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Ajax - Victis Romanis

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Kapitel 13: Verteidigungslinie!

Kapitel 13: Verteidigungslinie!
 

Victis Romanis, Bacheingang (acht Stunden, neunundvierzig Minuten bis Eintreffen von BC-304 USS Daedalus über Lantea)

Den beiden M249SAWs, die leichten Maschinengewehre, die die erste Verteidigungslinie bildeten, ging rapide die Munition aus – und die Kugeln, die meisten trafen, prallten einfach nutzlos an den Panzerungen der Azraels ab. Diese ihrerseits hatten begonnen mit unerschrockener Präzision auf die kleinen Sandsackstellungen zu schießen, die die beiden Maschinengewehre beherbergten.

Das erste, was dem vorpreschenden Sheppard dazu einfiel war, dass es sich um Unterdrückungsfeuer handelte – es diente schlicht dazu, dass die Erdsoldaten ihre Köpfe unten hielten; etwas, was nicht so ganz funktionierte. Die Soldaten ließen sich nicht unterkriegen.

Vor Sheppard waren Schulz und Hochstätter gerannt, beide waren hinter die Sandsäcke gesprungen. Sheppard warf sich zwischen die beiden Deutschen und wurde Zeuge, wie sie die erste Sturmgewehrsalve abgaben – auch sie erwies sich als nutzlos, Querschläger durchzuckten den Gang, ebenso die beiden leeren Magazine der Deutschen, die sie als Wurfgeschosse einsetzten. Sie prallten nutzlos an der Brustpanzerung ab.

Die beiden Gebirgsjäger warfen sich zurück zum Colonel, der inzwischen, wie alle anderen, angekommen war, neben ihnen ratterten immer noch die MGs – keiner der Schützen oder Munitionsträger dachte auch nur daran, sich hinter die Sandsäcke zu ducken – während die Sturmgewehre nachgeladen wurden. Krachend wurden die Schlitten zurückgezogen, Munitionsspeicher in die Gewehre gesteckt und sofort verschossen.

Auch Sheppard schloss sich dem an, doch er merkte schnell, dass sie definitiv schwerere Geschütze brauchten. Deshalb nahm er sich Hochstätter beiseite und erklärte ihm den Plan: „Captain, wir brauchen die Brownings. Ich möchte sie nur ungern nach vorne verlegen, also gilt die Divise 'Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, kommt der Berg eben zum Propheten'. Verstehen sie, was ich meine?“

„Erstens, es heißt 'Hauptmann', Lieutenant Colonel, Sir, und Zweitens: Ich bin Deutscher, wir ziehen uns nicht zurück!“, stellte er schauspielernd wütend fest und fuhr gerade, als Sheppard das Gespräch wieder an sich reißen wollte, schmunzelnd fort: „Aber ich denke, es wird Zeit für eine kleine Frontbegradigung...“

Sheppard hatte zwar keine Ahnung, was genau diese Bezeichnung für seinen Plan sollte – er hielt es für ein taktisch kluges Vorrücken nach hinten – aber er ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen stellte er die eine Frage, von der alles abhing: „Und wie hatten sie das vor?“

Der deutsche Offizier wendete auf Deutsch sich an seinen Gebirgsjäger-Kameraden: „Schulzi... Panzerfäuste.“ Nachdem dieser bestätigt hatte und anfing, sich an seinem Rucksack schaffen zu machen, erklärte Hochstätter dem leicht verwirrten Colonel: „Wissen sie, es gibt in der Bundeswehr einen kleinen Reim, den jeder von uns kennt.“ Der Bayer reichte ihm eine Panzerfaust, zusammen mit einem Flugkörper, beides noch nicht entsprechend aneinander. „Es ist kein Mensch...“

Schulz führte ihn fort: „...es ist kein Tier...“ Mit einer kurzen Bewegung wurden beide Stücke miteinander Verbunden, das Abstandsrohr ausgefahren und die Zielvorrichtung aufgeklappt.

„...ES IST EIN PANZERGRENADIER!“, brüllten beide aus vollem Halse und warfen sich mit den geladenen Panzerabwehrwaffen auf die Sandsäcke, zielten kurz und schossen.

Sheppard fühlte sich, als würde ihm bald der Kopf abgerissen, als der Gasstrahl aus der Rückseite der Panzerfäuste austrat und fast einen halben Meter vor seinem Gesicht entlangzischte – die Geschosse gemäß der Impulswirkung in die genau entgegengesetzte. Der Colonel hörte nur die Treibladung donnern, wenn auch nur schwach, denn er hatte sich die Finger in die Ohren gesteckt und die Augen zugekniffen.

Was er dafür aber umso lauter hörte, als er die Finger aus den Ohren nahm, war das Jubelgeschrei seiner Männer. Anscheinend waren die Hundertschaften von Kugeln, die sie verschossen hatten, doch nicht ganz nutzlos gewesen – sie hatten zumindest die Panzerungen angekratzt und dafür bereit gemacht, dass die Hohlladungen der RPG-Flugkörper der Panzerfäuste nicht nur direkt in den Robotern wirken konnten, sondern auch umso stärker nach hinten wirken konnten.

Die beiden Einheiten, die dahinter gestanden hatten, waren ebenfalls komplett zerfetzt, von den beiden in der ersten Linie existierten nur noch Schrapnells, die den Menschen von der Erde um die Ohren sausten, aber niemanden verletzten.

Hochstätter lachte. „Deutsche Panzerfäuste – die Dinger haben bei uns Tradition!“

„Rückzug, wir gehen zu den Brownings – ich hab so das Gefühl, dass wir schwerere Kaliber brauchen...“, befahl Sheppard während er die Deutschen kategorisch ignorierte. „Packt alles zusammen!“

Zwei Marines überwachten zehn Minuten lang mit improvisierten Spiegeln die kleine, notdürftige Treppe – man wollte nicht riskieren, dass sie unangemeldeten und bösen Besuch bekamen. Im Gang weiter hinter vergrößerte man die Sandsackstellungen und tauschte die kleineren M249er gegen die großen Browning-Kaliber .50 aus, die mit ihren Geschossen des Kalibers 12,7 mal 99 Millimeter sicher mehr gegen die feindlichen Roboter ausrichten konnten.

Sie hatten den Plan nach der Idee von Captain Montgomery, dem britischen Royal Marine, geändert. Zwar musste man nun die massive Sandsackmauer übersteigen, um auf die andere Seite zu kommen, im Gegenzug aber war sie so dick, dass sie eine massive Deckung bot.

Sie waren inzwischen auch dazu übergegangen, alle Raketen- und RPG-Werfer, die sie hatten, zu laden und gesichert hinter die Mauer zu legen, die einem erwachsenen Mann ungefähr bis zum Zwerchfell ging. Dort lagen nun genau acht Werfer auf ihren Einsatz. Der dafür zuständige Soldat, ein Marine der achtzehn Division, hatte zudem nach Rücksprache mit Sheppard die Projektile an den Wänden gleichmäßig verteilt auf Stapeln zu verteilen.

Als dann die beiden Brownings mit ihren Munitionsträgern und den Schützen kamen und ihre gewaltigen Gewehre samt Dreibein auf die Mauer stellten, waren sie fertig. Mit einem Ruf holte der Colonel seine beiden Beobachter zurück, die mit spielerischer Leichtigkeit über ihre Verteidigung sprangen.

Doch die Verteidiger ließen sich nicht entmutigen. Sie wussten, dass so manches SG-Team sie um ihre Verteidigungslinie beneidet hätte – ebenso wie jeder Soldat des Ersten Weltkrieges, der in 'Schützengräben' genannten Schlammlöchern sein Dasein hatte fristen müssen.

Von allen unbemerkt steckte eine amerikanische Ärztin mit ziemlich traurigem Gesicht Colonel Sheppard einen Zettel zu, den er sofort las. Auch seine Miene verfinsterte sich leicht, doch er faltete den Zettel ordentlich zusammen und empfing von Doktor Keller eine kleine Metallplatte.

Sofort wusste jeder Soldat, der die Szene beobachtet hatte, dass Captain Iwan Chreschko seinen Verletzungen erlegen war. Der Colonel sich jedoch behielt für all jene, die es nicht mitbekommen hatten, das Recht vor, ihnen den Tod ihres Kameraden zu verkünden.

„Gerade eben ist ein weiterer Teilnehmer dieser Expedition verstorben.“, sagte er an seine Soldaten gewandt. Keller stand neben ihm und hörte ihm wie alle anderen andächtig zu. „Langsam reicht es mir mit diesen schlechten B1-Verschnitten – Machen wir ihnen die Hölle heiß!“

Die Soldaten antworteten mit Schweigen. Bis Montgomery, der den Russen schon länger kannte, meinte: „Also dann, die alte Suffkuttel ist tot – Lasst uns ein würdiges Feuerwerk für ihn abfahren!“

Die meisten Soldaten nickten und gingen an ihre Gewehre – keine Sekunde zu früh, denn in genau diesem Moment eröffnete der erste von acht Azraels das Unterdrückungsfeuer, während drei versuchten vorzustoßen. Die Brownings begannen schnell zu arbeiten, sie spuckten Tod und Vernichtung – in diesem Falle eigentlich nur Vernichtung.

Ihre Munition – panzerbrechende Geschosse – zeigte Wirkung, einer derer, die sie unterdrücken wollte, wurde regelrecht von den beiden Maschinengewehren zerrissen. Die Nahkämpfer rückten weiter vor, wenn auch langsamer. Die Brownings schwenkten um und zerrissen einen nach dem anderen, unterstützt von einzelnen Sturmgewehren, Maschinenpistolen und leichten MGs.

Langsam aber sicher wurden die Roboter immer langsamer bis der erste – er hatte noch keinen Treffer erhalten – einfach zusammenbrach, gleichzeitig mit allen anderen.

Der erste der Nahkämpfer hatte es inzwischen sogar auf die Sandsäcke geschafft, jedoch einige Treffer einstecken müssen und sein Schwert direkt auf Doktor Keller gerichtet, als er einfach ohne erkennbaren Grund zusammenbrach und sein Schwert in dem Sandsack zu ihren Füßen versenkte.

Es herrschte kurzzeitig Ratlosigkeit unter den Erdsoldaten. Dann meinte Colonel Sheppard lächelnd: „Rodney...“
 

Victis Romanis, Basislager, etwa gleicher Zeitpunkt

Während viele der unverletzten Erdsoldaten am Bacheingang kämpften, mussten sich Major Lorne und Praefectus Castrorum Demetrius mit den Bodentruppen der Antikerflotte begnügen – wobei 'begnügen' ein sehr relativer Begriff war.

Lorne hatte noch nie so gute Schützen auf einem Haufen gesehen wie die Antiker. Bei ihnen schien die Divise 'Ein Schuss, ein Treffer' mehr zu gelten als die Vorschriften. Doch auch die zwölf Soldaten der Erde, die zusammen mit Lorne das Sanitätszelt sicherten, waren alles andere als Rohrkrepierer – sie hielten schon seit Stunden fast ohne Deckung durch und verteidigten verbissen das Zelt, in welchem die Verwundeten notdürftig versorgt wurden.

Lorne lud malwieder nach, als ihm auffiel, dass der Sturmangriff ins Stocken geraten war, die Roboter langsam stehen blieben und langsam zusammenbrachen.

Unter den Soldaten brach Jubel aus – für sehr, sehr viele war es nicht das erste Mal, dass sie dem Tod von der Schippe gesprungen waren, nicht nur für die Soldaten der Ajax. Der Erste Offizier eben dieser kam zum Major und hielt ihm die Hand hin. „Ich dachte zeitweise, dass wir das nicht überleben...“, meinte Demetrius, während sie sich die Hände schüttelten.

„Ich ebenfalls, Sir.“, antwortete der Amerikaner und lächelte, als er bemerkte, dass Sergeant Nasarova, ein kleines russisches Energiebündel von einer Frau, nacheinander jedem Soldaten um den Hals fiel, den sie erwischen konnte.

Demetrius schnaubte neben ihm belustigt, als auch er sich der jungen Frau zuwandte. „Nennen sie mich Demetrius, Major. Wir sind etwa gleichrangig.“

„Evan.“, antwortete er und sie gaben sich noch einmal die Hand – beiden war klar, dass sie in diesem Moment eine Allianz schlossen, eine, die für die Ewigkeit gedacht war.
 

Lantea, Atlantis, ein Gang auf dem Weg zum Westpier (30 Minuten bis Eintreffen von BC-304 USS Daedalus über Lantea)

Doktor Elisabeth Weir mochte in solchen Situationen ihren Job nicht.

Sie war schon seit Stunden auf dem Weg zum Westpier, hatte Hunger, war müde und konnte keinen der 'Fahrstühle' benutzen, weil die Notfallprotokolle allem und jedem den Saft abdrehten. Sie selbst hatte damals, vor langer, langer Zeit in dieser über drei Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis zusammen mit Sergeant Bates, Colonel Sheppard, Doktor Zelenka und Doktor McKay diese Sicherheitsprotokolle ausgearbeitet.

Sie sahne auch einige Vorschriften für besondere Notfälle vor – zum Beispiel wenn der Kaffee alle war. Die Divise war: „Ladet ein Wraith-Basisschiff ein, sagt McKay, dass es darauf Kaffee gibt und beobachtet das Feuerwerk.“ Das war einer der humorvollsten Momente mit Bates gewesen – er schlug es auch gleichzeitig als Verfahren gegen einen Wraith-Angriff vor.

Leider hatten sie zu Beginn der Belagerung am Ende ihres ersten Jahres auf Atlantis noch zu viel Kaffee gehabt, um das Notfallprotokoll ROK – Rodney ohne Kaffee – auszulösen.

Jedenfalls sahen die Protokolle vor, dass die Kommandoebene der Stadt – sollte sie anwesend und lebendig sein – sich zu dem Notfallfunkraum begeben sollte. Bei diesem Raum würde genug Ausrüstung warten, damit man sicher sein konnte, zu überleben, bis der selbst ernannte Sir Lancelot auf seinem grauen Air Force-Schlachtross Daedalus eintreffen würde – oder das, was er als weißen Schimmel zu benutzen pflegte: den Asgard-Transporter.

Dafür musste aber erst jemand zum tapferen Recken funken.

Und da die Anflugprotokolle der Daedalus vorsahen, dass sie etwa fünf Lichtminuten von Atlantis entfernt einen Zwischenstopp einlegen sollten, bei dem sie etwa fünf Minuten auf ein Funkfeuer warten sollten, welches ihnen die Situation schilderte. Ein Hochfrequenzleuchtfeuer für 'Alles in Butter', ein SOS-Leuchtfeuer für 'HILFE!!!' und ein Leuchtfeuer im Takt des berühmten imperialen Marsches für 'Werden angegriffen!'. Das ausbleiben dieses Signals war aber auch schon vorgekommen – und es bedeutete schlicht nichts.

Doktor Weir hoffte inständig, dass Caldwell seinem Misstrauen und seiner Vorsicht gerecht wurde und Alarmbereitschaft für die Daedalus ausrief. Aber sie würde trotzdem noch weiter den kleinen Funkraum suchen – sicher war nunmal sicher.

Aber zur Sicherheit war der Raum gut verborgen am Westpier – und es war schon sehr lange her, seit die Diplomatin ihn das letzte mal aufgesucht hatte. Es war vor einer Ewigkeit gewesen, lange bevor die Replikatoren sie 'assimiliert' hatten.

Sie schüttelte das Gefühl der Nostalgie ab, als ihr Magen knurrte – Naniten im Blut hin oder her, Hunger hatte sie trotzdem. Und im Notfallfunkraum gab es sicher was zu essen.

Mit dieser kleinen Moralschub begann sie in einen lockeren Trab zu verfallen und sich dem Westpier zu nähern...
 

Brücke der HMS Britannia, Daedalus-Konvoi, kurz vor der Ankunft

Der ehemalige Flieger der HMS Ark Royal und jetziger Captain der Britannia James Churchill war nervös. Ihre Majestät Königin Elisabeth II. von England hatte vor nicht mal zweieinhalb Wochen sein Schiff persönlich in den Docks getauft, war beim ersten Flug, der sogenannten 'Sol-Runde', also einmal Pluto und wieder zurück zur Erde, dabei gewesen und hatte ihm dann schließlich das Kommando er das beste Schiff der Königlichen Marine gegeben – er konnte nicht stolzer sein.

Und doch... Colonel Caldwell hatte ihm und dem Kommandanten der FS Charles De Gaulle – die ebenfalls im Konvoi ihren ersten Linienflug absolvierte – Capitaine de Vaisseau Pierre Foch gesagt: „Wissen sie... Pegasus ist wunderschön – aber an jeder Ecke ist es dort gefährlich. Also bleiben sie im Konvoi und halten sie die Augen offen.“

Sie waren auch noch im Konvoi, davon hatte sich der Captain alle vier Minuten seit ihrer Abreise überzeugt, wenn er auf der Brücke Wache hielt. Er wusste außerdem vom Deckoffizier der zweiten Schicht, der immer ein paar Worte mit dem Captain wechselte, dass Lieutenant Colonel Ronald Bradley, sein Erster Offizier und Kommandant der an Bord stationierten Royal Marine Commandos, alle zwei Minuten den Sensoroffizier zu nerven pflegte.

Ebendieser Royal Marine stand nun neben seinem Kommandosessel zwischen dem Captain und der Navigation. Der zuständige Offizier, Lieutenant Henry Wilcox, sah zu seinem Kommandanten. „Sir, wir fallen gleich aus dem Hyperraum. Noch vierzig Sekunden, bis wir ins Lantea-System eintreten.“

„Verstanden. Bereiten sie ein Verbindung zur Daedalus vor, wie vereinbart und geben sie an den Maschinenraum durch, dass sie sich auf eine kleine Überprüfung einstellen sollen – ich will nicht, dass wir unser schönes, neues Schiff gleich bei der ersten Fahrt kaputt machen.“, antwortete der Captain und erntete ein Grinsen von seinem Ersten Offizier. „Ihre Majestät würde uns das gar nicht gerne durchgehen lassen...“, setzte er noch mit einem Lächeln hinten an, kurz nachdem der Navigator mit dem Seemann-typischen „Aye, aye, Captain!“ bestätigt hatte.

Wieder ließ Wilcox sein lautes Stimmorgan vernehmen: „Treten aus dem Hyperraum in zehn... neun... acht...“ und zählte weiter runter während die beiden schiffsführenden Offiziere noch einen Blick wechselten. Mann, wird Carter Augen machen!, dachten sich beide im Chor. Es war nur die Daedalus angesagt gewesen, sie hatten sich bei der Raumstation Tiberium getroffen und mehr oder weniger spontan beschlossen, dass sie mitfliegen würden – ohne Meldung an Atlantis zu geben.

Der Captain der Royal Navy kannte Colonel Carter noch von früher, sie hatten sich mal – vor einer kleinen Ewigkeit, wie es dem sechsundfünfzigjährigen in der Revue schien – getroffen und waren ein paar mal zusammen ausgegangen. Als Freunde und Offizierskollegen – sie waren beide über dem Irak geflogen, er von der britischen Ark Royal, sie war als Verbindungsoffizierin zu den Piloten der Staaten von einem nahen Flugfeld der Koalition geflogen.

Der Countdown des Navigators näherte sich der Null, ebenso kam ein helles Licht am Ende des Tunnels in Sicht – und so schnell sie hätten drin sein oder es rammen sollten, so schnell fielen sie raus. Vor ihnen breitete sich das Lantea-System aus, acht Planeten und unter ihnen sollte alleine Atlantis sein.

Aber da waren auch noch vier Wraith-Kreuzer, auf die Waffen- und Sensoroffizier lautstark hinwies. „Kontakte, direkt unter uns!“

„Roter Alarm! Alles Mann auf Gefechtsstation! Waffen klar, Schilde hoch!“, brüllte der Kommandant des Schiffes, der sich erstaunlich schnell gefangen hatte. „Sagen sie der Daedalus, dass wir den linken nehmen!“

„Aye, aye, Sir!“, antworteten seine beiden Stationsoffiziere gleichzeitig und versuchten die anspringenden Alarmsirenen zu übertönen.

Langsam senkte sich die Schiffsnase – diese Schiffe waren Schlachtkreuzer, keine kleinen schnellen wendigen Zerstörer. „Daedalus bestätigt und wünscht uns Glück!“, meldete Wilcox, zu dem auch noch die Kommunikation gehörte.

„Der weiß wohl nicht, dass das letzte Schiff der Royal Navy mit dem Namen Britannia, welches versenkt wurde, von den Geistern der Vergangenheit eingeholt wurde!“, meinte Bradley und strich sich mit der rechten durch die feuerroten Haare, während er sich mit der linken an den Kommandosessel klammerte. Das letzte versenkte Schiff mit dem Namen der Schutzpatronin der britischen Inseln war als das letzte Schiff der Königlichen Marine vom deutschen U-Boot UB-50 im Ersten Weltkrieg am Kap Trafalgar versenkt worden.

Churchill nickte, die Nase senkte sich immer noch, und erhob sich von seinem Stuhl. „Rule, Britannia! Britannia, rule the waves: Britons never shall be slaves!“, rezitierte er das Schiffsmotto. „Feuern sie die beiden Gauss-Geschütze, sowie sie die Wraith im Visier haben!“

Dann erst wurde das Schiff merklich erschüttert – die Kreuzer begannen, ihr Feuer zu konzentrieren, die Schilde wurden stärker belastet.

Bevor die Britannia überhaupt im Rohbau fertig war, hatte der Captain vor dem zuständigen und geheimen Parlamentsausschuss einige Kleinigkeiten durchsetzen können – unter anderem, dass das erste britische Raumschiff der BC-304-Baureihe einen eigenen Reaktor für den Schild bekam, die, zusammen, mit den Asgard-Reaktoren, eine stabile, ja fast unerschütterliche Barriere um die Britannia aufgebaut hatten. Außerdem verfügte der britische Schlachtkreuzer noch über die beiden experimentellen Gauss-Geschütze – etwas, was dem Schiffskommandanten im Gegenzug quasi aufgezwungen worden war.

Doch sie stellten ihren Wert unter Beweis.

Als sich die Nase weit genug gesenkt hatte, dass die fest montierten Geschütze feuern konnten, wurde das Schiff heftiger als jemals zuvor erschüttert, die Kanonen hatten einen gewaltigen Rückstoß. Auch mit den Geschossen hatten sich die britischen Ingenieure selbst übertroffen.

Statt wie zuerst im Gespräch trugen die etwa drei Tonnen schweren Kaliber fünfzig Zentimeter-Granaten nicht nur einen der Trident-Atomsprengköpfe sondern gleich drei.

Zusammen mit der nicht zu verachtenden ballistischen Wirkung, die die etwa viertausend Kilometer pro Sekunde schnellen Geschosse verursachten, zerfetzten sie die Feindkreuzer. Die Atombomben taten ihr übriges und zerkleinerten die Überreste zusätzlich.

Die De Gaulle griff derweil mit ihren neuen F-302B-Jagdbombern das rechte Feindschiff an. Der ehemalige britische Marineflieger musste zugeben, dass sich die französischen Piloten nicht schlecht schlugen. Tatsächlich konnte etwa vierzig Sekunden nach dem ersten Feindkontakt der Rogue-Staffel der De Gaulle das französische Schiff seinen ersten Abschuss verbuchen – zusammen mit dem Piloten, dessen Staffel sich dem zweiten Ziel der Daedalus zuwendete.

Doch zu spät – der amerikanische Schlachtkreuzer hatte seine beiden Ziele, die Colonel Caldwell voller Übermut übernommen hatte, schon mit Asgard-Laserwaffen im Nahkampf zerstört.

Alles in allem war der Kampf kurz aber heftig gewesen – es hatte keine Minute, um genau zu sein achtundfünfzig Komma vier drei neun Sekunden, gedauert bis die vier Wraith-Kreuzer als brennende Wracks oder glühende Splitter am Himmel über Lantea standen.

Die Erdschiffe hatten zwar den ein oder anderen Treffer an den Schilden einstecken müssen, aber bis auf ein paar Prellungen an einem französischem Piloten war niemand verwundet oder gar getötet worden. Es war eindeutig, dass dies kein Hinterhalt gewesen war – beide Seiten des Gefechts waren überrascht von der Anwesenheit der jeweils anderen gewesen. So würde es später in Captain Churchills Bericht stehen und so teilte er es auch Colonel Caldwell und Captain Foch mit.

Die drei Schiffskommandanten waren über Funkkonferenz zueinander geschaltet und konferierten darüber, wie was und wo nun auf Atlantis los wäre. Sie wollten nicht von GAU ausgehen – einer Besetzung der Verlorenen Stadt.

Sie hatten schon mehrmals Atlantis über Funk gerufen, über Langwelle, Mittelwelle und Kurzwelle – normalerweise hatten sie von allen dreien Empfänger und auch Sender in der Stadt der Antiker, ebenso wie genug kompetentes Personal, um diese Geräte zu warten und zu bedienen.

„Wir könnten ein Team runter schicken, welches einfach mal nachschaut.“, meinte Bradley. „Ich meld mich und meine RMCs freiwillig!“

„Ihren Mut in Ehren, Colonel...“, gab Saunier, erster Offizier der De Gaulle zu bedenken, „...aber wir könnten uns genauso gut ein Lebenszeichen aus den vier Dutzend in der Stadt rauspicken und ihn fragen, was los ist.“

„Könnten wir...“, meinte Caldwell. „Aber wir schicken die Marines. Colonel, machen sie sich bereit!“ Man konnte mehr oder weniger hören, dass dem amerikanischen Offizier die Entscheidung ganz und gar nicht gefiel – aber neben der Kompanie Fremdenlegionäre, die auf dem französischen Schiff auf ihren Einsatz warteten, hatten sie nur ein halbes Dutzend Marines von der Daedalus, um Atlantis zurück zu erobern.

Trotzdem bestätigte Colonel Bradley den Befehl des Dienstältesten Offiziers der kleinen Flottille und trommelte seine Männer zusammen. Es waren mit ihrem Kommandanten sechzehn Royal Marine Commandos zu vier Teams, alle ausgerüstet mit der SA80A2, dem neuesten Modell britischer Sturmgewehrbaukunst, der Heckler&Koch Pistole 8, einer Waffe des Kalibers 9 mal 19 Millimeter Para, und dem traditionellen Kampfmesser.

Je ein Soldat pro Team trug außerdem noch Granaten, Verbandszeug, ein leichtes Maschinengewehr oder ein Scharfschützengewehr. Die Commandos waren genug gerüstet, um es mit einer kleinen Armee aufzunehmen.

So waren sie.
 

Mit einem hellen Lichtblitz materialisierten sich vier Gestalten mit angelegten Gewehren.

Schnell rückten sie vor, sicherten ihren Ankunftsraum und warteten auf die restlichen zwölf Marines. Der Kommandant der kleinen Truppe wank mit einigen Handbewegungen die anderen Truppkommandanten zu sich, sie steckten die Köpfe so tief zusammen, dass sich fast ihre grünen Barette berührten. „Das ist der Plan, Jungs: Wir gehen zuerst in die Kantine um uns dort eines der Lebenszeichen zu besorgen, welches uns in den Kontrollraum führt, sichern diesen und drei Teams schwärmen dann von dort aus. Alles, was nicht nach Mensch aussieht, und auf zwei Beinen läuft, wird erschossen, ohne Vorwarnung und Gnade. Verstanden?“, erklärte Bradley seinen Kameraden. Die nickten nur. „Gut. Alle Mann, vorrücken!“

Wie Schatten schlichen sie vor, kein Mensch oder Alien erwartete sie, rechnete mit ihnen oder sah sie kommen. Selbst nicht der Wraith-Wächter, der am Eingang zur Kantine stand. Bradley nickte einem Sergeant seines dritten Trupps zu – einem ehemaligen Messerstecher von den Straßen Londons. Er war vor die Wahl gestellt worden: Royal Marines oder Knast.

Er hatte sich für die Marines entschieden und dort rechst schnell seinen Weg zu den Commandos gefunden. Eben wegen dieser Qualifikation und weil er das ATA trug, war er auf die Britannia gekommen.

Eben dieser Sergeant, er hieß Simon Fletcher, schlich langsam vor. Alle anderen Commandos hielten den Atem an. Wenn dieser eine Wraith Alarm schlug, waren sie geliefert. Der Colonel war davon überzeugt, dass sie innerhalb von Sekunden ganze Züge von Wraith-Soldaten vor sich haben würden.

Und dann bliebe ihnen nichts anderes als sich rausbeamen zu lassen und die Stadt mit den Gauss-Geschützen ihres Schiffs zu pulverisieren.

Der Offizier spähte weiter an den vierzehn Zentimetern Wand entlang, die vor seinem Gesicht entlang gingen und um die der Sergeant verschwunden war. Es gab immer noch kein einziges Geräusch, keinen Mucks, keinen Schritt, kein dumpfes Plumpsen eines fallenden leblosen Körpers, keine Waffenentladungen oder Schüsse.

Auch zu sehen gab es nichts, und so warteten sie – bis eine Wraith-Hand fast direkt vor dem Gesicht des Offiziers auftauchte.

Überrascht taumelten er und seine Soldaten zwei Schritte jeweils nach hinten und hoben ihre Gewehre um notfalls alles zu erschießen, was um die Ecke kommen würde. Doch es kam nur eine Erkenntnis: Die Hand wurde von einer anderen gehalten und zeigte das berühmte Victory-Zeichen.

Memo an mich selbst: Niemals wieder Fletcher vorschicken – er hat einen viel zu seltsamen Humor..., dachte sich der Offizier und schlich zusammen mit seinen restlichen Soldaten um die Ecke, wo bereits ein grinsender Unteroffizier auf eine Kopfnuss wartete.

Nach standesgemäßem Erhalt ebendieser spähte der Offizier in die Kantine. Mehrere Menschen, darunter zwei Kinder, wurden von mehreren Soldaten der Wraith bewacht, während ein Offizier, er erinnerte mit seinem langen schwarzen Mantel sehr an einen Soldaten der Schutzstaffel, eine blonde junge Frau verhörte.

„Du wirst mir die Codes für die Öffnung des Tors geben!“, schrie der Wraith, offenbar nicht zum ersten Mal. Die Sicherheitsprotokolle hatten also funktioniert, das Tor konnte nicht wieder geöffnet werden, bis nicht eine ganze Reihe von alphanumerischen Codes eingegeben war – eine Reihe, die die junge Frau garantiert nicht wusste.

„Nein.“, antwortete sie schlicht. „Wenn du lieb 'Bitte' sagst, denk ich drüber nach!“ Man konnte heraushören, dass ihr das Verhör viel zu viel Spaß machte – immerhin stand vor ihr ein potenziell sehr tödlicher Feind.

Der feindliche Offizier stutzte – er war es anscheinend immer noch nicht gewohnt, dass man ihm Wiederworte leistete.

Kurz sah der Colonel zu seinem Messerstecher, der wie alle anderen alles gehört hatte und nun anerkennend nickte. Wahrscheinlich würde der Londoner sich mit seiner typisch-britischen Art an die Frau ran machen und hoffen, dass er Erfolg hat.

Die anderen Soldaten hinter ihm luden ihre Sturmgewehre fast lautlos durch und sahen ihren Kommandierenden Offizier an – sie warteten auf Befehle, sie konnten nämlich nicht einfach Gefangene in Feindeshand zurücklassen. Der Rotschopf traf schnell seine Entscheidung.

Und sie würde den Wraith gar nicht gefallen.

Die vier Granatwerfer rückten mit ihren Blendgranaten an, sahen noch einmal zurück und ernteten von allen Soldaten hinter ihnen ein Nicken – sie waren fertig. Langsam und vor allem leise zogen die Soldaten die Sicherungsschlüssel aus den Blendgranaten und warfen sie mit einer schnellen Bewegung in die Kantine.

Als sie detoniert waren stürmten die restlichen zwölf Soldaten den Raum, einer schrie geistesgegenwärtig „RUNTER!“. Es dauerte keine vier Sekunden, dann waren alle acht Wraith tot. Bradley selbst hatte den Offizier erschossen, mit einer äußerst präzisen Kugel in den Kopf und durch den Kopf.

Die junge Frau, die er verhört hatte, grinste ihn an. „Na endlich! Die Green Berets! Ich muss aber sagen, dass ihr Army-Fuzzis euch ganz schön Zeit gelassen habt!“

„Tut mir Leid, Lady, wir sind nicht vom USASFC, und schon gar nicht von der US Army – wenn ich mich vorstellen dürfte?“ Bradley zog die Frau, die ihn wegen der Farbe der Baretts auf die andere Seite des großen Teichs gesetzt hatte, auf die eigenen Füße und drückte ihr seine P8 in die Hand. „Lieutenant Colonel Ronald 'Ron' Bradley, Commandos der Marineinfanterie ihrer Majestät der Königin von England. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

Die Blondine stockte kurz und sah den Briten leicht verwundert an. „Lieutenant Laura Cadman, United States Marine Corps, zugeteilt der Atlantis-Expedition als Bombenspezialistin.“, stellte sie sich vor und salutierte. „Wollen sie in den Kommandoraum?“

„Ja.“, antwortete der Marine schnell und drehte sich um. „Fletcher, verständigen sie die Britannia, sagen sie ihr, sie sollen alle in der Kantine an Bord beamen, danach stoßen sie und ihr Team zu uns in den Kommandoraum. Lieutenant Cadman – sie zeigen uns den schnellsten Weg.“
 

Keine zwanzig Minuten später hatten sie Atlantis gesichert.

Im Hauptkonferenzraum nahe dem Torraum der Stadt saßen derweil die drei Schiffskommandanten zusammen mit ihren Ersten Offizieren. Vor ihnen, in der genauen Mitte der Tischgruppe, Colonel Caldwell zugewandt, der in der Zentral saß, stand Lieutenant Cadman und berichtete. Über alles – die Ajax, Victis Romanis, die Operation zur Beschaffung der ZPMs und den Angriff der Wraith auf die Stadt.

„Verletzte und Verluste: Zwei Marines durch feindlichen oder freundlichen Schusswaffengebrauch tot, vier durch Wraith zu Tode genährt, einer Teilgenährt, geschätztes körperliches Alter: siebzig. Ein Marine mit leichten Prellungen an der Schulter, vermutlich von seinem MG. Fünfzehn geschockte Wissenschaftler. Der Rest, mich eingeschlossen, ist unverwundet.“, beendete sie ihren Bericht und salutierte. „Colonel Caldwell, ich übernehme die volle Verantwortung für die Verluste. Als militärische Kommandantin der Stadt in Vertretung von Colonel Sheppard hätte ich im Kommandoraum sein müssen und von dort die Stadt verteidigen müssen.“ Sie stand absolut gerade, mit ebenso ausdruckslosem Gesicht und schien einen Punkt etwas über Caldwells Kopf zu fixieren.

Außerhalb des Konferenzraums stand Doktor Weir an die Brüstung gelehnt und zog, wie es für sie üblich war, eine Augenbraue hoch.

Caldwell bemerkte dies, nahm jedoch keine Notiz davon. Stattdessen musterte er die Marineinfanteristin vor ihm. Wenn sie sich herausputzte konnte sie sicher weitaus besser aussehen, als verschwitzt, abgekämpft und müde vor ihm. Als sie auf der Daedalus mitgeflogen war, hatte er sie einmal in der Kantine getroffen – die paar Worte, die sie gewechselt hatten, hatten bereits ausgereicht, damit er der jungen Frau fast so etwas wie Respekt entgegenbrachte. Soviel zumindest, wie ein Air-Force-Offizier einem der Marines entgegenbringen wollte.

Laut Colonel Bradley hatte die Frau an diesem Tag mit ihrer Witz-9-Millimeter-Para-Pistole mehr Wraith fertig für die Kiste gemacht, als alle Royal Marines mit ihren 5,56 mal 45 Millimeter -Sturmgewehren zusammen – der sonst zum so typischen 'Britsh understatement' neigende Bradley, zumindest hatte Churchill ihm das so gesagt, hatte sie als Amazone sondergleichen bezeichnet.

Und jetzt stand eben diese Amazone vor dem Colonel – randvoll mit selbsteingeredeten Schuldgefühlen, Angst vor Strafe wegen disziplinarischem Fehlverhalten und Nichteinhaltung der Protokolle und noch einiger anderer Sachen. Caldwell konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Bradley das Ernst gemeint hatte.

Trotzdem richtete er das Wort an seine Landsfrau: „Lieutenant Cadman... Fakt ist, dass irgendwer Fehler gemacht hat – bis ihre Schuld oder Unschuld bewiesen ist, habe ich eine Aufgabe für sie: Sie werden die Koordinaten von diesem Victis Romanis für uns raus suchen und diese Koordinaten übergeben. Danach werden sie eine der Einsatzgruppen der Daedalus befehligen. Verstanden?“

Offenbar hatte sie das nicht erwartet, in ihrem Gesicht stand Überraschung. Unwillkürlich kam Captain Churchill, der Mimik und Gestik im Generellen gerne genau beobachtete, der Gedanke, dass sie tief in ihrem Inneren doch nicht so furchtbar tough war, wie sie aussah oder tat.

Vielleicht hatten sie die drei Jahre, die sie im Atlantis-Expeditionskorps verbracht hatte, sie mehr verändert oder geformt, als ihr bewusst oder lieb war. Der Brite war sich sicher, dass sie die typische Selbstüberschätzung und Arroganz von Marineinfanteristen am Anfang an den Tag gelegt hatte – ein internationales Phänomen, wenn man den Kommandanten der Britannia fragte.

Doch diese Frau da zwischen den Tischen, zwischen den Offizieren, die sie musterten wie Adler ihre Beute, hatte nicht mehr viel von Arroganz – weder im Blick noch in der Haltung. Diese strahlte mehr aus, dass sie am Liebsten zusammenbrechen und sich in eine Ecke ihres Quartiers, bestenfalls mit einem Kissen, schlimmstenfalls mit einem Teddy-Bären, verkriechen und sich die Augen ausheulen würde. Aber sie hielt sich gerade.

Churchill und Bradley mussten beide zugeben, dass sie es unter den ihr gegebenen Umständen nicht geschafft hätten, und auch Captain Kleinmann, der erste Offizier der Daedalus, sah für sie auf den ersten Blick nicht danach aus. Zwei Elemente, die die beiden Briten überhaupt nicht einschätzen konnten, waren Foch und Saunier, Kommandant und Erster Offizier der Charles De Gaulle. Und Caldwell... es schien für die Royalisten, dass er Mitleid mit der jungen Frau hatte.

„Sir?“, fragte sie erstaunt und sah den Kommandanten der Daedalus mit großen Augen an. „Ich verstehe nicht ganz...“

„Was das soll, wie?“, fragte Caldwell und zog einen Mundwinkel hoch.

Weir stand immer noch außerhalb des Konferenzraums und musterte den Colonel – vielleicht war es nur Einbildung, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, dass in seinen Augen ein besorgter aber doch zumindest leicht amüsierter Ausdruck stand, wie bei einem Onkel. Aber auch Sorgenfalten prägten sich um das Gesicht des Amerikaners aus.

Obwohl er nicht das Kommando über die Expedition vor all dieser Zeit erhalten hatte, hatte er doch einmal zu ihr gesagt: „Sie alle mögen so individuell und manchmal auch verrückt sein, wie sie wollen – aber eines können sie sich sicher sein, Doktor, und zwar, dass ich immer im Team sein werde, ich und meine Daedalus. Die Männer und Frauen hier – nicht nur die Militärs – werden für mich nicht nur Untergebene sein, sie werden auch... ja, eine Art Gemeinschaft sein. Und in einer Gemeinschaft schützt man sich gegenseitig, wenn das nötig ist. Das verspreche ich ihnen, Doktor... Elisabeth.“

Sie hatten sich damals nach ihrem Schachspiel – bei dem Weir hoffnungslos untergegangen war – zusammen in die Kantine gesetzt. Es war einer der wenigen Abende gewesen, wo die ganze Stadt in tief in den Armen des Morpheus zu stecken schien. Sie waren die halbe Nacht zusammen in der Kantine gesessen und hatten sich an den Biervorräten der Deutschen gütlich getan – sie hatten nicht viel getrunken, aber genug, dass sie beide nur noch Stephan und Elisabeth im Endeffekt gewesen waren und nicht Colonel Caldwell und Doktor Weir.

Offenbar war das nicht nur leeres Gerede gewesen – und offenbar verband den manchmal ziemlich grimmigen Amerikaner und die manchmal im gleichen Maße hibbelige und energiegeladene Marineinfanteristin etwas mehr, als man ahnen konnte. Vielleicht sollte Weir einmal nachsehen, was sie so herausfand über ihre Kanäle.

Aber es konnte ebenso gut sein, dass sie sich irrte oder zu viel hineininterpretierte.

„Wir brauchen die Koordinaten, jeden Mann und jede Frau, wenn wir ihrem Bericht entsprechend handeln wollen. Bis das Gegenteil erwiesen und niemand etwas dagegen hat, werden sie eine der Marine-Gruppen der Daedalus übernehmen.“ Der Colonel sah sich in den kleinen Konferenzraum um und musterte jeden der Anwesenden, selbst Weir hatte das Gefühl, dass sie ein Blick traf, obwohl sie offiziell nicht mal da sein dürfte. „Jemand Probleme mit dem Befehl?“ Bradley hob die Hand. „Was sind ihre Einwände Bradley?“, fragte der Amerikaner harsch. Es war ihm sichtlich ernst mit der Marineinfanteristin.

„Mit Verlaub, Colonel, würde ich Lieutenant Cadman gerne RMC-Team Nummer Fünf der Britannia zuteilen. Der eigentliche Sprengstoffexperte hatte einen kleinen Trainingsunfall und liegt mit einem gebrochenen Arm auf der Krankenstation.“, erklärte sich Bradley. „Demnach habe ich nichts gegen ihren Befehl als solches, nur gegen Lieutenant Cadmans Zuteilung.“

Der Amerikaner nickte. Er hatte den Bericht gelesen, wusste also, worum es ging. Lance Corporal Redbone war am vierten Tag ihrer Reise zwar nicht direkt beim Training aber dafür bei der Dusche danach auf einem Stück Seife ausgerutscht und hatte sich den Kopf gestoßen und den Arm heftig angeknackst. Nicht genug um ihn von der Mittelstation, die sie bei der sie routinemäßig einen halbstündigen Zwischenstopp einlegten, nach Hause zu schicken, aber genug, um ihn für eine Weile von der Front fernhalten zu können.

„Lieutenant Cadman?“, fragte der Air Force-Colonel nur um sie nicht zu übergehen. Auch hier schien wieder durch, dass es eine Verbindung – wie auch immer geartet – zwischen den beiden gab. Doch aus was diese Bindung bestand, das vermochten weder Bradley, noch Churchill oder Weir zu sagen.

„Es wäre mir eine Freude eines ihrer Teams zu ergänzen, Colonel Bradley, Sir!“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen, drehte sich total zu den Briten und salutierte zackig. Etwas was der Führungscrew der Britannia sofort auffiel, war einerseits das zufriedene Lächeln auf Caldwells Zügen und andererseits das Glitzern in Cadmans Augen.

„Nur, Lieutenant Colonel, Cadman.“, meinte Bradley und lächelte. Mit einer schnellen Bewegung sprang er über den Tisch – wobei er mit einem seiner schweren Kampfstiefel beinahe Churchills Kopf traf – und stellte sich vor die etwa einen Kopf kleinere Marineinfanteristin. Zackig erwiderte er den Salut und meinte: „Willkommen bei den Royal Marines. Ich hoffe, sie genießen ihren Aufenthalt bei uns...“ So, wie der Captain des ersten britischen Schlachtkreuzers seinen Ersten Offizier kannte, huschte gerade nicht umsonst ein kleines, diabolisches Grinsen über seine Züge...



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