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Hazard

von

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Vollmond

Es war schon viel zu lange her seit Liam das letzte Mal seiner Leidenschaft frönen konnte – Fotos im silbrigen Licht des Mondes machen. Durch das fahle Licht war es nicht unbedingt einfach, aber das war damals vermutlich ein Grund gewesen, warum er angefangen hatte, wieder die Schulbank zu drücken.

Die Ausbildung zu einem professionellen Fotografen machte ihm zum Teil durchaus Spaß, dennoch war es nicht immer einfach und es gab oft viel Arbeit zu tun, auch Hausaufgaben und da Liam am Ende seiner Ausbildung stand, war er im Moment noch etwas mehr beschäftigt, als noch vor wenigen Monaten.
 

Eigentlich hätte er durchaus zu Hause sein sollen und seine Arbeiten fertig machen. Doch der Vollmond war einfach zu verlockend gewesen, weswegen er es nach 23 Uhr nicht mehr länger zu Hause aus und hatte sich zur unmenschlichsten Zeit überlegt, dass es draußen an der frischen Luft wesentlich angenehmer war, als in der kleinen Wohnung.
 

In der Tat war die Luft frisch. Immerhin war es schon Anfang November und viele Bäume hatten ihr Blätterwerk schon zu Boden fallen lassen. Manchmal wurde es über Nacht auch schon so kalt, dass man am Morgen weißen Raureif auf dem Gras und geparkten Autos sehen konnte.

Quasi die ersten Boten des Winters.
 

Liams Atem kondensierte in der frostigen Luft und dennoch verschwendete der junge Mann keinen Gedanken daran, wieder nach Hause zu gehen.

Unbemerkt war er über die Friedhofsmauer geklettert und kurze Zeit später war er mit der Dunkelheit verschmolzen. Auch als Werwolf war die Nacht sein Element, selbst wenn man es einem Vampir eher zutrauen würde.

Seine Ohren waren besser, als die der Menschen und sein Geruchssinn übertraf jenen der Vampire um Welten. Seine Augen allerdings glichen jenen der Menschen – in seiner wölfischen Gestalt war es ihm sogar nicht mehr möglich, einige Farben voneinander zu unterscheiden.

Eigentlich war es auch nicht nötig. Als Wesen, die meist in der Nacht auf die Jagd gingen, war es nicht nötig, viele Farben zu erkennen.
 

Mit frierenden Fingern richtete Liam seine Kamera, schraubte das passende Objektiv und testete die Belichtung. Er hatte schon seit Monaten, wenn nicht sogar seit Jahren nicht mehr verwandelt. Seit dem er so aktiv unter den Menschen lebte, wäre es wohl auch zu gefährlich gewesen. In solchen Momenten hatte er oft das Gefühl gehabt, von einer unbändigen Wut überrannt zu werden, der er nur sehr schwer Herr werden konnte. Und auch wenn es ihm nach einiger zeit leichter gefallen war, war es dennoch nicht immer einfach dem Drang zu widerstehen, nicht irgendwas in seiner Umgebung kurz und klein zu hauen.
 

Und diese Nacht lud gerade zu dazu ein, nach draußen zu gehen und mit Hilfe des silbrigen Lichts Dinge fotografisch einzufangen. Es war schon ein wenig ironisch, dass das Silberlicht des Mondes sie zur Transformation brachte und überhaupt ihr Leben bestimmte, wie er auch die Gezeiten steuerte. Und nun stand er hier und genoss den Anblick, der sich ihm darbot. Alles war ruhig und in ungefähr genauso, wie man sich einen Friedhof bei Mitternacht vorstellte.
 

Eigentlich war es eine Überraschung für ihn gewesen, dass sich ihm eine solche Möglichkeit dargeboten hatte. Es war keine Neuigkeit, dass sich unter den Lykanern auch Wissenschaftler befanden. Und vielleicht lag es auch an den Techniken des 20 bzw 21. Jahrhunderts, weswegen es ihrer Rasse nun gelungen war, ein Mittel gegen eine Verwandlung gefunden zu haben.
 

Selbst für Liam war dieses Mittel eine Art heiliger Gral gewesen. Ältere Werwölfe waren zwar in der Lage, ihre Verwandlung bei Wollmond zurückzuhalten oder sich zumindest zu jedem Zeitpunkt in eine muskulöse Bestie zu verwandeln Dennoch bestimmte der Mond sein Leben, egal, ob er sich nun verwandelte oder nicht.

Während er die Tage rund um Neumond am liebsten im Bett bleiben würde, da ihn unmenschliche Müdigkeit heimsuchte, krabbelte es unter seiner Haut bei Vollmond, als würden zusätzlich zu seinem Blut Ameisen durch seine Adern gepumpt werden.
 

Ja, der Vollmond konnte sogar dann für Werwölfe unangenehm sein, wenn sie sich nicht zwangsmäßig verwandelten.

Dennoch würde er sein Leben nicht mit dem eines Menschen tauschen wollen. Oder gar mit dem eines Vampirs.

Wie aus einem Reflex heraus überkam Liam eine Gänsehaut.
 

In Proportion zu den Jahrhunderten, in denen es zwischen Werwölfen und Vampiren zu kriegerischen Aktivitäten gekommen war im Vergleich zu den Jahren, in denen nun eine Art Frieden herrschte, war wie ein kurzer Lidschlag gegenüber einer Stunde. Nicht, dass sich Liam im Moment daran erinnern konnte, warum genau es überhaupt einen Krieg gegeben hatte bzw. warum nun Frieden herrschte. Er war zu jung, um sich an den Beginn der Meinungsverschiedenheit zu erinnern.

Auf der anderen Seite war er schon immer ein eher ruhigerer Typ gewesen. Der Krieg wurde ihm auch zuwider, aber jetzt normal mit den unsympathischen Blutsaugern umgehen, erschien ihm noch unnatürlicher.
 

„Vermutlich denken sich manche Vampire das Gleiche, wie ich...“, murmelte Liam zu sich selbst und drückte erneut auf den Auslöser seiner Kamera.
 

Das Mittel gegen die Verwandlungen musste man sich selbst spritzen, doch die Wirkung war nicht zu unterschätzen. Er fühlte sich durchaus ruhige, auch wenn die Nacht vorüber war und er nun in sein verschlafen wirkendes Spiegelbild blicken konnte.

Nussbraune Strähnen hingen ihm teilweise ins Gesicht, die sich während seines Schlafes aus dem Haarband gelöst hatten. Auch wenn es inzwischen schon viele Haarbände aus Gummi gab, zog er es vor, sich seine Haare mit Stoffbändern zusammen zu binden.
 

Die Fotos der vergangenen Nacht waren noch unbearbeitet auf seiner Kamera, doch er könnte sie noch schnell auf sein Notebook spielen und hätte während einer langweiligen Stunde eine wesentlich sinnvollere Beschäftigung. Und womöglich für später eine weitere Wandzierde.
 

Der Weg in die Universität – das Schulgebäude in dem sie sonst untergebracht waren, wurde eben renoviert, weswegen sie sich einen Hörsaal an der nahen Universität gemietet hatten – war meist recht ereignislos. Er war nur dann recht unangenehm, wenn er am Hausgang seine ate Nachbarin traf. Eigentlich war sie ja nicht wirklich alt, aber in einer Phase ihres Lebens, in der sie es interessanter fand, Liam nach seinen Tagesabläufen auszufragen, anstatt sich Freunde mit gleichen Interessen hzu suchen – was in diesem Fall wohl wieder die Neugier war.

Jedenfalls war auch heute Morgen wieder einer jener Tage gewesen, ein denen er versuchte, sich den verbalen Klauen dieser durchaus liebenswerten aber einfach zu wissbegierigen Frau zu entkommen – was durchaus einige Minuten in Anspruch nehmen konnte.
 

Sein nächtlicher Besucht auf dem Friedhof war doch nicht unbemerkt geblieben und Mrs. Jenkins wollte den Grund dafür wissen. Für eine Nachbarin war sie auch sehr fürsorglich – für Liams Geschmack allerdings ein wenig zu fürsorglich.

Erneut musste er wiederholen, dass er weder irgendwo eine Freundin noch eine Geliebte hatte – „Als wenn es irgendein Mädchen gäbe, dem deine grünen Augen nicht gefallen würden...“, nach einem Seufzen fügte sie noch hinzu: „...wenn ich doch nur jünger wäre....“ – noch, dass er irgendwie an Schlaflosigkeit litt – was vielleicht ein wenig geschummelt war – schaffte er es dann doch, sich von ihr loszureißen. Immerhin musste er doch in die Uni zu besagter räumlich verschobener Schulstunde, die er nicht verpassen durfte.

So gesehen sollte es doch auch für Menschen nichts ungewöhnliches sein, sich nachts auf einen Friedhof zu schleichen, aber den Grund seines nächtlichen Reißaus war Mrs. Jenkins zum glück nicht bekannt, sonst würde sie ihn wohl mehrmals wöchentlich zum Kaffee einladen und ihn mir Fragen löchern.
 

Und doch hatte er diese Menschenfrau gerne und fand es schade, dass sich ihre Kinder so selten bei ihr meldeten.
 

In der Universität hingegengeschah nichts Unvorhergesehenes. Alles war beim Alten.

Mr. Thompson hielt wie üblich seinen Vortrag in monotoner Stimme und Liam war nicht der Einzige, der sich anderweitig beschäftigte.

Die Augen des jungen Mannes lagen beinahe wie gebannt auf dem Bildschirm, bevor ihn etwas verdächtig an den Haaren zog.

Keinen Moment später drang Jennifers Stimme an sein Ohr. Jenny war eine junge Frau mit der er eigentlich schon immer gut ausgekommen war.
 

„Hier...“, murmelte sie und drückte ihm einen Zettel in die Hand. Darauf stand schwarz gedruckt die Einladung zu einer Party. Ob jemand Geburtstag hatte stand nicht drauf. Auch kein anderer ersichtlicher Grund, aber Menschen brauchten offenbar keinen Grund, um sich zu betrinken oder zu feiern.

„Danke“.“ Liam drehte den Zettel noch ein wenig, bevor sein Augenmerk auf das Datum der Party fiel.

Zwei Wochen.

Neumond.

„Wirst du kommen?“

Jennys Worte drangen wieder an sein Ohr und Liam wusste nicht so recht, was er ihr darauf antworten konnte. Er wusste jetzt schon, dass er zu dieser Zeit wohl nicht zu gebrauchen war und eigentlich wollte er sie nicht anlügen.

„Kann ich dir noch nicht sagen, aber in einer Woche oder so...kann ich dir wohl eine Antwort geben...“
 

Jenny nickte leicht lächelnd und begann noch etwas Smalltalk mit ihm, was Liam allerdings begrüßte. Nichts war angenehmer, als von diesem Vortragendem abgelenkt zu werden. Er erzählte ihr sein Erlebnis mit seiner Nachbarin, was Jenny ihrerseits glucksend kommentierte. Sie fand es immer recht amüsant, sich Geschichten über die ältere Dame anzuhören.

„Meine Eltern sind in zwei Wochen auf Urlaub.“

„Darum gibst du also diese Party?“

Grinsend hatte Liam die Arme vor der Brust verschränkt. Natürlich war ein elternlolses Haus mehr als einaldend in Bezug auf eine – vermutlich nicht genehmigte – Party.

„Du kennst mich zu gut.“, erwiderte die junge Frau und seufzte gespielt theatralisch.

Er kannte Jenny nicht wirklich ‚gut’, es war lediglich vorhersehbar gewesen.
 

Jennifer hatte vor Monaten versucht, mehr als eine Kollegin für Liam zu sein, doch das Interesse des jungen Mannes war nicht geweckt worden. Daher ließ sie ihre Bemühungen fallen.

Der junge Werwolf war zufrieden damit, mehr oder weniger alleine zu sein. Oder zumindest keine ‚Lebensabschnittspartnerin’ – wie es die Menschen im Moment nannten – zu haben.

Außerdem lag seine Aufmerksamkeit im Moment auf seiner Ausbildung und weniger auf Frauen.
 

Zumal es in dieser Stadt den ein oder anderen Treffpunkt für Lykaner gab. Vermutlich auch für Vampire, aber das interessierte ihn weniger.
 

Irgendwie war das schon seltsam.

Menschen flogen auf den Mond, untersuchten den Mars und klonten Schafe. Dennoch war es ihnen bisher entgangen, dass ‚Untote’ und ‚Wolfsmenschen’ unter ihnen lebten.

Sowohl Vampire als auch Werwölfe waren trotz ihres jahrelangen Kriegs auf der Hut gewesen und hatten Menschen aus ihrem Beuteschemagestrichen. Es wäre einfach zu auffällig gewesen .

Und auch wenn es anfangs immer wieder ein paar gegeben hatte, die aus der Reihe getanzt waren, hatten die stärkeren Werwölfe ihre Rudelmitglieder unter Kontrolle.
 

Den Rest der Stunde verbrachte Liam mit flüsternden Gesprächen. Sowohl mit Jenny, als auch ihrer Sitznachbarin, die bereits zugesagt hatte, dass sie zur Party kommen würde. Manchmal erweckten die beiden Mädchen den Eindruck, als wären sie siamesische Zwillinge.
 

Das Klopfen zog Liams Aufmerksamkeit auf sich. Die Stunde war vorüber und die Schüler klopften auf die Tischoberfläche, anstatt zu klatschen. Draußen auf dem Gang wuselten keine drei Minuten später viele junge Menschen herum. Manche machten dein Eindruck, als würden sie flüchten wollen, andere waren in gemütliche Gespräche vertieft. Widerrum andere saßen auf dem Boden oder Bänken und waren vertieft in irgendwelche Unterlagen.
 

Im Gegensatz zum Morgen hatte es inzwischen aufgelockert und obwohl die Luft kalt war, fühlte sich die Sonne angenehm warm und der junge Mann dachte daran, sich in einem nahegelegenem Café einen Kaffee zu holen. Anschließend konnte er die Wintersonne ein wenig genießen. Da er ohnehin noch etwas zu arbeiten hatte, würde er heute noch einige Zeit zu Hause verbringen.
 

Nicht, dass er nicht gerne zu Hause war. Er mochte seine Wohnung. Sie war zwar nicht sonderlich groß, dafür aber gemütlich eingerichtet. Auf der anderen Seite wollte er die frische Luft genießen, so lange er konnte und noch Zeit dafür hatte.
 

Gegenüber von dem Café war eine kleine Parkanlage. Durch die Lage nahe der Uni war sie um die Mittagszeit oft sehr mit Studenten bevölkert. Heute allerdings waren relativ wenige da, obwohl das Wetter durchaus einladend wirkte. Vielleicht war es manchen aber doch einfach zu kalt, um unbeweglich herumzusitzen.

Aber so konnte Liam es sich alleine af einer Bank bequem machen, seinen warmen Kaffee trinken, die Ruhe genießen und die Fotos von letzter Nacht weiter zu bearbeiten. Vielleicht konnte er die Bilder auch noch anderweitig benutzen als lediglich für ein Poster. Womöglich auch für eine Bewerbungsmappe, doch daran wollte er im Moment noch nicht denken.
 

Daran konnte er im Moment auch nicht denken, denn der Geruch, der ihm nun unter die Nase wehte, brachte seine Nackenhärchen dazu, sich aufzurichten.

Mangelnde Sehkräfte wurden bei Lykanern durch einen mehr als ausreichenden Geruchssinn ausgeglichen. Und für Liam war es durch die vergangenen Jahrhunderten ein Leichtes, nicht nur den Urheber eines Geruchsstoffes ausfindig zu machen, sondern auch dessen Standort.

Selbst wenn nun offiziell kein Krieg mehr war, ließ selbst das indirekte Aufeinandertreffen mit einem Vampir seinen Körper reagieren.

Neben aufgestellten Körperhärchen folgte auch eine Gänsehaut und Liam konnte den jungen Mann entdecken, der mit Sicherheit der Untote war, von dem der Geruch ausging.
 

Allerdings schien dieser ihn zu ignorieren – denn Liam konnte sich nicht vorstellen, dass er ihn selbst nicht auch bemerkt haben konnte. Immerhin reagierten ihre Körper aufeinander, wie zwei verschiedene Pole. Selbst wenn Liam sich nicht erklären konnte warum, oder was den Krieg damals ausgelöst hatte, aber irgendwie war dieser kriegerische Zustand zwischen den beiden Rassen in ihr Blut gedrungen.



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