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Lauter Einzelteile

26 Teile des Lebens, die sich Sterben nennen
von

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Abschied

Warum soll man keine Menschen töten?

Weil immer jemand deswegen weint.

Diese Frage und die vermeintliche Antwort darauf las ich in meiner Kindheit in einem Comicbuch, als verberge sich darin eine unheimlich wichtige Erkenntnis, die einen innerlich tief berühren sollte. Aber mal ehrlich: Ist das wirklich so?

Im Grunde genommen gibt es genug Leute, die einsam in ihrer Wohnung verrecken, ohne dass es jemand bemerkt. Alte Menschen, die erst nach ein paar Tagen von ihren Nachbarn gefunden werden, weil diesen im Treppenhaus ein komischer Geruch auffiel. Komischer als sonst, meine ich. Menschen, die von ihren verhungernden Haustieren umgeben an einer Krawatte von der Decke baumeln, als wollten sie nur ihre Seele baumeln lassen. Niemand interessiert sich dafür.

Sollte man sich denn überhaupt dafür interessieren? Oder ist es womöglich egal?

Hierbei erinnere ich mich an eine Beerdigung, von der ich jetzt nicht mehr weiß, wer eigentlich gestorben war, weil solche Veranstaltungen immer gleich ablaufen. Wie Weihnachten, Neujahr oder Hochzeiten sind Beerdigungen nicht dafür prädestiniert, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, wenn man zu viele davon erlebt hat. Jedenfalls mussten meine Schwester und ich wegen irgendeiner Sache lachen, lauthals, ohne es unterdrücken zu können, während wir von einigen Seiten böse Blicke ernteten. So ist es also, wenn man auf einer Beerdigung lacht, dachte ich damals.

Ich erinnere mich daran, dass bei irgendeiner Beerdigung, vielleicht war es dieselbe, sich ein paar Leute darüber aufregten, dass ein Bekannter von mir in Jeanshosen aufgetaucht war. Kann man nur in schwarzer Kleidung trauern? Ist man in Jeanshosen automatisch nicht traurig genug?

Und ich erinnere mich heute wie damals an das abgestumpfte Lächeln, mit dem meine Mutter schließlich sagte: "Das passiert halt."

Viel früher dachte ich noch nicht, dass so etwas "halt passiert". Aber da nahm ich auch noch an, man müsse auf Beerdigungen weinen und still sein. Jetzt weiß ich, dass man es auf unterschiedliche Weise hinter sich bringen kann, auch durch Lachen und Langeweile. Das passiert halt. Man gewöhnt sich an alles.

Mit der Zeit wundert man sich allerdings über das, was bei solchen Ereignissen alles erzählt wird. Von wem spricht der Typ da vorn mit seiner behutsam klagenden Stimme? Und außerdem, kann er das nicht schneller machen? Ein gut gemeinter Ratschlag: Man sollte sich für derlei Veranstaltungen stets einen neuen, frischen Redner aussuchen, sonst hört man stets dasselbe Zeug. Dieser Redner sollte nach Möglichkeit keinen Humor aufweisen und ehrlich sein darf er auch nicht. Denn niemand sagt beim Abschied so etwas wie: "Wurde auch Zeit" oder "Na endlich".

Der Tod macht jeden Menschen zum Engel, zum fehlerlosen Nichts.

Sobald jemand "ablebt", erfährt sein ehemaliges Dasein eine Generalüberholung. Das gestorbene Leben ist ja sowieso schon tot. Alles im Leben des Toten ist mit einem Schlag höchst ehrenhaft gewesen. Jeder trauert nach Plan. Natürlich hat der Verstorbene keine Fehler und er hat sie auch zu Lebzeiten nicht gemacht, das versteht sich von selbst. Gegen die eigene Perfektion kann man sich im Tod ohnehin nicht mehr wehren.

Aber was bleibt am Ende? Jeder Mensch ist nur eine Zusammensetzung lauter Einzelteile, Kopf und Glieder und allem Fleisch daran und einem Herzen und einem Gehirn, dem man fälschlicherweise solche lächerlichen Namen wie "Geist" oder "Persönlichkeit" verpasst hat. Das alles fein säuberlich drapiert in einem Holzkasten oder verbrannt zu einem Haufen Asche in einem simplen Krug.

Diesem unbedeutenden Rest erweist man dann die letzte Ehre.

Jedes Mal mache ich mir einen Spaß daraus, mich von meinem eigenen Verhalten überraschen zu lassen, ob meine Hand ein wenig Erde ins Grab wirft, obwohl für das Zuschütten eigentlich der Friedhofsbagger zuständig ist, oder ein paar Blumenblätter oder beides, was meist vorkommt, oder einfach gar nichts, man stelle sich das mal vor.

Weil so etwas halt passiert.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Sas-_-
2013-11-17T18:47:27+00:00 17.11.2013 19:47
Ah, das war herrlich :] Denn ziemlich genauso habe auch ich mal eine Beerdigung empfunden, im Endeffekt steht man in der ersten Reihe und denk unwillkührlich: "Ich könnte jetzt was spannedes tun, wie aufs Klo gehen oder einen Comic lesen, weil ... kommt schon, er/sie ist schon tot, der meckert mich deswegen sicher nicht an!" :DDD Und dann nennt sich das stille dastehen und betreten gucken Anstand! :D
Es ist kurz und ich fand es großartig, alles was da steht hat Biss und alles, was du geschrieben hast, ist "irgendwie" auch so, auch wenn viele vielleicht jetzt die Augen verschließen und sagen: "So ein zynischer, ekelhafter Mensch bin ich nicht!"
Und gerade das Zynische hat mir an dieser kurzen Passage gefallen!
Ehlich gesagt, ich habe auch oft lachen müssen, als ich das gelesen habe :DD Ich hab mich auch gefragt: schreibst du das direkt aus deiner Erfahrung oder hat die Person, die das hier erzählt gar nchts mit dir zu tun? Das wüsste ich gern oder du lässt es im Dunkeln, was die Sache auch sehr spannend hält :]
Och, eigentlich wollte ich das geordneter schreiben, aber jetzt fällt mir alles auf einmal ein :/
Mir hat alles gefallen und ich will auf jeden Fall weiterlesen :]
Ach ja, dein Schreibstil! :DD Ich möchte, will, sollte ja, wenn ich schon dabei bin, auch was dazu sagen, nachdem ich den Inhalt so toll fand :D Na, du schreibst natürlich sehr gut, was soll ich dazu noch großartig sagen :D Da kann ich überhaupt nicht meckern :] Sollte ich je irgendwas erwähnenswertes finden, werde ich es erwähnen :DD

LG Sas-_- :P
Antwort von:  halfJack
22.11.2013 13:21
Erst vor kurzem lief im Fernsehen einer meiner Lieblingsfilme: "Snow Cake". Darin geht es um eine autistische Frau, die ihre Tochter durch einen Autounfall verliert. Die daraufhin arrangierte Beerdigung ist wahrscheinlich die unkonventionellste, die ich je in einem Film gesehen habe. Auf ihrem Sarg stand sogar so ein buntes Leuchtding, wie man sie auf Boygroup-Konzerten verwendet.
Beerdigungen sind zwar ein bisschen sinnlos, aber irgendwie muss man die Leute ja unter die Erde bringen; in den Fluss werfen oder im Wald vergraben darf man sie in Deutschland schließlich nicht. Wenn man über das Ableben traurig ist, dann braucht man nicht einen festgelegten Anlass, um das zu zeigen, genauso wenig wie man zwangsläufig bei diesem Anlass traurig sein muss. Was ist so falsch daran, sich an die schönen Dinge zu erinnern und sich darüber zu freuen, anstatt die ganze Zeit einen Flunsch zu ziehen? In einigen Nationen wird das doch sogar wirklich so praktiziert, oder nicht?
Nun, mein Text wirkt auf mich mehr wie ein Bericht oder Weblogeintrag als wie Literatur, darum mag ich ihn auch nicht besonders. Trotzdem musste das mal gesagt werden. Ich bin dafür, zumindest Gameboyspielen auf Beerdigungen zu erlauben.
Dieses Empfinden, es klänge wie ein simpler Blogeintrag, wird noch dadurch verstärkt, dass ich den Text tatsächlich eher aus eigener Erfahrung verfasste. Ich war bisher auf... äh, sechs Beerdigungen? Bei zwei von denen bin ich mir zu hundert Prozent sicher, dass derselbe Pfarrer damals eine Passage wortwörtlich (!) wiederholte, obwohl es um zwei unterschiedliche Menschen ging. Und der Rest gleicht sich eigentlich auch immer. "Person xy war ein hilfsbereiter, herzensguter Mensch, der von allen geliebt wurde." Warum nicht ehrlich sein? Er kann es einem doch sowieso nicht mehr übel nehmen.
Ich finde Grabspruchbücher toll; kennst du die? Wenn es mir nicht egal wäre, würde ich auch irgendeinen Schwachsinn auf meinen Grabstein meißeln lassen. "Hier liegen meine Gebeine. Ich wünschte, es wär'n deine."
Von:  Blaetterklingen
2010-04-18T22:06:06+00:00 19.04.2010 00:06
Die Ansammlung von Maden und Knochen oder der Asche von etwas, das man mal gekannt haben könnte. Ist doch wunderschön, das man immer wieder zu diesen Häufchen sinnentleerter Biomasse zurückkehren kann. Was wären wir nur ohne Friedhöfe.
„Der Tod macht jeden Menschen zum Engel, zum fehlerlosen Nichts.“ das sagt so viel, mit so wenig Worten. Wer würde zugeben, das der Tote dort, nichts in seinen Leben erreicht hat, oder als größte Leistung die Zerstörung anderer Menschen vorzuweisen hat.
Ich finde es sehr schön, wie du die Alltäglichkeit in das Thema des Todes gebracht hast und diese aufgezwungene Stimmungsmache bei Beerdigungen aufzeigst. Die meisten Menschen sterben im hohen alter, wenn sie eh schon den Großteil von sich verloren haben... aber darüber trauert keiner, wenn die toten noch unter den Lebenden weilen.
Von: abgemeldet
2010-03-11T09:34:54+00:00 11.03.2010 10:34
*____* wieder so toll..manchmal denke ich mir manche leute denken so ähnlich wie ich xDDn
lq.
Hony


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