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DieXKao; devoted to "Glass skin"
von

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Hier sind wir

Er war sich immer noch nicht sicher, ob es eine gute Idee war. Bisher hatte sich zwar gezeigt dass auch schlechte Ideen funktionierten, wenn er und Die spontan und flexibel genug mit ihrer Umsetzung waren, aber ein bisschen Nervosität blieb eben doch.

Die Landschaft flog wie ein Videofilm am Fenster des Schnellzuges vorbei. Kaoru musste schon nach einigen Sekunden wieder wegsehen, um seine müden Augen nicht zu überanstrengen. Stattdessen sah er seinen Gegenüber an, der vertieft in ein Gameboyspiel war. Die: groß und schlank mit den dazugehörigen, langen Gliedern und schmalen Gesicht. Ein schmales, aber reicht weiches Gesicht besaß der junge Mann, um das herum kurze, knallrote Haare sprossen. Kaoru studierte dieses Gesicht und war zufrieden. Bis noch vor Kurzen war dieses Gesicht abgemagert und kantig gewesen. Endlich war Die wieder in einem gesunden Nährzustand. Trotz der freundlich-weichen Gesichtszüge war Die keineswegs weiblich. Dünn, aber nicht zierlich. Die Art wie er sich bewegte und kleidete war wie die jedes anderen Mannes. War es nur Kaorus subjektive Wahrnehmung oder waren Die und er tatsächlich so absolut normal anzusehen. Zwei junge, Männer in einem Zug, unterwegs von der Metropole Tokyo in der sie lebten in die Region Kansai ihrer Heimatstädtchen, über Weihnachten und Neujahr Friede, Freude & Eierkuchen und dann zurück zur Arbeit. Nichts besonderes, nichts schlimmes. Konnte diese Reise also eine so genannte „schlechte Idee“ sein?

„Du kriegst also doch noch die Flatter!“

Kaoru zuckte zusammen. Die grinste ihn belustigt an und holte ihn aus seinen Gedanken zurück in die Realität. Woher wusste dieser Bastart...?

„Gut zu wissen, dass du auch nur ein Mensch bist“, sagte Die, während er seinen Gameboy wegsteckte und eine Wasserflasche aus seinem Rucksack kramte, „Manchmal glaube ich, dass du zu sehr weißt, was du willst.“

„Ich dachte, das wäre mein Problem“, sagte Kaoru scherzend, „Dass ich meiner selbst zu sicher bin.“

„Das du dir einredest, sicher zu sein.“ Das gewinnende Grinsen war paradoxe Ironie. Die, der unsicherste, zweifelndste Mensch, den Kaoru kannte.

„Shrink“, schimpfte er lachend. Kaorus mentale Macken schienen das Einzige zu sein, bei dem sich Die sicher war. „Ich bin mir sicher bei dieser Aktion“, betonte Kaoru, „Jedenfalls was den Zweck und die Ausführung angeht. Das Ergebnis sehen wir dann ja.“ Um seine Worte zu beweisen, hielt er den Blickkontakt zu Die, auch als dieser ihm die Wasserflasche reichte. Mit der rechten Hand ergriff er die Flasche, mit der linken nahm er dies ausgestreckte Hand und hielt sie fest, während er mit dem Daumen sanft über den Handrücken strich.

„Du meinst“, begann Die, „Unsere Botschaft wird ’rüberkommen und dann haben wir es endlich hinter uns. Nur die Reaktion wird eben...“

„Wir werden damit klarkommen!“

Die legte seine freie Hand über ihre angefassten und zog Kaoru zu einem kurzen Kuss heran. Aus den Augenwinkeln bemerkte er die Passagiere auf den Sitzen an der anderen Seite des Ganges reagieren. Ein junger Mann sah kurz überrascht her, schloss dann aber eilig die Augen um sich schlafen zu stellen, eine ältere Dame schüttelte den Kopf und fing an mit ihrer Nachbarin zu tuscheln. Die kam nicht umher die Reaktionen zu beobachten, sie zu interpretieren, bewerten in wie weit sie ihn bewerteten. Kaoru bemerkte es, fasste seinen Freund am Nacken, um ihn zu einem anderen Kuss zu zwingen. Kein kurzer Schmatzer zum Mutmachen, sondern ein Kuss, der nicht ganz so in einen öffentlichen Schnellzug gehörte. Nicht notwendig, wenn jemand Die fragte (irgendjemand –Kaoru fragte nicht). Es war kein Kuss der Zuneigung ausdrücken sollte oder sie stärkte. Es war ein Kuss für ihre Beobachter, für die tuschelnden Damen. Seht her, schrie Kaoru, auch wenn ihr es nicht ertragen könnt, wir sind hier. Zerreist euch die Mäuler, wir sind trotzdem noch wie wir sind.

1.1

Kapitel 1
 

„In Kürze erreichen wir Shin-Osaka. Ihre Anschlusslinien sind...“
 

Kaoru und Die standen schon mit ihren Taschen außerhalb des Abteils im Gang vor der Tür. Die lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, Kaoru zupfte an seiner Jacke und seinen Haaren herum. Um seinen Freund zu beruhigen hätte Die fast gesagt: „Du siehst gut aus. Keine Sorge, sie werden dich mögen. Vom ersten Augenblick an“ oder etwas ähnlich klischeehaftes. Er brachte keine Frau nach Hause, die er als seine Braut vorstellte oder ähnliches. Die nahm Kaoru mit in seine Heimat, um ihm zu zeigen, wie er aufgewachsen war. Und um reinen Tisch mit seinem Vater zu machen, in vielerlei Hinsicht; um seine alten Freunde hier nicht mehr anlügen zu müssen. Obwohl er in Tokyo lebte kam er noch oft nach Osaka um seine alten Schulfreunde zu sehen. Er genoss die Ruhe und den Abstand den er hier von seinem hektischen, anstrengendem Alltag bekam. Manchmal kam er auch wegen des Abstandes, den er hier zu Kaoru bekam, auch wenn er das seinen Freunden gegenüber verschwieg. Mie, seine Heimatstadt, war so gut wie der letzte Platz in seinem Leben, der nicht von Kaoru infiltriert worden war –bis jetzt.

In seiner Hosentasche summte sein Handy und er las Kaoru die SMS vor: „Wir waren am Gleis mit einer Willkommensparade. Bringt eure Ärsche endlich hierüber, denn wir freuen uns auf euch! Takeo, Shiori, Yuuki.“

Kaoru lächelte über soviel Willkommenheit. Er versuchte sich normal zu benehmen, nicht verkrampft oder zu sehr normal, einfach er. Für Die wollte er einen guten Eindruck hinterlassen, um es ihm leichter zu machen sich den Segen seiner Freunde einholen. Es war ungewohnt, denn normalerweise gab er einen Dreck um die Meinung Fremder. Er redete sich ein mit einem gewöhnlichen Kumpel hier zu sein, einem seiner Freunde. Ganz normal auf Durchreise.

Diesmal war es Die, der Kaoru heranzog für einen letzten Kuss, bevor der Zug langsamer wurde und in den Bahnhof einrollte. Durch die Türfenster erkannte er seine drei Freunde schon aus der Ferne. Mit ihnen hatte er die Mittelschule und Oberschulte durchgestanden. Er konnte nicht sagen, warum er ihnen nie alles von Kaoru erzählt hatte. Sie kannten Kaoru von Photos, aus Erzählungen als seinen besten Freund und Arbeitskollegen in Tokyo. Dort wusste nicht nur ihr engster Freundeskreis, sondern auch ihre Bekannte und sogar ihre Vorgesetzten über ihre Beziehung Bescheid. Als Dies Mutter nach der Scheidung von seinem Vater nach Tokyo kam um wortwörtlich ein neues Glück zu suchen, hatte sie recht bald herausgefunden, dass Kaoru kein WG-Mitbewohner war, sondern das auch das Schlafzimmer mit Die teilte. Sie hatte kaum mehr als zwei Wochen gebraucht um Dies halbherzige Verschleierungsversuche zu durchschauen. Das monatelange Verschweigen hatten sie damals mit einer Flasche Wein und viel Gekicher innerhalb einer Nacht ausgeglichen. Es war also nicht so, dass er sich für Kaoru, ihre Beziehung oder gar seine Sexualität schämte.

Warum also hatte er seinen Freunden nie davon erzählt? Er war sich sicher, dass sie es einfach akzeptieren würden. Rückblickend wäre es am einfachsten gewesen sie von vornerein zu benachrichtigen. Nun lügte er sie schon fast zwei Jahre an und die Last der Lüge drückte schwerer auf seinem Gewissen als der Grund der Lüge selbst.
 

Die Wintersonne blendete die beiden jungen Männer, als sie aus dem Schnellzug stiegen. Sie bemühten sich schnell ihre Taschen zur Seite zu stellen, um der nachfolgenden, drängenden Masse Platz zu machen. Shin-Osaka war der Hauptknotenpunkt für den Fernverkehr etwas außerhalb der tatsächlichen Stadt. Die Station machte ihrer Funktion alle Ehre und so standen die beiden jungen Männer etwas verloren auf dem Gleis zwischen den hin und her rauschenden Strömen. Kaoru versuchte seiner Menschenallergie Herr zu werden, wobei Die mit seiner puren Anwesenheit half, während dieser selbst sich lang streckte um ihrem Empfangskomitee zu signalisieren wo sie standen.

Endlich sah er Takeos große Gestalt, die sich durch das Gewusel drängte. Bevor Die Mie vor einigen Jahren verlassen hatte, waren sie kaum mal eine Woche getrennt gewesen. Der breitgeschulterte, große Mann hatte ein freundliches, offenherziges Lächeln auf seinem kantigen Gesicht. Sein muskelbepackter Körper erinnerte an seine Rugbykarriere zu Oberschulzeiten. Mit langen Schritten kam er an Die heran und nahm ihn in seine stämmigen Arme. Dass diese zwei Männer zusammen aufgewachsen waren, wollte Kaoru in diesem Moment nicht so recht glauben. Sie waren zu verschieden. In der Umarmung sah Die trotz seiner weiten Kleidung wie ein zerbrechlicher Strohalm aus, ein richtiger Spargeltarzan. Die Länge der Umarmung überschritt das normale Pensum um ein gutes Stück, sodass Kaoru als erste Erfahrung in seinem Hinterkopf notierte, woher Die seine Anhänglichkeit hatte.

Kaum hatte Takeo seinen Freund losgelassen, wurde Die von einer jungen Frau mit hellbraun gebleichten Haaren überfallen, angefallen? Shioris freudige, energiereiche Art hatte sich seit Schulzeiten nicht geändert. Aus Gewohnheit ohne darüber nachzudenken was für ein Bild das abgab, schloss Die den dünnen Körper fest in die Arme, hob ihn an und wirbelte sie einmal im Kreis herum. Sie kreischte vergnügt und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. So begrüßten sie sich seit Jahren –genauer: seit sie einmal ein Paar gewesen waren. Die bemerkte wie sehr er ihr freudiges Geschrei und Takeos kräftigen Druck vermisst hatte.

Als letzter rollte Yuuki heran, der mit seinem Rollstuhl nur geduldig durch die Menschenmenge kommen konnte. Ein Motorradunfall vor drei Jahren hatte ihm die Nerven im Rückrad zerquetscht und so seine Beine gelähmt. Die hockte sich vor ihn, sodass sie sich gegenseitig die Hand am ausgestreckten Arm auf die Schulter legen konnten. „Da bist du ja endlich mal wieder“, sagte Yuuki ruhig, aber deutlich genug, damit Die ihn über den Bahnhofslärm hinweg hören konnte.

„Ich weiß“, entgegnete Die lächelnd, „Ich war wieder viel zu lange weg.“

Nach der gewohnt herzlichen Begrüßung fiel es ihm leicht Kaoru vorzustellen, wenn auch nur als Kaoru, den sie aus bisherigen Erzählungen kannten. Die beobachtete das Zusammentreffen beruhigt. Die Sonne schien auf ihre Gesichter. Kaorus schwarze Haare glänzten, sein Lächeln war sympathisch, seine helle Haut leuchtete in der Morgensonne... er sah gut aus, kam gut an.

1.2

Kapitel 2
 

Seine Freunde lebten gemeinsam in einem alten Haus außerhalb der Stadt. Shioris Vater hatte es ihr überlassen, als er mit einer seiner neuen Frauen weggezogen war –irgendwohin. Das Haus hatte eine Frontfassade wie eine kleine Villa, war von der Größe her aber nicht viel beeindruckender als ein normales Einfamilienhaus- Es lag etwas abgeschieden, die nächste Bushaltestelle war zwar nur einen zehnminütigen Fußmarsch entfernt, die Seltenheit eines Busses war den Aufwand jedoch nicht wert. Doch dieser Lage verdankten die drei Bewohner einen großflächigen, wenn auch minder gepflegten Garten und die Ruhe & Genügsamkeit der angenehmen Verlassenheit.

Die Zimmer waren groß, aber wenige. Daher war das alte Wohnzimmer im Erdgeschoss zu Yuukis Raum geworden, auch wegen seines Rollstuhles. Jeden Tag trug Takeo ihn die Treppe zum Badezimmer hoch, denn es gab neben der Küche nur eine kleinen Toilette. Takeo & Shiori bewohnten das obere Stockwerk und gaben Yuuki als Grund an zusammen gezogen zu sein. Nach seinem Motorradunfall und mit der darauf folgenden Behinderung wollten sie Verantwortung für ihren langjährigen Freund übernehmen. Die glaubte ihnen, wusste aber, dass noch etwas anderes dahinter steckte. Takeo, sein bester Freund, und Shiori, seine erste richtige Freundin; diese Beiden gaben ein schönes Paar ab. Sie hatten es ihm nie gesagt und er hatte sie niemals bei irgendetwas eindeutigem beobachten müssen, aber er wusste es instinktiv. Mehr als das, es war als ob sie sich schon Ringe an die Finger gesteckt hätten. Ihr Verhalten zueinander, diese Veränderung im ganzen Zusammensein war nicht zu übersehen. Gerade weil er sie so selten und nur in großen, unregelmäßigen Zeitabständen sah, war es so offensichtlich, was sich zwischen ihnen entwickelt hatte. Doch seine Feigheit war zu groß um Takeo darauf anzusprechen. Er könnte ihn in Bedrängnis bringen oder verletzen –gerade in der wenigen Zeit, die sie miteinander überhaupt noch teilen konnten. Außerdem machte es ihm etwas anderes leichter: sein Gewissen. Wenn ihm eine Beziehung verheimlicht wurde, erleichterte es die Last des Wissens, selbst die eigene Beziehung zu verheimlichen.

Menschen waren schon bemerkenswert simpel gestrickt.

Wegen der wenigen Zimmer bezogen Die & Kaoru gemeinsam einen Raum mit einem Doppelbett, den Takeo nach einiger Angabe in letzter Sekunde noch freigeräumt hatte. Er würde für die paar Tage bei Yuuki im Wohnzimmer schlafen. Die betastete die Staubschicht auf dem Schreibtisch und erkannte, dass seit seinem letzten Besuch niemand sonst hier übernachtet hatte.

Trotz der kalten Jahreszeit schien die Sonne warm und zum Mittag war die kleine Veranda so aufgeheizt, dass sie draußen aßen. Es gab heiße Suppe und sie tranken jeder ein kleines Bier dazu. Die bemerkte mit Freuden wie gut Kaoru bei seinen Freunden ankam, mit ihnen lachte und in jeder Hinsicht Sympathien einfing. Sei es sein ausgefallener Humor, seine feste Meinung über Musik oder einfach seine Art zu reden. Die beobachtete seinen Freund und lächelte darüber, wie ähnlich sie sich über die Jahre geworden waren. Gerade betonte Kaoru es wohl unterbewusst, jedenfalls redete und gestikulierte er wie Die, auch wenn die persönliche, eigene Note blieb.

Als der Topf leergeschöpft war und sie noch das letzte Stück Brot knabberten, kam das Thema auf Dies Vater.

„Ich möchte ihn gerne sehen“, sagte Die und richtete sich im Stuhl auf. Er spürte Kaorus Blick auf sich, drehte sich aber nicht zu ihm um.

„Das höre ich seit Jahren das erste Mal“, bemerkte Takeo überrascht, „Warum? Ist was passiert?“

„Nein, nichts besonderes“, log er, „Ich habe mich nur gewundert, was er so den ganzen Tag macht –vorrausgesetzt dass er lebt.“

Den Tisch entlang wurden viele fragende oder viel- bis nichtssagende Blicke ausgetauscht.

„Trinken und boxen“, sprach Yuuki aus, „Nicht viel anderes als die letzten Jahre lang.“

„Noch keine neuen Kinder?“, scherzte Die sarkastisch, „Was für eine Überraschung.“

Unterm Tisch drückte Kaoru unauffällig seinen Oberschenkel gegen Dies. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte sein Vater seine Mutter wegen einer Jüngeren verlassen, Die Affäre war schon über Jahre gegangen, aber eine ungewollte Schwangerschaft erst hatte die Entscheidung von ihm genommen, die der alte Sportlehrer nie hatte treffen wollen.

„Er wohnt immer noch in der gleichen Wohnung, trinkt den gleichen Schnaps und haut gegen den gleichen Sandsack“, klang Shioris Stimme ungewohnt bitter, „Überlege dir, ob du wirklich hingehen willst.“

Die nickte und drückte sein Bein gegen Kaorus.

„Komm“, sagte Takeo plötzlich und stand schwungvoll auf, „Ich hole uns noch etwas Nachtisch. Wie war’s mit heißen Früchten und Eis?“

„Du sprichst mir aus der Seele“, sprang nun auch Shiori auf, „Zeit, dass wir Die wieder etwas Speck auf die Rippen füttern. Ist in Tokyo schon wieder die Hungersnot ausgebrochen?“

„Eigentlich isst er genug“, verteidigte Kaoru wie immer, „Wer viel arbeiten, verbrennt eben auch viel.“ Die stapelte schweigend die Schüsseln auf dem Tisch.

„Sagt das halbe Hemd“, ärgerte ihn Takeo und richtete sich auf, damit seine breiten Schultern noch eindrucksvoller waren, „Dann füllen wir eben eure Reserven auf. Also, wer will Nachtisch?“

Die hob seine Hand und wusste, dass er Kaoru damit überraschte. Positiv überraschte damit, dass er aß und sich nicht nur bloß ernährte.

1.3

Nachmittags hatten Die und Shiori Kaoru ihre kleine Heimatstadt Mie gezeigt,

während Takeo Yuuki zum Arzt begleitete. Mie war eine typische Kleinstadt,

größer als das Nest aus dem Kaoru stammte, aber nachdem man in Osaka und Tokyo

gelebt hatte, gab es außer der Landschaft und dem Nichts nicht viel zu sehen.

Trotzdem genoss Kaoru den Rundgang, weniger wegen der Provinztouristik, sondern weil er etwas von Dies Vergangenheit erfuhr. Sie wussten so gut wie alles über die letzten paar Jahre des anderen, doch ihre Kindheit und Schuljahre blieben trotz einiger Erzählungen weitgehend weiße Flecken auf einer Landkarte. Nun aber sah er Dies alte Schule, eine öffentliche Gesamtschule, die nicht mehr hermachte als einen alten, grauen Plattenbau, der wohl schon vor einigen Jahren bei Dies Abschlussfeier halb verfallen gewesen war. Auf dem Sportplatz rannten Jungen und Mädchen auf der Aschebahn ihre Runden.

„Die Leichtathletik-AG hier ist berühmt“, erklärte Shiori, „Wir waren

schon vier Mal Bezirksmeister in Folge.“

Anerkennend nickte Kaoru, der in seinem leben nie viel davon gehalten hatte, sich nur für die Bewegung selbst zu bewegen.

„So gut wie früher sind sie aber nicht“, urteilte Die, „Takeo ist als

Trainer zu freundlich.“

„Dafür haben wir wieder Mitglieder, die hatte der alte Trainer immer schön

vertrieben.“

„Ja, ein Menschenfreund war er nicht“, stimmte Die zu, „Aber die

Ergebnisse stimmten.“

Shiori schien es für besser zu halten, nicht weiter darauf einzugehen.

Stattdessen sagte sie: „Vielleicht fehlt uns einfach unser bester Läufer?

Ohne deine Medallien und dein Vorbild ging es schon irgendwie bergab!“

„So gut warst du?“, fragte Kaoru überrascht und neckte, „Dabei bist du

sonst bei allem so lahm.“

Dies Trödeligkeit und Träumerei, gepaart mit einer unermesslichen

Planlosigkeit, war einst ein langes Streitthema gewesen, heute kostete es Kaoru nur noch ein müdes Lächeln um darüber hinweg zu sehen. Die hatte sich oft zu bessern versucht und war fast genauso oft gescheitert. Dabei ging es nie um etwas Wichtiges, nur Kleinigkeiten, die heute, morgen oder gestern erledigt werden konnten. Manchmal dachte Kaoru Die täte es absichtlich, damit Kaoru, der alles bis vorgestern spätestens fertig haben wollte, sich nicht zu sehr verrannte. Nun war es mehr ein Standartwitz. Die war bei allem lahm, außer beim Gitarrespielen und Sex.

„Allem außer zweien“, flüsterte Die ihm ins Ohr, als Shiori sich für

einen Moment wegdrehte und weiter Dies vergeudetes Lauftalent beweinte, seine Disziplin und seine Fähigkeiten in den Himmel lobte. Kaoru fand es witzig, denn in Tokyo war Die bekannt für seine Lessiphärhaltung, seine Spontaneität um in letzter Sekunde sich selbst gerade noch den Arsch zu retten. Er schien zu leben, als gäbe es kein Morgen mehr, sodass er tatsächlich heute zufrieden sterben könnte. Natürlich wusste Kaoru, dass all dem gut versteckt eine ungeheure Disziplin und Leistungsbereitschaft zu Grunde lag. Nur schien Die zu stolz zu sein um zu zugeben, dass er für seinen Erfolg arbeiten musste- Sowie seine dünne Gestalt natürlich Nebeneffekt ihres stressigen Berufes war, nicht das Ergebnis von ihm wahrsten Sinne untertriebener Ernährung. Es schien ein viel tiefer liegender Charakterzug seines Freundes zu sein disziplinär durchzuhalten, um seine Ziele zu erreichen. Das fand Kaoru interessant, denn er hatte gedacht, dass Die die Disziplin auf hartem Wege aus seiner Schluderigkeit hatte lernen müssen.

Sie gingen noch in einen Supermarkt um für die nächsten Tage einzukaufen.

Shiori und Die schienen trotz der räumlichen und zeitlichen Distanz noch sehr vertraut miteinander zu sein, sie vollendeten ihre Sätze gegenseitig, viele, kleine Anspielungen wurden geteilt und manchmal lehnte sie sich vertraut an seine Schulter, gegen seine Brust. Sehr vertraut, so wie zwei ehemals Liebende eben waren. Sie hatten sich getrennt, weil Die für seine Karriere nach Tokyo ging, nicht aus Streit oder Lieblosigkeit. Sie hatten sich nicht getrennt, weil sie sich nicht mehr liebten. Kaoru dachte an all das, formte den letzten Satz sogar still auf seinen Lippen, erinnerte sich an die überschwängliche Begrüßung am Bahnhof. Dennoch wurde er nicht eifersüchtig. Obwohl er es sonst bei jeder irrwitzigen Gelegenheit wurde. Es war schon seltsam, aber er schob es darauf, dass Die gerade so entspannt, viel ausgeglichener war als in Tokyo, Kaoru ihm dies nicht neben wollte. Außerdem war die Beziehung zu Shiori eine Jugendliebe gewesen, die zwar noch einen Hauch von pubertärer Romantik verpackt in Nostalgie versprühen konnte, deren Ende quasi prädestiniert gewesen war.

Das ließ sich nicht mit Dies jetziger, fester und erwachsener Beziehung, ihm, Kaoru, vergleichen. Denn irgendwie fühlte er sich nicht, als müsste er mit Shiori mithalten, als würde Die ihn mit ihr vergleichen , so wie er sonst Kaoru mit anderen Männern und Frauen verglich.
 

Die Lösung des Rätsels fand Kaoru während des Abends. Es begann damit, das

Takeo mit Yuuki ins Haus zurückkehrte und Die sofort aufsprang. Beim Essen

saßen Kaoru und Takeo je zu einer Seite von Die, dabei spürte Kaoru regelrecht die Konkurrenz zu dem anderen, körperlich viel präsenterem Mann. Die verglich sie, musste sie ja vergleichen, seinen alten, besten Freund und seinen Liebhaber. Und für Takeo war Kaoru ein Ersatz seiner selbst. Er verstand das, er wäre genauso, würde gleich handeln und denken. Dieser Mann war offensichtlich ein Gewinner, der wie er nie gelernt hatte zu verlieren. Keiner von beiden würde zugeben, in irgendetwas zurück zu stehen; besonders nicht, wenn es um so etwas wie ihre Bedeutung in Dies Leben ging. Keiner wollte zurückgestellt werden. Weder der langjährige Freund, noch der Mann, mit dem er sein jetziges Leben teilte. Beide wollten dem anderen beweisen, wie groß ihre Rolle in dessen Leben war –während des Abendessens.

Es ging darum alte Geschichten zu vergleichen, über die heute noch gelacht

werden konnte, und hierbei tat sich ein klarer Vorteil für Takeo heraus. Je

weiter das Geschehene in der Vergangenheit lag, desto herzhafter lachte Die. Noch dazu wurde er im Erzählen tatkräftig von Shiori und Yuuki unterstützt, die sich aber auf der anderen Seite für Kaorus neue, unverbrauchte Geschichten interessierten, von ihm –aus seiner Perspektive –erfahren wollten, wie es Die in Tokyo ging. Doch auch hier stieß er an seine Grenzen. Er war es nicht mehr gewohnt nur als guter Freund von Die aufzutreten, diese Rolle hatte er in Tokyo schon längst abgelegt. Nun hielt er mit einigen Themen hinterm Zaun, denn weil er keine Geschichte verändern wollte, kamen ihm viele Dinge nicht über die Lippen. Die Angst einen Verdacht zu erregen, war zu groß. Es war Die überlassen seinen Freunden von ihrer wirklichen Beziehung zu erzählen, Kaoru musste das respektieren und sich anpassen. So lernte er an diesem Abend etwas Neues kennen. Er, der von Anfang an mit Die offen gelebt hatte, erlernte die Angst und das Misstrauen mit dem viele Homosexuelle oder andere…Andere lebten.

Es war kein schönes Gefühl.

Einmal begann er eine Geschichte, die privater geworden wäre, hätte er sie

wahrheitsgemäß erzählt. Die Lüge schon im Hinterkopf, prüfte er Dies

Reaktion. Vielleicht würde Die sie ja für ihn beenden? Kaoru fand, es wäre

eine Möglichkeit, eine gute Gelegenheit sich zu outen. (Wie er diesen

Anglizismus hasste!) Die beendete die Geschichte für ihn –mit einer anderen

Lüge und recht vorzeitig. Dafür hätte Kaoru ihm mit gutem Gewissen eine

runter hauen können. Steh zu mir!, schrie etwas in ihm, Sag ihnen, wer und was ich bin! Beende diese lächerliche Komödie! Doch Die tat nichts, sagte nichts, lächelte nur weiter.

Kaoru vermutete, dass er es genoss, dass Takeo und Kaoru wegen ihm wetteiferten, obwohl sie doch zwei unterschiedliche Rollen in seinem Leben spielten. Das taten sie doch, oder? Er sah zu ihnen, beobachtete wie Takeo seine breite Planke auf Dies schmale Schulter legte. Die lachte herzlichst, hielt seine Hand vors Gesicht und klatsche ab und zu vor Freude in die Hände. In Takeos Miene las man mit Leichtigkeit äußerste Befriedigung, einen kümmernden, wachenden Blick über Die. In diesem Moment verstand Kaoru, mehr als Takeo in seinem Leben wohl je verstanden hatte. Sie konkurrierten um dieselbe Rolle: den Mann, den Die liebte. On Takeo es mindestens einmal vermutet hatte? Sicherlich war er sich seiner eigenen, freundschaftlichen Zuneigung bewusst und hatte längst erkannt, dass er etwas besonderes für Die war, dass sich der junge Mann ihm gegenüber

anders verhielt als zu anderen, guten Freunden, aber hatte er auch erkannt wie weit das ging? Kaoru kannte Die von jeder Seite, der eines Kollegen, eines guten Freundes und der eines Liebhabers. Shiori konnte sich an seinen Freund kuscheln und es bedeutete nichts, doch diese Hand auf der Schulter war nahezu unerträglich.
 

Es war nie Kaorus Stil gewesen etwas unausgesprochen, gar ungeklärt zu lassen.

Darum nutze er die erste Gelegenheit, gleich als sie zu Bett gingen. Die hatte schon beim Essen gespürt, dass etwas in der Luft hing. Er konnte Kaorus schwellende Eifersucht quasi greifen können. Es war vielleicht das erste Mal in ihrer Beziehung, dass es ihn nicht störte, denn er hatte erwartet, dass Kaoru die Zusammenhänge in seinem kleinen Freundeskreis durchschauen würde, wäre sogar von ihm und seiner Menschenkenntnis enttäuscht gewesen, wenn er es nicht getan hätte. Nur das Tempo erstaunte ihn.

Es war nicht mehr lange hin bis Mitternacht, die Sonne war schon seit vielen Stunden verschwunden und die Kälte der Winternacht kroch langsam durch die alten Fenster. Den Heizlüfter hatten sie gerade erst ausgeschaltet, doch die wenige heiße Luft, war schnell verschwunden. Bis auf ihr kleines Nachtlicht, hatten sie den Raum verdunkelt, die Rollläden waren hinuntergezogen. Keine Sterne, kein Mondlicht –nur dieses weite Zimmer, in dem der Staub millimeterdick auf den Bücherregalen lag. Um nicht zu frieren, lagen sie unter zwei Decken eng aneinander gepresst im selben Bett, das Zustellbett wurde mit Ignoranz in die Ecke verbannt. Kaoru hielt Die ihm Arm, der ihm den Rücken zugewandt hatte, sich trotzdem nach hinten an seinem Freund festhielt. Kaoru hielt ihn oft so, wenn er ein wichtiges Gespräch führen wollte. Zum einen wegen der unmittelbaren Nähe, zum anderen, weil Die ihm so nicht in die Augen sehen musste, während er erzählte.

„Ja, ich war lange in ihn verliebt“, gestand Die ohne Zögern, denn er war

vorbereitet und diesem Gespräch war eine Zugfahrt voller Gedanken

vorausgegangen, „Aber das ist mehr als einige Jahre her und er hat auch nie

davon erfahren.“

„Warum bist du dann mit Shiori zusammen gewesen?“, fragte Kaoru und drückte

Dies Hand.

„Wegen eines Missverständnisses“, sagte Die, denn er verstand die

Aufforderung. Sein Freund schien mehr über ihn wissen zu wollen und vielleicht

war es wichtig, dass er es erfuhr, damit er Die noch besser verstand. Darum fing Die an von damals zu erzählen.

„Takeo und ich kennen uns seit der Grundschule, Yuuki kam in der sechsten

Klasse nach Mie und mit Shiori haben wir uns alle drei in der neunten

angefreundet. Takeo verliebte sich in sie und als er es mir sagte, war meine Reaktion nicht sehr positiv. Du weißt, wie emotional ich sein kann, wenn ich überrascht werde.“ Er spürte Kaorus Nicken in seinem Nacken als ein Kitzeln von Haaren. „Weil er mitbekam, dass ich den Anblick von ihm und Shiori zusammen nicht ertragen konnte –obwohl sie noch kein Paar waren –hat er seine eigenen Schlüsse gezogen. Natürlich die falschen, was auch sonst? Er dachte, ich würde Shiori ebenfalls lieben, es wegen ihm aber nie zugeben. Klar mochte ich sie, aber anders als ihn. Doch als sie ihn nach einem Date fragte, gab er mir den Vortritt. Ich wusste es lange nicht, aber er hat sich wohl regelrecht gebeten meine Freundin zu werden.“

Die schwieg einen Moment, denn nun kam der schwerere Teil der Geschichte.

„Shiori war meine Chance“, fing er langsam wieder an, „Ich wollte mit ihr

beweisen, dass ich normal wäre. Letztendlich habe ich mich sogar in sie

verlieben können, aber Takeo war immer da, er war immer präsent und hat mich daran erinnert, dass er der Grund für diese Beziehung war. Ich wusste, dass sie mit mir ging, um nahe bei ihm zu sein, und ich war mit ihr zusammen, damit er nichts mit ihr anfangen konnte. Ich war mir vollends bewusst, dass ich mich zwischen sie stellte. Sie hätten nie etwas getan, wie mein Vertrauen missbraucht, besonders Takeo nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich sie zusammen geführt hätte, aber mein Angst ausgeschlossen zu werden, war zu groß. Und welchen Grund hätte ich angeben sollen, Shiori nicht zu lieben? Man findet keinen, außer des Schwul-Seins.

Angst allein zu sein, übrig zu bleiben; Angst, er würde etwas bemerken.“

1.4

Am Frühstückstisch fasste Die zusammen, was sie alle verband und trennte. In der letzten Nacht hatte er noch lange mit Kaoru geredet, darüber, was früher passiert war, wie es sich zu heute verändert hatte, wenn es sich denn verändert hatte. Sein Freund hatte eine ruhige, angenehme Art die richtigen Fragen zu stellen. In mancher Hinsicht war er besser als Dies Pychologe, weil er besser mit ihm umgehen konnte, auf der anderen Seite musste er dafür öfters zu geben, dass er nicht wusste warum jemand etwas auf eine bestimmte Art und Weise tat oder reagierte, trotz seiner Menschenkenntnis. Aber diesmal machte es nichts. Zusammen waren sie mit ihrer Feldforschung der Mie-Beziehungen sehr weit gekommen. Auch, weil Die dieses Thema mit seinem Arzt schon oft besprochen hatte, zumindest mehr als angeschnitten. Mit Kaoru ließ es sich besser besprechen, Die konnte offener reden, wenn er von seinem Freund im Arm gehalten wurde, aber nichts als den Stoff seines Kissen sehen musste und wusste, dass außer ihnen zwei niemand an dem teilnahm, was tief aus seinem Innersten kam.

Die Zusammenfassung erstellte er wie ein Diagramm in seinem Kopf, das ähnlich denen war, die er noch zu Oberschulzeiten im Klassenraum über Beziehungen der Figuren in einem Roman abgezeichnet hatte. Erst war ihm der Vergleich in seinem Kopf unsinnig vorgekommen, doch im Wesentlichen stimmte es doch: sie benahmen sich nun einmal wie dumme Figuren in einem billigen Roman. Man sagte über solche Bücher immer, dass sie zu vereinfacht und beschränkt waren, doch irgendwoher mussten solche Ideen ja kommen. Schön, dass seine Geschichte mindestens dafür gut war.
 

„Ich gehe heute in die Altstadt.“

Dies Worte haten über den Tisch quer gesprochen eine Welle von Schweigen ausgelöst. Das Klacken von Löffeln auf dem Porzelan der Müslischüsseln erstarbt zusammen mit den müden Gesprächen, als sich die Blicke auf ihn richteten. Nur die Waschmaschine unterm Fenster rappelte weiter vor sich hin. Die so schwache, wie späte Morgensonne beleuchte die Szenerie in kaltem Licht. Takeos Stimme passte sich dieser Kälte an. „Willst du ihn etwa wirklich besuchen?“

Die hielt seinem Blick mit einer Gelassenheit stand, die nicht nur ihn erstunte.“Ich guck einfach mal vorbei, vielleicht ist er ja dort. In vier Tagen ist Weihnachten. Außerdem hab ich ihm noch was zu sagen.“

„Ist das so?“, fragte Takeo sehr skeptisch, doch Die nickte nur und aß seinen Müsli weiter. Die anderen am Tisch folgten seinem Beispielt um eine Weiterführung des Themas zu vermeiden. Nur der große, breitgeschulterte Mann ließ den Löffel neben seiner Pranke auf dem Holztisch liegen. Er sah nach unten als zähle er die Haferflocken in der milch. „Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn du alleine dorthin gehst.“

Das ließ Kaoru noch aufmerksamer aufhorchen. Nicht nur die Worte sprachen von Sorge, der Ton neigte schon zur Verzweiflung, gar ungewohnter Hilflosigkeit.

„Es wird schon“, beruhigte Die, „Kaoru kommt mit mir.“

Takeo sah auf und abschätzend zu Kaoru hin. „Na, das wird helfen.“
 

The truth we tend to look away from lies down deep
 

Ja, das würde es, platze es beinahe aus Kaoru heraus, allerdings. Wieder hasste es nicht seine wahre Rolle zeigen zu dürfen. Wer war es denn, der Die erst in der letzten Nacht gehalten hatte? Wer war es, der ihm zuhörte und tröstete? Er biss die Zähne fest auf einander um sich ein Gegenkommentar zu verkneifen. Es wäre Dies Sache gewesen ihn ins rechte Licht zu rücken. Wieder blieb nichts als die Erwartung, das dies irgendwann einmal geschehen würde, denn Die blieb stumm.
 

Mies Altstadt war nicht mehr als eine Straße mit mehreren Abzweigungen. Die und Kaoru waren von Shioris abgelegenen Haus Feldwege entlang bis hierher spaziert. Wie der vorherige war es ein sonniger Tag und sie nahmen sich Zeit die Felder und einige hübsche Gassen zu betrachten. Die genoß die Ruhe der Kleinstadt und selbst Kaoru sagte an einer Bordsteinkante, er könne hier bleiben. Nicht für immer, natürlich, aber für eine gute Weile ohne Arbeit und zu viele Bekannte, die alle Nase lang Geburtstage feierten, heirateten, Aufmerksamkeit wollten. „Du kannst dich einfach nicht sozialisieren“, sagte Die und lachte über seinen mürrischen Freund. „Ich würde es nicht mal versuchen“, entgegenete der, „wenn du mich nicht andauernd mitschleppen würdest.“

Ab und zu trafen sie alte Bekannte Dies, ehemalige Lehrer, Freunde seiner Mutter, Eltern von Schulkameraden. Die Bevölkerung hier veraltete wie in allen ländlichen Orten. Shiori und ihre Freunde waren eine Ausnahme, denn die meisten gingen wie Die in eine größere Stadt um Kariere zu machen. Doch auch ohne die vertrauten Gesichter der Jungen und Mädchen, mit denen Die in Mie indirekt aufgewachsen war, fühlte er sich heimisch. Es war als legte sich eine wohlig warme Decke sanft um seine Schultern.

Er hätte gerne Kaorus Hand genommen um das Gefühl von Geborgenheit zu perfektionieren, doch die vielen Begegnungen hielten ihn davon ab. Überhaupt war es nicht üblich für sie. Die mochte die starrenden Blicke nicht, die zwangsweise zwei Hände haltenden Männern begegneten. Kaoru dagegen behauptete, das sei etwas für Heterosexuelle, die die Weltöffentlichkeit mit ihrer Freundin beeindrucken wollten, und der Teil der Welt, der es wert sei von Die beeindruckt zu werden, sei schon lange hin und weg, würde gar in Neid schwelgen.

„Dein Männergeschmack ist unverkennbar“, sagte Kaoru über die Kaffeetassen hinweg zu seinem Freund, „Takeo hat die Titelierung als Zicke mit Ehren verdient.“

Die lachte mild über dieses für sich selbst sprechende Kommentar. Sie saßen in einem der alten Straßencafés, bei denen die Tische auf den Pflastersteinen immer wackelten. „Keine Sorge, Kao“, neckte er, während die nervösen Hände seines Freundes einen Muffin zerbröselten, „Du bleibst immer noch Verteidiger des Weltmeistertitels.“

„Herzlichen Dank“, schmollte der, bis Die sich ein Herz nahm und ihm über die Wange streichelte. Der Tisch zwischen ihnen zwang seinen Arm zu einer langen Streckung, aber selbst so erreichten nur seine Fingerspitzen die warme Haut.

„Ich möchte dir danken“, sagte er und zog seine Hand zurück nur um unterm Tisch nach Kaorus zu langen, „dafür, dass du mit hierher gekommen bist, dir das alles hier antust.“ Für den Moment hatte Die seine Scheu vergessen und nun genoß er die klischierte Geste in aller Heimlichkeit.
 

So just please don't go

Please don't go

Be close to you
 

Kaoru verhackte ihre Finger und seine kleine Lachfalte am rechten Auge knickte sich. „Das ist alles reiner Selbstnutz“, erklärte er mit verschmitzter Betonung, „Wir sind nunmal zusammen. Darum ist alles, was ich für dich tue, auch für mich gut.“

Versteckt unterm Tisch drückte Die seine Finger und sie lächelten sich an. Eigentlich, so dachte er, könnten sie die Hände auch auf den Tisch legen, denn so wie sie sich ansahen war die Zuneigung offensichtlich. Gerne hätte er sich nun rüber gelehnt und seinen Freund geküsst, genau wie er es in Tokyo immer tat, sobald Kaoru etwas in seinem Bauch zum flattern und kribbeln brachte. Aber hier in Mie war es ihm doch ein wenig peinlich, denn die Menschen um sie herum waren nicht zahllos, also auch nicht anonym, nicht einmal namens- oder bedeutungslos. Dann schämte er sich für seine Scham und hoffte Kaoru würde verstehen.

„Was meinte Takeo heute morgen damit, dass du nicht alleine zu deinem Vater sollst?“

Die Frage war nachvollziehbar und zu erwarten gewesen, dennoch traf sie Die unvorbereitet. Kaorus Augen waren dunkel und warm, er wollte nicht von ihnen weg sehen, doch so war es schwer von damals zu erzählen, von Sachen, die er normalerweise aus seinem Denken ausschloss. Und doch hatte er Kaoru hierher gebracht, damit er all dies erfuhr, oder nicht? Nein, das war genau der Grund gewesen. Kaoru war hier, weil dieser Die so gut verstand und ihm mehr erklären konnte als er sich selbst.

„Mein Vater hat manchmal seine Raster, das ist einfach so“, begann er und prüfte hin und wieder Kaorus Miene mit einem flüchtigen Blick, während er sonst auf die leeren Kaffeetassen sah. „Ich habe mich damit abgefunden, weil man das nicht mehr ändern kann. Dafür ist er zu alt und es wäre die Mühe nicht mehr wert. Aber Takeo kann das nicht, konnte es nie. Leider hat er vieles mitbekommen, wenn ich was abbekommen habe.“ Er versuchte ein Lächeln an seinem Wortwitz um die Geschichte in ihrer Ernsthaftigkeit herunter zu spielen, aber Kaoru ging nicht darauf ein. Stattdessen war seine Miene weich, voll von Sorge, aber auch mit ein bisschen Unverständnis. „Wir waren 17 oder so, als Takeo es nicht mehr ausgehalten hat und an meiner statt zurück geschlagen hat. Mein Vater hat ihn verklagt und nun darf er sich dank einer Unterlassungsklage ihm nicht mehr nähern, sonst macht er sich damit strafbar. Alles nicht so pralle.“

„Also würde Takeo jedesmal als Begleitschutz mitkommen, wenn er dürfte“, stellte Kaoru fest, „Und er traut mir nicht zu, stark genug zu sein.“

„Du traust mich doch auch nicht jedem an“, verteidigte Die seinen langjährigen Freund ohne Nachdenken, „Machst dir ja schon Sorgen wenn ich mit meiner Mutter für ein Wochenende verreise.“

„Stimmt“, sagte Kaoru und versuchte dabei möglichst wenig ärgerlich und beleidigt zu klingen, scheiterte jedoch kläglich, „Es ist ja nicht Takeos Schuld, dass er nicht weiß, dass ich nicht jeder bin.“

Der Schock über die Entrüstung stand Die überdeutlich im Gesicht. Kaoru bemerkte es und fluchte leise über seinen kleinen Ausbruch und murmelte sofort Entschuldigungen, er habe es nicht so gemeint. Aber Die zog dennoch seine Hand zurück, die schöne Stimmung von vor einigen Sekunden kam nicht mehr hervor.

„Wir sind nicht wegen Takeo hier. Du brauchst es ihm nicht sagen“, versuchte Kaoru zu beschwichtigen, „Es ist nur so ungewohnt, dieses Verstecken und Achtgeben. Wir hatten doch nie so sein wollen.“

„Doch“, sagte Die dann plötzlich, „Wir sind auch wegen Takeo hier. Nicht nur wegen meinem Vater. Ich sollte auch mit Takeo reden.“

Das verletzte Kaoru und Die wusste es. Dennoch hatte er es nicht ungesagt lassen können, weil die Beziehung zu Takeo eben ein Teil seines Lebens war, eines anderen Lebens, dass er noch nicht mit seinem Freund teilte. In Mie war die Zeit für ihn stehen geblieben, Takeo war für ihn noch immer der selbe. Er brauchte noch immer die Wärme und Nähe, wenn sie am Tisch neben einander saßen, wenn sie sich zur Begrüßung umarmten. Er wog noch viele Kleinigkeiten, Aufrichtigkeiten, die Takeo ihm entgegen brachte, auf einer Goldwaage. Und er war immer noch ein bisschen eifersüchtig auf Shiori.

„Wenn du es Takeo sagst“, begann Kaoru, der ohnehin nicht mehr glaubte die Situation retten zu können, also genauso gut unangenehme Fragen stellen konnte, „und er erzählt dir, dass er nie nur einen guten Freund in dir gesehen hat, was machst du dann?“ Der Blick in den dunklen Augen war bohrend und herrausfordernd, ohne Scheu stellte er seine Eifersucht bloß. Die Blöße, die er sich so gab, erleichterte es Die ihm standzu halten.

„Er hat es nicht“, behauptete Die sicher, „Selbst wenn, dürfte er es nicht sagen, denn er ist mit Shiori zusammen.“ Die Worte klangen ausgesprochen seltsam, denn er hatte es nicht einmal leise vor sich hin gesagt. Gerade wurde es ihm zum ersten Mal bewusst, dass er nie darüber geredet hatte. Mit wem denn auch? Er war nicht wie seine Freunde in Mie, sondern auf eine eigentümliche Art ein Außenseiter, so sehr sie ihre Vergangenheit auch verband. Darüber hinaus war Kaoru die erste Person aus seinem neuem Leben in Tokyo, die er hier einweihte.

„Ist er nicht...“, Kaoru keuchte seine Fassungslosigkeit mit diesem Satz aus sich heraus. Die lächelte ihm müde entgegen, müde vom Lügen nichts über diese Beziehung zu wissen, müde vom Angelogen werden.
 

It comes and slowly stains my heart

That's been cold, all alone and so tightly closed
 

„Niemand schläft in dem Raum, den er uns so großzügig überlassen hat. Er schläft in Shioris Bett.“ Es tropfte in seltsamen Lauten aus seinem Mund, so wehleidig wollte er nicht klingen. Er hatte kein Recht ihnen ihr Zusammensein zu vergönnen, schließlich hatte er es einige Jahre verzögert ohne sich dafür auch nur vor sich selbst vollständig rechtfertigen zu können. Trotzdem war es kein schönes Gefühl darüber nachzudenken. Alles andere als das.

Er hörte das Knirschen von Metal auf den Pflastersteinen, als Kaoru seinen Stuhl bewegte um näher heran zu kommen. Ein kräftiger Arm legte sich um seine Schulter, nicht so kräftig und lang, wie Takeos, aber das machte nichts. Mittlerweile war dieser Arm viel vertrauter, das Gefühl von Sicherheit viel stärker. Obwohl er nach unten sah, wusste er, dass Kaorus Gesicht seinem ganz nahe war, er spürte den Atem hinter seinem Ohr und den Hals hinunter.

„Ich bleibe bei dir.“ Dieser Satz bedeutete mehr als jede Liebeserklärung, er gab Die viel mehr; Sicherheit, Geborgenheit, das Versprechen nicht allein sein zu müssen.

Wie gern hätte Die nun seinen Kopf ein wenig gedreht und Kaorus Lippen geküsst.

1.5

Sie fanden seinen Vater genau so, wie Die ihn in seiner Erinnerung als abschreckendes Beispiel behalten hatte. Kurz nach 12 mittags auf dem am weitestem verstecktesten Barhocker an der Theke einer Kneipe, die kaum geöffnet hatte. Den breiten Rücken krumm nach vorne gebeugt stützten sich zwei breite Arme je auf eine Seite des Bierkruges. An den ruhigen und müden Verhalten des alten Boxers erkannte Die, dass es noch nicht zu spät war um ein einigermaßen nüchterndes Gespräch zu führen. Zumindest den Anfang eines solchen.

„Was für ein Klischee“, murmelte er ärgerlich, um sich davon zu entfremden. Es war ihm peinlich, dass Kaoru das mitansehen musste, aber dann hatte es keine andere Möglichkeit gegeben, denn die alte Wohnung seines Vaters war neu bezogen und die Nachmieter hatten keine Adresse gehabt.

„Irgendwo müssen die ja geboren werden“, sagte Kaoru und fühlte sich fehl am Platz, er lief einen Schritt hinter Die, fest entschlossen nicht weg zu gehen, aber nicht sicher was er wann wie machen sollte.

Die Barmann erkannte Die wohl von früher und tippte den Vater an, um ihn auf den nahenden Sohn hinzuweisen. Der hob erst desinteressiert seinen Kopf, dann aber, als Die nah genug gekommen war um ohne Brille erkannt zu werden, erhellte sich das trübe, faltige Gesicht. Weder Die noch Kaoru kamen aber nicht darum hinweg die dunklen Augenringe, die dicken Adern am Hals und anderen Spuren des häufigen Alkoholkonsums. Der Vater war von breiter Statur, bei der jedoch nur der stämmige Nacken an den früheren Sportlerruhm entfernt erinnerte. Die Muskeln hatten sich in Fett verwandelt und das Fett, das unter der grauen Haut lose von den Knochen herunterhing, war durch den Alkohol aufgedünstet. Das war Kaorus erster Eindruck und er fragte sich, wie dieser Mann nun wohl für Die aussah, der nach all den Jahren immer noch eine Respektperson vor sich stehen hatte.

„Mein Sohn! Was für eine Ehre!“, rief der Vater und rutschte vom Hocker, empfing Die mit offenen Armen. Als er so aufrecht ging und seinen sich sträubenden Sohn in eine Umklammerung zwang, erkannte Kaoru, dass sein Freund dessen Größe väterlicherseits geerbt hatte. Der Vater war mehr als nur einen Kopf größer als Kaoru und sah einfach über ihn hinweg, ignorierte, dass noch eine Person in die sonst leere Kneipe getreten war, bis Die sie mit Nachdruck vorstellte. Auch dann streifte ihn nur ein Blick mit einem Nicken sollte wohl zeigen, dass er zur Kenntnis genommen worden war. Der alte Mann schien sich nicht mehr auf vieles konzentrieren zu können.

„Auf das unverhoffte Wiedersehen!“, rief der Vater und wandte sich sofort mit erhobenem Arm an den Barmann, „Komm, gib uns was zum Feiern.“

Die griff nach dem Arm und drückte ihn sanft nach unten. „Lass, wir trinken nichts.“

„Ach, sei doch kein Mädchen“, wurde er ausgelacht, „Das geht auch auf meinen Deckel. Ich hab dir ja wohl beigebracht zu trinken wie ein Mann, oder nicht?“

Geschockt von der Extremität der Situation starrte Kaoru auf die beiden. Es war flacher als jeder Film, aber dennoch waren sie da. Der trinkende Vater und der Sohn, der sich rechtfertigen musste. Die Kneipe war ansonsten leer, nur eine Bedienung huschte ab und zu von der Terrasse, wo einige Leute zum Mittagessen saßen, zur Theke, wo der gelangweilte Barmann in Zeitlupe Cola und Wasser auf die Tabletts stellte. Es war fast dunkel, denn es gab kaum Fenster. Die großen Leuchten an der Decke waren soweit gedimmt, dass man sich bequem verstecken konnte, wenn man denn wollte.

„Wirklich, Vater“, drängte Die ihm vom Bestellen ab, „Ich möchte mit dir reden. Lass uns woanders hingehen.“ Kaoru sah, dass sein Freund in Bedrängnis war. Wie schwer es ihm fiel sich durchzusetzen, bei so einer Kleinigkeit, wo er doch sonst so schnell einen Kompromiss zur Hand hatte.

„Da bist du so weit gekommen, nur um mit mir zu reden“, lachte der Vater hämisch, „Und dann hast du nicht mal Zeit um mit deinem Alten ein Bier zu trinken. Ihr in Tokyo habt wohl vergessen, wie man sich benimmt.“

Die drehte genervt seinen Kopf weg, er wollte das hier schnell hinter sich bringen, obwohl er gleichzeitig wusste, dass es niemals schnell gehen würde, konnte. Seine Beteuerungsversuche waren bedeutungslos, denn sein Vater bestellte und benutzte Kaoru als Druckmittel um beide Männer zum Hinsetzen zu bewegen. Kaoru ließ sich mit einem fragenden Blick zu Die auf den Hocker drängen, allein schon um der Alkoholfahne zu entkommen, die dem alten Mann bei jedem Atemzug entfuhr.

Seufzend setzte sich Die zwischen sie. Sein Vater hatte sich nicht verändert, natürlich nicht. Das hier war Mie, Dinge veränderten sich hier nur sehr langsam und je älter die Menschen, desto weniger ließen sie sich beugen. Die gekrümmte Gestalt, die sie in der Kneipe mit ihrem Anblick empfangen hatte, war aus dem alten Boxer verschwunden. Wohl weil er wusste, dass er nicht mehr allein war, streckte er seinen Rücken, sprach er mit lauter, kräftiger Stimme, die noch die gleiche Autorität beinhielt, die Die als Kind gleichermaßen gefürchtet und bewundert hatte.

„Wo wohnst du jetzt?“, fragte er als erstes, weil es das naheliegenste Thema war.

„Direkt hier oben“, antwortete sein Vater und zeigte mit seinem Finger nach oben gerade auf die Decke zu, „Yuumi und die kleine sind gerade nicht da. Sind beim Kinderarzt. Unsere Süße ist andauernd krank, immer diese Wehwehchen mit den Frauen. Das ist dir nicht passiert, du warst schon immer ein starker Mann. Selbst als du noch in Windeln gekackt hast.“ Das Lachen seines Vaters war tief und kehlig, doch so laut und herzhaft es auch war, endete es trotzdem in einem schrecklichen Hustanfall. Fast wäre Die aufgestanden um seine Hand auf die Schulter zu legen, aber dann hielt ihn Ekel zurück, diesen Körper wollte er nicht berühren. Was bewegte die jüngere Freundin seines Vaters nur dazu mit so einem Menschen zusammen zu sein? Es war nicht das wenige Geld, das der alte Boxer und Schullehrer Stück für Stück in Flüssigkeit umtauschte, oder?

„Was ist? Trinkt ihr nicht?“, fragte der Vater fordernd und zeigte auf die Bierkrüge, die vor den beiden jungen Männern standen, dann nutzte er seinen um herunter zu spülen was auch immer gerade durch den Husten in seinen Hals gerutscht war.

„Nein.“ An der bewusst kontrollierten Atmung erkannte Kaoru, wie schwer es Die fiel dieses Wort des Widerspruchs auszusprechen.

„Warum zeigst du uns nicht deine neue Wohnung?“, fragte er dann hoffend, dass er dort das Gespräch führen könnte, wegen dem er eigentlich hier war. Er musste es hinter sich bringen, das war er Kaoru und vor allem sich selbst schuldig. Auf keinen Fall würde er wieder gehen, unverrichteter Dinge, nur um seinen Vater in dessen Elend ertrinken gesehen zu haben.

„Die ist recht klein für drei von uns“, kam die gegrummelte Antwort.

„Ich denke, ihr lebt da zu dritt“, entgegnete Die und schob das Bier angewidert von sich. Es war nicht das Bier selbst, das er sonst gerne mochte, sondern die Situation, die den Ekel konstant hielt. Dieser Ekel aber half um etwas Abstand zu gewinnen, Abstand, der dringend nötig war um das kleine Stück Selbstbewusstsein aufrecht zu halten. Er durfte sich das alles nicht so nahe kommen lassen.

„Was willst du so dringend mit mir bereden, hä?“, machte der Vater und drehte sich mit sauerem Gesicht weg, „Haust ab und kommst wieder wie es dir gefällt und jetzt hast du mir was zu sagen.“ Der Bierkrug wurde von der großen Hand hochgehoben und geneigt, das goldene Wasser strömte in den hässlichen Mund bis der Glasboden mit Gewalt auf die Theke geknallt wurde. „Also gut, gehen wir.“

Der Vater stand auf und ging zur Tür, wobei Die einen Moment brauchte um zu realisieren, dass sein Drängen diesmal Erfolg gehabt hatte. Vorsichtig stand er vom Hocker auf, um zu folgen, doch vorher hielt ihn Kaoru am Handgelenk fest. „Ich warte hier“, sagte er mit dieser ruhigen Stimme, von der Die wusste, dass sie aufgesetzt war, und sich trotzdem davon einlullen ließ. „Halt dein Handy bereit, damit du anrufen kannst, wenn du musst. Ich bin ganz schnell da.“ Während er sprach rutschte seine Hand langsam hinunter zu Dies und er drückte diese fest. Sie hatten dieses Szenario durchgesprochen und geplant. Die wollte nicht, dass Kaoru dabei war. Etwas, auch wenn es nur dieses bisschen war, wollte er alleine schaffen.

Darum nickte er und streichte Kaoru am Hals entlang. Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich, dass sein Vater schon außer Sichtweite war, dann beugte er sich vor und küsste Kaoru, sanft und kurz. „Bis gleich“, lächelte er um sich selbst aufzumuntern und sein Freund erwiderte mit einem sorgenvollem: „Pass auf dich auf.“
 

Die neue Wohnung seines Vaters war noch kleiner als die alte Zwei-Zimmerkammer, die er davor mit seiner Mutter bewohnt hatte. Dies Mutter war jetzt in Tokyo und genoss ihr neues Leben nur einige Häuserblöcke von ihm selbst entfernt, der Vater aber steckte in dieser Bude mit einer jüngeren, aber nicht mehr ganz jungen Frau und einem Baby. Es gab nur ein Zimmer, das in Küche und Schlafraum aufgeteilt war, mit einem separatem Badezimmer und Toilette. Dafür waren die Fenster an einer Wand entlang sehr breit und ließen viel Licht herein, weswegen es gerade zur Mittagszeit fast freundlich aussah, auch wenn es ein wenig roch in diesem Chaos. Beim Bett stand der gleiche, breite Fernseher auf dem Die seinen ersten Horrorfilm gesehen hatte.

„Das ist alles was die Rentenkasse einem Schulveteranen anbietet“, schimpfte der Vater und schob die Schuld von sich weg, „Ohne Unterstützung verreckt man heute als Alter. Aus ist es mit dem Respekt.“

Die brummte monoton, sodass er antwortete ohne sich für Zustimmung oder Widerstand entscheiden zu müssen. Es war hart gewesen „Nein“ zu einem Bier zu sagen unten in der Kneipe mit Kaoru hinter sich, aber hier in der Privatsphäre, im Reich seines Vaters fühlte er sich schwach. Während des Schimpfens hatten die Augen des Boxers wieder geblitzt, die hatten nichts an Drohung oder Kraft verloren. Sie waren so einschüchternd wie eh und je, machten Die wieder zu dem kleinen Jungen, der sich vor allem fürchtete: Vor der Autorität und Kraft in Stimme, Blick und Arm.

Ihn vollkommend ignorierend schaltete der Vater den Fernseher an und sofort schrie ein Sportreporter durch das unordentliche Zimmer. Die befand ihn wieder einmal für einen Egoisten. Nur jemand, der zu tief in seiner eigenen Welt lebte konnte sich benehmen, als wäre sein Sohn nicht da, als wäre er hierher gekommen, weil er vom Bett aus Boxen live sehen wollte, nicht auf das Drängen und Bitten von jemanden.

Die sah den Fleischklotz von Rücken vor der flimmernden Scheibe. Man solle den Rücken guter Männer folgen. So sagte man doch, oder nicht? Wie lange war er diesem Rücken gefolgt, der dort auf dem Bett saß, hatte ihn bewundert und alles getan um es ihm Recht zu machen? Es hatte lange gedauert bis er es geschafft hatte vor sich einzugestehen, dass sein Vater nicht immer im Recht war, denn es hatte bedeutet, alle Fehler einzugestehen, die er übernommen hatte.

Die Figur seines Vaters vor dem Fernseher, eine Bierflasche daneben. Dieses Bild war auf seiner Netzhaut eingebrannt. Warum hatte er es so lange mitangesehen? Es so lange mit gemacht und war dann nur feige nach Tokyo geflohen, statt es ordentlich zu erledigen, zu klären; was auch immer das gewesen wäre. Zumindest hätte er seine Mutter direkt mitnehmen sollen statt sie weiter dem Zusammenleben mit diesem cholerischen Mann auszusetzen. Wie hatte er das eigentlich mit einem so guten Gewissen gekonnt? Einfach so, das war wohl die Antwort. Weil er nichts anderes gekannt hatte. Dass Väter Kinder nicht schlagen durften, dass Ehefrauen nicht immer unter ihren Männern leiden mussten, hatte er rein theoretisch gewusst, aber das hatte nie für seine Familie gegalten. Seine Mutter hatte schon immer den Kopf gebeugt und sich in den Schlaf geweint, sein Vater war schon immer der Stärkste gewesen. Das war ganz normal. Darum hatte er auch nie daran gedacht, dass er zurückschlagen könnte, wie Takeo damals. Selbst als er selber Sportler wurde, Bester seines Clubs und der ganze Stolz der Mannschaft, hatte er nicht zurückschlagen können. Seine Stärke hatte ihm gegen den Vater nichts genützt, denn sie war ja nur da um von gerade dem beurteilt zu werden, vom Sportlehrer der einzigen Oberschule im Umkreis. Um den Stolz und die Männlichkeit seines Vaters auch nur annähernd zu erreichen.

Er würde sich davon befreien, indem er jeden Stolz und jede Männlichkeit, die ihm hier angemessen werden konnte, aufgab. Er tat es nicht nur für Kaoru oder für die volle Anerkennung ihrer Beziehung, sondern er benutzte es gerade als Grund um sich mit seinem Vater zu brechen, ihm zu präsentieren, dass er nicht war, wie er erzogen worden war. Jahre hatte er seine Homosexualität mit sich herumgetragen, quer durch die Welt offen damit gelebt, nur nicht hier in Mie. Mie war der Grund gewesen, warum da doch ein bisschen Scham geblieben war, warum er sich hin und wieder fragte, ob es falsch war. Richtig war es auf keinen Fall, dessen war er sich sicher, aber das Gewissen, das ihm sein Vater eingeprügelt hatte, sprach von menschlichem Defekt, Unvollkommenheit.

„Was hälst du von Kaoru?“, sprach er in den Raum hinein, brachte aber keine Reaktion von seinem Vater hervor. Der Fernseher brüllte lauter als er, aber Die traute sich nicht zu nah an den sitzendem Mann heran zu gehen, um die Lautstärke zu verringern, darum wiederholte er seine Frage lauter. Diesmal zuckte der Vater zumindest mit den Schultern. „Hat einen guten Blick, der Junge. Starken Blick.“ Das Kommentar kam mit so einer festen Überzeugung als hätte er tatsächlich Ahnung wie Kaorus Augen aussahen, aber Die hatte sich geschworen keine Aussage von ihm mehr als wahr aufzufassen. Zu tief lag die Enttäuschung der letzten Jahre.

„Er arbeitet mit mir zusammen“, presste Die heraus, die Luft war dick und es stank, das Atmen war schwer. Darum hatte er auch nicht das sagen können, was er sagen wollte. Sollte er überhaupt noch? Ja, er musste. Aber war es das wert? Seinen Seelenfrieden hin oder her, war der den Ausbruch wert, der kommen würde? Die Verachtung, die Enttäuschung. Was für einen Unterschied machte es für den alten Mann hier, ob er es wusste oder nicht? Es konnte ihm nur schaden und so sehr sich Die Rache wünschte für alles, was er in seiner Jugend erfahren hatte, so hinter seinem Vater zu stehen und zu wissen, dass er mit einem Geständnis jede Erachtung verlieren konnte, machte ihm Angst. Im Grunde hatte Kaoru mit seinem Vater und anders herum nichts zu tun, er tat das hier also wirklich nur für seine eigene Befriedigung. Wollte er nicht auf die verzichten und hinunter zu Kaoru gehen, den sonnigen Wintertag genießen.

Er holte tief Luft. Je weniger Gedanken er sich um einen Rückzieher machte, desto eher kam er hier raus. Wille, wenn er eins hatte, dann war es sein blanker Wille seine Sache durchzuziehen und den nahm er nun zusammen. Ihm war heißkalt, das Atmen war schwer vor Aufregung als er es endlich aussprach. „Kaoru und ich sind zusammen.“

1.6

1.6
 

„Ihr arbeitet also zusammen.“

Das war alles, eine müde Reaktion durch ein Missverständnis. Oder hatte sein Vater es überhört? Hatte er es überhören wollen? Dies Fäuste ballten sich, um das Zittern seiner Finger zu unterdrücken, die Fingernägel krallten sich in seine Handfläche, damit der Schmerz die Aufregung auslebte. Er atmete tief aus, wollte die Nervosität aus sich heraus atmen, denn er konnte sie nicht unterdrücken, nicht ignorieren, nur im Ansatz kontrollieren. Er widersetzte sich dem eigenen Wunsch es beim Missverständnis zu belassen.

„Wir wohnen auch zusammen“, sagte er langsam und zwang sich den Rücken seines Vaters anzusehen. Die Luft war immer noch dick. Seine Augen waren schmal, als blende ihn etwas. Es kam keine Reaktion vom Mann, aber der verdammte Sportreporter schrie weiter.

„Wir sind viel zusammen.“

Endlich drehte sich der Vater auf dem Bett um. Sein Blick brachte Die dazu weglaufen zu wollen. So fett und schwach dieser Mann auch geworden war, dieses drohende Gesicht jagte durch Dies Albträume.

„So wie mit Takeo früher?“, fragte er dann und Die zuckte zusammen. Was hatte der nun in diesem Gespräch zu suchen? Woher kam dieser Vergleich?

„Noch mehr“, wagte er zu sagen, doch seine Stimme war nicht glorreich wie sein Wille, sondern fiepend im verzweifelten Drang sein Ziel zu erreichen, „Kaoru ist nicht nur mein bester Freund.“

„Sondern auch dein Arbeitskollege, ja, ja...“, schnaubte der Vater und drehte sich wieder weg. Grausam, es war einfach nur grausam, wie Die dazu gezwungen wurde es wieder und wieder zu sagen. Jedes Mal kostete es ihn Überwindung und schwächte ihn. Wie oft würde er es noch wiederholen müssen bis seine Nachricht endlich anerkannt wurde? Langsam dämmerte es ihm, dass sein Vater nicht einfach so schwer von Begriff war, sondern nicht begreifen wollte. Nicht begreifen wollte, dass Die in manchem Sinne anders war. Also nicht akzeptieren wollte. Die nicht akzeptieren wollte.

Wut war kein direkter Ausdruck für den Ausbruch von Gefühlen, der nun in Die brodelte, aber es kam sehr nah daran. Oder man könnte es eine Ansammlung von verschiedenen Wüten beschreiben. Die Wut, die aus der Enttäuschung resultierte und ihm fast die Tränen in die Augen trieb, war wohl die heftigste. Dann waren da aber noch die pure Aggression, deren Grund nicht klar benannt werden konnte, und Wut, die Die immer auf seinen Vater hatte, weil er sie nötig hatte, um sich selbst zu verteidigen; also war das Angstwut. Er wollte ihn nun verletzen, wollte ihn dazu zwingen seinen Sohn so zu erkennen, wie er war, nicht wie er sein sollte.

„Wir sind ein Paar.“

Der Satz stand im Raum wie die Wörter, die von Flugzeugen an den blauen Himmel geschrieben wurden, klar zu sehen und noch nicht jetzt zu verwischen. Es war kraftvoll gesprochen und übertönte den Fernseher deutlich.

„Ein paar was...?“, fragte der Vater genervt ohne sich umzudrehen, doch Die ließ sich diesmal nicht entmutigen. Es ging nicht, denn diesmal kam sein Mut und sein Wille von der Wut, die der Vater hiermit noch weiter provozierte.

„Ein Liebespaar, Vater.“

Keine Antwort, wieder keine Reaktion. Dieser verdammte Sportreporter schrie weiter, denn er hatte nichts von Dies Aussage mitbekommen. Wie sollte er auch. Er war nicht wirklich hier. Er war ein Teil von der verschwommenen Realität des Vaters. Dort wo Die ein stolzer Sohn war. Die sah sich selbst in der Ecke des Raumes sitzen; klein, noch weit entfernt vom Erwachsenwerden, zu verängstigt um zu weinen, dennoch mit Druck hinter den Augen. Da saß der Junge und fürchtete den Vater, während er sich trotzdem Beachtung wünschte; Lob und Anerkennung. Nun würde Die diesen Jungen zerstören, auslöschen, um sich so von seinem früheren Selbst zu befreien. Keine Ignoranz des Vaters konnte ihn hindern.

„Hörst du mich, Vater?“, rief er und ging sogar näher heran, stellte sich so, dass er nicht nur den Hinterkopf, sondern das ganze Profil sehen konnte. „Kaoru liebt mich. Ich bin gekommen, um dir das zu sagen.“ Es waren nicht viel mehr als Wut mit ein bisschen Courage, aber es klang selbst in seinen eigenen Ohren ein wenig überheblich. Wie sonst? Er zielte ja darauf ab seinen Vater zu verletzen, ihn seines Sohnes zu berauben.

„Ich hoffe, dass dir deine neue Tochter Enkelkinder schenkt, denn von mir wirst du keine haben. Weil ich bei Kaoru bleiben werde. Weil ich das so will.“

So wie der Vater ihn mit seinem Schweigen provozierte, provozierte Die jenen mit seiner Wahrheit, mit seinen Worten, bis es eine Reaktion geben würde. Er würde nicht anders können, der alte Boxer mit dem aufbrausendem Gemüt. Es musste so das dritte oder vierte Mal sein, dass Die ihm gegenüber sagte, was er wollte. „Ich will in einer Band Gitarre spielen.“ „Ich will nach Tokyo.“ „Ich will, dass Mutter in Tokyo bleibt.“ Daran konnte er sich erinnern, auch an die Überwindung, die es ihn jedes Mal gekostet hatte. Nun schien es ganz leicht, wo er doch eh schon alles verloren hatte, das er vor seinem Vatter zu verlieren hatte. Es war wie eine Klippe hinunter zu stürzen und zu hoffen eine Überlebenschance am Grund der Schlucht zu haben. Dort konnte man dann auf die sich selbst genehme Art vor sich hin vegetieren, denn das Leben auf den Plateaus über der Schlucht war unerreichbar, ohne Bezug und daher vollkommen bedeutungslos.

„Ich bin gerne mit Kaoru zusammen. Auch wenn ich so kein richtiger Mann bin, auch wenn du etwas gegen Schwule hast. Ich mach das trotzdem, weil ich es will.“

Dann war sie da, die lang ersehnte Reaktion. In einem langem, tiefen Schrei. Jede Silbe des Satzes streckte sich in diesem Ausbruch, darum war es schwer zu verstehen, was genau geschrieen wurde. Die hätte, so sehr er sich die Reaktion aus Hass herbeigesehnt hatte, es lieber nicht verstanden, aber die Schreie seines Vaters waren so gut bekannt, dass er sie gezwungenermaßen verstehen musste. Ihn lenkten seine Gänsehaut, sein Angstschweiß, seine zitternden Finger, sein verkrampfter Brustkorb, der ihn kaum atmen ließ, nicht genügend ab, obwohl er sich seiner eigenen Verfassung mehr als bewusst war.
 

It vainly comes just crashing down

In this sad and forgotten little town
 

„Warum?! Was ist falsch mit dir?! Warum bist du so geworden?!“

Angekündigt durch die Entgleisung des versteinerten Gesichtes zu einer erschrockenen Fratze, nahm der Ausbruch seinen Lauf. Wie eine langsam rollende Lawine drehte sich der mächtige Oberkörper zu ihm. Die aufgesprungenen Lippen waren weit geöffnet und so heftig, wie der Vater die Luft aus sich hinaus presste, erreichte seine Alkoholfahne Die, obwohl er einen guten Meter Abstand hielt. Es war ein gut bekannter Ausbruch. Wie sollte es auch nicht, denn die Ausbrüche des Boxers variierten wenig, nur in Abhängigkeit zum Alkoholpegel, noch weniger im Zusammenhang mit dem Grund. Schließlich ging es gewöhnlicher Weise um den Ausbruch selbst, um nichts anderes. So gesehen war dieser doch etwas anders. Ein konkreter Grund zum Ausrasten bestand selbst aus Dies Sicht, denn dieses Mal hatte er bewusst provoziert. Das war anders. Darum war es dieses Mal besonders heftig.

„War ich nicht streng genug mit dir? Wie hätte ich dich noch erziehen können?“

Dieses Mal war besonders, zum ersten Mal antwortete Die auf die Fragen, die der Vater stellte, während er drohend auf ihn zu kam.

„Es ist nicht deine Schuld.“

Schnauben, Kopfschütteln. Wie ein wilder Stier oder eine verängstigte Kuh?

„Es hat nichts mit dir zu tun, dass ich so geworden bin“, sagte Die. So sehr er versuchte ruhig zu klingen, das Zittern in seiner Stimme wollte und wollte sich nicht vertuschen lassen. Tränen drohten so gefährlich an die Oberfläche hindurch zu brechen, während der Vater näher kam und an ihm vorbei schrie.

„Das kann nicht sein! Nur weil deine Mutter ein bisschen weich war! So haben wir dich nicht erzogen!“

Der Boxer kam näher, drohend näher, aber Die trat nicht zurück. Heute hatte er widersprochen, heute würde er auch nicht weglaufen. Er war ein Stück größer als sein Vater, einen Schlag ins Gesicht würde er abwehren können. Er war stark und Kaoru war unten. Seine Hand griff wie von selbst in seine Hosentasche und der geübte Daumen löste die Tastensperre. Er brauchte nur die 1 für die Kurzwahl zu drücken und Kaoru würde...

Der erste Schlag kam nicht ins Gesicht, denn dieses Mal war besonders. Die Faust des Boxers schmetterte in seine Magengruppe. Sein ohnehin schon flacher Atem setzte aus, er beugte sich nach vorne, beide Arme auf den Bauch gepresst, bekämpfte er den Schmerz zwischen zusammengebissenen Zähnen. Die Tränen sprudelten nun nur so hervor; nicht nur der physische Schmerz, sondern auch die Verzweiflung über die eigene Schwäche flossen da aus ihm.

Der zweite Schlag ging auf seinen Nacken und hätte ihm beinahe das Bewusstsein geraubt. Mehrmals hintereinander war kurz alles schwarz. Dann kniete er auf dem Boden und hasste sich für seine Schwäche. Er schaffte es nicht einmal in seine Tasche nach dem Handy zu greifen. Der nächste Schlag, der erste Tritt, der übernächste Schlag... Was auch immer dabei geschrieen wurde. Die war es egal. Er hatte sich geirrt. Kein Stück hatte er sich weiterentwickelt. Er konnte den kleinen, weinenden Jungen in sich nicht töten. Er war dieser Junge, er würde immer schwach bleiben. Bis sein Vater sterben würde, würde er diesen Teil seiner Persönlichkeit in sich haben, und auch danach würde es immer in ihm sein. Diese Schwäche.

Zwischen den Schlägen und Tritten rollte er sich auf den Rücken, Aufgabe. Sollte der Boxer weiter schlagen, hier war mehr Fläche, mehr weiches Fleisch. Dann war es schneller vorüber.

Er öffnete die Augen für einige Sekunden um an der Fratze festzustellen, wie lange es noch dauern würde. Vom Schock aufgerissen blieben sie geöffnet. Die Wangen des Vaters waren nass. Das konnte nicht sein, das verstieß gegen alle Naturgesetze, denn der Boxer weinte nicht. Vor allem nicht in dem Moment, in dem er seinen Sohn verprügelte. Die Schläge endeten, als der Vater bemerkte, dass Die ihn ertappt hatte.

Es war nicht dessen Stimme, die nun sprach, weil sie zu weich war, zu wehleidig, zu verzweifelt.

„Ich habe alles getan, damit ich dich ändere. Ich hab mein Bestes getan und es war nicht genug.“

Die wusste nicht, wovon die Rede war, aber die ganze Szene verwirrte ihn zu sehr um zu fragen, um sich überhaupt zu regen, geschweige denn aufzustehen.

„Takeo und du. Ich wusste es die ganzen Jahre lang. Aber ich habe so hart versucht, dich zu ändern. Wenn du ein richtiger Mann geworden wärst, dann hättest du dir so viel Schmerz erspart.“

Unverständnis war eine Übertreibung an Untertreibung für Dies Denken nun. Dann kam das Verständnis, dann Verzweiflung und schließlich kehrten Hass und Wut zurück. Sein Vater hatte seine Liebe zu Takeo damals durchschaut, immer gewusst, dass er schwul war, aber es nie wahr haben wollen; nie akzeptieren wollen. Er hatte seinen Sohn lieber schikaniert und unter Druck gesetzt, statt mit ihm zu reden, statt ihm zu helfen.
 

The sins are scattered everywhere

They're around me
 

„Du hättest mich nie annehmen können“, sagte Die und er sagte es nur um es ausgesprochen zu haben, nicht um seinen Vater zu belehren. Dabei betrachtete er das Muster an der Decke, ein Muster von unregelmäßiger, weißer Farbe, die beim Streichen nicht gleichmäßig von den Rollen auf den Stein gedrückt worden war. Aus den Augenwinkeln sah er den Vater seinen Kopf schütteln, matt und ausgetobt sah er aus. Seltsam. Die fühlte sich sehr ruhig, eine angenehme, starke Ruhe, nicht die vorherige, die von Aufgabe her rührte. Er war stark, er hatte Kraft, darum war er beruhigt. Fast schon gemütlich stand er auf. Erst richtete er seinen Oberkörper auf, wobei sein Bauch schmerzte und ihm ein wenig schwindelig wurde, aber das war in Ordnung, er war stark, er kam damit klar. Dann winkelte er seine Beine an und erhob sich vom dreckigem Boden mit fließenden Bewegungen als würde er sich unter einer Zeitlupe befinden. Irgendwann dann, egal wann später, stand er dem Vater gegenüber. Seine Füße fühlten sich groß an, standfest und kräftig waren seine Beine. Er ging einen Schritt nach vorne. Der Vater machte einen Ausfallschritt zurück, blieb dort aber trotzig stehen.. Die machte noch einen Schritt, dann hob er seinen Arm, nahm die geballte Faust auf die Höhe seines eigenen Gesichtes und schlug dem Vater ins Gesicht. Es war ein guter Schlag, er traf genau auf die linke Wange und das Ziel hatte sich nicht einmal eine Sekunde bewegt. Der korpulente Körper stolperte und fiel hinten über. Ein dumpfer Laut ertönte als der Hinterkopf den Boden traf. Dann war es ruhig.

Die hatte Genugtuung erwartet, aber sie blieb aus. Der Hass in ihm, den er mit diesem einzigen Schlag losgeworden war, hatte ihn so sehr erfüllt, dass eine allumfassende Leere entstand. Nur das Gesicht des Vaters schwamm vor seinem innerem Auge. Bis zum allerletzten Moment hatte es nicht glauben können, dass Die tatsächlich zuschlagen würde. Er dachte darüber nach, kam aber zu keinem Schluss. Vielleicht war es auch besser, nicht darüber nachzudenken, denn er mochte die Ruhe der Leere. Er ging zum Fenster und öffnete es weit, dann fiel ihm der Fernseher wieder ein und er zertrat ihn so, wie er geschlagen hatte, gelassen und ohne die Erwägung eines schlechten Gewissens. Der Vater rührte sich immer noch nicht, aber Die wollte ihn nicht anfassen. Wohin sollte er nun gehen? Was sollte er nun tun? Das hier war sein Ziel gewesen, er hatte es erlangt. Und nun?

Das Klingeln seines Handys erschreckte ihn und er musste es suchen, obwohl es in seiner Hosentasche war. Er lächelte. Kaoru war dran und klang sehr besorgt. Man habe die Schreie von draußen gehört. Die schwelgte kurz in der Wärme, die diese vertraute Stimme ihm gab, und fand sich ein Stückchen weiter zurück im Leben.

„Ich bin im vierten Stock. Kannst du hoch kommen?“

1.7

Die Schreie waren selbst von der Straße aus zu hören gewesen. Die Passanten stockten sobald sie in Hörweite kamen, einige blieben auch stehen, um zu horchen aus welcher Wohnung es her schallte, aber niemand schien besonders erstaunt zu sein oder gar besorgt. Das war es, dass Kaoru am meisten verwunderte, wenn seine Sorge ihn denn mal einen Sekundenbruchteil an etwas anderes als Die denken ließ. „Der Alte schon wieder...“, sagte jemand in der Nähe, aber Kaoru konnte ihn nicht ausmachen, um ihn fertig zu machen. War das alles was die Menschen hier dachten? Diese fade Resignation. War dort kein Interesse um der Familie zu helfen, diesem Mann Einhalt zu gebieten?

Nachdem das Gebrüll aprupt geendet hatte, versuchte Kaoru sich weiter zu beherrschen, um nicht hochzurennen. „Unterbrich uns nicht“, hatte Die ihn geheißen, „Egal was passiert, egal was du hörst oder siehst, komme mir nicht zur Hilfe. Wenn ich es nicht alleine schaffe, dann ist nichts erreicht.“ Sein Freund wollte nicht, dass Kaoru wie Takeo sich für ihn schlug und er musste das akzeptieren. Weil Die keine schwache Frau war, die beschützt werden wollte, sondern ein erwachsener Mann. Kaoru verstand das, ihm ging es genauso. Nur wohin sollte er mit seinem Beschützerinstinkt? Oder mit seiner Angst um Die? „Verdammter Egoist“, murmelte er und rief Die an.
 

Die Wohnungstür stand offen, sodas ein heller Schein auf den betongrauen Flur fiel. Kaoru entdeckte seinen Freund neben einem Fenster und zu dessen Füßen lag der Vater mit geschlossenen Augen, das Gesicht zur Zimmerdecke und die Glieder seltsam von sich gestreckt. So bewegungslos...

„Ist er tod?“

Wer hatte das gefragt? Hatte Kaoru seine Gedanken laut ausgesprochen? Nein, Die fragender Blick belehrte ihn eines Besseren. Hieß das, Die stand dort am Fenster seit das Schreien geendet hatte ohne zu überprüfen, ob sein Vater noch lebte? Kaoru kniete sich neben den Mann un hielt sein Ohr über dessen Mund. Ganz leise ging da nur noch ein rasselnder Atem, der Luftzug war aber deutlich zu spüren. „Er atmet“, gab er knapp bekannt, Dies Schweigen war unheimlich; nicht zu wissen was geschehen war, war unheimlich.

„Ich dachte nicht, dass er hinfällt. Ich hab’ ihm nur eine runtergehauen, aber er ist gestolpert und mit dem Kopf aufgeschlagen.“

Kaoru nickte nur und fühlte sich wie der Komplize eines Attentäters, der die Reste entsorgte, als er den schweren Körper auf sie Seite rollte –in die stabile Seitenlage. Als er vor seinen Jahren den Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein gemacht hatte, hatte es außer Frage gestanden, dass er es jemals brauchen würde, so war er überrascht, wie gut er sich daran erinnerte, welches Körperteil wie zu legen war.

Selbst bewusstlos waren die Brauen im sonst entspannten Gesicht des Vaters zusammengekniffen. Was war in Die vorgegangen, dass er so zugeschlagen hatte? Kaorus Abneigung gegen Gewalt ging nicht pber den zivilen Mindestabstand hinaus, doch hatte er es noch nie mitbekommen, dass sich Die geschlagen hatte, geschweige denn pberhaupt jemanden damit gedroht hatte. Der mit Gewalt aufgezogende Die verabscheute sie gewöhnlicherweise. Aber dann war doch eh nicht sie gewöhnlich hier in Mie, alles war anders, alles war seltsam.

Nachdem er den Vater auf den Boden gebettet hatte –er wusste nicht einmal mehr, ob diese Seitenlage sinnvoll war –ging er endlich zu seinem Feund, der mit dem Rücken zm Sonnenfenster stand, sodass Kaoru sein Gesicht nicht genau erkennen konnte.

„Daisuke.“ Flüsternd sprach er dessen vollen Namen aus und wllte das verdunkelte Gesicht in beide Hände nehmen, ihn küssen, Trost spenden, doch als er nah genug war, stoppten seine Finger mit einem Sicherheitsabstand zur Haut. Die linke Wange war geschwollen, direkt auf dem schönen Knochen bis hoch kurz unterm Auge. Blut rann aus der geplatzten Unterlippe, nur ein wenig war zu sehen, denn Die leckte es alle paar Sekunden ab.

Was sollte Kaoru tun? Sagen? Ganz behutsam legte er seine Fingerspitzen in Dies Nacken, vergrub sie höher in den Haaren –stetig mit der Angst ihn auf einer Prellung zu berühren, die noch nicht durch einen Bluterguss sichtbar geworden war. Die wendete sein Gesicht ab und senkte die Augenlider, seine Scham war offensichtlich, doch Kaoru fiel nicht ein, wie er ihn hätte beschwichtigen sollen.

„Lass uns gehen“, sagte er schließlich mit erstickter Stimme, „Ich bring dich hier raus.“

Ohne Rücksicht auf seinen schreienden Körper fiel Die bei diesen Worten über Kaoru her und schloss ihn fest in seine Arme, hielt ihn fest, um genauso fest gehalten zu werden. So blieben sie eine gute Weile stehen, beide tief und schwer atmend, sodass sich ihre Brustkörbe kräftig aneinander drückten.

Schließlich legte Kaoru seinen Arm um Dies Schulter und schob ihn quer durch das Zimmer in den Flur. „Bleib hier“, flüsterte er ihm ins Ohr und ließ ihn vor der Tür stehen, die er hinter sich schloss, als er ins Zimmer zurück ging. Der klumpige Körper lag noch immer unbewegt in der Mitte des Raumes. Kaoru musste sich überwinden, um noch einmal so nah heranzugehen, dass er die Atmung und den Puls überprüfen konnte. Danach nahm er des Vaters Handy aus dessen Hosentasche und versuchte die Nummer seiner Lebenspartnerin auszumachen. Im Telefonbuch waren mehr Frauennamen verzeichnet als man diesem alten Mann zutrauen würde. Auch in der Anrufliste fans dich kein Name, der besonders häufig gewählt worden war. Das gleiche ergab sich im Nachrichtenfach. Dort war nichts gespeichert.

Ein wenig enttäuscht war Kaoru schon. Er hätte der Frau, die Dies Mutter den Mann ausgespannt hatte, gerne für die Befreiung bedankt und sie für ihr selbstverschuldetes Schicksal genugtuend bemitleidet. Nun konnte er sie nicht erreichen, um ihr die Pflege des alten Sackes aufzuerlegen. Warten bis dieser wieder zu Bewusstsein kam wollte er nicht, ihn allein lassen und später für diese Verantwortungslosigkeit gerade stehen noch weniger. Wie erwachsen er geworden war. Vor drei oder vier Jahren noch, hätte er noch dreimal draufgetreten, statt sich um das fette Insekt zu kümmern.

Er wählte die Nummer des nationalen Notrufs, las die Adresse von einem Briefumschlag ab, dann ließ er das Handy achtlos vor den Vater fallen. „Kafkas Verwandlung“, sagte er laut und ging zur Tür hinaus.
 

I lay my head on top of the heavy and closed out door and I pray
 

Die Holztür war kühl gegen Dies Stirn. Auf dem Flur war es still und dunkelgrau.

Grau. Das beschrieb Die nun. Seinen Gedanken der letzten Wochen hatten um diesen einen Moment des Sieges gekreist, nun blieb die Siegesfreue aus. Seine Lebensaufgabe war erfüllt, konnte er nun nicht beruhigt aufhören zu leben? Er schloss nun ein Kapitel ab, aber die verbleinde Leere in Ihm gab keinen Stoff um neue Seiten zu füllen. Was nun? Was tun? Und warum überhaupt?

Die Tür öffnete sich unvorhergesehen, sodass Die überrascht nach vorne stolperte und seinem Freund in die Arme fiel. Kaoru fing ihn gut mit sicherem Griff und stakren Armen.

„Komm, lass uns gehen, bevor jemand kommt.“

Widerspruchslos ließ Die sich mitziehen, nur einen Augenblick lang drehte er sich um, sah durch die offene Tür einen alten Mann liegen, dahinter einen kleinen Jungen, der still unter dem Fenster saß, seine Arme um die angewinkelten Beine geschlugen, den Blick star gerade aus.

„Ich lass euch jetzt allein“, flüsterte Die und sah wie nach einer langen Zeit zum ersten Mal Kaoru an, der mit entschlossenem Blick nach vorne die Treppen hinunter trampelte. Stockwerk für Stockwerk hinunter, raus aus Mie in die abgelegende Villa... Kaoru glaubte immer seinen Weg zu kennen.

„Du, Kao“, sagte Die mit freundlicher Stimme da und sein Freun machte einen zustimmenden, brummenden Ton, „Das Leben geht doch weiter, oder?“

Kaoru blieb auf dem Treppenabsatz stehen, griff nach Dies Nacken um ihn mit kräftiger Hand zu einem Kuss hinunter zu ziehen.

„Wir werden nicht zulassen, dass es endet!“

Das Grau, das den Flur beherrschte, konnte das Braun in der Iris von Kaorus Augen nicht besiegen.
 

So just please don't go

Please don't go

Be close to you

1.8

In Shioris Haus begrüßte sie niemand, als Die und Kaoru von ihrem langen Spaziergang aus der Altstadt zurückkamen. Dies Freunde arbeiteten und Kaoru war froh darüber.

Sie setzten sich mit einer Wasserflasche in die Holywoodschaukel auf der Veranda und sahen auf das weite Feld vor ihnen hinaus. Irgendwo da, war noch eine Straße, wo hin und wieder ein Auto vereinsamt in der Ferne entlang gleitete. Im Badezimmer suchte Kaoru nach einem Verbandskasten und fand ihn schließlich in der Küche. Die zuckte kaum, als er die geschwollene Lippe abtupfte und mit Zinksalbe einrieb. Sie blieben schweigsam, bis Stunden später Shiori und Yuuki von der Arbeit wiederkamen.

Kaoru hatte keine Lust auf noch einen Spaziergang, noch einen Besuch in Mie, noch wollte er Die allein lassen, aber als dieser in bat Yuuki in die Stadt zu fahren und ihm beim Einkauf zu helfen, konnte er nicht ablehnen. Er sagte sich, er täte es, weil er den Rollstuhlfahrer nicht sich selbst überlassen wollte, aber er wusste auch, dass das eine Lüge war. Die konnte mal wieder alles von ihm verlangen. Wenn er mit Shiori alleine über seinen Tag sprechen wollte, musste er sich dafür vor Kaoru nicht rechtfertigen? Nein. Keine Rechtfertigungen, Akzeptanz. Darauf begründeten sie ihre Beziehung, so die Regel. Obwohl Kaoru diese eigennützig genoss, sie ihm half sich weniger eingeschränkt durch die Beziehung zu fühlen, nun, als er Yuuki in Shioris Auto half, den Zündschlüssel drehte und dabei Die und Shiori in der Küche sah, fühlte er sich außen vor gelassen.
 

I open out my wings of glass

Up and towards the wind melted future
 

„Es ist vorbei. Ich habe mit ihm Schluss gemacht.“

Die lehnte sich mit einer Tasse Tee in beiden Händen gegen die Arbeitsfläche neben der Spühle, an der Shiori Kartoffeln für das Abendessen schälte. Die Worte brachten das Schälmesser für einen Moment zum Stillstand. Erwartungsgemäß hatte sie ihn kontextfrei nicht verstanden.

„Ich habe mit Vater abgeschlossen. Wir werden uns nicht mehr sehen“, erklärte Die und fühlte wieder die Leere, „Es gab Streit, als ich heute dort war, und nun haben wir uns verabschiedet.“

Sie legte das Messer zur Seite und ihre Hand an Dies Wange. Ein vielsagender Blick, wie ihn nur eine lebenserfahrende Frau haben konnte, wurde ihm geschenkt. Mitgefühl, Bedauern, Trost, Erleichterung, Verständnis –alles, was Die brauchte konnte er darin lesen. Shiori, seine langjährige Freundin. Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und fragte: „Worum ging es?“

Sofort zu antworten kam ihm nicht gelegen, denn Die mochte noch über vieles sprechen, solange sie allein in der Küche waren. Er stellte die Tasse ab und nahm sich aus dem Messerblock ein Schälmesser, um Shiori zu helfen. „Um Kaoru“, sagte er schließlich, „Und er war es wert.“ Er sah sie prüfend an, aber sie blickte auf ihre Hände und die Knolle, die sie darin drehte.

„Ist er gut zu dir?“, wollte sie dann wissen, „Ist er ein guter Freund?“

„Ja“, antwortete er ohne Zögern, „Er ist sehr gut zu mir.“

Die Sonne schien durch die breiten Küchenfenster, von denen man auf den Hof sehen konnte, auf die Spüle und beleuchtete die beiden bei ihrer Arbeit so hell, dass sie das elektrische Licht noch nicht anschalten mussten. Hinter ihrem Rücken zogen sich die Schatten lang.

„Ein Problemlöser?“

„Der beste.“ Er lächelte stolz.

„Auch bei Liebesproblemen?“ Ein verschmitzter Seitenblick.

„Nein, da nicht“, sagte Die und dann als wäre es das natürlichste auf der Welt kam es aus ihm heraus: „Da macht er mir manchmal Probleme.“ Dabei lächelte er noch stolzer.

Wieder hielt das Schälmesser eine Sekunde inne, wieder schenkte ihm Shiori einen Blick, viel fröhlicher diesmal, und meinte: „Das kann wohl keiner vermeiden.“

„Nein, nicht einmal Kaoru.“

„Seit wann macht er das denn schon?“, fragte sie nun mit einem zufriedenem Lächeln, „Schon sehr lange?“

Die sah hinaus auf den Hof und überlegte: „Im Frühjahr sind es zwei Jahre.“

Anerkennend pfiff Shiori und legte die letzte geschälte Kartoffel in den Topf um ihn zum Herd zu tragen. Die betrachtete ihre Figur von hinten. Sie war sehr zierlich, ihre Taille ein weicher Schwung zwischen Brustkorb und Hüfte, die sich beide deutlich abzeichneten. So vertraut, so lieblich. Von Shiori ging keine Gefahr aus. Shiori war seine Freundin.

„Und Takeo und du?“

Zwar klopfte sein Herz heftig, als er es endlich fragte, endlich zugab mehr zu wissen, aber es war nicht zu vergleichen mit der Angst und Wut, die er gegenüber seines Vaters empfunden hatte. Es war mehr nur der letzte Zweifel an seiner Zuversicht alles würde wieder gut werden zwischen ihnen.

Irgendetwas zwischen einer Sekunde und einer Ewigkeit verging.
 

It comes and slowly stains my heart

That's been cold, all alone and so tightly closed
 

„Noch länger, glaube ich“, antwortete sie dann und drehte sich um, „letzten Herbst waren es schon drei Jahre.“ Sie drehte an den Knöpfen der Herdes, dann kam sie zu ihm. Er ging ihr entgegen und sie blieben voreinander in der Mitte der Küche stehen. Shiori stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte ihre Hände nach oben, sodass sie Dies Wangen anfassen konnte. Er bückte sich, nahm ihren Kopf in seine Hände. Wie in Oberschulzeiten küssten sie sich auf den Mund.
 

Es war spät, als Kaoru endlich mit Yuuki zurückkam. Die Dunkelheit war schon längst eingebrochen und das Haus ein kleiner, leuchtender Punkt in der Landschaft. Shiori erwartete sie schon auf der Einfahrt mit einer Taschenlampe, um Yuuki den Umstieg aus dem Auto in seinen Rollstuhl zu erleichtern und beim Tragen der Einkäufe zu helfen. Wie sie dort mit Pantoffeln und Schürze stand, erinnerte sie Kaoru an die mütterliche Haushälterin seiner Eltern, die ihn großgezogen hatte.

„Es tut mir leid, dass wir so spät sind“, entschuldigte er sich bei ihr ohne es zu meinen, „Wir haben zu sehr getrödelt.“ Weil er Shiori und Die all die Zeit lassen wollte, die sie brauchten.

„Aber nein“, sagte sie und lächelte –mit diesem Lächeln musste es Die leicht gefallen sein, sich in sie zu verlieben-, „Takeo ist auch gerade erst von der Arbeit wiedergekommen und ist noch mit Die im Garten. Wir hätten eh noch nicht mit dem Essen angefangen.“

Überrascht überprüfte Kaoru die Uhrzeit. Es war schon nach 8 und das Abendessen war schon vor einer Stunde verabredet gewesen. Shioris Unruhe war anders als gewohnt, nicht die Hibbeligkeit und die Aufregung, die Kaoru bisher kennen gelernt hatte, sondern Unsicherheit fand er an ihr. Ablenkung durch Helfen, stetiges Beschäftigen der Hände. War noch etwas passiert, während er weg gewesen war?

„Sie werden wieder reinkommen“, sagte Yuuki dann von unten, sodass sie auf den Rollstuhlfahrer hinuntersahen, „Keine Sorge, Shiori. Sie kommen wieder.“
 

Takeo und Die waren kleine Hügelchen neben der Gartenlaube, von der ein Scheinwerfer spärlich flackerndes, gelbes Licht auf die Szene warf. Kaoru beobachtete die beiden Männer heimlich durch das Fenster der Hintertür, wobei er den Vorhang mit der Hand zur Seite schieben musste. Sie hockten dort auf der kleinen gepflasterten Stelle vor der Laube eng beieinander, ihre Winterjacken drückten sich an den Schultern gegeneinander. Zigarettenrauch stieg von ihnen auf, man sah ihn nur im Licht des Scheinwerfers, in der Dunkelheit war er unsichtbar. Das Licht des Hauses reichte nicht bis zur Laube, das der Laube nicht bis zum Haus. Die Dunkelheit zog einen breiten Graben zwischen sie und um die Laube herum. War das wirklich Die dorthinten? Er schien so weit weg, dass man Kaoru ihn kaum erkennen konnte. Es war jedenfalls nicht sein Liebhaber. Der junge Mann dort war Takeos Jugendfreund.

Das Knartschen der Holzdielen kündigte Yuuki an, der sich durch den Flur zu ihm hin rollte.

„Sind sie noch am reden?“, fragte er und Kaoru nickte, ein wenig peinlich berührt beim Beobachten erwischt zu werden, aber dann war es doch nicht so unverständlich, oder?

„Es ist immer so“, erklärte Yuuki, „Wenn Die Streit mit seinem Vater hat, dann reden sie.“

„Ach so“, machte Kaoru und warf einen letzten Blick auf die seltsame Szenerie, dann wollte er gehen, aber so wie Yuuki mit dem Rollstuhl im Flur stand, kam er nicht ohne weiteres vorbei, und der machte keine Anstalten sich zu bewegen.

„Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es Die nach diesen Gesprächen viel besser geht, obwohl Takeo seinen Vater seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Es ist so, weil Takeo ihm wieder die Wertschätzung zurückgibt, die der Vater jedesmal zerstört.“

„Da muss Takeo ihn wirklich sehr viel Gutes zu sagen haben“, rutschte es Kaoru heraus und er bereute es fast. Nur fast, denn Yuuki schien ein guter Gesprächspartner für ehrliche Äußerungen zu sein, so weit er es an diesem Nachmittag hatte feststellen können.

„Es scheint so, ja.“

Sie schwiegen sich an. Eine ganze Weile. Dann war es Yuuki, der es unterbrach.

„Shiori sitzt in der Küche und wartet mit dem Essen.“

Kaorus spontanster Einfall dazu war in die Küche zu gehen, aber sein Gegenüber regte sich immer noch nicht.

„Sie sitzt da schon seit Jahren, seit unserer Schulzeit, seit sie damals mit Die zusammen war, und wartet darauf, dass die beiden endlich zu ihr zurückkommen. Genauso wie du jetzt.“

Wusste Yuuki Bescheid? Bescheid worüber denn? Dass Kaoru mit Die zusammen war? Oder nur, dass er ihn gerade von Takeo zurückfordern wollte?

„Ich sage dir das selbe wie Shiori immer“, redete Yuuki weiter ohne sich von Kaorus Verwirrung irritieren zu lassen, „Die beiden kommen wieder. Sie werden nicht von der Laube aus einfach verschwinden. Aber sie werden auch immer wieder dorthin zurückkehren. Das ist ein Teil ihres Seins, dass sie sich einander brauchen. Es bedeutet nicht, dass er dich nicht liebt oder weniger liebt.“

Überrumpelt wusste Kaoru nicht, was er sagen sollte. Er durfte nicht zustimmen, aber er wollte nicht lügen, also blieb er still. Yuuki konnte ihn nicht zwingen etwas zu sagen und seine Schlüsse würde er ohnehin ziehen, ob aus lächerlichem Gerede oder stumpfen Schweigen. Für Kaorus Teil war das Schweigen definitiv die angenehmere Lösung.

„Du musst dich nicht schämen. Ich wusste es einfach, seit wir euch vom Bahnhof abgeholt haben. Die sieht dich an wie er Takeo früher angesehen hat, das hat damals auch kaum jemand bemerkt.“

„Er soll mich anders sehen“, sagte Kaoru dann mit dem Blick zur Laube, „Denn ich bin besser als Takeo.“
 

Ihr Gespräch hatte sich schon vor einer Weile verlaufen, nun saßen sie nur noch eng nebeneinander bei der Laube, ihrem alten Stammplatz und schwiegen. Takeo rauchte eine seltene Zigarette.

Sie hatten lange nicht mehr hier gesessen, schon eine ganze Weile nicht mehr. Das letzte Mal wohl als Die sich einmal von Kaoru getrennt hatte und überstürzt nach Mie geflüchtet war. Er hatte Takeo von Teilen des Streits erzählt, nur die expliziten Beziehungsdetails ausgelassen. Es war auch nicht wichtig, was er Takeo erzählte, solange er nur erzählen konnte und manchmal einen Arm um die Schulter gelegt bekam, sein Freund ihm sagte, wie sehr er ihn schätzte und dass er nicht nur etwas, sondern einiges wert war –als Mensch.

Über den Auslöser des Streites heute hatte er auch gelogen, aber das war nicht wichtig. Wichtig war die Wut und die folgende Leere, dagegen half Takeo am besten.

Seit wann saßen sie hier? Seit Takeo gegen halb 6 von der Arbeit wiedergekommen war. Und seit Takeo ihm in der Oberstufe gestanden hatte, an Shiori interessiert zu sein. An ihrem Geburtstag damals hatten sie auf der Feier genau hier gesessen, getrunken und geraucht. Später, nachdem sie sich mit ihr angefreundet hatten, war dieses Haus Cliquenzentrale geworden und Abend für Abend waren sie hierher gekommen. Wie viele Abende hatten sie hier gesessen und ihre Pubertät verarbeitet? Des Vaters Anfälle? Auch nach Takeos gerichtlicher Verurteilung nach dem Schlag, den er dem Vater verpasst hatte, hatten sie hier gesessen.

Manchmal hatte Die ein Problem erfunden um hier mit Takeo in Zweisamkeit zu sitzen, mit Absicht einen Streit mit Shiori vom Zaun gebrochen und seine verzweifelte Liebe zu seinem besten Freund in eine andere Verzweiflung konvertiert. So seltsam es auch klang, beim Jammern hatte er einige der schönsten Stunden seiner Jugend verbracht. Diese Momente bedeuteten viel für ihn, so schrecklich sie hätten sein müssen.

„Lass uns wieder hinein gehen“, sagte Takeo und drückte seine Zigarette aus, „Shiori wartet.“

Es war immer Takeo, der ihr Zusammentreffen beendete, und Shiori war immer der Grund dafür. Daran hatte sich in einem Jahrzehnt nichts geändert und es würde so bleiben für alle Jahre. Dass es Die schmerzte, so sehr er Shiori auch mochte, daran würde sich auch nichts ändern.

Happiness and Sadness lie too close

Wie war das noch einmal gewesen, bevor Shiori in ihr Leben getreten war? Als es nur Die und Takeo, Takeo und Die gewesen war? War er damals auch so verzweifelt verliebt gewesen? War er es überhaupt gewesen oder hatte erst die Verzweiflung ihn dazu gebracht die Zweisamkeit so sehr wert zu schätzen?

I can barely see you with all these tears

I am now forgetting even the colours of your tears and love

Er wusste es nicht mehr. Er wusste nur noch, dass er wegen dieses Mannes viel gelitten und viel geliebt hatte. So viel war passiert über die Jahre, dass er Erlebnisse und Ereignisse vermischte, ihre Reinfolge durcheinander brachte und sich in den Erinnerungen verirrte.

Durch den Vorhang der Hintertür sah er Kaorus Schattensilhouette, die sich gegen den erleuchteten Flur abhob.

1.9

Kaorus Hände waren immer warm, das Gefühl seiner Fingerspitzen an Dies Wange immer willkommen. Die drehte seinen Kopf und küsste die Handinnenfläche. Berührungen. Lieblichkeiten.

Sie standen im Flur des ersten Stocks zwischen ihrem Zimmer und Bad, aus dem Die gerade gekommen war. Sein Blick war so verletzlich gewesen, dass Kaoru ihn nicht hatte vorbei gehen lassen können, ohne ihm trösten zu wollen, ohne ihm beizustehen, ihn trösten zu wollen. Dieser war zusammen gezuckt, als er seine Wange dort berührte, wo ihn am gleichen Tag noch eine Faust getroffen hatte, aber nichtsdestotrotz wurde Kaorus Hand festgehalten.

„Es tut schon fast nicht mehr weh“, sagte Die, „die Prellungen schon, aber dass er mich geschlagen hat, das tut kaum noch weh.“

Die Stufen der Treppe knarrten leise und gaben Die Bescheid, dass ihre Zweisamkeit verschoben werden musste, weg aus dem offenem Flur, darum ließ er die Hand Los und drückte er Kaoru ein wenig von sich, als dieser sich zu einem Kuss vorlehnte. Takeos Gesicht erschien zwischen den Reben der Treppe und sah sie an. Sah sie sehr direkt an.

Kaorus Hand lag immer noch an Dies Wange, wanderte dann langsam auf dessen Schulter und klopfte darauf. „Das wird schon“, sagte er so affektiert freundschaftlich, kumpelhaft, dass es nur distanziert und künstlich klingen konnte.

How heavy is blood?

Ohne ein Wort drehte sich Die um und verschwand hinter der Tür ihres Raumes. Kaoru hatte nicht einmal eine Chance sein Gesicht noch einmal zu sehen. Takeo war auf der Treppe erstarrt, rührte sich nicht einmal, als Kaoru an den Stufen vorbei zum Badezimmer ging. Dabei nickte Kaoru ihm zu, als Zeichen ihn sehr wohl gesehen zu haben, sich nicht vor ihm zu fürchten. Wenn er sie gesehen hatte, war das eben so. Kaoru hatte nichts Falsches getan. Das Gespräch mit Yuuki hatte ihm die Zuversicht gegeben, Takeo entgegen zu stehen.

Er trat ins Bad ein und in dem Moment, als er nach seinem Kulturbeutel griff, öffnete sich die Tür hinter ihm erneut und Takeos große Gestalt stand im Rahmen. Plötzlich wurde Kaoru bewusst wie klein dieser Raum war, dass es keine Fluchtmöglichkeiten gab. Irrsinnig, irrational, wenn er nüchtern darüber nachdachte. Was würde Takeo ihm schon tun? Wohl kaum sich auf das Niveau von Dies Vater hinunter lassen, am aller wenigsten Takeo.

„Da hast du heute ja gut auf ihn aufgepasst.“

Kaorus Hand, die gerade nach seiner Zahnbürste greifen wollte, zuckte zusammen und er verfluchte sie dafür. Takeos Bild im Spiegel über dem Waschbecken blitze ihn hasserfüllt an.

„Ich bin sicher, dass ich dir da nicht das Wasser reichen kann“, gab er spöttisch zurück. Auch wenn Takeo mit Die neben Gartenlauben saß, es war und würde auch in Zukunft stets Kaoru sein, der Die zu seinem gewünschten Leben verhalf. Takeo war eine noch nicht ganz vergessene Jugendliebe, Kaoru war Dies Mann, sein Partner. Wenn Takeo sich darin messen wollte, wer besser auf Die Acht gab, würde Kaoru sich nicht zurück ziehen. Er drehte den Hahn auf und spritzte sich kaltes Wasserins Gesicht.

„Sag mal, Kaoru“ forderte Takeo auf ohne auf das vorherige Kommentar einzugehen, „Bist du etwa in Die verliebt?“

Die Stimme war unverfälscht hart, herausfordernd. Kaoru hob seinen Kopf vom Waschbecken, vergaß sein Gesicht abzutrocknen, sah Takeos spöttische Miene hinter sich im Spiegel. Wassertropfen liefen in sein Augen, sodass er oft blinzeln musste, um überhaupt sehen zu können. Schon wieder. Der zweite heute. Logisch, Takeo hatte sie ja gesehen, gerade eben noch. Welche Schlüsse sollte er sonst auch ziehen?

„Bilde dir nichts darauf ein, dass er dich nah an sich heran lässt. Die braucht viel Nähe, weil er sich schnell einsam fühlt, aber er ist nicht schwul. Er ist ein normaler Mann.“

Skeptisch zog Kaoru die Brauen hoch. Dies Outing war Dies Sache; er hatte kein Recht das für ihn zu erledigen, erst recht nicht vor Takeo. Aber diese Bemerkung konnte er nicht kommentarlos vorbeiziehen lassen, musste mindestens mit seinem Gesicht Takeo andeuten wie sehr er im Unrecht lag. Was wäre, wenn dieser wüsste, jemals erfahren sollte, dass Die Kaoru in diesem Sinne „bekehrt“ hatte.

„Freundschaft bedeutet ihm sehr viel, also wage es nicht das auszunutzen.“

So wie ihm die Freundschaft zu Takeo viel bedeutet hatte. Alles war klar, gut. Kaoru verstand schon. Ironisch verdrehte er die Augen, versteckte es aber im letzten Moment, indem er seinen Kopf hinabsenkte und sich das Gesicht noch einmal wusch. Zwischen dem plätscherndem Wasser drang Takeos Stimme in seinen Ohren.

„Lass ihn einfach in Frieden. Du wirst es sowieso nie schaffen ihm über seine Ex hinweg zu helfen.“

Sein Kopf hing über dem Becken, die Wassertropfen perlten und plätscherten auf das Porzellan; plitsch, plitsch.

„Sie belastet ihn also noch...“, hörte sich Kaoru sagen.

„Nachdem was sie ihm angetan hat...“, Takeo ließ den Satz bedeutungsvoll ausklingen. „Er hat genug durchgemacht, also belaste ihn nicht weiter mit deinen Perversitäten?“

„Perversitäten?“, fragte Kaoru höhnisch, obwohl er darauf nicht antworten durfte, „Ein wenig homophob sind wir aber nicht, oder?“

„Es ist okay, wenn ihr unter euch bleibt. Aber zieh Die da nicht rein.“

Kaoru sah hoch vom Becken, drehte sich diesmal zu Takeo um. Ein trauriger Mensch stand dort im Türrahmen. Sie sahen sich direkt an. Auf einmal waren ihre Blicke offen, die gefährliche Spannung verschwunden. Takeos Gesicht verkörperte Hilfe. Hilfe zu geben, Hilfe zu nehmen.

„Er ist schlecht im ’nein-sagen’. Jede Zurückweisung schmerzt ihn. Wenn du dir deshalb also Hoffnungen machst, kann ich es dir vorneraus sagen. Die steht nicht auf Männer. Ich würde es wissen, vertrau mir. Ich tue das nicht, nur um dich fertig zu machen. Ich will Die den Stress ersparen. Er mag dich sehr gerne, aber du wirst da nicht über eine sehr gute Freundschaft hinweg kommen.“

Kaoru sah auf die Fliesen, atmete konzentriert um sich zu beruhigen.

„Deine Mühe ist sehr ehrvoll“, sagte er, als er Takeo wieder ansehen konnte, „Und ich danke dir dafür.“

Takeo nickte und man hörte wie ein mächtiger Atem die große Brust verließ.

„Pass bitte gut auf meinen Kleinen in Tokyo auf.“

„Ja, das werde ich“, versprach Kaoru und reichte Takeo die Hand. Die Pranke legte sich um seine und sie drückten fest zu. Dann verlas Takeo das Bad.
 

Die lag schon in ihrem Bett, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, als Kaoru endlich zurück kam. Nur die kleine Nachttischlampe brannte, in ihrem weichem, gelbem Schein flossen die Schatten des Bezugs. Dies rote Haare waren bordeaux, sein Kopf außerhalb des Lichtkegels, das Gesicht dunkel. Sie begrüßten sich mit Blicken und Die hatte erkannt wie gereizt sein Freund war. Unter Dies forschenden Blicken zog sich Kaoru aus. Takeos Anblick ging ihm nicht aus dem Sinn. Wieder und wieder. Dieses traurige Gesicht.

Was wäre, wenn ihm selbst so lange eine Liebesbeziehung, die ganze tatsächliche Sexualität von einem guten, langjährigen Freund vorenthalten würde? Er würde ausrasten. Wegen so einer Lüge ließ sich die ganze Freundschaft in Frage stellen. Dass Die zu solchen Lügen fähig war! War Kaoru davor sicher? Er kannte seinen Freund doch, so gut, dass man sich vertraute. Er hörte seine Worte von Takeos Stimme gesprochen, legte sie dem traurigen Gesicht in den Mund.

Er warf seine Hose über eine Stuhllehne, dann kletterte er rasch über Die, stützte seine Hände über Dies Schulter neben den Kopf, seine Knie neben die Hüften, sein Gesicht noch einige handbreit über Dies erschrockenem. Er wollte die Augen unter ihm durchbohren, sich am Schock sättigen, das Loch füllen, das Takeo in ihm gerissen hatte.

„Du trauerst also noch Miyako nach?“, fragte er gerade heraus und genoss wie Die unter ihm zusammen zuckte beim Namen seiner Ex-Freundin.

„Takeo macht sich Sorgen um dich, dass du nicht mehr über sie hinwegkommen würdest, nachdem, was sie dir angetan hat..“, spöttisch imitierte er Takeos Betonung, ließ nicht zu, dass Die seinen Blick abwandte. Die hatte nicht halb so viel unter Miyako zu leiden gehabt, wie sie unter ihm. Er hatte sie für Kaoru verlassen, nicht anders herum. Was er Takeo erzählt hatte, konnte man nicht mehr als feiges Verschweigen abtun, es war tatsächliches, absichtliches Lügen.

„Du – bist – schwul!“

Die Worte kamen aus Kaorus Mund geschossen und Die kniff seine Augen zu, schien es nicht hören zu wollen. Nicht nach diesem langen Tag, nach dem Streit mit dem Vater, nach dem Gespräch mit Shiori, nach der Gartenlaube und der Entdeckung auf dem Flur. Aber seine Arme waren unter der Bettdecke gefangen, die Kaoru auf das Bett presste.

„Ich – bin – schwul!“, machte Kaoru erbarmungslos weiter, „Wir sind schwul, weil wir Männer sind und uns lieben. Das nennt man Homosexualität, Die.“

Kaum mehr als ein Hauchen kam von Die. „Hör auf...“, flüsterten die Lippen mit einer fast unbemerkbaren Bewegung.

„Unsere Sexualität bleibt da, auch wenn wir sie nicht benennen. Nur weil du das Wort nicht aussprichst, änderst du nichts an den Tatsachen.“

Dies Augen öffneten sich wieder und baten Kaoru um Erbarmen, um Frieden, aber er gab nicht nach. Es tat weh, Die so zu verletzen, aber es schmerzte noch mehr die traurige Figur im Badezimmer zu sehen. Sein Freund hatte gelogen, betrogen –er war im Unrecht, er hatte die Strafe zu erleiden.

„Und nur, weil du nicht mit Takeo darüber sprichst, heißt es nicht, dass er es nicht weiß.

Nur weil er es nicht wissen will, heißt es nicht, dass er es nicht glauben kann.“

Die letzten Worte flehte Kaoru, dann knickten seine Arme ein und er fiel auf Die, vergrub sein Gesicht in dessen Halsgrube.

„Warum, Die? Wir wollten doch nie so sein!“ Nie wie die Minderheiten, die durch ihre Heimlichkeiten Probleme regelrecht provozierten. Vorsicht, Angst, Zurückhaltung, nur um Konflikten aus dem Weg zu gehen. So ein Leben wie in den letzten Tagen verstörte Kaoru, er begann es zu verabscheuen, sie und Die selbst dafür zu hassen. Er hatte es satt zu schweigen, wenn er gefragt wurde, zu hören wie Die ihn verleugnete.

„Du weißt, was du Takeo antust, aber du hörst nicht auf!“
 

Die schloss seine Arme um Kaoru, hielt ihn fest, um die Verzweiflung zu vertreiben. Sein Kaoru, sein Kaoru... Sein Kaoru, der alles für ihn tat. Er ließ Die nichts durchgehen, kein Fehlverhalten, kein Lügen. Dass er nun sogar Partei für Takeo ergriff, verwunderte Die nicht, dass wiederum überraschte ihn. Es war, als wären Kaoru und Takeo natürliche Feinde, aber dennoch so ähnlich, dass sie Sympathie füreinander empfinden mussten. Sie waren alle miteinander verbunden. Wenn Takeo leidete, litt Die, Dies Leiden wurde dann zu Kaorus Sache. So war Takeos Schmerz Kaorus und Kaoru gab diesen an Die nun zurück.

Seine Finger gruben sich in Dies Hals und er ließ es zu, hielt seinen Mann nur noch fester, presste ihn gegen sich, bis seine Arme schmerzten. Und es tat gut, so gut...
 

I bleed as my way of compensating everything to you

1.10

Die saß schon lange redend mit Shiori in der Küche, als Kaoru endlich lange nach 9 Uhr die Treppe herunter kam. Sie hatten schlecht geschlafen, sich hin und her gewühlt, aneinander gepresst und weggedrückt. Die hatte es beim Sonnenenaufgang aufgegeben und hatte gerade Takeo und Yuuki verpasst, die zur morgendlichen Laufrunde aufgebrochen waren. Gewöhnlicherweise klopfte Takeo an seine Zimmertür um ihn für den Sport zu wecken, aber vielleicht wollte er Die nach den gestrigen Tag schonen, vielleicht hatte Die es nur überhört.

„Wie geht Yuuki denn Joggen?“, fragte Kaoru, als er sich an den Tisch setzte und von Shiori dankend Müsli und Milch gereicht bekam.

„Mit dem Rollstuhl trainiert er seine Arme“, erklärte Die, „Oder Takeos, ganz nach Laune.“

Sie lächelten sich an, gütig, freundlich, und wussten, dass wieder alles gut war. Die Spannung des vorherigen Abends war verschwunden. Eine gute Gelegenheit für eine kleine Überraschung war, beschloss Die und küsste Kaoru auf die Stirn. Ein Geschenk war dessen freudig verwirrter Blick, der erst Die, dann Shiori musterte, die noch neben ihm stand. Weit aufgerissene Augen, zu denen hoch sich die Mundwinkel krümmten, in einem Gesicht, das noch zu verschlafen war, um sich zu verstellen.

Die lachte in sich hinein und verdiente den tadelnden Blick seiner Freundin, die Kaoru locker auf die Schulter klopfte und sagte: „Ich habe ihm schon damals in der Oberschule gesagt, dass es höchst unsexy ist, auf die Stirn geküsst zu werden.“

Dies Freund sah zu ihr hoch und grinste etwas beschämt: „Manche Leute lernen es eben nie.“ Die küsste ihn niemals auf die Stirn, nicht ihn Kaoru, den Wegweisenenden, den Problemlöser, nicht auf die Stirn wie ein Kind, normalerweise. Aber nun, es war immer noch Mie, nicht Tokyo. Dinge schienen hier anders zu sein. Am einen Tag war ihre Beziehung hoch geheim, dann schon einige Stunden später schien sie das Klarste der Welt zu sein.

„Hast du schon gefrühstückt?“, fragte Kaoru dann nur um ein Gespräch anzufangen, das Thema möglichst umzulenken. Dies Kopfschütteln brachte ihn jedoch dazu seiner Intuition zu danken.

„Ich hatte noch keinen richtigen Hunger“, erklärte Die, sah ihn aber nicht direkt an.

„Aha“, machte Kaoru kurz und schob ihm seine volle Müslischüssel hin, stand dann wortlos auf um sich eine neue zu holen. Shioris wachsame Augen überblickten die Szene, Kaoru spürte sie auf sich, wurde von ihnen durchbohrt. Eine seltsame Frau. Sein erster Eindruck schien so vollkommen verkehrt gewesen zu sein, ihre quirlige Art hatte über die tatsächliche Bedrohlichkeit hinweggetäuscht, die von ihr ausging, wenn ihr Blick auf einem ruhte. Als würde sie die Pausetaste drücken, erstarrte man darunter.
 

The bell of reality rings out loudly from down deep within

And disappears with all the wind
 

Sie verbrachten einen ruhigen Sonntag, bevor sie am nächsten Tag abreisen würden.

Gegen Mittag begleiteten Die und Kaoru Takeo zum Training seines jugendlichen Leichtatlethikteams auf dem Schulhof ihrer alten Oberschule. Rustikal war kaum noch ein angemessener Ausdruck für die Sporthalle, den Sandplatz und die alte Hochsprunganlage.

Kaoru setzte sich mit einem Buch an den Rand, den Sportplatz gut im Blick. Weit kam er auf seinen Seiten an diesem Tag nicht, dafür beobachtete er Die, wie der das Aufwärmen und das Lauftraining leitete. Die war schön, auch in weiter Sportkleidung, nein gerade in dieser. Mit seinen schlanken Gliedern, die sich kraftvoll darin bewegten, dominant den Stoff mitrissen, sodass er immer in Bewegung war. Es war schön Die laufen und springen zu sehen. Die Kinder und Jugendlichen liebten Die, suchten alle seine Aufmerksamkeit und es wurde Kaoru schmerzhaft bewusst, dass Die ein guter Vater wäre.

Am Ende des Trainings versuchte Die sich wohl nach langer Zeit noch einmal im Hochsprung, Kaoru wäre es nicht weiter aufgefallen, wenn sein Freund nicht reichlich Spott von Takeo geerntet hätte für den einen oder anderen Lattenwurf. Wie Die sich rückwärts überwarf, das Kreuz durchbeugte, die schlanken Beine in die Luft warf. Es war schön. Wie hatten sich weder Takeo noch Shiori darin verlieben können? Für Kaoru war dieser Anblick wertvoll. So wertvoll, dass er sich nicht einmal durch Eifersucht wegen der Vertrautheit zwischen Die und Takeo stören ließ. Sie waren gut eingespielt, lachten viel, reagierten auf den anderen mit einer Selbstverständlichkeit, die man nur bei großem Vertrauen füreinander entwickeln konnte. Vielleicht störte es Kaoru nicht mehr, weil er Mitleid mit Takeo empfand.
 

Sie verbrachten den restlichen Tag gemeinschaftlich in Haus und Garten; saßen, spazierten und redeten in Paaren, Grüppchen oder zogen sich einzeln kurz zurück. Dabei tauschten sie Neuigkeiten aus, Alltägliches oder längst Vergangendes. Kaoru erfuhr viel über Die und konnte Geschichten und Zusammenhänge ergänzen, die er von dessen Mutter kannte. Die selbst genoß die ruhige Stimmung, so wie sie sonst immer war, wenn er nach Mie zurück kehrte. In Tokyo hatte jeder etwas Aufregendes zu erzählen und der Nächste musste einen drauf setzen. Hier war es entspannt, jemand erzählte und man hörte, hörte richtig zu und wartete nicht nur höflicherweise still, aber ungeduldig darauf, dass man selbst zu Wort kam. Nachmittags saßen sie alle fünf zusammen bei Kaffee, Tee und süßem Gebäck, dann liefen sie eine kurze Runde durch die Felder und kehrten zu einem gemütlichen Abend im Wohnzimmer zurück. Die beobachtete seine Freunde und war zufrieden. Jedesmal wenn er zurückkam, schien es Yuuki besser zu gehen, die Frustration über seine Behinderung immer weniger zu werden; Shiori war ruhiger geworden, zwar unverändert quirlig, wenn die Stimmung stieg, aber weniger nervös, wenn sie gemeinschaftlich schwiegen.

Sicher hatte sie Takeo gesagt, dass Die von ihnen wusste. Im Laufe des Nachmittages hatte Takeo seine Hand auf ihre Schulter gelegt und Die entschuldigend angesehen, er hatte genickt, dann hatten sie beide gelächelt. Mehr brauchten sie nicht, mehr wollte Die nicht. Aber nachziehen, das musste er.
 

Nach dem Abendessen setzten sie sich auf die Terasse, Shiori und Yuuki verweigerten sich der Kälte und blieben im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Sie nahmen Takeos Akkustikgitarre und seinen Bass mit kleinem Verstärker und improvisierten ein wenig herum. Für Kaoru war es ein netter Ausgleich für die Leichtatlethik, denn wenn es um Musik ging, waren Die und er unvergleichlich gut eingespielt, niemand konnte ihnen da das Wasser reichen. Takeo war Bassist in Dies erster, selbstgegründeter Band zu Oberschulzeiten gewesen, hatte nie die Lust am Musizieren verloren, aber auch keine besonderen Ambitionen besessen es zum Lebensinhalt zu machen. Ganz anders als Kaoru und Die.

Mit kalten Fingern stimmten sie die Gitarre zunächst ohne Stimmgerät. Takeo glaubte Kaorus Ohren nicht und zog doch das Gerät zur Rate. Sie begannen einen kleinen Wettbewerb, wer am besten den Bass mit seinen Ohren stimmen konnte, und überprüften es anschließend elektronisch. Sie wechselten die Siztplätze ständig, reichten die Instrumente hin und her, sangen, spielten, flachsten, lachten. Die gefiehl es, wie gut sich Takeo und Kaoru verstanden, begeistert herausfanden, welche Musik ihnen beiden gefiehl, und herzhafte Diskussionen über Unstimmigkeiten begannen. Stolz war er auf seinen Kaoru, wie er gegen Takeo gewann, sie alle mit seiner Technik in den Schatten stellte. Nur singen tat er ungern und Die genoß es ihn dazu zu zwingen, zu provozieren, zu zeigen, wie groß sein Einfluss auf das Genie war.

Am Terassendach vorbei sah man Sterne leuchte, so hell wie man sie in Tokyo nie sehen können würde, nie mehr solange nicht eine Katastrophe alle elektronischen Lichter für eine Nacht aus der Stadt verbannen würde. Während sie musizierten, entdeckte einer von ihnen hier oder da ein Sternzeichen oder meinte es nur und wurde freundlich ausgelacht.

Irgendwann spielten sie einen langsamen, amerikanischen Evergreen; Takeo improvisierte am Bass, Kaoru glänzte an der Gitarre und Die sang. Kaoru mochte den Klang dieser Stimme, Die sang gut, nicht herausragend oder außergewöhnlich, sodass man eine Gänsehaut bekam, aber gut genug, um es genießen zu können. Manchmal stolperte er über Wörter und dachte sich den Text aus, aber so improvisierte Kaoru selbst beim Spielen, wenn auch etwas erfolgreicher als Takeo. Trotzdem war es schön, er verstand weshalb Die Mie und dieses Haus so liebte. Es erinnerte an frühere Tage, Jugendtage, an denen man noch dieses schreiende Bedürfnis hatte frei zu sein und dann auf einmal verstand, dass einem die ganze Welt offen stand. Alles war möglich.

Es war ein schöner Moment, empfand Die, nichts in der Welt würde die Harmonie dieses Augenblicks vollkommen zerstören. Heute, jetzt, in dieser Sekunde würde ihm alles verziehen werden. Trotzdem legte er erst nur seine Hand auf Kaorus Knie, Takeo sah es und sagte nichts, lächelte. Ein wenig erstaunt, aber dann doch ein gutes Stück erwartungsvoll sah Kaoru Die an, hörte dabei nicht auf zu spielen. Die sang den Refrain noch einmal zu Ende, die Musik ging ohne ihn weiter; er lehnte sich ganz nah an Kaorus Gesicht und lächelte. Glücklich sein. Auf Kaorus Lippen kräuselte sich ein gewinnendes Lächeln bis Die sie küsste. Die Gitarre erklang weiter, der Rythmus stockte nicht eine Sekunde lang, nur wechselte die Melodie in eine Wiederholungsschleife, der Bass zog nach und sie spielten, spielten. Die beschloss seinen Freund zu ärgern und küsste ihn so, dass sich Kaoru verspielen musste, im verzweifelten Versuch beides gleichzeitig zu bewältigen.

Es passierte, die Konzentration ließ nach und die Akkorde purzelten durcheinander. Takeos herzliches Lachen ertönte im Hintergrund und der Bass verstummte. Die traute sich nicht, sich umzudrehen und Takeo anzusehen, zögerte einen, noch einen, nur noch einen Augenblick, dann hörte er schon wie schwere Füße über das Terassenholz liefen und sich die Tür öffnete und schloss. Er trennte sich von Kaoru, der die Hand an seine Wange legte und sagte: „Alles wird gut.“

„Ja“, antwortete Die mit nicht so ganz so zuversichtlichen, sondern recht ängstlichen Augen. Kaorus Hand wanderte von der Wange zur Brust und drückte Die auffordernd von sich. „Weiter geht’s, Großer. Du bist noch nicht fertig.“

Die erwiderte mit einem gequältem Lächeln, erhob sich aber dennoch und drückte dankend Kaorus Schulter.

Aufregung durchwühlte ihn, als er Takeo ins Haus folgte, sie erfüllte heiß von der Brust aus seine Arme und Hände. Im Wohnzimmer bei Shiori und Yuuki war er nicht. Die ging in die Küche, sein Herz pochte heftig, aber lautlos. Er nahm alles um sich herum wahr, das leichte Flackern der alten Glühbirnen im Flur, das Gluckern der Heizungsrohre in den Wänden und das Klacken von Porzelan aus der Küche.

Takeo stand an der gleichen Stelle, wo Die am Tag zuvor mit Shiori gestanden hatte. Mit einer Tasse in beiden Händen an die Arbeitsfläche neben der Spüle gelehnt. Ihre Blicke begegneten sich. Die suchte sofort nach einem Zeichen vor Ärger, heftiger Enttäuschung, Wut, aber Takeos Gesicht war ruhig, nein, doch traurig, aber lange nicht so sehr, wie Die es erwartet hatte. Er war erst einen Schritt in den Raum hereingekommen, noch nicht mal weit genug, um die Tür hinter sich zu schließen. Durch Takeos Ruhe fasste er genug Mut um sich neben ihn zu stellen. Es war schwer etwas zu sagen, sicher auch für seinen Freund. Das hier ging auf seine eigenen Kappe, sagte sich Die und öffnete den Mund.

„Okay?“, war alles, was rauskam, dabei sah er Takeo entschuldigend an und dachte an dessen Hand auf Shioris Schulter.

„Hmm...“, machte Takeo und trank einen Schluck. Schweigen.

Was zu sagen? Wie konnte sich Die entschuldigen? War es wieder gut zu machen, was er getan hatte?

„Gute Nacht, Die“, hörte er Takeos tiefe Stimme sagen, „Schlaf gut und bis morgen früh.“

„Ja“, erwiderte er lächelnd, „Du auch.“

Da streichelte ihm Takeos Pranke über sein kurzes Haar, bevor sein Freund durch die Tür verschwand. Die blieb stehen und horchte auf die schweren Füße auf der Treppe.

Die Küchentür öffnete sich ein weiteres Mal und Kaoru trat mit schleichenden Bewegungen ein. Die ging auf ihn zu, suchte Geborgenheit in einer Umarumung.

„Alles wird gut“, murmelte er und Kaoru murmelte zurück: „Ich bin stolz auf dich.“
 

Holding on strong to what lies ahead

1.11

„Guten Morgen.“

„Guten Morgen...“

Takeo und Kaoru standen sich im Flur gegenüber, sahen sich gerade aus an und suchten beide nach Worten. Kaoru fühlte sich faul, denn er war gerade erst aufgestanden, während Takeo offensichtlich vom Laufen wieder kam. Schweiß tropfte noch von der Stirn und durchnässte das Shirt auf der Brust.

„Du warst laufen“, sagte Kaoru mit minimaler Intelligenz. Kein Wort vom Abend zuvor. Konnten sie nun einfach so aneinander vorbei gehen? Konnte er im Gegensatz Takeo nun einfach darauf ansprechen? ’Ach ja, Die ist doch schwul. Ich hoffe, das geht klar bei dir.’

„Ja, die große Runde“, antwortete Takeo wohl vergessend, dass Kaoru nicht wusste, was damit gemeint war, „Ich musste meinen Kopf klar kriegen.“

Da war sie, die erste Anspielung und diesmal wusste Kaoru genau worum es ging.

„Es ist viel passiert in den letzten Tagen“, sagte er und kratzte sich verlegen im Nacken.

„Einiges davon kam sehr unerwartet.“ Ein bisschen Verletztheit drang diesmal als Unterton hervor, brachte die ruhige Stimmung aber nicht ins Schwanken.

„Wenn ich dir irgendwie von Hilfe sein kann...“ Er wusste nicht, ob sein Angebot half oder nur die Dinge komplizierter machte, aber der Versuch fühlte sich gut an. Vielleicht wäre es besser eine klare Stellung zu beziehen, jedoch schien ihm das bei solchen Gefühlsdramen unmöglich. Gefühle waren komplex, nicht immer logisch zu einem Schluss zusammen zu ziehen. Das war etwas, das er durch Die mit Freude und Schmerz gelernt hatte.

„Wir werden sehen“, sprach Takeo, wobei er anerkennend nickte, „Ist Die schon wach?“

„Er kam gerade aus dem Bad“, antwortete Kaoru, „Ihr wollt sicher noch in Ruhe reden, bevor wir heute abfahren.“

„Wann fährt euer Zug?“

„Wir haben Tickets für den um 13:10h, damit wir noch nachmittags in Hyogou sind.“

„Zu deinen Eltern?“ Ein seltsamer, nicht zu definierender Unterton schwung mit.

„Ja“, antwortete Kaoru zögerlich, „Zu meiner Familie in mein Heimatdorf.“

„Ah...“, machte Takeo als würde er gerade etwas verstehen, „Und dann macht ihr das hier noch einmal von vorne durch?“

„Ja, quasi“, er sprach diese Worte gegen den Boden, etwas verschämt. Ein mitleidsvoller Blick traf ihn obendrein. War er zu bemitleiden? Ja? Wofür denn? Dafür, dass er nicht erwarten konnte, dass jeder seine Beziehung zu Die akzeptierte, einfach hinnahm? Oder dafür, dass er eine Beziehung mit einem Mann führte?

„Ihr müsst euch wirklich lieben.“ Die Stimme triefte nur so vor Mitleid, aber Kaoru hatte paradoxerweise kein Bedürfnis Takeo dafür strafen zu wollen. Wenn der sie bemitleidete, dann war dies nunmal so. Ihn und Die hatte das nicht zu stören. Und das zeigte er Takeo mit einem Blick, in den er ihr ganzes Glück legte, die Zufriedenheit des Zusammenseins. Vielleicht hatte er nicht das weltumarmende Lächeln von Die, aber indem er an Dies Kuss in der Hollywoodschaukel dachte und es deutlich in seiner Mimik wiederspiegeln ließ, verschwand das Mitleid aus Takeos Augen. Ja, wir lieben uns. So sehr, wie dich Die nie geliebt haben kann.
 

I open out my wings of glass
 

Takeo begegnete Kaoru nach dem Duschen wieder in der Küche, wo der ein Butterbrot streichend sich lachend mit Shiori und Yuuki unterhielt. Sie hatten ihn nach der seltsamen Stimmung zwischen Die und seinem besten Freund gefragt und Kaoru hatte kurz mit „Es gab da so ’ne Entdeckung“ geantwortet. Shiori überhäufte ihn mit Anspielungen, er war mit eingestiegen und Yuuki lachte mit wissenden Augen mit. Beim Klacken der Tür verstummten sie jedoch schlagartig.

„Wo ist Die?“, fragte Takeo in den stummen Raum hinein, während alle Augen auf ihm lagen.

„Auf der Terasse. Grübeln“, antwortete Yuuki, „Kannst ja mal mitmachen.“

Takeos buschige Brauen zogen sich nach oben. Der verbale Angriff schien ihn getroffen zu haben.

„Hier“, sagte Kaoru und streckte ihm den Teller mit den belegten Broten entgegen, „Nimm das mit zu Die. Er hat noch nichts gegessen.“

„Hm...“, machte Takeo und: „Danke.“ Dann war er schon wieder die Tür hinaus.

„Na, das kann ja was werden mit den beiden“, seufzte Shiori theatralisch.

„Wehe dir und mir, wenn!“, rief Kaoru aus und sie lachten einander an.
 

Die hatte sich auf die Terassenstufe gesetzt und die Weite betrachtet. Nicht die Weite direkt, sondern die Leere, die zwischen ihm und dem Ende der Weite enstanden war. Ein Ende war da, es gab keine Unendlichkeit. Nicht in dieser Welt, vielleicht im All, aber da wusste man es doch auch nicht. Unendlichkeit war nurmehr eine Vorstellung, wenn man das Ende nicht sehen, nicht erkennen konnte. Ich kenn es nicht, also gibt es das nicht.

Der Zustand zwischen ihm und Takeo war bisher für ihn immer unveränderlich, unabänderlich gewesen, ein Ende des Versteckens nie in Sicht. Nun war er also am Ende dieser Situation angelangt. Dort hinten im Maisfeld, irgendwo stand er nun, nachdem er von diesem Haus aus losgelaufen war. Wo war alles dazwischen geblieben? Erinnerungen waren wie die Leere nicht in die Hand zu nehmen. Er konnte nicht malen, nicht schreiben. Ein Lied, ja, das war es; er würde ein Lied hierrüber komponieren.

Takeos Schritte konnte er immer wiedererkennen.

Träge drehte er sich um und sah seinen Freund erwartend an. Der hielt einen Teller mit Broten in der Hand und nickte zur Gartenlaube. „Kommst du mit?“

Die nickte und schweigend gingen sie nebeneinander her, hockten sich auf die Steine, bis sie wiederrum schweigend nebeneinander saßen und auf den Boden sahen.

„Hier“, sagte Takeo und stellte den Teller vor ihn, „Von Kaoru.“

Die lächelte. Was war das denn? Spielte sein Freund den Kupler? Nein, er sorgte nur für ihn, machte Dinge leichter.

„Er passt gut auf dich auf, nicht wahr?“

„Ja“, antwortete Die. Er musste mehr sagen, wenn dieses Gespräch offen werden sollte, das war ihm deutlichst bewusst, aber dennoch war es schwer einfach zu reden, nach so langer Zeit ehrlich zu sein. „Kaoru tut viel für mich. Es ist gut in Tokyo nicht allein zu sein. Die Stadt ist zu groß, um alleine darin zu leben.“

„Hmm...“ Gebrummte Zustimmung. Irgendwie wollte es nicht so richtig in Gang kommen. Die fand keine Worte, konnte nun doch nicht einfach vom Pferd erzählen. Vielleicht traute sich Takeo auch einfach nicht zu fragen, weil er nicht wusste, dass Die nun bereit war alles offen zu legen, trotz der Jahre des Versteckens.

„Wenn du mich etwas fragen willst, dann frag“, sagte er deshalb probeweise. Takeo sah vom Boden weg und ihn an. Es dauerte einen Moment, bis er sich scheinbar entschließen konnte.

„Wie lange seid ihr schon zusammen?“

„Als festes Paar bald zwei Jahre, aber wir kannten uns da schon recht lange.“

„Und was ist mit Miyako?“

„Wir haben uns wegen Kaoru entgültig getrennt, aber da hatte sie auch schon längst jemand anderen.“

„Kompliziert.“

„Ja, das war es.“

Ein erster Schritt, ein erster Gewinn. Die sah vom Boden hoch und Takeo an. Sie rückten aneinander, sodass ihre dicken Winterjacken an den Schultern zusammengepresst wurden.

„Wer hat sich zuerst verliebt?“

Das war etwas schwerer zu beantworten, zu gestehen. „Ich“, brachte er schließlich hervor, Aufregung stieg in ihm auf. Weswegen denn? Takeo würde ihn deshalb nicht verlassen, aber dennoch war es gefährlich ihm soetwas zu erzählen. Was Takeo von ihm dachte war wichtig, er sollte keine schlechte Meinung bekommen. „Kaoru mochte Männer damals nicht mal besonders, jedenfalls nicht so besonders.“

„Also warst du...?“ ...schwul? Wagte Takeo es nicht das Wort auszusprechen? Kaoru hatte es zwei Abende zuvor noch Die eingetrichtert, es ihm mit Gewalt bewusst gemacht. Es war nur dieses Wort, eigentlich sollte es doch neutral sein, gänglich, angenehmer als vage Umschreibungen oder anzügliche Anspielungen, aber trotzdem war da ein innerer Widerstand es nicht auszusprechen.

„Ja, schon etwas länger.“

„Seit wann?“ Wollte er darauf auch antworten? Nein, ganz bestimmt nicht jetzt, aber wenn nicht jetzt, wann dann? Ja, doch er musste. Verdammte Scheu, verfluchte Angst!

„Der Mittelstufe.“

„Uff...“, mit dieser Nachricht hatte sein Freund wohl nicht gerechnet. Es machte Dinge noch schlimmer, denn der Anfang des Lügens lag noch weiter zurück in der Vergangenheit. Takeo musste sich wirklich betrogen fühlen.

„Warst du damals verliebt?“

„Ja.“ Wie ironisch, dass sich Takeo das nicht zusammen reimen konnte. Wenn er schon damals gewusst hatte Männer zu mögen, dann hatte da doch auch logischerweise ein Junge gewesen sein, an dem er es gemerkt hatte.

„Warum warst du dann mit Shiori zusammen?“ Ein leichter, veralteter Vorwurf klang mit. Takeo konnte bei Gefühlsdingen schlecht ganz direkt sprechen, wenn er das Recht nicht sicher auf seiner Seite wusste. Immer gab es diese Untertöne, schon damals.

„Weil ich sie auch geliebt habe, ehrlich, so wie ich sie heute noch liebe. Mit einen Jungen zusammen zu sein, schien mir damals gar keine Option.“ Damals, als es noch kein Internet gab, als das Thema in Schulen einfach nicht erwähnt wurde, nur die Erwachsenen darüber verlegen tuschelten, hatte Die gedacht der Einzige Schwule in ganz Japan zu sein.

„Ich hätte dir helfen können“, wieder dieser Unterton, Enttäuschung, Vorwurf. Dabei war er so im Recht, zumindest mehr als Die. „Warum hast du nie mit mir darüber gesprochen?“

„Man, Takeo“ rief Die da lachend aus. Es war Ironie, liebliche Ironie, diese Frage. „Ich habe dich geliebt. Wie hätte ich?“

I open out my wings of glass

Up and towards the wind melted future

Da war es, lachend. Das Geständnis, das Die viele Jahre mit sich herumgetragen hatte, einfach so raus. Nun gut, nicht ganz so einfach. Er fühlte sich leicht, beinah schwerelos und griff nach einem der Brote. Takeos Blick war unbezahlbar. „Oh...“

Ein bisschen stach es schon, dass das alles war, das er zu sagen hatte. Ein bisschen hatte Die doch noch gehofft, dass es Takeo ähnlich gegangen war, damals, als sie immer aufeinander gehockt hatte, ihr Leben geteilt. So wie Jugendliche eben waren. Aber im Grunde war es in Ordnung, er hatte es schließlich schon die ganze Zeit gewusst, darum war die Hoffnung nie zu groß geworden. Und die Verzweiflung war nun schon eine kleine Weile verschwunden. Herzhaft biss Die in Kaorus Butterbrot. Mit wenig Butter, aber Tomaten zwischen zwei Käsescheiben, so wie immer.

Takeo neben ihm schien sich den Kopf zu zerbrechen um etwas zu sagen, denn seine Hände fuhren durch die Haare, dann trommelten sie wieder auf dem Knie. Sein Freund war so leicht zu durchschauen.

„Ist schon okay, wirklich. Du musst darauf nicht antworten. Es ist schon lange her. Ich wohne doch schon Jahre in Tokyo“, sagte Die um ihn zu beruhigen mit weicher, freundlicher Stimme.

„Ich will aber!“, rief Takeo daraufhin aus, „Schließlich habe ich so viel Jahre lang nichts bemerkt, damals nicht einmal. Nicht mal in Erwägung gezogen habe ich es!“

„Das ist okay. Manchmal ist man eben blind.“

„Manchmal ist doch keine Schulzeit lang!“ Empörung wurde da gerufen, Wut auf sich selbst. Vielleicht hätte Takeo etwas merken können, wäre es dann anders verlaufen? Vielleicht hätten sie weniger geschwiegen, aber im Grunde hätten sie doch nichts groß daran änder können.

„Ich habe immer gedacht, du suchst Familie“, sprach Takeo dann leiser, ruhiger, „Weil es bei dir zuhause so stressig war. Ich mein, wir waren damals wirklich nah beieinander, die ganze Zeit. Aber so waren andere auch, Jugendliche sind nunmal so. Freundschaft war uns allen so wichtig.“

„Es war wie es war“, sagte Die, „Wir können es nicht mehr ändern und ich will es nicht.“ Egal wie Takeo heute war, damals hätte er vielleicht nicht so verhältnismäßig ruhig reagieren können. Es hätte die Zeit noch viel schlimmer machen können, wenn Die es nun sah. Ohne seine unerwiderte Liebe hätte er zudem einen Grund weniger gehabt um aus Mie zu fliehen. Was, wenn er nie gegangen wäre und immer noch hier festsitzen würde? So sehr er die kleine Stadt auch mochte, nein, das wäre nichts für ein Lebensglück geworden. Er war froh nach Tokyo gegangen zu sein, Kaoru getroffen zu haben, eine Karriere mit seiner Musik angefangen zu haben.

Takeo sagte nichts, sah wieder auf den Boden und für vielleicht das erste Mal, fühlte sich Die nicht als das schwächere Glied in ihrer Beziehung. Neben ihm saß ein großer, verletzlicher, junger Mann.

„Shiori und du, seid ihr glücklich?“, fragte er. Er wollte es wissen. Das war auch etwas, worüber er endlich mal reden wollte. Das Schweigen auflösen, der Leere ein Ende setzen.

„Ja, sind wir. Sehr sogar“, antwortete Takeo mit lächelnden Augen auf Die gerichtet, „Vielleicht nicht so weltverändernd glücklich, aber es reicht hier für uns, für Mie, für Yuuki.“

„Das ist schön“, sagte er und lächelte gütig, „Das ist wirklich schön.“

„Lass uns neu anfangen, von hier an“, sagte Takeos tiefe, feste Stimme, das war der Freund, den Die immer bewundert hatte. Er nickte und sie pressten ihre Schultern fest gegeneinander.
 

The hand of the child born tomorrow will be just pure and nothing else
 

Ende von Teil 1

2.1

Home Outing
 

Teil 2
 

Dir en grey –Glass Skin, English translation of Japanese Single version
 

Szene 1
 

Der Bahnhof von Hyogou war unwahrscheinlich klein. Nur zwei Gleise links und rechts des einen Bahnsteiges, ein kleines Wartehäuschen, ein altmodischer Fahrkartenautomat und kaum ein Mensch außer den beiden jungen Männern, die als einzige aus dem Zug stiegen.

Es gab kein herzliches Willkommen, der Bahnsteig war leer.

Sie schleppten ihre Taschen die Treppe herunter und sahen auf den verlassenen Bahnhofsplatz. Es gab einige unbesetzte Parkplätze und viel Grasland, Felder. Die wenigen, verstreuten Häuser sahen aus, als wären sie in der Zeit zurück gereist: weite, verwucherte Gärten mit hohen Mauern und Hecken, altertümliche Fassaden aus Holz und Lehm, tief durchhängenden Dächern, als müssten sie es der Hügellandschaft gleichtun und könnten nichts gerade lassen. Eine Frau spazierte mit ihrem Hund am Bahnhof vorbei und beobachtete sie skeptisch.

„Sie sind nicht da…“, murmelte Kaoru bitter und sein Blick wurde im wahrsten Sinne dunkler. Daisuke konnte nicht sagen, ob da Wut, Enttäuschung oder Angst war. Am wahrscheinlichsten war ein bisschen von jedem.

„Dann lass uns doch mit dem Bus fahren“, schlug Daisuke aufheiternd vor, doch noch als er das Kopfschütteln sah, erkannte er, dass es keine Haltestelle gab.

Unsäglich peinlich war es Kaoru. Dieser nicht bestehende Empfang war noch schlimmer als jene Vorstellungen, vor denen es ihm schon längst gegraut hatte. Noch mehr, nachdem Daisukes Freunde so herzlich gewesen waren. Daisukes Heimat war schön, die kleine Stadt war schön, die Menschen waren sogar von Innen schön. Und jetzt nahm er seinen Freund mit hierher, nach Hyogou. Der Ort hatte sich einfach überhaupt nicht verändert, seit er vor Jahren das letzte Mal hergekommen war.

„Wann hast du denn das letzte Mal angerufen?“, fragte Daisuke. Er hatte nicht mitbekommen, dass Kaoru aus Mie telefoniert hatte.

„Ähm…“, machte der verlegen und kratzte sich im Nacken, sein Rücken wurde heiß. „Als wir das hier geplant haben…“

„Kao?“ Ein verwunderter Ausruf entfuhr Daisuke. Sie hatten diese Reise schon vor zwei Monaten besprochen, die Zugfahrscheine gekauft und dann war die letzte Nachricht an die Familie gegangen? Dass sie nicht abgeholt wurden, schien da nicht besonders verwunderlich für Daisuke. Das war nicht typisch für Kaoru, ganz und gar nicht. Er plante sonst doch alles sorgfältig, ihm unterliefen, was das anging, so gut wie nie Fehler und wenn, dann hatte er immer einen Ausweichplan zur Hand.

„Hab’s halt vergessen. Passiert dir doch auch mal“, murmelte Kaoru trotzig und nahm sein Handy aus der Jackentasche. Daisuke schüttelte daraufhin nur ungläubig lachend den Kopf. „Ja, schon, andauernd. Aber du bist ja auch nicht ich.“

Kaoru musste überlegen, bevor ihm die Nummer seiner Eltern wieder einfiel und nahm sich vor sie ins Handy einzuspeichern. Es klingelte lange, dann ging der Anrufsbeantworter dran. Mit einem Seufzer als Auftakt sprach er eine kurze Nachricht darauf und sah dann entschuldigend zu seinem Freund hoch. Der tätschelte ihm den Kopf, eine verhasste Geste, aber Kaoru gestand sich ein, sie dieses Mal verdient zu haben.

„Gibt es noch wen, den wir anrufen könnten?“

Beschämt schüttelte Kaoru den Kopf. „Kosuke ist bestimmt arbeiten.“ Und sein alter Schulkamerad war die einzige Person, zu der er noch einigermaßen regelmäßig Kontakt hatte.

Also setzten sie sich auf ihre Taschen und warteten. Daisuke bat Kaoru ihm etwas über seine Familie zu erzählen, damit er nicht unvorbereitet auf sie traf. Es widerstrebte ihn mehr als nur ein wenig, aber Kaoru verstand, dass er zumindest Daisuke so seine Unsicherheit nehmen konnte.

„Ich war lange nicht mehr hier, darum weiß ich nicht, wie viel sich verändert hat. Aber soweit ich von meiner Schwester weiß, sind jetzt wegen Neujahr alle zuhause. Vater, Mutter und Hiro, der jüngste von uns, wohnen noch mit unserer Haushälterin Frau Serita in unserem Haus. Masahiro, mein älterer Bruder lebt mit Frau und, ich glaube, zwei Kindern in einem eigenen Haus, aber kaum ein paar Straßen entfernt. Yukiko kommt morgen mit ihrem Mann aus den USA zu Besuch. Ich glaub, das war’s, mehr gibt’s nicht.“

„Und wie sind sie so?“, fragte Daisuke weiter. Er hatte bisher kaum etwas von dieser Familie erfahren, Kaoru sprach nicht gern darüber und lenkte immer ab, wenn es um seine Heimat ging. Dass dieser auf seinen Wunsch hin sich bereit erklärt hatte hierher zu kommen und ihn seinen Eltern vorzustellen, wusste Daisuke zu schätzen, aber gerade deshalb wollte er auch möglichst viel raus holen. Bisher hatte er nur von der älteren Schwester Yukiko gehört, zu der Kaoru offensichtlich noch ein sehr gutes, enges Verhältnis hatte, obwohl sie im Ausland lebte.

„Nicht besonders spannend, nichts Besonderes im Allgemeinem“, sagte Kaoru trocken mit einem abwertenden Blick, „Nur allesamt musikverrückt, aber du wirst schon sehen.“

Daisuke nickte und ließ zu, dass Kaoru das Thema umlenkte und ihn mehr über seinen eigenen Jugendfreund Yuuki fragte, den sein Freund erst einige Tage zuvor kennen gelernt hatte und wohl recht faszinierend fand. Bald unterhielten sie sich angeregt und vergaßen, dass sie auf etwas warteten. Mit Daisuke verging Zeit immer schnell, sagte sich Kaoru da, dann würden diese drei Tage auch rasch vorbei gehen.

Sein Handy klingelte nach einer halben Stunde und eine junge Frauenstimme meldete sich. Kaoru ordnete sie als die Frau seines Bruders ein.

„Ja, ich bin’s tatsächlich“, antwortete er zynisch und beglückwünschte sich selbst zu diesem gelungenem Anfang.

„Seid ihr noch am Bahnhof?“

„Ja.“

„Achso.“

Es kostete Überwindung zu fragen: „Kann uns jemand abholen kommen?“

„Hm...“, Stille, dann: „Lass mich eben wen fragen.“

Ein dumpfes Geräusch ertönte, als eine Hand auf den Hörer an der anderen Seite gedrückt wurde, gedämpfte Stimmen drangen trotzdem noch durch, auch wenn er sie nicht verstehen konnte. Schon erinnerte er sich an den Hall von lautem Rufen im Haus der Eltern, wo die hohen Decken und glatten, leeren Wände jeden Ton auf eine ganz eigene Art wiedergaben.

„Es würde zu lange dauern, bis wir da sind. Ich bestelle euch ein Taxi, das geht schneller.“

Unbegeistert bedankte sich Kaoru trocken.
 

I wave my hand

2.2

Szene 2
 

I put my hand on the heavy and closed door

Die Taxifahrt dauerte fast eine halbe Stunde, während der sie durch Hyogou fuhren, es recht schnell wieder hinter sich ließen und immer weiter in die „Pampa“, wie Kaoru es nannte, fuhren. Um seinen nervösen, fast gereizten Freund zu beruhigen, erzählte Daisuke viel Gutes. Als er Kaoru einmal selbstsüchtig gefragt hatte, warum er sich in ihn verliebt hatte, hatte dieser geantwortet, dass Daisuke ihm mit seiner lebendigen Art alles leichter machte und ihn in schweren Stunden oft daran erinnere, dass es auch Schönheit und Spaß gab in der Welt, unabhängig von der eigenen Laune. Nun, so fand Daisuke, war eine schwere Stunde für Kaoru und darum tat er sein Bestes sie nach Kräften zu erleichtern. Es half, Kaoru lächelte die ganze Fahrt hindurch. Liebend streichelte er Daisukes Wange oder kraulte dessen Nacken, ein herzliches Danke in seinen Augen.

Während des letzten Wegstückes musste Kaoru dem Fahrer Richtungen angeben, bis sie über einen Waldweg schließlich vor dem Tor eines großen Grundstückes hielten. Der Garten war weit, noch weiter als die anderer Häuser, mit so alten, großen Bäumen, dass man den Eingang des Hauses kaum noch sah. Das Haus selbst sah man aber mehr als deutlich, denn es war riesig, nur zweistöckig, aber breit und vor allem alt. Zwei Autos standen auf dem Schotterplatz davor, unpassend zum Haus war das eine groß, aber alt, das andere recht neu, jedoch winzig.

„Davon hättest du was erwähnen können“, sagte Daisuke, als er das Gebäude bewunderte. Es war schön, nicht sein Geschmack, aber wahrscheinlich unter Denkmalschutz und sicherlich ein gutes Geld wert.

„Wovon?“

„Dass du der Sohn eines Landgrafen oder so bist“, scherzte Daisuke, „Erbe ich den ganzen Kram, wenn ich dich heirate?“

Kaoru grinste schief und zuckte nur mit den Schultern: „Das ist der Ruhm von längst vergangenen Tagen.“

Als sie ausstiegen und ihre Reisetaschen auf das Kies klatschten, hörten sie, wie Füße eilig über jenen rannten. Eine Frau um die 60 erschien und öffnete hastig das Tor. „Kaoru?“, rief sie aus, „Kaoru! Bist du das wirklich?“

Der blieb angewurzelt stehen. Er hatte selbst Probleme damit, seine Mutter wieder zu erkennen. Die drei Jahre, die zwischen seiner letzten Abfahrt aus Hyogou und diesem Tag lagen, hatten sie altern lassen. Es hätte ihm egal sein sollen, sie wieder zu sehen, es hätte ihr egal sein sollen, so sein Plan, aber die wirkliche Begegnung belehrte ihn eines Besseren. Er hatte sie nicht vermisst, selten und wenn, nie freundlich an sie gedacht, aber nun war er schon durch ihre Unbeholfenheit ihr gegenüber tief berührt.

„Hallo Mama.“

Sie kam durch das Tor, das quietschte, und Kaoru schien das Quietschen das erste Mal in seinem Leben zu hören. Ihre weiß durchzogenenen Haare waren zu einem festen Knoten am Hinterkopf gebunden, ihre Kleidung war altmodisch, aber ordentlich und gepflegt, obwohl ihre bestrumpften Füße in Gartenschlappen steckten. Sie war geschminkt, schlicht, aber sehr deutlich, wobei es nicht half Falten zu verstecken. Es waren zu viele Sorgen- und Wutfalten, dachte Daisuke, zu wenig sympathische Lachfalten. Ihr Charakter musste so ausgeprägt sein, dass er sich über die Jahre auch in ein freudig überraschtes Gesicht gegraben hatte.

Mutter und Sohn umarmten sich nicht, aber sie fasste Kaorus Gesicht mit ihren knochigen Fingern an, tastete es quasi ab, wobei sie staunend wiederholte: „Du bist es wirklich. Ganz wahrhaftig. Du bist es wirklich.“

Daisuke versuchte sich daran zu erinnern, wie Kaoru ausgesehen hatte, als er ihn in Tokyo kennen gelernt hatte. Auf jeden Fall waren damals seine Haare violett gewesen und sehr viel länger, sein Gesicht noch jugendlicher, weicher und seine Haut noch von vergangener Akne gezeichnet. Nun war diese glatt und schön, seine Haare ohne das ständige Färben viel gesunder, schwarz und seidig, nicht länger als bis zum Kinn. Wie war das wohl für eine Mutter, sein Kind nach drei Jahren das erste Mal wieder zu sehen?

„Was lässt dich herkommen? Wir haben nicht mit dir gerechnet.“

Kaoru übersprang die erste Frage und sagte stattdessen nur: „Ich habe angerufen damals, mit Großvater gesprochen und sogar noch eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter gelassen.“

Ihre Blicke waren auf einander fixiert, der des Sohnes unaussprechlich patzig, während die Mutter nach der ersten Freude ihre Miene abkühlte.

„Ach, Vater ist so vergesslich geworden. Ein Wunder ist es, wenn er sich einen Tag lang an seinen Namen erinnert“, sagte sie und die Sorgenfalten kamen zum Einsatz. „Wir haben nur deine Nachricht abhören können.“

„Warum habt ihr uns dann nicht abgeholt?“, fragte Kaoru so patzig, wie Daisuke es eigentlich nicht von ihm kannte. „Wir haben gewartet.“

„Ach, Junge. Das kannst du dir wohl denken!“, sagte sie und ließ sein Gesicht los, „Kommt rein. Wir haben schon angefangen dein altes Zimmer frei zu räumen.“ Damit wollte sie sich schon umdrehen und vorrausgehen, aber Kaoru hielt sie an zu warten.

„Das hier ist übrigens Daisuke...“, sagte er mit Nachdruck, woraufhin sie sich umdrehte. „Ach, entschuldige. Hallo, Daisuke.“

„Daisuke, meine Mutter Hisako, Mama: Daisuke, mein Freund.“ Kaoru wedelte während der Vorstellung etwas dumm mit seiner Hand hin und her.

„Wie, dein Freund?“, fragte sie stutzig und nicht weniger dumm.

„Na, mein Freund eben.“

„Doch nicht dein Freund wie dein Geliebter, oder?“

„Ähm... doch. Schon.“

„Ach.“ Nur das sagte sie, musterte Daisuke einmal von oben bis unten und von da wieder nach oben, blieb dort kurz an seinem Gesicht hängen, nickte ihm noch einmal zu und drehte sich wieder zum Gehen. „Kommt!“, forderte sie kurz, den Rücken zu ihnen gewandt. Hätte sie das Tor nicht offen gelassen, wäre Kaoru trotzig davor stehen geblieben. Das war also dieses schreckliche Ding gewesen: „Outing vor der Familie.“ Ging ja schnell.
 

Eine Reihe von Steinplatten führte über den Kies vom Tor zum Haupteingang. Noch während sie mit ihren Taschen darüber stolperten, kamen ihnen noch zwei Personen entgegen, die die Mutter eilig grüßten und an ihr vorbei auf Kaoru zuliefen. Es war ein Jugendlicher, der ihm sehr ähnlich war und eine mollige Frau, nur etwas jünger als die Mutter. Lächelnd ließ Kaoru seine Tasche plumpsen und ging zuerst auf Frau Serita, die Haushälterin zu. Ein weites Lachen war auf deren Gesicht und sie umarmte ihn herzlichst, ihr weiter Brustkorb erbebte vor Freude, der sie Luft machte. Sie hatte sich kaum verändert, trug immer noch eins ihrer geblümten Kleider und gelockte, wilde Haare. Kaoru fühlte sich fest an sie gepresst und dann weitergegeben an seinen jüngeren Bruder Hiro, der ihn weniger erdrückend, aber genauso überschwänglich begrüßte.

„Hallo“, entfuhr es Kaoru nur zu beiden. Hiro war größer geworden als er selbst und ein gutes Stück erwachsener. Trotzdem war es der kleine Bruder, den er in Erinnerung hatte. Seine Augen sahen faltenfrei naiv aus.

„Gottchen, man erkennt dich kaum noch wieder“, sagte Frau Serita, „Du siehst gut aus, Junge!“

„Danke“, erwiderte er freundlich und froh darüber, dass nicht der ganze Empfang kühl und abweisend war. Er zog Daisuke, der hinter ihm stand, am Handgelenk zu sich und stellte ihn vor.

„Ähm... das hier sind Hiro, mein Bruder, und Frau Serita, unsere Haushälterin. Ähm... das hier ist Daisuke, mein Freund.“

„Guten Tag“, sagte Daisuke, die beiden gegenüber perplex erst einmal gar nichts. Bis Hiro sich dann zusammen riss und noch einmal nachfragte. So wie er die Brauen hoch zog und zusammendrückte, sah er Kaoru sehr ähnlich.

„Dein Freund?“ Er betonte das „Dein“ ganz besonders.

„Ja, meiner“, gab Kaoru lässig zurück, „Nicht deiner, nicht der von irgendwem, sondern meiner.“

„Ah... okay...?“, sagte Hiro, einige Sekunden später erst fügte er grinsend hinzu: „Gut zu wissen. Wär' ja zu einfach gewesen, uns einfach nur mit deiner Anwesenheit zu überraschen.“

„Tja“, machte Kaoru gewinnend und sie grinsten sich einverstehend an.

Daisuke fühlte, wie die Augen des Bruders an ihm hoch und runter wanderten, der Blick der Mutter war unverkennbar vererbt, aber dann waren es auch Kaorus Augen, die ihn da ansahen.

Sie gingen ins Haus, Hiro durchgehend aufgeregt plappernd begleitete sie zu ihrem Zimmer. Ihre Taschen trugen sie selbst die Treppe hoch. Der Haus war altmodisch mit vielen dunklen Holzverkleidungen und ein kalter Luftzug pfiff von undichten Fenstern, die Dielen knarrten unter ihren Füßen.

„Hat sich ja viel verändert“, bemerkte Kaoru ironisch, woraufhin sein Bruder mit den Schultern zuckte. „Es ist nur noch dreckiger geworden. So lange warst du eben doch nicht weg.“

„Drei Jahre sind lang in Tokyo, aber hier steht die Zeit fast still“, sagte Kaoru und sie wechselten einen bedeutenden Blick.

Sein altes Zimmer war erst leer geräumt, dann zugestellt und gerade wieder notdürftig freigemacht worden. Kaoru atmete tief durch, bevor er seinen Fuß wieder dort hinein setzte. Die Diele knarrte noch an der gleichen Stelle. Es waren einige Möbelstücke unpraktisch hineingestellt worden, wohl weil sie in anderen Zimmern störten. Sein alter Fernsehschrank war verschwunden, aber sein Bett war noch da.

„Ich hab mit Masahiro Zimmer getauscht, als er geheiratet hat. Darum mein Schrank hier. Und da sind noch ein paar andere Möbelstücke von seiner Frau, die der Sperrmüll noch nicht abgeholt hat.“

Kaoru nickte, stellte seine Tasche ab und öffnete stichprobenartig die Tür eines Schrankes, den er als seinen wiedererkannte. Alte Handtücher waren darin. „Was habt ihr mit meinen Klamotten gemacht?“ Er zählte die Tücher, als er fragte.

Hiros Antwort dauerte. „Ein paar davon habe ich bei mir. Ein bisschen Kleidung, die Videospiele mit Konsole, deine Comics...“

„Und der Rest?“

„Den hat Vater, als er wütend war, aus dem Fenster geschmissen. Es hat geregnet und wir haben es erst am nächsten Morgen entdeckt. Mutter und Frau Serita haben alles weggeschmissen.“ Hiro erzählte es vorsichtig, als fürchtete er Kaorus Reaktion, wobei sein Seitenblick auf Daisuke beständig blieb. Der verschloss seine Miene und blieb zwischen Tür und Angel stehen.

„Ach so...“, machte Kaoru. Ihnen den Rücken zugedreht sah er in jedem Schrank nach, ob es stimmte. Hatten sie alles weggetan? Nichts mehr hier, das an ihn erinnerte? Doch, da war noch sein Bett, auch wenn ein fremder Bezug darauf war. Vielleicht sollte er den Inhalt seiner Tasche hier ausschütten und verteilen, Chaos verbreiten, dann würde es mehr aussehen wie sein Kinderzimmer.

„Wir haben wirklich nicht geglaubt, dass du jemals wieder kommst.“

Sollte das eine Entschuldigung sein? Warum denn? Er hatte nie vorgehabt noch einmal hier her zu kommen um seine Sachen zu holen, die er damals nicht in seinen Koffer bekommen hatte. Es war nur so, dass, wenn er schon hier war, auch Interesse daran bestand, was in den letzten drei Jahren hier geschehen war.

„Ich habe es auch nicht geglaubt“, sagte er und drehte sich um. Daisukes ausdrucksloses Gesicht zeigte ihm, dass ein langes Gespräch bevorstand.

Er sollte diese Gelegenheit nutzen, das hier Sein, um alte Fragen zu klären. Vielleicht konnten einige Dinge ins rechte Licht gerückt werden, vielleicht ging das auch noch nach Jahren, wenn er es sogar schon geschafft hatte hierher zu kommen. Er würde sehen.

alone left over playing “Marry go round“



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Kommentare zu dieser Fanfic (36)
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Von: abgemeldet
2009-11-22T18:51:50+00:00 22.11.2009 19:51
gott, wie konnte ich vergessen, nachzuschauen, ob diese FF ein neues kappi hat >.<....**...
es ist auf jeden fall genausogut wie die vorigen und ich bin echt gespannt wie ds nun mit kaos familie weiter geht...oO...sein bruder ist mir eigentlich recht sympatisch...aber die ma~ oo;;;...
na ja..mal schauen, was das alles noch so gibt ^.^
ich warte gespannt aufs nächste kapitel ^^
_pinkuuu_
Von:  -aftermath-
2009-11-17T20:38:41+00:00 17.11.2009 21:38
Wie gemein~
Aber ich bin schon gespannt auf das nächste Kapitel! *_*
Von:  NanaSaintClair
2009-11-06T10:36:26+00:00 06.11.2009 11:36
Kao war also der kleine Rebell, passt. xD
Aber seinen Familienhintergründen sehe ich mit Spannung entgegen, nur dass du es weißt! Bestimmt kommt noch was...
Weiter so! :)
Von:  motti
2009-11-04T22:40:34+00:00 04.11.2009 23:40
Das Kapitel ist wie ein Gong zur zweiten Runde beim Boxen xD.
Ich bin gespannt auf Kaorus Familie und seinen Kumpel.
Von: abgemeldet
2009-11-04T20:06:51+00:00 04.11.2009 21:06
soo...endlich ein neues kapitel **
und diesmal gehts um kaos heimat~~ bin ganz schön gespannt...der erste eindruck war ja....net sooo super..xD°
bin gespannt obs da noch ne entwicklung zum positiven gibt irwie oO;~
sooo..ich freu mich aufs nächste kapitel ^^
lg,
_pinkuuu_
Von:  -aftermath-
2009-11-04T19:10:14+00:00 04.11.2009 20:10
Der Arme Kaoru XD
Mir wäre das auch total peinlich, wäre ich an seiner Stelle XD
Aber ist ja auch seine eigene Schuld XD
Ich bin gespannt, wie es weiter geht!
Von:  -aftermath-
2009-10-28T14:31:26+00:00 28.10.2009 15:31
Schönes Ende!
*nick*
Jetzt ist mir auch Takeo ein bisschen Sympathischer geworden. XD
Ich freu mich schon auf den zweiten Teil!
Von:  NanaSaintClair
2009-10-25T21:55:51+00:00 25.10.2009 22:55
sehr schön! :)
Von: abgemeldet
2009-10-25T17:26:43+00:00 25.10.2009 18:26
hach jah **
schönes ende **~~ mir ist sogar zum schluss takeo ein bisschen sympathisch geworden xP ~
die drei letzten kapitel haben mir alle gut gefallen (ich hab sie ja nun alle auf einmal gelesen) und ich bin super gespannt wie nun der 2. Teil der geschichte wird...der wird ja dann wohl in kaos heimatort spielen...~
freu mich schon drauf ^^
lg,
_pinkuuu_
Von:  NanaSaintClair
2009-10-22T21:11:56+00:00 22.10.2009 23:11
Ich find's genial, dass endlich mal jemand die Reaktion des Freundes so einbringt, wie sie nicht in den Mädchenfantasien aller Leute ist.
Schon gleich, als ich gelesen hab, dass Takeo es nicht gut findet oder Verständnis hat, fand ich es gut. Und letztlich auch, dass selbst Kaoru das versteht und Die begreiflich macht. Genial, ich sag's gern nochmal.
Ich sagte dir ja schon, du hebst dich von anderen ab und das ist auch gut so! Daher ist es immer wieder eine Freude zu lesen. Mach weiter so!


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