mich schon interessieren, allerdings mag ich, wie diese Geschichte hier aufhört und ich hätte Angst, mir etwas kaputt zu machen. Schwere Sache.


Zum Schluss:

Eigentlich kann ich mich michitan nur anschließen, was die Wirkung dieser Geschichte angeht.

Ich werde sie definitiv noch öfters lesen (sie beschäftigt mich jetzt auch schon eine ganze Weile) und ich hoffe, dass in Zukunft vielleicht doch noch weitere Geschichten von dir kommen. Ich würde auf alle Fälle gerne mehr lesen, auch wenn du natürlich auch so noch einige Sachen hast, die ich noch nicht kenne.

Liebe Grüße
Von:  01wolvslover
2010-05-08T17:22:57+00:00 08.05.2010 19:22
Die FF is wiklich klasse!! Ich hab die mir mehrmals durchgelesen und war immer noch begeistert!! :D
Von:  Okami_Tenshi_Ryolein
2009-08-25T10:43:52+00:00 25.08.2009 12:43
gott die ist ja echt traurig
und brutal und geisteskrank
und ich dachte
nur bakura wäre so
aber wenn man sein leben lang so behandelt wird
dann wäre ich jz warscheinlich auch so
du hast ja nerven
die ff war echt gut wenn auch total verpeilte charas vorkommen
mir erschien bakura etwas normaler als ryou
echt komisch aber wahr

und das andere ende interessiert mich
danke
Von:  michitan
2009-07-26T21:09:22+00:00 26.07.2009 23:09
Verdammt nochmal. Ich könnte mir jetzt immer noch in den Arsch beißen, dass ich deine FF unter all den anderen gefunden habe. (erwähnenswerterweise, habe ich stundenlang nach einer genialen FF gesucht und ich muss sagen, dass der Glück auf meiner Seite war)
Ehrlich gesagt, musste ich stutzen, weil kein einziger Schwein einen Kommentar dagelassen hat. Also bitte, ne?
Eine verdammte Beleidigung.

Kommen wir aber mal zurück...
Eigentlich kann ich Monologen nicht leiden. Aber dieser hier strotzt nur so vor schwarzen Humor und Sarkasmus. Ich habe mich total in diese Ausdrucksweise, die relativ abgehackt waren, verliebt.
Wie du Bakuras Gedanken und Gefühle wiedergespiegelt hast, ist einfach nur der Wahnsinn.
Ich konnte kaum stoppen, habe gleich in wenigen Stunden deine FF komplett durchgelesen (und das passiert bei mir selten!), bis ich mich endlich sattgelesen hab.
Mein erster Gedanke: "Holy Shit."
Es war doch nur ein simples >Ich springe.<. Aber es hat mir echt den Atem geraubt. Ganz ehrlich, wie machst du das?

Ich musste an vielen Stellen wirklich hart Schlucken, las die einige Zeilen immer wieder, weil sie mich so faszinierten. Diese Gedanken, die Bakura dachte, diese Sprüche, die er einfach mal so auf's Tisch legte. Boah, ich liebe es. Super realistisch und verdammt nochmal genial.

Aber das Ende... war wirklich ein i-Tüpfelchen auf diese perfekte Story. Obwohl die Sätze so kurz, so schlagfertig sind. Sie drückten unglaublich viele Emotionen aus... Leere, Hilflosigkeit, Hass, Wut. So sieht wahrlich eine Darkfic aus. Du weiß wie man so etwas zusammen stellt.

Und eines hab ich ebenfalls zu Erkenntnis genommen: Ich habe diesen Ryou in deiner FF gehasst. Ihn auf übelste gehasst, das kannst du mir glauben. Da war mit Amane doch tatsächlich viel lieber und wenn ich Bakura wäre, hätte ich mir wahrscheinlich auch gewünscht, dass er sich mal was von Amane abschauen soll.
Doch dieser schöne Ausraster... gefiel mir. Doch, das war mal was Abwechslungsreiches.

Und zu Kaiba... oh ne, ich brauch mal dazu nichts mehr zu sagen oder? Er war einfach nur wundergeil.
Bakura + Seto = best friends for ever and ever. Yay!

Ich glaub, ich werde hin und wieder mal mir diese FF durchlesen. Und immer noch bleibt mir - jetzt wo ich grad diesen Kommi verfasse (und das tu ich erstaunlich selten) - ein Kloß im Hals stecken. Ich weiß gar nicht, was ich dafür empfinde. Traurigkeit? Mitleid? Keine Ahnung.
Es ist irgendwie faszinierend. Ja, genau, das ist es. Es dieser eintönige, graue Monolog, welcher mich ungemein fasziniert (zumal Bakuras einzige Existenz schon hammer ist...).

Ach und hier ein Feedback von mir: Ich hätt Interesse an dem alternativen Ende! Wobei dieses Ende in meinen Augen einfach nur perfekt ist - aber mich würde doch interessieren, was du noch so für geile Ideen im Kopf hattest.

Ich will dein Hirn. :D

lg, Michiyuki


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