In the Mood
Charaktere: Jack, Ianto
Warnungen: Es ist romantisch. Keine Ahnung wie das passieren konnte. Ich war so in weihnachtlicher Stimmung.
„Ianto?“
„Sir?“
Jack reibt sich mit einer Hand über die Augen. Iantos ‚Sir‘ ist wie ein Vorspiel, jedes Mal aufs Neue, und trotzdem ist er in diesem Augenblick nicht in Stimmung. Vielleicht wird er alt.
„Denkst du, wir sind die erbärmlichsten Menschen der Welt?“
Ianto hält inne und nimmt sich einen Moment Zeit, um über diese Frage ernsthaft nachzudenken. Das kommt unerwartet und ist bedenklich.
Er trägt kein Jackett und die obersten Knöpfe seines Hemdes sind geöffnet. Für seine Verhältnisse ist das beinah skandalös inoffiziell.
„Ich schätze, es gibt immer noch Speed-Dater und Zwergpudelhalter“, erwidert er schließlich.
Jack zieht eine Grimasse. „Das ist ein Trost.“
„Auf jeden Fall, Sir.“
Das ist es nicht. Aber irgendjemand musste diese Frage stellen.
Jack ertappt sich dabei zuzusehen, wie Iantos Finger damit fortfahren effizient über die Tastatur zu gleiten. Es ist geradezu hypnotisch und lenkt ihn ab.
Das künstliche Licht des Monitors malt bläuliche Schatten auf sein blasses Gesicht.
Ianto sieht niemals müde aus und niemals überarbeitet. Jack hat keine Ahnung, wie er das anstellt. Nach 48h Schichten wirkt er höchstens ein wenig steifer und gelangweilter als sonst und seine Hände zittern irgendwann vom Koffein. Aber der Punkt ist noch nicht erreicht.
„Ianto. Ianto Jones.“ Jack spielt mit einem Kugelschreiber.
Ianto hebt eine Augenbraue, aber blickt nicht auf. Er ist es gewohnt, dass Jack gerne willkürlich seinen Namen sagt.
„Du solltest nachhause gehen“, sagt Jack schließlich.
„Halte ich dich von der Arbeit ab, Jack?“ Es klingt trocken, und sein Name wird gedehnt, als hätte er drei Silben anstatt einer.
Aus gutem Grund. Jacks Arbeit hat darin bestanden in den letzten zwei Stunden siebzehn Bleistifte zu spitzen und dreimal mit wehendem Mantel vom Schreibtisch aufzuspringen, weil er dachte, der Rift-Alarm sei angegangen.
Fehlanzeige.
An Heiligabend passiert nie etwas.
„Nicht unbedingt“, erwidert Jack ohne eine Miene zu verziehen.
Es ist anders gewesen, als Tosh noch gelebt hat.
Jack hat Heiligabende in aller Ruhe mit Tosh verbringen und um Mitternacht den Punsch auspacken können, und er hat dabei gewusst, dass es kein anderes Leben draußen gab, das auf sie wartete. Tosh und er sind in völlig entspannter, einvernehmlicher Art gemeinsam erbärmlich gewesen und haben an Heiligabend gearbeitet.
Natürlich hat Jack das ursprünglich nicht als erbärmlich eingestuft, sondern als heldenhaft. Wir retten die Welt, wenn alle Weihnachten feiern. Auch wenn die Welt akut keine Rettung braucht. Zumindest theoretisch hätten sie gerettet. Das zählte auch.
Aber dann ist Gwen gekommen und hat ihre Normalität mitgebracht. Normalität und Zwischenmenschlichkeit.
Der Grund wieso Jack sie in erster Linie eingestellt hat. Keiner hätte ahnen können, dass sie bewirkt, dass er seine eigene Heldenhaftigkeit in Frage stellt und sich an Heiligabend erbärmlich findet, weil er hier herumsitzt. Er am allerwenigsten.
Es ist eine Sache, alleine erbärmlich zu sein und die Welt zu retten (theoretisch).
Aber Ianto hat irgendwo ein Leben da draußen und eine Familie, die irgendwo sitzt und mit einer Weihnachtsgans auf ihn wartet. Oder Schafsmagen. Jack ist nicht ganz up to date was walisische Weihnachtsbräuche angeht.
Er wirft den Kugelschreiber auf den Schreibtisch und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. „Ianto, wenn du noch mehr Überstunden anhäufst, werde ich dir drei Jahre vor deiner Kündigung Bescheid sagen müssen, damit du sie abarbeiten kannst.“
„Ich werde es in den Kalender eintragen, Sir.“
Ianto ist wie Granit, an dem man sich die Zähne ausbeißt, wenn er etwas nicht will. Wie höflicher Granit, aber immer noch … Granit.
Jack seufzt.
Granit mit Krawatte. Und Ianto mit loser Krawatte und aufgeknöpftem Hemd ist ein bisschen sexy.
Und vielleicht ist Jack doch nicht so alt.
Nicht alt genug auf jeden Fall, um Ianto nicht ein bisschen scharf zu finden.
„Ianto …?“
„Jack.“
„Ianto.“
„Jack.“
Ianto verzieht keine Miene und starrt ungerührt weiter auf den Bildschirm. Jack grinst. Er möchte eigentlich nicht wirklich, das Ianto irgendwo ein Leben hat und Schafsmagen isst.
Das macht ihn zu einem egoistischen (und möglicherweise erbärmlichen) Bastard, aber das ändert nichts an der Tatsache.
„Willst du mein unsichtbares Raumschiff sehen?“
Das bewirkt, dass Ianto aufhörte zu tippen. Seine Augenbrauen schießen nach oben und sein Drehstuhl quietscht, als er sich langsam zu Jack wendet.
„Das ist immer noch der blödeste Spruch, den ich je gehört habe“, stellt er fest. „Und er hat schon beim ersten Mal nicht funktioniert.“
„Wir hatten Sex“, erwidert Jack unbestreitbar.
„Nicht wegen deines Raumschiffs. Und nicht in deinem Raumschiff.“
„Was schade ist. Wir sollten das nachholen. Betrachte es als mein romantisches Weihnachtsgeschenk für dich.“
Ianto Gesicht ist unlesbar.
„Ich erlag der Annahme, die gestreifte Krawattennadel sei dein romantisches Weihnachtsgeschenk für mich.“
Er schafft es romantisches Weihnachtsgeschenk mit so viel eisiger Verachtung auszusprechen, dass die Luft dabei klirrt.
„Die hat Gwen ausgesucht.“
„Ich ahnte es.“
„Du…“ Jack macht eine vage Handbewegung, „du legst keinen Wert auf ein romantisches Weihnachtsgeschenk von mir, oder?“
Das ist ein Gedanke, der leicht erschreckend und Jack nicht gar nicht gekommen ist.
Aber das ist Iantos Schuld. Jack hat keine Ahnung was Ianto will. Niemand weiß so genau, was Ianto will, außer dass er darauf besteht, dass Jack nie wieder Instantkaffeepulver anschleppt, weil er sonst seinen Job hinwirft.
Aber wenn regelmäßige Monatspackungen italienischer Kaffeebohnen dafür sorgen, dass Ianto glücklich ist, kriegt Jack das hin. Vielleicht wäre das sogar ein passenderes Geschenk gewesen als die Krawattennadel.
„Nein, ich lege keinen Wert auf ein romantisches Weihnachtsgeschenk von dir.“ Ianto klingt beinah amüsiert von dem Gedanken.
Ianto besitzt nicht ein Fünkchen Romantik. Was in gewisser Weise nachvollziehbar ist, sogar für Jack. Niemand der seiner Roboterfreundin dabei zugesehen hat wie sie ein paar Leuten das Gehirn herausschraubt, fühlt sich jemals wieder wahnsinnig romantisch. Vermutlich.
Das ist ein bisschen schade, denn Jack ist fabelhaft in großen, romantischen Gesten. Aber irgendwie ist das in diesem Jahrhundert nicht mehr so angesagt. Vielleicht liegt es nur daran, dass Ianto ein Mann ist. Oder daran, dass er Waliser ist. Oder daran, dass er Ianto ist.
Manchmal denkt er, dass es überhaupt sehr ungerecht ist. Er müsste das große, enigmatische Rätsel für Ianto sein. Nicht umgekehrt.
„Jack.“
Er blickt auf, als ein schmales, eingewickeltes Päckchen vor ihm landet. Ianto steht neben seinem Schreibtisch und Jack hat nicht einmal mitbekommen, dass er aufgestanden hat.
„Für dich. Ich hielt es für angemessen.“
Ianto ist so trocken, dass es staubt.
„Hat Gwen das ausgesucht?“ fragt Jack, während er es fasziniert zwischen den Fingern hin und her wendet. Es ist flach und klein, beinah quadratisch. Zu flach für ein Buch (und wieso sollte Ianto ihm ein Buch schenken) und auf dem Geschenkpapier sind kleine Tannenbäume und Weihnachtssterne.
„Nein.“ Ianto räuspert sich. „Aber das Geschenkpapier ist von ihr.“
Er klingt resigniert, und Jack kann beinah vor sich sehen, wie Gwen heimlich das sterile, silbergraue Papier aus dem Büroschrank entsorgt, und Ianto mit der Wahl zwischen Weihnachtssternen und kleinen Rentieren zurückgelassen hat.
Er grinst, während seine Finger ungeduldig an den Metern an Klebeband zerren. Gwen ist unmöglich und penetrant, aber irgendwie ist sie überall und hinterlässt ihre Spuren. Seid alle lieb zueinander, es ist Weihnachten. Trotzdem denkt er meistens, dass er und Ianto keine Hilfe bei irgendetwas benötigen, vielen Dank.
Es ist eine CD.
Und nicht irgendeine, es ist „Best of Glenn Miller“, die Special Edition und sekundenlang ist Jack sprachlos. Manchmal beunruhigt es ihn wirklich, dass Ianto ihn viel zu gut kennt.
„Das war nur …“ Ianto schiebt die Hände in seine Hosentaschen und hebt in einer ungewohnt fahrigen Bewegung die Schultern. „Ich bin im Laden darüber gestolpert. Es war heruntergesetzt. Ich dachte, es gefällt dir vielleicht.“
Ianto ist so schlecht in romantischen großen Gesten. Ganz schlecht.
Jack muss ihm das irgendwann beibringen.
Er angelt nach Iantos Krawatte und zieht ihn zu sich hinunter.
„Du. Ich. In einer halben Stunde“, sagt er. „Unsichtbares Raumschiff. Glenn Miller.“
„Ist das deine Vorstellung von einem romantischen Weihnachtsdate?“ Iantos Gesicht ist so nah, dass Jack sehen kann wie seine Mundwinkel zucken.
Er sieht mit einem Mal sehr jung aus und sein Gesicht ist sehr offen. Mit einem Mal hat Jack das Gefühl, dass Ianto vielleicht nicht so ein ungerührtes, spöttisches, staubtrockenes Stück ist, wie er immer tut. Und vielleicht ist Ianto nur hier geblieben, weil es seine seltsame Vorstellung von Weihnachten ist, sie mit Jack zu verbringen und Akten zu sortieren.
Niemand der Glenn Miller verschenkt, hat gar keine romantische Gefühle. Das geht einfach nicht.
„Ianto”, sagt Jack. „Ianto Jones.“ Und er schüttelt den Kopf.
Iantos Augenbrauen zucken, wie immer wenn Jack das macht. Dann neigt er sich vor und küsst ihn.
Und das ist definitiv nicht das Schlechteste, was passieren kann.
<b>Ende</b>