Zum Inhalt der Seite

Chroniken des gefallenen Engels

Der Exodus
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Östlich der Wüste von Iriniham, 31 Tage nach dem Fall Lenuis
 

Ein Monat war all dieser Wahnsinn nun schon her. Doch ein Monat war lange nicht genug, um den Schmerz jenes einsamen Wanderers zu tilgen, der vor mehr als vier Wochen die letzten verloren hatte, die er je als Freunde bezeichnet hatte. Für ihn gab es nichts mehr, was ihn noch in Gartapos hielt. Dies war nicht länger seine Heimat, sie gehörte nun gänzlich den Menschen, die in ihren Kriegen nach und nach die anderen Völker verdrängt oder vernichtet hatten.

Doch es war nicht das erste mal, dass der Einsame seine Heimat verließ. Bereits vor langer Zeit hatte er seinen Geburtsort verlassen müssen. Qualvolle Erinnerungen an jene dunklen Tage forderten ihren Tribut und eine einzelne Träne der Trauer bahnte sich ihren Weg über das vom Sand verkruste Gesicht des Mannes.

Wie lange war er nun schon ohne Nahrung ausgekommen? Hatte er überhaupt etwas gegessen, seit dem er sein Exil begonnen hatte? Wann hatte er den letzten – kaum genießbaren – Wassertropfen aus seinem Trinkschlauch getrunken? Er wusste es nicht mehr. Und das war auch gut so, denn sein Ziel war das Vergessen, wenn es ihm möglich war, sogar der Tod.

Doch würde es für ihn einen Platz geben? Würde Afras ihn in seinem Himmelsreich willkommen heißen oder würde er gar in Lenuis Abgrund gestoßen werden?

Doch Lenui war tot.

An ihrer statt thronte nun ein neuer Herr, Agento, einst ein Halbvampir, aus edlem Geblüt, nun dank dem Segen der Götter, einer der ihren. Bezwinger der Lenui, sein Schüler. Doch Agento war seit der letzten Schlacht nicht mehr derselbe gewesen. Nie hatte Vargas seinen Schüler in solcher Rage gesehen.

Lange Zeit hatten sie sich auf diese Schlacht vorbereitet, hatten jahrelang trainiert, hatten versucht, die dunkle Seite Agentos im Zaum zu halten, hatten versucht, dem Dämon in ihm Einhalt zu gebieten. Doch sie waren gescheitert. Lenuis List hatte Agento schließlich zu ihrem eigenen Bezwinger werden lassen. Welch grausame Tat hatte Agentos Zorn erst ausgelöst.

Trotz der brütenden Hitze lief Vargas ein eisiger Schauer über den Rücken, als er das Bild der getöteten Eria – Agentos geliebter Schwester – vor seinem inneren Auge sah. Die dunkle Göttin hatte den Halbvampir reizen wollen, um ein groteskes Katz und Mausspiel mit ihm zu spielen, sie wollte sich an seinem Leid ergötzen und seinen Zorn wecken. Doch was sie nicht wusste war, dass sie in diesem Spiel unterliegen würde, sie war die Gejagte, die Beute.

Grausam war Agentos Rache. So viel Blut. Und Agento genoss es seine Rivalin leiden zu lassen, ehe er ihr das Haupt mit bloßen Klauen vom Hals riss. Das war auch das letzte, was Vargas von seinem einstigen Schüler gesehen hatte. Mit dem Tode Lenuis wurde der gesamte Abgrund in gleißendes Licht gehüllt und eine gefühlte Ewigkeit später erwachte Vargas in den Ruinen Duragnurs, der einst stolzen Zwergenfeste, die durch Verrat zerstört und das Volk der Zwerge fast gänzlich ausgelöscht worden war.

Keinen der Bärtigen hatte er lebend zu Gesicht bekommen, als er durch die verwaisten Hallen der Zwergenstadt schritt. Nur zahllose Leichen, grässlich entstellt durch die Klingen der Orks und anderen Scheusale, die von dem stolzen Volk Duronds nicht weniger brutal behandelt wurden waren. Es war eine ewige Fehde der Götter, die so vielen Sterblichen letztendlich den Tod brachte. Doch was würde sich nun ändern? Auch wenn der Keim alles Bösen vernichtet worden war, so konnte die Welt nicht ohne Schatten existieren. Es war das kosmische Gleichgewicht, was erhalten werden musste, das wusste Vargas aus seiner jahrhunderte zurückliegenden Vergangenheit.

Der Allvater hatte es ihm und seinen Brüdern und Schwestern, den Sendboten der Götter – Engel wie so von unwissenden Sterblichen genannt wurden – gelehrt, ehe ein grausamer Streich eines eifersüchtigen Rivalen dazu geführt hatte, dass Vargas verstoßen wurde.

Lange irrte er völlig hilflos über die Erde Gartapos, auf der es für Wesen wie ihnen keinen Platz gab. Seine Reinheit und seine Makellosigkeit waren wir ein einzelner Stern an einem sonst pechschwarzen Nachthimmel. Und genau diese leuchtende Aura machte seine Häscher erst auf ihn aufmerksam.

Vampire aus dem Geblüte d’Arrainge verschleppten ihn und nutzen sein göttliches Blut für ein grausames Ritual, das einst den Anbeginn des Zeitalters der Schatten markierte. Ein junger Vampirfürst, Uron de Dragon hatte ihn dereinst gerettet und wurde fortan sein Meister, Vargas Pflichtgefühl und Dankbarkeit, ließen ihn auf seiner langen Reise nicht nur zu einem treuen Diener sondern auch zu einem wahren Freund des Vaters Agentos werden.

Doch diese Zeit lag lange zurück, ein halbes Jahrtausend, ein Lidschlag im Gefüge der Zeit, eine Ewigkeit für einen Sterblichen.

Heißer Wüstensand schlug erneut gegen das Gesicht des Wanderers und riss ihn aus seinen Gedanken, die in diesen Tagen seine einzigen Begleiter waren. Ein neuerlicher Sandsturm kündigte sich an und Vargas zog den langen ausgeblichen Mantel dichter an seinen Körper, versuchte die wenigen Öffnungen des Kleidungsstückes irgendwie zu verschließen und ließ sich dann mit dem Rücken zum Wind auf seine Knie fallen.

Fast fühlte es sich so an, als würde der Odem eines Drachen seinen Leib verbrennen, so heiß war der Sand, so groß die Wucht, mit der er gegen seinen Rücken geschleudert wurde. Fast meinte Vargas in dem Raunen des Windes ein Lachen zu erkennen, als ob der Geist der Wüste ihn auslachte und sich über ein neues Opfer tief unter den Dünen seines Sandmeers freute.

„So sei es…“, flüstere der gefallene Engel, der seit Wochen seine eigene Stimme kaum mehr erkannte.

Sie war rau und gebrochen, leiste und flüsternd, wie die eines Sterbenden auf dem Totenbett. Sollte dies nun wirklich sein Ende sein? Hatten die Götter in ihrer Gnade endlich beschlossen ihn zu erlösen? Konnte er überhaupt sterben? Mit diesen Gedanken schloss er die Augen, entschlossen sich seinem Schicksal entgegen zustellen, was auch immer geschah, er war bereit.

Dann vermochte er es nicht mehr dem tonnenschweren Gewicht des Wüstensandes zu widerstehen. Erschöpft brach er zusammen und stürzte mit dem Gesicht in den heißen Sand, ehe es dunkel um ihn wurde. Abrupt verklang das hämische Gelächter des Wüstengeistes.

I. Kapitel - Erinnerungen (1. Teil)

I. KAPITEL - Erinnerungen
 

Gierig zog das reptilienartige Raubtier seine Beute aus dem Sand. Ab und zu blieben nach den häufigen Sandstürmen Kadaver von unglückseligen Kreaturen, die es nicht geschafft hatten rechtzeitig Schutz zu finden, im Wüstensand übrig. Heute hatte das Untier Glück. Der etwa menschengroße Körper würde es zumindest ein paar Tage sättigen und ihm Kraft für die Jagd geben. Prüfend schnupperte das Wesen an dem Leichnam, um so festzustellen, ob sein Futter womöglich erkrankt und schließlich verendet war oder ob es tatsächlich einfach nur vom Sand erstickt worden war. Doch die Kreatur roch nichts dergleichen. Die Gier nach frischem Fleisch wurde immer größer und Speichel tropfte aus dem Maul des Jägers, welches so groß war, dass es mühelos ein komplettes Schwein hätte verschlingen können.

Doch die Gier machte den Räuber blind für andere Gefahren. Langsam schlich sich eine zweite Bestie in seinem Rücken an und war nur noch wenige Meter entfernt. Die gelben Augen mit dem schlangenartigen schwarzen Strichen auf den unvorsichtigen Artgenossen und nicht auf dessen Beute gerichtet. Vorsichtig setzte sie einen klauenbewehrten Fuß nach dem anderen auf den heißen Wüstensand, der nahezu widerstandslos nachgab, und die Kreatur einen halben Fuß tief einsinken ließ. Der Neuankömmling bewegte sich fast völlig geräuschlos und schien ein weitaus erfahrener Jäger als die aufgeregte erste Kreatur zu sein.

Doch dann drehte der Wind. Erschrocken schreckte die erste Bestie auf, als sie den Geruch des Artgenossen aufsog. Sprungartig wand es sich dem Neuankömmling zu und stellte sich schützend vor seine Beute. Wenn es ihm das Fleisch streitig machen wollte, würde es mit ihm darum kämpfen müssen.

Trotz des verlorenen Überraschungsmomentes blieb der erfahrenere Jäger vollkommen ruhig, die gelben Augen nicht von dem Gegner abgewandt, während dieser laut zu zischen und zu fauchen begann. Keinen Lidschlag später griff das unerfahrene Tier an. Mit weit aufgerissenem Maul stürmte es auf den Kontrahenten los und gab so einen Blick auf die eindrucksvollen Reißzähne frei.

Noch immer regte sich die andere Kreatur nicht, denn sein Herr, welcher in dem ledernen Sattel auf seinen Rücken saß befahl es ihm nicht. Erst als der anstürmende Gegner die beiden fast erreicht hatte, ließ er sein Tier mit einem kurzen Sprung zu Seite ausweichen.

Der Reiter zog unvermittelt einem im Sonnenlicht glänzenden Gegenstand über die Flanke des unerfahrenen Raubtiers. Sofort trat dunkelrotes Blut aus der langen Schnittwunde und floss in langen Strömen über die beigefarbene Schuppenhaut der Bestie. Ein schriller Schmerzschrei ertönte und der Reiter wusste, dass er dem Gegner einen vernichtenden Schlag zugefügt hatte. Würde die Kreatur nicht in diesem Kampf umkommen, so würden sie schließlich der Blutverlust und die Gluthitze der Wüste niederstrecken. Der Kampf war somit entschieden, auch wenn das verwundete Scheusal nicht daran dachte aufzugeben. Ohnmächtig vor Wut und Schmerz griff es immer wieder und wieder an, ohne dabei auf seine Verletzung zu achten, aus der unentwegt roter Lebenssaft quoll und den trockenen Wüstenboden tränkte.

Der Reiter selbst startete nicht eine einzige weitere Attacke. Er ließ sein Reittier stets ausweichen, so dass all die Angriffe des Feindes ins Leere gingen.

Bereits nach wenigen Sekunden war der einst weiße Wüstensand blutig rot und vollkommen aufgewühlt. Das verwundete Biest konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und keuchte schmerzerfüllt. Zeit für den Gnadenstoß. Entschied der Reiter schließlich. Er ließ seine Kreatur langsam antraben, hob seinen Säbel kampfbereit und hielt genau auf das verwundete Scheusal zu. Als der Angriff erfolgte, war der verwundete Feind unfähig sich zu wehren. Sauber durchtrennte der Stahl die Nackenwirbel des Tieres, was daraufhin vollends erschlaffte und tot zu Boden ging.

Der Berittene entfernte sich ein Stück von dem besiegten Feind und umrundete den Kadaver. Erst nach dem etwas Zeit verstrichen und sich der Besiegte nicht mehr gerührt hatte, näherte er sich wieder dem Leichnam. Jetzt wo er sich sicher war, dass die Kreatur sich in Folge eines letzten unerwarteten Kraftschubes erheben würde, stieg er von seinem Reittier ab, um mit den Vorbereitungen zum Abtransport des Fleisches zu beginnen. In einer lebensfeindlichen Region wie der Wüste von Iriniham war jede Nahrung kostbar und durfte nicht verschwendet werden.

Aus den Satteltaschen des exotischen Reitsitzes nahm er lange Seile und wickelte diese um die vorderen Beine des toten Biests. Sein eigener Begleiter spähte derweil aufmerksam in die Gegend um nicht selbst Opfer eines plötzlich auftauchenden Feindes zu werden. Doch die einzigen, die sich langsam aber sicher näherten, waren die am Himmel kreisenden Geier, die ebenso wie der Reiter um die Kostbarkeit von Nahrung in dieser Region wussten.

Plötzlich gab das Reittier des Mannes einen schrillen Schrei von sich, was den Mann unverzüglich den Säbel aus der Scheide an seinem Gürtel ziehen ließ. Mit raschen Schritten begab er sich zu seiner Kreatur und tätschelte lobend dessen Seite. Allein würde er nicht lange hier draußen überleben, das wusste er. Ohne die extrem scharfen Sinne seines Gefährten, würde er von den zahllosen Räubern der Wüste einfach aus dem Hinterhalt angegriffen und getötet werden, so wie all die Unvorsichtigen, die sich nicht auf den Rücken einer solchen Bestie wagten.

„Gutes Asza!“, beruhigte er die Kreatur, die daraufhin ein leises Geräusch von sich gab, das entfernt an ein Klicken erinnerte. „Was hast du gesehen mein Freund?“

Als ob das Wesen genau wusste, was sein Herr ihn fragte, setzte es sich langsam in Bewegung. Der Mann folgte dem Tier, auf dessen Sinne er sich stets verlassen konnte, die Waffe dabei stets kampfbereit in der Hand. Was hatte den Asza in Aufruhr versetzt? Normalerweise konnten nichts und niemand seinen langjährigen Begleiter aus der Ruhe bringen. Viel zu lange hatte er es für den Kampf und das Überleben in der Wüste abgerichtet. Es konnte also nur etwas sein, das der Kreatur gänzlich unbekannt war.

Schließlich blieb das Asza stehen und senkte den großen Reptilienkopf in den Wüstensand, ehe es aufgeregt im Kreis um etwas herum lief. Der Reiter zog eine Augenbraue nach oben. Ein so seltsames Benehmen hatte er noch nie bei einem Asza beobachtet. Die Neugier packte ihn. Was auch immer die Kreatur gefunden hatte, es musste äußerst interessant sein.

Vorsichtig näherte er sich der Stelle, die von seinem Reittier so interessiert umrundet wurde. Was er sah enttäuschte ihn ein wenig. Das Asza hatte lediglich den Leichnam eines Mannes gefunden, dessen zerschlissene Kleidung darauf vermuten ließ, dass er schon einige Zeit durch die Wüste gewandert war. Erst als er genauer hinsah, fielen ihm zahlreiche Besonderheiten auf. Vorsichtig kniete er sich neben den Toten.

Mit den Fingern fuhr er prüfend über den Stoff des Mantels. Dieses Material war ihm fremd. Um was auch immer es sich handelte es stammte nicht aus den Weberein, wie er sie kannte. Es war weich und besonders fein gearbeitet. So etwas konnte man aus den Fällen der hiesigen Tiere nicht herstellen.

Als nächstes betrachtete er das Gesicht des Fremden. Unter der angetrockneten Sandkruste schimmerte helleweiße Haut. Kein Mensch, der hier in der Wüste lebte hatte eine derartige Hautfarbe. Die meisten hatten einen bräunlichen oder fast schon schwarzen Teint. Als er mit den Fingern die Kruste aufbrach, konnte er zahlreiche Narben auf dem Gesicht des Mannes ausmachen, es handelte sich also womöglich um einen Kämpfer. Seine Waffe musste er vermutlich in einem Sandsturm verloren haben. Das war wohl sein Todesurteil. Ohne eine Waffe, waren die Überlebenschancen hier draußen äußerst gering. Manchmal war eine Waffe sogar mehr wert als ein Wasserschlauch.

Kopfschüttelnd erhob sich der Reiter wieder. Auch wenn der Fremde zu Lebzeiten äußerst interessant gewesen wäre und ihm sicher zahlreiche Geschichten hätte erzählen können, tot war er wertlos. Die einstige Neugier wurde zu Frustration. Nie würde er erfahren, wer der Fremde war, wo er herkam und was er hier suchte.

„Komm Skarr!“, rief er sein Asza, was ungehorsam bei dem Leichnam verharrte und wieder aufgeregte Geräusche von sich gab.

Erkannte das Biest mehr als er? Noch einmal wand er sich um. Der Reiter staunte nicht schlecht, als der vermeintliche Tote plötzlich ein Geräusch von sich gab. Es war nicht mehr als ein leises gequältes Keuchen, das genau so von einem Sterbenden stammen konnte, doch noch lebte der Fremde. Grund genug, um sein Überleben zu kämpfen. Die Neugier des Reiters flammte erneut auf.

Rasch griff er in die Satteltaschen seines Reittiers und nach wenigen Augenblicken hielt er einen Wasserschlauch in der Hand den er behutsam an die Lippen des Fremden setzte. Er musste aufpassen, zu viel Wasser könnte ihn in dieser Situation sogar töten.

Nach dem der Unbekannte notdürftig versorgt worden war, wurde der schlaffe Körper vorsichtig auf den Rücken des Asza gehievt, ehe der Reiter selbst aufsetzte. Er ließ sein Reittier noch einmal zum Kadaver des erschlagenen Aszas traben, über den sich bereits die ersten hungrigen Geier hermachten. Mit lauten Rufen und dem Fauchen seines Begleiters konnten die Aasfresser jedoch mühelos verscheucht werden.

Skarrs Kopf senkte sich zu Boden und die starken Kiefer schlossen sich um Seile an denen die Vorderbeine der toten Bestie gebunden waren. Mit einem sanften Stoß in die Flanken des Aszas signalisierte der Reiter seinem Tier, dass es in einen schnellen Lauf verfallen sollte. Und Skarr gehorchte. Unerwartet schnell rannte es trotz der zusätzlichen Last seiner Beute los und warf den Sand um sich herum meterweit hoch. Eine gigantische Staubwolke entstand und der Reiter zog seinen Mundschutz weiter nach oben. Mit etwas Glück würde er schon heute Abend mehr über den Fremden in Erfahrung bringen können.

I. Kapitel - Erinnerungen (2. Teil)

Er fiel. Lenuis Angriff hatte ihn unverhofft getroffen und über den Rand des Abgrundes gestoßen. Doch als er seine Schwingen ausbreiten und zurück zu Agento und der Göttin der Finsternis gleiten wollte, versagten sie ihm den Dienst. Sie hingen steif und vollkommen unbeweglich an seinem Rücken. Jegliches Gefühl war aus ihnen gewichen. Was war geschehen, als ihn die mannsgroße Kugel aus schwarzer Energie getroffen hatte, die Agento doch so mühelos abzuwehren vermochte? Dass der einstige Schüler seinem Meister schon lange überlegen war, hatte das Halbblut bereits mehr als einmal eindrucksvoll und gleichsam brutal demonstriert. Noch nie war es einem Feind gelungen, Agento zu besiegen. Der Zorn in ihm – sein innerer Dämon – war zu mächtig. Hatte sich Vargas überschätzt, als er sich zusammen mit Agento und Eria Lenui gestellt hatte? Hatte er seine eigene halbgöttliche Stärke überschätzt? War sein Schicksal bereits vorherbestimmt?

Die Dunkelheit um ihn nahm immer mehr zu, je tiefer er fiel. Das Geschrei der gegeißelten Seelen wurde immer lauter und geisterhafte Hände schienen ihn immer weiter hinab zu ziehen. Der Abgrund hatte Vargas fest umklammert und würde ihn nun nie wieder frei geben. Doch was passierte mit einem lebenden Wesen, das in diesen Höllenschlund gestoßen wurde? Würden die gepeinigten Seelen das Fleisch von seinen Knochen reißen und so seine Seele aus seinem Körper zerren?

Er wusste es nicht. Seit mehr als fünfhundert Jahren kannte er, ein Sendbote der Götter, die Antwort auf eine Frage nicht. Ungewissheit breitete sich in ihm aus. Doch mit jedem Augenblick, den er weiter in die Dunkelheit gezogen wurde, wich diese Ungewissheit, einer viel stärkeren Emotion. Angst.

Noch nie hatte sich Vargas vor etwas gefürchtet. Doch die beängstigende Umgebung des Höllenschlundes lehrte selbst ihn das Fürchten. Die unmenschlichen Schreie der Seelen, die er nun immer deutlicher erkannte, all die gequälten Gesichter. Sowohl Scheusale als auch Menschen, Zwerge und sogar einige Elfen, die für immer hier gefangen waren. Ihre leeren schwarzen Augenhöhlen fixierten ihn und ihre bleichen transparenten Hände griffen nach ihm, umarmten ihn und zogen ihn weiter nach unten.

Jeglicher Versuch sich aus der eisigen Umarmung zu befreien scheiterte und auch die schwarz gefiederten Schwingen vermochte er nicht zu entfalten. Wie lange würde dieses Martyrium noch weiter gehen? Existierte überhaupt ein Grund am Ende des schier unendlich Langen Abgrundes? Weitere Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Weitere Ungewissheit, die schon bald zu Angst wurde. Vargas spürte es kaum, doch sein ganzer Leib zitterte und zahllose silbern glitzernde Tränen flogen unmittelbar über ihm. Es schien als fielen sie langsamer als er selbst und in wenigen Augenblicken sah es sogar so aus, als würden sie nach oben schweben.

Dann endlich schienen die Götter ein Einsehen mit ihm zu haben. Seine Körper wurde schlaff und seine Lieder schwerer. Die Müdigkeit des Kampfes mischte sich mit der Ohnmacht der Furcht. All die Schreie, um sich herum, nahm er nicht mehr war, als wäre er taub. Ein letztes Blinzeln schlug die verbleibenden Tränen aus den Augen und in diesem Moment erkannte er etwas. Ein geflügelter Schatten, der unbeschreiblich schnell auf ihn herab stürzte. War dies der Engel des Todes, der ihm die Erlösung bringen und seine leibliche Qual beenden würde?

Nein. Erkannte er und streckte die Hand dem Schatten entgegen, ehe ein gleißender violetter Blitz den gesamten Abgrund zu erhellen schien und die gepeinigten Seelen vom stürzenden Körper des Sendboten vertrieb. Vargas war unfähig die Augen länger offen zu halten, das grelle Licht blendete ihn zu sehr. Stattdessen rief er so laut er es vermochte einen Namen

„Agento!“
 

Schweißgebadet erwachte Vargas aus seinem Traum. Er hatte noch einmal jene Augenblicke erlebt, nach dem er in Lenuis Abgrund gestoßen wurde. Doch diesmal erwachte er nicht in dem zerstörten Dûragnur, sondern in einer einfachen fremdartigen Behausung. Die Wände waren aus Sandstein und unmittelbar über dem Fußboden und knapp unter der Decke zierten seltsame rotfarbene Malereien die Mauer. Zu verschwommen war sein Blick um genaueres zu erkennen. Sein Blick glitt weiter durch den Raum. Unmittelbar neben ihm brannte ein Lagerfeuer, das in dem dunklen Zimmer die einzige Lichtquelle war.

Erschrocken wollte sich Vargas aufsetzen, als er erkannte, dass an dem Lagerfeuer ein Mensch saß, der ihn genau beobachtete. Seine Haut war dunkler als die eines Menschen aus Wellharim und hatte einen bräunlichen Teint, wie er sie nur von den Nomaden aus Iriniham kannte. Seine Kopfbedeckung ähnelte ebenfalls denen die er von dem Wüstenvolk kannte, ein einfacher Turban aus Stoff, sowie ein um den Hals geschlungenes Tuch, um sich gegen Sandstürme zu schützen. Die Kleidung des Fremden schien im spärlichen Licht des Feuers dunkelrot und wies nur wenig aussagende Verziehrungen auf. Doch so sehr er äußerlich den Nomaden auch ähnelte, etwas unterschied ihm deutlich von ihnen. Doch was?

Langsam erhob sich der Fremde und ging vorsichtig zu dem Sendboten, der bei seinen Versuch sich Aufzusetzen kläglich gescheitert und wieder zurück auf sein Lager gefallen war.

„Ihr müsst euch schonen, Fremder.“, sagte er mit einem Vargas gänzlich unbekannten Dialekt, der so fremd war, dass der Sendbote in seinem geschwächten Zustand Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen. „Wer weiß wie lange Ihr schon unter dem Sand begraben lagt, ehe Euch das Asza heraus sog und ich Euch schließlich fand.“

Vargas verstand nicht. Was war ein Asza? Dieses Wort hatte er noch nie gehört, auch wenn es eine gewisse Wortverwandheit mit dem Begriff Asabii aufwies, dem echsenartigen Händlervolk, welches ebenfalls durch die Wüste streifte und Handel mit den angrenzenden Reichen trieb. War ein Asza vielleicht ein Asabii und wurde in der Kultur des Fremden nur anders bezeichnet? Oder war es vielleicht etwas gänzlich anderes?

„Was… ist ein…“, noch ehe der Sendbote seine Frage stellen konnte wurde er unterbrochen.

„Ich sagte bereits, dass Ihr Euch schonen sollt! Ihr solltet jetzt nicht so viel reden und vor allem euren Verstand einige Stunden oder gar Tage Ruhe können. Die Sonne vermag es den Geist eines Lebewesens sehr rasch zu verwirren, wenn man ihr zu lange ausgesetzt ist.“

Vargas erkannte in den gut gemeinten Worten des Fremden eindeutig Zurückhaltung. Es war offensichtlich, dass der Fremde seine Neugier kaum zügeln konnte, zum Wohle seines Schützlings aber im Zaum hielt. Vargas gehorchte und ließ sich wieder in die weichen Kissen fallen. Er hörte, dass der Fremde einen Topf auf das Feuer stellte und darin etwas zum Kochen brachte. Der Sendbote betrachte weiter die Malereien an den Wänden.

Jetzt, wo sein Blick klarer wurde, erkannte er selbst im Halbdunkel des Raumes, dass es sich um vereinfachte Darstellung von Menschen und verschiedensten Bestien handelte. Bestien, die er noch nie zuvor gesehen hatte und die ihm lieber fern bleiben sollten. Gewaltige Echsen und Skorpione, Riesige Würmer und Wesen, die aus purem Wüstensand zu bestehen schienen. Was sind das für Wesen? Während Vargas weiter überlegte, kam der Fremde wieder auf ihm zu, eine dampfende Steinschüssel und einen hölzernen Löffel in den Händen.

„Hier, Ihr solltet etwas Essen! Euer Körper wirk ausgezerrt, fast so als hättet Ihr Wochenlang fasten müssen.“

Vargas bestätigte die Feststellung des Mannes nur mit einem leichten Nicken und setzte sich dann auf. Er verzichtete es, sich an die kalte Wand anzulehnen und beugte sich stattdessen leicht nach vorn über. Als er die gereichte Schüssel entgegennahm und ihren Inhalt erblickte stieg in ihm Übelkeit auf und verwundert sah er zu seinem Gastgeber, der sich gerade daran machte, seine Kopfbedeckung abzuwickeln. Das Fleisch, welches in der trüben Brühe schwamm, hatte eine gräuliche Färbung, die teilweise ins Grüne überging und Vargas entfernt an einen verwesende Kadaver erinnerte.

„Guhna.“, erklärte der Fremde knapp. „Keine Angst es ist nicht verdorben. Ihr Fleisch wird nur sehr dunkel, wenn man es kocht und scheint für einen Fremden nicht besonders appetitanregend auszusehen.“ Da er erkannte, dass Vargas noch immer nur skeptisch mit dem Löffel in der Fleischbrühe herumrührte fuhr er fort. „Manchen ist ihr Fleisch zu zäh und zu bitter, aber es ist sehr nahrhaft und versorgt Euch mit allem was Ihr zum Überleben benötigt!“

Nachdem er die Kopfbedeckung sorgfältig abgewickelt und zu einer einfachen Rolle zusammengerollt hatte, nahm er sich ebenfalls eine Schüssel und füllte sie mit dem unbekannten Eintopf. Vargas wollte besser gar nicht wissen, was ein Guhna war. Da der Fremde ohne zu zögern den Löffel in seiner Schüssel versenkte und mit dem dunklen Fleisch gefüllt zu seinem Mund führte, entschloss auch der Sendbote von der Speise zu kosten. Vorsichtig suchte er sich das kleinste Stück heraus, lud es auf seinen Löffel und führte ihn zögernd zu seinen Lippen. Widerwillig öffnete er die Kiefer und kostete von der Mahlzeit.

Wie bereits vorgewarnt, hatte das Fleisch einen zähen und äußerst bitteren Geschmack und Vargas würgte den Fleischbrocken ungekaut hinunter.

„In ein paar Tagen gibt es Asza.“, erwähnte der Mensch beiläufig, der genüsslich seine Brühe schlürfte, da er scheinbar alle Fleischbrocken herausgefischt hatte. „Ich denke das wird Euch besser schmecken. Aber im Moment kann ich euch nur Guhna anbieten.“

Entschlossen stellte Vargas die Schüssel vor sich auf den Boden und hoffte sich inständig zu irren, dass ein Asza mit einem Asabii verwandt sei. Fast schon sarkastisch stellte er sich selbst die Frage, wie er die nächsten Wochen ohne Nahrung überleben sollte, auch wenn er es schon jetzt einige Zeit aushielt.

Kopfschüttelnd betrachtete der Fremde die abgestellte Steinschüssel.

„Ihr müsst etwas essen. Sonst werdet Ihr hier nicht lange überleben!“ mahnte er den Sendboten mit ernsten Blick. „Wenn Ihr schon nicht überleben wollt, dann gewährt mir wenigstens die Höflichkeit und schätzt meine Gastfreundschaft und eure Rettung!“

Das spöttische Grinsen verriet Vargas, dass das Gesagte nicht vollkommen ernst gemeint war, dennoch nahm er die Schüssel auf und löffelte sie widerwillig aus. Schon nach dem vierten Bissen hatten sich seine Geschmacksnerven an das fremdartige Fleisch gewöhnt. Als er das leere Behältnis wieder auf den Boden stellte, erhob sich sein Gastgeber und verbeugte sich knapp vor seinem Gast.

„Ich bin Khalish el Habdin. Ihr seid Gast in meinem Haus solange Ihr wünscht und so lange könnt Ihr Euch meiner Gastfreundschaft gewiss sein.“, erklärte der Mann, der nun endlich einen Namen hatte.

„Mein Name ist Vargas.“, erwiderte der Sendbote trotz des noch immer geltenden Schonungsgebotes. „Und ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft und vor allem für meine Rettung.“

„Für Eure Rettung solltet Ihr Euch eher bei Skarr bedanken, er hat Euch gefunden, ich habe Euch nur aufgelesen und hier her gebracht.“, erkläre Khalish weiter. „Ich werde Euch nun weiter schlafen lassen. Morgen werdet ihr Gelegenheit bekommen, Euch bei Skarr zu bedanken.“

Ohne weitere Worte verließ der Dunkelhaarige den Raum und ließ Vargas allein am knisternden Feuer zurück. Jetzt wo der Sendbote allein war, entschied er sich, seine Kleidung teilweise abzustreifen und nach seinen Schwingen zu sehen.

Die dunklen Flügel lagen wie seit seinem Sturz in den Abgrund, steif am Körper an und es gelang ihm nicht, sie zu entfalten. Er spürte sie nicht einmal mehr. Wie Fremdkörper wuchsen sie aus seinem Rücken, doch Teil seines Körpers schienen sie nicht länger zu sein. Prüfend fuhr er mit der linken Hand über das zerzauste Gefieder. Auch diese Berührung spürte er nicht. Seufzend streifte er sich wieder seine Kleidung über und lies sich in sein Nachtlager sinken. Bald darauf schlief er ein. Sein Verstand jedoch blieb weiter aktiv und bescherte ihm einen Alptraum nach dem anderen. Immer wieder fiel er in den Abgrund und wurde tiefer und tiefer hinab gezogen.

I. Kapitel - Erinnerungen (3. Teil)

Östlich der Wüste von Iriniham, 32 Tage nach dem Fall Lenuis
 

Die Glut des Lagerfeuers war bereits seit einigen Stunden erloschen und seine wohltuende Wärme war ebenfalls vergangen. Nur noch verkohle Holzstücken in der kleinen Einlassung im Boden zeugten von dem kleinen Feuer, auf dem letzte Nacht eine Speise zubereitet und der kleine Raum erhellt, sowie gewärmt worden war. Doch die Hitze des Feuers wurde nicht länger benötigt, denn im Osten erhob sich langsam die goldene Sonne und schickte ihre Lichtstrahlen über das Land. Ein einziger von ihnen traf die kleine Öffnung unmittelbar unter der Decke des Raumes und erhellte die Behausung ein wenig. Durch die gerade einmal buchgroße Öffnung fiel eine Lichtsäule schräg von der Wand direkt ins Zentrum des Raumes. In ihrem Licht tanzten zahllose Staubpartikel umher, drehten Pirouetten und vollführten andere Kunststücke. Doch diese exotische Darbietung wurde neugierig beobachtet.

Der kleine Räuber saß im einzigen Eingang des Zimmers und seine schuppige Haut schimmerte beigefarben im Halbdunkel. Lautlos setzte er einen Fuß vor den anderen, den Blick dabei auf seine Beute gerichtet. Die kleinen gelben Augen folgten aufmerksam jeder Bewegung des feinen Staubes, welcher so faszinierend im Sonnenlicht hin und her tanzte. Geräuschlos verlagerte das kleine Reptil sein Gewicht auf die Hinterläufe und stütze seinen Schwanz fest auf den Boden.

Dann sprang es.

Doch es vermochte nicht die vermeintliche leichte Beute zu packen sondern flog unvermittelt weiter als geplant und stürzte schließlich in einen eisernen Topf, der daraufhin laut scheppernd zu Boden ging und durch den Raum rollte. Eine übel riechende Flüssigkeit und kleine graugrüne Fleischbrocken verteilten sich auf dem Boden.

Durch den Lärm geweckt schreckte der bis dahin Schlafende auf und tastete aufgeregt nach einer Waffe, doch er fand keine. Das kleine Reptil kroch derweil schwankend aus dem Topf. Die Irrfahrt in dem Kochgefäß hatte es offensichtlich ziemlich durchgeschüttelt. Mit einem einfachen Kopfschütteln versuchte es die Benommenheit abzuschütteln. Stattdessen verspritze es die übel riechende Brühe in der es gelandet war, weiter im Raum. Sehr zum Leidwesen des Mannes, der sich dem kleinen Tier nun fluchend näherte. Der Räuber erkannte die Gefahr rechtzeitig, packte einen kleinen Fleischbrocken und rannte so schnell ihn seine Füße tragen konnten wieder zum Ausgang.
 

Vargas rieb sich müde den Schlaf aus den Augen. Diese Art unsanft geweckt zu werden, kannte er bisher noch nicht. Wenn man seinen Schlaf bisher unterbrochen hatte, waren es meist angreifende Feinde gewesen, die gehofft hatten, den Sendboten überraschen zu können. Bisher hatte sie Vargas stets abwehren können, denn nie hatte er seine Waffe weit von seinem Nachtlager positioniert. Doch dieser kleine Überfall hatte ihn schmerzhaft daran erinnert, dass er seinen geliebten Dûrn-Speer verloren hatte. Wie so vieles war auch sie in der Schlacht gegen Lenui verloren gegangen. Die gleiche Energiekugel, die auch ihn in den Abgrund gestoßen hatte, ließ auch die göttliche Waffe wie ein einfaches Stück Holz zersplittern.

Seit dem er in den Ruinen des Zwergenreichs zu sich gekommen war, hatte er sich nicht neu bewaffnet, einen Fehler, den er sobald wie möglich gut machen sollte. Doch wo konnte er hier, in dieser unbekannten Welt, eine Waffe wie den Dûrn-Speer finden? Er fand sich mit dem Gedanken ab, dass er wohl keinen Ersatz finden und sich stattdessen auf eine einfache Lanze verlassen musste, wenn er denn eine fand.

Langsam ging er auf den Ausgang des Raumes zu. Mit seiner Hand stütze er sich dabei stets an der Wand ab, noch war er schwach, der Marsch gen Osten hatte mehr an ihm gezehrt als er bisher bemerkt hatte. Die letzte Nacht, hatte seinen Körper wieder daran erinnert, dass er ebenso Ruhe benötigte wie jeder andere auch. Der Sendbote war wieder einmal an seine Grenzen gegangen und hatte sie überschritten. Entwickelte er eine gewisse Überheblichkeit? Eine solche Veränderung seines Charakters missfiel ihm sehr. Es würde ihn unweigerlich in Schwierigkeiten bringen.

Aber andererseits. Überlegte er. War es nicht ohnehin mein Ziel meinen eigenen Untergang zu finden? Wollte ich mich mit dieser Reise ins Unbekannte nicht nur selbst zerstören? Während er weiter überlegte, tastete er sich den Gang entlang, in den er gekommen war, nachdem er sein Zimmer verlassen hatte. Der Flur war aus schlichtem Sandstein gebaut und lediglich die gewölbte Decke bildete einen optischen Kontrast zu den sonst farblosen Wänden. Selbst die roten Malereien waren hier nicht zu finden.

Nach dem er dem Gang nach rechts gefolgt war, kam Vargas in eine größere Halle, deren kuppelartige Decke fast zwanzig Fuß hoch war. An vier Stellen der Decke waren ähnliche Öffnungen eingelassen, wie in jenem Raum in dem Vargas erwacht war. Der Raum selbst hatte eine runde Grundfläche und war mit bunten Teppichen, Kissen und zahllosen Dingen, die der Sendbote noch nie gesehen hatte, gefüllt. Sein besonderes Interesse wurde von einem Glasbehälter geweckt, der im Zentrum einer größeren Ansammlung von Kissen stand.

Der unbekannte Gegenstand war etwa Hüfthoch und seine Form erinnerte entfernt an eine gewöhnliche Birne. Welchen Zweck die vier davon abgehenden Schläuche mit den komischen Enden hatten, konnte Vargas sich nicht vorstellen.

Unzufrieden darüber, nicht zu wissen, zu welchem Zweck all die Gerätschaften dienten, folgte er der einzigen Treppe nach oben. Mit jeder Stufe, die er nahm, schien die Intensität der Lichts zuzunehmen. Am Ende der Treppe musste Vargas seine linke Hand als Sonnenschutz vor die Augen halten, um nicht geblendet zu werden. Er gab sich selbst einige Augenblicke, um sich das helle Tageslicht zu gewöhnen, blinzelte ein paar Mal und langsam gewöhnte er sich an die Helligkeit.

Was er dann jedoch sah ließ ihn erschrocken zurückweichen. Ein gewaltiges echsenartiges Wesen stand vor ihm und beschnüffelte ihn neugierig. Die gewaltigen Nüstern zogen seinen Geruch tief ein und das Biest gab einige klickende Geräusche von sich. Die schuppige Haut hatte in etwa die Farbe des Sandes und über den Kopf zogen sich zahlreiche kleine Dornen. Die gelben Augen mit den schlangenartigen schwarzen Pupillen fixierten ihn neugierig. Dann gab das Unter einen schrillen Schrei von sich und öffnete die gewaltigen Kiefer. Vargas konnte einen Blick auf das beeindruckende Gebiss der Kreatur werfen, zahllose Reißzähne von der Länge eines menschlichen Finger, die offensichtlich nur einem Zweck dienten, zu töten.

Schützend hob der Sendbote die Hände vor seinen Oberkörper und wich langsam die Treppe zurück, mit etwas Glück, so hoffte er, könnte er der Bestie entkommen, ehe sie einen Angriff gegen ihn startete. Und so groß wie sie war, würde sie ihn wohl nicht durch die engen Gänge der Behausung folgen können - wenn er Glück hatte.

Doch der Angriff erfolgte blitzartig, so dass Vargas keine Chance hatte ihm auszuweichen.

Der Kopf des riesige reptilenartige Wesen schnellte unvermittelt nach vorn, stupste Vargas gegen die Brust und schleckte ihm anschließend mit der spitz zulaufenden Zunge übers Gesicht, wie ein übergroßer Hund im Körper einer Echse.

„Was im Namen des Allvaters…?“, wunderte sich Vargas über das ungewöhnliche Benehmen der Kreatur, bis er das lauthalse Gelächter eines Mannes vernahm. Als Vargas sah, dass Khalish da in einem Sattel auf dem Rücken der Echse saß, wuchs Vargas Verwunderung immer weiter. Der Mann trug ein weißes Gewand mit feinen goldenen Verziehrungen, sowie einen schwarzen Turban. An seiner Seite hing ein Krummsäbel in einer kunstvoll verzierten Scheide.

„Das ist Skarr.“, erklärte der Mensch lachend. „Und wie mir scheint, hat er Euch ins Herz geschlossen.“

Der Sendbote trat langsam aus dem Gang und nahm etwas Abstand von Khalish und seinem äußerst ungewöhnlichen Reittier. Nach dem er ausreichend Platz zwischen sich und den beiden gebracht hatte, wand er sich langsam um und ließ seinen Blick über die Gegend schweifen. Was er sah war… Nichts. Er befand sich inmitten der Wüste, außer Sand weit und breit nichts. Keine Berge, keine Wälder, keine Seen und Flüsse. Auch fand er beim ersten Blick keine Spur von Zivilisation, erst bei genauerer Betrachtung konnte er zahlreiche halbrunde Gebilde ausmachen, die sich aus dem Wüstenboden erhoben. Vermutlich ähnliche Behausungen, wie die in der ich erwacht bin. Entschied der Sendbote.

„Das ist Olisha’Kai, meine Heimat.“, erklärte der dunkelhäutige Mann, der mit seinem Reittier neben Vargas trabte. „Wir leben unter der Erde, dort ist es tagsüber kühler und bietet unseren Behausungen besseren Schutz gegen die Sandstürme, die hier allgegenwärtig sind. Unser Wasser gewinnen wir aus unterirdischen Quellen, die wir mithilfe von Brunnen anzapfen. Kommt ich zeige Euch noch mehr.“

Als Khalish Vargas die Hand entgegenstreckte, weiteten sich die Auge des Halbgöttlichen erstaunt.

„Ihr wollte, dass ich mit Euch auf dieser Kreatur reite?“

„Diese Kreaturen nennt man Asza.“, erklärte der Reiter. „Sie mögen wild und brutal sein, doch wenn es einem gelingt sie zu zähmen, sind sie äußerst verlässliche Reittiere und Gefährten. Diesem hier könnt Ihr vertrauern, immerhin hat er Euch gerettet, denkt daran.“

Zur Bestätigung tätschelte er den Hals des Aszas, das daraufhin zufriedene klickende Geräusche von sich gab. Mit einem unguten Gefühl nahm der Sendbote, die ihm angebotene Hand an und wurde auf den Rücken des Tiers gehievt. Vargas erinnerte sich, dass Khalish am Abend zuvor berichtet hatte, dass sie bald Asza zu essen haben würden. Seine Befürchtungen hatten sich also mehr oder weniger bestätigt. Er würde Echse essen müssen.

Langsam trabten sie los.

„Dort drüben.“ Khalish deutete nach Osten. „Halten wir die Asza in einer Art Grube. Dort sind auch sie vor den Stürmen sicher und können in Ruhe ihre Brut großziehen. Er müsst wissen, wir ehren unsere Asza und würden sie niemals töten. Wir jagen nur die wilden und verarbeiten deren Fleisch.“

Diese Information beruhigte Vargas keinesfalls. Wieder fragte er sich, wo von er sich hier ernähren sollte. Doch mehr und mehr wurde ihm klar, dass er in dieser lebensfeindlichen Welt Kompromisse eingehen musste, wenn er überleben wollte.

„Ich benötige eine Waffe, Khalish.“, erklärte er seinem Gastgeber schließlich, nach dem er sich daran erinnerte, dass er auch bei der Wahl seiner Waffe einen Kompromiss eingehen musste.

„Das habe ich bereits erwartet. Ihr seid ein Krieger nicht wahr?“

Vargas wand sich von dem Rücken des Menschen ab und sah traurig nach Westen, dort wo hinter meilenweiten Dünen seine alte Heimat, Gartapos, lag. Jenes Land, das ihm seine Freunde und jeglichen Sinn seiner Existenz genommen hatte.

„Ich war es.“, bestätige er schließlich. „Doch wie es scheint, werde ich hier nicht lange ohne eine Waffe überleben.“

Khalish musste lachen.

„Verzeiht, aber Ihr werdet hier draußen mehr benötigen als nur eine Waffe. Ein Reittier, wie dieses Asza, zum Beispiel. Glaubt mir, ohne ihren scharfen Sinne, wären wir hier draußen alle dem Tode geweiht.“

Als wäre es ein Signal für Skarr gewesen, hob das Asza den Kopf und sah aufgeregt hin und her, ehe es schließlich anhielt. Aufgeregt begann es klickende Geräusche von sich zu geben. Der Blick des Reittiers war gen Nordwesten fixiert, von wo sich eine Staubwolke rasch näherte.

Noch ehe Vargas fragen konnte, erklärte Khalish was geschah.

„Einer meiner Späher kehrt zurück. Dass er sich so schnell bewegt, gefällt mir ganz und gar nicht.“

Der Mensch gab seinem Reittier einen sanften Stoß in die Seiten und Skarr rannte los, in Richtung der Staubwolke. Die Klauen des Aszas versanken zu Vargas Verwunderung kaum in feinem Sand, so dass das Tier unerwartet schnell vorankam. Schon noch wenigen Augenblicken hatte das riesige Reptil eine beachtliche Strecke zurückgelegt und gab schrille Laute von sich, die von der anderen Staubwolke erwidert wurden.

Erst als beide Wolken einander erreicht hatten, erkannte Vargas das zweite Asza und dessen Reiter. Der Mensch trug ein ähnliches Gewand wie Khalish, wenn auch weniger verziert. Mit einer Verbeugung vom Rücken seines Aszas begrüßte er Khalish und nickte Vargas kurz zu. Beide erwiderten die Begrüßung.

„Was gibt es, dass dich so zur Eile treibt Ab’niehm?“

„Mein Kahn!“, antwortete der Reiter völlig außer Atem, als hätte er sein Asza getragen und nicht umgekehrt. „Ein Rotte Guhnas, ich schätze mindestens zweihundert, wenn nicht mehr. Sie lagern im Nordwesten, dort wo Ihr vor ein paar Tagen die Staubwolken aufsteigen gesehen habt. Wenn sie weiter in diese Richtung marschieren, werden sie uns heute Nacht erreichen.“

Khalish nickte dem anderen Mann anerkennend zu, der daraufhin zurück zur Siedlung ritt und wand sein Reittier ebenfalls zurück in Richtung Olisha’Kai.

„Ihr benötigt Eure Waffe früher als wir gedacht haben, Vargas.“, stellte der Mensch traurig fest und ließ Skarr zurück zur Ortschaft rennen.

I. Kapitel - Erinnerungen (4. Teil)

Kaum hatten sie die Ortschaft erreicht, erteilte Vargas Gastgeber Befehle. Der Begriff Kahn war also die Bezeichnung für einen Ortsvorsteher, Dorfältesten oder der Gleichen. Leider erklärten sich nicht alle Begriffe so einfach von selbst und der Sendbote wusste noch immer nicht, was ein Guhna war. Die Tatsache, dass sie sich jedoch zu großen Horden zusammen rotteten und von den Menschen gefürchtet wurden, ließ nur zwei Schlüsse zu. Entweder es waren extrem gefährliche Raubtiere, wie die unbekannten Wesen auf den Wänden aus Khalishs Haus oder…

„Verzeiht, aber was genau ist eigentlich ein Guhna?“, entfuhr es dem Halbgöttlichen, noch ehe er seinen Gedanken zu Ende geführt hatte.

„Die Guhna.“, begann der Mann zu erklären. „Sind ein Volk, deren Kultur von Gewalt geprägt ist. Sie fürchten weder die Stürme, noch die Kreaturen, die in den Dünenmeeren leben. Sie machen unentwegt Jagd auf alles Lebende, morden und brandschatzen, wo immer sie auftauchen. Bisher ist es nur wenigen gelungen, ihnen standzuhalten.“

„Das klingt als wären die Guhna Dämonen.“

Khalish begann lauthals zu lachen.

„Nein, nein. Seid versichert, sie sind keine Dämonen. Man kann sie ebenso töten, wie jedes andere Lebewesen. Auch wenn sie mit ihren hervorstehenden Hauern und ihren über sieben Fuß Körpergröße manchen schrecken mögen, gefährlich sind sie letztendlich nur in Horden.“

Vargas konnte nicht glauben, was er da gerade hörte, waren die Guhna etwa Orks, wie er sie aus Gartapos kannte? Erst als Khalish weiter von den ominösen Kreaturen berichtete und der Sendbote immer mehr Gemeinsamkeiten erkannte, wurde ihm bewusst, dass er am Abend zuvor Ork gegessen hatte. Übelkeit stieg in ihm auf und sein Magen schien sich zu einem Knäuel zusammen zu ziehen. Fassungslos legte der Sendbote eine Hand auf seinen Bauch, indem die gekochte Bestie scheinbar darauf brannte, sich zu befreien und Rache an ihm zu nehmen.

Lauthals musste Vargas sich schließlich übergeben. Die größtenteils unzerkauten Fleischbrocken fielen getränkt in einer übel riechenden grünlichen Flüssigkeit in den Wüstensand und sowohl Khalish, der noch immer von den Guhna erzählte, als auch sein Asza erschraken durch die unangenehme Unterbrechung. Sofort hielt der Mensch sein Reittier an und wand sich zu dem hinter ihm Sitzenden.

„Seid Ihr in Ordnung, Vargas?“

Als ob dies nicht schon offensichtlich genug war, hob der Sendbote abwehrend die Hand und schüttelte langsam das Haupt hin und her.

„Es geht schon wieder. Scheinbar ist mein Körper nur noch etwas ausgelaugt von der langen Reise.“

Der Mensch erkannte die offensichtliche Lüge und beschloss, dass es besser wäre das Thema vorerst ruhen zu lassen. Gemächlich ließ er Skarr durch die Siedlung traben. Die wenigen Menschen, denen sie unterwegs begegneten, wichen rasch aus und machten so dem Asza und seinem Reiter, vor dem sie sich eilig verbeugten, genügend Platz. Schweigend setzten sie ihren Weg fort bis Khalish das Tempo verlangsamte und Skarr schließlich zum Stehen kam.

„Hier ist es.“, erklärte er und deutete auf ein Haus, das Vargas nicht von den anderen unterscheiden konnte. „Dies ist unsere Waffenkammer, hier werden wir sicherlich eine Waffe für Euch finden.“

Elegant schwang sich der Mensch aus dem Sattel und der Sendbote folgte weitaus unsicherer. Gemeinsam betraten sie das Gebäude und gingen eine ähnliche Treppe hinab wie Vargas sie in Khalishs Haus benutzt hatte. Nur dass an dem Ende dieser Treppe schweren Eisenstäbe jegliches Weiterkommen oder unerwünschtes Eindringen unmöglich machten. Klimpernd zog der Mann ein Schlüsselbund aus seinem Gewand, suchte kurz nach dem passenden Schlüssel und entriegelte die Gittertür schließlich mit einem Klicken.

Der Raum dahinter wurde lediglich durch zwei Fackeln, die an einer Säule in der Mitte der Waffenkammer befestigt waren, erhellt. Wie scheinbar alle Gebäude in Olisha’Kai besaß auch dieses eine runde Grundfläche und ein gewölbte Decken. Nur die Schächte, durch die das Licht sonst hereinfiel, fehlten gänzlich. Dafür erkannte der Sendbote jedoch wieder die Wandmalereien unmittelbar unter der Decke. Diesmal schienen es Menschen zu sein, die gegen einander in die Schlacht zogen und während Vargas Blick langsam durch den gesamten Raum schweifte, unterbrach ihn Khalish.

„Sie führen einen ewigen Kampf um ihr Überleben. Selbst wenn sie einen Gegner besiegen, wartet bereits ein weiterer auf sie. Ihr Überlebenskampf hat erst ein Ende, wenn sie – wir - selbst den Tod finden.“

„Sehr eindrucksvoll.“, entgegnete der Halbgöttliche ehrlich mit einem Nicken.

Auch wenn die Malereien sehr schlicht waren, so enthielten sie doch eine eindeutige Botschaft und Vargas war sich sicher, dass auch die Malereien im Heim seines Gastgebers etwas zu bedeuten hatten. Noch während er darüber nachsann, räusperte sich der Mensch und unterbrach die Gedanken des Sendboten erneut.

„Wenn Euch unsere Kunst schon so beeindruckt, was haltet Ihr dann erst von unseren Waffen?“

Das Khalish das Wort Kunst in einem spöttischem Tonfall ausgesprochen hatte, war Vargas nicht entgangen und als der Sendbote die zahlreichen Waffen sah, die in ihren Ständern darauf warteten in der Schlacht getragen zu werden, verstand er. Die wahre Kunst dieser Menschen bestand nicht etwa in Wandmalereien sondern offensichtlich in der Herstellung von Krummsäbeln und - sehr zu Vargas Freude – exotischen Lanzen zu bestehen.

„Das.“, bestätige der Sendbote. „ist wirklich weit aus beeindruckender.“

Khalish lachte zufrieden.

Prüfend ging der Halbgöttliche an den Regalen entlang und suchte nach der richtigen Waffe für sich. Schon nach wenigen Augenblicken hatte er sich entschieden. Vor einer zehn Fuß langen Lanze blieb er stehen und fuhr prüfende mit der Hand über das vermeintliche Holz der Waffe. Skeptisch zog er eine Augenbraue hoch, als er feststellte, dass das Material definitiv kein Holz war. Was genau es jedoch war, wollte er nach all den bösen Überraschungen, die er allein in den letzten Stunden erlebt hatte, besser gar nicht wissen. Stattdessen inspizierte er die einen Fuß lange Metallspitze des Speers, von der rechts und links je ein fast genauso langer Widerhaken abging.

„Wie nennen sie Tshi-Tei. Nur wenige vermögen sie wirklich effektiv im Kampf zu führen und schon gar nicht vom Rücken eines Asza. Wenn Ihr wünscht, soll sie ein Geschenk an Euch sein.“

„Ihr seid sehr freundlich zu mir Khalish. Ich weiß gar nicht, wie ich Euch je für all das danken kann, was Ihr allein innerhalb eines Tages für mich getan habt.“ Zur Bestätigung seiner Worte verbeugte sich Vargas vor seinem Gastgeber und Lebensretter.

„Nein. Ihr müsst Euch nicht bei mir bedanken! Hier in der Wüste gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: Jedes Leben ist kostbar. Solange man etwas tun kann, um jemanden am Leben zu halten, tut man es auch. Wenn Euch nun diese Waffe vor Euren Feinden beschützt, habe ich nur dem Gesetz der Wüste gehorcht.“

Anerkennend nickte der Sendbote dem Menschen zu und zog die Waffe aus ihrer Halterung. Da er bereits seit Jahrhunderten mit Waffen dieser Art in die Schlacht zog, erkannte er sofort die Stärken und Schwächen der Waffe. Wollte er sie effektiv benutzen, musste er sein Körpergewicht weiter nach hinten verlagern als üblich, um so das Gewicht der Lanzenspitze auszubalancieren. Weiterhin sollte er besser nicht ausprobieren, wie stabil der Griff der Lanze war, indem er ihn zum Parieren nutzte. Stattdessen sollte er die Widerhaken des Tshi-Tei benutzen, um einen gegnerischen Schlag abzulenken oder den Gegner bestmöglich zu entwaffnen. Weiterhin boten die Eisendornen zahlreiche neue Angriffstaktiken, die Vargas bereits mental durchging.

„Diese Waffe ist hervorragend. Sie wird mir gute Dienste erweisen und mich stets daran erinnern, dass ich eine Schuld bei Euch zu begleichen habe.“

Khalish lächelte erneut und erst jetzt erkannte Vargas, welche barmherzige Aura doch von diesem Mann ausging. Es war kein Wunder, dass dieser Mensch Anführer des Dorfes geworden war. Mit seinem Charisma würde er wohl jeden in den Bann ziehen können und seine Männer würden ihm ohne zu zögern in die Schlacht folgen, denn sie wussten, dass sie ihm vertrauen konnten. Für einen Augenblick schien Vargas dieselbe Aura wahrnehmen zu können, wie er sich auch von Agento kannte, wenn dieser nicht in seiner unwirklichen Dämonengestalt gefangen war.

Khalishs Züge verschwammen immer mehr und als das Halbblut schließlich vor ihm stand, gaben Vargas Hände die gerade eben neu erhaltene Waffe frei, die daraufhin klirrend zu Boden fiel. Agento sah ihn verwirrt an und rief seinen Namen. Vargas? Vargas was ist mit dir?

„Agento, du bist hier! Wie kann das sein? Du…?“, voller Freude streckte der Sendbote seinem einstigen Schüler die Hände entgegen, der ihn darauf hin nur an den Schultern packte und leicht schüttelte. Agentos Abbild verschwamm erneut und schon wenig später sah Vargas wieder Khalish vor sich stehen, der ihn sanft an den Schultern gepackt hatte und seinen Namen rief.

„Seid Ihr in Ordnung, Vargas? Erkennt Ihr mich? Ich bin es Khalish!“

„Bitte verzeiht. Meine Augen haben mir einen fürchterlichen Streiche gespielt, wie mir scheint.“

Khalish hingegen schüttelte entschlossen den Kopf und nahm die Hände von den Schultern des Sendboten.

„Ich befürchte, dass Euer Verstand durch die Strahlen der Sonne Schaden genommen hat. Es sind nicht Eure Augen, sondern Euer Kopf, der Euch Streiche spielt. Vielleicht ist es besser, wenn Ihr Euch doch noch weiter ausruht und Ihr nicht…“

„Nein!“, widersprach der Halbgöttliche entschlossen. „Es ist nichts. Es geht mir gut. Ihr könnt Euch auf mich verlassen, ich werde euch beistehen, wenn ihr gegen die Guhna kämpfen werdet! So kann ich Euch wenigstens einen Teil von dem zurückgeben, was Ihr mir gegeben habt.“

Als Vargas sah, dass er seinen Lebensretter noch immer nicht überzeugt hatte, beschloss er ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

„Jedes Leben ist kostbar und indem ich mit Euch und Euren Kriegern kämpfe beschütze ich viele Leben vor einem grausamen Ende!“

Schließlich gab sich Khalish geschlagen.

„Nun gut. Aber zwingt mit nicht dazu, Euch mit dem Knauf meines Säbels ohnmächtig zu schlagen, wenn Ihr einen der Guhna wieder einmal für Euren Agento haltet.“

Vargas Blick wurde schlagartig ernst. Er hob den Speer vom Boden auf und sah dem Menschen dann tief in die Augen.

„Ich habe nicht das erste Mal seinen Namen genannt nicht wahr?“

„In der Tat. Letzte Nacht habt ihr unentwegt nach ihm gerufen. Wer ist dieser Mann, dass er euch so verrückt macht? Ein Zauberer? Ein Dämon? Ein Gott?“ Auch wenn Khalishs letzte Bemerkung nicht mehr als ein gut gemeinter Scherz sein sollte, entging ihm nicht, dass die Mine seines gegenüber vollkommen regungslos blieb. „Wollt Ihr mir etwa sagen, dass ihr von einem Gott heimgesucht werdet?“

„Nein.“, widersprach Vargas und wand seinen Blick von dem Menschen ab, um ihm nicht seine Trauer zu offenbaren. „Ich kämpfte Seite an Seite mit ihm, als er zu einem Gott wurde.“

Diesmal wich das sonst typische Lächeln von Khalishs Zügen einer ernsten Mine und Vargas erkannte dieselbe Neugier, wie er am Abend zu vor bei Khalish gespürt hatte.

„Es ist noch etwas Zeit, bis die Guhna angreifen.“, fuhr der Sendbote fort. „Wenn Ihr wünscht, werde ich Euch gern mehr von seinem Schicksal berichten.“

Ohne etwas zu erwidern, bedeute der neugierig gewordene Mensch Vargas die Waffenkammer zu verlassen, damit sie sich an einen anderen Ort für dieses Gespräch zurückziehen konnten.

I. Kapitel - Erinnerungen (5. Teil)

Kaum hatten sie ihre gewohnten Plätze auf dem Rücken Skarrs eingenommen, ließ Khalish das Asza auch schon lostraben. Der Weg zur Behausung des Menschen verlief ereignislos und die beiden wechselten unterwegs kein Wort. Eine gewisse Anspannung lag in der Luft. Nicht nur, da eine Gruppe von Guhnas schon sehr bald angreifen würde, auch würde der Sendbote nun zum ersten Mal mit jemanden über seinen einstigen Schüler und dessen Schicksal reden. Sollte ihn Khalish nicht gleich für einen Lügner halten, würde er ihn schlimmsten Falls für endgültig verrückt erklären. Wer würde schon glauben, dass ein Halbblut eine Göttin zu bezwingen vermag?

Aus der Anspannung heraus entwickelte sich Zweifel, ob der Sendbote tatsächlich die Wahrheit offenbaren sollte. Würde der Mensch eine Lüge sofort durchschauen und enttäuscht durch diesen Vertrauensbruch sein? Oder würde er eine mögliche Lüge sogar Glauben schenken? Doch was wenn Khalish eines Tages tatsächlich die Wahrheit erführe? Nein. Es war das einzig richtige dem freundlichen Mann die Wahrheit zu berichten, dies hatte er sich verdient.

Sollte er Vargas dennoch keinen Glauben schenken, so würde er zumindest einen Teil seiner Geschichte beweisen können, wenn er seinem Gastgeber die verkümmerten Flügel auf seinem Rücken offenbarte. Und Khalish war keineswegs ein dummer Mensch. Er würde Vargas vielleicht nicht alles glauben, doch einen Großteil. Erleichterung verdrängte die Unsicherheit des Sendboten ebenso schnell wie so gekommen war. Dies ist die richtige Entscheidung.

„Wir sind da.“, verkündete Khalish bereits wenig später und ließ Skarr anhalten.

Gemeinsam betraten sie das Gebäude, welches Vargas von außen vermutlich kaum wieder erkannt hatte. Das für die Behausung viel zu große Asza kauerte sich neben den Eingang und schien derweil Wache zu halten. Innerlich bewunderte der Sendbote die Fähigkeiten dieser Menschen. Nicht nur das sie derartig Bestien zähmen und zu unersetzbaren Verbündeten machten, sie verstanden es auch in einer Umgebung zu überleben, in der sonst kaum Leben existierte.

Dies war das Erbe der Menschen, einem Volk von Entdeckern, dem noch kein Weg zu weit, kein Berg zu hoch und keine Wüste zu trocken gewesen war. Überall fand man Siedlungen von Afras Kindern. Ihr Gott musste stolz auf sie sein, denn nicht nur dass sie in allen Regionen der Welt lebten, sie hatten auch als einziges der drei großen Völker das Zeitalter der Schatten überlebt, einer kurzen aber dafür umso verherenderen Ära.

Die Elfenhaine im Dreganwald waren von den Eisorks niedergebrannt und die letzte Zwergenfeste Dûragnur durch einen grauenhaften Verrat gefallen. Auch wenn es von beiden Völkern ohne Frage Überlebende gab, ihre Zivilisationen waren vernichtet. Vielleicht würden sie sich eines Tages von diesem brutalen Ereignis erholen, doch das vermochte derzeitig niemand zu sagen.

„Ich werde uns Tee kochen.“, riss Khalish den Sendboten aus seinen deprimierenden Gedanken.

„Tee?“, fragte Vargas verwundert.

„Eine in Wasser aufgekochte Kräutermischung, die…“

Vargas musste lachen.

„Keine Sorge, ich weiß, was Tee ist.“, erklärte der Halbgöttliche. „Ich war nur verwundert, dass euer Volk hier über derart seltenes Handelsgut verfügt.“

„Selten?“, entgegnete der nun lachende Mensch. „Ein paar Tagesreisen von hier gibt es gewaltige Plantagen, auf denen jährliche hunderte Wagenladungen geerntet werden. Die Oase von Si-Mirithal, ein Ort des Lebens im Reich der Stürme.“

Was Vargas so eben hörte, verblüffte ihn maßlos. Er hatte soeben erfahren, woher die Asabii eine ihrer wertvollsten Handelsressourcen erhielten. Zumindest nahm er dies an. Denn in ganz Gartapos gab es keinen Ort, an dem die seltenen Kräuter wuchsen und auch Versuche, die empfindlichen Pflanzen zu kultivieren, waren bislang gescheitert. So blieb es ein Monopol der Echsenmenschen, die als einzige mit den begehrten Kräutermischungen Handel trieben. Das verschlossene Volk musste also bereits seit Ewigkeiten von der Existenz Si-Mirithals und den Siedlungen hinter dem Dünnemeer gewusst haben.

„Raffinierte Kreaturen.“, entfuhr es Vargas hablaut.

„Verzeiht?“, erkundigte sich der Mensch sichtlich verwirrt, doch Vargas winkte nur ab und begab sich stattdessen zu den Kissen, welche um den seltsamen gläsernen Zylinder angeordnet waren.

Khalish bedeute ihm Platz zu nehmen, setzte auf einer Feuerstelle eine kleine Kanne wassergefüllte Kanne mit der duftenden Teemischung auf und begab sich dann wenig später zu seinem Gast.

„Ich bin sicher, wir beide haben eine Menge Fragen.“, eröffnete der Mensch das Gespräch. „Doch ich hoffe Ihr verzeiht mir, wenn ich entgegen jeder Höflichkeit zuerst die meinen stelle. Meine Neugier ist mein größter Fluch.“

Vargas sah den lächelnden Mann direkt in die Augen.

„Neugier ist ein großer Fluch, Khalish. Eines Tages werdet Ihr ihretwegen noch umkommen.“

„Dessen bin ich mir bewusst, doch ich fürchte den Tod nicht. Das Wissen ferner Länder hingegen fasziniert mich jedoch sehr.“, gab er noch immer lächelnd zurück.

„Ihr erinnert mich sehr an ihn.

„An Euren Agento?“, erkundigte sich Khalish, dessen Neugier ihn bereits voll gepackt hatte. „Erzählt mir von ihm, von den Ländern aus denen Ihr kommt und selbstverständlich von Euch.“

Mit einem kurzen Nicken bejahte Vargas und begann die Geschichte seiner langen Reise zu erzählen. Er erzählte, wie er einst auf die Erde Gartapos verbannt worden war, wie die Vampire sein Blut für ein finsteres Ritual missbrauchten und schließlich Opfer ihrer eigenen Geißel wurden. Er berichtete wie er dennoch von einem der ihren – Uron de Dragon - gerettet worden war und wie sie sich gemeinsam daran machten, das Leid zu vernichten, das die Blutgeister über die Sterblichen brachten. Er erzählte, wie es ihnen nach einer langen Reise endlich gelang die gequälten Seelen zu versiegeln.

Und er erzählte von Urons Sohn – Agento.

Er erzählte wie er den jungen verfluchten Halbvampir ausbildete, wie er ihn versuchte davor zu bewahren Opfer seines eigenen inneren Dämons zu werden und wie er schließlich durch seine unstillbare Neugier schreckliches Leid entfesselte. Er erzählte davon, wie sie gemeinsam mit Agentos Halbschwester aufbrauchen, um dieses Übel ein für alle mal zu vernichten. Er erzählte wie sie ihre Reise bis vor Lenui selbst führte und wie das Halbblut mit Hilfe des ihm auferlegten Fluches schließlich die Göttin der Finsternis bezwang.

Vargas versuchte sich in diesen langen Stunden der monologen Erzählens an jedes Detail seines jahrhundertelangen Lebens zu erinnern. Khalish saß ihm aufmerksam gegenüber und erhob sich nur ein einziges Mal, um sich und seinem Gast von dem Tee einzugießen, den jedoch keiner der beiden anrührte. Nach dem Vargas seiner Geschichte nichts mehr hinzuzufügen hatte, nippte er an seiner Tasse und kostete von dem bereits ausgekühlten Getränk. Auch nach dem er seine Wärme verloren hatte, schmeckte der Tee ausgesprochen gut nach zahlreichen exotischen Gewürzen, die Vargas Gaumen vollkommen fremd waren. Das süßliche Aroma erinnerte entfernt an Honig mit einem Schuss Minze.

Erst dann wagte es der erstaunte Khalish etwas zu sagen.

„Was Ihr da berichtet, klingt mehr als abenteuerlich und auch wenn ich geneigt bin, Euch und Euren Verstand endgültig für verloren zu erklären, so schenke ich Euch dennoch meinen Glauben. Ich weiß nicht warum, doch Ihr erweckt in mir großes Vertrauen, Vargas. Ihr habt keinen Grund mich zu belügen und nach dem, was Ihr mir gerade erzählt habt, beginnt Euer seltsames Verhalten der letzten Stunden durchaus Sinn zu ergeben.“

Der Sendbote nickte dem Mann dankend zu. Eine unbeschreibliche Erleichterung mischte sich mit seiner ohnehin größer werdenden Müdigkeit. Noch nie hatte er einem Sterblichen soviel über sich und sein langes Leben anvertraut. Doch am allerwenigsten hätte er erwartet, dass ein einfacher Mensch, ihm all die Abenteuer und all das Leid, wie man sie sonst nur aus großen Heldenepen kannte, wirklich glaubte.

„Ihr habt mein Beileid.“, fügte der Mensch nach einer kurzen Pause schließlich hinzu. „Euch ist viel Leid widerfahren und Ihr habt zahlreiche Freunde verloren.“

„Das Schicksal war selten gut zu mir, doch es scheint der Wille meiner Götter zu sein, mich auf die Probe zu stellen. Doch ich frage mich wofür.“

„Vielleicht werdet Ihr im Dünnenmeer eine Antwort auf Eure Fragen finden. Manchmal führt uns der Geist der Wüste nicht nur in eine tödliche Falle, sondern an einen lange ersehnten Ort.“

Gerade als der Sendbote etwas erwidern wollte, vernahmen die beide eine Stimme vom Eingang der Behausung.

„Mein Kahn!“, rief Ab’niehm. „Verzeiht die Störung, aber es wird Zeit! Die Sonne geht bereits unter und die Guhna werden sich schon bald formieren.“

Mit gebeugter Haltung betrat der Mensch das Haus seines Fürsten. Statt der einfachen Kleidung trug er eine kunstvoll verzierte dunkelbraune Lederrüstung und ein nachtschwarzes Gewand. Der Schwarze Turban und der Mundschutz in eben der gleichen Farbe machten deutlich, dass die Menschen versuchten soweit wie möglich mit der Dunkelheit zu verschmelzen und so auf den Rücken ihrer angsteinflößenden Reittiere Tod über die Guhna zu bringen. Keinen Moment lang zweifelte der Sendbote daran, dass ihnen das auch äußerst effektiv gelingen würde.

„Ich hab eurem Gast ebenfalls einen Harnisch beschaffen lassen.“, erklärte der Krieger weiter. „Ich hoffe sie entspricht Euren Ansprüchen, mein Herr.“

Als wäre dies ihr Stichwort gewesen, betraten zwei mit Schleiern verhüllte Frauen die Behausung. In Ihren Händen trugen sie eine meisterlich gefertigte nachtschwarze Lederrüstung, die mit schwarzen Metallstreifen und Nieten nicht nur verstärkt, sondern verziert worden war, wie Vargas bei genauerem Hinsehen feststellte. Die Metallteile der Rüstung formten ein Asza, das mit weit aufgerissenem Maul bereit war, jeden Feind in Stücke zu reißen.

I. Kapitel - Erinnerungen (6. Teil)

Vargas war gerade zu fassungslos mit welcher Gastfreundschaft ihm diese Menschen begegneten. Sicher kam er aus einem fernen Land und konnte den Einheimischen die fantastischsten Geschichten erzählen, dennoch hatte er dieses Verhalten noch bei keinem anderen Menschenvolk beobachtet. Während sich die meisten stets darum bemühten ihr eigenes Leben zu erhalten und ihren eigenen Wohlstand zu verbessern, so teilte dieses Volk alles mit ihm. Nicht nur kostbare Nahrung und Wasser, sondern auch Waffen und Rüstungen.

Während sich Khalish mit der Hilfe Ab’niehms daran machte, seine eigene Lederrüstung anzulegen, wurde Vargas von den beiden Frauen geholfen. Sie öffneten die kleinen fein gearbeiteten Metallschnallen an einer Seite des Harnischs, so dass der Halbgöttliche problemlos die Rüstung anlegen konnte. Mit ausgestreckten Armen stand er da, während die beiden Frauen die Schnallen wieder verschlossen und seinem Torso anpassten.

Erstaunlicher Weise saß die fremde Rüstung geradezu perfekt und Vargas spürte ihr geringes Gewicht kaum. Seine beiden Helferin, traten mit geneigtem Haupt und vor dem Bauch gefalteten Händen zurück und der Sendbote, vollführte einige prüfenden Bewegungen. Zufrieden stellte er fest, dass der Harnisch nicht nur leicht war, sondern ihn auch in keinster Weise beeinträchtigte. Ein perfektes Stück.

Geschützt durch diese einfache Rüstung fühlte er sich seltsamer Weise ebenso sicher, wie in seiner alten Plattenrüstung, die er in Karintei gegen Wasser eingetauscht hatte, bevor er sich gen Osten aufgemacht hatte. Auch wenn die Vollrüstung aus dem unbekannten silbernen Material ein ganzes Königreich wert gewesen wäre, in der Wüste hätte sie ihn sehr wahrscheinlich nur unnötig belastet. Der einfache Kaufmann, mit dem er diesen ungewöhnlichen Tausch begangen hatte, was zunächst davon ausgegangen, dass er von dem Sendboten entweder betrogen wurde oder es sich um einen üblen Scherz handelte. Vargas konnte ihn letztendlich dadurch überzeugen, dass er die einzelnen Rüstungsteile komplett ablegte und dem Menschen übergab, so dass er sie testen konnte. Als der einfache Hammer schließlich am Brustpanzer der Rüstung zersplitterte, hatte sich der freudig erregte Mensch sofort daran gemacht seinem Kunden so viele Wasserschläuche zu bringen, wie er nur tragen konnte. Er muss mich für einen Schwachsinnigen gehalten haben. Entschied der Sendbote. Doch es war gut so. An der Rüstung hingen ohnehin zu viele Erinnerungen, die ihn nur zusätzlich zu ihrem eigenen Gewicht belastet hätten.

Während Vargas seinen Gedanken nachhing, legte sich Khalish weitere Rüstungsteile an. Einfache mit Metallbeschlagene Beinschienen und Armschoner, sowie einen mit Nieten verstärkten Waffenrock. Als der Mensch seine gesamte Rüstung angelegt hatte, wirkte er wie ein eindrucksvoller Kriegsherr.

„Es ist soweit, Vargas.“, riss ihn der Mensch schließlich aus seinen Gedanken. „Ich bete zum Geist der Wüste, dass wir alle diese Nacht überleben mögen!“

„Die Götter sind mit den Tapferen.“, zitierte Vargas ein altes Sprichwort und legte seinem Gastgeber beruhigend die Hand auf die Schulter.

„Dies ist das Reich des Wüstengeistes, Vargas.“, widersprach Khalish ruhig. „Wenn uns jemand beistehen möge, dann er.“

Auf Vargas Nicken hin, reichte ihm der Mensch ein schwarzes Stofftuch.

„Ihr solltet das hier tragen. Es wird ohne Frage viel Sand aufgewirbelt werden und ein einfaches Tuch kann Euch davor bewahren vom trockenen Wüstenboden zu kosten.“

Dankend empfing Vargas das Stofftuch und band es sich vor Mund und Nase. Khalish und Ab’niehm taten es ihm gleich, nahmen ihre Waffen und begaben sich zum Ausgang der unterirdischen Behausung. Vargas nahm ebenfalls seine exotische Lanze vom Boden und folgte den beiden die kurze Treppe hinauf zu Oberfläche.

Was er dann sah, war ebenso erstaunend wie Respekt einflößend. Im Schein der untergehenden Sonne hatte sich eine kleine Streitmacht von über einem Dutzend Asza versammelt, auf deren Rücken je zwei vermummte Krieger Platz fanden. Während stets einer von ihnen mit einem Bogen bewaffnet war, konzentrierte sich der zweite darauf, das Asza durch die Reihen des Feindes zu steuern. Zusätzlich trug jeder der Menschen einen Krummsäbel an der Hüfte. Noch nie hatte der Sendbote ein solches Heer gesehen. Es waren nicht viele, doch dafür umso tödlicher. Vargas begann sich bereits auszumalen, wie die Bogenschützen trotz der nächtlichen Dunkelheit präzise Pfeile abschossen und die Asza selbst mit ihren scharfen Klauen und Zähnen unter den Guhnas wüteten. Das Bild war erschreckend und schon bald würde es real werden.

„Ihr werdet mit mir und Skarr reiten. Versucht Euch gut festzuhalten und unsere Feinde im Lauf mit dem Tshi-Tei zu verwunden.“, ordnete der Khan an. „Wenn ihr aus dem Sattel fallt, haltet Euch von den Asza fern, sonst könntet Ihr trotz unserer Wachsamkeit schwer verwundet werden!“

Der Gedanken von einem der echsenartigen Reittiere zerfleisch zu werden missfiel dem Sendboten sehr, sodass er Khalish mit einem einfachen Nicken sein Verständnis bestätigte. Daraufhin begaben sich der Menschenfürst, Ab’niehm und Vargas zu ihren Reittieren, die ihre Herren mit glücklich klingenden Klickgeräuschen empfingen.

Khalish erteilte unverzüglich Befehle. Er wies seine Leute an, sich in drei Gruppen aufzuteilen, je zwei Asza würden ihre Flanke schützen und in der Mitte der Formation würde die Hauptstreitmacht aus acht Asza über der Gegner herfallen. Sollte sich der Feind zurückziehen, würden die insgesamt acht Krieger an den Flanken die Flüchtenden einkesseln, sodass es kein Entkommen gab.

Dann setzte sich die Truppe in Bewegung. Von nun an vernahm Vargas kein einziges Wort mehr, selbst die gewaltigen Reittiere schwiegen und ihre Schritte versanken geräuschlos im Sand. Er selbst schwieg ebenfalls und als die Kühle der Nacht einsetzte, begann die nächtliche Wüste mit ihren geisterhaften Kriegern geradezu gespenstisch zu wirken. Es stand außer Frage, dass die Krieger Khalishs erfahrene Männer waren und sich nicht zum ersten Mal inmitten der Nacht gegen eine feindliche Übermacht ausrückten.

Mittlerweile erkannte der Sendbote kaum mehr die Hand vor Augen und als er zum sternenklaren Himmel spähte erkannte er warum. Neumond. Sofern der Feind nicht mit einem Gegenangriff rechnete, würden sie ihn komplett überrumpeln und jegliche verzweifelte Gegenwehr würde innerhalb weniger Augenblicke zum Erliegen gebracht werden. Diese Vorstellung eines raschen Sieges gefiel Vargas ausgesprochen gut. Ihm war nicht danach zu kämpfen, er wollte die Zeit des Kriegers hinter sich lassen. Doch es schien als würde ihn die ungewollte Vergangenheit schneller einholen als ihm lieb war.

Abrupt stoppten die Asza und bei dem spontanen Geschwindigkeitsverlust drohte Vargas nicht nur aus dem Sattel zu fallen, sondern sogar die wertvolle Waffe zu verlieren. Beides konnte er jedoch durch geschicktes Verlagern seines Körpergewichtes abwenden.

„Warum halten wir?“, flüsterte der Überraschte.

Khalish bedeutete ihm jedoch zu Schweigen und deutete in die Dunkelheit. Erst als Vargas genauer hinsah, erkannte er inmitten der Dunkelheit eine einzige über zehn Fuß hohe Gestalt. Womöglich ein Späher. Entschied er und wartete darauf, wie die Reiter reagieren würden. Anstatt einen einzelnen gezielten Schuss abzugeben, wies der Khan seine Reiter mit Handzeichen zu einem frontalen Angriff an.

Erst als Vargas die Entscheidung genauer überdachte, verstand er warum. Würde der Erschossene lautstark zu Boden gehen oder sogar noch in der Lage sein, die restliche Horde zu warnen, wäre ihr entscheidender Vorteil – das Überraschungsmoment – verloren und die Guhna hätten zumindest etwas Zeit, sich zu formieren. So vertrauten die erfahrenen Krieger auf ihre Fähigkeit sich leise zu bewegen und würden den einzelnen Feind hoffentlich niederstrecken können ohne das dieser Zeit hatte zu reagieren.

Als die Reiter ihr Ziel schließlich fast erreicht hatten, erwachte das bis dahin völlig regungslos gebliebene Scheusal zum Leben und blies in ein einfaches Horn. Der schmetternde Schall erfüllte die Nacht wie ein Donnerschlag und bevor die Menschen realisieren konnten, dass sie entdeck wurden waren und ihr Überfall gescheitert war, gingen bereits die ersten Asza zu Boden.

Wie aus dem Nichts spannten sich urplötzlich Eisenketten über dem sandigen Boden und brachten die gewaltigen Echsen samt Reiter zu Fall. Noch bevor diese auch nur die Gelegenheit hatten, sich wieder aufzurichten, wurden gewaltige mit Eisen verstärkte Netze über die Gefallenen geworfen, so dass es kein Entkommen mehr gab. Überall gingen weiter Krieger zu Boden und aus den Dünen erhoben sich muskulöse Krieger mit hervorstehenden Hauern und spitz zu laufenden Ohren.

Bewaffnet mit langen Piken umstellten sie die bereits Gefangenen und brüllten siegessicher. Bisher hatten Vargas und Khalish Glück gehabt. Skarr hatte die Falle rechtzeitig bemerkt und war einer gespannten Kette und dem nach ihm geworfenen Netz gekonnt ausgewichen. Doch nun wurde das letzte noch aufrecht stehende Asza von allen Seiten eingeschlossen. Die orkähnlichen Geschöpfe brüllten lauthals Geräusche, die entfernt an die Sprache der Orks - wie sie der Sendbote aus Gartapos kannte – erinnerten.

Immer mehr Krieger erhoben sich mit gezogenen Waffen aus den Dünen und umrundeten die Menschenkrieger, die verzweifelt versuchten, sich aus ihren Gefängnissen zu befreien. Auch für den Halbgöttlichen und den Kahn Olisha’Kais schien die Lage ausweglos. Unbeeindruckt von dem fauchenden und um sich schnappenden Skarr, senkten die Guhna ihre Lanzen immer tiefer und waren jederzeit bereit, sowohl die beiden Reiter als auch ihr Reittier aufzuspießen.

Doch sie zögerten.

Genau wie überall! Erst jetzt erkannte Vargas, dass noch kein Mensch oder eine der gewaltigen Echsen getötet oder ernsthaft verletzt worden war. Die fremden Scheusale beschränkten sich darauf, ihre Feinde in den schweren Netzen gefangen zu halten und mit ihren langen Piken in die Schranken zu weisen. Was ging hier nur vor? Noch nie hatte der Sendbote Orks – oder ähnliche Geschöpfe – gesehen, die so organisiert und zurückhaltend kämpften. Dies sind wahrlich andere Wesen.

Während die beiden Eingekreisten nach allen Seiten spähten, um eine mögliche Schwachstelle in dem Wald aus Speeren zu finden, lichtete sich die Formation an einer Stelle. Gerade in dem Moment als Khalish Skarr dazu antreiben wollte durchzubrechen, schob sich ein beeindruckender Krieger durch die Reihen seiner Lanzenträger, die daraufhin unverzüglich wieder die Formation schlossen.

Es war derselbe Guhna, der mit seinem Hornsignal die Niederlage beschlossen hatte. Sein muskulöser Körper war durch eine schwarze Eisenrüstung geschützt, die an den Schultern und auf der Brustplatte über lange und zweifelsfrei tödliche Dornen verfügte. Weiterhin war der offensichtliche Anführer der Horde durch Metallarmschienen und Knieschoner, sowie ein paar eiserne Stiefle geschützt. An jedem der Rüstungsteile konnte der Sendbote weitere Dornen ausmachen, die den Guhna selbst ohne sein imposantes Zweihandschwert, welches noch immer unbenutzt in der Scheide auf seinem Rücken geschnallt ruhte, zu einer brutalen Waffe machten. Einen Helm trug er im Gegensatz zu den meisten seiner Krieger, die durch ähnliche Rüstungen geschützt waren, nicht, sodass, die langen dunklen Haare zu einem Zopf geflochten im sanften Wind der Nacht wehten. Der Körper des Humanoiden war über und über mit Narben bedeckt, eine Tatsache die von einem langen und erfolgreichen Leben als Krieger zeugte.

Vargas empfand unvermittelt Ehrfurcht vor diesem fremde Wesen. Nicht nur, dass er ohne Frage ein beeindruckender Gegner war, es musste über einen ausgesprochen hohes Maß an Intelligenz verfügen oder zumindest ein strategisches und taktisches Genie sein.

Schnaubend musterte der Krieger die beiden.

„Wir sind nicht gekommen, um gegen euch zu kämpfen Menschen.“, donnerte die kräftige Stimme des Guhnas fast ebenso stark durch die Nacht wie sein Horn. „Wir kommen wegen des Ilédain.

Wieder einmal verstand der Sendbote nicht. Was war ein Ilédain? Khalish hingegen antwortete unverzüglich.

„Ihr müsst Narren sein, wenn ihr an eine alte Legende wie diese glaubt. Wenn ihr nicht vorhabt uns zu töten, dann lasst uns ziehen und verlasst unsere Lande!“

Der Guhna schnaubte und Vargas konnte nicht beurteilen, ob er dies aus Zorn oder Spott tat.

„Ihr seid der Narr, Mensch!“, lachte der Ork schließlich lauthals und Vargas erkannte, dass der Blick des Kriegers beängstigender Weise genau auf ihn gerichtet war. „Schließlich begleitet Euch der Ilédain!“

Als der Krieger nun auch noch mit ausgestrecktem Finger auf den Sendboten deutete, verstand dieser die Welt nicht mehr. War es nun gut oder schlecht etwas zu sein, von dem er zuvor noch nie gehört hatte? Nach kurzer Überlegung entschied er sich dafür, dass es durchaus gut war, denn schließlich hatte man ihrer aller Leben dafür verschont.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (15)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sotar
2009-06-26T15:16:18+00:00 26.06.2009 17:16
jo whatever^^
besorg dir aber ma nen korrekturleser ;) du hast an einigen stellen buchstaben vergessen, vertauscht, etc.
ansonsten is es aber ok
Von: abgemeldet
2009-06-15T18:18:24+00:00 15.06.2009 20:18
Die gleiche Frage plagt mich auch^^
Mal sehn vllt ist Vargas ja so was wie ein Retter...
Freu mich schon aufs nächste Kappi

Lg Lokihasser
Von: abgemeldet
2009-06-13T14:07:18+00:00 13.06.2009 16:07
Das mit den Zwergen hört sich an wie aus dem Buch
"Das Schicksal der Zwerge"^^
Ich fand das Kappi an sich doch etwas kurz, aber ich vestehe
warum du hier einen Stop eigelegt hast XD
Freu mich schon aufs nächste Kappi

Lg Lokihasser
Von:  Sotar
2009-06-13T12:43:42+00:00 13.06.2009 14:43
erster^^
jo is ganz ok auch wenn ich nicht wissen will wie das nach dem langen reden mit halsschmerzen aussieht ;)
Von: abgemeldet
2009-06-08T19:45:33+00:00 08.06.2009 21:45
Dein Schreibstil ist aussergewöhnlich gut und deine Vorstellungen und Beschreibungen sind echt fantastisch. Wennw ir beide zusammen arbeiten würde - du Auge fürs Detail und ich nur Augen für die Story - würden wir ein Dreamteam bilden .. abbbbbeeerrrr schrieb noch weiter sonst hab ich nix zum lesen zack zack ;)
Von:  Sotar
2009-06-08T19:22:52+00:00 08.06.2009 21:22
oh ja, infos über den kampf gegen die göttin und über agento *.*
aber *würg* ich fühle mit dem armen vagas, wa er da essen muss *würg*
ansonsten wieder sehr nice^^
Von:  Sotar
2009-06-07T20:16:32+00:00 07.06.2009 22:16
uih da bahnt sich wohl ein kampf an ^.^
sehr interessant, von den schreibfehlern wie immer abgesehen ;)
Von: abgemeldet
2009-06-06T14:25:33+00:00 06.06.2009 16:25
Das wird ja immer besser^^
Freu mich schon aufs nächste Kappi

Lg Lokihasser
Von: abgemeldet
2009-06-03T14:03:12+00:00 03.06.2009 16:03
Hihi weiter so!! Jetzt geht es ja richtig flott voran^^
Freu mich schon aufs nächste Kappi

Lg Lokihasser
Von: abgemeldet
2009-06-02T16:56:31+00:00 02.06.2009 18:56
Hoffentlich kann man das Problem mit den Schwingen reparieren^^
Das hat er nicht verdient!!! Hoffentlich werden die Ungereimtheiten
in Sachen Verständigung bald ausgeräumt XD
Freu mich schon aufs nächste Kappi

Lg Lokihasser


Zurück