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Lauter Einzelteile

26 Teile des Lebens, die sich Sterben nennen
von

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Nachtfalter

Der linke Flügel erscheint wie festgenagelt auf dem kalten Parkettboden. Der andere bewegt sich nur langsam, getrieben von Angst. Drei Beine liegen neben dem Körper. Einfach so sind sie abgefallen, wie lauter Einzelteile, die nicht mehr hinzugehören. Die restlichen Beine drücken sich nur manchmal im Todeskampf gegen den weichen, behaarten Leib, fast wie jemand, der unter Schmerzen seinen Brustkorb umklammert. Als könne das die Qual eindämmen.

Ganz langsam bewegen sich die winzigen Extremitäten hinauf in die Höhe, in den Himmel. Weich und leicht wie Federn, als hätte ein Lufthauch sie erfasst. Der Hauch des Todes.

Zur falschen Zeit am falschen Ort. Töten ist bloß Selbstschutz.

Und das Wort Humanität betrifft nur den Menschen. Nicht ein kleines geflügeltes Geschöpf, das sich in seinem eigenen Staub windet, obgleich es nicht einmal dem Licht zu nahe kam. Was es gesucht hat, weiß man nicht. Auf dem Weg nach Hause verirrt? Dafür musste es mit seinem Leben bezahlen, in einem Kampf, der einen ganzen Tag währte.

Als es vorbei ist, erhebst du dich und gehst einen Schritt zurück.

Stell dir vor, du wandelst durch deinen Alltag und bleibst ein Teil der Anderen. Niemand sieht dich nicht. Deine Zeit läuft ab und zu entgegen deines Empfindens. Du weißt, dass du jeden Tag die Möglichkeit hast, neu anzufangen und alles anders zu machen. Jede erdenkliche Tür steht dir offen. Dieser Gedanke beruhigt dich so sehr, dass du niemals die Notwendigkeit dafür siehst, etwas zu ändern. Damit du nicht den Halt verlierst. Aber irgendwann verlierst du auf einmal einen Arm. Du stehst in der Untergrundbahn, beobachtest einen kleinen Nachtfalter, der um die Leuchttafel der nächsten Haltestelle flattert, und plötzlich fällt eine deiner Gliedmaßen herunter. Zuerst bemerkt es niemand. Dann schauen einige auf und sehen, was für ein Geschöpf du bist.

Dein linker Arm, der wie festgenagelt auf dem kalten Boden liegt, interessiert dich nicht. Du hast ihn schon fast vergessen. Aber die Blicke der Anderen kannst du nicht vergessen. In Panik willst du nach Hause. Durch die Verwirrung verirrst du dich. Endlich bist du hier. Du kannst dich nicht mehr vom Boden lösen und windest dich in deiner Asche, in einem Kampf, der ein ganzes Leben währte.

Als es vorbei ist, erhebe ich mich und gehe einen Schritt zurück.



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