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Flatmates

von

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Girls

Mit schönen Grüßen aus dem Urlaub *einge Minuten Internet hab* ^^
 

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GIRLS
 

Klaras Augen sind ebenso dunkel wie die meines Freundes. In der Tat fühle ich mich so, als würde ich Jannik anstarren. Einen leicht veränderten Jannik, der plötzlich einen ganzen Kopf kleiner ist als ich und dessen schwarzes Haar ihm bis zu den Schultern reicht, durchgestuft ist und in Form eines Ponys seine Stirn bedeckt. Klaras Haut scheint makellos, so wie Janniks und so, wie sie auf mich zu geht, mit fast tänzerischen, eleganten Bewegungen, könnte ich wirklich glatt glauben, mein Freund hätte sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Keine Frage, dies ist definitiv seine Schwester.
 

Sie trägt eine enganliegende Jeans, Röhrenschnitt, dazu ein semi-elegantes, bis zum Bund ihrer Hosen reichendes, kariertes Hemd, darüber eine tiefschwarze Weste, die ihre Taille betont. Ich schätze sie auf Größe 38 und denke, dass ich ich total auf sie abfahren würde, wäre ich nur zu einem Prozent hetero. Bin ich aber nicht. Dennoch kann ich sagen, dass Klara hübsch ist und irgendwie älter als 19 wirkt. Ja, so wie das bei Jannik eben ist.
 

„Hallo“, sage ich und ergreife zunächst ihre Hand. „Du musst Klara sein“, sage ich und setze mein schönstes Lächeln auf. Ihre Haut ist so glatt, wahrscheinlich erst vor kurzem eingecremt. Sie riecht ein wenig nach Lavender. „Ich bin Roman.“
 

„Hi, nett dich kennenzulernen“, entgegnet sie sofort. Sie lässt meine Hand los und blickt mir direkt in die Augen. Dieser ebenso durchdringende Blick macht mich irgendwie nervös. „Vielen, lieben Dank, dass wir bei euch wohnen dürfen und dass du diese Bürde auf dich nimmst“, sagt sie umgehend und ihr Lächeln wird noch intensiver. Es wirkt dennoch immer noch herzlich.
 

„Ja, vielen Dank!“, ertönt die Stimme Julias. Ich drehe meinen Kopf zu ihr, sie steht nun direkt neben ihrer Schwester und drückt meine Hand ganz fest. Fast schon wie ein Mann, obwohl auch sie in meinen Augen ebenfalls ziemlich feminin wirkt. Ihr Haar sieht ganz anders aus als das ihrer Schwester. Hat sie eine Dauerwelle? Es ist so gelockt und so viele Farben scheinen darin zu liegen. Gold, blond, dunkelrot. Ihr Make-Up ist trotzdem so dezent wie das ihrer Schwester, auch wenn man bei Julia einige Unklarheiten erkennen kann, was sie nicht minder hübsch macht. Charismatisch wäre vielleicht der bessere Ausdruck. Sie ist etwas dünner als Klara, aber als Hungerhaken kann und darf man sie nicht beschreiben. „Ich bin Julia“, stellt sie sich vor und blickt mich weiterhin an.
 

„Das hatte ich mir schon fast gedacht“, sage ich grinsend. Im selben Moment nehme ich den Geruch der Schnitzel, die ich gestern Abend gemacht habe, wahr und spüre den Hunger, der sich nun durch diese Stimulation meiner Sinne bemerkbar macht. „Gott sei Dank habt ihr noch nicht gegessen, ich hab echt Mordshunger“, sage ich und gucke in Richtung der Durchreiche. Und dort erscheint auch schon Janniks Kopf.
 

„Deckt mal den Tisch!“, ruft er und seine Augen fallen auf mich. „Hey, Roman!“, fügt er hinzu und schon ist er wieder verschwunden. Klara macht sich sofort auf den Weg in die Küche, läuft dann aber schnellstens wieder zurück zum Sofa, als ihr Handy anfängt zu klingeln. „Das ist wahrscheinlich Thomas!“, erklärt sie affektiert, als sie sich auf das Gerät stürzt.
 

„Ihr Freund“, erklärt Julia mir und verdreht gespielt die Augen.
 

„Aha“, sage ich.
 

„Hast du ne Freundin?“, fragt sie mich weiter, als Klara sich in den Flur begibt und in einer gedämpften Stimme mit ihrem Angebeteten spricht. Ich starre Janniks jüngste Schwester etwas schockiert an. „Also“, setzt sie wieder an und grinst etwas dämlich „ich meine, ob wir hier des Öfteren zu viert sein werden, oder eben nur zu dritt.“
 

„Nur zu dritt“, antworte ich knapp und marschiere in die Küche.
 

Ich hätte nicht gedacht, dass mich eine so simple Frage bereits aus dem Konzept werfen kann und mein Herz zum Rasen bringt. Allein die Annahme, ich wäre mit jemand anderem zusammen als mit Jannik, schmerzt und macht mich wütend. Und dann stehe ich auch schon vor dem Mann meiner Gedanken in unserer Küche, und er hält mir einen Stapel Teller vors Gesicht. Unsere Blicke treffen sich. Normalerweise würde er seine Arme um meine Hüften legen. Er würde mich an sich ziehen und mich küssen. Auf den Mund, oder auf die Wange, auf den Hals oder er würde mir leicht ins Ohrläppchen beißen und ein „Wie geht es dir?“, in verführerischer Manier ins Ohr hauchen.
 

Doch heute passiert nichts dergleichen.
 

Als ich die Teller entgegennehme, dreht Jannik sich sofort um und kramt in der Schublade nach Besteck. Ich starre ihn immer noch an. Und dann betritt Julia die Küche und ich fühle mich irgendwie ertappt.
 

Wieso fühle ich mich ertappt? Ein „ganz normaler Mitbewohner“ darf seinen „ganz normalen Mitbewohner“ doch wohl auch ohne Hintergedanken anblicken in der „ganz normalen, gemeinsamen Küche“, oder etwa nicht? Mit diesen Gedanken gehe ich ins Wohnzimmer und decke den ausgezogenen Wohnzimmertisch, auf dem bereits eine Kerze angezündet worden ist. Im Hintergrund spielt bereits die neue Placebo. Meine Placebo. Unsere Placebo. Aber wahrscheinlich hat er die CD als die seinige beschrieben. Für die nächsten vier Wochen gibt es ja kein „uns“.
 

„Oh, Mann. Wir haben echt Glück gehabt!“, reißt Klaras Stimme mich aus den Gedanken. Ich schaue sie fragend an. Sie setzt sich und sagt: „Thomas erzählte gerade, dass auf unserer Strecke ein Unfall war und die gesamten Gleise gesperrt worden sind. Ein späterer Zug und wir würden da wer weiß wie viele Stunden festsitzen.“
 

Ich hasse mich dafür, dass ich mich ärgere, dass die beiden den früheren Zug erwischt haben. Schließlich scheinen sie auf den ersten Blick wirklich nett und ziemlich sympathisch. Und sie sind nun nicht wirklich diejenigen, die ich für diese Farce verantwortlich machen sollte. Wenn überhaupt, dann Janniks Eltern. Ja, ich entschließe, dass ich auf Janniks Eltern sauer bin.
 

„Du scheinst irgendwie müde“, bemerkt Klara mit sanfter Stimme und als ich sie wieder anblicke, lächelt sie mich leicht an. Es ist das gleiche, verständnisvolle Lächeln, welches Jannik mir schenkt, wenn er weiß, was in mir vorgeht. Diese Gemeinsamkeiten sind wirklich unheimlich. Ich grinse blöd und nicke.
 

„Hatte heute ein langweiliges Seminar, ne ätzende Vorlesung und sowieso viel zu tun“, erkläre ich. Im gleichen Augenblick betreten Julia und Jannik das Wohnzimmer.
 

„Holst du noch die Kartoffeln?“, fragt er mich und ich nicke.
 

„Du studierst auch Soziologie, oder?“, fragte Julia mich, als wir gemeinsam in seltsamer Stille vor uns hinschlemmen.
 

„Jo“, sage ich und stopfe mir eine kleine Kartoffel in den Mund. Jannik und ich sitzen nicht einmal nebeneinander. Mein Freund sitzt mir schräg gegenüber, direkt neben Julia, die mich ansieht. Klara trinkt einen Schluck Mineralwasser und scheint darauf bedacht, keinen Körperkontakt mit mir aufzubauen, so als bedeutete es, wir würden dadurch flirten. Aber eigentlich glaube ich, dass ich mir das nur einbilde, das mit dem vermiedenen Körperkontakt. Denn eigentlich bin ich einfach nur angepisst und traurig, dass ich gar keine solcher Berührungen mit Jannik unterm Tisch aufbauen kann. Seine Schwestern würden das doch sowieso nicht sehen!
 

„Macht das Spaß?“, hakt Julia weiter nach.
 

„Jo“, sage ich erneut.
 

„Dein Mitbewohner ist aber nicht gerade ziemlich gesprächig“, bemerkt sie in Janniks Richtung, der müde lächelt. Ich kann das aus meinen Augenwinkeln sehen. Schaut er jetzt ein wenig traurig, oder bilde ich mir das nur ein?
 

„Julia, Roman ist müde“, sagt Klara wieder mit dieser sanften Stimme. „Lass ihn.“
 

„Das war doch nur ne einfache Frage...“, entgegnet die jüngere Schwester schmollend und seufzt. Ich schaue sie an und ihr Blick haftet noch immer an mir. Ich glaube, mein schlechtes Gewissen hat sich auf seinen Weg begeben. Ich räuspere mich.
 

„Mir macht es auf jeden Fall Spaß“, setze ich mit friedlicher Stimme an. „Du hast viel mit Menschen zu tun, bzw. mit dem menschlichen Handeln, den Beweggründen für menschliches Tun und Gruppenverhalten. Statistik hat am Anfang genervt, aber mittlerweile finde ich es ganz angenehm.“
 

„Machst du dann auch so Umfragen?“, hakte sie weiter nach.
 

„Ja, wir hatten das in bestimmten Seminaren als Praxisarbeit. Das war echt super. Man muss dann auch viel schreiben können, vor allem bei qualitativen Verfahren, und sehr viel Zeit investieren, aber das ist genau das, was mir liegt.“
 

„Hmmm...“, sagt Julia und spießt ein weiteres Stück Schnitzel auf ihre Gabel. „Das schmeckt echt gut“, bemerkt sie und, zeigt auf ihren Teller. Ihre Augen wandern zu Jannik.
 

„Das hab nicht ich gekocht!“, sagt dieser sofort und schielt zu mir.
 

„Hast du das gekocht?“, fragte Julia nun mich.
 

„Ja“, sage ich trocken, grinse jedoch ein wenig.
 

„Ein Mann, der kochen kann!“, ruft sie aus und klatscht in die Hände. Klara lacht und schüttelt den Kopf. „Heirate mich!“, sagte Julia theatralisch und lacht laut, wonach sie weiter isst. Ich grinse und versuche meine Panik durch dieses Grinsen zu übermalen. Will sie jetzt gleich wieder etwas über Soziologie wissen, oder will sie mit mir über Hochzeitssuppe sprechen?
 

„Ihr kennt euch von der Soziologiefeier, oder?“, fragte Klara plötzlich und Jannik nickt. Und dann ist es wieder still. Dieses Mal bin ich es, der sich dazu bewegt, das Schweigen durch belanglose Konversation zu brechen.
 

„Und wo macht ihr noch mal Praktikum?“, hake ich nach.
 

„Bei Siemens“, antwortet Klara. „Unser Vater kennt da jemanden, deswegen war das Praktikum auch noch so kurzfristig möglich. Ich wollte zunächst nach Bonn, aber da scheint wohl etwas mit den Akten durcheinander gekommen zu sein...“, erklärt sie und ich nicke.
 

„Und, äh, du willst BWL machen?“, frage ich weiter. „Sagte Jannik.“
 

Klara nickt und lächelt. „Ja, das wollte ich schon immer.“
 

„Krank“, sage ich und zwinkere ihr zu. Sie schaut etwas peinlich benommen auf ihren Teller, doch ihr Lächeln verschwindet nicht aus ihrem Gesicht.
 

Als ich mir noch ein wenig Kartoffeln auftun will, greift Jannik im selben Moment nach dem Löffel. Wie in einem Liebesfilm streifen sich unsere Finger und wir ziehen im selben Augenblick unsere Hand zurück, als hätten wir sie an etwas Heißem verbrannt, oder etwas Verbotenes berührt. Wir grinsen beide aufgesetzt und vielleicht auch etwas nervös und Jannik lässt mir sozusagen den Vortritt beim Auftun. Natürlich registrieren weder Klara noch Julia diesen Vorfall, der einer Nichtigkeit gleicht, bei mir dennoch mein Herz zu einem kurzen, beschleunigten Klopfen bringt und auch Jannik etwas verlegen macht.
 

„Ihr solltet eure Sachen auspacken und bald ins Bett pilgern“, sagt mein Freund, oder sollte ich sagen „mein Mitbewohner“, nachdem wir aufgegessen haben und noch etwas Schokolade zu uns nehmen.
 

„Ja, ich weiß“, antwortet Klara seufzend.
 

„Geht es morgen schon los, oder wie?“, hake ich nach und beide junge Frauen nicken. „Oh“, sage ich und lasse ein weiteres Stück der dunklen Schokolade auf meiner Zunge zergehen.
 

„Ich kapiere nicht, wie man dunkle Schokolade überhaupt in die Finger nehmen kann“, bemerkt Julia und schaut mir bei meinem Genuss zu. Ich grinse einfach nur und stecke mir ein weiteres Stückchen in den Mund.
 

„Was machen deine Prüfungen?“, fragte Klara ihren Bruder.
 

„Ich hab erst welche im Juli, aber das meiste sind praktische Arbeiten oder Hausarbeiten. Und mit den meisten bin ich so gut wie fertig“, entgegnet er ruhig.
 

„Wenn ihr wüsstest, was für ein Streber euer Bruder ist...“, sage ich immer noch grinsend. Julia lacht und Klara lächelt leicht.
 

„Dabei hat Klara doch den besseren Abidurchschnitt“, flötet Julia dann und schlägt Jannik spielerisch auf die Schulter. „Bist aber auch nicht schlecht, Brüderchen“, fügt sie dem hinzu und ihr Bruder grinst.
 

„Ja, ich hatte wenigstens keinen Unterkurs in Mathe“, entgegnet Jannik und Julia rollt grinsend die Augen.
 

„Mathe ist überbewertet“, sage ich und Julia schaut mich dankbar an.
 

„Dabei bist du doch ein Ass in Statistik“, bemerkt Jannik. Wow, das ist der erste Satz, den er in dieser Situation tatsächlich, so richtig in meine Richtung äußert. Ich sehe ihn an und wieder überkommt mich dieses Verlangen, ihn anzufassen. Ich will mich in dieser trivialen Situation einfach gern neben ihn setzen, meine Hand auf sein Knie legen, meinen Kopf ab und an gegen seine Schulter lehnen und vielleicht auch mal einen minimalen Kuss ernten. Wobei Jannik mich nicht einmal vor seinen Schwestern küssen müsste! Es geht mir einfach nur darum, um...!
 

„Mathe und Statistik sind nicht das gleiche“, sage ich nur und nehme aus Protest oder Trotz oder vielleicht auch einfach aus Lust ein weiteres Stück Schokolade zu mir. Es ist beinahe 20 Uhr. Klara erhebt sich und streckt sich ein wenig,
 

„Vielen Dank für das Essen“, sagt sie zu mir und lächelt. „Ich werd' jetzt duschen gehen, ist das OK?“
 

„Natürlich“, antwortet Jannik. „Fühlt euch hier zu Hause.“ Und als die beiden Mädchen mich anschielen, nicke ich nur stumm.
 

„Ich werde dann erstmal ein paar meiner Sachen auspacken, ja?“, sagt Julia und erhebt sich und während die Ältere von den beiden im Badezimmer verschwindet, geht die Jüngere in unser Arbeitszimmer, bzw. das Zimmer, das fälschlicherweise als „Janniks Zimmer“ bezeichnet wird, denn für die vier Wochen ist Jannik ja eben fälschlicherweise in „mein Zimmer“ gezogen.
 

Eine seltsame Stille legt sich und wir schauen uns erst nach einigen Minuten an.
 

„Wollen wir die Sofas wieder zurechtrücken?“, fragt er dann. Ich nicke und wir machen uns ans Werk, schieben das zweite Sofa an die Seite, sodass der Blick über den Tisch zum Fernseher wieder freigegeben wird. Und dann setzen wir uns und schalten eben dieses Gerät an und gucken Nachrichten. Ich bekomme nicht wirklich viel mit. Als ich meine Hand auf Janniks Oberschenkel lege, kann ich genau spüren, wie er sich verkrampft, wie er ganz kurz steif wird und selbst seine normale Lockerheit nicht erreicht, nachdem er sich von diesem „Schock“ erholt hat.
 

Nein, unser Zusammensitzen hier kann man wirklich nicht als entspannt beschreiben. Ich wage es erstmal nicht, meinen Kopf gegen seine Schulter zu lehnen, starre einfach so auf den Bildschirm und versuche nicht weiter über diese verzwickte Situation nachzudenken. Als wir hören, wie die Badezimmertür aufgeht, springt Jannik beinahe auf und rückt umgehend von mir ab, sodass meine Hand auf das Sofa sackt. Bevor ich irgendetwas sagen kann, betritt Klara im Bademantel das Zimmer. Um ihre Haare hat sie ein kleines Handtuch in einer Art Turban gewickelt.
 

„Ich wollte euch nur kurz „Gute Nacht“ sagen“, sagt sie beinahe flüsternd. „Und Roman“, fügt sie hinzu. „ist das wirklich in Ordnung, dass Jannik für diese Zeit bei dir schläft?“ Sie sieht unsicher aus, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, als würde sie sich nicht aufdringen wollen, sie beißt sich sogar ein ganz kleines wenig auf die Unterlippe.
 

Ich lächle ganz sanft. „Natürlich ist das OK. Ich freue mich sogar darauf“, entgegne ich ruhig. Meinen letzten Satz scheint sie als Scherz aufzufassen und lacht kurz auf. Dann winkt sie uns und verschwindet.
 

Während wir hier so nebeneinander und doch voneinander entfernt auf der Couch sitzen, hören wir noch, wie Julia ins Bad geht und danach im Arbeitszimmer, bzw. ihrem Zimmer, für die Nacht verschwindet.
 

„Weißt du, wann die beiden aufstehen?“, frage ich Jannik, der mich schon seit einer Weile mit seinen tiefdunklen Augen betrachtet.
 

„Um sieben, Schatz“, flüstert er und dieses leise artikulierte Wort jagt mir einen warmen Schauer über den Rücken, auch wenn er mich noch immer nicht anfasst. Ich nicke, um das Erfassen dieser Antwort zu signalisieren. Dann ist es wieder still. Ich spüre seinen Blick noch immer auf mir ruhen. „Roman“, sagt er nach einer Weile und ich drehe meinen Kopf langsam zu ihm, auch wenn ich ihn am liebsten direkt ansehen würde. „Lass uns schlafen gehen“, wispert er.
 

„Kommst du mit ins Bad?“, frage ich ihn, bevor ich aufstehe, doch er schüttelt müde lächelnd den Kopf. Erneut sieht er mir tief in die Augen. „Ich glaube nicht, dass das so normal wäre...“, fügt er etwas traurig hinzu. Und Recht hat er. An dieser Situation hier ist nichts normal.
 

Wieder leicht erzürnt, oder frustriert, putze ich mir die Zähne und erledige auch den Rest meiner Abendhygiene. Ohne erneut ins Wohnzimmer zu blicken, betrete ich unser Schlafzimmer, oder einfach nur „Zimmer“, und entledige mich meiner Klamotten, bis auf die Boxershorts. In derselben emotionalen Lage schmeiße ich mich auf die harte Couch und schließe die Augen. Nach einer Weile kann ich Jannik ins Badezimmer tapsen hören. Einige weitere Minuten später kommt er auch schon durch die Tür.
 

Ich halte schon beinahe meine Luft an und horche, ohne meine Augen zu öffnen. Ich kann deutlich wahrnehmen, wie er sich auszieht, seine Sachen über einen der Schreibtischstühle hängt und dann wieder zum Lichtschalter schlendert und ihn betätigt. Sogar durch meine geschlossenen Lider bemerke ich die Dunkelheit, die nun wieder das Zimmer einnimmt. Ich horche weiter und warte. Doch zu meiner Überraschung, einer ziemlich negativen um ehrlich zu sein, höre ich, wie Jannik auf die Matratze an der anderen Zimmerwand legt und zudeckt.
 

Ich bleibe noch einige weitere Minuten regungslos liegen und dann überkommen mich meine Gefühle. Wie ein Irrer setze ich mich auf der Schlafcouch auf und werfe die Bettdecke beiseite. Im diffusen, silbernen Licht, welches leicht durch das Fenster dringt, kann ich seine Silhouette erkennen, seinen liegenden, sich leicht auf- und absenkenden Körper.
 

„Wieso kommst du nicht zu mir ins Bett?“, frage ich barsch und starre ihn weiterhin an. Bedächtig setzt er sich auf und dreht sich zu mir. Ich kann nicht genau erkennen, ob seine Augen sich direkt in die meinigen bohren, dafür ist es hier zu dunkel und die Sicht deshalb zu ungenau. Jannik seufzt.
 

„Du warst eben sehr abweisend“, sagt er. „Ich dachte, ich lass' dich lieber allein.“
 

„Ich will aber nicht allein sein!“, zische ich und ich bin mir sicher, dass er jetzt leicht lächelt. „Außerdem war ich gar nicht abweisend, du warst abweisend“, füge ich im gleichen Ton hinzu. Nach meinen Worten erhebt Jannik sich und ist nach nur wenigen Schritten direkt an Sofa angelangt. Er lässt sich neben mir nieder und ich kann seinen Atem an meiner nackten Schulter fühlen. Erst jetzt bemerke ich, dass er einen Pyjama trägt. Das ist seltsam, so ungewohnt. Seitdem wir zusammen sind, oder zusammen wohnen, schlafen wir meistens wie Gott uns schuf. Meine Boxershorts wollte ich eigentlich gleich loswerden. Aber mir dämmert es, dass es wohl nicht passieren wird und vor allem meine ich zu verstehen, warum Jannik einen Pyjama trägt.
 

Bevor er irgendetwas sagen kann, hebt er zunächst die Bettdecke auf und drückt sie aufs Sofa. Dann rückt er näher an mich heran und endlich, endlich küsst er mich. Ganz sachte, ganz unschuldig. Und doch ist es für mich wie ein Feuerwerk. Ich spüre seine warmen Hände an meinen entblößten Schultern und lasse mich von ihm zurück drücken. Wir liegen jetzt und Jannik zieht die Bettdecke behutsam über unsere Körper. Endlich kann ich mich an ihn kuscheln und so etwas wie partielle Normalität kehrt ein. Er streichelt mich ganz sanft, streicht über meinen Rücken. Und ich kann seinen Atem an meinem Haar spüren, ich höre sein Herz schlagen und verknote mehr oder weniger unsere Beine.
 

„Warum bist du nicht nackt?“, frage ich ihn dann, weil ich es aufgebe, das Thema irgendwie indirekt anzusprechen. Er lacht ganz leise auf und drückt mir erneut einen Kuss auf die Stirn.
 

„Weil wir in den nächsten vier Wochen nicht unbedingt nackt in einem Zimmer schlafen sollten. Jedenfalls, wäre es besser“, flüstert er. Als ich nichts sage, sondern versuche diese kalten Schauer, die sich über meiner Haut verteilen, abzuwehren, fährt er mit sanfter, wispernder Stimme fort: „Glaub' mir, ich würde es vorziehen, dich völlig nackt in meinen Armen zu halten...“
 

Er küsst meinen Hals und seine Hände wandern über meine Brust, streichen ganz sanft über meine Haut und fahren leicht über den Bund meiner Boxershorts. Ich entspanne mich und schließe ganz langsam meine Augen, doch plötzlich hören wir, wie das Licht im Flur eingeschaltet wird, das es dringt gelblich durch den unteren Spalt der Tür ins Zimmer. Beinahe zeitgleich springt Jannik auf und hastet zu der einzelnen Matratze.
 

Ich bin in diesem Moment so verwirrt und sauer, dass ich mich gar nicht bewegen kann. Und erst als das Licht nach einigen Minuten erlischt und man vage wahrnehmen kann, wie eine Tür geschlossen wird, kehrt Leben in meine Glieder ein und mein Verstand klopft an.
 

„Was war das denn?!“, zische ich, als er wieder auf mich zutritt. „Denkst du, deine Schwester platzen hier einfach so rein, oder was?!“ Immer noch bin ich verwirrt. Dieses Verhalten ist so infantil, so verboten und so untypisch für Jannik! Und das gefällt mir ganz und gar nicht. Vielleicht macht es mir auch einfach Angst, denn es eröffnet eine Möglichkeit der Existenz einiger Charaktereigenschaften Janniks, von denen ich bis jetzt keine Notiz genommen habe. Und ich war mir sicher, meinen Freund in- und auswendig zu kennen.
 

„Wir müssen jede Möglichkeit in Betracht ziehen“, antwortet er mir ruhig, als er sich wieder an mich kuschelt. Am liebsten würde ich ihn von mir drücken, ihm sagen, er soll doch wieder auf seine Matratze da hinten gehen, aber kaum spüre ich seine Wärme, seinen Körper an meinem, ist es so, als hätte ich gar keine Kraft mehr, überhaupt irgendetwas zu tun. Ich bin willenlos.
 

Aneinandergedrückt liegen wir einige Minuten still dar.
 

„Wie findest du sie?“, fragt er mich schließlich wispernd. Sein Atmen kitzelt meine Wange.
 

„Sehr nett“, antworte ich. „Klara ist so wie du.“
 

Jannik schmunzelt. „Das sagt jeder“, entgegnet er dann.
 

„Und von Julia könnte man sagen, dass sie aus einer anderen Familie stammt.“
 

Jannik lacht leise. „Stimmt wohl auch.“
 

„Und mehr kann ich noch nicht sagen.“
 

Er brummt verständnisvoll und drückt mich ein wenig fester gegen sich.
 

„Hast du den Wecker gestellt?“, frage ich ihn nach einer Weile und spüre, wie er nickt. „Auf wie viel Uhr?“, hake ich nach.
 

„Sechs.“
 

„Sechs Uhr?!“, zische ich. „Klara und Julia stehen erst um sieben auf und deine und meine Vorlesungen gehen erst um viertel nach zehn los!“
 

Er ist wieder einige Sekunden lang still. Dann antwortet er mit sanfter und dennoch bestimmter Stimme: „Wie ich schon sagte, wir müssen jede Möglichkeit in Betracht ziehen. Es ist besser, wenn ich vor ihnen wieder in „mein“ Bett husche.“
 

„Das ist beschissen!“, zische ich und kehre ihm wütend meinen Rücken zu. Doch er legt einfach seine Arme um mich - auch wenn ich versuche zu protestieren, versuche sie wegzuschubsen, sie wegzuschlagen. Er zieht mich ganz dicht an seinen Körper und küsst meine Schulter. „Idiot“, zische ich nicht ernstgemeint und Jannik gluckst leise.
 

Und so schlafen wir schließlich ein. Und ich träume rein gar nichts. Als um 6 Uhr morgens dieser blöde Wecker klingelt und ich mich freue, gleich noch auf Janniks Brust ein wenig weiter zu dösen, drückt dieser mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und verzieht sich einfach, steht auf und marschiert zu der fast unbenutzten Matratze und legt sich erneut hin. Ich seufze und will mich erneut aufregen, doch die Müdigkeit übermannt mich wieder und reißt mich in die Tiefe des Schlafes hinab.
 

„Roman...!“, dringt eine vertraute Stimme zu mir. „Roman!“
 

Ich öffne die Augen. Das erste, was ich sehe, ist Janniks Gesicht. Er lächelt und ist über mich gebeugt. „Willst du mit uns frühstücken?“, fragt er mich leise. Ich will. Ich will nicht. Ich will. Ich will nicht. Ich denke an die gestrigen Bilder, an die netten Gesichter seiner Schwestern, an die eigentlich nicht schlechte Atmosphäre und an einen aufgescheuchten Jannik, der wie ein reumütiger Hund zu der Matratze huschte.
 

„Nö....“, murre ich schließlich und drehe meinem Freund erneut den Rücken zu. „Bin doch eh nur dein Mitbewohner...“ Und dann hat der Sandmann mich wieder entführt. Nur am Rande meines Bewusstseins bekomme ich mit, wie unsere Zimmertür leise geschlossen wird und wie Jannik seinen beiden Mädels einen „Guten Morgen“ wünscht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  G-Saite
2021-02-27T13:23:53+00:00 27.02.2021 14:23
Tja, so ne Uroma braucht halt auch ihren Schlaf, näch?
Von:  jyorie
2015-02-09T05:22:56+00:00 09.02.2015 06:22
Hallo (☆^ー^☆)

Als Roman Julia begegnet ist und sie seinem Freund von Aussehen und Art so sehr ähnelt, nur eben in weiblich, hat mich das an eine Geschichte von „Aaron“ erinnert, in der dieser Sachverhalt der Geschwister zum Verhängnis geworden ist. Da bin ich dann sehr froh gewesen über die Aussage, das er nicht auf Mädels steht, den so wie du Jannik und Roman bisher vorgestellt hast, würde ich mir schon wünschen, das sie die vier Wochen heil überstehen.

Der Abend lief ja relativ gut. aber diese ganzen Kleinigkeiten fand ich waren schon wie echte Stiche für Roman. Ich fand du hast Jannik sehr gut beschrieben, wie nervös er ist und was er alles vor-bedenkt, was sein könnte und ein wenig wie ein verschrecktes Huhn ist, das bei jeder Kleinigkeit aufflattert, damit nichts bemerkt wird. Ich fand es war sehr realitätsnah, wie hysterisch man da werden kann.

Liebe Grüße, Jyorie

Von: abgemeldet
2009-09-30T16:42:46+00:00 30.09.2009 18:42
Oh man! Roamn tut mir immer noch leid. Er wird mir wohl auch den Rest der Geschichte leid tun, wenn es so weiter geht^^ Oh man, ich kann mich so gut dahinein versetzten. Ich habs zwar selbe rnicht erlebt, aber du schreibst das so gut, dass man einfach mitfühlt!
Ich liebe deinen Schreibstil!
Und wie jannik panisch auf seine Matratze zurück ist, als im Flur das Licht anging. Sehr geil^^ Aber auch irgendwie gemein^^
Ich freu mich schon daauf dein nächstes Kapi zu lesen!

LG Loona
Von:  Tali
2009-08-13T20:54:38+00:00 13.08.2009 22:54
Hast du wieder richtig gut geschrieben. Die ganze Geschichte wirkt so real! Unglaublich. Jannik ist andrseits wirklich perfekt! Aufmerksam, liebevoll! Aber da ist diese schwierige Lage und er steht einfach nicht zu seinen Gefühlen. Roman ist zu beneiden und zu bemittleiden!
Von:  ReinaDoreen
2009-08-10T18:18:30+00:00 10.08.2009 20:18
Es ist gerade mal ein Tag vergangen von den verdammten vier langen Wochen die die zwei Mädchen da sein werden und ich habe jetzt schon den Eindruck gewonnen, das Roman das nicht aushält. Vor allem ist es für ihn unverständlich welche Vorsichtsmaßnahmen sein Freund unternimmt, das ist ja schon fast paranoid. Ich persönlich finde diese totale Verleugnung überhaupt nicht gut. Und Ich denke Roman sollte hier wirklich ganz genau beobachten, wie sich sein Freund verhält und welche Konsequenzen das auch später haben könnte.
Reni


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