Zum Inhalt der Seite

Fragmente

Kurzstory-Sammlung
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Späne

Klappernd fiel das Stück Holz zu Boden. Norvald grunzte genervt und hob es mit seiner gesunden Hand wieder auf. Nachdem er es auf den Tisch gelegt hatte justierte er zum fünften Mal heute Morgen seine stählerne Prothese.

Das klobige Ding ersetzte jetzt schon seit einigen Wochen seine rechte Hand. Angeblich war es ein vollwertiger Ersatz aber bisher machte es mehr Probleme als es löste.

Durch einen Schlag mit der flachen Hand brachte er die klemmende Abdeckung dazu, sich zu schließen. Damit hatte sich vermutlich wieder irgendeine wichtige Schraube gelöst aber ihm war es egal.
 

Er spannte sein Holzteil in die Drehbank ein und ließ seinen Blick über die dutzenden Drechselmesser wandern, die vor ihm an der Wand hingen.

Er stutzte.

Seit wann hing das Bayonett dort? Und warum?

Skeptisch griff er nach der Waffe und wog sie in der Hand. Die Rückseite der Klinge war blutverschmiert.

Eine Erinnerung blitzte auf:

Er, wie er mit einer ebensolchen Waffe wieder und wieder auf das Monster einstach, das gerade aus dem Boden gebrochen war und einem seiner Kameraden mühelos den Bauch aufgeschlitzt hatte.

Das enttäuschende Klacken mit dem das Bayonett immer wieder von dem blau schillernden Chitinpanzer abprallte und die schrillen, unmenschlichen Schmerzensschreie des Soldaten, den das Monster zerfleischte bis jemand seine Muskete aus kürzester Entfernung in den Kopf des Monsters feuerte.

Mit einem Aufschrei ließ er das Bayonett fallen.
 

"Norvald?", rief seine Frau mit besorgter Stimme.

"Es... Es ist alles in Ordnung!", antwortete er, ohne den Blick von dem Schnitzmesser zu nehmen, das zitternd im Boden steckte.

Natürlich. Milizionären war es verboten, Ausrüstung der salestrischen Armee zu behalten.

Vorsichtig zog er das Messer aus den Holzdiehlen. Vielleicht war heute kein guter Tag zum Drechseln.
 

Er atmete tief durch und stellte sich an die Hobelbank. Schließlich brauchte der Stuhl, an dem er arbeitete, noch eine Rückenlehne.

Vorsichtig nahm er den Hobel aus dem Regal. Beinahe erwartete er eine weitere Kapriole seines Verstandes, aber nichts geschah.

Die Klinge schnitt mühelos in das Holz und hob eine Schicht nach der anderen ab. Beim fünften Zug brach plötzlich ein grelles Kreischen aus dem Holzblock. Orangenes Blut verschmierte das Holz und zog geifernde Fäden von der Hobelklinge. Beißender Gestank nach dem Pulver der Musketen und Kanonen erfüllte seine Wahrnehmung. Nach dem Blut seiner Mitstreiter. Den ätzenden Körpersäften der vielgliedrigen Monster, deren Körper sich vor den Mauern der Nordfeste türmten.

Norvald unterdrückte einen weiteren Schrei als er rückwärts taumelte.

Sein Arm stieß gegen etwas, das klappernd zu Boden fiel, und ein stechender Schmerz schoss durch seinen Unterarm.

Zögerlich drehte er seinen Arm bis er sehen konnte, was den Schmerz verursachte. Diesmal konnte er den Schrei nicht unterdrücken.

Ein fetter schwarzer Wurm klebte an seinem Arm und fraß sich mit hässlichem Schmatzen in sein Fleisch. Rot leuchtende Augen sahen ihn mit unnatürlichem Hunger an und erfreuten sich an seiner Angst.

Einen unendlich langen Augenblick starrte Norvald die rasiermesserscharfen Mundwerkzeuge an, die gierig sein Fleisch in die immer fetter werdende Made stopften.

Endlich überwand er seine Schockstarre, packte den nächstbesten Gegenstand und schlug auf das Höllentier ein. Dass die Schläge mit dem schweren Spachtel seine Haut unnatürlich eindellten fiel ihm gar nicht auf. Erst als der Wurm mit einem ekelerregendem Geräusch aufplatzte und sein Inneres über den Boden verteilte, hatte er einen Moment Zeit, sich über die Deformierung zu wundern.

Dann schlossen sich zwei mächtige Krallen um seine Schultern. Anscheinend war die Mutter angekommen um die Brut zu retten. Ohne zu denken drehte Norvald sich um und schlug nach dem Monster, doch das fing seinen Schlag mühelos ab und wand ihm seine improvisierte Waffe aus der Hand.

Er versuchte sich zu befreien, doch er kam gegen die übermenschliche Macht nicht an.

Jetzt erst sah er dem Monster ins Gesicht. Er erstarrte als er die besorgte Miene seiner Frau erkannte, die ihn jetzt sicher in die Arme schloss. Er krallte sich mit seiner gesunden Hand in ihr weiches Kleid und Tränen der Verzweiflung benetzten seine Wangen während er hilflos wimmerte:

"Sie sind noch da draußen."



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück