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Flatmates

von

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Days

DAYS
 

Die ersten zwei Tage vergehen eigentlich ohne weitere Probleme oder erwähnenswerte Ereignisse. Obwohl… Unser Badezimmer hat sich etwas verändert. Es riecht nach Vanille und ich erkenne lauter neuer Dinge darin: Neue Haarbürsten, Haarsprays, verschiedene Duschgels und Shampoos, vor allem aber Make-Up Utensilien. Brauchen zwei Frauen wirklich so viel Tonnen davon? Alles erscheint hier plötzlich so bunt. Ein wenig so, wie in der Drogerie. Und hinzu kommt noch, dass Jannik schon vorher unser Bad „aufgeteilt“ hat, genau wie den Rest unserer Wohnung eben.
 

Normalerweise benutzen wir nur einen Zahnputzbecher. Jetzt stehen hier genau vier. Und auch als ich mich rasieren will merke ich, dass es plötzlich zwei Tuben Rasierschaum gibt. Und auch zwei Aftershaves. Natürlich verschiedene. Ich weiß, dass dies nur lächerliche Trivialitäten sind, die sich hier „geändert“ haben. Dennoch bin ich umgehend schlecht gelaunt.
 

Gott sei Dank vergeht der erste Tag schnell.
 

Ich habe viel zu tun. Drei Vorlesungen können einen wirklich schlauchen. Mit Jens und Torben esse ich in der Mensa. Meine Ex-Mitbewohner erzählen von ihren Freundinnen und dass sie ihre WG bald auflösen werden, schließlich zieht jeder mit seiner Auserwählten zusammen. Und wenn ich ehrlich bin, freue ich mich extrem für die beiden, denn vor einigen Jahren sah es noch so aus, als wären sie zur Einsamkeit verflucht - was die beiden jedoch immerzu mit Humor gesehen haben. Und ich denke genau dies ist der Fakt für ihr letztendliches Glück.
 

„Wir folgen Romans Spuren“, feixt Jens und streicht sich durch sein kurzes, dunkelblondes Haar. Torben grinst und nickt eifrig. „Wie geht’s euch Mädchen denn so?“
 

Wenn Jens Jannik und mich, und überhaupt all meine schwulen Freunde und Bekannten, als „Mädchen“ bezeichnet, dann ist das alles andere als böse gemeint und dieser Ausdruck gehört eigentlich bereits so zum normalen Repertoire, dass er mir normalerweise auch nicht mehr auffällt. Dieses Mal jedoch ist es anders, denn als ich das Wort „Mädchen“ höre, muss ich sofort an Julia und Klara denken und die mit ihnen verbundene Situation in unserem Haus.
 

„Wir sind jetzt hetero“, antworte ich trocken und nippe an meinem Wasser.
 

Meine ehemaligen Mitbewohner grinsen und lachen etwas verlegen und fragen dann völlig verwirrt: „Was?!“ Und ich offenbare ihnen die Geschichte. Schließlich hat Jannik unseren unfassbar tollen Plan beinahe all unseren Freunden verkündet – um Sicherheit zu schaffen. Security precautions quasi. Jens und Torben sind nach Beendung meiner Geschichte immer noch verwirrt.
 

„Du willst mich doch verarschen“, bemerkt Torben als erster und lacht.
 

„Ich wünschte, ich könnte sagen, du hast Recht“, pflichte ich ihm bei und seufze.
 

„Das ist irgendwie schon ne üble Situation“, entgegnet er nach einer Weile und schüttelt den Kopf.
 

„Wieso habt ihr denen nicht einfach ein Hotel besorgt und nur mal zum Kaffee eingeladen?“, fragte Jens und blickt mich fragend an.
 

„Das ist halt ne kurzfristige Geschichte“, sage ich. „mit dem Praktikum. Und außerdem ist es Janniks Familie. Und Familie sollte immer zusammenhalten.“
 

„Ja schon, aber... Doch nicht so“, antwortet er lachend.
 

„Ja, ja. Ich weiß“, zische ich. „Glaub' mir, ich hätte es auch gern anders, aber...“
 

„Ist aber schon irgendwie bewundernswert, dass du da mitmachst“, mischt Torben sich wieder ein und blickt mir in die Augen. Ich zucke mit den Schultern.
 

„Ich hab keine andere Wahl“, sage ich dann.
 

„Die hättest du schon gehabt“, sagt Jens wieder. „Aber du wolltest nicht.“
 

Sein Blick scheint mich zu durchbohren. Nicht auf diese intensive Art und Weise, wie es bei Jannik der Fall ist, dennoch ist sein Blick stetig und tief. Ich seufze erneut. „Ich liebe ihn, was soll ich tun?“, gebe ich zu.
 

„Du bist eine tapfere Frau!“, bemerkt Torben laut und theatralisch und ich grinse leicht säuerlich. Zur letzten Vorlesung schlendern wir zusammen und nehmen auch in der letzten Reihe Platz. Als ich mich von den beiden an der Zentralhaltestelle verabschiede, blicke ich zum ersten Mal auf die Uhr. Es ist beinahe fünf. Mit hängenden Schultern begebe ich mich in die Bibliothek. So eine Hausarbeit schreibt sich nicht von selbst und ich habe noch nicht einmal nach Büchern gesucht.
 

Wie immer bin ich viel zu spät dran. Die besten sind bereits ausgeliehen. Und der Rückgabetermin dieser liegt natürlich hinter meiner Deadline. Mir bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu suchen und auf die Fernleihe auszuweichen, die mich nicht nur Geld kostet, sondern auch Zeit, denn die von mir bestellten Exemplare werden wahrscheinlich erst in zwei Wochen hier ankommen... Ich wünsche mir, ich wäre so wie Jannik. Mein Freund hat immer alles rechtzeitig fertig - Da er immer rechtzeitig mit seinen Arbeiten anfängt. Bevor er eine Arbeit beginnt, erstellt er einen sorgfältigen Plan, eine gut durchstrukturierte Outline, inklusive Zeitplan. Und er scheint nie gestresst zu sein.
 

Ich habe mir jedes Semesters aufs Neue vorgenommen seinem Vorbild zu folgen und genau dasselbe zu tun. Und jedes Semester ist dieser Plan nie aufgegangen, weil ich ja so viel anderes zu tun hatte. Wenn ich jetzt über all diese anderen Sachen nachdenke, fällt mir ein, dass ich unbedingt mein Arbeitsemailkonto checken sollte. Ich mache neben meinen Übersetzungen ebenfalls Korrekturarbeit – ich gucke all diese tollen Hausarbeiten nach, deren Inhalt ich nicht wirklich verstehe (und der mich oftmals auch überhaupt nicht interessiert), deren Aufbau katastrophal wirkt und deren Referenzen einem Tränen der Frustration in die Augen treiben. Aber diese Arbeit bringt Geld. Pro Seite nehme ich einen Euro und wenn man bedenkt, dass eine Standardhausarbeit 15 Seiten beträgt...
 

Gleich vier neue Aufträge warten auf mich. Englisch – eine Arbeit über Shakespeare's Titus und der weiblichen Rolle der Tamora, Geographie – eine ärmliche Beschreibung der Nachhaltigkeit in Australien, Germanistik – eine Bearbeitung der feministischen Vision Gretchens und Kulturwissenschaften – eine Hausarbeit über den Kult des Bieres. Ich rechne: 4 x 15 = 60. Und das heißt 60 Euro für Roman. Ist das nicht positiv zu bewerten?
 

Als die Straßenbahn mich beinahe bis vor die Haustür bringt, ist es schon beinahe 20 Uhr. Wow, habe ich wirklich so viel Zeit in der Bibliothek verbracht? Gott sei Dank ist morgen mein vorlesungsfreier Tag!
 

Als ich unsere Wohnung betrete und meine Schuhe ausziehe, nehme ich die Geräusche des Fernsehers bereits war. Und der Geruch von Pizza steigt mir plötzlich in die Nase. Es ist Julia, die sich aus der Küche lehnt und mich anlächelt. „Hi!“, begrüßt sie mich freundlich.
 

„Hallo“, entgegne ich und laufe wie ein hungriger Wolf auf die Küche zu, direkt vorbei an Janniks jüngerer Schwester. Auf dem Küchentisch liegen die drei großen, aufgeklappten Pappkartons, in denen die schon zum Teil verputzten Pizzen liegen und regelrecht auf mich warten.
 

„Hawai, Pepperoni und Diablo“, erklärt Julia mir die Sorten, während sie im Türrahmen steht. Als ich das erste Stück Hawai in einem gehörigen Tempo verputze, fällt mir auf, dass sie ziemlich müde, wenn nicht sogar fertig aussieht. „Alles OK bei dir?“, frage ich sie deshalb und greife nach dem nächsten Stück.
 

Sie nickt und lächelt ein wenig. „Der erste Tag war ganz schön stressig“, erklärt sie dann. Als ich in diesem Moment durch die Durchreiche ins Wohnzimmer blicke, schaut Klara mich mit ebenfalls müden Augen an. Ich nicke ihr zu und sie lächelt.
 

„Arbeitswelt halt“, sage ich mitfühlend und beiße erneut in das fast kalte Stück der Pizza, das immer noch schmeckt. Dann kommt Jannik in die Küche.
 

„Hey!“, sagt er und grinst, als er mich über den Kartons gebeugt betrachtet.
 

„Glotz nich' so, ich hab Hunger!“, herrsche ich ihn an, vor allem, weil ich mich wieder so seltsam fühle. Weil Julia, die zwischen uns steht, nicht einmal ahnt, dass Jannik und ich ein Liebespaar sind. Weil Julia annimmt, wir wären nichts weiter als Mitbewohner; nicht mehr als ganz normale Freunde. Und ein Teil von mir, der die Mehrheit meines Ichs darstellt, will nicht als bloßer „Kumpel“ ihres Bruders wahrgenommen werden. Dieser Teil von mir will, dass jeder einzelne weiß, dass dieser Mann, mit den dunklen Haaren und dunklen Augen, ganz allein mir gehört und dass ich ihm ebenso verfallen bin.
 

Aber gerade deshalb muss ich ja dieses Spiel hier durchziehen.
 

Ich versuche Jannik nicht anzusehen, während ich mir ein Glas Wasser einschenke und es wie ein Bekloppter in mich hineinschütte. Ich blicke ihn auch nicht an, als ich die Küche verlasse, mir meine Tasche schnappe und mich in „mein“, oder „unser“ oder „das“ Zimmer verkrümele, um mit der Korrektur der ersten Arbeit anzufangen. Ja, ich weiß ganz genau, dass ich den gesamten, morgigen Tag dafür habe. Aber ich kann mir momentan besseres vorstellen, als mit meinem Freund, der momentan ja eigentlich nur „ein“ Freund ist, und seinen Schwestern vor dem Fernseher abzuhängen. Außerdem denkt man beim Korrigieren einfach nur über die Fehler nach, die einem vor die Augen geführt werden, man ist beschäftigt mit Grammatik, mit Formatierungen, mit der Zitierweise.
 

Eine ganze Stunde sitze ich schon an der „Bierarbeit“, als Jannik das Zimmer betritt und sich ebenfalls an seinen Schreibtisch setzt und den Laptop aufklappt. Als ich in die Richtung meines Freundes schiele, kann ich erkennen, dass er an irgendwelchen Tabellen arbeitet. Ist es Statistik oder doch eher etwas Abstrakteres, frage ich mich. Wobei mich seine momentane Arbeit eigentlich weniger interessiert.
 

Ich starre wieder auf meinen Monitor. Den zu korrigierenden Satz lese ich drei Mal, ohne seinen Sinn zu begreifen, jedoch liegt das nicht am Satz selbst, der richtig und zudem wirklich gut formuliert ist, sondern an meiner Verfassung, die mich wieder eingeholt hat. Ich drehe mich in meinem Stuhl, sodass ich Jannik direkt ansehen kann. Nach einigen Sekunden realisiert er meinen Blick auf seinem Rücken und hört auf zu Tippen, wendet mir seinen Kopf zu und sieht mich an.
 

„Ist alles in Ordnung, Roman?“, fragt er mich mit dieser süßen, ruhigen Stimme. Ich nicke und lächel und dann tragen mich meine Beine bereits unbewusst in seine Richtung. Ich dränge mich auf seinen Schoß, lege meine Arme um seinen Nacken und küsse ihn. Und er lässt sich Küssen und lässt seine Hände ein ganz kleinen wenig unter mein T-Shirt wandern.
 

„Hast du deine Bücher heute endlich bestellt?“, fragt er dann.
 

„Ja, hab ich. Und ja, ich musste es über Fernleihe machen“, antworte ich grinsend.
 

Für einige Minuten bleibe ich einfach so auf seinem Schoß sitzen und er hält mich fest, so wie eine Mutter ihr Kind festhält, ihm Geborgenheit und Liebe schenkt. All das tut Jannik auch. Und es fühlt sich wundervoll an. Dann schiebt er mich behutsam von sich runter und erklärt, als er meine missmutige Miene erblickt: „Ich muss das hier bis morgen fertig haben“, und deutet auf den Laptop. Mit einem gespielt langem Seufzer wandere ich zurück zu meinem Arbeitsplatz und stelle fest, dass mich meine Motivation endgültig verlassen hat.
 

Als ich in die Küche gehe, ist der Rest der Wohnung bereits dunkel. Janniks Schwestern schlafen schon. Und das ist gut so. Es ist ja nicht so, versuche ich mir selbst zu erklären, dass ich sie nicht mag. Es ist auch nicht so, dass ich sie nicht kennenlernen will. Es ist aber so, dass es mir irgendwie ziemlich schwer fällt mich „normal“ in ihrer Gegenwart zu benehmen, vor allem wenn Jannik in der Nähe ist. Und überhaupt fällt mir die Definition der Normalität momentan schwer. Ich habe mich schlicht und einfach noch nicht an diese Situation gewöhnt.
 

Die Nacht verläuft wie die letzte. Jannik und ich schlafen (angezogen!) auf dem Schlafsofa, bewusst, dass nur einen Raum weiter seine Schwestern vor sich hinschlummern und jederzeit anklopfen könnten. (Deswegen ist die Tatsache der vorhandenen Kleidung auch eigentlich egal, denn in so einer Situation, in der Jannik auch noch so angespannt zu sein scheint, kann einfach keine Erotik aufkommen.) Eine Stunde vor dem Wecker Klaras und Julias schellt unserer und Jannik schleppt sich zurück auf die Matratze. Und als ich erneut aufwache, ist die Wohnung leer und ich kann meinen freien Tag genießen. Oder auch nicht, denn schließlich muss ich Arbeiten korrigieren, meine zweite Hausarbeit anfangen (hierzu befinden sich sogar alle erforderlichen Bücher in meinem Besitz!) und einige Texte (sehr lange Texte) lesen.
 

Und so mache ich mich mit viel Kaffee und einem großen Stück kalter Pizza an die Arbeit, tippe vor mich hin, seufze bei einigen debilen Fehlern laut auf, oder gebe ab und an ein ebenso lautes „aha“ von mir, wenn ich über eine interessante Tatsache stolpere. Ich schaffe es sogar, die ersten beiden Arbeiten komplett zu korrigieren und vergesse beinahe zu Essen. Als ich in die Küche gehe, gewillt eine der am Kühlschrank angebrachten Bringdienstnummern zu wählen, überkommt mich diese schier unbändige Lust zu Kochen, die ich so ab und an verspüre. Und ich muss zugeben, dass mir der Gang zum Supermarkt Freude bereitet, eine Abwechslung bietet und als ich die Zutaten kaufe, finde ich sogar Gefallen daran für vier Personen zu kochen, anstatt nur für zwei.
 

Man kann diesen Einkauf und den gesamten Prozess der Zubereitung als Selbsttherapie beschreiben. Während ich koche (Putenbrust Streifen á la Gyros, dazu Basmati und Wildreis und dazu richte ich noch ein griechischer Salat an mit diesem teuren Olivenöl, was unser gemeinsamer Freund Raphael uns geschenkt hat), halte ich mir unentwegt vor die Augen, wie witzig das eigentlich ist zu viert unter einem Dach zu hausen und dass ich für diese vier Wochen doch eigentlich ein Teil von Janniks Familie bin – und das macht mich ja schon irgendwie glücklich.
 

Glücklich bin ich auch, als Jannik plötzlich vor mir steht. Und ich weiß, dass wir noch alleine sind, da er auf mich zutritt, seine Arme um mich legt und mich intensiv küsst. Langsam und trotzdem gierig dringt er mit seiner Zunge in meine Mundhöhle ein und erforscht sie. Ich dränge mich gegen ihn, bedacht diesen kleinen und doch in seiner Art schönen Moment so lange zu genießen, wie ich darf.
 

„Hi“, haucht er schließlich, als wir uns voneinander lösen, auch wenn ich hier ehrlich gesagt den ganzen Tag mit ihm rumknutschen könne. Allerdings würde mir dann auch das Essen anbrennen und das wäre sicherlich alles andere als schön.
 

„Wie war dein Tag?“, frage ich ihn.
 

„Ich hab viel in der Bibliothek geschafft“, antwortet er.
 

„Ich dachte, du hast eh schon alles fertig.“
 

„Ja, das „fast“ darfst du jetzt streichen.“
 

„Bitte erzähl nichts weiter...“, jammere ich und meine Gedanken kreisen um meine noch nicht einmal angefangenen Aufgaben. Jannik grinst ganz leicht und fängt an, den Küchentisch zu decken.
 

„Klara und Julia sollten in 15 Minuten da sein“, erklärt er, während er das Besteck anordnet. Ich nicke stumm und probiere ein wenig von dem Fleisch – es ist lecker und so gut wie fertig. Jannik nascht etwas vom Salat und ich haue ihm lachend auf die Finger. Er schnappt nach mir, und zieht mich an sich. Die Welt um mich herum scheint sich zu drehen, als er erneut seine Lippen auf die meinigen drückt. Hey, wenn das so die vier Wochen weiterläuft, dann wird die Zeit ja gar nicht so schlecht!
 

„Ich zieh mich mal eben um“, sagt er, während ich den Herd herunterschalte, um das Fleisch nur noch warm zu halten.
 

„Darf ich zusehen?“, frage ich ihn mit lasziver Stimme und folge ihm grinsend durch den Flur. Er sagt nichts, aber ich weiß, dass er es mir erlaubt, dass er es vielleicht sogar möchte. Ich lehne mich gegen den Türrahmen und lasse meine Augen über seinen Körper wandern, über seine nackte Brust, bevor diese erneut mit einem frischen T-Shirt bedeckt wird, vor allem über seinen durchaus wohlgeformten Po, hervorgehoben durch den engen, schwarzen Stoff der Boxershorts, bevor er in eine neue Hose schlüpft. Er geht mit einem großen Grinsen auf mich zu und ich bin mir sicher, dass er mich erneut küssen will. Doch im selben Moment können wir beide wahrnehmen, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wird.
 

Jannik braucht nichts zu sagen. Ich drehe mich ruckartig um und wandere in die Küche, fange an, das Essen aufzutun, während ich zuhöre, wie er seine Schwestern begrüßt.
 

„Oh Mann, dieser Tag war noch stressiger!“, klagt Julia als sie sich auf einem der Küchenstühle niederlässt und mich schief grinsend ansieht.
 

„Werdet ihr auch brav wie alle Praktikanten zum Kaffeekochen verdonnert?“, feixe ich.
 

„Ich würde lieber den gesamten Tag Kaffee kochen, als diese ganzen Rechnungen zu machen und überhaupt zu verstehen!“, antwortet sie laut.
 

„Nach einigen Tagen hast du das System verstanden und bekommst sicherlich noch interessantere Aufgaben“, sagt Klara, die die Küche betritt. „Hey Roman!“, fügt sie hinzu. „Hast du das wieder alles gekocht?“ Sie betrachtet interessiert den gedeckten Tisch.
 

Ich nicke.
 

„Jannik hat so Glück mit dir gehabt!“, sagt Julia wieder und isst ein Stückchen Paprika. „Jannik!“, ruft sie dann laut. „Komm endlich essen!“ Und da kommt mein Mitbewohner schon und endlich kann ich auch meinen Hunger stillen.
 

Ich denke an Julias Satz. Jannik hat so Glück mit dir gehabt. Wenn sie nur wüsste, was er wirklich bedeutete... Wir haben wohl beide miteinander Glück gehabt, Jannik und ich. Und wir teilen es noch immer. Ja, wenn sie nur wüsste...
 

Mein Freund betritt die Küche, setzte sich endlich an den Tisch – neben mich (!) - und die Schlemmerei kann endlich beginnen. Kopfarbeit kann einen ebenso stauchen, wie physische Arbeit, wie Sport, ein Marathon. Mir kommt es vor, als würde ich wie ein Schwein essen. Oder wenigstens so gierig und schnell schlingen wie ein ausgehungerter Straßenköter. Schon seltsam, mit was für Tieren ich mich vergleichen kann.
 

„Unser Chef ist ein Arschloch“, platzt es plötzlich aus Julia heraus.
 

„Das kannst du doch nach einem Tag nicht sagen!“, kommt es umgehend von ihrer Schwester. Und die beiden fangen an, über eine Person zu streiten, die ich nicht kenne und die sie erst heute kennengelernt haben. Währenddessen bin ich beinahe schon satt und lehne mich ein wenig im Stuhl zurück. Unbekümmert lasse ich meine Hand unterm Tisch auf Janniks Knie wandern. Zu meiner Enttäuschung verkrampft er sich erneut, so wie gestern auf dem Sofa. Und nach einigen Sekunden greifen seine Finger nach meinem Arm und ziehen ihn vorsichtig, aber dennoch entschieden, von seinem Knie weg. Innerlich seufze ich. Und fühle mich durch diesen Akt verletzt.
 

„Könnt ihr uns bitte am Wochenende einen geilen Club zeigen?“, reißt mich Julias laute und flehende, gar schon verzweifelte Stimme aus meinen Gedanken, die gerade drohen immer finsterer zu werden. „Ich glaube ich muss am Freitag oder Samstag irgendwie raus, sonst drehe ich durch. Und Klara auch!“
 

Ihre ältere Schwester seufzt und schaut etwas unbeholfen in unsere Richtung. Ungefähr genauso unbeholfen starre ich Julia an.
 

„Ihr müsst nur dieses eine Wochenende mit uns weg, ihr müsst uns nur ein wenig die Partymeile zeigen. Danach finde ich immer wieder dort alleine hin“, fügt Julia hinzu und schaut Jannik und mich an. „Also, wo gehen wir Freitag hin?“, fragt sie, als sei es bereits beschlossene Sache. Und irgendwie glaube ich auch, dass es eine beschlossene Sache ist, weil a) Jannik seiner Schwester diesen Gefallen bestimmt nicht abschlagen wird und b) ich sowieso keine andere Wahl habe, als ja zu sagen, um wiederum meinen Freund nicht hängen zu lassen.
 

Wir antworten gleichzeitig auf diese Frage. Ich nenne das Roxy, er das Stubu - Clubs von denen wir beide meinen sie in Erzählungen einiger unserer Freund gehört zu haben. Ganz ehrlich – Woher soll ich wissen, welcher „normale“ Club in dieser Stadt irgendwie „geil“ ist? Klar hänge ich nicht nur in Schwulenbars rum und auch die meisten „Gay Partys“ finden in „normalen“ Lokalitäten statt. Zudem gehe ich auch gerne mal mit meinen „hetero Freunden“ weg – allerdings eher in die Cocktailbar oder zu ner Studienfete. Ich weiß, dass im Stubu jeden Mittwoch der „Studi-Tag“ ist, und zu dem bin ich im ersten Semester regelmäßig hingepilgert. Den Rest des Angebotes dort kenne ich aber nicht. Und das Roxy... Hat Torben das nicht irgendwann erwähnt? War da nicht irgendein Konzert oder ne große Party?
 

Jannik und ich blicken uns leicht erschrocken an.
 

„Das Roxy hört sich besser an“, sagt Julia. „Was für Musik spielen die da?“
 

Dies ist der Moment, in dem die ersten Schweißperlen auf meiner Stirn auftauchen und sich über diese langsam herunter schleichen, jedenfalls fühlt es sich für mich so an.
 

„House... und R'n'B und... so“, sage ich und kann Janniks Blick auf meiner Haut spüren.
 

„Das hört sich gut an!“, sagt Julia dann.
 

„Wir können auch einfach irgendwo ein Bier trinken gehen“, mischt Klara sich schließlich ein. Ja, ja, ja!
 

„Nein, ich will tanzen! Das können wir das nächste Mal machen“, entgegnet Julia und ihre ältere Schwester lächelt einfach nur und sagt: „OK“. Verdammt!
 

Jannik rutscht etwas unbeholfen auf seinem Stuhl herum und lächelt, ohne jemanden von uns dabei anzusehen.
 

„Das wird bestimmt lustig“, sage ich debilerweise, als Julia mich angrinst. Ha ha ha.
 

„Seid ihr öfters zusammen unterwegs?“, hakt Klara nach. Mittlerweile schwitze ich am ganzen Körper. Sind wir das? Ja? Nein? Gott, Theater war noch nie mein Ding, erst recht nicht Improvisationstheater!
 

„Eigentlich fast immer“, antwortet Jannik umgehend und ich atme erleichtert aus. Auch, weil es endlich mal eine wahre Antwort ist. Und keine aufgesetzte, erdachte Lügengeschichte. Ich sehe ihn dankend an, nur ganz kurz natürlich, damit es nicht auffällt. Ich hoffe wir können gleich abräumen. Ich möchte mich in mein Zimmer verkrümeln und weiter arbeiten.
 

Und so passiert es auch, denn Julia ist scheinbar einfach nur glücklich, dass wir eingewilligt haben, sie ins hiesige Nachtleben einzuführen, sodass sie dazu keine Fragen mehr stellt. Vielleicht auch, weil sie dieser Tag so müde gemacht hat und sie an scheinbar nichts anderes, als an ihr Bett denken kann. Auch ihre Schwester scheint geschlaucht. Sie zeigt es jedoch auf eine andere Art und Weise. So wie Jannik. Sie ist still, sie ist ruhig, redet nicht viel, lächelt einfach nur ab und an. So wie Jannik...
 

Er küsst mich, als das Licht im Haus schon lange aus ist und die Wohnung seit einigen Stunden komplett ruhig ist. Er presst sich gegen mich und ich halte mich an ihn geklammert. Seine Zunge ist so warm, so heiß und gierig, als wolle er gleich mit mir... Aber das tut er nicht. Er rückt ein wenig von mir ab. Ich spüre seinen Atem an meiner Wange.
 

„Kennst du das Roxy überhaupt?“, fragt er mich.
 

„Woher denn?“, zische ich zurück. Er ist für eine Weile still.
 

„Vielleicht sollten wir noch mal nachsehen, was das für ein Laden ist?“, flüstert er dann.
 

„Mach doch“, zische ich wieder zurück. Auf meinem Mist ist diese Lage nicht gewachsen, soll er sich doch drum kümmern.
 

Er rückt wieder näher und fängt an seine Finger entlang meines Oberarmes wandern zu lassen. Er küsst meine Nasenspitze und ich muss kichern. „Das wird schon...“, flüstert er dann, als hätte ich ihm irgendein Problem anvertraut. Er fängt an meinen Nacken zu kraulen. Verdammt, er weiß, wie er mich beruhigen kann. Genüsslich schließe ich die Augen. Wäre ich eine Katze, würde ich jetzt schnurren.
 

Langsam lasse ich meine Hände über seinen Oberkörper wandern. Jannik schläft heute nur mit einer Boxershorts bekleidet. Natürlich würde ich sie ihm gern entwenden, aber ich besinne mich eines Besseren. Diese Nähe zu ihm reicht mir vollkommen, sie erfüllt mich ebenso wie Sex es tut. Ich seufze ganz leise und er presst seine Lippen auf meine, während er mich weiterkrault. Und irgendwann drifte ich in einen ruhigen Schlaf ab.
 

Diese zwei Tage sind trotz dieser „Klub-Nachricht“ wirklich unspektakulär und man könnte fast sagen, ich würde mich an diese seltsame Prozedur gewöhnen: Warten bis die beiden Mädchen schlafen, kuscheln, einschlafen, eine Stunde vor den beiden Mädchen aufwachen, Jannik ins andere Bett krabbeln sehen und dann so tun, als wäre ich nicht mit meinem Freund zusammen, wenn Julia und Klara anwesend sind. Wobei ich sie eigentlich nur abends sehe, wenn sie erledigt nach Hause kommen. Und wir essen auch nicht wie am ersten Tag gemeinsam, da sie in der Kantine futtern und Jannik und ich in der Mensa schlemmen, sodass wir abends eh nur noch Kleinigkeiten zu uns nehmen.
 

Es tut gut, Jannik auf dem Campus zu sehen, ihn anzufassen, in der Menschenmenge seine Hand zu halten, ihn in einer stillen Ecke offen zu küssen. Ja, hier ist es so wie immer. Hier gehen wir Hand in Hand und er blickt mich mit diesem warmen Blick an, der meine Knie weich werden lässt. Wir reden ohne diesen Druck miteinander, über die Profs, die wir beide kennen, über Filme, die wir uns irgendwann mal ausleihen sollten (wenn Klara und Julia nicht mehr da sind).
 

Ja, man könnte sagen, ich hätte mich fast an all das gewöhnt, als die erste Woche beinahe zu Ende geht und der Freitag kommt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  G-Saite
2021-02-27T13:57:31+00:00 27.02.2021 14:57
Ich hab gelacht, als sie meinte, man müsse ihr nur einmal den Weg zeigen, sie fände dann immer wieder dort hin. Wie eine entlaufene Katze. xD;
Von:  jyorie
2015-02-11T05:22:20+00:00 11.02.2015 06:22
Hallo 。◕‿◕。

ich bin beim Lesen auch am mitschwanken, wie die Stimmung jetzt ist. Ich hatte gehofft, bei der Selbsttherapie mit dem Kochen für 4 das alles besser wird und sich Roman mit der Situation abfinden kann. Und eigentlich hat es sich ja auch ganz gut angehört. wenn die Mädels abends so kaputt sind, das da nicht viele Berührungspunkte bleiben.

Aber dann wieder der Dämpfer mit der Ablehnung von Jannik, die so übel aufstößt. Wenn die beiden nicht aufpassen, können sie die gekränkten Gefühle nicht mehr Kitten. Ich hoffe das ihre Beziehung nicht zu viele Risse und dellen bekommt.

Liebe Grüße, Jyorie

Von: abgemeldet
2009-09-30T19:12:13+00:00 30.09.2009 21:12
Oh man! Also, ich kann mich so gut in den Tagesablauf hineinversetzten^^
Erst mal deine Schilderungen über das Studium sind recht gut und wirken auch gar nicht fehl am Platz, wie es bei manchen ja doch der Fall ist. Hier ist das einfach passig! Das ist auch ein Punkt, der mir so gut an deiner Geschichte gefällt. Man ist mitten im Leben der beiden drin und lebt und fühlt richtig mit ihnen mit. Hach...Hab ich schon gesagt, dass ich deiner Geschichte verfallen bin? Ja? Egal^^

Ich find du arbeitest die Charaktere richtig gut aus und gibst ihnen einen selbstständiges leben. Das find ich klasse! Ich find eigentlich alles an deiner Geschichte klasse^^

Bin gespannt auf das nächste Kapi! Was das wohl geben wird, wenn die zusammen weggehen^^

LG Loona

Von:  MaiRaike
2009-09-02T10:53:59+00:00 02.09.2009 12:53
Hm. Bis jetzt läuft es ja.
Ich bin gespannt was passiert wenn sie weggehen.
Werden sie von irgend jemandem angesprochen, der nicht eigeweiht ist?
So nach dem Motto "Was macht ihr denn hier? Ich dachte man kann euch nur bei den Gay-Partys finden?"
Oder platzt Roman irgendwann der Kragen?
Ich bin gespannt!!!

Krieg ich eine ENS wenn es weitergeht?
Von:  ReinaDoreen
2009-08-30T12:28:49+00:00 30.08.2009 14:28
Bisher scheint ja alles nach Planzu laufen. Obwohl Roman das ganze nach wie vor nicht gefällt und ich schon den Eindruck habe, das er enttäauscht ist von Jannik.
Ich frage mich ob es wirklich die vier Wochen funktioniert, dieses Versteckspiel.
Reni
Von:  Tali
2009-08-30T10:43:20+00:00 30.08.2009 12:43
Mal wieder ein gelungendes Kapi! Mal wieder spannend und hinreisend geschrieben. Du trifst irgendwie immer den Ton des Geschehens! Alle wirken so real! Ich bin schon sehr gespannt, wie du die ganze Sache weiter erzählen wirst! Werden die Mädels es doch irgenwie herausfinden? Wird das Paar einen folgeschweren Fehler machen? Können die sich irgenwann einfach nicht mehr beherschen? Ich freu mich schon sehr, mehr zu lesen!


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