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Kiiro no chō

Der gelbe Schmetterling
von

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Houston, wir haben ein Problem!

„Kurotsuki!“

Der Schwarzhaarige öffnete die Augen, als er seinen Namen hörte, hielt es jedoch für unnötig, sich aufzurichten. Seine Arme waren inzwischen sowieso taub geworden, kein Wunder, wenn man die Hände unter dem Kopf verschränkt und sich eine ganze Weile nicht mehr bewegt.

Die Sonne blendete ihn, also schloss er seine Augen wieder und entschloss sich, einfach abzuwarten, wer da seinen Namen rief. Die Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor.

„Aisaika Kurotsuki!“ Ein nicht gerade liebevoller Tritt in die Rippen riss den Schwarzhaarigen aus dem Dämmerschlaf und er verzog das Gesicht, bevor er aufblickte. Über ihn gebeugt stand ein junger Mann. Er hatte blondes Haar, das ihm etwas unordentlich knapp auf die Schultern fiel und trug die typische Kleidung der Shinigami. Es war Ganzenai Kōsa, sein bester Freund, wenn auch seine Weckmethoden nicht die angenehmsten waren.

„Musst du so brüllen?“, fragte Kurotsuki sofort nach und setzte sich, während er sich vorsichtig die schmerzende Stelle rieb. Man müsste eigentlich meinen, dass seine Rippen inzwischen immun gegen Kōsas Tritte waren. Leider war dem auch nach jahrelanger Freundschaft nicht so.

„Was ist los? Du tust ja so, als wenn Seireitei gerade um Begriff wäre, unterzugehen.“

„Nicht ganz“, entgegnete der Blonde und verschränkte die Arme vor der Brust, während er weiterhin zu seinem Freund hinunterblickte, „allerdings haben wir einen Auftrag und ich konnte dich ewig nicht finden.“ Er zog sein Handy hervor und warf es Kurotsuki vor die Füße. Der Shinigami hob es auf und musterte aufmerksam das Display. Einige rote Punkte blinkten auf dem Bildschirm und bewegten sich koordiniert vorwärts. Hollows.

„Deshalb musst du noch lange nicht so laut sein“, beschwerte der Schwarzhaarige sich weiter, dann stand er auf und streckte sich, sodass sein Rücken einmal laut protestierend knackte.

„Dann lass uns aufbrechen, wenn du mich schon aus dem Schlaf gerissen hast.“ Kōsas Miene wurde merklich düster.

„Du schläfst nie, du liegst nur faul in der Gegend herum. Ich habe es langsam satt, dir ständig mit Aufträgen hinterher zu laufen, damit du keinen Anschiss von deinem Taichō* kriegst! Meine Geduld geht irgendwann auch zu Ende und dieser Tag ist nicht mehr fern.“ Kurotsuki sah seinen Freund mit einer Mischung aus Unverständnis und Bedauern an und fragte sich, was denn nun schon wieder mit ihm los war. In letzter Zeit war er leicht reizbar und wurde immer schnell wütend.

„Schon gut“, meinte der Schwarzhaarige versöhnend und hob in einer Geste der Abwehr kurz die Hände hoch, „ich werde versuchen, nicht mehr so oft weg zu driften.“

„Na klar doch...“, murmelte Kōsa noch einen leisen Protest, dann liefen die beiden mit Shunpo los.
 

„Nummer drei!“, rief Kōsa triumphierend, sobald er einen weiteren Hollow vernichtet hatte, dann drehte er sich schwungvoll um. Einige Meter vor ihm bohrte gerade Kurotsuki sein Zanpakutō in einen Hollow, kurz darauf war auch dieser Geschichte.

„Gut, das war's. Lass uns gehen“, meinte der Blonde und wandte sich bereits zum Gehen um, als der Schwarzhaarige sein Handy hervorzog und aufklappte.

„Geh schon mal vor, ich komm nach. Es gibt hier noch einen Hollow, mit dem werde ich schon fertig.“ Kōsa sagte nichts, sondern verschwand und Kurotsuki machte sich in die Richtung auf, aus der das Signal kam.
 

Der Shinigami musste nicht lange suchen, die enorme Gestalt des Hollow verdeckte einen Teil seines Sichtfeldes.

„Boah, du bist aber ein ziemlich hässliches Viech!“, meinte Kurotsuki und begab sich in Angriffsstellung. Der Hollow hatte ihn längst bemerkt und raste nun mit einer Geschwindigkeit auf ihn zu, die man seinem plump anmutenden Äußeren nie zugetraut hätte.

„31. Pfad der Vernichtung! Shakkaho*!“ Ein roter Energieball schoss aus Kurotsukis Richtung und zerschnitt den Hollow genau in der Mitte. Mit einem absterbenden Schrei fiel das Ungetüm zu Boden und verschwand, der Schwarzhaarige lächelte selbstsicher.

„Gegen mein Kidō* kommt ihr Dreckskerle niemals an.“ Er untersuchte seinen Handybildschirm, ob er vielleicht einen Hollow übersehen hatte, doch es schien, als sei der Bezirk wieder hollowfrei.
 

„Moment mal...“ Kurotsuki umklammerte den Schaft seines Zanpakutō fester und blickte sich aufmerksam um. Er hatte sich das Geräusch von gerade eben doch nicht nur eingebildet...

Tatsächlich! Nicht weit vor ihm lehnte ein Mädchen an einer Hauswand und starrte ängstlich zu ihm herüber. Sie wimmerte und hielt die Knie schützend an ihren Körper gezogen. Ihre linke Gesichtshälfte war blutverschmiert, doch ansonsten schien sie unverletzt zu sein. Sie musste das Opfer des Hollowangriffs gewesen sein.

Kurotsuki machte sich langsam auf den Weg zu ihr herüber, um sie nicht unnötig zu erschrecken, doch die Braunhaarige zog sich nur noch mehr zusammen und schluchzte noch lauter.

„Hey, alles ok“, flüsterte der Schwarzhaarige und ging vor dem Mädchen in die Hocke, „ich tu' dir nichts, ehrlich.“ Sie sah ihn flüchtig an, wandte dann jedoch den Blick wieder ab. Der Shinigami folgte diesem und entdeckte etwas weiter rechts, was er insgeheim bereits zu entdecken befürchtet hatte. Auf dem schmutzigen Boden lag reglos der Körper des Mädchens, das vor ihm musste demnach ihre Seele sein.

„Ok, halt jetzt bitte still, ja? Ich mach auch schnell“, meinte Kurotsuki und lächelte aufmunternd, die Braunhaarige starrte ihn misstrauisch aus großen Augen an, war jedoch zu verängstigt, um sich zu wehren. Mit einer gekonnten Bewegung zeigte die Unterseite des Zankakutōschaftes auf ihre Stirn und kurz darauf prangte auch schon ein leuchtender Abdruck darauf.

„Konso* erfolgreich“, überzeugte Kurotsuki sich noch einmal selbst, dann löste das Mädchen sich vor seinen Augen auf, ein splitternder Laut war zu vernehmen, dann war sie vollkommen verschwunden.

„Was...?!“ Kurotsuki hatte mit seinem Blick flink nach der Ursache des Geräusches gesucht. Ein Konso verursachte normalerweise keinerlei Geräusche, erst recht kein Splittern. Er war zutiefst beunruhigt und wusste fast augenblicklich, weshalb.

„Scheiße! Nein! SCHEIßE!“ Er richtete sich mit einem einzigen Sprung wieder auf und steckte sein Zanpakutō in die Schwertscheide.

„Gottverdammt!“, fluchte er noch einmal, dann strich er sich nervös das lange, schwarze Haar aus dem Gesicht und starrte auf die Stelle, an der der leblose Körper lag. Die Lebenskette zog sich von der Brust aus, auf der der Leib lag, ein Stück über den Boden, bevor sie ein abruptes Ende nahm. Die Kettenglieder an dieser Stelle waren gesprengt und Kurotsuki wusste sofort, welches Verbrechen er gerade begangen hatte. Er hatte einen noch lebenden Menschen mit dem Konso von seinem Körper getrennt und ihn in die Soul Society geschickt.
 

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taichō = Hauptmann

Shakkaho = Rote Flamenkanone, 31. Spruch

kidō = Dämonenmagie

konso = das Konso ist eine Technik der Shinigami, die eine Seele in die Soul Society schickt. Dabei wird die Unterseite des Zanpakutōgriffes auf die Stirn der Seele gedrückt, wo sie einen individuellen Abdruck hinterlässt. Die Seele kehrt daraufhin in die SS ein.

Auf Probe

Kurotsuki traute sich kaum zurück in die Soul Society, aber seine Arbeit in der Welt der Lebenden war getan und Kōsa erwartete ihn wahrscheinlich schon ungeduldig. Der Schwarzhaarige konnte sich ganz genau vorstellen, wie sein bester Freund ihn zuerst ungläubig anstarren würde, bevor er ihn anschrie, sobald er ihm gestand, was gerade eben kolossal schief gelaufen war.

Den ganzen Weg über, der zwar nicht besonders lang war, Kurotsuki aber wie eine halbe Ewigkeit vorkam, nagten Sorge und Verzweiflung an ihm. Was würden die Hauptmänner tun, sobald sie von seinem Fehltritt erfuhren? Schließlich hatte er einen Menschen getötet. Würden sie ihn womöglich ins Exil schicken?

„Scheiße...“, fluchte der Shinigami immer noch leise, erst die Stimme seines besten Freundes unterbrach ihn in seinen Gedanken.

„Na endlich! Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr“, begrüßte Kōsa ihn, merkte aber sofort, dass mit Kurotsuki etwas nicht stimmte.

„Alles in Ordnung?“ Der Schwarzhaarige blieb vor ihm stehen und sah sich kurz um – sie standen vor dem Gebäudekomplex der Jūichibantai*, Kōsas Division –, dann setzte er zu einer Antwort an.

„Ich glaube, ich habe gerade die größte Dummheit meines Lebens begangen.“

„Inwiefern?“ Der Blonde fragte sich, was Kurotsuki diesmal aufgrund seiner Dusseligkeit angestellt haben mochte, hatte aber ein schlechtes Gefühl diesbetreffend. Ein sehr schlechtes Gefühl, das auch noch durch des Schwarzhaarigen ungewöhnliche Blässe verstärkt wurde.

„Ich... es geht um ein Konso“, brachte sein Freund mühsam hervor und blickte ihn geradezu flehend an. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Kōsa diesen Blick mit „Bitte, bitte, friss mich nicht“ interpretiert. Er schwieg jedoch und wartete geduldig darauf, dass Kurotsuki seine Beichte endlich zum entscheidenden Punkt brachte.

„Ich habe das Konso an einer Seele ausgeführt, die noch an ihren Körper gebunden war...“

„Du hast was?!“ Im Vergleich zu Kurotsukis leisem Bekenntnis war Kōsas Empörung laut und durchdringend.

„Spinnst du? Was soll das? Das kann nicht dein Ernst sein!“ Dem blonden Shinigami stand das Entsetzen deutlich in den Augen geschrieben.

„Doch. Aber es war ein Versehen! Ich habe die Kette zu spät bemerkt!“

„Wie kann man die Lebenskette zu spät bemerken?!“

„Das frage ich mich auch.“

Die beiden sahen von ihrer Auseinandersetzung auf und blickten direkt den Hauptmann der Rokubantai* an, Kuchiki Byakuya. Er war Kurotsukis Vorgesetzter und besaß einen nicht gerade sehr schmeichelhaften Ruf, der ihm meilenweit vorauseilte. Unterkühlter Aristokratencaptain war noch einer seiner harmloseren Spitznamen.

„Kuchiki-taichō!“ Kurotsuki und Kōsa nahmen sofort eine ehrerbietige Stellung ein, auch wenn der Blonde nicht dem Hauptmann der 6. Division unterstand.

„Aisaika Kurotsuki, du wirst im Versammlungssaal erwartet.“ Der Schwarzhaarige blickte seinen Hauptmann mit gemischten Gefühlen an und nickte.

„Hai*. Ich komme sofort.“

„Nicht sofort. Jetzt.“ Mit einer eleganten Umdrehung wandte Byakuya sich ab und schritt von dannen, Kurotsuki warf Kōsa noch einen entschuldigenden Blick zu, dann folgte er ihm. Wenn der Hauptmann persönlich vorbeikam, konnte es nichts Gutes bedeuten.
 

Alle hochrangigen Shinigami waren bereits anwesend, als Kurotsuki hinter seinem Taichō den Versammlungssaal betrat. Unsicher sah er sich um und entdeckte die Hauptmänner aller 13 Divisionen sowie deren Fukutaichō* an ihrer Seite.

Kuchiki Byakuya stellte sich an die noch einzige freie Stelle in den Reihen der Hauptmänner und sah mit unbewegter Miene vor sich. Sein Leutnant, Abarai Renji, stand ihm gegenüber, nur ein Durchgang, an dessen Ende der Sōtaichō*, Shigekuni Yamamoto-Genryūsai, Hauptmann der Ichibantai* und Oberhaupt aller 13 Divisionen, saß, trennte die Hauptmänner von ihren Untergeordneten.

„Aisaika Kurotsuki, tritt vor“, forderte Genryūsai den Schwarzhaarigen auf, der den Befehl sofort befolgte. Auch wenn man es dem alten Mann nicht zutraute, er war stark, der stärkste von allen, und verbreitete eine enorme Woge von Respekt unter Seinesgleichen sowie seinen Feinden.

„Aisaika Kurotsuki, Shinigami der Rokubantai unter Leitung von Kuchiki Byakuya, dessen Fukutaichō Abarai Renji unterstellt und mit dem Zanpakutō Namazu ausgestattet.“

„Das stimmt“, bejahte Kurotsuki die indirekte Frage des Sōtaichō und blickte ihn weiterhin abwartend an. In seinem Inneren drehte sich alles und er hätte den Saal am liebsten fluchtartig verlassen, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Er war sich sicher, was der Grund für die Einberufung dieses Rats war.

„Mir wurde eine Anklage gegen Dich vorgesetzt, der folgender Inhalt zugrunde liegt.

Bei Ausführung einer gemeinsamen Mission mit Ganzenai Kōsa, Shinigami der Jūichibantai unter Leitung von Zaraki Kenpachi, kam es zur Entdeckung eines vermeintlichen Plus* im betroffenen Missionsgebiet. Durch falsche Schlussfolgerung erfolgte ein Konso, das die vermeintlich vom Körper getrennte Seele in die Soul Society schickte. Das Dir vorgeworfene Verbrechen lautet einstimmig Regelbruch, spezifisch Mord.“

Genryūsais kräftige Stimme verklang und Grabesstille kehrte im Saal ein. Kuchiki blickte weiterhin mit unveränderter Miene ins Leere, als wenn ihn das Schicksal eines seiner Shinigami nichts angehen würde, einige wenige Augenpaare waren wachsam auf Kurotsuki gerichtet.

„Ich nehme Euren Vorwurf zur Kenntnis“, meinte dieser schließlich mit schwacher Stimme, „was für eine Strafe hält der Rat für angemessen?“ Es brachte nichts, sich gegen die Anklage wehren zu wollen, wenn sie doch durch und durch stimmte.

„Wir konnte Uns bis jetzt nur flüchtig beraten, doch eine überragende Mehrheit ist für eine milde Strafe“, entgegnete der bärtige Taichō ruhig, „Deine erste Aufgabe wird sein, die Seele in Rukongai* ausfindig zu machen. Sobald Du sie gefunden hast, bring sie hierher. Damit wäre der Rat aufgelöst, ich habe nichts mehr zu sagen.“ Ein Murmeln legte sich wie ein Schleier über die anwesenden Shinigami und schwoll rasch zu einem summenden Stimmengewirr an, während die Hauptmänner samt Fukutaichō den Saal verließen.

Kurotsuki wartete, bis alle Shinigami den Raum verlassen hatten, dann folgte er ihnen.
 

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Jūichibantai = 11. Division (unter Leitung von Zaraki Kenpachi)

Rokubantai = 6. Division (unter Leitung von Kuchiki Byakuya)

hai = ja

fukutaichō = Leutnant (2. Sitz einer Division; folgt ranktechnisch direkt nach dem Taichō/ Hauptmann)

Sōtaichō = Titel des Hauptmannes der 1. Division und Oberhauptes alles 13 Divisionen

Ichibantai = 1. Division (unter Leitung von Shigekuni Yamamoto-Genryūsai)

Plus = ein Plus ist die Seele eines Menschen, die vom Körper getrennt wurde (und gut ist). Bei einem Plus läuft normalerweise keinerlei Gefahr, sich in einen Hollow zu verwandeln.

Rukongai = ein Bezirk der Soul Society (außerhalb Seireiteis)

Inuzuri

Sauer stapfte Kurotsuki am Ratsgebäude entlang. Sein Zanpakutō wankte gefährlich in seiner Schwertscheide hin und her, während des Schwarzhaarigen Hände ab und zu den Griff des Katana streiften. Seine Schritte waren groß, aber schwer und einige Shinigami in der Nähe drehten neugierig flüchtig ihre Blicke in seine Richtung.

„Such' die Seele in Rukongai...“, murmelte Aisaika immer noch wütend, aber noch etwas anderes mischte sich unter seinen aufgewühlten Gemütszustand – Verzweiflung. Wie sollte er in einem Gebiet, das weit über 320 Bezirke hatte, eine einzige Seele ausfindig machen? Alleine?

Kōsa konnte, oder wohl eher durfte, nicht mitkommen – es wunderte Kurotsuki nicht, sie waren nicht in der selben Division –, aber es hätte seine bevorstehende Suche um einiges erleichtert.

Es erschien dem schwarzhaarigen Shinigami bereits eine halbe Ewigkeit her, seit ihn sein Hauptmann Kuchiki Byakuya von seinem Freund getrennt hatte und seitdem hatten die beiden noch keine Gelegenheit gehabt, sich wieder zu treffen, obwohl der Beschluss des Rates keine halbe Stunde in Anspruch hatte nehmen können.

Eines der vier Tore, die Seireitei von Rukongai trennten, war bereits zu sehen, als sich Kurotsuki der großen, weißen Schutzmauer um den Bezirk des Shinigami näherte. Er fand es ungerecht, so strikt von den normal Sterblichen isoliert zu sein, verstand aber durchaus die Notwendigkeit eines solchen Schutzwalls. Es war bereits zu oft vorgekommen, dass Seelen aufmüpfig geworden waren und die ganze Situation in einen Aufstand ausgeartet war. Zwar hatten die Shinigami die kleinen Aufstände bis jetzt immer niederschlagen können, aber sicher war sicher.

Der Wächter des Tors ließ den Schwarzhaarigen ohne Probleme passieren, nachdem dieser ihm knapp seine Aufgabe außerhalb der schützenden Mauer Seireiteis erklärt hatte und Kurotsuki fand sich sogleich im 1. Bezirk des Rukongai wieder. Je größer die Zahlen wurden, mit denen ein Gebiet betitelt war, einen desto schlimmeren Ruf hatte es und war auch dementsprechend gefährlich. Hier, im ersten, lebten die Seelen noch einigermaßen zivilisiert, so wie sie es zu ihren sterblichen Lebzeiten bereits getan hatten, aber in den weiter liegenden Bezirken standen Diebstahl, Neid und Hass an der Tagesordnung.

Etwas mulmig war Kurotsuki schon zumute und so legte er eine Hand um den Griff seines Zanpakutō. Die feste Materie verlieh ihm das trügerische Gefühl von Sicherheit, das er auf alle Fälle würde brauchen können. Vom Seishin* seines Schwertes konnte er nicht viel seelischen Beistand erwarten, Sui Jin* war ziemlich ruhig und nicht sehr kommunikativ, aber der Shinigami verübelte es seinem Partner nicht. Aus irgendeinem Grund hatten sie sich noch nie gut verstanden, sie lebten eher nebeneinander her als miteinander.

„Na dann, auf auf!“, versuchte der Schwarzhaarige sich Mut zu machen und lief in einer Art Trab los. Er wollte die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen und gedachte nicht, noch mehr Zeit zu verlieren.
 

Die ersten Bezirke zu durchqueren war kein Problem gewesen, aber gegen Abend – wenn es denn in der Soul Society überhaupt so etwas wie einen richtigen Abend gab – hatte Kurotsuki die Schnauze gestrichen voll.

Er war jetzt im 78. Bezirk des Rukongai (soweit er wusste, kam sein Leutnant Abarai Renji aus dieser versifften Gegend) angekommen und blickte sich vorsichtig um. Immer noch keine Spur von dem Plus. Wie sollte er sie eigentlich finden? Glaubten die Taichō etwa, dass er sich das Gesicht einer jeden Seele merkte, die er in die Soul Society schickte? Das war doch Wahnsinn!

Oder, es wäre Wahnsinn. Kurotsuki vermied es bewusst, die gequälten Minen der Toten in Erinnerung zu behalten, wenn sie merkten, was mit ihnen geschehen war und wohin sie als nächstes gehen würde. Natürlich immer vorausgesetzt, sie wussten es, was sie meistens nicht taten, also waren des Schwarzhaarigen Gedankengänge in jenem Moment ziemlich nutzlos. Diesmal war er ahnungslos.

„He... du da...“ Etwas zupfte an Kurotsukis Kimono und der Shinigami konnte nur mit Mühe den Reflex unterdrücken, nach seinem Zanpakutō zu greifen oder dem vermeintlichen Angreifer einen deftigen Kidōspruch an den Kopf zu donnern. Er atmete einmal tief durch und zwang sich zur Ruhe, dann blickte er herab. Es zehrte doch mehr an seinen Nerven, sich alleine außerhalb Seireitei aufzuhalten, als es es für möglich gehalten hätte.

„Ja, was ist?“ Zu seinen Füßen saß ein älterer Mann und hielt immer noch den Saum seines Kimono mit seinen schmutzigen und knorrigen, alten Fingern fest. Er bot ein perfektes Bild an Elend, aber das war hier in den höheren Bezirken so üblich. Trotzdem schlug es einem auf den Magen.

„Haste vielleicht was zu essen, Junge? Ich verhunger' hier fast.“ Kurotsuki blickte den Greis kurz erstaunt an, dann schüttelte er langsam den Kopf.

„Nein, tut mir Leid. Ich habe eigentlich auch keine Zeit zu reden...“

„Oh schade...“ Der Alte ließ den Kimonosaum wieder los und sackte mühsam wieder an die Wand hinter sich. „Weißt du, du erinnerst mich an meinen Sohn... hab' dich wohl deshalb aufgehalten, tut mir Leid, geh weiter, los...“

Kurotsuki brannte die Frage nach des Grauen Sohn förmlich auf der Zunge, aber er ahnte bereits dessen Verbleib. Die beiden würden sich wohl nie gegenseitig begegnen, viele Seelen irrten für immer im Rukongai umher, ohne ihre Verwandten je wieder zu finden. Es war auf eine traurige Art und Weise sogar makaber, Menschen glaubten, nach dem Tod würden sie ihre Liebsten wiedersehen, aber in Wirklichkeit landeten sie meist allein außerhalb Seireitei. Manchmal hasste Kurotsuki, dass er ein Shinigami war.

„NEIN! Gib mir das, das ist MEINS! Loslassen!“ Der Greis sowie der Schwarzhaarige drehten ihren Blick fast gleichzeitig in die selbe Richtung, konnte aber beide aufgrund der aschfahlen Dämmerung nicht viel erkennen.

„Willst du ihr nicht helfen?“ Der Alte fing sich einen irritierten Blick des Shinigami ein.

„Wem helfen?“

„Klang, als ob ein Mädchen schreien würd', meinste nicht?“

„Ich habe keine Zeit für sowas, alter Mann“, entgegnete Kurotsuki leicht gereizt, dann jedoch stockte er. Könnte es denn sein...? Er suchte doch nach einem Mädchen! Und Hoffnung starb eindeutig zuletzt, zumindest die seine!

Er rannte sofort mit Shunpo* los, was aber in Anbetracht der kurzen Entfernung, die Kurotsuki hatte zurücklegen müssen, schon beinahe lächerlich wirkte. Seinen Augen bot sich ein in den schlechten Bezirken des Rukongai nur allzu tägliches Bild – zwei Burschen, äußerlich vielleicht um die 20 Jahre alt, standen um ein junges Mädchen, das im Gegensatz zu den beiden wie eine kleine Porzellanpuppe wirkte. Sie kauerte auf dem Boden und blickte durch ihr dichtes Haar, das ihr Gesicht verdeckte, zu den beiden Männern empor, die Hände im Staub unter sich vergraben. Ihre Stimme klang weinerlich.

„Gebt mir das!“ Einer der Burschen lachte auf, der andere knurrte nur missbilligend.

„Nix da! Das ist jetzt unser Essen! Such' dir was eigenes!“

„Das ist MEINS!“

Kurotsuki begriff endlich, was dort los war. Einer der Männer (der, der vorhin gelacht und mit dem Mädchen gesprochen hatte), hielt ein Brötchen in seiner rechten Hand, die er außer Reichweite über seinem Kopf erhoben hielt.

„Bitte...“ Diesmal schluchzte die zierliche Braunhaarige, „bitte... gebt es mir zurück!“

„Klappe!“ Der andere Mann – Kurotsuki entschied sich innerlich, ihn Köter zu nennen, wegen der Knurrlaute von vorhin – versetzte dem Mädchen einen Tritt und sie sackte sofort wieder zusammen. Er war höchste Zeit einzugreifen!

„Hey, ihr zwei!“ Der Shinigami zog sein Zanpakutō und umklammerte es mit festem Griff, dann kam er auf die beiden düsteren Gestalten zu. „Ihr habt sie gehört. Her mit dem Essen!

„Wüsste nicht, was dich da-“ Verblüfft blieb Köter der Mund offen stehen. „Scheiße! 'N Shinigami! Los, verpissen wir uns!“ So schnell, wie die beiden wahrscheinlich aus dem Hinterhalt aufgetaucht waren, so schnell waren sie auch wieder verschwunden. Nur leider mitsamt dem Brötchen.

Kurotsuki steckte Namazu wieder weg, dann ging er in die Hocke und streckte seine Hand nach dem Mädchen aus. Sie griff sofort danach und ließ sich vom Schwarzhaarigen aufhelfen, als sie sich jedoch urplötzlich wieder wie von Sinnen losriss und ihn spürbar feindselig aus ihren verweinten Augen ansah.

“DU!“

„Ehm... ich?“ Die Braunhaarige starrte ihn immer noch an, dann schnaubte sie wütend.

„Du... du... es ist alles DEINE Schuld! Nur wegen dir habe ich nichts zu essen!“

„Bitte?! Ich habe gerade versucht, dir zu helfen!“, protestierte Aisaika sofort, aber das Mädchen schien es gar nicht richtig wahr zu nehmen. Stattdessen brach sie in erneutes Schluchzen aus.

„Du hast meine Kette zerstört! DU warst das!“ Sie schüttelte den Kopf und Kurotsuki begriff augenblicklich.

Er hatte sie endlich gefunden.
 

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Inuzuri = Bezeichnung des 78. Bezirks

Seishun = die Seele/ der Geist eines Zanpakutō

Sui Jin = Kurotsukis Zanpakutō

Shunpo = schneller Schritt; eine Technik der Shinigami, mit deren Hilfe sie sich extrem schnell fortbewegen können



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