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Verschlossene Gefühle

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Verschlossene Gefühle

Verschlossene Gefühle
 

Ich liebte es, mir das schön eingerahmte Familienfoto, das den Mittelpunkt unserer kleinen Küche bildete, anzusehen.
 

Es zeigte eine kleine, scheinbar glückliche Familie.

Einen großen, stolzen Vater mit dunkelbraunen Haaren und auffallend reinen blauen Augen,

eine schlanke, wunderschön lächelnde Mutter mit roten Locken und rehbraunen Augen und zum Schluss die beiden Kinder, die beide vor ihren Eltern standen.
 

Das einzige, was an diesem Bild sofort auffiel und schon signalisieren konnte, dass diese Familie nicht ganz so perfekt war, wie es den Anschein hatte, war die simple Tatsache, dass der älteste Sohn der Familie nicht lächelte.

Seine kleine Schwester neben ihm, strahlte über das ganze Gesicht, aber er schien verträumt irgendwo an einen Ort zu sehen, den die Anderen nicht wahrnehmen konnten.
 

Ja, ich liebte dieses Bild, weil es eine gewisse Normalität vermittelte.

Aber leider war Normalität etwas, dass es in unserem wahren Leben eigentlich nicht gab.

Ich war das kleine Mädchen, das auf diesem Bild so überdimensional grinste und scheinbar die Glückseligkeit in Person war.

Doch dieses Bild war nichts weiter als eine Fälschung der Realität.

Die Wirklichkeit war grausam und ich hasste meine Familie.
 

Manche denken vielleicht, dass diese Worte ziemlich hart wären und dass man seine Familie eigentlich nicht wirklich hassen kann, also formuliere ich das Ganze noch etwas um.

Ich hasste meinen Bruder und das aus tiefster Seele, denn er war der Grund meiner Einsamkeit.
 

Es lag nicht daran, dass er mich schlecht behandelte oder mir andauernd Streiche oder sowas spielte, eigentlich kümmerte er sich gar nicht um mich.

Das Dumme war, dass er sich um nichts außer sich selbst kümmerte und genau das hasste ich an ihm.

Was andere fühlten war ihm egal.

Die Schmerzen und die Trauer, die er meinen Eltern antat, waren ihm auch egal.

Es ging immer nur um ihn und meine doofen Eltern machten ihm noch nicht einmal einen Vorwurf!

Ich bin jetzt 13 Jahre alt und seit ich denken konnte, hatte sich diese ganze dämliche Welt nur um meinen Bruder gedreht.

Ich hatte noch nie einen Tag alleine mit meinen Eltern!

Immer hießt es, dass sie Theo, meinen Bruder, ja nicht alleine lassen konnten, weil das zu ungewohnt für ihn wäre.
 

Mein dämlicher großer Bruder leidet an dem Kanner-Syndrom.
 

Ich habe aus reiner Neugier mal was darüber gelesen, man nennt es auch den frühkindlichen Autismus.

Stark eingeschränkte Sprachentwicklung, motorische Beeinträchtigungen und häufig geistige Behinderungen, auf meinen Bruder trafen alle drei Symptome zu.

Er war ein verdammter Pflegefall, der rund um die Uhr Fürsorge und vor allem Mama und Papa brauchte.

Das ich vielleicht auch Aufmerksamkeit brauchte, schien den beiden dabei allerdings zu entfallen.
 

Die beiden waren ja lieb zu mir und sie versuchten wenigstens den Alltag für mich so normal wie möglich zu gestalten, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie meinen Bruder immer bevorzugten und nie genug Zeit für mich allein hatten.

Ich habe wirklich alles versucht, um einmal ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Ich habe mich in einem Sportverein angemeldet und mit meiner Volleyballmannschaft einen Pokal gewonnen, was von ihnen nur müde belächelt wurde.

Ich habe wie irre gelernt, um die beste Schülerin meiner Klasse zu werden und ich ging immerhin auf ein Gymnasium.

Als ich vor kurzem mit der besten Mathearbeit der Klasse nach Hause kam und es stolz meiner Mutter berichten wollte, wurde ich eiskalt ignoriert, nur weil mein bekloppter Bruder es geschafft hatte sein Glas mit Orangensaft selbst zu halten.

Da zerriss mir ein Geduldsfaden und ich hatte vor lauter Wut eine von Mamas Vasen auf den Boden geschmissen.

Das darauffolgende Donnerwetter hatte es echt in sich, ich hatte Mama noch nie so schreien hören, sie hat mir richtig Angst gemacht in dem Moment.

Konnte sie denn nicht verstehen, dass ich nur ein verdammtes Mal ein Lob oder irgendeine Anerkennung aus ihrem Mund hören wollte?
 

Das Ganze war jetzt schon drei Tage her und noch immer waren meine Eltern sauer auf mich.

Heute war Sonntag und weil mein Bruder es so gewohnt war und wirklich nichts seinen gewohnten Rhythmus stören durfte, mussten wir jeden Sonntag den gleichen, dämlichen Spaziergang machen.

Man könnte es als einen sich immer wiederholenden Sonntagsausflug bezeichnen, weil wir wirklich jedesmal um punkt drei an diesem blöden Park waren und dann immer in dem annähernd selben Tempo, dieselbe Strecke zurücklegten.

Auch dieser Sonntag war keine Ausnahme.
 

Allerdings war mir nicht nach der Gesellschaft meiner bescheuerten Familie zumute, weshalb ich einige Schritte vorging und meine Eltern, die verzweifelt versuchen irgendwie mit meinem Bruder zu kommunizieren, ignorierte.
 

Das Leben als Schwester eines Autisten war echt ziemlich einsam.

Die Eltern kümmerten sich nicht so um einen, wie man es vielleicht gerne hätte, mit dem eigenen Bruder konnte man natürlich auch nichts anfangen und die Leute aus meiner Klasse gingen mir aus dem Weg.

Ich hatte bis vor kurzem noch nicht einmal eine Ahnung wieso, doch dann hatte Thomas vor der gesamten Klasse gemeint, dass jemand wie ich, die ich einen so unnormalen Bruder hätte, doch nicht ganz klar in der Birne sein kann.

Der siedende Hass auf meinem Bruder in dem Moment, war mit Worten gar nicht zu beschreiben.

Ich hatte dies meiner Mama gesagt und diese hatte daraufhin nur gemeint, dass Kinder nun mal so grausam wären und dass ich mich damit abfinden müsse.

Ich kann gar nicht beschreiben, wie verzweifelt ich in diesem Moment gewesen bin.

Ich hatte weder eine Familie, noch Freunde, die sich um mich gesorgt hätten.

Aber dann wurde mir wieder mein Hass auf meinen Bruder bewusst, er lächelte nie, er kümmerte sich um Nichts und Niemanden und doch versaute er mir mein ganzes Leben.
 

Vielleicht war es egoistisch, aber alle Schuld meinem Bruder zuzuschieben war einfacher, als sich mit mir selbst und meinen eigenen Fehlern auseinander zu setzen.
 


 

Ich war tief in Gedanken versunken, während ich gemächlich den Weg durch den Park ging. Ich kannte die Strecke mittlerweile schon auswendig, schließlich gingen wir sie schon die letzten zehn Jahre und das wirklich jeden verdammten Sonntag!

Doch ich schien mit den Gedanken wirklich weiter abgedriftet zu sein, als gedacht, denn ich hatte die Übergangsstraße vergessen.

Die einzigen Signale für das Unglück waren ein wirklich ohrenbetäubendes Reifenquietschen und ein erstickter Laut, den mein Bruder machte, bevor ich einen heftigen Schmerz spürte und in die Dunkelheit fiel.
 


 


 


 

*Piep*
 

… Wo bin ich?
 

*Piep*
 

Oh man, ich glaube, ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so üble Kopfschmerzen.
 

*Piep*
 

Was ist das denn für ein blödes Piepsen?
 

*Piep**Piep*
 

Das ist echt nervtötend….Warum ist es hier eigentlich so dunkel?
 

*Piep**Piep*
 

Man, ich habe die Augen zu, kein Wunder, dass hier alles schwarz ist. Aber irgendwie reicht es hier auch komisch.
 

*Piep**Piep*
 

Der Geruch kommt mir bekannt vor, es riecht irgendwie nach Krankenhaus.
 

*Piep**Piep*
 

Ich muss immer mit zu den regelmäßigen Untersuchungen meines Bruders, deswegen kenne ich diesen Geruch so gut.
 

*Piep**Piep*
 

Ich kann ihn nicht ausstehen. Weder den Geruch, noch Krankenhäuser an sich.
 

*Piep**Piep*
 

Ich habe in Krankenhäusern immer das Gefühl, vom Tod umgeben zu sein.
 

*Piep**Piep**Piep*
 

Das ist das Einzige, das ich bei meinem Bruder bemitleiden konnte. Die Tatsache, dass diese Gebäude, in denen der Tod allgegenwärtig ist, ein fester Bestandteil in dem Leben meines Bruders sind.

*Piep**Piep**Piep*
 

Man, es wird endlich Zeit die Augen wieder auf zu machen.
 


 


 

Das nervende Piepsen war nun stetig schneller und irgendwie auch kraftvoller geworden.

So langsam konnten meine Sinne auch wieder wahrnehmen, was um mich herum so geschah.

Als erstes konnte ich die Stimme meiner Mama hören, die scheinbar aufgeregt nach meinem Papa rief. Es gab mehrere hektische Bewegungen an dem Ort, an dem ich mich gerade befand.

Dem Geruch nach schätzte ich, dass ich wohl in einem Krankenhaus lag, doch was war passiert?

Ich konnte mich nur an scharfe Schmerzen und einen komischen Laut erinnern.

Moment mal, dieser komische Laut, irgendwas war mit ihm nicht in Ordnung, nur was?
 

Die Erkenntnis schlug wie eine Bombe ein. Mein Bruder hatte diesen Laut gemacht.

Es war unmöglich, aber ich habe einen Moment gedacht aus diesem Laut ein ´´Pass auf`` herauszuhören.

Aber mein Bruder nahm nichts um sich herum wirklich wahr, das kann doch nicht wirklich so gewesen sein…
 

Das erste Anzeichen meines Erwachens, war das Zucken meiner Lider.

Das zweite war mein Murren und die Tatsache, dass ich mich etwas unwohl in den weißen Lacken wälzte.

Langsam öffnete ich meine grünen Augen und sah im ersten Moment nur verschwommenes Weiß.

Langsam verschärften sich die Konturen wieder und ich sah immer noch eine dreckige, weiße Zimmerdecke. Kein besonders schöner Anblick, also beschloss ich den Kopf zu meiner linken Seite zu drehen, von der ich ein Rascheln wahrnahm.
 

Was ich nun sah, stellt mein komplettes Weltbild auf den Kopf.

All die schlimmen Gedanken der letzten Jahre kamen mir wieder in den Sinn.
 

Ich versuchte immer mir einzureden, dass ich meinen Bruder hasste, weil er unser Familienglück zerstörte.

Ich gab ihm immer die Schuld für alles Schlechte, was mir selbst widerfahren war.
 

Nun sitzt er da, neben meinem Bett.

Sein Blick geht immer noch ins Nirgendwo, doch seine Augen schauen dabei genau in mein Gesicht.

Dann sehe ich etwas, was mein Herz zum hüpfen bringt und mich plötzlich weinen lässt.
 

Er lächelt.
 

Ich dachte immer ich würde meinen Bruder nicht lieben, doch dieses eine Lächeln bewies mir das Gegenteil.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-05-16T17:11:48+00:00 16.05.2009 19:11
Bis auf zwei, drei Flüchtigkeitsfehler und einigen Kommazeichen, die zu viel waren, kann ich nichts an der Rechtschreibung aussetzen. Was mich aber stört, dass Du zur Präsens auch manchmal ins Präteritum wechselst. Zumindest irritiert es mich. Da wäre es mir lieber, Du würdest im Perfekt schreiben, in die abgeschlossene Vergangenheit. Die Idee ist wirklich gut, es auch so umzusetzen. Allerdings hätte ich mir mehr Gefühl gewünscht, irgendwie fehlt da die gewisse Tiefe der Gefühle. Ein wenig dramatischer hätte es ruhig gehen können, zumindest nach meinem Geschmack.

Manche Sätze lesen sich recht stockend, für mich zumindest. Ansonsten ist dein Schreibstil sehr flüssig und in langen Sätzen sehr angenehm zu lesen.
Den neuen Abschnitt, den Du mit "~~~~~~~~~~~~~~~~~" getrennt hast, hättest Du auch mit zwei, drei Absätzen machen können. Ist etwas unschön anzusehen.

Aber ansonsten sehr schöne Idee! :)


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