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Hoffnung zu Asche

Schatten und Licht, Band 2
von

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Angetreten

Hitomi erfreute sich an Merles und Serenas hellen Gelächter, was aus dem Kuppelzimmer über die Wendeltreppe zu ihr in Vans Arbeitszimmer drang, während Sie am späten Morgen über die internationale Korrespondenz der vergangenen Tage brütete. Es waren eine Menge Kondolenzbriefe eingegangen, von denen aber eine erdrückende Mehrheit nur aus leeren, sich ständig wiederholenden Worthülsen bestanden. Lediglich aus wenigen Ausnahmen konnte die Witwe ehrliche Anteilnahme herauslesen.

Allen fand wie immer die richtigen Worte sie zu trösten und erkundigte sich anschließend nach Merles Befinden. Dryden verknüpfte seine Trauer mit Geschichten aus alten Tagen und bot zugleich Unterstützung für die Zukunft an. Cid hatte es sich nicht nehmen lassen ihr einen Brief zu schreiben, obwohl er während Vans Tod an ihrer Seite gewesen war. Sophia, die ihr Handwerk als Herrscherin Chuzarios bei Van gelernt hatte, bot sich ihrerseits nun als Lehrerin an und versprach eine sichere Bleibe in harten Zeiten. Von Milerna, die nun schon seit Wochen verschwunden war, war kein Schreiben gekommen, was Hitomi nur noch mehr beunruhigte. Dafür lag aber ein Brief von ihrer großen Schwester Eries bei, in dem sie an die Stärke der Königin Farnellias appellierte.

Ihr Vater Aston hatte ebenfalls nicht geschrieben. Den erwartete Hitomi aber auch zum Abendessen, zu dem er sich quasi selbst eingeladen hatte. Die Witwe entlud ihren Frust mit einem Seufzer. Der König Astorias fiel wie ein Geier im Sturzflug über Vans Hinterlassenschaften her. Aber Verständnis war für internationale Politik sowieso ein Fremdwort. So viel konnte sie aus dem Haufen Papier vor ihrer Nase schließen.

Jemand klopfte behutsam, fast schon schüchtern an ihre Tür. Froh darüber, etwas anderes als Buchstaben sehen zu können, ließ Hitomi den Schreibtisch ihres Mannes hinter sich und öffnete die Tür. Vor ihr stand Gesgan der kolossale, in die Jahre gekommene Kommandant der königlichen Leibwache. Eigentlich überragte er die junge Frau vor sich um mehr als eine Kopflänge, aber heute erschien er ihr kleiner als sie selbst.

„Guten morgen, Majestät.“, begrüßte er sie förmlich. „Ich melde mich wie befohlen.“

Sie wollte seinen Stolz umgehend wieder gerade biegen, da quiekte Merle oben im Kuppelzimmer und es war ein Plätschern zu hören.

„Lassen sie uns ein Stück gehen.“, schlug die Königin verlegen vor, woraufhin sie in den Flur hinaustrat und hinter sich die Tür schloss. Statt an ihrer Seite zu bleiben, trottete Gesgan hinter ihr her. Die beiden wechselten nicht ein Wort, während sie durch die verwaisten Gänge der Villa auf den planierten Garten zusteuerten, der den kleinen Regierungssitz umschloss. Als sie schließlich das Gebäude durch einen Nebeneingang verließen, entfuhr Hitomi wieder einmal ein leises Wimmern. Wo einst Blumen und Sträucher Wege vorgezeichnet hatten, war nur noch eine dreckige Ebene, die Merle vor der Schlacht als Truppenübungsplatz gebraucht hatte.

„Erzählen sie!“, befahl die Königin wehmütig. „Wie war Vans letzter Tag?“

Jetzt schien Gesgans Berufung vor seinem Einstieg in die königliche Leibwache durch. Bis ins letzte Detail berichtete der ehemalige zaibacher Spion von dem Tag, an dem ihr Mann starb, während sie über den Platz schlenderten. Er beschrieb ihr, wie Van sich in die Lüfte erhoben hatte und so seinem Volk für immer entschwunden war. Danach beschrieb er das Eintreffen der Truppen Astorias und ihre zielstrebige Besetzung Farnellias.

„Besetzung?“, hakte Hitomi scharf nach.

„Nennt es, wie ihr möchtet, Majestät.“, rechtfertigte sich Gesgan. „Ihre Soldaten halten das Tor und die Mauer, patrouillieren in den Straßen und kontrollieren das Flugfeld. Nur vom Regierungssitz haben sie sich bisher ferngehalten.“

„Wenn es zum äußersten käme, wie könnten wir sie wieder loswerden?“

Der Krieger überlegte laut: „In ihren Rüstungen ist selbst die Infanterie für unsere einfachen Waffen praktisch unerreichbar. Mit ihren Schiffen und Bomben könnten sie jeden Unruheherd in Asche legen. Da hilft es nicht fiel, dass sie uns zahlenmäßig nur doppelt überlegen sind.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Den König während dem Abendessen als Geisel nehmen und Forderungen stellen. Das wäre unsere einzige Möglichkeit mit den Mitteln, über die wir verfügen.“

„So wie Astons Stand in Astoria ist, würden ihre Soldaten die Villa stürmen und ihn gleich mit umbringen, natürlich versehentlich.“, spann Hitomi den Faden trocken weiter.

„Ich hoffe, ihr habt eine bessere Idee, euer Majestät.“

Doch Hitomi ignorierte seinen Appell. Jetzt sollte ihr Schauspiel beginnen.

„Erzählt mir von Vans Leibgarde!“

„Es ist die einzige militärische Einheit, die sich als solche Bezeichnen kann. Farnellia verfügt zwar auch über Wachen, aber ihre Anzahl ist wie Ausrüstung. Ungenügend.“

„Kommandant, die Leibwache.“, erinnerte sie ihn streng.

„Wie ihr wünscht.“ Gesgan rang nach Worten. „Zusammen mit Merle sind wir ein halbes dutzend Leute. Wir verfügen über moderne Ausrüstung, wie zaibacher Kommunikationstechnologie und einem Luftschiff.“

„Das ihr nur erbeuten konntet, weil ich unfreiwillig als Lockvogel hergehalten habe.“, ergänzte die Königin ungehalten.

„Richtig.“, bestätigte Gesgan und fuhr fort. „Natürlich fehlt es uns an Leuten. Meist konnte nur ein einzelner Mann König Van bewachen. Manchmal war nicht einmal das möglich, weil wir durch Aufgaben vereinnahmt wurden, die die Stadtwachen nicht bewältigen konnten.“

„Wie dem Aufspüren eines Schmugglerrings?“

„Oder des Ausstellers eures Kopfgeldes.“

„Wer sind die restlichen Mitglieder? Es ist doch ein verurteilter Dieb dabei.“

„Er hat versucht in die Villa einzubrechen und hat sich dabei äußerst geschickt angestellt. Euer Gatte hatte ihn die Stelle als Alternative zum Galgen angeboten.“

„Van hat Todesurteile verhängt?“, wunderte sich Hitomi.

„Nein.“, dementierte Gesgan. „Wann immer sich das Volksgericht seit der Krönung seiner Majestät für diese Strafe entschieden hatte, hat er eine Alternative vorgeschlagen und durchgesetzt.“

Er hat es für mich getan, erkannte Hitomi betrübt. Der Punkt Todesstrafe Abschaffen stand nun ebenfalls auf ihrer Agenda.

„Gut und schön.“, sagte Hitomi ganz auf ihre Rolle der gefühllosen Herrscherin bedacht. „Kommandant Gesgan, ihr seht sicher ein, dass ich meine Sicherheit nicht einer Leibgarde anvertrauen kann, die bei meinem teuren Ehemann so kläglich versagt hat.“

Gesgan ließ sich nichts anmerken, doch innerlich wurden seine schlimmsten Befürchtungen Realität. Bisher hatte er seine Herrin als eine feste, gutmütige Seele erlebt, doch der Verlust eines geliebten Menschen konnten die wärmsten Herzen zu Eis gefrieren lassen. Er hatte ein und dieselbe Geschichte schon bei vielen Frauen gefallener Kameraden erlebt. Allerdings waren diese nie in der Position gewesen, sich zu rächen. Nun musste er um seine Einheit fürchten.

Die Königin fuhr fort: „Ihr habt zugelassen, dass euer König sich allein auf den Weg machte und allein starb. Wie entschuldigt ihr euer Versagen?“

„König Van gab mir klare Anweisungen! Es war eine Notsituation!“, verteidigte Gesgan sich und seine Männer. „Außerdem habt ihr bei eurem Besuch in Palas ebenfalls eure Leibwächter weggeschickt!“

„Parn und Torren, ja.“, entsann sich Hitomi und rechtfertigte sich: „Ich war jedoch bei der königlichen Leibwache Astorias in guten Händen. Übrigens, sind die beiden noch in Farnellias Diensten?“

„Der König und die Prinzessin fanden es nicht richtig, dass die beiden für ein Land sterben sollten, dass nicht ihr eigenes war, und haben sie zurück nach Chuzario geschickt.“

„Sehr gut.“ sie rümpfte hochwohlgeboren die Nase „Dort können sie bleiben.“

„Und was soll mit dem Rest von uns geschehen?“, erkundigte sich Gesgan, der das Gespräch so satt hatte.

„Euer Dienst ist doch auch eine Alternative zum Galgen, nicht wahr?“ Der ehemalige Spion aus Zaibach hielt es für zwecklos zu antworten. „Ich werde ganz gewiss nicht mit dem Morden anfangen.“, schwadronierte Hitomi mit der Nasenspitze in der Luft. Zugegeben, sie kam sich dabei ein bisschen lächerlich vor. „Die Leibgarde wird aufgelöst. Ihr und der Dieb werdet aus Farnellia verbannt. Alle regulären Soldaten der Leibwache werden der Stadtwache beitreten.“, verkündete die Königin ihr Urteil.

„Mit sofortiger Wirkung?“, hakte der Krieger matt nach. Hitomi tat, als müsste sie überlegen, doch selbst diesen Punkt hatte sie letzte Nacht zurechtgelegt.

„Nein, ihr dürft der Asche meines Mannes als Ehrengarde den letzten Dienst erweisen.“, antworte sie betont großzügig. Auch wenn sie such unausstehlich verhalten musste, diese Art des Abschieds konnte sie den Männern nicht verweigern. Dann aber wurde sie bewusst eine Spur gehässig. „Nach König Vans Beerdigung werden die Mitglieder der Leibwache, die keine Verbrecher oder Prinzessinnen sind, eben diese nach Chuzario eskortieren. Merle wird dort ihren Urlaub verbringen. Auf unbestimmte Zeit. Ihr und der Dieb könnt eure Wege gehen.“

„Das kann nicht euer Ernst sein!“ Der alte Krieger war fassungslos. Das Verhalten seiner Königin ging über Rache hinaus. Sie vollzog einen Staatsstreich. „Ihr könnt Merle nicht einfach aussperren!“

„Ich kann! Sie hat mir ihre Treue geschworen, so wie ihr, Kommandant. Muss ich euch daran erinnern?“

„Nein, müsst ihr nicht.“, gab Gesgan Zähne knirschend zu Protokoll. „Aber ihr macht einen Fehler. Merle verfügt über großen Rückhalt in der Bevölkerung. Selbst ihr habt mir gestern noch gesagt, ich solle mich auf sie verlassen.“

Die junge Frau fluchte innerlich und verlor so einen Augenblick ihre Maske. Das kam davon, wenn man Pläne buchstäblich in der letzten Minute vorziehen musste. Aston hätte ihr wenigstens ein paar Wochen geben können. Doch ihr kam die rettende Idee.

„Das war vor meinem Gespräch mit Merle.“, behauptete sie steif. „Sie war bis gestern völlig aufgelöst. Statt ihre Königin und ihren König im Reich würdig zu vertreten, hat sie sich seit Vans Tod wie ein kleines Mädchen die Augen ausgeheult!“

„Sie ist ein Mädchen!“, konterte Gesgan brüskiert.

„Dann kann sie meinetwegen ein Mädchen bleiben!“, erwiderte Hitomi laut. Auf dem Hof wurden nun die zwei Wachen vor der Villa zwangsläufig zu Zeugen des Gesprächs, was der Königin gelegen kam. „Sie hatte ihre Chance und hat sie verstreichen lassen. Ich will sie nicht in meiner Nähe!“ Mit ihrem Kopf in den Wolken stolzierte sie in die Villa, während die Männer auf dem Hof ihr ungläubig nachsahen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  fahnm
2014-06-11T21:32:41+00:00 11.06.2014 23:32
Super Kapi^^
Von:  Ruki_Nishimura
2014-06-11T10:33:21+00:00 11.06.2014 12:33
Okay quite unsure what to think about this. Das habe ich ganz sicher nicht kommen sehen. Aber ich bin echt gespannt wie es weiter geht.
Übrigens ist das Kapitel das einzige ohne Überschrift. Absicht?
Antwort von:  CatariaNigra
11.06.2014 14:51
Das Hitomi irgendwas plant kann man ja schon aus den vorausgehenden Kapiteln herauslesen. Bin auch mal gespannt, was sie noch vorhat. Ihr Verhalten behagt ihr offenbar ja selbst nicht so ganz, aber als Frau alleine am Hof muss man sich nunmal irgendwie durchsetzen. Und ich bin echt froh, dass es weitergeht <3
Antwort von:  matvo
12.06.2014 23:02
Nope, wird jetzt nachgereicht. War die Woche über auf Geschäftsreise.


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