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Kapitel 1: Der letzte Plan

Beschreibung: Ginny landet durch einen unglücklichen Zwischenfall in den Fängen Voldemorts und schließt mit ihm, frustriert und enttäuscht von denen, die sie liebt, ein Abkommen. Sie hilft ihm dabei, Harry zu finden und umzubringen, dafür rührt Voldemort sie, ihre Familie und ihre Freunde nicht an (Harry ausgeschlossen). Kann das gut gehen?

OOC-Voldemort - GW/TR
 

Disclaimer: Die Welt von Harry Potter gehört immer noch J. K. Rowling. Leider.

Ich verdiene mit der Geschichte auch kein Geld. Wäre ja auch zu schön...


 

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Kapitel eins: Der letzte Plan
 

Ginny saß in einem der Sessel im Gemeinschaftsraum und starrte mit ausdruckslosem Blick ins Feuer. Es war schon nach Mitternacht. Sie war wieder einmal von einer Strafarbeit bei Alecto Carrow zurückgekehrt. Gott sei Dank in einem Stück. Doch es hätte nicht viel gefehlt, und Ginny hätte sich mindestens einen Arm gebrochen.
 

Sie schüttelte sich matt. Alecto hatte an ihr wieder einmal ein paar ihrer neuen Fluch-Kreationen ausprobiert. Angstzauber waren es diesmal gewesen, zusätzlich zu dem Imperius, den sie jedes Mal aufgehalst bekam. Einfach ekelhaft, diese Frau. Sie war einer der Hauptgründe dafür, warum Ginny kein ganz normales Schuljahr hatte.
 

Wie gern hätte sie in einer Welt gelebt, in der der UTZ das schlimmste Übel war! Doch dem war leider nicht so. Und Ginny konnte nicht zulassen, dass Snape und diese Sadisten von Carrows die Schule ohne irgendwelche Schwierigkeiten übernahmen. Oh nein, so leicht hatte sie es ihnen nicht machen wollen! Gemeinsam mit Neville und Luna hatte sie Dumbledores Armee wieder zusammengetrommelt. Viele ihrer alten Freunde hatten sich wieder zusammengefunden, fast wie in alten Zeiten. Nur Harry, Ron, Hermine und Dean fehlten, sie waren untergetaucht.
 

Es hatte einen riesigen Spaß gemacht, sich die verdutzten Gesichter der verhassten Lehrer vorzustellen, wenn sie Opfer eines Streichs geworden waren. Doch es war nicht bei verdutzten Gesichtern geblieben. Die Gesichter waren zornig geworden und hatten sie erbarmungslos zur Rechenschaft gebeten. Mit den ersten Strafen war die Ernüchterung gekommen. Versuchskaninchen für neue Flüche und Tränke spielen, ohne Magie die alten Kessel in den Kerkern und die Bettpfannen im Krankenflügel putzen, natürlich mit der garantierten Aussicht, mit komplett eingesauten Klamotten und ohne Zauberstab aus dem Imperius aufzuwachen, im Verbotenen Wald übernachten ohne Zauberstab… Die Carrows ließen sich immer etwas Neues einfallen. Und es wurde von Mal zu Mal gemeiner.
 

Ginny konnte von Glück reden, dass sie dieses Mal den Cruciatus nicht hatte ertragen müssen. Dann wäre die Strafe zwar eine Sache von Minuten gewesen, aber Ginny hätte nächtelang vor Schmerzen nicht schlafen können. Sie hatte sowieso schon viel über sich ergehen lassen müssen.

Der einzige, der noch mehr Strafarbeiten bekam, war Neville. Doch im Gegenzug zu ihr schien er nicht müde zu werden. Das innere Feuer, das zu Beginn des Schuljahres in jedem von ihnen rebellisch gelodert hatte, schien bei ihm nicht einmal geschrumpft zu sein. Er führte Dumbledores Armee mit dem gleichen Eifer wie eh und je. Ginny beneidete ihn. Ihr eigenes Feuer war kurz vorm Verlöschen.
 

Wofür tat sie das denn eigentlich noch? Die Carrows würden ja sowieso immer gewinnen. Neville meinte, ein Unentschieden würde ihm schon genügen. Aber ihr? Wozu brauchte sie ein Unentschieden?

Sie dachte an Harry. Wenn er hier gewesen wäre, ja dann… Doch er war nicht hier. Ebenso wie Ron und Hermine. Sie alle hatten Ginny verlassen, mit dem fadenscheinigen Argument, hier wäre sie sicherer. Sicherer, Pah! Wenn sie nur wüssten! Als ob es sicher wäre, jeden Tag unter Snapes Hakennase aufzuwachen. Als ob es sicher wäre, Malfoy und seinen Kumpanen das Leben schwer zu machen. Als ob es sicher wäre, bei den Carrows Strafarbeiten abzusitzen, die an Folter grenzten. Und wofür?
 

Harry, der Junge, der überlebte, Harry, der Junge, der auserwählt war, Voldemort zu besiegen, Harry, der sie vor weniger als einem halben Jahr noch mitten im Gemeinschaftsraum geküsst hatte, war nicht hier. Hatte ihr den Laufpass gegeben. Hatte sie hier zurückgelassen, mit der Ausrede, er wolle sie nicht in Gefahr bringen. Ginny stützte frustriert den Kopf in die Hände. Sie war es leid.
 

Sie würde sicher nicht einmal für voll genommen, wenn sie Bellatrix Lestrange zur Strecke brächte. Jedenfalls nicht lange. Was sie auch tat – niemand schien es zu bemerken. Harry traute Ron mehr zu als ihr – Sie hätte ihm wirklich einmal ihren Flederwichtfluch auf den Hals jagen müssen - , Freds und Georges Anteil an einem Sieg im Quidditch war immer höher bewertet worden als ihr Anteil, und selbst bei ihren Eltern war sie immer noch die Kleine, die immer und überall Hilfe und Schutz brauchte. Was sie auch tat – es traute ihr niemand etwas zu. Aber dann sollte sie plötzlich Verständnis dafür haben, dass Harry sie abservierte! Das wurde dann auf einmal von ihr erwartet!
 

Sie schüttelte den Kopf. Es war zum Mäusemelken. Wenn die Aktion morgen schief laufen sollte und dann immer noch niemand erkannte, wozu sie fähig war, dann würde sie es hinschmeißen. Dann würde sie sich den Carrows geschlagen geben.

Falls sie bei einem Fehlschlag die Folgen lebendig überstehen würde. Es ging hier um sehr viel, also würde es sie nicht wundern, wenn die Strafe tödlich wäre. Auch gut. Jetzt war sowieso schon alles egal. Es machte keinen Unterschied mehr.

Ginny blickte einen endlosen Moment lang in die Flammen, dann rappelte sie sich auf und ging in den Schlafsaal.
 

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Luna und Cho setzten sich zu Ginny an den Griffindortisch, wo sie gerade missmutig frühstückte. Neville und Parvati gesellten sich ebenfalls zu ihnen. Neville blickte erleichtert in die Runde.

„Gut. Ihr seid alle noch dabei. Danke.“

In den letzten Wochen waren immer mehr Leute abgesprungen, aus Angst vor weiteren Strafen. Das, was jetzt noch von Dumbledores Armee übrig war, war nicht einmal mehr ein halbes Dutzend. Sogar Colin und Seamus waren gegangen. Es war ein Jammer. Doch Neville führte sie ungebrochen an.
 

Jetzt erklärte er noch ein letztes Mal den Plan für den heutigen Nachmittag.

„Cho und Parvati, ihr müsst Snape ablenken. Parvati, du hältst ihn nach dem Unterricht auf, während ich mich aus dem Staub mache. Lass sein Pult explodieren oder so was, Hauptsache, es regnete Säure. Das müsste fürs erste reichen. Cho, du wartest in der Eingangshalle auf ihn. Wenn er Parvatis Unfall beseitigt hat, verwickelst du ihn in ein Gespräch. Setzt beide alles dran, soviel Zeit wie möglich rauszuholen, in der er nicht in sein Büro gehen kann. Ginny, Luna, wir treffen uns im Treppenhaus im Westflügel, fünfter Stock, vor dem Bild von Queerdich Marsh. Alles klar?“

Sie nickten reihum.

„Gut, dann viel Glück euch allen.“
 

Er stand auf und ging mit Parvati und Luna zum Unterricht. Cho blieb bei Ginny sitzen. Ginny blickte missmutig in ihren Kaffee. Seit neuestem trank sie jeden Morgen eine Tasse, um nach den langen Nächten wieder auf die Beine zu kommen. Ohne Kaffee wäre sie wahrscheinlich schon längst zusammengebrochen. Trotzdem war sie müde.
 

Als sie laut gähnte, lächelte Cho mitleidig.

„Lange Nacht gehabt?“

Ginny brummte. „Kann man wohl sagen. Die liebe Alecto hat mich erwischt, wie ich den Raum der Wünsche blockiert hab.“

„Oh“, meinte Cho betroffen. „Was hatte sie diesmal in petto?“

„Imperius und Angstzauber.“ Sie deutete unter den Tisch. „Ich hab total blaue Knie. Keine Ahnung, was sie mir befohlen hat. Das einzige, woran ich mich erinnern kann, ist Angst.“

Sie schnitt eine Grimasse. Cho tätschelte ihr den Arm.

„Du kannst froh sein. Das letzte Mal, als sie mich erwischt hat, gab’s einen Stillezauber und einen Cruciatus, ehe ich überhaupt bemerkt hab, dass sie mich gesehen hat.“

Ginny lächelte schwach. „Wie viele Crucios hast du schon hinter dir?“

„Drei. Du?“

„Fünf. Aber zum Glück nicht gestern.“ Sie schüttelte sich. „Dafür hab ich schlecht geschlafen.“

„Albtraum?“

„Ja. Harry mal wieder.“

Cho biss sich auf die Lippe.

„Willkommen im Club“, meinte sie bitter. „Solche Albträume hab ich schon seit über einem Jahr. Harry – und Cedric.“

„Oh.“ Ginny starrte wieder ausdruckslos in ihre Kaffeetasse.

„Lenk dich ab, dann hast du wenigstens tagsüber deine Ruhe. Funktioniert meistens.“

Ginny sah auf. Cho lächelte schwach.

„Das schaffst du schon.“
 

Sie stand auf und verließ die Halle. Ginny blickte erneut in ihren Kaffe. Und fragte sich im nächsten Moment, was denn an Kaffee so interessant war.
 

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Als es läutete, stand Ginny schon vor dem Bild von Queerdich Marsh. Sie hatte Professor McGonnagall glauben gemacht, sie hätte Kopfweh, und war früher gegangen. Das war gar keine so große Lüge gewesen. Sie hatte immer wieder an die Bilder gedacht, die letzte Nacht vor ihrem inneren Auge vorbeigezogen waren.
 

Harry, der sie aus der Kammer des Schreckens befreite, ein zerstochenes Tagebuch in der Hand. Harry, der sie küsste.
 

Im nächsten Moment Harry, der ihr den Laufpass gab. Harry, der in King’s Cross Hermine zum Abschied umarmte, sie aber stehen ließ. Harry, der von Cho in der Eingangshalle einen Kuss auf die Wange bekam.
 

Dann wieder Harry, der sich mit Cho am Valentinstag zerstritt. Harry, der mit ihr in den Ferien Quidditch spielte.
 

Es war ein stetiges Auf und Ab. Die schönsten und schlimmsten Erinnerungen in einen Pott geworfen, der Ginny hieß und kurz vor dem Überlaufen war.

Das einzige, was sie davor bewahrte, war Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit Harry gegenüber. Er hätte es verdient.
 

Anscheinend sah er in ihr immer noch „nur“ die kleine Schwester von Ron, die in Hogwarts sicherer aufgehoben war. Na gut, wenn ihm die Vernichtung Voldemorts wichtiger war als das Mädchen, dem er seine Liebe gestanden hatte… dann konnte diese Liebe nicht sonderlich groß gewesen sein.
 

Überhaupt, wer sagte denn, dass er auf dem Weg war, Voldemort zu vernichten? Wer sagte denn, dass er nicht mit Hermine vor den Todessern geflohen und untergetaucht war? Die beiden wurden ja gesucht. Und Ron war ihnen gefolgt, weil er Hermine nicht an Harry verlieren wollte.
 

Die Erklärung schien Ginny um einiges schlüssiger als das Gerede über einen geheimen Plan, von dem selbst Ron und Hermine nicht allzu viel zu wissen schienen und sie immer kommentarlos an Harry verwiesen, der wiederum nicht mit der Sprache rausrücken wollte, ihr aber versicherte, sie müsse sich keine Sorgen machen. Bitte, nun war sein Wunsch erfüllt.
 

Sie machte sich keine Sorgen mehr um ihn, vielmehr war sie wieder in ihre alte Hoffnungslosigkeit abgedriftet. Dieses Gefühl hielt sie seit Jahren schon gefangen und war nur kurz, im letzten Juni, verschwunden. Doch nun war Harry weg und sie fühlte sich genauso wie vorher. Leer.

Aber nein, er brauchte ja niemanden wie sie. So wie er sich benahm, hatte er in ihr immer nur ein Abenteuer gesehen. Sonst stünde sie heute nicht hier.
 

Sie holte tief Luft und rief sich die Tatsachen vor Augen. Harry ist weg. Du musst alleine klarkommen. Pah, das sagt sich so leicht! Aber wenn es eins NICHT war, dann leicht.

Ginny lehnte sich ans Geländer und sah Neville und Luna entgegen, die gerade die Treppe hoch rannten.
 

„Beeilung“, keuchte Neville. „Parvati hat tatsächlich sein Pult in die Luft gejagt! Er muss die Hälfte der Klasse verarzten. Wenn wir uns beeilen, brauchen wir Cho gar nicht.“

Ginny setzte sich kommentarlos in Bewegung. Sie liefen durch die Gänge, bis sie vor dem steinernen Wasserspeier ankamen.

„Passwort?“, fragte dieser gelangweilt.

„Halbblutprinz“, antwortete Ginny ohne nachzudenken.

Zu ihrer Überraschung sprang der Wasserspeier zu Seite und ließ sie ein. Während sie die Treppe hoch liefen, fragte Luna:

„Woher wusstest du das?“

Ginny zuckte nur mit den Schultern und schwieg. Mit dem Wort Halbblutprinz verband sie ein bestimmtes Zaubertränkebuch… und mit diesem Buch verband sie Harry… Nicht jetzt, ermahnte sie sich.
 

Oben angekommen, schon Luna die Tür vorsichtig einen Spalt auf und murmelte „Muffliato“ und „Nidantur“.

Dann traten die drei ein. Ginny grinste, als sie die Porträts der Schulleiterinnen und Schulleiter, durch Lunas Zauber taub und blind geschlagen, protestieren hörte. Keiner von denen würde sie jetzt noch verpfeifen. Luna postierte sich an der Tür, währen Neville und Ginny zu der Vitrine hinüber gingen, in der das funkelnde, mit Rubinen besetzte Schwert Griffindors auf einem roten Kissen ruhte.
 

Neville tastete die Kanten der Vitrine ab. Auf der Rückseite wurde er fündig. Er zog seinen Zauberstab und murmelte: „Alohomora.“

Ein kleines, unsichtbares Schloss klickte hörbar und die Vitrine schwang auf. Neville trat misstrauisch zurück. „Das war zu einfach.“

Ginny trat neben ihn. Sie zog ihren Zauberstab, richtete ihn auf das Schwert und sagte: „Aperio.“

Das Schwert leuchtete für einen Moment hell auf, dann lag es wieder so unschuldig da wie vorher. „Tja, das ist ja auch nicht alles“, meinte sie. „So hell, wie es geleuchtet hat, liegen mindestens drei verschiedene Zauber darauf. Finite incantatem! “

Es zischte leise, dann schien die Waffe etwas heller zu funkeln. Ginny glaubte dem Frieden jedoch noch nicht. „Aperio!“, meinte sie erneut.

Das Schwert leuchtete schwach auf.

„Tja, den Zauber bekomm ich nicht runter. So ein Mist.“
 

Neville trat vor und hielt die Hand über den Schwertgriff. Sie verharrte in der Luft, doch nichts geschah. Fast argwöhnisch berührte er das kühle Metall. Immer noch geschah nichts. Mutiger geworden, fasste Neville den Griff und wollte das Schwert anheben. Doch es rührte sich nicht vom Fleck. Neville versuchte, das Kissen anzuheben, doch auch das schien am Untergrund zu kleben.

„Ein Dauerklebefluch.“

Ginny fluchte. So einfach und doch so wirkungsvoll.

Im nächsten Moment schrie Luna auf.
 

Neville und Ginny wirbelten herum. Luna sank bewusstlos zu Boden. Hinter ihr stand Snape.

Er war wie immer leise wie ein Schatten gewesen. Doch dies war nicht der gefühlskalte, verächtliche Snape, der immer ein spöttisches Lächeln im Mundwinkel trug. Das war ein Snape, dessen Augen vor Wut Funken sprühten und der eine fast greifbare Hitze ausstrahlte. Und diese Wut galt ihnen.

Ginny schluckte. Das war es dann wohl.
 

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Nidantur: Lat. Non Vidantur: Sie sollen nicht sehen

Aperio: Lat. Ich decke auf

Der verbotene Wald

Kapitel 2: Der verbotene Wald
 

Es dämmerte schon. Dabei war es noch nicht einmal Zeit fürs Abendessen. An Nachmittagen wie diesem merkte man, dass der Winter nicht mehr fern war. Der Himmel war von hellgrauen Wolken bedeckt, eine undurchdringliche Decke, die weder der Sonne, noch dem Mond oder einem Stern erlaubte, seine Strahlen hinunter auf die Erde zu werfen. So ging das jetzt schon seit mehreren Wochen. Ginny konnte es den Wolken nicht verübeln.
 

Sie schienen ihre Stimmung zu teilen. Und es war schon mehr als einmal vorgekommen, dass Ginny mit ihnen im Einklang geweint hatte. Zu diesen Zeiten wurde sie meist, genau wie die Wolken, von einer Mischung aus unbändiger Wut und endloser Trauer und Enttäuschung geschüttelt. Damals hatte sie sich gewünscht, sie könnte ebenso wie der Himmel Blitze abschießen, um sich abzureagieren.

Leider hatte sich dieser Wunsch bis heute nicht erfüllt, und ein Haufen von Ginnys Wut hatte sich in ihrer Seele gestaut.

Und sie war kurz davor, heraus zu brechen. Das einzige, was sie noch zurückhielt, war Angst.

Und obwohl Ginny jeden Tag mit der Angst vor Alecto, Amicus und Snape gelebt hatte und diese ein Bestandteil ihres Alltags geworden war, verspürte sie in diesem Moment eine riesige Furcht, die sie nur mit Mühe davon zurückhalten konnte, zu blanker Panik auszuarten. Jetzt die Nerven zu verlieren, war das letzte, was sie brauchen konnte. Doch etwas hielt sie zusammen. Und dieses Etwas war kurioserweise wieder die Wut, die in ihr brodelte.

Wut und Angst waren in der letzten Stunde beide ins Unermessliche gestiegen, doch noch hielten sie sich das Gleichgewicht. Noch.
 

Ginny wusste, sobald eine Seite auch nur ein klein wenig zuviel abbekam, würde sie auseinander brechen. Ob aus Wut oder Panik, wäre dann ziemlich egal. Es käme aufs Gleiche heraus. Sie holte tief Luft. Warum geschah denn immer noch nichts?
 

Sie stand zwischen Neville und Luna auf einer Lichtung im Verbotenen Wald, so weit von der Schule entfernt, dass sie außerhalb der Schutzbanne und des Anti-Apparierzaubers waren. Wen auch immer Snape hierher befohlen hatte, er würde jeden Moment ankommen.

Snape stand zu Lunas rechter Seite, Amicus zu Nevilles linker, und Alecto stand vor ihnen und spielte nervös mit ihren Zauberstäben. Auch Amicus und Snape schienen nervös.
 

Aus der geflüsterten Unterhaltung vorhin, bei ihrem Marsch durch den Wald, hatte Ginny mehrfach die Worte „Dunkler Lord“ und „Meister“ herausgehört. Snape war doch wohl nicht so lebensmüde, Voldemort hierher zu bestellen? Sie hatte gehört, dass Voldemort seine Untergebenen manchmal nicht besser behandelte als seine Opfer. Wollte Snape sich umbringen, indem er Voldemort mit einer Kleinigkeit wie drei rebellischen Hogwarts-Schülern behelligte? Wollte er sein Lehrer-Pärchen umbringen? Ginny dachte nicht darüber nach, was mit ihr selbst geschehen würde, wenn der, den sie erwarteten, wirklich der war, den sie im Verdacht hatte. Sie wollte es nicht wissen.
 

Sie sah sich nach ihren Freunden um. Luna lächelte verträumt. „Wir werden sterben, nicht wahr?“, meinte sie so ruhig wie immer. „Dann werde ich Mum endlich wieder sehen. Darauf freue ich mich.“
 

Ginny sagte nichts. Luna hatte sich mit dem Tod abgefunden. Gut. Ein Problem weniger. Sie drehte ihren Kopf nach links. Neville biss sich die Lippe blutig, um seinem Gesicht einen ruhigen Ausdruck zu geben. Doch er hatte Angst. Das sah Ginny ganz deutlich. Sie griff nach seiner Hand.

„Es ist bald vorbei. Dann bist du bei deinem Großvater. Du musst keine Angst haben.“

Sie wusste selbst nicht, wie diese tröstlichen Worte über ihre Lippen gelangten, ohne dass sie einen Schrei von sich gab. Schreien hätte einiges leichter gemacht, doch dann wäre sie geplatzt. Und den Triumph wollte sie Snape in ihren möglicherweise letzten Minuten nicht gönnen. Wenn sie sterben musste, dann ohne den Verstand zu verlieren.

Jetzt schlich sich ein gequältes Lächeln auf Nevilles Gesicht.

„Ich wünschte, es wäre sofort vorbei“, flüsterte er. „Dieses Warten macht mich wahnsinnig.“

Ginny nickte.

„Mich auch.“
 

Sie holte tief Luft und schloss die Augen. Einatmen, ausatmen.

Ein und aus. Ein und aus.

Wer weiß, wie lange sie das noch konnte.

Nicht die Nerven verlieren.

Ein und aus.

Ruhig bleiben.

Ein und aus.
 

Plötzlich ein kaum hörbares Rascheln, ein Schrei Alectos und das Geräusch von Körpern, die zu Boden gingen. Ginny holte ein letztes Mal Luft und öffnete die Augen.
 

Sie blickten geradewegs in ein glühend rotes Augenpaar.

Ginny schrie nicht.

Sie verlor nicht die Nerven.

Sie erwiderte den Blick ohne zu blinzeln.
 

Der Kampf, der in ihrem inneren getobt hatte, war erloschen. Jede Gefühlsregung war ausgelöscht worden, als sie diese Augen gesehen hatte und wusste, dass dies ihr Ende war. Es gab kein Entrinnen. Wozu noch fühlen? Es hatte sowieso keinen Sinn. Er war hier. Es war vorbei. Ohne dass sie es bemerkte, schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Jetzt wurde der ganzen Verzweiflung ein Ende gemacht, der Enttäuschung, die sich Jahr für Jahr in ihr angestaut hatte. Sie brauchte nicht mehr zu fühlen. Es war, als ob ihr eine schwere Last von den Schultern genommen wurde. Warum fürchteten alle den Tod? Für sie war er die baldige Erlösung, seit sie diese Augen gesehen hatte und gewusst hatte, dass der Tod ihnen hierher folgen würde. Diesen Augen, die immer noch die ihren gefangen hielten.

Dann blinzelte sie und der Moment ging vorüber.
 

Snape, Alecto und Amicus waren vor Voldemort auf die Knie gefallen. Nevilles Blick irrte panisch umher, während er wie versteinert dastand. Luna trat mit ausdrucksloser Miene von einem Bein auf das andere. Voldemort wandte seinen Blick von Ginny ab und blickte zu seinen Todessern hinab, die nun einer nach dem anderen den Saum seiner Robe küssten und sich erhoben.

Er sagte kein Wort, doch Snape schien zu verstehen und begann leise zu erzählen. Voldemorts Augenbrauen wanderten stückweise immer weiter in die Höhe, während er lauschte. Ginny verstand nichts von dem, was Snape sagte, er war zu leise. Als der Tränkemeister geendet hatte, bedachte Voldemort ihn mit einem langen Blick, dann schweiften seine forschenden Augen über die Gesichter der drei Jugendlichen. An Ginnys blieb er am längsten hängen. Ginny erwiderte ihn wieder, ohne mit der Wimper zu zucken.
 

Warum brachte er sie immer noch nicht um? Kaum hatte sie das gedacht, erschien ein unmerkliches Lächeln auf den schmalen Lippen Voldemorts. Sie fragte sich, ob er gerade einen Blick in ihren Geist warf. Nach scheinbar einer Ewigkeit wanderte sein Blick über Neville, der nach einer Sekunde wegschaute. Voldemort zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf Neville. Kein Wort kam über seine Lippen, doch im nächsten Moment starrte Neville ihn mit glasigem Blick an.

Also hat er doch in meinen Geist geschaut, dachte Ginny. Ich hab mich nicht gewehrt, also hat er nicht mehr als Blickkontakt gebraucht, keinen Legilimens.

Voldemort schien zufrieden mit dem zu sein, was er gesehen hatte und wandte sich Luna zu. Sie leistete wie Ginny keinen Widerstand, und Voldemort ließ nach kurzer Zeit von ihr ab.
 

Er nickte Snape zu und brach dann das erste Mal die Stille auf der Lichtung.

„Gut, dass du sie zu mir gebracht hast. Sie werden mir von großem Nutzen sein.“

Snape lächelte und neigte den Kopf.

Im nächsten Augenblick platzte Neville heraus: „Was? Von Nutzen sein? Eher bring ich mich um, als dass ich Ihnen helfe! Der Imperius zieht bei mir nicht!“

Er ballte die Hände zu Fäusten und funkelte Voldemort an. Dieser blickte belustigt drein.

„Ah ja“, sagte er mit seiner eiskalten Stimme, die Glas durchtrennen könnte. Ginny schauderte unwillkürlich. Es war eine Stimme, so schön und schrecklich zugleich. Melodisch, aber gefroren zu einer Grausamkeit, die weiter ging, als Ginny sich vorstellen konnte.

„Ganz der noble Griffindor, nicht wahr?“

Neville erwiderte seine Worte mit trotzigem Schweigen.

„Ich brauche Leute wie dich. Du wärst genau das, was meinen Leuten fehlt. Eine starke Überzeugung und ein starkes Rückgrat. Und du bist ein Reinblüter, nicht wahr?“

Nevilles Blick verfinsterte sich.

„Niemals. Verschonen Sie mich mit ihrem Gerede. Bringen Sie mich meinetwegen um-“, seine Stimme zitterte leicht, doch er hielt Voldemorts Blick stand, „-Aber versuchen Sie nicht mehr, mich auf Ihre Seite zu ziehen. Das zieht nicht. Niemals.“

„Hast du keine Angst vor dem Tod?“, wollte Voldemort wissen und ging einen Schritt auf Neville zu.

Neville blieb stehen, begann jedoch zu zittern. „Nicht – nicht so sehr wie davor, meine Freunde zu verraten.“

Voldemort lächelte kalt.

„Jaja, Griffindor durch und durch. Da kann man wohl nichts machen. Imperio!“

Nevilles Blick wurde trüb, seine Fäuste lösten sich und sein Gesicht bekam einen entspannten Ausdruck.
 

„So, und jetzt zu der kleinen Ravenclaw“, meinte er und schritt an Ginny vorbei auf Luna zu. Ginny konnte einen kalten Luftzug spüren, der ihm folgte.

„Wie sieht es mit dir aus?“, wollte Voldemort wissen. Luna lächelte träumerisch.

„Ich habe keine Angst vor dem Tod. Also brauche ich auch keine Angst vor Ihnen zu haben.“

Voldemort zog die Augenbrauen hoch.

„Wovor hast du dann Angst?“, wollte er wissen.

Lunas Lächeln wurde breiter und sie schwieg. Voldemorts Gesicht verzerrte innerhalb eines Wimpernschlags zu einer Grimasse und er fuhr sie an: „Ich hab dich etwas gefragt! Antworte gefälligst! Crucio!“

Luna schrie und fiel zu Boden. Ihre Gliedmaßen zuckten unkontrolliert und sie schrie immer weiter. Ginny starrte sie gebannt an. Sie konnte den Blick einfach nicht abwenden, so Leid Luna ihr auch tat. Moment, fragte sie sich selbst. Tat Luna ihr denn überhaupt Leid? Sie forschte nach, doch sie fühlte nichts. Anscheinend waren ihre Gefühle bereits gestorben. Sie konnte nicht mehr bedauern. So betrachtete sie fasziniert, wie Luna sich am Boden wälzte. Plötzlich ertönte hinter Ginny ein Schrei.

„Aufhören!! Lass sie in Ruhe!!“
 

Es war Neville. Voldemort ließ den Zauberstab sinken und Luna sank schluchzend in sich zusammen. Dann donnerte er Neville einen neuen Imperius entgegen, der ihn zum Schweigen brachte. Ginny beobachtete immer noch Luna, ohne etwas zu fühlen. Der Anblick schockte sie nicht, und er löste auch kein Mitleid in ihr aus. Sie sah auf – und wieder blickte sie in dieses rote, kalte Augenpaar. Voldemort hielt ihren Blick einen Moment, lächelte, dann belegte er auch Luna mit einem Imperius. Sie hörte augenblicklich das Weinen auf und erhob sich.
 

Voldemort trat vor Ginny.

„So, und was soll ich mit dir machen, Weasley?“

Ginny zuckte mit den Schultern.

„Ist mir egal“, entgegnete sie gleichgültig.

Voldemorts ebenmäßige Gesichtszüge entgleisten für einen Moment und offenbarten haltlose Überraschung, ehe sich wieder die weiße Maske über sein Antlitz legte.

„Was?! Dir ist es egal? Also, das hat noch niemand zu mir gesagt.“

Ginny lächelte, sie konnte nicht anders.

„Mag sein. Was haben SIE denn mit mir vor?“

Voldemort trat perplex einen Schritt zurück. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann erwiderte er Ginnys Lächeln.

„Keine Sorge, für dich fällt mir auch noch etwas ein.“
 

Er blickte einen Moment ins Leere, dann drehten sich Neville und Luna um und verließen die Lichtung. Ginny sah ihnen einen Moment hinterher, dann drehte sie sich wieder zu Voldemort um und fragte: „Wo gehen sie ihn?“

„Ich hab sie zurück zur Schule geschickt. Sie werden den heutigen Tag vergessen und ganz normal weiterleben – natürlich unter meinem Blick.“

Ginny wagte nicht, zu fragen, was aus ihr würde. Voldemort schnippte kurz mit dem Zauberstab, dann wandte er sich von ihr ab und besprach etwas mit seinen Untergebenen. Ginny wollte weglaufen, doch ihre Füße bewegten sich nicht. Voldemort hatte sie an den Boden gebunden. Nach kurzer Zeit machten sich ihre Lehrer ebenfalls auf den Heimweg nach Hogwarts. Ginny blieb allein mit Voldemort zurück. Er lächelte sie kalt an.

„Tja, sieht so aus, als dürftest du noch etwas länger meine Gesellschaft genießen.“

Lange, dünne Finger umschlossen ihren Arm, dann wurde ihr von erbarmungsloser Dunkelheit die Luft aus den Lungen gedrückt.
 

Einen Moment später war die Lichtung leer.

Die Festung unter dem Berg

Kapitel 3: Die Festung im Berg
 

Ginny schnappte nach Luft und stolperte. Doch der Griff an ihrem Arm bewahrte sie davor, Bekanntschaft mit dem steinernen Fußboden zu machen. Sie fing sich wieder und sah sich um.

Sie stand in einer kleinen Höhle, die in vollkommene Dunkelheit getaucht war. Sie konnte nicht viel mehr als die Umrisse der Wände und ihres Begleiters erkennen. Das einzige, was hier unten Licht spendete, waren zwei rot glühende Augen. Ginny sah zu ihnen empor.
 

Als Voldemort sich nicht rührte, fragte sie ihn: „Warum haben Sie uns nicht umgebracht und was haben Sie mit mir vor?“

Sie wunderte sich selbst über die Ruhe in ihr. Ihr Herz schlug langsam und gleichmäßig, ihr Atem war ebenfalls ganz ruhig, und sie hatte immer noch keine Angst. Es war, wenn sie darüber nachdachte, eigentlich ziemlich komisch, doch sie begrüßte es. Gefühle waren eine Last, so unvorstellbar groß… Ginny war fast froh, diese Last nicht mehr tragen zu müssen. Auch wenn ihr Herz jetzt stattdessen mit einer seltsamen Kälte angefüllt war. Egal.
 

Voldemorts Augen schienen zu flackern.

„Wieso sollte ich euch umbringen? Deine Freunde werden meine Spione sein, und Snape kann weitere Aktionen wie das vorhin mit dem Schwert so immer rechtzeitig verhindern. Und was dich angeht… Das erfährst du noch früh genug.“

Kaum hatte er geendet, vernahm Ginny das schlurfende Geräusch von Schritten, die irgendwo aus der Tiefe des Berges empor hallten und immer lauter wurden.

„Wo sind wir?“, wollte Ginny wissen.

Voldemort schwieg und umklammerte ihren Arm fester. Ginny verstand und schwieg ebenfalls.
 

Jetzt kamen hinter einem Felsbrocken tanzende Lichtflecken auf den rauen Felswänden in Sicht. Wer auch immer zu ihnen kam, er trug anscheinend eine Fackel. Für einen Lichtzauber flackerte das Licht zu stark. Die Zeit begann sich in die Länge zu ziehen, und noch immer wartete Ginny regungslos an Voldemorts Seite auf den Neuankömmling. Endlich, nach scheinbar einer Ewigkeit, tauchte an einem Ende der Höhle in einem schmalen Durchgang eine gebückte Gestalt mit einer heruntergebrannten Fackel in der Hand auf.

Die Gestalt trug einen verschlissenen, ehemals schwarzen Umhang, der jedoch im Lauf der Zeit zu einem schmutzigen grau ausgeblichen war. Die Kapuze hatte sie tief ins Gesicht gezogen. Voldemort trat auf die Gestalt zu und zog Ginny mit sich.
 

„Ah, Wurmschwanz. Bist du neuerdings zum Empfangskomittee degradiert worden? Ich dachte, das wäre Macnairs Aufgabe?“

Leiser Tadel schwang in seiner Stimme mit und gab ihr einen bedrohlichen Anstrich. Ginny schauderte. Wurmschwanz fiel vor Voldemort auf die Knie, küsste seinen Umhang und begann dann zu stammeln.

„M - Mein Herr, I-Ich… Macnair h - hat mich ge - gezwungen.“

Voldemorts Augenbrauen wanderten in die Höhe.

„Wie?“, fragte er mit falschem Interesse.

„M - Mit dem Cr - Cruciatus.“

Wurmschwanz wagte nicht, seinem Herrn ins Gesicht zu blicken und starrte den kalten Höhlenboden an. Voldemorts Stimme klang noch schärfer, als er erwiderte:

„Und ein einziger Cruciatus reicht schon, dass du anderen gehorchst als mir? Jämmerlicher Wurm!“

Wurmschwanz zuckte zusammen und trat schuldbewusst einen Schritt zurück, stolperte und landete unsanft auf dem Boden.
 

Voldemort blickte verächtlich auf ihn hinab.

„Sieht fast so aus, als bräuchtest du mal wieder eine Lektion, und zwar von mir persönlich. Ich werde mich später um dich kümmern, Wurmschwanz. Solange bleibst du hier allerdings liegen.“

Er zog seinen Zauberstab und schwang ihn. Sofort erstarrte Wurmschwanz zu einem Brett, das in der denkbar ungemütlichsten Position auf den spitzen Steinen zum Liegen kam.

„Tja, das nächste Mal würde ich an deiner Stelle nicht auf Macnair hören. Weasley, nimm die Fackel und komm mit.“

Ginny bückte sich rasch und griff nach der Fackel. Wurmschwanz’ Augen folgten ihr, doch sie versuchte, es zu ignorieren. Voldemort packte sie wieder am Arm und schubste sie unsanft vor sich her.
 

Sie betraten den schmalen Weg, auf dem Wurmschwanz hergekommen war und drangen immer tiefer in den Berg ein. Ginny verlor nach einer Weile jedes Zeitgefühl. Hier sah alles gleich aus. Nach einer Weile neigte sich der Gang nach unten, und Voldemort schwang während dem Gehen kurz seinen Zauberstab.

Ginny spürte, dass er irgendeinen Zauber löste. Als sie ein Stück weitergegangen waren, schnippte er erneut mit seinem Stab und eine Art magischer Mantel legte sich über alles. Voldemort ließ Ginnys Arm los.

„So, ab jetzt kannst du nirgendwo mehr hin. Du kannst nicht mehr zurück.“ Ginny rieb sich die Stelle, wo er ihr das Blut abgedrückt hatte.

„Und Wurmschwanz?“, wollte sie ruhig wissen.

„Der soll ruhig eine Weile draußen bleiben. Er hat schon lange keine Lektion mehr bekommen.“
 

Ginny schwieg und lief weiter, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Sie wusste nicht, wie lange sie ihm hinterherlief. Hier unten machte es keinen Unterschied. Irgendwann blieb sie stehen. Voldemort ging noch ein paar Schritte weiter, dann wandte er sich um.

„Hab ich mich nicht klar ausgedrückt? Du kannst mir nicht entkommen.“

Seine Stimme war ein Hauch schärfer als das letzte Mal, da er sie angesprochen hatte. Sie starrte ihn einen Moment an, dann drehte sie sich um und ging in die entgegen gesetzte Richtung. Sie wusste nicht, was sie sich davon versprach, ihn zornig zu machen.
 

Vielleicht würde er sie dann ja endlich umbringen. Es hatte sie irritiert, dass er noch nichts dergleichen unternommen hatte. Sie hatte fest mit ihrem Tod gerechnet. Warum hatte er ihn ihr nicht gewährt? Wozu brauchte er sie?

Sie hatte kaum zwei Schritte gemacht, da traf sein Fluch sie in den Rücken. Sie ließ die Fackel fallen und schrie. Doch der Schmerz ging genauso schnell, wie er gekommen war.

„Das war nur eine Kostprobe, Weasley. Sei ein braves Mädchen und komm mit, dann geschieht dir nichts.“
 

Ginny schüttelte sich, hob die Fackel auf und trottete ihm wieder hinterher. Verdammt, was versprach er sich davon, sie hierher zu schleppen?

Noch bevor sie zu Ende gedacht hatte, brach der Boden unter ihren Füßen weg und sie stürzte ein paar Meter tief auf einen glatten Steinboden, der in rotes Licht getaucht war.
 

Sie rechnete fest damit, dass sie sich alle Knochen brechen würde, doch nichts dergleichen geschah. Kurz vor dem Aufprall bremste etwas ihren Flug und sie landete fast sanft auf allen vieren. Sofort sprang sie wieder auf ihre Füße und sah sich um.

Der Raum, in dem sie stand, war rechteckig und zog sich auf einer Seite in die Länge. Überall an den Wänden hingen Fackeln mit magischem, rotem Feuer. Der Boden, die Wände und die Decke waren glatt und eben, der Boden und die Decke glänzten in einem hellen Grau, in das Muster von grünen Schlangen mit silbernen Zungen eingelassen waren, die sich unaufhörlich durch den kalten Stein schlängelten. An einer Seite gingen viele Türen von der Halle ab, die anscheinend noch tiefer in den Berg führten. Auf der anderen Seite des Raumes stand entlang der Längsseite eine lange Tafel mit vielen auf Hochglanz polierten Stühlen. Der Stuhl am Kopfende hatte Armlehnen, die wie Schlangen geformt waren und besaß eine gepolsterte Lehne und ein grünes Sitzkissen. Überall in der Halle hatten schwarz gekleidete Gestalten sich unterhalten, manche im Stehen, andere hatten sich an der Tafel niedergelassen. Doch in dem Moment, als sie durch die Decke gekracht war, hatten sich alle Köpfe ihr zugewandt.
 

Ginny sah sich erschrocken um. Voldemort war nicht zu sehen.

Als sie einen Blick zur Decke warf, stellte sie fest, dass diese sich wieder geschlossen hatte. Sie war allein.

Allein in einer Horde Todesser.
 

Einen langen Moment starrten sie sich schweigend an, dann schrie eine schwarzhaarige Frau: „Eindringling! Auf sie, Leute!“

Ginny fuhr zusammen. Sie kannte diese Stimme. Es war Bellatrix. Sie sah sich rasch um. Nein, die würden sie nicht töten. Nicht ohne den Befehl ihres Meisters. Doch sie verspürte nicht die geringste Lust, sich foltern zu lassen. Als die ersten Flüche auf sie zuflogen, wirbelte sie mehrmals um die eigene Achse, um ihnen auszuweichen und schrie: „Accio Zauberstab!“

Einen Moment später kam ein Zauberstab aus einer dunklen Ecke geflogen. Ginny fing ihn auf. Sie wusste sofort, dass es ihr eigener war. Rasch schoss sie ein paar Schildzauber ab, um den Crucios von Dolohow, Bellatrix und Avery zu entgehen, dann schoss sie einen Flederwichtfluch auf Bellatrix ab.

Bellatrix sah es zu spät, und schon wirbelten die geflügelten Biester wild um ihren Kopf. Sie kreischte auf.

Ginny wehrte noch ein paar weitere Flüche ab und hätte um ein Haar einen Imperio übersehen, als eine kalte Stimme donnerte: „Finite incantatem!“
 

Sie wirbelte herum. Hinter ihr stand Voldemort und sah äußerst amüsiert aus. Er schnippte einmal mit den Fingern und entzog Ginny damit ihren Zauberstab.

„Nicht schlecht, Weasley“, meinte er. „Ich glaub, Bellatrix wird dich jetzt auf ewig hassen. Nicht wahr, Bella?“

Die Hexe warf Ginny einen tödlichen Blick zu.

„Allerdings“, zischte sie aufgebracht. „Flederwichte! So ein gemeines Biest!“

Ginny konnte nicht anders. Sie grinste.

„Hör auf, mich so anzugrinsen!“, schnappte Bellatrix. „Hast du keine Angst?“

Ginny schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte keine Angst. Hier würde sie niemals wieder lebend herauskommen, warum sollte sie also noch um ihr Leben fürchten? Es war sowieso zu spät. Bellatrix verlor die Fassung.

„WAS? Sag mal, spinnst du eigentlich? Du wirst hier sterben! Du musst Angst haben, du elende Griffindor!!“

Ginny schüttelte erneut den Kopf. Als Voldemort keine Anstalten machte, das Wort zu ergreifen, erwiderte sie:

„Genau deswegen hab ich keine Angst. Ich hab mich mit dem Tod abgefunden. Wovor sollte ich mich sonst fürchten? Vor euch?“
 

Bellatrix nickte heftig, doch Voldemort ergriff das Wort, bevor sie Ginny erneut anschreien konnte.

„Lass gut sein, Bella. Darf ich euch allen Ginny Weasley vorstellen? Sie wird für eine Weile unser Gast sein. Und nur damit ihr es wisst: Der einzige, der ihr ein Haar krümmt, bin ich, verstanden?“

Seine Stimme wurde immer schärfer und kälter, während er sprach. Die Todesser senkten allesamt den Blick und murmelten:

„Ja, Herr.“

„Gut. Macnair, mit dir will ich später noch kurz sprechen. Komm in einer Stunde in mein Zimmer, und wag es nicht, zu spät zu kommen!“

Macnair nickte rasch und mit gesenktem Kopf und wiederholte:

„Ja, Herr.“

„Gut. Weasley, komm mit.“

Er packte Ginny am Arm und zog sie zu einer der vielen Türen, öffnete sie, schubste sie unsanft hindurch und schloss sie hinter ihm wieder. Das Schloss klickte. Ginny sah sich um.
 

Hier sah es aus wie in einem Arbeitszimmer. In diesem Raum waren die Fackeln in grünes Licht getaucht. Ein großer, schwarzer Schreibtisch nahm den Großteil des Platzes ein. Auf einem Regalbord an der Wand standen einige sehr alt aussehende Bücher. Hinter dem Schreibtisch stand ein gemütlicher Ohrensessel. Ginny drehte sich zu Voldemort um. Er sah sie auffordernd an.

„Setz dich.“

Sie ging zögernd um den Schreibtisch herum und ließ sich in den Sessel sinken.

„Warum bringen Sie mich nicht um?“, wollte sie plötzlich erneut wissen.

„Das wirst du schon noch erfahren“, meinte er ausdruckslos, trat vor den Sessel und stützte sich auf die Armlehnen. Ginny wich so weit wie möglich vor seinen roten Augen und seiner schlitzartigen Nase zurück.

„Schau mir in die Augen“, zischte Voldemort leise. „Zeig mir deinen Geist.“
 

Zuerst versuchte Ginny es noch mit wegdrehen oder Augen zukneifen, doch schon nach Sekunden durchzuckte sie ein furchtbarer Schmerz. Er floss durch ihre Adern und drang in jede Zelle ihres Körpers ein. Sie schrie auf.

„An deiner Stelle würde ich tun, was mir befohlen wurde, Ginny.“

„Nennen Sie mich nicht Ginny!“, fauchte sie, als der Schmerz nachließ.

Voldemort lächelte kalt.

„Jaja, der Stolz der Griffindors. Er wird dir hier nichts nützen, Ginny. Und jetzt zeig mir deinen Geist!“
 

Eine unsichtbare Hand griff ihr unters Kinn, hob ihren Kopf an und zog erbarmungslos die Lider von ihren rehbraunen Augen. Sobald die roten Augen die ihren gefunden hatten, brach ihr Widerstand, und sie ließ sich mitreißen, in den Strudel ihrer eigenen Erinnerungen und Gefühle.
 

Plötzlich drängte sich ein Bild vor Ginnys Augen, das ihr unbekannt vorkam. Harry, mit Blutschmierern im Gesicht, in einem rotschwarzen Umhang, auf dem das Hogwarts - Wappen prangte, auf einem nächtlichen Friedhof, den Zauberstab wachsam erhoben. Neben ihr stand Voldemort, ebenfalls den Zauberstab erhoben, und schrie: „Crucio!“

Harry brüllte und ging zu Boden.

Ginny konnte sich nicht rühren, konnte nicht eingreifen. Eine Seite von ihr schmerzte fürchterlich, als ob Voldemort sie selbst folterte, die andere Seite blickte verächtlich auf Harry herab, ohne einen Hauch Mitleid.

Dann brachen plötzlich Bilder aus ihrer eigenen Erinnerung auf.
 

Harry, Wut, Trauer, Freude, Harry, Liebe, Hass, Enttäuschung, Harry…
 

Ginny fühlte sich, als würde sie von ihren Erinnerungen erstickt. Mit einem Mal waren auch ihre eigenen Gefühle wieder mit aller Macht zurückgekehrt. Verzweiflung, Angst und Wut wogten durch ihren Körper und ihren Geist, immer stärker, bis – „NEIN!!!“
 

Plötzlich war sie wieder sie selbst, verpasste Voldemort einen Kinnhaken, sprang aus dem Sessel und rannte zur Tür. Sie schlug dagegen, während Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Nach einer Weile sank sie verzweifelt am Fuß der Tür zusammen und begann, hemmungslos zu weinen.

„Nein, nein, nein, das darf nicht wahr sein… nein, nein, nein …“
 

Voldemort stand wie vom Donner gerührt daneben. Sie hatte ihn geschlagen.

Sie hatte ihn geschlagen.

So etwas war ihm noch nie passiert.

Handel um Leben und Tod

Kapitel 4: Handel um Leben und Tod
 

Ginny wischte sich die letzten Tränen ab, dann sah sie auf. Voldemort stand regungslos da und starrte sie an.

"Du hast mich geschlagen."

Er schien es nicht glauben zu können.
 

Sie schluckte, dann rappelte sie sich auf, hielt sich jedoch am Schreibtisch fest, da ihre Beine sie nicht tragen wollten. Wütend fauchte sie ihn an:

„Haben Sie jetzt, was Sie wollten? Macht es Ihnen wirklich Spaß, sich an anderer Leute Elend zu ergötzen?“

Voldemort zuckte zusammen. Für einen Moment rutschte ihm die Maske vom Gesicht und offenbarte eine gequälte Miene, dann hatte er sich wieder im Griff.
 

Ginny erschrak.

Was würde er jetzt mit ihr anstellen, wo sie ihn anscheinend so getroffen hatte? Naja, egal. Sie wusste bereits, wie es war, nichts mehr zu fühlen. Der Tod erschreckte sie nicht mehr.

Doch Folter sehr wohl. Die Carrows hatten sie schon an den Rand des Wahnsinns getrieben – wie würde ihr es dann unter Voldemort ergehen?
 

Sie schauderte und trat einen Schritt zurück, weg von ihm. Doch er machte keine Anstalten, seinen Zauberstab zu zücken. Einen Moment musterte er sie nachdenklich, bevor er antwortete:

„Ja, ich habe, was ich wollte. Und was deine zweite Frage angeht… Leider Ja.“

Ginny trat sicherheitshalber noch einen Schritt zurück.

„Also haben Sie mich nur hergebracht, um mich zu foltern?“, wollte sie mit bebender Stimme wissen.

Voldemort lächelte. „Nein.“
 

Ginny lief ein Schauer über den Rücken. Dieses Lächeln würde über ihr weiteres Leben entscheiden. Sie fühlte sich nicht wohl dabei, auch wenn sie nichts mehr zu verlieren hatte.

„Du stehst Harry Potter näher als die meisten. Wenn ich ihn in die Finger bekommen will, dann bist du diejenige, dir mir am meisten dabei helfen kann.“
 

Ginny sah ihn ungläubig an.

„Was? Woher wollen Sie wissen, ob ich Ihnen helfen würde?“

Voldemorts Lächeln wurde breiter. Es schien auf der einen Seite auch wärmer zu werden, auf der anderen jedoch eiskalt. Ginny begann zu zittern.

„Ich habe in deinen Geist gesehen. Ich weiß, was du fühlst.“
 

Ginnys Herz schien einen Moment stillzustehen, dann entgegnete sie trotzig:

„Aber Sie können es niemals nachvollziehen. Sie hatten nie Gefühle.“

Voldemorts Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Ginny erschrak fürchterlich. Diesmal war sie zu weit gegangen.

Sie sah gerade noch, wie ein Zauberstab gezückt wurde, dann raste ein grüner Lichtblitz auf sie zu.
 

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Entsetzt starrte Ginny auf den Krater in der Wand neben ihr, wo der Fluch eingeschlagen war. Sie war im letzten Moment zur Seite gesprungen. Dann zuckte ihr Blick zurück zu Voldemort. Er bebte vor Wut, doch er hatte sich wieder unter Kontrolle und schob den Zauberstab zurück in seinen schwarzen Umhang. Ginny wich an die Wand zurück, als er auf sie zukam und nur Zentimeter vor ihr stehen blieb. Ein ängstliches Kribbeln lief über ihren ganzen Körper.

„Das war zuviel.“
 

Seine Stimme klang eiskalt. Ginny senkte den Blick und holte tief Luft, um ihr flatterndes Herz zu beruhigen. Sie hatte nur eine Möglichkeit, sich aus der Schlinge zu ziehen. Sie schluckte. Wenn das schief lief, war sie in weniger als einer Minute tot.

Langsam hob sie den Kopf und blickte wieder in diese so unglaublich rot glühenden Augen.
 

„Nein, war es nicht. Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen bei der Suche nach Harry helfe, dann müssen Sie mich so ertragen, wie ich bin. Ansonsten können Sie mich auch gleich umbringen.“
 

Voldemort wich verblüfft zurück.

„Was?“, zischte er misstrauisch.
 

Oh ja, dieses Mädchen hatte Mut. Oder hatte sie vielleicht eher nichts mehr zu verlieren? Egal, was es war, jemand wie sie war ihm noch nie untergekommen.
 

Er überdachte ihre Worte kurz. Sie hatte tatsächlich in Erwägung gezogen, ihm zu helfen? Oder war sie überzeugt davon, dass sie gleicht umgebracht wurde?

Aber war Potter ihm das wert? Den Anschuldigungen dieses Mädchens ausgeliefert zu sein, nur um ihn schneller zu schnappen? Doch er konnte nicht erwarten, dass sie ihm unter Zwang viel helfen würde. Alles hatte seinen Preis. War er bereit, ihn zu bezahlen, in der Hoffnung, dass er schneller Gewinn machte?
 

Voldemort betrachtete Ginny nachdenklich. Eigentlich war sie ja gar nicht so übel. Und umbringen konnte er sie allemal noch. Er nickte kurz.

„In Ordnung. Ich bringe dich nicht um. Hilf mir und du darfst sagen, was du willst, ohne dafür einen Fluch aufgehalst zu bekommen.“
 

Ginny starrte ihn fassungslos an. Sie hatte fest damit gerechnet, dass er ihren Tod vorziehen würde. Das war nicht geplant gewesen. Ihr Herz schlug wieder bis zum Hals. Wollte sie das wirklich?

Oder wollte sie lieber, wie vorher in Erwägung gezogen, lieber sterben und diese Welt mit ihren Problemen hinter ihr lassen? Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen.
 

Nein, wenn sie die Möglichkeit hatte, ohne andauernd gefoltert zu werden, weiterzuleben, dann konnte der Tod warten. Er würde sie noch früh genug in seine dunklen Finger bekommen. Ganz langsam nickte sie.

„Gut. Ich helfe Ihnen.“
 

Die beiden standen eine ganze Weile voreinander und sahen sich einfach nur stumm an, dann sprach Voldemort wieder.

„So wie es jetzt aussieht, wirst du uns noch eine Weile mit deiner Anwesenheit beehren. Bleib hier, ich kümmere mich solange um deine Unterbringung.“
 

Er vergewisserte sich, dass die Tür zur Halle magisch versiegelt war, dann trat er an die Rückwand seines Büros und legte eine langfingrige, blasse Hand auf den kühlen, glatten Stein. Er schien unter seinen Finger zu schmelzen, andere Steine folgten. Schließlich war ein türgroßer Durchgang entstanden, der in einen kurzen Korridor mit hellen, normalen Fackeln mündete.

Voldemort trat hindurch. Sofort erschienen die Steine wieder und versiegelten den Durchgang.
 

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Ginny ließ sich in den Sessel sinken. Einen Moment überlegte sie, ob ihr das wohl erlaubt war, doch dann verwarf sie den Gedanken wieder. Voldemort hatte selber gesagt, er würde sie akzeptieren. Und wenn er nicht hier sitzen wollte, konnte er doch nichts dagegen haben, wenn sie es sich solange gemütlich machte. Sie stützte den Kopf in die Hände und dachte nach.

Im Grunde hatte sie gerade alle, die ihr etwas bedeuteten, verraten. Wenn sie nach den edlen Prinzipien von Gryffindor gehandelt hätte, wäre sie jetzt tot.

Doch so wie es jetzt aussah, würde zumindest einer, Harry, am Ende ihres Weges tot sein – durch ihre Mithilfe. Und sie würde leben. Konnte sie das verkraften?
 

Nein, sagte ihr Gewissen. Du liebst Harry doch. Sag Voldemort einfach, du hast es dir anders überlegt. Der Tod ist nicht schlimm, und das weißt du.
 

Natürlich, sagte ein anderer Teil von ihr. Harry hat dich so oft verletzt, da darfst du ihn auch verletzen. Und du tust es eben nicht schleichend, Jahr für Jahr, wie er, sondern alles auf einmal. Wenn er dabei draufgeht, dann hast du ein Problem weniger.
 

Ginny schluckte. Die zweite Stimme hatte Recht. Harry hatte es verdient. Da war sie jetzt egoistisch. Aber was war mit ihren anderen Freunden? Ihrer Familie? Gut, Luna und Neville lebten, und das würden sie auch in einem Jahr noch. Um die beiden brauchte sie sich keine Sorgen machen.
 

Aber Ron und Hermine? Sie waren mit Harry unterwegs, das wusste Ginny sicher. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Sie bekam ein schlechtes Gewissen. Was würde sie tun, wenn sie wüsste, dass sie am Tod der beiden Schuld war? Bevor sie noch die Antwort darauf hatte, kamen ihr die Tränen. Nein, das hatte sie nicht bedacht.

Ron und Hermine, ihre Eltern und anderen Geschwister, sogar Fleur und Percy… Sie würde es nicht ertragen können, wenn einer von ihnen durch einen Tipp ihrerseits an Voldemort starb. Niemals würde sie mit dieser Schuld leben können. Auf was hatte sie sich da nur eingelassen?
 

Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen und schluchzte. Sie konnte nur hoffen, dass Voldemort ihr als Belohnung für die Auslieferung Harrys ihre Familie und Hermine am Leben ließ.
 

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Als Voldemort zurückkehrte, weinte Ginny immer noch. Er zuckte zusammen, als er die Schluchzer hörte, die aus den Tiefen seines Sessels hervordrangen.

„Ginny?“, fragte er fast unsicher. „Was ist los?“

Ginny sah auf. Ihre Augen waren rot und geschwollen, ihr Gesicht glitzerte von Tränen.

„Versprechen Sie, wenn Sie Harry in die Finger bekommen, meine Familie und meine Freundin am Leben zu lassen?“

„Deine Familie bestimmt. Du bist ja reinblütig. Und wer ist deine Freundin?“
 

Ginny schluckte. Doch es half nichts. Neue Tränen sammelten sich in ihren Augen.

„Das können Sie nicht machen!“

Sie wandte sich verzweifelt ab und vergrub erneut das Gesicht in den Händen. Voldemort trat neben sie.

„Was meinst du?“, wollte er wissen.

Hatte er ihr etwa schon wieder wehgetan, ohne es überhaupt zu merken? Ginny hob den Kopf und rief weinerlich:

„Meine Freundin ist muggelstämmig!“

Voldemort trat einen Schritt zurück und schluckte.
 

Ach du je. Die Arme.

Moment mal, hatte er etwa Mitleid mit Ginny?

Er hatte doch nie Mitleid! Und schon gar nicht für eine Gryffindor!
 

Aber das war ja auch nicht irgendeine Gryffindor. Das war seit gerade eben seine Helferin bei der Jagd auf Harry. Oder, war sie das denn?

Es sah so aus, als hätte sie ihren Verrat noch nicht verkraftet. Sie konnte es nicht sehen, dass einer auf ihrer alten Seite starb, der ihr noch etwas bedeutete. Was wäre, wenn sie ihm nachträglich ihre Hilfe verweigern würde, wenn er ihr nicht das Überleben ihrer alten Freunde zusicherte?
 

Aber diese Freundin war eine Schlammblüterin. Die konnte er schon aus Prinzip nicht leiden. Die meisten hatte er mittlerweile durch die Anhörungen im Ministerium ausgemerzt, doch diese Freundin schien noch im Besitz eines Zauberstabes zu sein. Er schluckte.
 

Was war ihm wichtiger, Harry, so bald wie möglich, oder Harry erst um einiges später und dafür eine Schlammblüterin weniger auf der Welt?

Er fluchte innerlich. Dieses Mädchen würde ihn in den Wahnsinn treiben, wenn sie so weitermachte.
 

„Gut, ich verschone auch deine Freundin. Zufrieden?“

Ginny nickte und tupfte sich mit dem Ärmel die Augen ab.

„Danke“, murmelte sie leise.
 

Voldemort lächelte gequält. Oh ja, sie würde ihn irgendwann in den Wahnsinn treiben. Er hoffte, dass er bis dahin Harry schon in seinen Klauen hatte.
 

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Plötzlich klopfte es. Ginny zuckte zusammen. Voldemort warf ihr einen Raus-aus-meinem-Sessel-es-muss-ja-keiner-wissen-dass-ich-dir-das-erlaube-Blick zu.

Ginny rappelte sich auf. Voldemort nickte kurz, dann zog er seinen Zauberstab und entriegelte die Tür.
 

Macnair trat ein und verneigte sich vor Voldemort. Ginny bedachte er mit einem interessierten Blick. Voldemort schloss die Vordertür, dann trat er nach hinten und legte die Hand auf die Wand. Als diese sich aufgelöst hatte, meinte er zu Ginny gewandt:

„Weasley, zweite Tür links. Du bleibst im Zimmer, bis ich dich hole. Und komm nicht auf die Idee, in die anderen Zimmer zu schauen. Das könnte schmerzhaft werden.“

Ginny nickte stumm und trat in den kleinen Korridor. Hinter ihr verschloss sich der Durchgang wieder. Sie holte tief Luft.
 

Er würde Hermine leben lassen! Das war mehr, als sie sich in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hatte! Es war vielleicht doch keine so schlechte Idee gewesen, ihm einen Handel anzubieten. Vielleicht würde doch alles wieder ins Lot kommen. Zumindest für sie.
 

Der Zaubererwelt konnte sie jetzt jedoch nicht mehr helfen. Das einzige, was ihr blieb, war, zu versuchen, der Allgemeinheit so wenig wie möglich zu schaden. Aber Harry war ja nicht die Allgemeinheit. Und Harry war der einzige, bei dem sie Voldemort helfen musste.

Tja, jetzt dachte sie schon wie eine Slytherin.

Ginny erschrak. Was hatte sie da gerade gedacht? Der Sprechende Hut war damals bei ihrer Auswahl tatsächlich zwischen Gryffindor und Slytherin geschwankt. Damals war ihre Entscheidung eindeutig Gryffindor gewesen. Doch wie war es jetzt? Passte sie mittlerweile besser nach Slytherin?
 

Sie schüttelte den Kopf. Nicht darüber nachdenken, ermahnte sie sich. Ich bin Ginny Weasley, und ich lebe, und meine Freunde werden leben, der Rest ist egal.

Sie überlegte einen Moment, ob sie an der Wand lauschen sollte, doch ließ es dann bleiben. Wer weiß, was Voldemort für Zauber darauf gelegt hatte.
 

Sie ging zu der Tür, die Voldemort ihr zugewiesen hatte und öffnete sie vorsichtig. Dahinter lag ein kleines, aber gemütliches Zimmer. Der kalte Steinfußboden war mit grünen Teppichen ausgelegt, und in einer Ecke prasselte ein fröhliches Feuer in einem ebenfalls grünen Kachelofen. An der gegenüberliegenden Wand prangte ein künstliches Fenster und gaukelte Ginny den Blick auf eine Landschaft in den schottischen Highlands vor. Vor dem Fenster stand ein kleiner Schreibtisch, auf dem ein Tintenfass, Federn und unbeschriebenes Pergament lagen. Neben dem Schreibtisch stand ein großes Bett mit einer dicken Daunendecke und einem ebenso dicken Kissen. Und auf der anderen Seite des Zimmers stand ein alter Kleiderschrank neben einer Tür.
 

Ginny öffnete sie. Dahinter lag ein kleines Bad. Sie schloss ihre Zimmertür und warf dann einen Blick in den Kleiderschrank.

Fast hatte sie erwartet, dass er leer war, doch Voldemort hatte auch daran gedacht. Dort hingen zwei schwarze Kapuzenumhänge, wie sie Todesser trugen, sowie ein paar schwarze Röcke und dunkelgrüne Blusen. Auch Wäsche war vorhanden, und sie entdeckte ganz unten im Schrank ein Paar schwarze Winterstiefel, einen grünen Schal, eine grüne Mütze sowie grüne Handschuhe.
 

Ginny schüttelte lächelnd den Kopf.

Es sah fast so aus, als läge ihm etwas an ihrer Anwesenheit – Auch wenn er sie in das Muster einer Slytherin zwängen wollte.

Der Dauerklebefluch

Kapitel 5: Der Dauerklebefluch
 

Die Tür öffnete sich und Voldemort trat ein. Ginny schloss den Schrank, holte tief Luft und drehte sich zu ihm um.

"Was?", fragte sie nur.

Voldemort zog die Augenbrauen hoch bei dieser respektlosen Anrede, aber sagte glücklicherweise nichts.

"Komm mit. Es gibt Essen."

Ginny folgte ihm durch die geschmolzene Steinwand und durch sein Büro. Als Voldemort die Halle betrat, zögerte sie.

"Komm schon, Weasley", fauchte Voldemort ungeduldig. "Bella wird dich schon nicht umbringen. Sie weiß genau, was ihr dann blüht. Und jetzt komm endlich!"
 

Vorsichtig trat Ginny aus dem Büro heraus und sah sich um. Sie entdeckte Bellatrix, die an einem Ende des langen Tisches saß. Als Voldemort genau auf dieses Ende zusteuerte, fuhr ihr ein Schreck durch die Knochen. Es sah ganz danach aus, als ob sie während sämtlichen Mahlzeiten in direkter Nähe von Bellatrix sitzen müsste. Sie blieb stehen.
 

Voldemort fauchte ungehalten, als er das bemerkte.

"Ich hab dir gesagt, Bella wird dich nicht umbringen, verdammt! Komm!"

Sie schüttelte den Kopf. Bellatrix hatte sie jetzt bemerkt und grinste.

"Angst, du kleine Blutsverräterin?"

Ginny biss sich auf die Lippe. Natürlich hatte sie Angst. Aber das war genau das, was Bellatrix anscheinend beabsichtigte. Den Triumph durfte sie ihr nicht gönnen!

Es kostete Ginny viel Überwindung, doch sie brachte es fertig, den Kopf zu schütteln und ein paar Schritte auf den Tisch zu zu machen. Bellatrix' Grinsen erstarb.

Ginny sah es mit Genugtuung und trat jetzt, mutiger geworden, wieder neben Voldemort.
 

Voldemort ließ sich am Kopfende der Tafel nieder und wies Ginny den Platz neben ihm an der Schmalseite zu, direkt gegenüber von Bellatrix. Ginny versuchte, Bellatrix keines Blickes zu würdigen und ließ sich mit klopfendem Herz nieder.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass viele Blicke auf ihr ruhten. Sie senkte den Blick auf ihren Teller und begann wortlos zu essen.
 

Sie horchte nicht auf die Gespräche rundum, sondern versuchte, ihren Teller so schnell wie möglich zu leeren und dabei niemanden anzusehen, besonders nicht Bellatrix. Sie hatte das Gefühl, deren Augen wollten ihre eigenen nur durch Blickkontakt aus ihren Höhlen brennen, wann immer sich ihre Blicke trafen. Sie hatte schon fast aufgegessen, da ertönte Bellatrix' hohe Stimme.

"Hey, Weasley!"

Ginny schreckte hoch. Nach dem ersten Schreck blickte sie Bellatrix misstrauisch an.

"Wieso bist du denn eigentlich hier? Hast du was angestellt?"

Ginnys Miene verdüsterte sich.

"Kann man wohl sagen. Wüsste allerdings nicht, was Sie das angeht."
 

Voldemort musste sich zusammenreißen, um nicht zu grinsen. Oh ja, dieses Mädchen würde nicht nur ihn in den Wahnsinn treiben. Ein tröstlicher Gedanke.

Aber... Bella war ja schon wahnsinnig. Schade.

Naja, dachte er, mal sehen, wie Ginny mit ihr fertig wird.

Laut meinte er nur: "Erzähl, Weasley. Irgendwann wird sie es sowieso erfahren. Und warum dann nicht von der Übeltäterin?"
 

Ginny warf Voldemort einen düsteren Blick zu, den er mit Hochziehen einer Augenbraue quittierte. Auch das noch. Verdammt, das ging diese verfluchte Mörderin vor ihr gar nichts an!

Doch wer weiß, was Voldemort mit ihr anstellte, wenn sie nicht gehorchte.

Sie holte tief Luft und meinte: "Ich wollte mit meinen Freunden das Schwert von Godric Gryffindor stehlen. Aber Snape hat uns erwischt, bevor wir es losbekommen haben."

Jetzt nahm der Mann neben ihr seine Kapuze ab. Ginny erschrak. Es war Lucius Malfoy.

"Losbekommen? Wo war der Haken?", wollte er wissen.

Ginny holte erneut tief Luft, um sich zu beruhigen, und antwortete:

"Es lag ein Dauerklebefluch drauf."

Im nächsten Moment prustete Bellatrix auf der anderen Tischseite in ihr Abendessen.

"Du weiß nicht, wie man einen Dauerklebefluch löst, Weasley?"
 

Ginny wurde mulmig. Eine lachende Bellatrix war kein gutes Zeichen. Sie nahm ihren Mut zusammen und fragte leise:

"Wenn Sie es wissen, können Sie es mir dann sagen?"

Doch Bellatrix schüttelte den Kopf.

"Wo denkst du hin! Finde es doch selber raus. Ich teile mein Wissen nicht freiwillig mit Blutsverrätern wie dir! Und an deiner Stelle würde ich mich damit beeilen. Es könnte ja sein, dass du ansonsten irgendwo festklebst..."
 

In dem Moment mischte sich Voldemort ein:

"Jetzt reicht es aber, Bella. Nenn sie nicht Blutsverräterin. Das fällt auch unter 'Ihr ein Haar krümmen'. Lass sie in Frieden, ich brauche sie so, wie sie ist."

Ginny starrte ihn verblüfft an. Voldemort verteidigte sie gegen Bellatrix?

Naja, aber eigentlich war es ja nicht weiter verwunderlich. Wenn ihr Geist am Ende war, konnte er ihr nicht mehr viele Informationen über Harry entlocken. Also musste er dafür sorgen, dass Bellatrix sie nicht in den Wahnsinn trieb.
 

In dem Moment ertönte Lucius' Stimme neben ihr.

"Mein Lord, darf ich fragen, wofür Ihr sie braucht?"

Ginny glaubte, einen Augenblick lang ein anzügliches Grinsen auf seinem Gesicht erkannt zu haben und schüttelte sich. Was dachte dieser Widerling von ihr? Dass sie mit Voldemort...
 

Voldemort zog eine Augenbraue hoch.

"Lucius, Lucius. Das meinst du nicht im Ernst, oder? Obwohl... Wenn ich darüber nachdenke..."

Er warf Ginny einen eindeutigen Blick zu. Sie riss erschrocken die Augen auf.

"Nein...", hauchte sie.
 

Voldemort beobachtete fasziniert, wie ihre Gesicht erst blass wurde, bis kein Tropfen Blut mehr unter ihrer Haut zu sein schien, dann jedoch das Blut mit aller Macht in ihren Kopf zurück strömte und sich ihr Gesicht zu einer Grimasse verzerrte.

"Nein!", rief sie panisch und sprang auf.
 

Sie lief so schnell sie konnte um den Tisch herum, wobei sie den ein oder anderen Todesser anrempelte, und verkroch sich in einer dunklen Ecke am Rand der Halle.

Voldemort zuckte zusammen, als er Schluchzen vernahm. Verdammt, musste dieses Gör denn immer weinen? Halt nein, das stimmte nicht. Warum musste er sie immer zum Weinen bringen?

Es verschaffte ihm Genugtuung. Aber wenn er so weitermachte, würde sie bald nichts mehr brauchbares über Potter erzählen können. Also musste er sich ihr gegenüber zurückhalten. Und vor allem musste er diese Sache aufklären.
 

Er seufzte theatralisch und lächelte Lucius dünn an. Dann sagte er so laut, dass Ginny ihn hören musste:

"Nein, ich glaube, das werde ich nicht tun. Sie ist nicht mein Geschmack. Ich bin sehr wählerisch, Lucius."
 

Als Lord Voldemort nach dem Essen in sein Büro kam, saß eine aufgelöste Ginny in seinem Sessel, die Beine an die Brust gezogen. Sie schniefte, doch ihre Stimme klang entschlossen, als sie sagte:

"Wehe, Sie versuchen so etwas. Ich weiß mich auch ohne Zauberstab zu wehren."

Er lächelte fast. Schon erstaunlich, die Kleine. Total aufgelöst und trotzdem nicht kleinzukriegen.

"Ich werde es mir merken", meinte er trocken. "Komm mit, Ginny."
 

Ginny folgte Voldemort mit gemischten Gefühlen zu der Rückwand des Büros, hindurch und in den kleinen Flur. Voldemort blieb vor einer der Türen stehen, zog seinen Zauberstab und murmelte etwas. Dann sah er Ginny durchdringend an.

"Leg deine Hand auf die Türklinke."

"Was haben Sie vor?"

Seine roten Augen funkelten. "Ich sorge dafür, dass die Tür dich erkennt und ab jetzt durchlässt."
 

Ginny legte, etwas verblüfft, ihre Hand auf die Klinke. Voldemort murmelte erneut etwas vor sich hin.

Plötzlich leuchtete die Klinke dunkelrot auf. Ginny schrie auf.

Sie war heiß. Verdammt heiß.

Doch sie konnte nicht loslassen.

"Hören Sie auf!"

"Es ist gleich vorbei, Ginny."
 

Und in der Tat ließ die unerträgliche Hitze um ihre Hand nach und sie konnte sich wieder von der Türklinke lösen.

"Musste das so schmerzhaft sein?", wollte sie schlecht gelaunt wissen.

Voldemort nickte nur stumm und öffnete die Tür. Langsam trat Ginny ein.
 

Sie stand in einem großen, unerwartet hellen Raum. Die Wände wurden von gefüllten Bücherregalen gesäumt, die mit Büchern aller Art bestückt waren. Der Boden wurde von einem smaragdgrünen Teppich bedeckt. Künstliche Dachfenster gaben den Blick auf einen klaren Nachthimmel wieder. Das Herzstück des Raumes war ein massiver Schreibtisch aus Mahagoni, auf dem in buntem Durcheinander beschriebenes und unbeschriebenes Pergament herum lag. In einer Ecke stand ein Tisch, auf dem allerhand Flaschen, Kolben, Kessel und Zaubertrankzutaten herum lagen. In einem der Kessel köchelte etwas über einer niedrigen Flamme vor sich hin.
 

Ginny drehte sich einmal im Kreis, um auch ja nichts zu übersehen, dann meinte sie:

"Jetzt weiß ich, warum das Büro vorne so klein ist. Sie benutzen es ja gar nicht!"

Voldemort lächelte kalt und ließ sich in einem bequemen Drehstuhl hinter seinem Schreibtisch nieder.

"Du begreifst schnell. Ich habe beschlossen, dich hier herein zu lassen, damit du nicht untätig herumsitzt, wenn ich anderweitig beschäftigt bin. Hier hast du genug zu lesen. Aber ich warne dich: Rühr meinen Brautisch nicht an! Wenn ich bemerke, dass auch nur ein Rosmarinblatt fehlt, dann gibt es Konsequenzen!"

Ginny nickte.

"Haben Sie auch ein Buch, in dem ein Gegenfluch für den Dauerklebefluch steht?"

Voldemorts Augen funkelten wieder.

"Du willst dich mit Bella anlegen?"

Ginny zuckte mit den Schultern.

"Sie hat angefangen. Ich wehre mich bloß."
 

Voldemort konnte nicht anders. Er lachte auf. Sein Lachen war nicht annähernd so kalt wie sonst, doch es verschreckte Ginny noch genug, dass sie einen Schritt zurücktrat und sich auf die Lippe biss.

Sofort verstummte Voldemort wieder. Diesmal war es wirklich nicht beabsichtigt gewesen, sie einzuschüchtern.

"Dann wehr dich mal. Auch wenn ich nicht weiß, wie du das ohne einen Zauberstab anstellen willst."
 

Einen Moment schwieg sie augenscheinlich getroffen, doch dann fragte sie erneut:

"Haben Sie ein Buch, in dem der Gegenfluch steht?"

Voldemorts Mundwinkel zuckten. Sie war ganz schön hartnäckig.

"Schau einfach mal ein paar Bücher durch. Ich hab keine Ahnung. Normalerweise lasse ich mich nämlich nicht festkleben."
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Am nächsten Morgen riss ein lautes Krachen Ginny urplötzlich aus dem Schlaf. Sie blinzelte und schlug die Augen auf.
 

Sie blickte in ein Gesicht mit tennisballgroßen, grünen Augen und einer langen, spitzen Nase, die fast die ihre berührte. Das Wesen hatte lange, spitz zulaufende Ohren, die in der Mitte geknickt waren, sodass die Spitzen herunter hingen.
 

Ginny schrie erschrocken auf.

Die Elfe tapste rasch ein paar Schritte zurück.

"Mara wollte Miss nicht erschrecken. Mara bittet um Verzeihung", piepste sie.

Ginny setzte sich auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
 

"Warum bist du hier? Sag nicht, dass Voldemort" - Die Elfe zuckte schrecklich zusammen - "Hauselfen hat!"

"Doch", piepste sie. "Einen ganzen Haufen sogar. Ich bin ab heute für Sie zuständig, Miss."

Ginny nickte langsam. "Gut. Du heißt...?"

"Mara, Miss."

"Solltest du mich wecken, Mara?"

"Ja, Miss. Der Dunkle Lord wünscht Miss in einer halben Stunde beim Frühstück zu sehen."

Ginny gähnte ein letztes Mal und tappte ins Bad hinüber. "Danke, Mara. Ich werde kommen."

Mara sah reichlich verdattert aus. Es war lange her, dass sie das Wort 'Danke' gehört hatte.
 

Ginny wusch sich und band sich die Haare im Nacken zusammen, dann warf sie einen Blick in ihren neuen Kleiderschrank.

Voldemort wollte sie als Slytherin sehen.

Aber so leicht wollte sie es ihm nicht machen. Außerdem gefielen ihr die dunklen Farben nicht.

Sie fischte sich nur frische Unterwäsche aus dem Schrank und zog darüber wieder ihre Gryffindor-Schuluniform. Anschließend trat sie aus ihrem Zimmer in den Flur.
 

Vor der Wand zu Voldemorts offiziellem Büro blieb sie stehen. Wie wollte sie eigentlich zum Frühstück kommen, wenn nur Voldemort diese Wand dazu brachte, sich aufzulösen?

Sie legte ihre Hand auf den kühlen Stein. Das konnte ja gar nicht funktionieren.

Doch zu ihrer großen Überraschung löste sich die Wand unter ihrem eigenen Griff auf.

Einen Moment stand sie komplett verdattert da, dann trat sie hindurch, durchquerte das Büro, holte tief Luft und betrat die Halle.
 

Der lange Tisch war nur zur Hälfte besetzt. Anscheinend frühstückten die Todesser nicht gemeinsam, sondern wann sie wollten. Als ihr Blick zum Kopfende des Tisches wanderte, sah sie, dass Bellatrix und Voldemort nebeneinander saßen und sich unterhielten.

Langsam ging sie zu den beiden hinüber.

Voldemort sah auf. Einen Moment runzelte er bei ihrem Anblick die Stirn, was sie mit Genugtuung sah. Er hatte sie anscheinend tatsächlich in grün und schwarz erwartet. Aber darauf konnte er lange warten.
 

Sie setzte sich. Er würdigte sie keines weiteren Blickes mehr, sondern wandte sich wieder seinem Gespräch mit Bellatrix zu. Ginny war froh darüber und begann zu essen.
 

Als Ginny wenig später fertig war und aufstehen wollte, kam sie nicht hoch. Sie hing an ihrem Stuhl fest.
 

Sie wusste sofort, was passiert war, auch ohne Bellatrix' fieses Grinsen zu sehen. Sie hatte es also getan.
 

Ginny schluckte ihren Ärger hinunter und nahm sich noch eine Portion. Dann aß sie weiter, als ob nichts wäre.

Doch in ihrem Kopf ratterte es. Sie brauchte ihren Zauberstab. Und sie konnte Voldemort nicht vor versammelter Mannschaft danach fragen. Er würde ihn ihr sowieso wahrscheinlich nicht einmal geben, wenn sie alleine wären. Also musste sie ihn sich irgendwie selbst beschaffen. Er steckte sicher in Voldemorts Umhang. Wenn sie nur hinkäme...
 

Sie streckte eine Hand unter dem Tisch in Richtung Voldemort aus und tastete durch die Luft. Mit der anderen Hand aß sie so normal wie möglich weiter. Wo zur Hölle war dieser Umhang mit ihrem Zauberstab?
 

Plötzlich schlossen sich lange, dünne Finger um ihr Handgelenk und umklammerten es schmerzhaft.

Ginny sah erschrocken auf. Voldemort starrte ihr direkt in die Augen, seine roten Augen brannten lichterloh. Ehe sie sich rühren konnte, erklang seine eiskalte Stimme in ihrem Kopf.

'Was zur Hölle tust du da?'

Er war erschreckend ruhig. Er wurde nicht laut. Er wurde nicht wütend. Er wurde einfach nur leiser und kälter. Das war es, was Ginny Angst einjagte.

Sie schluckte und dachte: 'Ich klebe an meinem Stuhl fest. Ich wollte mir meinen Zauberstab holen und den Dauerklebefluch lösen.'

Voldemorts Stimme verlor einen Hauch der Kälte, als er meinte: 'Bella hat es also getan. Gut, du bekommst ihn, aber wenn du ihn danach nicht sofort wieder abgibst, dann wirst du einiges zu spüren bekommen.'

'Danke', dachte Ginny.
 

Unter dem Tisch drückte Voldemort ihr ihren Zauberstab in die Hand, hielt jedoch ihr Handgelenk fest. Ginny konzentrierte sich, richtete den Zauberstab auf sich selbst und murmelte dann so leise wie möglich den Gegenfluch.
 

Dann stahl sich ein verschlagenes Grinsen auf ihr Gesicht. Voldemort, der ihr den Stab wieder abnehmen wollte, hielt inne und sah sie fragend an. Sie richtete unter dem Tisch den Stab auf Bellatrix und murmelte etwas. Voldemort hatte es verstanden und für einen Moment grinste auch er.

Dann nahm er ihr den Zauberstab wieder ab.
 

Bellatrix hatte anscheinend davon nichts mitbekommen, sie unterhielt sich mit ihrem Mann, der an ihrer Seite saß. Ginny aß in aller Ruhe zu Ende, dann stand sie wie selbstverständlich auf.

Bellatrix bekam große Augen.

Im nächsten Moment verfinsterte sich ihre Miene.

"Wie hast du das gemacht, Weasley-Göre?", zischte sie wütend.
 

Ginny lächelte so freundlich wie möglich und erwiderte:

"Wie hab ich was gemacht? Finden Sie es denn so schwer, von einem Stuhl aufzustehen? Guten Appetit übrigens noch!"
 

Damit ging sie auf ihr Zimmer.

Hinter ihr versuchte Bellatrix aufzustehen und ihr zu folgen, doch sie klebte an ihrem Stuhl fest.

Zeig mir deinen Geist

Kapitel 6: Zeig mir deinen Geist
 

Kaum hatte Ginny die Tür zu ihrem neuen Zimmer hinter sich geschlossen, brach das Lachen aus ihr heraus. Bellatrix' Gesicht war einfach zu köstlich gewesen!

Doch sie wurde bald wieder ernst. Das würde Bellatrix niemals auf sich sitzen lassen. Sie würde zurückschlagen, und dann würde Voldemort Ginny vielleicht nicht mehr helfen.
 

Ginny schluckte, doch bevor sie lange darüber nachdenken konnte, ging hinter ihr die Tür auf. Sie wusste sofort, wer da war. Sie konnte die Kälte fühlen, die mit ihm in ihr Zimmer gekommen war, und schauderte.

"Ginny, komm mit."
 

Nachdem sie einmal tief Luft geholt hatte, folgte sie Voldemort in den Flur hinaus und in sein Arbeitszimmer. Als sie eingetreten war, blieb sie unschlüssig stehen. Voldemort schwang seinen Zauberstab und ließ zwei Sessel aus dem Nichts erscheinen, die sich in der Mitte des Zimmers gegenüber standen und winkte Ginny, sich zu setzen. Sie gehorchte kommentarlos. Voldemort ließ sich in dem anderen Sessel sinken und musterte sie.
 

"Du benutzt auch schwarzmagische Flüche?"

Ginny bekam einen kleinen Schock, dann wusste sie, was er meinte, und entspannte sich.

"Warum nicht? Solange sie anderen Menschen nicht schaden und nützlich sind, verwende ich alle Zauber, die mir in die Quere kommen, schwarz oder weiß. Und der Gegenfluch war doch wirklich harmlos."

Voldemort zog eine Augenbraue unmerklich in die Höhe. Um seine Lippen spielte ein kaltes Lächeln.

"Es wäre nur harmlos gewesen, wenn du es bei einem Gegenfluch belassen hättest."
 

Tadel schwang in seinen Worten mit, doch auch Belustigung, sodass Ginny der Tadel keine Angst einjagte. Sie zuckte nur mit den Schultern.

"Der Dauerklebefluch an sich ist kein schwarzmagischer Fluch, er ist einfach nur gemein, weil es keinen weißmagischen Gegenfluch gibt. Aber warum machen Sie mir hier Vorwürfe? Sie hätten mich doch davon abhalten können."

Sie hielt seinem durchdringenden Blick, wenn auch mit Mühe, stand. Voldemorts Lächeln wurde einen Hauch breiter.

"Du hast Recht, ich hätte es verhindern können. Aber weißt du, es hat sich schon so lange niemand mehr mit Bella angelegt, dass ich nicht widerstehen konnte. Ich wollte es darauf ankommen lassen. Aber sie wird sich rächen, das ist sicher. Was willst du dann machen? Mir wieder in den Umhang fassen?"
 

Mit einem Mal war der amüsierte Unterton aus seiner Stimme verschwunden und sie klang wieder kalt und scharf. Ginny begann zu zittern, doch als sie antwortete, war ihre Stimme ruhig.

"Bringen Sie mir bei, wie man sich von Geist zu Geist unterhält. Dann kann ich Sie in Zukunft um den Zauberstab bitten wie heute früh, nur ohne den Klauversuch."
 

Ihr Lächeln fiel etwas unsicher aus. Voldemort schwieg und musterte sie. Sein Blick war wieder eiskalt. Ginny schauderte, doch sie erwiderte ihn ohne mit der Wimper zu zucken.

Ihr war klar, dass er sie auf die Probe stellen wollte. Angst einjagen konnte er ihr damit nicht mehr, das wussten sie beide.

Also musste er etwas anderes vorhaben.
 

Sie überlegte. Als er sich nach minutenlanger Stille immer noch nicht zu Wort meldete, fiel bei Ginny endlich der Groschen.

Nur, wie sollte sie das anstellen?

Sie versuchte, durch die glühend roten Augen hindurch zu sehen. Zu erkennen, was dahinter lag. Und langsam, ganz langsam, veränderte sich ihr Blick.
 

Die Umgebung schien zu verschwimmen, doch die Gestalt Voldemorts blieb so klar und scharf wie zuvor und schien sogar noch an Farbe und Kontrast zu gewinnen. Dann spürte sie es. Sie spürte, dass da etwas war. Dass da jemand war.
 

Ihre Augen begannen zu brennen, doch sie wagte nicht, sie zu schließen. Stattdessen konzentrierte sie sich weiter auf ihr Gespür. Ja, sie konnte Voldemort spüren. Weniger seinen Körper, sondern eher... etwas abstraktes.

Gedanken.

Das, was Voldemort ausmachte.
 

Doch es war undeutlich und verschwommen und entglitt ihr immer wieder. Nachdem sie ein paar Mal fast einen seiner Gedanken erwischt hatte, fiel ihr etwas merkwürdiges auf. Einige wenige Gedanken schien sie undeutlich, schwach und in weiter Ferne wahrzunehmen.

Kein Wunder. Die wichtiger Dinge verbarg er garantiert vor ihr.

Doch sie spürte keine Emotionen. Nicht ein einziges Gefühl.
 

Sie schluckte, blinzelte kurz und sah ihm dann wieder in die Augen. Die Verbindung war abgebrochen und so konzentrierte sie sich erneut. Diesmal gelang es ihr um einiges schneller, da sie wusste, was sie suchen musste. Doch es blieb, wie es war.

Nur wenige, verschwommene Gedanken und keine Gefühle.
 

Schließlich erinnerte sie sich, dass sie ja eigentlich die geistige Kommunikation erlernen wollte. Wie war das beim Frühstück gewesen? Sie hatte Voldemorts Stimme in ihrem Kopf gehört.

Mittlerweile wusste sie, dass sie nicht seine Stimme gehört, sondern seine Gedanken gefühlt hatte. Sie hatte ja schließlich auch nur per Gedanken antworten können.

Was, wenn sie nun einfach dasselbe tat? In Gedanken versuchen, mit ihm zu reden?

So, wie sie immer wieder versuchte, seine Gedanken zu fassen und sie sich immer wieder ungreifbar machten, musste er sie längst bemerkt haben.
 

Voldemort lächelte leise. Ja, dieses Mädchen hatte Grips. Sie schaffte es zwar noch nicht, sich gegen ihn abzuschirmen, sodass ihm ihre Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen direkt ins Auge sprangen, doch sie hatte schnell begriffen.

Er hatte jedem ihrer Gedankengänge gelauscht.

Sie hatte es nicht bemerkt, da sie zu sehr mit seinen verborgenen Gedanken zu kämpfen hatte.
 

Jetzt sprach sie ihn das erste Mal bewusst an.

'Können... können Sie mich hören?'

Voldemorts Lächeln verlor einen Hauch der Kälte, die es eingefangen hatte.

'Natürlich. Ich habe dir die ganze Zeit schon zugehört. Du hast schnell begriffen, worauf es ankommt.'

Jetzt runzelte Ginny die Stirn, hielt jedoch seinen Blick.

'Wie? Ich habe nichts bemerkt.'

'Das liegt daran, dass ich mich gegen dich abschirme. Deswegen spürst du auch keine Gefühle, um deine nächste Frage gleich vorwegzunehmen.'

Ginny nickte verstehend und brach damit ungewollt die Verbindung.
 

Ginnys Blick verschwamm kurz, dann sah sie wieder normal. Als Voldemort weiterhin schwieg, suchte sie wieder seinen Blick und seine Gedanken.

'Danke. Das nächste Mal vergreife ich mich nicht an Ihrem Umhang, sondern frage gleich.'

Voldemort sah milde überrascht aus, wahrte ihm großen und ganzen jedoch seine distanzierte Miene.

'Das will ich dir auch geraten haben. So, und jetzt, wenn wir schon mal dabei sind, werde ich dich im Geist ein paar Dinge über Harry fragen. Du wirst mir dann die entsprechenden Erinnerungen zeigen. Verstanden?'

'Ja.'
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Als Ginny Voldemort zum Mittagessen folgte, saß Bellatrix schon an ihrem Platz und sah ihr wütend entgegen.

Ginny schluckte. Plötzlich hatte sie wieder Angst. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was Bellatrix sich jetzt Fieses ausgedacht haben könnte.
 

Dennoch versuchte sie nach außen hin einen möglichst ruhigen und selbstsicheren Eindruck zu machen, um sie von sich abzuschrecken. Sie wusste nicht recht, wie gut ihr das gelang, da Bellatrix' Miene aller höchstens von zornfunkelnd zu wütend gewechselt war.

Möglichst ruhig setzte Ginny sich ihr gegenüber. Sie wollte gerade anfangen zu Essen, um einem Gespräch mit ihr aus dem Weg zu gehen, da gebot Voldemort ihr mit einer knappen Handbewegung Einhalt.
 

Sie blickte unsicher auf. Er nahm ihren Teller und vertauschte ihn mit dem von Bellatrix, dann nickte er ihr aufmunternd zu.

Sie begann langsam zu essen und ließ Bellatrix dabei nicht aus den Augen.
 

Diese starrte entsetzt auf den Teller vor ihr, das Gesicht in einer Grimasse aus Wut, Angst und Beleidigung verzerrt.

Voldemort meinte sehr leise und scharf: "So weit ich weiß, ist das dein Leibgericht. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du es plötzlich nicht mehr magst, Bella?"

Bella zog merklich den Kopf ein, jetzt dominierte auf ihren Zügen eindeutig die Angst.

"N-nein, n-natürlich nicht, mein Lord."

Sie senkte den Kopf und begann zu essen. Bei jedem Bissen verzerrte sich ihr Gesicht mehr, bis sie schließlich aufsprang und fluchtartig den Tisch verließ.
 

Ginny warf Voldemort einen fragenden Blick zu. Er zog bloß die Augenbrauen in die Höhe. Ginny nahm das als Aufforderung und konzentrierte sich.

Die im Raum zwischen den vielen Todessern hin und herschwirrenden Gedanken ignorierte sie, so gut es ging und blickte Voldemort in die Augen.

'Was war in dem Essen?'

Voldemorts Lippen zuckten. 'Ein Pulver, das die Verdauung durcheinander bringt. Bella dürfte inzwischen schon im Bad sein und ich glaube nicht, dass sie es noch vor heute Abend verlassen wird.'
 

Ginny schlug sich die Hand gegen den Mund, um nicht laut loszulachen. Nur mit Mühe hielt sie die Verbindung.

'Warum haben Sie die Teller getauscht?', wollte sie wissen.

Voldemorts Lippen kräuselten sich. 'Du bist von vornerein gegen Bella im Nachteil, weil du keinen Zauberstab hast. Diesen Nachteil muss ich doch irgendwie ausgleichen, sonst ist es nicht interessant.'
 

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Das Essen war vorbei und Voldemort hatte Ginny wieder zu sich ins Arbeitszimmer bestellt. Die beiden hatten sich wieder in den Sesseln niedergelassen und Voldemort begann zu sprechen, diesmal laut.

"Eine Frage habe ich noch an dich über Harry. Kennst du einen Ort, von dem du glaubst, dass er dort in nächster Zukunft auftauchen wird?"
 

Ginny überlegte. Nach Hogwarts würde er mit Sicherheit nicht kommen. Zu ihren Eltern auch nicht. Er würde überhaupt nirgendwo hingehen, wo man ihn erkennen würde, da war sie sich sicher. Er hatte ja Hermine mit dabei, die würde schon dafür sorgen, dass er nicht so leicht gefunden würde.
 

Aber wo könnte man ihn denn abfangen? Irgendwo, wo er sich anders benehmen würde als die große Masse, sodass man ihn trotz der Sicherheitsvorkehrungen, die er sicher getroffen hatte, erkennen konnte. Wo würde er das tun?
 

Ginny grübelte lange, dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

"Natürlich!", rief sie aus.

Voldemorts Augen leuchteten interessiert auf.

"Die Gräber seiner Eltern in Godric's Hollow! Er hat angedeutet, dass er unbedingt mal dorthin will!"
 

Voldemort stand mit einem Ruck auf und lief aufgeregt im Zimmer auf und ab, unverständliche Dinge vor sich hin murmelnd.

Ginny schluckte, plötzlich hatte sie wieder einen Kloß im Hals. Jetzt hatte sie ihn endgültig verraten.
 

Es gab kein Zurück mehr. Ihm gegenüber hatte sie jedoch fast kein schlechtes Gewissen. Nur Hermine und Ron gegenüber... Die beiden würde es sicher schwer treffen, wenn sie die Wahrheit erfuhren.

Ginny schüttelte energisch den Kopf. Jetzt konnte sie sowieso nichts mehr rückgängig machen, also sollte sie sich auch keine Vorwürfe machen. Wenn es denn so einfach wäre...
 

Sie seufzte und rollte sich in ihrem Sessel zusammen.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Ginny konnte nicht sagen, wie viel Zeit verstrichen war, seit Voldemort das letzte Mal laut gesprochen hatte. Es mussten Stunden sein, und noch immer lief er grübelnd durch sein Arbeitszimmer. Ginny schien er komplett vergessen zu haben.

Anscheinend war es doch nicht so einfach, Harry gefahrlos zu schnappen, wie er es gerne hätte.
 

Ginny hatte in der Zwischenzeit darüber nachgedacht, was Hermine und Ron dazu sagen würden, wenn sie erfuhren, dass Ginny Harry verraten hatte, im Austausch gegen ihre beiden Leben.

Sie würden sicher nie mehr etwas mit ihr zu tun haben wollen.
 

Ginny schluckte erneut einen Kloß in ihrem Hals hinunter, um nicht das Weinen anzufangen. Es tat weh, sich ein Leben ohne die beiden auszumalen. Aber sie hatte sich schließlich selbst dafür entschieden.
 

Doch die Alternative zu ihrem Entschloss wären Folter, körperliche und seelische, vielleicht auch Vergewaltigung gewesen, bis sie um den Tod gebettelt hätte. Und Voldemort hätte ihn ihr nicht eher gewährt, bis er ihr jede Erinnerung aus dem Kopf gezogen hatte, die noch nützlich für ihn sein könnte.
 

Ginny machte sich nichts vor. Sie war ein Feigling gewesen. Harry hätte Folter und Tod sicher in Kauf genommen, nur um sie zu schützen. Ron und Hermine ebenfalls. Nur sie war zu schwach gewesen.

Zu schwach für eine Gryffindor.
 

Und jetzt würde sie solange hier festsitzen, bis Harry tot wäre und Ron und Hermine sie dafür hassen würden.

Wahrscheinlich sogar länger.

Voldemort würde sicher nicht riskieren wollen, dass sie irgendetwas ausplauderte von dem, was sie hier gesehen hatte.
 

Es half nichts, ihr liefen wieder Tränen über die Wangen.

Das einzige, was ihr jetzt noch übrig blieb, war, ihr altes Leben so schnell wie möglich loszulassen.

Das hieß jedoch auch, alle loszulassen, die ihr etwas bedeuteten. Ihre Familie, Hermine, Neville, Luna, ihre anderen Freunde, ihr Zuhause, ihre Schule... Moment.

Die Schule musste sie vielleicht vergessen, aber den Schulstoff nicht. Vielleicht konnte sie sich ja von ihren Gefühlen ablenken, wenn sie sich nur genug auf ihre alten Schulbücher konzentrierte? Hermine schwor auf diese Methode. Beim Gedanken an sie krampfte sich ihr Herz wieder zusammen. Hermine würde ihr nie wieder mit den Hausaufgaben helfen, wie sie es schon so oft getan hatte...

Aber vielleicht konnte sie sich ja selbst helfen?
 

Langsam hob Ginny den Kopf.

"Sir?", fragte sie vorsichtig.

Voldemort stolperte, aus seinen Gedanken gerissen, und wirbelte zu ihr herum.

"Was?"

Ginny schluckte, um sich zu beruhigen. "Sir... Ich - ich dachte nur... vielleicht könnte ich irgendwie meine Schulbücher wiederbekommen...?"

Voldemort verschränkte die Arme und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Ginny fröstelte, als er spöttisch erwiderte: "Sag bloß, du bist eine Streberin. Aber gut, ich werde mit Severus reden, damit er sie dir mitbringt. Dann hast du wenigstens etwas Vernünftiges zu tun."

Ginny setzte sich, plötzlich wieder voller Energie, auf.

"Streber? Nicht schlimmer, als Sie damals waren."
 

Voldemort, der sich gerade wieder abgewandt hatte, wirbelte mit zornspühenden Augen herum, den Zauberstab im Anschlag.

"Wag es ja nicht, so etwas zu sagen! Crucio!"
 

Ginny zuckte fürchterlich zusammen. Sie war wieder einmal zu weit gegangen. Der Fluch verfehlte sie um Zentimeter und steckte den Sessel in Brand.

Sie sprang auf.

Voldemort richtete erneut den Zauberstab auf sie. "Noch ein Wort und du wirst es bereuen. Was bildest du dir eigentlich ein, so mit mir zu reden? Ich könnte dich dafür töten!"
 

Ginny stolperte rückwärts. Damit hatte sie nicht gerechnet. Doch schon nach ein paar tiefen Atemzügen sah sie ihm wieder ins Gesicht.

"Sie haben mir versprochen, Sie würden mir keinen Fluch auf den Hals jagen, egal, was ich sage. Bedeutet Ihnen ein Versprechen so wenig, dass Sie es gleich wieder vergessen?"

Voldemort atmete heftig, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, die roten Augen flackernd.

Sie wusste, dass er sie am liebsten kurz und klein gehext hätte, nicht wegen ihres Kommentars über seine Schulzeit, sondern, weil sie ihm widersprochen hatte. Doch er tat es nicht. Ginny konnte nicht sagen, wie lange er so dastand, es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis er den Zauberstab sinken ließ.
 

"Trotzdem, sag so was nie wieder. Wie kommst du überhaupt darauf?"

Sie atmete erleichtert die Luft aus, die sie unwillkürlich angehalten hatte.

"Ihr Tagebuch. Ich habe vor ein paar Jahren die Kammer des Schreckens geöffnet."
 

Für einen Moment erkannte Ginny auf seinen Zügen haltlose Überraschung, dann legte sich wieder die eisige Maske darüber.

"Du warst das?", stieß er ungläubig hervor. "Zufälle gibt's..."

Einen Moment blickte er ihr still in die Augen. Ginny wusste, dass er nachprüfen wollte, ob sie die Wahrheit sagte, und zeigte ihm die Erinnerungen an ihr furchtbares erstes Schuljahr. Voldemort nickte zufrieden.
 

Im nächsten Moment hörte man dumpfes Rufen.

Ginny konnte nicht erkennen, wer es war, doch Voldemort meinte: "Das ist Bella. Und weißt du, was sie ruft?"

Ginny schüttelte den Kopf.

"Sie ruft: 'Verdammte Blutsverrätergöre, komm sofort her! Ich mach dich so fertig!' "

Er betrachtete Ginny abschätzend. Ginnys Herz pochte heftig gegen ihre Rippen. Sie schluckte. Es war nicht schwer zu erraten, was Bellatrix vor hatte.
 

Voldemort fragte leise und nicht annähernd so kalt wie sonst: "Willst du zu ihr gehen, oder willst du dich verstecken?"

Ginny verzerrte das Gesicht. "Ich will mich nicht verstecken, aber ich kann mich ihr ohne Zauberstab nicht stellen. Also werd ich mich verstecken müssen."

Voldemort zog eine Augenbraue hoch. "Nicht unbedingt. Denk nach."
 

Ginny starrte ihn einen Moment verwirrt an, dann wurde ihr klar, was er von ihr verlangte. Sie schluckte ihren Stolz herunter und dachte: 'Darf ich bitte meinen Zauberstab haben? Sie bekommen ihn danach wieder.'

Voldemort lächelte dünn, nickte unmerklich und griff in seinen Umhang. Er zog Ginnys Zauberstab mit den Worten hervor: "Ich habe ihn eingeschränkt. Keine Unverzeihlichen, kein Alohomora, kein Apparieren, kein Portus. Also bringt es dir nichts, wenn du ihn länger behältst, als für Bella notwendig, verstanden?"

Ginny nickte und nahm den Zauberstab in Empfang.

"Danke", murmelte sie sehr leise.
 

Dann machte sie sich auf den Weg in das vordere Büro, wo eine wutschnaubende Bellatrix auf sie wartete.

Bellas Rache

[bKapitel 7: Bellas Rache
 

Ginny stand vor der Wand, die in das vordere Büro führte, die flache Hand ausgestreckt, die Fingerspitzen Zentimeter von den kalten Steinen entfernt. Sollte sie oder sollte sie nicht?

Noch konnte sie umkehren. Doch wollte sie sich vor Bellatrix verstecken? Das wäre feige. Und sie war in den letzten zwei Tagen schon feige genug gewesen.

Nur deswegen stand sie heute überhaupt hier.
 

Sie holte tief Luft, um ihr schnell pochendes Herz zu beruhigen. Sie hatte gestern um diese Zeit noch dem Tod ins Auge gesehen.

Gut, es war ein Tod mit roten Augen und blasser Haut und nicht wie jetzt ein schwarzhaariger, irrer und sadistischer Tod hinter einer Wand, doch es war immerhin der Tod gewesen.
 

Verdammt, Voldemort brauchte sie! Er würde schon nicht zulassen, dass Bellatrix sie zu sehr quälte oder umbrachte. Oder?

Wenn Harry tatsächlich nach Godric's Hollow ging, dann wäre sie ab sofort für Voldemort überflüssig geworden. Er wusste, was er wissen musste.

Na, wenigstens würde sie sich dann nicht Ron und Hermine stellen müssen, wenn es so weit wäre.
 

Ginny atmete noch einmal tief durch, dann legte sie die Hand auf den kühlen Stein, der sich fast sofort unter ihren Fingern verflüssigte. Den Zauberstab hatte sie in die Umhangtasche geschoben, vielleicht würde sie Bellatrix ja überraschen können, wenn diese sich in Sicherheit wiegte.

Ginny sah auf.
 

Da stand sie.

Vor Voldemorts Schreibtisch, ein irres Grinsen und ein paar filzige Haarsträhnen im Gesicht. Langsam trat Ginny ein und bekam am Rande mit, wie die Wand sich wieder neu bildete.

Bellatrix kicherte. Ginny lief es kalt den Rücken hinunter.

"Na, da bist du ja, kleine Blutsverräterin. Jetzt sag mir mal ganz genau, wie ich mich für einen Nachmittag Bauchweh auf deine Kosten am besten rächen sollte."
 

Ginny schwieg. Bellas Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Grimasse.

"Antworte mir gefälligst!", kreischte sie. "Imperio!"

Ginny hatte den Fluch nicht kommen sehen und bekam ihn mitten in den Magen. Sofort lösten sich all ihre Ängste und Zweifel auf, zurück blieb nur ein Gefühl, als würde sie gleichzeitig fliegen und mit offenen Augen vor sich hindämmern.

"Sag mir..."

Die Stimme klang seltsam fremd, doch Ginny kannte sie. Sie wusste nur nicht, woher.

"Sag mir: 'Ich will bestraft werden'! Los, sag es!"
 

Ginny hatte schon den Mund aufgemacht, da fragte sie sich, warum sie das sagen sollte. Es konnte doch nicht falsch sein, wenn diese hallende Stimme, die sie einzuhüllen schien, das befohl, oder?

Trotzdem - Wieso? Wollte sie das wirklich? Sie war sich nicht ganz sicher, also kämpfte sie den Drang nieder, zu gehorchen, und schwieg.
 

Die Stimme ertönte wieder, jetzt etwas ungeduldiger.

"Na, wenn du nicht willst, dann sag: 'Ich will solange gefoltert werden, bis ich um den Tod winsle!' Los, mach schon!"

Wieder hatte Ginny schon den Mund aufgemacht, als sie begann zu denken. Nein, das konnte nicht richtig sein. Wie konnte diese allwissende Stimme so etwas von ihr verlangen?

War diese Stimme denn überhaupt allwissend? Sicher nicht, sonst konnte sie nicht wissen, dass Ginny das nicht wollte. Warum sollte Ginny dann noch auf sie hören?

Doch sie wollte irgendwo immer noch gehorchen und öffnete den Mund.
 

"Ich will... dass du... solange gefoltert... wirst, bis du... um den Tod... winselst..."

Das seltsame Dämmergefühl fiel von ihr ab, ihre Gefühle kehrten zurück, die Zweifel, die Ängste, die Wut und Trauer. Ginny schwankte, als das alles auf sie einströmte. Sie hatte nicht gewusst, wieviel sie zu tragen hatte.

"Du wagst es?!", kreischte Bellatrix da. "Crucio!"
 

Ginny riss die Augen auf, da wurde sie von dem Lichtstrahl von den Füßen gerissen und schrie. Es war noch viel schlimmer als ein Cruciatus von Alecto Carrow.

Glühende Nadeln durchbohrten jeden Zentimeter ihrer Haut und durchstachen erbarmungslos die Nervenstränge. Ginny sah nur noch Sterne vor Augen. Ihre Augen schienen von innen aus ihren Höhlen gepresst zu werden, sie fühlte sich, als ob sie von einem Hausdach gefallen wäre und sich dabei alle Knochen gebrochen hätte. Sie konnte nicht mehr denken. Ihre Schreie schienen eins zu werden mit dem Schmerz, der durch jede Faser ihres Körpers strömte, und ihn noch zu verstärken.

Nach einer Weile gab Ginny jeden Widerstand auf und fügte sich in den Schmerz. Sie ließ zu, dass Schmerz die Kontrolle über ihren Körper übernahm und legte all ihre Energie in ihre Schreie, die ihr nun halfen, durchzuhalten, ohne dass ihr schwarz vor Augen wurde.

Nach einer Ewigkeit ließ Bellatrix von ihr ab.
 

Ginny fand sich selbst keuchend auf dem Fußboden wieder, Tränen liefen unaufhörlich über ihr Gesicht, ihre Haare hingen ihr in wirren Strähnen vor den Augen.

Am liebsten würde sie für immer hier liegen bleiben und keinen Finger mehr rühren. Einfach hierbleiben... und einschlafen...

Doch da ertönte wieder die schrille Stimme von Bellatrix.

"Na, kleine Weasley, das wird dir eine Lehre sein. Das war die Rache für mein Bauchweh."
 

Ginny sammelte von irgendwoher noch einmal einen letzten Rest Kraft und Selbstbeherrschung und setzte sich mühsam auf. Verdammt, wie weh das tat! Sie musste am ganzen Körper blaue Flecken haben. Doch sie biss die Zähne zusammen und schwieg verbissen.

"Aber soweit ich weiß, bin ich dir noch ein Rache für die Flederwichte schuldig und eine für den Dauerklebefluch. Viel Spaß!"
 

Und schon sauste der nächste Fluch auf Ginny zu.

Geistesgegenwärtig drehte sie sich ein Stück zur Seite, sodass der Fluch sie um Zentimeter verfehlte. Bellatrix fluchte und feuerte weiter. Ginny sprang auf und wich ihrer nächsten Attacke ebenfalls knapp aus. Das Quidditchtraining hatte sich anscheinend ausgezeichnet.

Wer weiß, was sie alles getroffen hätte, wenn sie nicht so gute Reflexe gehabt hätte. Sie duckte sich hinter Voldemorts Sessel und zückte den Zauberstab, dann schoss sie einen ungesagten Flederwichtfluch ab.

Bellatrix, die nicht damit gerechnet hatte, kreischte entsetzt auf.
 

Ihre nächsten Flüche verfehlten Ginny alle um Längen. Doch schließlich, als Ginny es sich gerade halbwegs bequem hinter dem hohen Sessel gemacht hatte, den Blick auf die Rückwand gerichtet, traf Bellatrix.

Ginny wurde von der Explosion gegen die Wand geschleudert, die sich unter ihren Fingerspitzen auflöste und sie auf den Boden krachen ließ. Ihr Umhang hatte Feuer gefangen, das sie rasch mit ihrem Zauberstab löschte.

Sie wollte sich gerade wieder aufrappeln, da ertönte ein hohe, kalte Stimme: "Was ist hier passiert?"
 

Ginny hob langsam den Blick. Voldemort stand vor ihr im Korridor und blickte von ihr zu seinem Büro und wieder zurück. Sie setzte sich zögernd auf und sah sich um.
 

In der Wand klaffte ein großes Loch. Viele Dokumente auf dem großen Schreibtisch brannten, und von dem Sessel war nicht mehr viel zu sehen, nur hier und da ein Stoffetzen. Sämtliche Bücher waren ebenfalls in Flammen aufgegangen.

Bella lag mehr an der vorderen Wand, als sie saß, und noch immer wurde ihr von einem von Ginnys Flederwichten das Gesicht zerkratzt.

Voldemort verschränkte die Arme und blickte Bella eiskalt an.

"Bella. Du weißt, dass das mein Lieblingssessel war."
 

Bella wimmerte bloß und wehrte sich schwach gegen den Flederwicht. Ginny schwenkte mühsam den Zauberstab und der Flederwicht löste sich auf. Dann sank sie erschöpft auf den Boden zurück.

Voldemort nahm ihr den Zauberstab ab und meinte:

"Das war nicht dein erster Cruciatus, Ginny. Hab ich recht? Du hast erstaunlich lange durchgehalten, ohne ohnmächtig zu werden. Wer hat dich gefoltert? Die Carrows?"
 

Ginny nickte matt.

"Hab ich mir doch schon fast gedacht. Geh, Ginny. Verschwinde."

Das ließ sich Ginny nicht zweimal sagen. Mühsam rappelte sie sich auf. Erneut fuhr ihr der Schmerz in alle Glieder, doch sie gab keinen Ton von sich.
 

Sie ging unsicher und an die Wand gestützt in ihr Zimmer, und ließ sich angezogen auf ihr Bett fallen. Sie kam gar nicht mehr dazu, sich auszuziehen, da war sie auch schon eingeschlafen.

Das letzte, was sie hörte, war ein gedämpfter Schrei, der von Bellatrix zu kommen schien. Sie kümmerte sich nicht darum.

Godric's Hollow

Kapitel 8: Godric's Hollow
 

Als Ginny am nächsten Morgen zum Frühstück kam, war Balltrix' Platz noch leer. Ginny war froh darüber und aß so schnell sie konnte. Sie bemerkte nicht einmal, dass Voldemorts Blick etwas missbilligend über ihre zerknitterte Schuluniform mit den roten und goldenen Säumen wanderte.
 

Voldemorts Gesicht zeigte keine Veränderung, doch innerlich schmunzelte und fluchte er zugleich. Sie war ganz schön hartnäckig. So schnell würde sie die neuen Kleider wahrscheinlich nicht anziehen.

Naja, ohne einen Zauberstab würde die Uniform irgendwann einfach dreckig sein, dann würde sie sich schon fügen. Sie sah schon reichlich zerknittert aus. Offenbar hatte Ginny heute Nacht darin geschlafen.
 

Die meisten Leute wollten, wenn sie einen langen, starken Cruciatus mit wachem Verstand überlebt hatten, nur noch ihre Ruhe und schliefen oft an Ort und Stelle ein. Er hatte das oft genug miterlebt. Allerdings wusste er auch, dass nur die Crutiatusflüche von ihm selbst, Severus, Bella und Lucius stark genug waren, um das Opfer als Nachwirkung schläfrig zu machen.

Eigentlich eine natürliche Reaktion des Körpers: Bei starken Schäden, sei es physisch oder psychisch, erst einmal schlafen und regenerieren, was zu retten ist. Aber der Cruciatus schlug körperlich viel weniger an, als viele dachten, die ihn erlebt haben, also war ein sehr starker Fluch von Nöten, um den Körper zu einer Regenerierungspause zu zwingen.

Es wurde im Grunde nichts körperlich beschädigt, der Fluch überreizte nur die Nervenenden. So wurden Schmerzbotschaften ins Gehirn geschickt, die eigentlich keine waren. Sehr elegant.

Auch wenn das Opfer danach psychisch ein Wrack war, konnte man den Körper immer noch mit Imperius dazu bringen, im eigenen Sinn zu arbeiten. Eine von Voldemorts Lieblingsmethoden zur "Wiederverwertung" der Opfer.
 

Nach dem Frühstück bestellte Voldemort Ginny wieder in sein Büro. Als sie hereinkam, stand er am Tisch mit den Kesseln und Kolben und wog Zutaten für einen neuen Trank ab. Er sah auf.

"Gut, dass du da bist. Komm her, ich erklär dir, was ich mir ausgedacht habe."

Langsam trat Ginny näher. Voldemort hatte sich etwas ausgedacht. War das gut oder schlecht für sie?

"Ich hab über deinen Hinweis nachgedacht. Du könntest Recht haben. Also habe ich eine Falle in Godric's Hollow geplant. Und weil du mich auf die Idee gebracht hast, darfst du mir auch helfen, die Falle zu stellen."
 

Ginny blickte verblüfft auf.

"Was? Wie meinen Sie das?"

"Heute nachmittag werden wir beide nach Godric's Hollow gehen."

Er lächelte kalt. "Wir beide und Nagini. Sie wird dort auf Potter warten."
 

Ginny schluckte und senkte den Blick.

"Was wird sie anstellen, wenn Harry auftaucht?"

"Ihn an der Flucht hindern und mir Bescheid geben. Dann appariere ich zu den beiden und bringe ihn um."

Ginny musste erneut schlucken.

"Und was passiert mit Ron und Hermine?"

"Ich werde sie nicht töten. Wahrscheinlich werden sie so schnell wie möglich disapparieren, wenn sie mich sehen. Ich werde sie nicht aufhalten."
 

Ginny nickte langsam.

"Gut. Wenn Sie die beiden in Ruhe lassen, helfe ich Ihnen mit der Falle. Wo soll Nagini denn auf Harry warten? Im Haus von seinen Eltern?"

"Nein. Das habe ich damals halb in die Luft gejagt. Ich hab mir etwas todsicheres ausgedacht. Hör zu..."
 

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Ginny war schon fast fertig mit dem Mittagessen, da tauchte Bellatrix auf und ließ sich ihr gegenüber nieder. Ginny fluchte innerlich. Sie hatte gehofft, sie würde Bellatrix bis heute Abend nicht mehr begegnen.

Sie würde sich sicher rächen wollen wegen gestern Abend.
 

Ginny beugte sich tief über ihren Teller und aß so schnell sie konnte. Doch Bellatrix ließ sie nicht so einfach davonkommen.

"Hey, Weasleygöre!"

Ginny zuckte zusammen. Es war so klar gewesen. Langsam hob sie den Kopf, bemüht, ihre Angst nicht zu zeigen.
 

"So was wie gestern wird mir nicht noch einmal passieren. Der dunkle Lord wusste nur, dass etwas in deinem Essen war, weil mir ein Hauself zugesehen und gepetzt hat. Aber ich könnte dir ja wieder etwas ins Essen schmuggeln, und zwar so, dass mich niemand beobachtet... Etwas noch viel gemeineres... Wie fändest du zum Beispiel den Trank der lebenden Toten? Mit einer Überdosis?"

Sie grinste verschlagen.
 

Ginny blieb mit einem Mal das Essen im Hals stecken. Bellatrix würde sie doch nicht wirklich...? Oder etwa doch? Sie war so irre, dass Ginny ihr alles zutraute.

Doch eine Schwachstelle hatte sie, und die kannte Ginny mittlerweile. Sie überwand sich, den Bissen doch noch hinunterzuschlucken und sagte dann leise:

"Wissen Sie, was er" - sie nickte zu Voldemort hinüber - "mit Ihnen anstellt, wenn Sie mich umbringen? Zu schade, dass ich es nicht mit ansehen kann, wenn es so weit ist. Es wird nicht viel von Ihnen übrig bleiben, hoffe ich."
 

Bellatrix' Augen weiteten sich gefährlich.

"Wie kannst du es wagen?!", kreischte sie laut auf.

Sämtliche Köpfe wirbelten zu ihr herum, doch sie bemerkte es nicht einmal.

"Ich tue dem Lord sogar einen Gefallen, wenn ich dich aus dem Weg räume! Ich verstehe sowieso nicht, warum er es nicht längst selbst getan hat!"
 

"Bella", zischte nun Voldemort scharf, "Ich habe meine Gründe. Du solltest sie nicht in Frage stellen, sonst stellst du mich in Frage. Und das willst du doch sicher nicht."

Bellatrix sah wie vom Blitz getroffen, zu ihm auf, dann neigte sie den Kopf.

"Natürlich nicht, mein Lord."

Voldemort nickte zufrieden. "Na, geht doch. Warum nicht gleich, Bella?"

Sie blieb stumm.

"Gut so. Weasley, komm mit."
 

Er stand auf und schritt in die Ecke der Halle, in der Ginny bei ihrer Ankunft von der Decke gefallen war. Ginny folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl. Sie kam sich viel zu beobachtet vor.

Voldemort legte ihr die Hand auf die Schulter. Im nächsten Moment spürte sie, wie sie sich vom Boden löste und langsam in Richtung Decke schwebte.
 

Sie schnappte nach Luft und wedelte erschrocken mit den Armen. Voldemort packte sie fester.

"Halt still, dir passiert nichts.", knurrte er leise, dann erhob er seine Stimme: "Ich werde heute Abend zurück sein. Dann erwarte ich Bericht von euch allen!"

Die Todesser nickte und murmelten unterwürfig.
 

Ginny sah ängstlich zu ihren Füßen. Es fühlte sich so an, als hätte sie eine unsichtbare, schwebende Plattform unter den Füßen. Ginny beruhigte sich etwas.

Doch dann machte sie einen Fehler. Sie blickte zu der steinernen Decke, die immer näher kam.

"Wir krachen gegen die Decke! Warum tun Sie das?", flüsterte sie erschrocken.

Voldemort blickte ausdruckslos zu ihr herunter und grub seine Finger schmerzhaft noch fester in ihre Schulter.

"Tun wir nicht, du wirst sehen", gab er ebenso leise zurück.
 

Jetzt war die Decke nur noch Zentimeter von Voldemorts Kopf entfernt. Ginny kniff die Augen zu. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, doch sie fühlte keinen Unterschied. Sie hörte auch nichts.

Schließlich zischte Voldemort: "Mach die Augen wieder auf, es ist vorbei."

Vorsichtig öffnete sie ihre Augen einen Spalt breit. Und riss sie dann überrascht auf.

Sie standen in einem langen, steinernen Gang, der zu einer Seite anstieg und zur anderen abfiel.
 

"Weißt du noch?", meinte Voldemort. "Du warst erst vorgestern hier. Da bist du durch den Boden gefallen. Jetzt bist du wieder nach oben gekommen."

Ginny blickte ungläubig auf den Boden. Voldemort ließ ihre Schulter los, zog seinen Zauberstab und ließ ihn aufleuchten.

"Komm mit. Wir müssen aus dem Schutzbann raus, wenn wir apparieren wollen."
 

Ginny folgte ihm eine Zeit lang schweigend bergauf. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie unterwegs waren. Genau wie zwei Tage zuvor hatte sie vollkommen ihr Zeitgefühl verloren. Irgendwann kribbelte es um sie herum. Voldemort drehte sich um.

"So, jetzt können wir wieder apparieren. Komm her."

Als Ginny neben ihn trat, packte er sie fest am Arm. Im nächsten Moment wurde es um Ginny herum schwarz und sie fühlte sich, als würde sie durch einen Tunnel gezwängt.
 

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Ginny schnappte nach Luft, um ihre zusammengepressten Lungen wieder damit zu füllen. Die Schwärze wich. Sie sah sich um.

Sie standen am Rand eines Dorfes, das glatt aus einem Bilderbuch stammen könnte. Es sah sehr ruhig und friedlich aus.
 

Voldemort ließ sie los. Sie drehte sich zu ihm um - und erstarrte.

Sie hätte schwören können, dass er in dem Tunnel, aus dem sie kamen, diese riesige Schlange noch nicht um seine Beine gewickelt gehabt hatte. Er lächelte kalt.

"Darf ich dir Nagini vorstellen?"
 

Die Schlange hob den Kopf und blickte Ginny für einen Moment direkt in die Augen, dann schlängelte sie sich auf den Boden hinunter. Voldemort deutete auf ein Haus am Rand des Dorfes.

"Dort haben die Potters gelebt. Willst du es dir ansehen?"

Ginny nickte. Voldemort hob den Zauberstab und tippte erst Ginny und dann sich selbst auf den Kopf. Ginny fühlte, wie etwas kaltes ihren Rücken hinunterlief. Gleichzeitig schien Voldemort vor ihren Augen zu einem menschlichen Camäleon zu werden.

"Desillusionierungszauber", meinte er. "Hier leben hauptsächlich Muggel, denen wird nichts auffallen."

Ginny runzelte die Stirn.

"Nichts auffallen? Und was ist mit Nagini?"

"Die lassen wir so, wie sie ist. Jeder Muggel und auch jeder Zauberer wird Angst bekommen und sich verkrümeln, keiner wird uns beachten. Komm."
 

Zuerst versuchte Ginny, die Umrisse Voldemorts zu verfolgen, doch nach einer Weile gab sie es auf und folgte Nagini, die geradewegs auf das Haus der Potters zuschlängelte. Als sie näher kamen, stockte Ginny der Atem. Auf der einen Seite war im ersten Stock ein großes Stück der Wand und des Daches weggesprengt worden.

"War das alles der fehlgeleitete Todesfluch?", flüsterte sie.

Vor irgendwo vor ihr ertönte die Antwort: "Ja. Es hat ziemlich wehgetan, falls du es wissen willst."

"Das kann ich mir denken", murmelte Ginny.
 

Plötzlich stockte Nagini und zischte etwas. Voldemort zischte zurück, dann murmelte er Ginny zu: "Nagini hat jemanden entdeckt. Eine alte Frau. Bei der Ruine. Wir müssen herausfinden, wer das ist. Mit ein bisschen Glück ist das sogar Bagshot. Du musst mit ihr reden, Ginny. Komm her."

Ginny ging verunsichert auf die Stelle zu, an der sie die Stimme gehört hatte. Plötzlich krachte sie gegen etwas und fiel ins Gras.

"Ginny, was soll das?"

Die Stimme klang scharf. Ginny rappelte sich auf.

"Ich sehe Sie nicht. Ihnen wäre das genauso passiert."

Ein Seufzer.

"Ich hätte nicht gedacht, dass du so wenig Grips hast. Du kannst mich ganz einfach finden, auch ohne sowas. Denk nach."
 

Der Groschen fiel. Ginny konzentrierte sich auf die Stelle, wo sie Voldemorts Stimme gehört hatte. Ihr Blick verschwamm. Und tatsächlich fand sie relativ schnell einige verschwommene Gedanken.

Langsam trat sie auf ihn zu und streckte dabei die Hand aus. Schon nach einem Schritt stießen ihre Finger gegen ein paar lange und dünne Finger.

"Warum nicht gleich?"

Die Stimme war immer noch kalt, doch die Schärfe war daraus verschwunden.

Voldemort packte sie am Handgelenk. Im nächsten Moment spürte sie etwas heißes ihren Nacken hinuntertröpfeln. Sie blickte an sich herab und fand sich sichtbar wieder. Sofort entriss sie Voldemort ihre Hand.
 

Einen Moment sah sie dorthin, wo sie sein Gesicht vermutete, dann drehte sie sich um und ging auf die alte Frau zu, die das zerstörte Haus betrachtete. Als sie neben ihr stand, meinte sie:

"Traurige Geschichte, nicht wahr?"

Die Frau drehte sich zu Ginny um.

"Ja, in der Tat. Ich habe James und Lily gekannt. Sie haben den Tod nicht verdient." Ginny nickte.
 

"Mädchen, sag mal, müsstest du nicht in der Schule sein?"

Ginny blickte an sich herunter. Verdammt, diesmal half ihre Schuluniform ihr überhaupt nicht. Jetzt musste sie sich etwas einfallen lassen.

"Naja... ich durfte für eine Weile zu Verwandten, weil mein Großvater gestorben ist. Er hat in der Gegend gewohnt. Und da habe ich mir gedacht, wenn ich schon mal hier bin, dann schau ich mir das Haus mal an."
 

Die alte Frau nickte. "Es ist ein Jammer. Ich kannte sie, seit sie hier wohnen. Es waren so nette Leute."

"Wohnen Sie schon lange hier?", wollte Ginny wissen.

"Schon mein ganzes Leben. Und ich bin froh darüber. Godric's Hollow ist mittlerweile ein ziemlich berühmtes Dorf, weißt du. Allein schon, weil es von Godric Griffindor gegründet wurde. Und seitdem haben eine Menge berühmte Ereignisse hier stattgefunden. Zum Beispiel vor - "
 

"Sie interessieren sich für magische Geschichte?", unterbrach Ginny den Redeschwall der Frau.

"Interessieren? Ich liebe sie! Ich habe ja sogar ein Buch darüber geschrieben!"

Ginny legte überrascht den Kopf schief.

"Ein Buch? Dann... Sind Sie Bathilda Bagshot?"

Die Hexe nickte.

"Ganz recht. Woher kennst du das Buch? Ist es immer noch ein Schulbuch?"

Ginny nickte.

Dann fragte sie, scheinbar erschrocken:

"Sagen Sie, wissen Sie, wie spät es ist?"

Bathilda warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

"Fast vier Uhr."

Ginny fluchte. "Dann muss ich gehen, sonst komme ich zu spät nach Hause. Ich muss noch für die Schule packen. War nett, Sie getroffen zu haben. Auf Wiedersehen!"

"Wiedersehen, Kind! Alles Gute!"
 

Ginny nickte Bathilda zu, dann lief sie wieder zurück zu Nagini. Sie konzentrierte sich. Als sie Voldemorts Gedanken gefunden hatte, meinte sie lautlos:

'Sie ist es.'

Plötzlich floss ein Gefühl in seine Gedanken mit ein. Es war das erste Mal, dass Ginny das erlebte. Es war fast so etwas wie... Freude.

Kaum hatte sie es entdeckt, verschwand es wieder und seine kalte Stimme hallte in ihrem Kopf wieder:

'Gut gemacht. Schnappen wir sie uns.'

Zwei Unverzeihliche und ein bisschen Gift

Kapitel 9: Zwei Unverzeihliche und ein bisschen Gift
 

Voldemorts Gedanken kamen näher. Ginny blieb verunsichert stehen. Einen Moment später rann ihr wieder dieser kalte Schauer über den Rücken und ihr Körper passte sich der Umgebung an. Sie hörte Voldemort in ihren Gedanken sagen:

'Komm mit, jetzt schnappen wir sie uns.'

Ginny schnappte empört nach Luft und erwiderte laut:

"Was heißt 'wir'? Das machen Sie mal schön selber!"
 

'Scht!', kam es in Gedanken zurück.

' Wenn du nicht leise bist, kann sie dich leicht finden! Jetzt komm!'

Ginny lief argwöhnisch Nagini hinterher, die sich auf die alte Frau zuschlängelte.

Voldemort erwartete doch wohl nicht wirklich von ihr, dass sie dieser Frau etwas antat? Gut, wenn er sie töten wollte, dann wollte er sie töten, dagegen konnte sie nichts machen, doch sie selbst würde der Frau nicht auch noch etwas antun. Wie sollte sie auch ohne Zauberstab? Sie schüttelte den Kopf und lief weiter.
 

Als sie sich der Frau bis auf wenige Meter genähert hatten, zischte es irgendwo vor Ginny:

"Avada Kedavra!"

Ein grüner Strahl entstand aus dem Nichts und streckte die alte Frau nieder. Sie kam mit einem Rumms auf dem Boden auf.

Einen Moment lang war Ginny unbehaglich zu Mute, doch dann musste sie schmunzeln und dachte:

'Sagen Sie mal, wollten SIE nicht so leise wie möglich sein?'

Sie spürte es, auch ohne, dass sie es sah: Voldemort wirbelte zu ihr herum. Dann zischte er, deutlich hörbar:

"Das galt nur, solange sie am Leben war. In dem Moment hatte sie eh keine Chance mehr. Du..."

er hielt inne, dann fuhr er, etwas lauter, fort:

"Wie redest du denn überhaupt mit mir?"
 

Ginnys Schmunzeln wurde breiter. Sie musste es nicht verstecken, da er sie sowieso nicht sah.

"Ich rede mit Ihnen, wie es mir passt. Sie haben mir versprochen, dass ich das darf. Schon vergessen?"

Voldemort stöhnte hörbar auf.

"Du-"

Doch er verstummte wieder. Als seine Gedanken abermals näher kamen, erstarrte Ginny. Sie wusste nicht recht, was er jetzt mit ihr anstellen wollte. Doch er hob nur den Desillusionierungszauber auf. Anschließend machte er sich selbst wieder sichtbar.

"Wo ist Nagini?", wollte er wissen.
 

Ginny sah sich um. Sie entdeckte den Schwanz der Schlange im Mund der Leiche und musste würgen. Sie wusste, dass die Schlange die alte Frau gerade von innen ausweidete, bis nur noch die Hülle übrig war, die Voldemort für seinen Plan benötigte. Ekelhaft. Aber anscheinend war ihm nichts besseres eingefallen.

Mühsam brachte sie hervor: "Nagini tut, was sie tut soll."
 

Dann drehte sie sich weg, aus Angst, sich erbrechen zu müssen. Voldemort zischte Nagini etwas zu, dann packte er Ginny am Arm.

"Wenn dir schlecht ist, sollten wir besser jetzt verschwinden als später."

Ginny nickte. Im nächsten Moment wurde es schwarz um sie herum und sie wollte schon ausatmen, da presste die Schwärze auch unbarmherzig ihren Magen zusammen.
 

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Ginny taumelte und erbrach sich. Das Apparieren war zu viel gewesen. Plötzlich spürte sie, wie lange Finger ihre Haare festhielten, damit sie ihr nicht ins Gesicht hingen. Einen Moment schauderte sie, doch das war schon wieder zu viel für ihren Magen und sie musste sich erneut übergeben. Jetzt war sie dankbar dafür.

Als sie schließlich ihr gesamtes Mittagessen wieder von sich gegeben hatte, richtete sie sich schwankend auf.

Hinter ihr murmelte Voldemort: "Ratzeputz."
 

Sie atmete auf. Ihr Erbrochenes war verschwunden, ebenso der ekelhafte Nachgeschmack in ihrem Mund. Die langen Finger gaben ihre Haare wieder frei. Sie drehte sich zu Voldemort um. Seine roten Augen funkelten im Halbdunkel der Höhle wie bei ihrer ersten Ankunft, doch sie konnte wieder kein Gefühl in ihnen erkennen. Sie schluckte und senkte den Blick.

"Danke", murmelte sie sehr leise.

Voldemort reagierte nicht.
 

Voldemort erstarrte. Sie hatte sich bei ihm bedankt? Das konnte doch nicht wahr sein! Sie hatte sich zwar von ihm gegen Bella helfen lassen, doch er hatte geglaubt, sie hätte sich noch nicht damit abgefunden, hier zu sein. Schon allein, weil sie immer noch die Schuluniform trug. Aber es waren ja auch erst zwei Tage. Dass sie schon so schnell zu etwas wie Dankbarkeit fähig war, überraschte ihn.

Doch er hatte sie schon bald wieder gefangen und meinte mit der üblichen Kälte:

"Komm, gehen wir."
 

Ginny folgte Voldemort verunsichert zurück durch das weitläufige Höhlensystem.

Eigentlich hätte sie es sich ja denken können. Voldemort fühlte nun einmal nichts.

Auch, wenn er vorhin so etwas wie Freude gezeigt hatte, hatte sie doch genau gesehen, wie schnell er sie wieder verborgen hatte. Selbst wenn er nun also etwas gefühlt haben sollte, so würde sie nichts davon erfahren.

Frustriert lief sie weiter.
 

Nach scheinbar einer Ewigkeit verlor sie plötzlich den Boden unter den Füßen.

Im ersten Moment erschrak sie, doch dann spannte sie reflexartig die Beine an, anstatt wild um sich zu schlagen. Und tatsächlich kam sie stehend in der Halle an. Voldemort landete vor ihr, ebenfalls stehend, und drehte sich zu ihr um.

Einen Moment schien er überrascht, weil sie nicht am Boden lag, doch er beherrschte seine Gesichtszüge gleich wieder.

"Gute Arbeit. Du kannst für heute gehen."
 

Ginny lief langsam zu Voldemorts Büro und wollte gerade die Tür öffnen, da wurde ebendiese von der anderen Seite aus aufgerissen.

Bellatrix stand vor ihr.

In diesem Moment schien sie erst entgültig wieder aufzuwachen. Sie zuckte fürchterlich zusammen und drängte sich rasch an der anderen vorbei. Sie atmete erst auf, als sie in Voldemorts Arbeitszimmer stand und die Wand sich wieder verschlossen hatte.
 

Mit einem Mal war ihr auch wieder eingefallen, dass Bellatrix ihr damit gedroht hatte, ihr Essen zu vergiften. Doch kaum hatte sie das Wort 'Essen' auch nur gedacht, begann ihr Magen zu grummeln. Er hatte am Mittag zu wenig abbekommen.

Ginny dachte nach. Sie konnte jetzt nicht zum Essen gehen. Bellatrix hatte genug Zeit gehabt, um etwas in ihr Essen zu schmuggeln.

Schließlich rief sie: "Mara!"
 

Mit einem lauten Krach tauchte die Elfe vor ihr auf, in der einen Hand ein großes Stück rohes Fleisch, in der anderen ein langes Messer.

"Mara entschuldigt sich dafür, so vor Miss zu treten. Mara ist gerade am Kochen. Mara hofft, Miss verzeiht ihr. Was wünscht Miss?"

Ginny musste unwillkürlich lachen. Der Anblick war auch wirklich zu komisch.

"Schon in Ordnung, Mara. Kannst du mir bitte meine Portion auf mein Zimmer bringen und aufpassen, dass Bellatrix sie nicht in die Finger bekommt?"
 

Mara verbeugte sich tief und das Fleisch fiel ihr aus der Hand. Rasch hob sie es wieder auf und blickte Ginny entschuldigend an.

"Es tut Mara Leid, Miss, dass Mara so ein Tollpatsch ist. Natürlich wird Mara sich darum kümmern."

Es krachte erneut und die kleine Elfe war verschwunden. Ginny schüttelte lächelnd den Kopf, dann trat sie vor das große Bücherregal des dunklen Lords.

Er hatte ihr nur die Benutzung seines Brautischs verboten, nicht den der Bücher.

Und hier irgendwo musste es doch ein Buch geben, in dem ein Zauber zum Aufspüren versteckter Gifte zu finden war...
 

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Voldemort sah auf, als seine Bürotür sich öffnete. Ginny kam heraus. Sie trug immer noch ihre Griffindor-Schuluniform, auch wenn diese mittlerweile ziemlich mitgenommen aussah.

Er seufzte lautlos. So schnell würde sie sich also noch nicht fügen. Das würde noch lustig werden.
 

Ginny trat auf den Tisch zu und erschrak. Neben ihrem Platz, wo sonst immer ein sehr schweigsamer Lucius Malfoy gesessen hatte, saß Professor Snape und musterte sie nicht weniger erstaunt.

Ginny schluckte und setzte sich neben ihn, ohne ihn noch einmal anzusehen.

Stattdessen musterte sie erst ihr Müsli und dann Bellatrix. Bellatrix wandte den Blick ab und fing ein Gespräch mit ihrem Mann neben ihr an. Ginny schluckte erneut.

Das Müsli war tödlich, da war sie sich sicher. Ansonsten hätte Bellatrix sicher einen Streit mit ihr angefangen, weil sie es gewagt hatte, sie anzusehen.

Sie musste Gewissheit haben.
 

Sie beachtete Snapes neugierigen Blick nicht weiter und suchte nach Voldemorts Gedanken. Als sie sie verschwommen gefunden hatte, dachte sie:

'Ich glaube, das Müsli ist vergiftet. Bekomme ich bitte meinen Zauberstab, damit ich es überprüfen kann, Sir?'

Voldemort sah Ginny durchdringend an. Schließlich spürte sie, wie ihr der Zauberstab unter dem Tisch in die Hand gedrückt wurde.

Sie schenkte Voldemort einen kurzen, aber dankbaren Blick, dann wirkte sie einen ungesagten Zauber. Die Müslischale leuchtete hell auf.
 

Ginny schnappte nach Luft. Snape neben ihr tat es ihr nach.

Voldemort entriss Ginny den Zauberstab wieder. Ginny verschränkte die Arme vor der Brust und blickte Bellatrix so lange düster an, bis diese sich zu ihr umwandte und spöttisch meinte:

"Ohh... ist die Weasleygöre wütend auf mich? Was habe ich denn diesmal wieder schlimmes getan?"

Ginny ließ sich nicht beeindruckend und erwiderte:

"Sie haben mein Frühstück vergiftet. Warum wollen Sie mich tot sehen? Was habe ich Ihnen denn getan?"

Bellatrix setzte einen überraschten Gesichtsausdruck auf.

"Was du mir getan hast? Du bist hier. Du solltest nicht hier sein. Reicht das nicht?"
 

Ginnys Blick wurde nur noch düsterer. So langsam ging ihr Bellatrix wirklich auf die Nerven.

"Ich soll sehr wohl hier sein. Er will es. Das heißt zwar nicht, dass ich auch hier sein will, aber ich darf es zumindest. Warum haben Sie mein Frühstück vergiftet? Denken Sie, ich bin so blöd und merke das nicht?"

Bellatrix blickte wie die Unschuld persönlich drein.

"Du bist so blöd zu glauben, ich hätte dein Müsli vergiftet. Aber es ist mit Sicherheit kein Tropfen Gift darin, das schwöre ich dir, du kleine Blutsverräterin. Also iss!"
 

Ginny schluckte. Jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen. Sie war schon zu weit gegangen.

"Wenn es nicht vergiftet ist, warum beweisen Sie mir es nicht?"

"Wie denn?"

Ginny schob ihr die Schüssel hin.

"Essen Sie es. Dann glaube ich Ihnen."
 

Snape schnappte nach Luft. Er hatte zwar gewusst, dass die kleine Weasley hier war, doch er hätte sich nie und nimmer träumen lassen, dass sie sich mit Bella anlegte.

Hatte der Lord denn nichts dagegen?

Er warf seinem Gebieter einen fragenden Blick zu. Voldemort sah amüsiert aus.

'Bevor du fragen kannst, mein lieber Severus, die Kleine hat einen Haufen auf dem Kasten. Ich will sehen, wie lange sie es gegen Bella aushält.'
 

Ginny beobachtete Bellatrix' Blick genau. Sie sah die Müslischüssel erst erschrocken, dann verängstigt an.

Unwillkürlich begann Ginny zu lächeln. Sie hatte sie.

Im nächsten Moment stand Bellatrix ohne ein Wort auf und verließ die Tafel.

Ginny grinste und schnappte sich das Müsli der Todesserin. Snapes noch verblüffteren Blick bemerkte sie nicht.
 

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Als Severus Snape wenig später im Büro des Dunklen Lords auf dessen Eintreffen wartete, staunte er nicht schlecht. Nachdem die Wand geschmolzen war, kam nicht sein Gebieter herein, sondern Ginny.

Sie wirkte ziemlich nervös, als sie sagte: "Er hat gesagt, dass ich Sie holen soll, Professor. Kommen Sie bitte mit."

Er folgte ihr verdattert in einen schmalen Flur entlang. Bisher hatte der Lord ihn doch immer in seinem Büro empfangen, also was sollte das?

Er betrat hinter Ginny ein großes, gemütliches Arbeitszimmer. Es wurde von einem großen Schreibtisch beherrscht, hinter dem sein Gebieter Platz genommen hatte. Snape verneigte sich und schloss die Tür hinter sich.
 

Ginny verkrümelte sich in eine Ecke des Zimmers und beobachtete über den Rand eines dicken Buchs die beiden. Sie sprachen über belanglose Dinge.

Doch plötzlich brach das Gespräch ab und sie sahen sich schweigend in die Augen.

Ginnys Herz machte einen Hüpfer. Jetzt wurde es interessant. Sie wollte wissen, was die beiden besprachen.
 

Sah Snape mehr von Voldemorts Gedanken und womöglich auch Gefühlen als sie? Was für Gefühle würde Voldemort zeigen? Freude? Enttäuschung? Vielleicht sogar Stolz, weil Snape die ihm anvertraute Leitung der Schule so gewissenhaft erledigte?

Sie wollte es wissen. Unbedingt.

Sie schlug die Warnung ihres Gewissens in den Wind und konzentrierte sich.
 

Von Snapes Gefühlen und Gedanken bemerkte se fast nichts. Kein Wunder, er war ja ein sehr guter Okklumentor. Bei Voldemort sah es schon anders aus. Ein Haufen Gedankenfetzen flogen um ihn herum. Viele sahen ganz und gar nicht nett aus.

Doch bevor Ginny sie näher in Augenschein nehmen konnte, ertönte eine kalte, scharfe Stimme.

"Was fällt dir ein?! Crucio!"
 

Sie schrie auf. Das Buch fiel ihr aus der Hand und sie brach zusammen.

Voldemorts Cruciatus war noch viel schlimmer als der Bellas vorgestern.

Jeder Zentimeter ihrer Haut schien in Flammen zu stehen, ihre Eingeweide verknoteten sich, ihre Schrie schienen ihr Trommelfell zu sprengen, ein eisiges Messer bohrte sich in ihr Herz...

Doch diesmal wehrte Ginny sich nicht dagegen. Sie wusste, dass es nur noch schlimmer würde. So ließ sie zu, dass der Schmerz in jeden Winkel ihres Körpers vordrang und sie komplett ausfüllte.
 

Plötzlich verschwand der Schmerz, so schnell, wie er gekommen war.

Ginny fühlte sich unendlich erschöpft und ausgelaugt, doch sie kam strauchelnd wieder auf die Beine. Voldemort und Snape sahen sie beide wütend an.

Ginny schluckte, doch sie senkte ihren Blick nicht. Voldemorts Stimme schnitt die Luft, als er zischte:

"Das wird nie mehr vorkommen, ist das klar?"

Ginny nickte stumm.

"Antworte mir!"

Sie schluckte und erwiderte leise, aber deutlich:

"Es wird nicht mehr vorkommen, Sir."
 

Voldemort nickte besänftigt. Plötzlich fragte Snape:

"Sind Sie nicht müde, Miss Weasley? Das war ein sehr starker Cruciatus."

Ginny zuckte die Schultern.

"Schon, aber deswegen muss ich noch lange nicht halbtot da am Boden rumliegen, oder?"
 

Snape trat einen Schritt zurück.

"Das ist natürlich eine sehr gute Einstellung, Miss Weasley. Ich habe Ihnen hier Ihre Schulsachen mitgebracht. Wie gedenken Sie die Angelegenheit mit der Korrektur und Benotung zu handhaben?"

"Ich weiß noch nicht genau. Wenn Sie regelmäßig hier sind, Professor, dann werde ich meine Aufsätze Ihnen mitgeben. Ist das in Ordnung?"

Snape nickte. Ginny lächelte mühsam und schwankte leicht.
 

Voldemort zog die Augenbrauen hoch.

"Du solltest dich setzen. Es nutzt doch nichts, wenn dein Stolz dich halb umbringt."

Ginny zog eine Grimasse.

"Warum müssen Sie Recht haben?"

Voldemort lächelte spöttisch.

"Ich habe immer Recht. Gewöhn dich besser schon jetzt daran. Du wirst noch sehr lange mit mir auskommen müssen."

Ein Duell auf Leben und Tod

Kapitel 10: Ein Duell auf Leben und Tod
 

Neben Ginny legte Snape gerade sein Besteck auf den leeren Teller. Sie aß nur noch schneller, um auch fertig zu werden, bevor Bellatrix auftauchte. Snape erhob sich und trat neben Voldemort, der ihn abwartend ansah.
 

Snape neigte demütig den Kopf.

"Mein Gebieter, wenn Ihr gestattet, werde ich nach Hogwarts zurückkehren und eine Katastrophe verhindern."

Voldemort lächelte spöttisch.

"Aber natürlich, mein werter Severus."

Gleichzeitig hallte es in Snapes Gedanken wider: 'Angst vor den Bälgern?'

Snapes Miene blieb undurchdringlich, als er dachte: 'Nein, vor dem Chaos, das sie anrichten könnten.'

Voldemorts rote Augen blitzten.

'Dann geh.'
 

Snape ging einen Moment lang vor Voldemort auf die Knie, dann nickte er einmal in die Runde, warf Ginny einen rätselhaften Blick zu und durchquerte mit langen Schritten den großen Saal, bevor er an dessen dunklem Ende durch die Decke schwebte.

Ginny stopfte sich rasch den letzten Bissen des Auflaufs in den Mund und blickte Voldemort fragend an.

'Du darfst gehen. Warte im Arbeitszimmer auf mich. Ich muss mit dir reden.'

Ginny nickte langsam und verließ den großen Saal.
 

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Ginny sah von ihrem Buch auf, als die schwarze Tür sich öffnete und Voldemort hereinkam. Er trat mit seinem üblichen, nichtssagenden Gesichtsausdruck vor sie, doch seine roten Augen funkelten gefährlich.

Ginny schluckte.

"Wenn Sie das vorhin in Ihren Gedanken meinen... Es tut mir Leid."

Das Funkeln in seinen Augen schien schwächer zu werden, doch es lag immer noch ein Hauch Bedrohlichkeit darin. Er schwieg.
 

Ginny wurde unbehaglich zu Mute. War das die Ruhe vor dem großen Sturm? Sie saß einfach nur in ihrem Sessel, Voldemort stand vor ihr. Nichts geschah.

Dann begriff sie. Er wollte, dass sie wieder seine Gedanken suchte, um zu erfahren, was sie wissen wollte.

Sie hatte schon angefangen, sich auf ihn zu konzentrieren, da fiel der Groschen endgültig. Er wollte, dass sie so neugierig war, dass sie den gleichen Fehler zweimal machte.
 

Sofort zog sie ihren Geist zurück und blickte Voldemort einfach weiter stumm an. Sie wusste nicht, wie lange er so dastand und sie musterte, doch irgendwann schien das Funkeln in seinen Augen zu verlöschen.

Er zog seinen Zauberstab, beschwor mit einem Schnippen einen zweiten Sessel und ließ sich darin nieder. Dann sprach er erste Mal.
 

Seine Stimme hatte einen Hauch der üblichen Kälte verloren, doch sie klang immer noch streng.

"Ich hätte wissen müssen, dass du es durchschauen würdest."

Ginnys Herz machte einen Satz. Sie hatte richtig gelegen mit ihrer Vermutung!

"Du hast mir bewiesen, dass du nicht leichtfertig mit Versprechungen umgehst. Daher werde ich dir im Gegenzug gegen ein Versprechen... deinen Zauberstab wieder aushändigen."
 

Ginny schnappte verblüfft nach Luft.

"Was - was wollen Sie?!"

Voldemort lächelte spöttisch.

"Sag bloß, das gefällt dir nicht."

"Natürlich gefällt es mir, aber... Ich habe absolut nicht damit gerechnet. Sir, wieso?"

Voldemorts Miene war unergründlich.

"Weil ich mir sicher bin, dass du mit deinem Zauberstab hier keinen Schaden anrichten wirst - bis auf die gute Bella, die hat sowieso schon einen Schaden, also macht es auch nichts, wenn du ihr ein paar Kratzer verpasst."
 

Ginny blickte ihn einen Moment sprachlos an, dann prustete sie los. Sie konnte nicht anders. Es war zwar keine Neuigkeit, dass Bellatrix nicht ganz richtig im Kopf war, doch es ausgerechnet aus Voldemorts Mund zu hören, das war so... unwirklich.

Er wirkte etwas überrumpelt angesichts einer lachenden Ginny.

"War das wirklich so witzig?", wollte er barsch wissen.

Sie nickte und lachte nur noch mehr.
 

Voldemort seufzte innerlich. Oh ja, sie würde ihn eines Tages wahnsinnig machen. Und er hatte sie sich selbst eingebrockt.

Während er darauf wartete, dass Ginny sich wieder beruhigte, dachte er nach.

Warum behielt er sie eigentlich immer noch bei sich? Und warum war er gerade dabei, ihr ihre wertvollste Waffe zurückzugeben?

Er wusste es nicht. Oder doch?
 

Er wollte wissen, wie sie sich gegen Bella schlug. Aber war das alles?

Es faszinierte ihn, wie sie mit ihm umging. Eine willkommene Abwechslung zwischen den ganzen Arschkriechern. Sie benahm sich so, wie es ihr gefiel, auch wenn sie Angst haben musste.

War sie schon immer so rebellisch gewesen oder war sie es erst hier geworden, hier, an einem Ort, wo sie nichts mehr zu verlieren hatte? Er schüttelte den Kopf. Es konnte ihm doch herzlich egal sein.
 

Er zog Ginnys Zauberstab aus dem Umhang und hielt ihn ihr unter die Nase.

"Ich habe diesen Stab mit ein paar Einschränkungen versehen. Du kannst damit keine Unverzeihlichen ausführen, nicht apparieren, dich nicht verwandeln und keine Türen öffnen oder Schutzbanne durchbrechen."

Ginny nickte. Er drückte ihn ihr in die Hand.
 

"Danke, Sir. Was war das für ein Versprechen, das ich Ihnen geben soll?"

"Versprich mir, dass du niemandem mutwillig Schaden zufügst - außer Bella, aber das wird wahrscheinlich in den meisten Fällen sowieso auf Notwehr hinauslaufen - und du hier nichts mutwillig zerstörst. Außerdem musst du versprechen, keinen Fluchtversuch zu unternehmen. Bist du einverstanden?"

"Was, wenn nicht?", wollte Ginny aufmüpfig wissen.

Voldemort schnippte einmal mit seinem Zauberstab und entwaffnete Ginny.

"Das. Also, was sagst du?"
 

Sie schluckte. Eigentlich konnte es nur besser werden. Und so war sie Bellatrix wenigstens nicht mehr ausgeliefert, nicht mehr von Voldemorts Laune abhängig.

"Gut, ich verspreche es", meinte sie leise zum Boden.

Voldemort trat auf sie zu und drückte ihr den Zauberstab wieder in die Hand.

"Viel Spaß mit Bella", zischte er noch, bevor er nach draußen in den Gang verschwand.

Ginny saß etwas bedröppelt in ihrem Sessel und blickte ungläubig auf das Stück Holz in ihrer Hand.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Als Ginny ein paar Stunden später in den großen Saal trat, um zu Abend zu essen, erstarrte sie. Bellatrix stand zwischen ihr und dem Tisch, den Zauberstab gezogen und die Augen wild funkelnd.
 

"Da bist du ja, Weasleygöre. Ich glaube, ich bin dir noch etwas schuldig für heute morgen."

Nach dem ersten Schock dankte Ginny dem Himmel, dass sie ihren Zauberstab wieder hatte. Dafür würde sie Voldemort auch eine Weile nicht mehr widersprechen, das schwor sie sich.

Apropos Voldemort, wo war er überhaupt? In seinen Räumen war er nicht, und am Tisch konnte Ginny ihn ebenso wenig entdecken. Anscheinend war er schlicht und einfach nicht da.
 

Sie schluckte und griff vorsichtig in den Umhang, ohne dass Bellatrix es bemerkte.

"Was ist, Kleine, willst du nicht zum Meister rennen und dich von ihm beschützen lassen, wie sonst?", stichelte Bellatrix.

Ginny schluckte, doch sie senkte ihren Blick nicht.

"Das habe ich nicht nötig", flüsterte sie fast.

Doch Bellatrix hörte sie.

"Ach was?!", kreischte sie, "Das wollen wir doch mal sehen! Crucio!!"
 

Ginny drehte sich zur Seite weg. Dabei fuhr ihr ein stechender Schmerz durch ihren Rücken. Anscheinend hatte sie sich noch nicht ganz von Voldemorts Cruciatus am Morgen erholt. Sie biss die Zähne zusammen, doch kein Laut kam über ihre Lippen.

Als Bellatrix' nächste Flüche auf sie zuschossen, zog sie in einer blitzschnellen Bewegung ihren Zauberstab und schrie:

"Protego Maxima!"
 

Ein leuchtender Schild bildete sich um sie herum und warf Bellatrix' Flüche zurück. Sie schrie erschrocken auf, doch sie schaffte es nicht mehr, auszuweichen. Einer ihrer eigenen Flüche traf sie mitten in den Magen. Sie wurde zurückgeschleudert und krachte auf den Tisch, an dem bereits gedeckt worden war.

Zu allem Unglück gab es an diesem Abend auch noch Suppe und sie landete mitten in den dampfenden Suppentellern. Die Suppe spritzte nach allen Seiten und Bellatrix kreischte schmerzvoll auf.
 

Ginny schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Das hatte sie nicht gewollt. Sie musste sich überall verbrüht haben!

Rasch lief sie zu dem langen Tisch hinüber, die Blicke der Todesser ignorierend, die in die Halle gerannt gekommen waren, und zielte auf Bellatrix.

"Aguamenti glacies!"

Ein Strahl eiskalten Wassers durchnässte die schwarzen Todesserroben und floss über Bellatrix' Körper. Sie schrie erneut.

"Schluss damit, Blutsverrätergöre! Auf deine Hilfe kann ich verzichten!!"
 

Ihre Stimme überschlug sich nur so vor Wut. Mit einem Satz war sie wieder auf den Beinen und bevor Ginny wusste, wie ihr geschah, wurde sie quer durch den Saal geschleudert und krachte gegen die Wand. Sie brüllte vor Schmerz, doch trotzdem rappelte sie sich mühsam wieder auf.

Schwankend, mit einer Hand an die Wand gelehnt und zusammengebissenen Zähnen, erhob sie erneut den Zauberstab, um sich zu verteidigen. Doch sie war nicht mehr schnell genug.
 

Bellatrix' nächster Fluch traf sie direkt in die Magengrube und ließ sie mit einem erstickten Schrei zu Boden gehen. Gerade noch rechtzeitig.

Einen Moment später krachte der nächste Fluch auf die Wand und sprengte ein Loch hinein. Steintrümmer polterten zu Boden und begruben Ginny halb unter sich.

Ein Brocken traf sie am Kopf. Ihr wurde schwindelig und sie brüllte abermals.
 

Warum nur standen die ganzen anderen Todesser so untätig herum? Warum half ihr denn niemand?

Ihr Sichtfeld verschwamm. Sie nahm noch die Umrisse von Bellatrix wahr, die vor sie trat und ihr den Zauberstab abnahm. Ginny schaffte es nicht einmal mehr, sich dagegen zu wehren.

Die schwarze Gestalt vor ihr kreischte triumphierend: "Avada Kedavra!"
 

Eine andere schwarzgekleidete Gestalt krachte mit Schwung gegen die erste und die beiden gingen zu Boden. Ein grüner Lichtblitz schoss knapp über Ginnys Kopf vorbei und löste irgendwo hinter ihr eine weitere Explosion aus.

Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Voldemort kam gerade durch die Decke geschwebt, da traf ihn fast der Schlag.

Bella und Ginny duellierten sich.
 

Gerade flog Ginny quer durch die Halle und krachte mit einem markerschütternden Schrei gegen die Wand. Doch sie blieb nicht am Boden liegen, sondern rappelte sie mühsam wieder auf.

Bella schoss zwei Flüche hintereinander ab. Ginny ging in die Knie und wurde von Steintrümmern überschüttet.

Voldemort stieß einen stummen Schrei aus. Wie konnte Bella nur?! Er hatte es ihr doch ausdrücklich verboten!
 

Er löste den Schwebezauber und fiel zu Boden. Der war ihm immer schon zu langsam gewesen. Bella nahm Ginny gerade ihren Zauberstab ab und zielte mit einem irren Funkeln in den Augen auf Ginny. Voldemort wusste, was jetzt kam.

Aber das durfte er nicht zulassen! Bella konnte doch nicht einfach seine Gäste ermorden!
 

Er sprang auf und stürmte auf Bella zu. Sie kreischte gerade den Todesfluch, da prallte er gegen sie und warf sie um. Der Fluch verfehlte sein Ziel um ein Haar.

Voldemort sprang wieder auf. Ginny gab ein leises Stöhnen von sich, dann verdrehte sie ihre Augen und rührte sich nicht mehr.

Voldemort erschrak. Bella hatte doch nicht etwa doch...?
 

Rasch kniete er sich neben Ginny und tastete nach ihrer Halsschlagader. Der Puls war noch vorhanden. Schwach, aber vorhanden.

Voldemort atmete erleichtert die Luft aus, die er unbewusst angehalten hatte. Sie lebte noch.

Er richtete sich auf und schwang seinen Zauberstab. Die Steinbrocken bildeten einen ordentlichen Haufen neben der bewusstlosen Ginny, dann erhob sich der Körper der kleinen Griffindor in die Luft.
 

Voldemort wirbelte zu Bella herum, die sich gerade wieder aufrappelte. Erst jetzt bemerkte er, dass sie triefte vor Wasser. Aber nicht nur vor Wasser. Sie roch auch irgendwie... nach Essen. Er rümpfte die Nase.

"Bella, mit dir befasse ich mich später. Das wird noch Konsequenzen haben, verlass dich drauf!"

Seine Stimme war so scharf, dass man damit Granit hätte schneiden können.

Befriedigt sah er, wie Bella den Kopf senkte und zitternd auf die Knie ging. Sie sagte nicht einmal mehr etwas. Am liebsten hätte er sie hier und jetzt bestraft, doch Ginnys Gesundheit ging vor. Sie war schließlich sein Gast!
 

Er schritt rasch durch sein Büro, die Wand, den Korridor dahinter und in Ginnys Zimmer. Sie schwebte hinter ihm her. Vorsichtig ließ er sie auf ihr Bett sinken und untersuchte sie oberflächlich.

Einige Prellungen, ansonsten nichts Ernstes. Aber warum war sie dann ohnmächtig? Er überlegte.

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er untersuchte ihren Kopf. Und in der Tat hatte sich bereits eine große Beule an der Stelle gebildet, an der der Stein sie getroffen hatte.
 

Voldemort sprach den stärksten Heilzauber über Ginny, den er kannte, und schauderte.

Weiße Magie... wie er sie hasste! Aber ab und an konnte sie schon nützlich sein, das musste er sich eingestehen.

Noch einmal fühlte er Ginnys Puls. Und tatsächlich hatte dieser sich wieder stabilisiert. Voldemort seufzte erleichtert auf.
 

Einen Moment sah er fast zufrieden aus, dann verzerrte Wut sein Gesicht wieder zu einer Grimasse. Bella. Sie war schuld. Er erhob sich ruckartig vom Bettrand. Gerne wäre er hier geblieben und hätte darauf gewartet, dass Ginny aufwachte, doch es gab da etwas, das er erledigen musste.

Etwas, das keinen Aufschub duldete.
 

Ein Lächeln schlich sich auf Voldemorts Züge, das einfach nur böse war.

Bella, ich komme, dachte er.

Du wirst dir gleich wünschen, nie geboren worden zu sein.

Tom ist wieder da

Kapitel 11: Tom ist wieder da
 

Die Höhle war in tiefes Dunkel gehüllt. Das einzige, was Licht spendete, waren zwei rote, vor Wut und Befriedigung rot glühende Augen.

Die Wände warfen vielfach die schrillen Schreie wider, die die Befriedigung in den roten Augen hervorriefen.
 

Voldemort lächelte kalt. Oh ja, hier war er in seinem Element.

Bella krümmte sich vor ihm auf dem harten Boden vor Schmerzen. Jedes Mal, wenn sie einen neuen, schrillen Schrei ausstieß, kribbelte es in Voldemorts Bauch.

Ja, das hatte er eindeutig schon zu lange nicht mehr gemacht.
 

Bella zu bestrafen war doch etwas Wunderbares. Bei all den anderen musste er sich zurückhalten, damit sie keine psychischen Schäden davontrugen.

Bei Bella war das anders. Jeder wusste, dass sie sowieso nicht mehr zu retten war. Ihre Seele war schon längst zerrüttet. Sie war irre. Und genau das machte es für Voldemort so reizvoll, sie zu bestrafen. Er konnte so weit gehen, wie er wollte. Er musste sich nicht kontrollieren.
 

Und dieses einzigartige Gefühl von Macht bekam er mittlerweile viel zu selten. Um die Gefangenen kümmerten sie seine Untergebenen. Eine Schlacht zu schlagen war riskant. Wo konnte er sich austoben? Nur hier, bei Bella.
 

Er erhielt den Cruciatus aufrecht, ließ sie in die Luft schweben und schwang den Zauberstab mit einem Schnippen seines Handgelenks. Bella folgte jeder seiner Bewegungen und krachte gegen die Höhlenwände. Wieder schrie sie markerschütternd.

Ein kaltes Glücksgefühl machte sich in Voldemort breit.

Das war es, was er brauchte.

Das war es, was ein Leben als Lord Voldemort so reizvoll machte.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Als Lord Voldemort eine Weile später wieder in Ginnys Zimmer kam, blitzten seine blutroten Augen immer noch, doch beim Anblick des Mädchens, das unwissend und unschuldig auf dem Bett lag, erloschen sie wieder und ein beinahe wehmütiger Ausdruck machte sich in ihnen breit.
 

Er beschwor einen seiner Ohrensessel neben dem Bett herauf und ließ sich darin nieder. Ginny atmete ruhig und tief. Sie schlief.

Voldemort sah sie einen Augenblick lang nur an, dann deckte er sie sorgfältig zu und setzte sich wieder. Er wollte dabei sein, wenn sie aufwachte.

Lange starrte er auf ihr blasses Gesicht und merkte nicht, wie ihm dabei die Augen zufielen.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

"Nein!"

Voldemort schreckte hoch. Verwirrt sah er sich um. Er war in einem seiner Sessel eingenickt, direkt vor dem Bett Ginnys.

Ginny wälzte sich unruhig im Schlaf hin und her und murmelte unverständliches Zeug.

"Bitte... nicht... Harry! Nein!"

Voldemort schluckte. Was zur Hölle sollte er jetzt anstellen?
 

Ginny rannte. Doch Harry wollte einfach nicht verschwinden. Er schwebte vor ihr her und zischte bösartig:

"Tom ist böse. Dein Tagebuch ist böse. Es wird dich umbringen. Es wird dich nur ausnutzen. Wenn du auch nur noch ein Wort in dieses Buch schreibst, hasse ich dich!"

Tränen quollen aus Ginnys Augen.

"Nein! Ich will nicht, dass du mich hasst!"
 

"Gut, dann verbrenn dein Tagebuch."

Harry schwebte um sie herum. Alles außer ihm schien dunkel zu werden. Plötzlich hielt er das Tagebuch in der Hand. Er hielt ein brennendes Streichholz an eine Ecke des Büchleins. Es begann zu kokeln.

"Bitte... nicht... Harry! Nein!"

Die Flammen leckten an dem Einband empor.
 

"NEIN! Tom ist nicht böse! Das darf nicht sein!! Tom ist mein Freund!!"

Immer noch liefen Tränen unaufhörlich über ihre Wangen. Harry lachte kalt, als das Buch endgültig in Flammen aufging. Tinte tropfte heraus. Tinte und Blut.

"TOOOM!!!!", brüllte Ginny verzweifelt und sank in sich zusammen.
 

"TOOOM!!!!", schrie Ginny im Schlaf.

Voldemort zuckte furchtbar zusammen. War etwa er gemeint? War er ein Teil ihres Albtraums?

Sein Herz klopfte viel zu schnell. So lange hatte ihn niemand mehr Tom genannt...

"Nein" keuchte Ginny.

Tränen quollen unter ihren geschlossenen Augenlidern hervor.

"Tom ... kann nicht böse sein... Harry, NEIN!! Mach das Feuer aus! LASS MEIN TAGEBUCH!!!"
 

Voldemort lief es heiß und kalt zugleich den Rücken hinunter. Ginny hatte doch gesagt, sie hätte die Kammer des Schreckens geöffnet damals?

Dann musste sie sich auch seinem Tagebuch anvertraut haben... und anscheinend hatte sie sich sogar mit dem Buch angefreundet...

Er schluckte schwer. Sie war mit seinem früheren Ich befreundet gewesen... und nun träumte sie davon, wie Harry das Buch vernichtete...
 

"HARRY!!! Das ..."

Sie keuchte.

"hättest du nicht tun dürfen! Tom... war mein Freund!"

Wieder weinte sie im Schlaf und schlug um sich.

"NEIN! Tom, komm... komm zurück zu mir... bitte... BITTE!!"
 

Voldemort saß geschockt daneben.

Hatte er ihr damals wirklich so viel bedeutet?

Sein Herz pochte schmerzhaft gegen seine Rippen. Er würde ihr so gerne helfen... ihr zeigen, dass es Tom immer noch gab...

Doch gab es Tom immer noch? Oder war er wirklich nach seiner Schulzeit gestorben, wie beabsichtigt?
 

Er schluckte. Allein schon die Tatsache, dass er so durcheinander war wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr, war doch der eindeutige Beweis, dass es Tom immer noch gab.

Seine schwache Hälfte.

Seine fühlende Hälfte.

Die Hälfte, die er schon immer versucht hatte, zu verdrängen, und daher in dieses Tagebuch verbannt hatte.
 

"Harry! Du hast Tom... UMGEBRACHT!!! Wie... wie kannst du nur?! Lass mich!"

Voldemort zuckte zusammen.

Er konnte sie jetzt doch nicht alleine lassen! Sie trauerte in ihrem Traum um IHN! War das zu fassen?!
 

Doch wie sollte er ihr helfen? Sie aufwecken? Nein. Aber...

Voldemort nahm all seinen Mut zusammen, was angesichts seines immer noch viel zu schnell schlagenden Herzens nicht gerade viel war, und ergriff Ginnys Hand.

Einen Moment wollte sie ihn wegschlagen, doch Voldemort meinte leise und so sanft, wie er es konnte:

"Ich bins, Tom. Ich bin bei dir. Harry kann mir nichts anhaben."
 

Ginny erstarrte. Dann begann sie sich zu entspannen und erwiderte im Schlaf den Druck seiner Hand.

"Tom...", hauchte sie noch, dann hatte sich ihre Atmung wieder beruhigt und sie schlief ruhig weiter.
 

Voldemort atmete tief durch.

Was hatte er da gerade getan? Er hatte zugegeben, dass Tom immer noch nicht tot war. Dass er selbst immer noch nicht über Gefühle erhaben war.

Dabei hatte er sich damals nichts sehnlicher gewünscht! Und jetzt?

Sein Blick blieb an Ginnys immer noch tränennassem Gesicht hängen, das jetzt einen überaus zufriedenen Ausdruck angenommen hatte. Sie hatte seine Hand fest umklammert.
 

War es wirklich so reizvoll, alle Gefühle loszuwerden?

Im Moment fühlte er doch eindeutig etwas... und es war angenehm! Nicht diese Gleichgültigkeit und Kälte, die ihn Jahrzehnte beherrscht hatte.
 

Er fühlte... eine Art Stolz auf sich. Er hatte es geschafft, Ginny zu beruhigen. Der Stolz, etwas geschafft zu haben.

Ein gutes Gefühl.
 

Und da war noch etwas... Freude. Ja, Freude. Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen. Er freute sich, weil Ginny ihn gern gehabt hatte.

Dieses Gefühl war sogar noch besser. Warm.
 

Voldemort schluckte.

Er fühlte wieder! Das durfte doch nicht wahr sein! Doch es war nun einmal so. Und es gefiel ihm auch noch!

Er schüttelte fassungslos den Kopf.

Tom war tatsächlich wieder da.

Endlich angekommen

Kapitel 12: Endlich angekommen
 

Ginny gähnte und streckte sich. Plötzlich spürte sie, dass jemand ihre Hand hielt.

Und da fiel es ihr wieder ein. Der Albtraum letzte Nacht. Harry, der Tom umgebracht hatte. Sie hatte nichts dagegen tun können. Es war schrecklich gewesen.

Sie schluckte schwer. Doch dann hatte der Traum eine Wendung genommen.

Sie hatte ebendiese Hand gespürt und eine Stimme gehört, die sie tröstete. Toms Stimme.
 

Langsam öffnete Ginny die Augen, immer noch die Hand fest umklammernd.

Und erschrak.

Die Hand, die sie hielt, war keine andere als Voldemorts höchstpersönlich!

Er saß neben ihren Bett in einem Sessel und schlief. Als sie sich aufsetzte und seine Hand losließ, schrak er hoch.

Sein Blick wanderte ziellos umher, bis er ihr Gesicht fand. Er schien nicht weniger erschrocken als sie.
 

Ginny schluckte und fragte sehr leise: "Tom?"

Voldemort blickte sie aus unergründlichen roten Augen schweigend an. Nach einer Ewigkeit nickte er.

Dann erhob er sich und verließ das Zimmer. Ginny blieb verwirrt zurück.
 

Eine Weile starrte sie einfach nur auf die Tür, die er hinter sich geschlossen hatte, dann ging sie ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Während das heiße Wasser ihren Körper herunterlief, ging ihr einiges durch den Kopf.

Voldemort war Tom.

Das hatte sie zwar schon vor Jahren von Harry erfahren, doch hatte es nie wirklich glauben können. Und jetzt hatte sie es von ihm persönlich erfahren.
 

Das zögerliche Nicken zeigte ihr viel mehr, als Worte es getan hätten. Er wollte nicht Tom sein. Warum auch immer, es gefiel ihm nicht, Tom Riddle zu sein oder zumindest gewesen zu sein. Ansonsten hätte er anders reagiert.

Er hatte lang gebraucht, bis er sich zu einem Nicken durchringen konnte. Das hieß, er wollte ihr nicht zeigen, dass er Tom war, hatte es aber letzten Endes doch getan.
 

Warum? Er musste gewusst haben, dass Ginny es aus ihrem Traum schließen konnte.

Doch warum hatte er sie überhaupt getröstet?

Warum hatte er ihre Hand genommen?

Es war ihr ein Rätsel. Doch dann dachte sie an ihren letzten Albtraum dieser Sorte. Es war im Sommer im Fuchsbau gewesen. Hermine hatte sie getröstet. Und sie hatte Ginny auch gesagt, dass sie im Schlaf geschrien hatte.
 

Vielleicht hatte sie diesmal wieder geschrien? Vielleicht hatte Voldemort ihre Schreie mitbekommen und wollte sehen, was los war?

Ginny schauderte. Was könnte sie alles geschrien haben? Was könnte er alles über ihren Traum wissen?

Sie versuchte, sich zu erinnern, doch je mehr sie sich anstrengte, desto schneller entglitten ihr die Erinnerungen. Sie schüttelte frustriert den Kopf und stieg aus der Dusche.
 

Ginny trocknete sich mit einem Schnipser ihres Zauberstabs. Wie sie das vermisst hatte! Sie wickelte sich in ein Handtuch und ging dann zu ihrem Kleiderschrank. Rasch fischte sie sich frische Unterwäsche heraus und wollte schon nach ihrem Griffindor-Hemd greifen, da zögerte sie.
 

Wollte sie die schmutzige Schuluniform tatsächlich wieder anziehen?

Einerseits war sie seit dem Duell gestern Abend komplett ruiniert. Doch das konnte sie dank ihres wiedererlangten Zauberstabs leicht richten.

Andererseits hatte sie die Uniform bisher hauptsächlich getragen, um Voldemort zu ärgern. Um ihm zu zeigen, dass sie immer noch tat, was sie wollte.

Doch sie war schon lange keine einfache Gefangene mehr.
 

Sie besaß einen Zauberstab, ein eigenes Zimmer, und Voldemort hatte ihr versprochen, dass sie frei reden durfte. Und jetzt hatte er sie sogar getröstet, als sie Trost gebraucht hatte.

Sie schluckte.

Als sie sich ausmalte, wie ihr Leben genauso aussehen könnte, mit zerrissenen Klamotten in irgendein dunkles Kerkerloch gesperrt und täglich Folter, Kälte, Hunger und Durst ausgesetzt, stieg Dankbarkeit in ihr auf.

Voldemort behandelte sie um ein Vielfaches besser, als es nötig war. Er hätte ihre Informationen auch anders bekommen können.
 

Sie seufzte. Und was bekam er dafür zurück? Nur Trotz und rebellisches Verhalten.

Es war an der Zeit, dass sie ihr neues Leben akzeptierte. Zurück konnte sie sowieso nicht mehr. Also warum sich noch dagegen wehren?

Ihr ging es schließlich nicht schlecht, mal von Bellatrix abgesehen. Doch damit würde sie auch noch fertig werden.

Entschlossen fischte sie sich eine grüne Bluse, einen schwarzen Rock und einen schwarzen Kapuzenumhang aus dem Schrank und zog sich an.
 

Dann holte sie tief Luft und machte sich auf den Weg zum Frühstück.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Voldemort teilte Lucius gerade die Einzelheiten für ihre heutige Operation mit, da ging die Tür zu seinem Büro auf und Ginny kam heraus. Einige Todesser stießen erstaunte Rufe aus, als sie Ginny erblickten.

Voldemort sah irritiert auf - und zuckte zusammen.
 

Wie sah Ginny denn aus? Sie hatte anscheinend endlich Gebrauch von ihren neuen Kleidern gemacht. Und die standen ihr außerordentlich gut.

Voldemort musste unwillkürlich schlucken. Was dachte sie nach dieser Aktion vorhin bloß über ihn? Andererseits - seit wann interessierte es ihn, was andere über ihn dachten?
 

Noch bevor er sich darüber im Klaren war, spürte er, wie jemand zaghaft nach seinem Geist tastete. Ginny. Ihre Stimme hallte leise, aber deutlich in seinen Gedanken wider.

'Danke, Tom.'

Voldemort riss die Augen auf. Ginny blieb erschrocken über seine Reaktion auf ihrem Weg zum Tisch stehen. Doch er hatte sich gleich wieder unter Kontrolle und nickte ihr unmerklich zu.
 

Ginny ließ sich vorsichtig auf ihrem Platz nieder und begann ohne ein weiteres Wort zu essen. Bellatrix, die ihr gegenüber saß und jeden so wütend ansah, als ob sie ihn mit ihren Blicken durchbohren wollte, beachtete sie nicht einmal.
 

Voldemort beruhigte sich nur langsam. Warum regte es ihn derart auf, wenn sie ihn Tom nannte? Sie hatte ihn schließlich als Tom kennengelernt, oder?

Er hatte sich nur abgewöhnt, Tom genannt zu werden. Er hatte es sich abgewöhnt, zu fühlen. Er hatte den Namen Tom mit seinen Gefühlen gleichgesetzt und beiden abgeschworen.

Ginny konnte ja nicht wissen, dass Tom viel mehr war als ein Name. Hinter dem Wort Tom verbarg sich seine ganze, wenn auch nicht sehr große, aber eindeutig vorhandene Gefühlswelt. Kein Wunder, dass er so überreagierte.
 

Ginny konnte nicht wissen, was sie angestellt hatte. Voldemort nahm sich vor, sich diese Überreaktion abzugewöhnen, um sie nicht zu erschrecken. Das wollte er nicht.

Moment mal - Seit wann wollte er sie nicht mehr erschrecken?

Voldemort schüttelte den Kopf. Ginny hatte wirklich keine Ahnung, was sie angestellt hatte.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Ginny betrat das große Arbeitszimmer und sah sich um. Snape hatte ihre Schulbücher auf den Schreibtisch gelegt. Sie lief rasch hinüber und fand neben dem Bücherstapel und ihrer alles fassenden Schultasche zwei Pergamentbögen.
 

Das eine trug die krakelige Handschrift von Professor Snape sowie die ordentliche, gerade Schrift von Professor McGonagall.

Auf dem anderen Pergament schimmerte ihr rote Tinte in einer engen, kleinen Schrift entgegen. Sie wusste sofort, wer das geschrieben hatte, schnappte sich das Pergament und las es durch.
 

[style type="italic"]Ginny,

Ich bin heute den ganzen Tag nicht hier. Du darfst an meinem Schreibtisch arbeiten. Lass aber die Finger von meinem Brautisch! Wenn du ihn für Zaubertränke benutzen musst, dann tu das nicht heute und frag mich vorher.

Und leg dich nicht mit Bella an, bis ich wieder da bin! Du kannst von den anderen keine Hilfe erwarten.

Lord Voldemort[/style]
 

Ein Lächeln schlich sich auf Ginnys Gesicht. Voldemort erlaubte ihr tatsächlich, an seinem Schreibtisch zu arbeiten! Sie ließ sich in seinen Sessel fallen und griff nach dem zweiten Pergament.

Oben war von Professor McGonagall anscheinend eine Liste der Themen aufgezählt, die für ihren Jahrgang Pflicht waren. Darunter hatte Snape noch etwas gekritzelt.
 

[style type="italic"]Miss Weasley!

Ich statte der Festung und dem dunklen Lord einmal pro Woche einen Besuch ab. Geben Sie mir dann ihre zu benotenden Arbeiten mit, ich werde schon dafür sorgen, dass Sie ihre Noten bekommen. Was Zaubertränke angeht: In Ihrer Tasche finden Sie eine Schachtel mit verschließbaren Phiolen. Geben Sie mir von jedem Ihrer fertigen Tränke eine Probe mit und schreiben Sie darauf Ihre Arbeitszeit für besagten Trank.

Professor Snape[/style]
 

Ginnys Lächeln wurde breiter, als sie sich den Lehrplan gründlich durchlas. Eins der Themen in Verteidigung gegen die dunklen Künste war Werwölfe. Sie beschloss, gleich damit anzufangen.

Sie stopfte alle Bücher die sie nicht brauchte in ihre Tasche, fischte Pergament, Feder und ein Tintenfass heraus und schlug das Buch auf.
 

Das hieß, sie wollte das Buch aufschlagen. Es ging nicht.

Auf dem Schreibtisch war zu wenig Platz. Überall lagen Pergamente, Bücher, Schreibfedern, Amulette und einige andere Dinge herum, die Ginny nicht kannte.

Sie seufzte und beschloss, erst einmal ein wenig aufzuräumen.
 

Eine halbe Stunde später begann sie ihren Aufsatz über Werwölfe. Sie war schon bald so vertieft in ihrer Arbeit, dass sie nicht mehr bemerkte, wie die Zeit verging.
 

Irgendwann jedoch krachte es laut und Mia stand vor ihr. Ginny erschrak und rutschte mit der Feder ab. Rasch murmelte sie einen Spruch, der die verwischte Tinte verschwinden ließ und fragte dann:

"Was ist, Mia?"

Mia erwiderte mit großen Augen: "Miss war heute nicht beim Mittagessen. Mia denkt, dass Miss sicher Hunger hat. Kann Mia Miss etwas zu essen bringen?"

Ginny sah einen Moment etwas verwirrt aus, dann knurrte ihr Magen laut und deutlich. Sie grinste.

"Ja, bitte. Nett, dass du an mich gedacht hast, Mia."
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Als Voldemort am späten Nachmittag zurückkehrte, war er nicht so guter Laune wie sonst nach solchen Operationen. Er hatte ein paar neue Todesser angeworben und einige, die ihm ihren Gehorsam verweigert hatten, bis in den Tod gefoltert.

Doch diesmal hatte er nicht nur das kalte Glück beim Foltern verspürt, sondern auch ein leichtes Unbehagen.
 

Er hatte zum ersten Mal realisiert, dass diese Personen durch ihn unvorstellbaren Schmerz zugefügt bekamen, nur dafür, weil sie für eine andere Überzeugung kämpften als er.

Aber war es wirklich so berechtigt, Leute mit einer anderen Meinung so zu quälen? Das erste Mal seit Jahrzehnten zweifelte er.

Hatte Dumbledore die Todesser, die weiter treu zu ihrem Meister gestanden hatten, auch so gefoltert? Hatte er sie auch so kaltblütig ermordet?
 

Nein. Severus konnte ein Lied davon singen.

Dumbledore verzieh, sobald sie Reue zeigten. Und wenn nicht, dann sorgte er nur dafür, dass sie anderen nicht mehr gefährlich werden konnten.

Dumbledore freute sich nicht am Schmerz anderer. Er empfand es nicht als Vergnügen, zu töten.
 

Voldemort schluckte. Vielleicht waren seine Methoden in der Tat sadistisch. Doch wie sollte er sich Respekt verschaffen, wenn nicht so?

Er schüttelte den Kopf. Wieso machte er sich überhaupt Gedanken? Bis jetzt hatten seine Methoden doch einwandfrei funktioniert.
 

Naja... fast. Ein einziges Mal hatte er eine Niederlage einstecken müssen. Potter. Aber den würde er auch noch in die Finger bekommen.

Er würde diese Zweifel erst zulassen, wenn Potter tot war. Keine Sekunde früher. Ansonsten lief er Gefahr -

"Was zur Hölle...?!"
 

Voldemort blieb entsetzt vor seinem Schreibtisch stehen, an dem Ginny gerade ein paar letzte Worte auf ihr Pergament geschrieben hatte und jetzt erschrocken aufsah.

"Was ist, Sir?", fragte sie leise.

Voldemort ließ gehetzt seinen Blick über den Schreibtisch wandern. Gut, die meisten seiner Verträge und Abkommen schienen noch da zu sein. Auch die Amulette waren vollständig.
 

Dann jedoch fiel sein Blick auf den Papierkorb. Ein Blatt Pergament schien ihm daraus höhnisch zuzuwinken. Er fischte es heraus und warf Ginny einen vernichtenden Blick zu.

"Das war wichtig."

Seine Stimme war so leise uns scharf, wie nur er es beherrschte. Ginny wurde blass, ließ alles stehen und liegen und rannte aus dem Zimmer.
 

Voldemort seufzte und ließ sich in seinem Sessel nieder. Er legte das Pergament zu den anderen und ließ seinen Blick schweifen. Ginny hatte es sicher nicht böse gemeint. Der Schreibtisch war so ordentlich wie schon lange nicht mehr.
 

Sein Blick blieb an dem Aufsatz hängen, an den sie bis gerade eben noch geschrieben hatte. Stirnrunzelnd las er die Überschrift:

"Werwölfe: Herkunft, Erkennungsmerkmale und Gegenmaßnahmen im Kampf"

Seine Neugierde war geweckt. Er begann zu lesen.
 

Bald schon entdeckte er einen Fehler und runzelte wieder die Stirn. Er schwang seinen Zauberstab.

Eine seiner Federn erwachte zum Leben, strich den Fehler an und schrieb, von seinem Zauberstab geführt, einen Verbesserungsvorschlag darüber.

Voldemort las weiter.

Veränderungen

Kapitel 13: Veränderungen
 

Ginny lief unruhig in ihrem Zimmer auf und ab. Verdammt, sie wollte Voldemort doch nur einen Gefallen tun! Was dachte er jetzt nur von ihr?
 

Sie biss sich auf die Lippe. Wenn er nicht Lord Voldemort gewesen wäre, hätte sie sich schon längst entschuldigt.

Aber ihr saß sein Cruciatus immer noch in den Knochen. Es war nicht gut, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. Und sie hatte es schon wieder getan.
 

Ihr schlechtes Gewissen plagte sie, doch sie hatte Angst davor, was geschehen würde, sobald sie ihm wieder unter die Augen trat.

Frustriert ließ Ginny sich auf ihr Bett fallen und starrte die Decke an, ohne sie wirklich zu sehen.
 

Warum hatte sie eigentlich Angst vor ihm? Er war schließlich Tom!

Sie presste die Lippen aufeinander.

Aber er wollte nicht Tom sein. Er wollte sich weiter hinter seiner Maske als gefürchteter dunkler Lord verstecken. Was war so toll daran, gefühllos und grausam zu sein?

Ginny verstand es nicht.
 

Plötzlich krachte es und Mia stand mit einem dampfenden Teller im Zimmer. Ginny zuckte nicht einmal mehr zusammen.

"Miss war auch nicht beim Abendessen. Mia dachte, Miss hat bestimmt wieder Hunger."

Ginny lächelte der Elfe gequält zu.

"Das ist nett von dir, Mia, aber ich habe keinen Appetit."

Mia warf Ginny einen besorgten Blick zu und verschwand mit einem weiteren Krachen.
 

Ginny seufzte. Sie würde Voldemort wohl nie verstehen.

Eine Weile lag sie da und starrte ins Leere, dann ging die Tür auf. Ginny zuckte zusammen. Voldemort kam ins Zimmer. Sie sprang vom Bett und sah ihn zögernd an.
 

Voldemort betrachtete Ginny, die vor ihm stand. Das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Nach einem Moment quälender Stille platzte sie heraus:

"Es tut mir Leid, ich wollte Ihnen doch nur helfen, es tut mir so furchtbar Leid!"

Voldemort war verblüfft.

Wieso quälte sie sich nur wegen so einer Kleinigkeit?
 

Er trat langsam auf sie zu. Ginnys Augen weiteten sich, sie stolperte rückwärts - und landete auf ihrem Bett. Voldemort seufzte innerlich. Sie hatte doch nicht etwa Angst vor ihm?

Naja, er war schließlich selbst Schuld. Warum musste er ihr auch diesen verfluchten Cruciatus auf den Hals jagen?

Er streckte ihr die Hand hin. Sie blickte verängstigt von der Hand zu seinem Gesicht und wieder zurück. Voldemort verdrehte genervt die Augen.
 

"Du bist doch sonst nicht so schreckhaft. Komm schon. Du hast nichts schlimmes gemacht. Es ist alles in Ordnung."

Ginnys Augen weiteten sich ungläubig, dann ergriff sie vorsichtig seine Hand und ließ sich aufhelfen. Er drückte ihr den Aufsatz in die Hand.

"Hier. Ich glaube, das gehört dir."
 

Damit ließ er sie alleine.

Ginny blickte fassungslos auf das Pergament. Sämtliche Fehler und Unklarheiten waren angestrichen und verbessert worden.
 

Nach einer Weile begann sie zu lachen.

Wenn ihr jemand vor zwei Wochen gesagt hätte, dass Voldemort einen ihrer Aufsätze korrigieren würde, sie hätte ihn für verrückt erklärt.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Ginny lebte sich, soweit das ging, gut ein. Bellatrix fauchte sie zwar immer noch während den Mahlzeiten böse an, doch sie versuchte nicht mehr, Ginny zu vergiften oder anderweitig umzubringen.

Ginny hatte Voldemort im Verdacht, sie nach dem Duell so grausam bestraft zu haben, dass Bellatrix Angst hatte, so etwas noch einmal zu riskieren.
 

Ginny selbst saß meistens entweder in ihrem Zimmer oder an einem kleineren Schreibtisch in Voldemorts Arbeitszimmer und arbeitete. Sie hatte ja schließlich nichts anderes zu tun.

Einmal in der Woche kam Snape vorbei, holte ihre fertigen Arbeiten ab und gab ihr die fertig korrigierten zurück. Ginny hielt ihre Noten, in ein paar Fächern hatte sie sich sogar verbessert.
 

Voldemort behandelte Ginny um einiges netter als vorher. Sie wusste zwar nicht, woher das kam, doch sie dankte es ihm, indem sie sich ihm nicht mehr widersetzte.

Wenn er ihr etwas verbot, dann ließ sie die Finger davon. Wenn er lautlos mit Snape redete, bezwang Ginny ihre Neugier.

Sie akzeptierte sogar stillschweigend, dass er von Tom nichts mehr wissen wollte.
 

So vergingen einige Wochen.

Ginny konnte nicht wissen, dass Voldemort sehr wohl noch an sein früheres Ich dachte.
 

Immer wieder ging ihm Ginnys Reaktion durch den Kopf, als er ihr gesagt hatte, dass er Tom war. Sie hatte sich gefreut. Zwar im Schlaf, doch sie hatte sich definitiv gefreut.

Und seit diesem Tag hatte er Zweifel. Zweifel an seinen Prinzipien und Methoden.
 

Es fiel ihm zusehens schwerer, Gefangene zu foltern, bis sie um den Tod bettelten. Er erwischte sich immer wieder dabei, wie er ihnen stattdessen Veritaserum gab, sie verhörte und ihnen anschließend einen schmerzlosen Tod schenkte.
 

Doch anstatt sich dafür als Feigling abzustempeln, wie er es vor noch nicht allzu langer Zeit mit seinen Untergebenen gemacht hatte, fühlte er eine Art Stolz, weil er sich überwunden hatte, sie nicht mehr zu quälen.

Er war zwar ab und an über sich selbst entsetzt, doch es dauerte meist nicht lange, und er war entsetzt über die Grausamkeit, die er früher angewandt hatte.
 

Und langsam, so langsam, dass er es fast nicht bemerkte, schlich sich noch ein anderes Gefühl in sein Bewusstsein. Das Gefühl, das richtige zu tun.
 

Er war netter zu allen.

Nicht nur zu seinen Gefangenen und zu Ginny, sondern auch zu seinen Todessern. Die meisten wunderte sich zwar etwas darüber, sprachen es aber nicht an.

Der einzige, der es wagte, Voldemort darauf anzusprechen, war Snape. Voldemort hatte ihm auf die Frage nach dem Wieso nicht geantwortet und Snape wusste es besser, als noch einmal zu fragen.
 

Nach einer Weile veränderte sich die Atmosphäre im großen Saal. Früher war sie entspannt, sogar fast fröhlich gewesen, doch sobald Voldemort anwesend war, waren nur noch Kälte und Angst zu spüren gewesen.

Jetzt verflüchtigte sich diese Angst langsam. Sie war zwar immer noch vorhanden, doch die Kälte und Unpersönlichkeit wich.
 

Die meisten begrüßten diese Entwicklung, nur Bellatrix geriet häufiger mit Voldemort aneinander als früher. Sie verstand nicht, warum Voldemort anscheinend seine sadistische Ader abgelegt hatte.
 

Und Voldemort würde es ihr sicher nie erzählen. Er hatte schließlich auch seinen Stolz, trotz allem.

Weihnachten

Kapitel 14: Weihnachten
 

Es krachte laut.

Ginny schreckte auf. Müde zog sie sich ihre Denke über den Kopf und murmelte vor sich hin.

Doch Mia ließ sie nicht schlafen. Erbarmungslos riss sie ihr die Decke herunter.

"Miss muss aufstehen! Miss will doch nicht Heiligabend verschlafen, oder?"
 

Ginny riss die Augen auf.

"Was hast du gesagt?", rief sie, mit einem Mal hellwach.

"Heute ist Heiligabend? Das hab ich ja total vergessen!"

Sie sprang aus dem Bett.

"Danke fürs Aufwecken, Mia!"

Mia disapparierte und Ginny sprang unter die Dusche.
 

Während das heiße Wasser über ihren Körper lief, erinnerte sie sich plötzlich schmerzhaft an das Weihnachtsfest letztes Jahr.

An Heiligabend hatten sie alle zusammen im Wohnzimmer gesessen, sich Geschichten erzählt und auf Mitternacht gewartet. Dann gab es Bescherung.

Ihre Mutter hatte es schon vor Jahren aufgegeben, sie abends ins Bett zu stopfen und erst am nächsten Morgen zu feiern. Sie waren jedes Mal nachts wieder aufgestanden und heimlich Bescherung gefeiert.
 

Ginny seufzte. Diese gemütlichen Familienabende würde sie vermissen. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, als ihe bewusst wurde, dass sie niemals wieder mit ihrer Familie Weihnachten feiern würde.

Doch hatte sie denn eine Wahl gehabt? Hätte sie sie nicht verraten, würde sie jetzt schon lange unter der Erde liegen.

Trotzdem, sie vermisste ihre Familie unendlich. Tränen liefen über ihre Wangen und vermischten sich mit dem Wasser, dass über ihr Gesicht lief.
 

Nachdem sie fertig war mit duschen - und auch mit weinen - zog sie sich ihre grünen Klamotten an. Grün. Slytherin. Voldemort. Ginny seufzte. Es ließ sich nicht ändern, dass sie hier war. Es ließ sich nicht ändern, dass sie nicht bei ihrer Familie war.

Sollte sie sich deshalb Weihnachten versauen lassen? Was brachte es ihr, wenn sie den ganzen Tag Trübsal blies? Weihnachten war ein Fest der Liebe und der Freude. Gut, Liebe konnte sie nicht haben, aber warum sollte sie deshalb auf Freude verzichten?
 

Sie seufzte. Sie war aber nicht glücklich.

Vielleicht sollte sie ein wenig nachhelfen? Sie hatte in einem Buch gelesen, wie man sowas anstellte. Sollte sie es einfach versuchen? Zu verlieren hatte sie sowieso nichts. Es konnte nicht schief laufen, es konnte einfach nur nicht klappen. Warum nicht?
 

Ein leises Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Nur für das Frühstück... Die würden Augen machen...
 

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Wenig später setzte sie sich an den Frühstückstisch und wünschte Voldemort einen guten Morgen. Voldemort blickte sie verblüfft an.

"Warum hast du so gute Laune?", wollte er wissen.

"Heute ist Heiligabend!", antwortete Ginny strahlend.

Voldemort schnaubte ungläubig.

"Und deswegen hüpfst du Kreuz und quer durch die Gegend?"

Sie verschränkte die Arme.

"Freuen Sie sich denn gar nicht? Weihnachten ist schließlich nur einmal im Jahr!"

"Nein. Wieso sollte ich?"

Ginny seufzte. "Dann eben nicht."
 

Sie begann zu essen.

"Miss Weasley?"

Ginny blickte auf. Snape war heute wieder da.

"Ihre Eltern wissen nicht, dass Sie nicht mehr an der Schule sind. Das heißt, morgen werden in Ihrem Schlafsaal bestimmt einige Geschenke herumliegen. Haben Sie Interesse daran?"

Ginnys Augen begannen zu leuchten.

"Aber natürlich! Können Sie mir die bitte bei Ihrem nächsten Besuch mitbringen, Sir?"
 

Snape schnaubte genauso ungläubig wie zuvor Voldemort.

"Ich bin nicht Ihr Botendienst, Miss Weasley."

Ginny legte den Kopf schief und lächelte gewinnend.

"Natürlich nur, wenn es Ihnen keine Umstände macht, Sir."

Snape blickte sie finster an.

"Ich wünschte, es würde Umstände machen."

Ginny grinste nur und aß weiter.
 

Jetzt kam Bellatrix zum Tisch und setzt sich Ginny gegenüber auf ihren Platz. Nach einer Weile blaffte sie Ginny an:

"Warum guckst du, als hättest du eine Flasche Feuerwiskey intus, Weasleygöre?"

Ginny blickte auf.

"Weil heute Heiligabend ist! Und morgen Weihnachten!"

Bellatrix' Gesicht verdüsterte sich.

"Das ist noch lange kein Grund, so belämmert aus der Wäsche zu schauen. Damit siehst du noch blöder aus als sonst."
 

Ginny ignorierte sie und aß ungerührt weiter. Sie würde sich garantiert nicht von Bellatrix die Laune versauen lassen.

"Hey, verfluchte Göre! Ich rede mit dir!"

Ginny beachtete sie nicht weiter.

"Weasley!! schau mich gefälligst an!"

Ginny reagierte immer noch nicht. Da platzte Bellatrix der Kragen.
 

"Imperio! Schau mich an, wenn ich mit dir rede!"

Ginny hob langsam den Blick und blickte Bellatrix aus glasigen Augen an. Die Freude über das bevorstehende Weihnachtsfest war verschwunden und einer tiefen Gleichgültigkeit gewichen.
 

Snape sog zischend die Luft ein. Er hatte schon immer gewusst, wie unberechenbar Bella sein konnte. Doch er hätte nicht erwartet, dass sie am Frühstückstisch, direkt neben Voldemort, durchdrehte.
 

Ginny blickte Bella einen langen Moment aus glasigen Augen an, dann stand sie auf und trat in die Mitte der Halle. Bellatrix dirigierte sie mit dem Zauberstab.

Schließlich kreischte sie triumphierend: "Crucio!"

Doch Ginny brüllte im gleichen Moment: "NEIN!", und ließ sich zu Boden fallen.

Der Folterfluch verfehlte sie. Im nächsten Moment stand sie, mit wieder klarem Blick, auf den Füßen und hatte ihren Zauberstab gezogen.
 

Ginny schluckte. Den Imperius war sie losgeworden, gerade noch rechtzeitig, doch jetzt war Bellatrix erst recht sauer. Erneut schossen Flüche auf Ginny zu.

Sie rief: "Protego Maxima!"

Die Flüche prallten von ihr ab und schossen in verschiedene Richtungen davon.

Einer ließ die Decke vibrieren, einer brachte ein Stück der gegenüberliegenden Wand zum Schmelzen, ein weiterer hatte einen anderen Todesser getroffen, der jetzt jaulend in sich zusammensackte, und ein letzter verfehlte Bellatrix um ein Haar.
 

Snape sprang auf und warf Voldemort einen fragenden Blick zu. Voldemort sah ihn einen Moment lang durchdringend an.

'Ginny kommt klar. Kümmer dich nur darum, dass niemand anderes verletzt wird.'

Snape warf Voldemort einen zweifelnden Blick zu, nickte aber.

Rasch trat er zwischen die beiden Duellanten und den Esstisch und beschwor einen Schutzschild herauf.
 

Ginny wich unterdessen einem weiteren Fluch von Bellatrix aus. Dann grinste sie böse, schickte einen Haufen schwache Flüche ab und schickte einen ungesagten Flederwichtfluch hinterher.

Bellatrix wich behände den vielen Flüchen aus und amüsierte sich köstlich, da traf Ginnys Flederwichtfluch sie mitten ins Gesicht.
 

Sie kreischte entsetzt, als gleich drei Flederwichte auf sie herunterstürzten. Ginny grinste und ließ den Zauberstab sinken.

Bellatrix fluchte fürchterlich und rannte um sich schlagend aus der Halle. Die Flederwichte folgten ihr.
 

Snape atmete auf und löste den Schutzschild. Dann warf er Ginny einen überraschten Blick zu.

"Nicht schlecht, Miss Weasley."

Ginnys Grinsen wurde nur noch breiter.

"Danke, Sir."

Sie setzte sich wieder und schaffte es diesmal endlich, zu Ende zu frühstücken.
 

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Heute arbeitete Ginny nicht, abgesehen davon, ab und zu einen Trank umzurühren, der einige Wochen simmern musste. Doch ansonsten hatte sie alle Schulsachen von ihrem Schreibtisch verbannt.

Stattdessen verzauberte sie kleine Glückwunschkarten. Sie waren alle noch leer, Ginny wollte für jeden ihrer Freunde ein eigenes Motiv.
 

Sie schwenkte den Zauberstab. Auf einer der Karten war jetzt ein Bild von ihr, lachend, in ihrer Schuluniform, am Ufer des Sees auf dem Gelände von Hogwarts. Für ihre Eltern.

Sie sollten sich keine Sorgen um sie machen, auch wenn sie lange nicht mehr geschrieben hatte.

Sie schrieb in die Karte rasch ein paar Weihnachtsgrüße, dann nahm sie sich die nächste Karte vor.
 

Diesmal erschien nach einem Schnippen des Zauberstabs eine Vollmondnacht. Zwei Wölfe saßen auf einer Klippe und blickten sich tief in die Augen. Darüber schwebte auf ein paar Funken ein Mistelzweig. Etwas kitschig, aber genau das richtige für Luna.

Ginny wusste zwar nicht, ob Luna noch unter Imperius stand, doch sie war sicher, dass sie sich darüber freuen würde. Sie versah auch diese Karte mit Weihnachtsgrüßen.
 

Sie griff gerade nach der dritten Karte, da trat jemand hinter sie. Voldemort.

Ginny blickte auf. Voldemort musterte die Karten missbilligend.

"Was wird das, wenn es fertig ist?"

"Weihnachtskarten für meine Familie und meine Freunde."
 

Er trat näher und griff sich die Karte, die Ginny am Ufer des Sees zeigte, die Umrisse von Hogwarts im Hintergrund, und schlug sie auf. Seine Augenbrauen wanderten in die Höhe, als er die Bedeutung dieser Karte erkannte.

"Du willst deine Eltern also kaltblütig anschwindeln? Wofür?"

Ginny schluckte.
 

"Wenn ich nichts von mir hören lasse, machen sie sich Sorgen, dass mir etwas passiert sein könnte. Vor allem jetzt, wo Snape und die Carrows Hogwarts unter ihrer Fuchtel haben. Es würde mich gar nicht wundern, wenn sie mich besuchen wollten.

Was meinen Sie, was das für einen Aufstand gäbe? Meine Mutter kann sich furchtbar aufregen. Wenn sie dann von Neville und Luna die Wahrheit erfährt, könnte sie den ganzen Orden in Bewegung setzen, um mich zu finden.

Ich würde ihr sogar zutrauen, dass sie Snape ausquetscht.

Nein. Das will ich ihr und allen, die in ihrem unmittelbaren Umfeld sind, nicht antun."
 

Voldemort lächelte spöttisch.

"Ist sie wirklich so schlimm?"

Ginny wurde verlegen.

"Naja... eigentlich nicht. Sie ist eben mit Leib und Seele Mutter, und für ihre Kinder würde sie alles tun, das ist alles."

Er sah sie mit immer noch nach oben gezogenen Augenbrauen an.

"Kann ich mir nicht vorstellen. Zeigst du sie mir?"
 

Ginny verstand sofort und schloss ihre Augen. Sie überlegte kurz und rief sich dann eine Erinnerung vor Augen.

Mrs Weasley hatte einen ihrer legendären Wutanfälle, nachdem Ron und die Zwillinge Harry mit dem Wagen ihres Vaters von den Dursleys befreit hatten. Kaum hatte Ginny begonnen, sich zu erinnern, spürte sie Voldemorts Anwesenheit. Er verhielt sich jedoch ganz ruhig und sah nur zu.
 

Als Mrs Weasley sich wieder beruhigt hatte, öffnete Ginny wieder die Augen. Und zuckte zusammen.

Voldemort hatte sich anscheinend zu ihr vorgebeugt, um ihr ins Gesicht zu blicken. Die roten Augen waren ganz dicht vor ihren. Ginny presste sich unwillkürlich nach hinten in ihren Sessel, um etwas Abstand zwischen sich und dieses blasse Gesicht zu bringen.
 

Voldemort lächelte schwach.

"Hast du immer noch Angst vor mir?"

Ginny schluckte.

"Wieder. Aber Sie sind selbst schuld."

Er schnaubte und richtete sich auf.
 

"Nette Mutter hast du. Ich wünschte, meine hätte sich jemals so um mich gesorgt."

Seine Stimme hatte einen bitteren Klang bekommen. Ginny blickte ihn ungläubig an.

Bisher hatte er nie über seine Vergangenheit oder seine Familie gesprochen.

Sie wollte schon fragen, warum seine Mutter sich nicht um ihn gesorgt hatte, ließ es dann aber doch sein. Wer weiß, wie er darauf reagieren würde.
 

Er war zwar ausgeglichener und offener geworden, seit sie ihn kennengelernt hatte, doch sie wusste mittlerweile, wann sie lieber den Mund halten sollte.

Es gab einige Themen, auf die ein Lord Voldemort sehr gereizt und empfindlich reagierte. Das war eins davon.

Sie schwieg. Er seufzte schwer und schüttelte den Kopf.

"Rabenmutter. Sie - AAAHH!"
 

Er riss ungläubig die Augen auf und taumelte gefährlich. Ginny erschrak, sprang auf und bugsierte ihn in den Sessel, bevor er Bekanntschaft mit dem Boden machte, doch er sprang gleich wieder auf.

Sie wollte ihn wieder zurück in den Sessel drängen, doch er schlug ihren Arm ab und zog den Zauberstab. Ginny blickte ihn unsicher an.

"Was ist los - Sir?"
 

Doch Voldemort antwortete nicht, sondern murmelte mit verzerrtem Gesicht ein paar Zaubersprüche. Die Luft schien einen Moment lang zu vibrieren.

Ginny griff unsicher nach Voldemorts Arm.

"Was-?"

Im nächsten Moment wurde ihr die Luft aus den Lungen gepresst und alles wurde schwarz.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Ginny taumelte, als alles um sie herum wieder Gestalt annahm.

Sie standen in einem Wohnzimmer. In einem sehr schmutzigen und altmodischen Wohnzimmer.
 

Kaum hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen, lief Voldemort zu einer Treppe, die ins höher gelegene Stockwerk führte. So schnell hatte Ginny ihn noch nie rennen sehen.

Sie riss ihren Zauberstab aus dem Umhang und folgte ihm.
 

Oben angekommen, taumelte sie erschrocken zurück. Eine große Schlange wand sich durch das ganze Zimmer und hatte es schon reichlich demoliert.

Mit einem Schlag wusste Ginny, wo sie war.

Nagini.

Das musste Bathilda Bagshots Haus sein.
 

Voldemort stürzte zum Fenster. Ginny folgte ihm, so schnell es ging. Und schrie auf.

Zwei Personen hatten sich anscheinend gerade nach draußen gestürzt. Ein Mann und eine Frau, beide recht unscheinbar. Doch bevor sie auf dem gefrorenen Boden aufschlagen konnten, verschwanden sie.
 

Voldemort schrie auf. Ginny taumelte entsetzt zurück. Sie hatte ihn noch nie schreien gehört.

"POOOTTER!!!"
 

Sie hielt sich die Ohren zu. Voldemort schlug jetzt mit der Faust auf den Fensterrahmen ein. Er sah reichlich frustriert aus.

"VERDAMMTE SCHEISSE!"

Nagini schlängelte jetzt zu ihm und kroch langsam seine Beine hoch, um ihn zu beruhigen. Doch Voldemort beruhigte sich nicht. Er schlug immer noch wild um sich.
 

Ginny stand wie erstarrt da und rührte sich nicht.

Im nächsten Moment schlug Voldemort so heftig gegen die Wand, dass er das Gleichgewicht verlor. Er ruderte wild mit den Armen, doch da Nagini immer noch um seine Beine gerollt war, konnte er sich nicht rühren.
 

Ginny erwachte aus ihrer Trance und fing ihn gerade noch auf. Doch schon im nächsten Moment konnte sie ihn nicht mehr halten und sie fielen beide zu Boden. Verdammt, warum musste Nagini auch so schwer sein?
 

Im nächsten Moment warf Voldemort Ginny einen so bösen Blick zu, dass sie ihn erschrocken losließ und von ihm weg kroch. Nagini löste sich ebenfalls von ihm und er sprang, immer noch zornfunkelnd, wieder auf die Beine, nur um weiter fluchend das Zimmer zu zertrümmern.
 

Ginny blickte ratlos um sich. Plötzlich bemerkte sie Nagini, die sie ansah.

Ginny wusste nicht, wieso, doch irgendwie sah die Schlange genauso ratlos aus wie sie selbst. Nagini zischte etwas. Ginny schauderte.

Es kam ihr fast so vor, als würde sie Schlange mit ihr reden wollen. Doch Ginny verstand natürlich nichts. So blickte sie Nagini nur weiter ratlos an und murmelte:

"Tut mir Leid, ich kann dich nicht verstehen."
 

Plötzlich herrschte Stille. Ginny und Nagini blickten beide überrascht auf. Voldemort stand über ihnen und war plötzlich wieder die Ruhe in Person. Er lächelte gerissen.

"Ginny, würdest du gerne mit Nagini reden?"

Ginny nickte unsicher.

"Wieso fragen Sie?"
 

Sein Lächeln wurde breiter. Ginny schauderte unwillkürlich.

"Ich habe eine Idee."

Ginny runzelte die Stirn. Wie sollte das gehen? Parsel war angeboren, sie würde nie mit Nagini sprechen können. Was also hatte er schon wieder im Sinn?

"Was denn für eine Idee?"
 

Doch Voldemort schwieg. Nach einem Moment quälender Stille streckte er Ginny eine Hand hin.

"Komm, es hat keinen Sinn, hierzubleiben. Wir gehen heim."
 

Ginny ergriff die Hand zögernd. Sie war kaum auf den Beinen, da wurde es schon schwarz um sie.

Frieden?

Kapitel 15: Frieden?
 

Als Ginny am nächsten Morgen gerade vom Frühstück aufstehen wollte, griff Voldemort nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. Sie zuckte nicht einmal mehr zusammen und ließ sich wieder auf ihren Stuhl nieder. Er sah ihr in die Augen. Ginny verstand sofort und sandte ihren Geist aus.

'Ich möchte dir heute die Festung zeigen. Du hast bewiesen, dass ich dir trauen kann und du nicht bei der erstbesten Gelegenheit verschwindest. Also hast du auch ein Recht darauf, zu wissen, wo du bist.'
 

Ginnys Augen weiteten sich ungläubig und ihr Herz pochte plötzlich schneller. Voldemort vertraute ihr? Seit wann vertraute Voldemort? Hieß das, dass Tom sich wieder in sein Herz geschlichen hatte? Dass er wieder so wurde wie früher?
 

Sie nickte schwach. Doch plötzlich stutzte sie. Sie spürte etwas, was nicht dort sein sollte. Ein fremder Geist. Doch sie konnte absolut nichts erkennen, nicht den kleinsten Gedankenfetzen. Das konnte nur einer sein.
 

Ohne den Kopf zu drehen, dachte sie: 'Professor Snape? Ich weiß ja nicht, ob Voldemort mit Ihnen weniger streng umgeht als mit mir, aber mir hat er fürs Lauschen einmal einen Cruciatus aufgehalst, wissen Sie noch? Ist es Ihnen das wert?'
 

Sie blickte immer noch Voldemort in die Augen und zwang sich, sich nicht zu Snape umzudrehen. Einen Moment lang herrschte Stille, dann zog sich der fremde, verschlossene Geist leise zurück. Um Voldemorts Lippen spielte ein schwaches Lächeln.

'Du bist ziemlich vorlaut, weißt du das?'

Ginny zuckte mit den Schultern und grinste.

'Sie haben nichts dagegen, also, warum sollte ich es nicht sein?'
 

Voldemort zuckte zusammen und brach die Verbindung ab. Verdammt, er hatte sich doch abgeschirmt! Woher wusste sie das denn schon wieder? Na gut, er hätte sie in die Schranken weisen müssen, von Anfang an, um ihr zu zeigen, wann sie zu weit ging. Doch er hatte schon recht früh nachgegeben. Also kein Wunder. Er hoffte, dass sie wirklich nicht noch mehr gesehen hatte, als ohnehin klar war.
 

Er duldete es schließlich nicht nur, er genoss es richtig, dass sie nicht so verdammt ängstlich war und nur katzbuckelte wie der Rest. Mit ihr konnte er fast - nun ja, normal - reden.

Er setzte seine verbitterte Maske auf und erhob sich.
 

Ginny folgte Voldemort zu einer der Türen in angrenzende Räume, von denen sie sich bisher wohlweislich ferngehalten hatte. Voldemort hielt sie ihr auf und sie folgte der Einladung mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.

Durch diese Tür kam Bellatrix jeden Morgen zum Frühstück. Waren hier die Todesser untergebracht?
 

Voldemort schloss die Tür hinter sich und zog eine Augenbraue hoch.

"Du solltest wirklich lernen, deinen Geist zu verschließen. Du bist ein offenes Buch, wenn man den Mumm hat, zu lesen."

Ginny warf ihm einen empörten Blick zu.

"Ich dachte, das wäre Snapes Text. Seit wann sind Sie so versessen darauf, meine Gedanken zu lesen?"

"Seit es so viel zu entdecken gibt. Am Anfang hattest du fast nur Angst. Das war langweilig."
 

Ginny schnappte nach Luft.

"Das gehört sich nicht! Wenn Sie von Anfang an meine Gedanken kontrolliert haben und es jetzt immer noch tun, dann trauen Sie mir doch gar nicht! Wieso haben Sie mich gerade angelogen und gesagt, Sie täten es?"
 

Voldemorts rote Augen blitzten. Was redete sie da? Sie konnte doch wirklich nicht von ihm verlangen, ehrlich zu sein. Oder doch? Sie hatte es schließlich gerade getan!

Aber ein Lord Voldemort war niemals ehrlich. Oder zumindest nur dann, wenn es ihm gerade in den Kram passte. Wieso dachte sie dann, er würde ehrlich zu ihr sein? Ausgerechnet zu ihr?

Andererseits... nur dank ihr hatte es Tom wieder in sein Herz geschafft. Und Tom wäre ehrlich zu ihr... das spürte er ganz deutlich.

Doch eine kleine Stimme in seinem Kopf flüsterte ihm zu, dass Ehrlichkeit Schwäche war. Was hatte er davon, wenn andere seine Gedanken kannten? Nur Nachteile. Er hatte sein ganzes Leben alleine klar kommen müssen. Er hatte immer stark sein müssen. Wozu brauchte er Ehrlichkeit?
 

'Weil Sie sonst für immer alleine sein werden. So werden Sie niemals wahre Freunde finden.'
 

Voldemorts Augen weiteten sich erschrocken, und er taumelte rückwärts. War das Ginny gewesen? Aber... woher - ?

Er starrte sie entsetzt an. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lächelte verschlagen.

"Wie war das mit dem offenen Buch? Sie sind auch sehr interessant, das muss man Ihnen lassen ... Tom."

Er schnappte empört nach Luft.

"Wie kannst du es wagen?!", kreischte er, ohne groß nachzudenken.

Sie lächelte nur und schwieg.
 

Ginny musste sich zwingen, ruhig zu bleiben. Innerlich zitterte sie furchtbar. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie machte sich schon einmal gefasst auf einen Cruciatus - doch die Sekunden zogen sich in die Länge und Voldemort stand weiter nur da und versuchte, seine Fassung zurück zu gewinnen.

Sie widerstand dem Drang, noch einmal seine Gedanken zu lesen. Jetzt konnte sie nicht mehr zurück - da musste sie es nicht noch schlimmer machen.
 

Voldemort atmete tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Eine Seite von ihm hätte ihr am liebsten einen ordentlichen Cruciatus aufgehalst und sie schreien lassen, sie für ihre Respektlosigkeit büßen lassen, sie leiden lassen - seine andere Hälfte hielt ihn jedoch davon ab.

War es nicht genau das, was er wollte? Jemand, der ihm die Meinung sagte, wenn er jemandem, der ihm etwas bedeutete, auf die Zehen trat? Jemand, der ihn in die Schranken wies, wenn er etwas Dummes anstellte? Jemand, der ihm zeigte, was richtig war?

Moment mal, dachte seine andere Hälfte. Das klang verdammt nach einem Gewissen. Wollte er das wirklich? Es verkomplizierte das ganze Leben nur unnötig. Und warum sollte er auf ein Gewissen hören, dass ihm ein friedliches Zusammenleben mit anderen ermöglichte? Jeder starb schließlich alleine. Wozu sollte er mit anderen auskommen wollen?

Voldemort schluckte. Weil ich nicht alleine sein will, dachte Tom. Seine kalte Seite erwiderte nichts.
 

Er schluckte erneut.

Dann holte er tief Luft und zischte leise: "Wehe, du nennst mich so, wenn uns jemand hören kann! Dann setzt es was!"
 

Ginny atmete erleichtert aus. Er hatte sich beherrscht. Mehr als das, er hatte ihr sogar zugestanden, ihn Tom zu nennen, wenn sie alleine waren. Es war nicht zu fassen.

Ihr Herz pochte immer noch schmerzhaft gegen ihre Rippen, als sie ihr freundlichstes Lächeln aufsetzte und meinte: "Das hatte ich nicht vor, TOM."
 

Erheitert betrachtete sie, wie ihm seine mühevoll wieder aufgerichtete Maske vom Gesicht rutschte und er sie einen Moment lang so ansah, als wüsste er nicht, ob er lächeln oder ihr eine reinhauen sollte.
 

Sie grinste und sah sich um. Sie standen in einem langen und breiten Gang mit vielen Türen und Abzweigungen.

"Wo sind wir hier?"
 

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Voldemort führte Ginny in ein weit verzweigtes Gänge-Labyrinth. Sie staunte nicht schlecht.

Die Festung war viel größer, als sie auch nur geahnt hatte. Sie musste tief unter dem Berg sein und sich unter der Erde auch ins Flachland ausbreiten. Hier gab es alles, was man brauchte, um mehr als hundert Mann ein paar Jahre völlig isoliert leben lassen zu können. Ginny vermutete fast, dass das ein Maßnahme für eine eventuelle Belagerung war. Doch sie hoffte, dass es nicht so weit kommen würde.
 

Sie verlor sich immer weiter in den vielen kleinen Nebengassen und erkundete jeden Flur so gründlich, dass Voldemort ihr irgendwann etwas genervt den Vier-Punkte-Zauber beibrachte, ihr zeigte, in welcher Richtung der Ausgang zur Halle war und sie dann alleine ließ.
 

Ginny war etwas verdutzt über ihre neu gewonnene Freiheit, doch schon bald war sie so mit der Erkundung der Festung beschäftigt, dass sie sich nicht mehr wunderte. Die Zeit verging wie im Flug, und als Ginny schließlich in die Halle zurückkehrte (natürlich nicht, ohne sich ein paar Mal zu verlaufen), platzte sie mitten in das Abendessen.

Sie ging früh zu Bett und stand am folgenden Tag vor Tau und Tag auf, um noch eine Runde durch die langen Gänge zu drehen, bevor es Frühstück gab.
 

Auch beim Frühstück selbst dachte sie nur darüber nach, wo sich noch überall kleine Gänge verstecken könnten, die sie noch nicht erkundet hatte.
 

Nach dem Essen wollte sie so schnell wie möglich wieder auf Streifzug gehen, doch noch bevor sie die Halle verlassen hatte, wurde ihr schwindelig.
 

Sie fasste sich an den Kopf und blieb stehen. Es wurde nicht wirklich besser.

Um sie herum begann sich alles zu drehen. Sie schluckte mühsam.

Was zum Teufel war hier los?
 

Noch bevor sie sich einen Reim darauf machen konnte, gaben ihre Beine nach. Sie sank an der Wand zusammen und sah sich mühsam um. Es fühlte sich an, als wäre sie aus Watte und ein Schleier trennte sie von der Welt.

Was war nur geschehen?
 

Als eine schwarze Gestalt meckernd lachte und ein triumphierendes Kreischen ausstieß, fiel der Groschen.

Bellatrix.
 

Sie hatte vor lauter Freude über ihre Bewegungsfreiheit den Giftaufspürzauber vor dem Essen vergessen.

Ginny stöhnte und massierte sich die Schläfen, doch schon bald wurden ihre Arme immer schwerer und sie ließ sie sinken. Es wurde alles so schwer...
 

Schließlich hob sie mühsam den Kopf und rief so laut sie konnte: "HILFEEE!!"

In Gedanken setzte sie noch ein genauso eindringliches 'TOOM!!' dahinter, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Bellatrix betrachtete Ginny mit einer grimmigen Zufriedenheit im Magen. Endlich war die kleine Göre erledigt! Es hatte doch etwas für sich, ihr eine Weile heile Welt vorzuspielen. Anders hätte sie ihr Misstrauen niemals abgelegt.

Bellatrix kreischte freudig auf, als Ginny an der Wand zusammensank.
 

Jetzt hatte sie Voldemort wieder für sich alleine! Und er hatte auch ein Problem weniger. Bellatrix hatte gemerkt, dass er es müde wurde, Ginny zuzuhören. Er brach immer wieder mitten im Gespräch ab und saß dann eine Weile in sich gekehrt da, als ob er über irgendetwas brüten würde. Doch Bellatrix wusste es besser. Ginny nervte ihn und er war es Leid. Und jetzt hatte sie Ginny aus dem Weg geräumt. Er würde springen vor Freude.
 

Die kleine Göre sank immer mehr in sich zusammen und griff sich an den Kopf. Schließlich lag sie ganz am Boden. Doch, halt, sie hob noch einmal den Kopf.

"HILFEEE!!"

Bellatrix zuckte zusammen. Doch noch bevor sie sich wieder beruhigt hatte, hallte eine genauso laute und verängstigte Stimme in ihrem Kopf wieder.

'TOOM!!'

Bellatrix runzelte verwirrt die Stirn. Wer war Tom? Sie wollte schon den Mund aufmachen und die Göre fragen, da fiel Ginnys Kopf wieder auf den kalten Steinfußboden und sie regte sich nicht mehr.
 

Bellatrix schluckte. Die Kleine sah seltsam verloren aus in dem weiten, schwarzen Kapuzenumhang, der den Boden um sie herum bedeckte. Für einen Moment durchzuckte Bellatrix ein Hauch Mitleid. Moment mal, Mitleid? Ja, doch.

Ginny hatte alles hinter sich gelassen, was sie liebte, und hier, in der Höhle des Löwen, oder vielmehr der Schlange, neu angefangen. Die meisten ihrer Todesserkollegen schienen Ginny mittlerweile stillschweigend zu akzeptieren, auch wenn außer Snape niemand mit ihr redete.
 

Die Göre hatte es sogar geschafft, sich mit Voldemort anzufreunden. Und es sah wirklich so aus, als würde Voldemort sie respektieren. Es musste viel Zeit, Nerven und vor allem Schmerzen gekostet haben, ihn soweit zu bringen.

Halt. Bellatrix erschrak.

Voldemort respektierte Ginny? Sonst brachte er außer für Snape selten etwas Respekt für seine Mitmenschen auf. Und an Snape lag ihm sehr viel. Hieß das, dass auch Ginny ihm wichtig war?
 

Sie schluckte. Wenn sie ihm wichtig war, würde er über ihren Tod nicht erfreut sein. Was würde Bellatrix zu hören bekommen, wenn Voldemort erfuhr, dass sie die Schuld trug? Ihr wurde mulmig zumute und sie fragte sich vage, ob sie das richtige tat.
 

Natürlich, gab sie sich gleich darauf selbst die Antwort. Sie ist eine kleine Blutsverrätergöre!

Aber Voldemort wird sehr wütend sein, rief sie sich selbst ins Gedächtnis. Vielleicht wird er mich sogar hassen dafür...

Sie riss erschrocken die Augen auf. Voldemort würde sie hassen? Das konnte sie nicht ertragen.

Aber das da war eine Weasley, noch dazu eine, die sie mehrmals vor versammelter Mannschaft gedemütigt hatte...
 

Langsam trat sie auf Ginnys reglosen Körper zu und ging in die Knie. Sie tastete nach der Halsschlagader.

Der Puls war langsam, aber noch regelmäßig.

Etwas Zeit hatte sie noch.

Sollte sie etwas tun?

Missglückte Pläne

Kapitel 16: Missglückte Pläne
 

Ginny blinzelte benommen. Die angenehme Schwärze, die sie umfangen hatte, wich langsam. Kaltes Dämmerlicht machte sich um sie herum breit. Schemen wurden erkennbar.

Doch ihre Lider waren so schwer...
 

Sie wusste nicht, wo sie war oder warum sie hier war. Sie schloss die Augen wieder und kuschelte sich tiefer in ihren Umhang. Egal. Es war alles egal. Alles, was sie spürte, war eine angenehme Wärme in ihren schweren Gliedern.

Sie wollte am liebsten für immer hier liegen. Nichts sehen, nichts hören, nichts denken. Nur liegen...
 

Doch nach einer Weile vollkommener Stille begann ihr Kopf zu dröhnen. Sie stöhnte leise und drehte sich auf die andere Seite. Das Rascheln ihres Umhangs kam ihr in der langen Stille plötzlich sehr laut vor. Sie drückte ihre Wange in die weiche Matratze, auf der sie lag, und versuchte, das Dröhnen loszuwerden.
 

Es kam und ging in Phasen. Mal war es mehr und mal weniger. Und mit jedem neuen Schub sickerten auch die ersten Gedanken und Eindrücke in ihren Kopf.

Die Erinnerung von vor der Schwärze kehrte zurück. Ein einzelner Name wehte in ihr Gedächtnis.

Bellatrix Lestrange.
 

Sie war dort gewesen, als alles in samtener Nacht versank. Und sie hatte sich gefreut. Nur worüber? Dass sie in der steinernen Halle umgekippt war?

Moment mal.

Sie lag definitiv nicht mehr in der Halle.

Wo zur Hölle war sie?
 

Mit einem Schlag öffnete Ginny die Augen und setzte sich auf. Sofort protestierte ihr Kopf schmerzhaft und ihr wurde schwindelig. Sie ließ sich zurückfallen und sah sich im Liegen um.
 

Anscheinend war sie in einem Schlafzimmer. Sie lag auf einem bequemen Bett ohne Bettzeug. Decke und Kissen lagen am Boden neben dem Bett. Ansonsten gab es nicht viel zu sehen. Ein künstliches Fenster wollte ihr weismachen, dass die Sonne schon wieder am Sinken war. Ginny war sich dessen nicht so sicher. Diese Illusionen funktionierten nicht immer. In einer Ecke stand ein schwerer, dunkler Schrank. Und neben dem Kopfende des Bettes stand ein kleines Kästchen, doch es lag nichts darauf, was auf den Besitzer schließen könnte.
 

Ginny schloss müde wieder die Augen und beschloss, auf den Besitzer zu warten. Wer auch immer sie hierher gebracht hatte, er musste ihren Hilferuf gehört und ihr ein Gegengift verabreicht haben. Oder aber das Gift hatte seine Wirkung verloren.

Egal, was es war, ihr ging es wieder besser.

Sie seufzte und kuschelte sich in ihren warmen, schwarzen Umhang.

Und wartete.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Als die Tür zuschlug, schreckte Ginny auf. Sie musste eingenickt sein. Als sie jedoch sah, wer da vor ihr stand, war sie wieder hellwach.

Das durfte doch nicht wahr sein!
 

Die Todesserin musterte sie kalt.

"Endlich bist du wach, Weasley", begrüßte sie sie.

Ginny schluckte schwer.

"Sie? Aber... warum?"
 

Bellatrix blickte finster drein.

"Erwartest du wirklich eine ehrliche Antwort?"

Ginny nickte unmerklich.

Bellatrix trat einen Schritt auf sie zu, strich sich die langen, schwarzen Haare aus dem Gesicht und fauchte: "Vergiss es! Sei lieber froh, dass du noch lebst!"
 

Ginny krabbelte aus dem Bett und griff in ihre Umhangtasche. Und erschrak erneut. Ihr Zauberstab war verschwunden. Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte Bellatrix an.

"Wenn Sie schon kalte Füße bekommen haben, warum haben Sie mir dann meinen Zauberstab abgenommen?"
 

Bellatrix' Gesicht wurde einen Hauch blasser. Ginny sah es mit Befriedigung. Sie hatte keine Angst mehr.

Sie wusste jetzt, dass Bellatrix sie nicht umbringen konnte. Und alles andere würde sie ertragen können.

Doch irgendwoher wusste sie, dass Bellatrix ihr im Moment nichts tun würde. Das schlechte Gewissen sprang ihr förmlich aus dem Gesicht. Ginny glaubte nicht, dass es ihr gegenüber war, wahrscheinlich eher gegenüber Voldemort, doch sie begrüßte es.

Wie auch immer, sie hatte kein bisschen Angst mehr.
 

Bellatrix seufzte jetzt leise, griff in ihren Umhang und holte Ginnys Zauberstab heraus. Sie hielt ihn einer verdutzten Ginny hin.

"Da", meinte sie bitter. "Ich hab vielleicht kalte Füße bekommen, aber das heißt nicht, dass ich dich jetzt in Ruhe lasse."
 

Ginny nahm den Zauberstab entgegen und steckte ihn ein.

"Sondern?", wollte sie wissen.

Bellatrix trat noch einen Schritt näher zu ihr. Erst jetzt fiel Ginny auf, wie groß sie war. Sie musste zu ihr aufsehen.

"Ab jetzt kämpfe ich von Angesicht zu Angesicht, nicht mehr mit Gift oder anderen Feiglingsmethoden."

Ginny musste fast lächeln.

"Aber ich warne dich! Zieh dich warm an, ich hab dich schon einmal geschlagen."

Doch das kleine Zucken von Ginnys Mundwinkel blieb.

Bellatrix runzelte die Stirn und fauchte plötzlich unwirsch: "Was gibt es da zu lachen?"
 

Ginny wurde sofort wieder ernst.

"Nichts. Darf ich Sie etwas fragen?"

Bellatrix' Augen verengten sich.

"Wenn du danach sofort verschwindest."

Ginny nickte.

"Warum kämpfen Sie gegen mich? Was haben Sie denn gegen mich?"
 

Bellatrix trat einen Schritt zurück. Ihr Gesicht glich auf einmal einer eiskalten, starren Maske.

"Raus!", zischte sie gefährlich.

Ginny zuckte zusammen.

"Aber warum? Sie haben mir erlaubt, zu fragen!"
 

Langsam zog Bellatrix ihren Zauberstab. Ginny wich zurück.

"Unter der Bedingung, dass du danach sofort verschwindest. Von einer Antwort hat keiner gesprochen."

Ginny schluckte.

"Aber-"

"Raus!!"
 

In diesem Moment ging die Tür hinter Ginny auf und Bellatrix wurde bleich. Sofort fiel sie auf die Knie.

Ginny drehte sich langsam um. Voldemort blickte sie verblüfft an und schloss die Tür hinter sich.

"Was machst du hier, Weasley?", wollte er kalt wissen, doch er suchte ihren Blick.
 

Ginny öffnete ihren Geist und erwiderte den Blick der rot glühenden und nun gar nicht mehr so kalten Augen.

Einen Wimpernschlag lang sah sie die Zeit nach dem Frühstück an sich vorbeirauschen, dann zog sich Voldemort zurück.
 

Er blickte Bellatrix mit hochgezogenen Augenbrauen an.

"Was suchst du da unten am Boden? Du hast sie nicht umgebracht, Bella, also hast du auch nichts zu befürchten. Steh auf, ich hab eine Aufgabe für dich."
 

Bellatrix blickte verwirrt auf. Einen Moment lang tat sie gar nichts, die Augen weit aufgerissen, dann rappelte sie sich unsicher hoch.

"Aber... Meister..."

Auf Voldemorts Zügen erschien ein kleines, aber gemeines Lächeln.

"Sag mir nicht, du wärst scharf auf eine Bestrafung."

Sofort schüttelte Bellatrix den Kopf.
 

"Na, siehst du. Sei froh, dass ich heute einen guten Tag hab. Und jetzt hör gut zu.

Ich habe erfahren, dass der Potter-Bengel im Forest of Dean ist. Du darfst mich dorthin begleiten. Du kannst alles tun, um ihn und seine Freunde umschädlich zu machen, aber töte niemanden, vor allem nicht Potter. Alles andere erfährt du dort von Severus."
 

Bellatrix nickte ergeben. Sie konnte es anscheinend noch gar nicht glauben, dass sie ungeschoren davongekommen war.
 

Voldemort warf Ginny einen langen, stummen Blick zu.

'Geh am Besten in dein Zimmer. Hier in den Todesserunterkünften bist du nicht sicher, wenn ich nicht da bin. Ein paar akzeptieren dich nur, weil sie die Konsequenzen meinerseits fürchten, wenn sie dir etwas antun.'

Ginny nickte.
 

"Komm mit, Bella", zischte Voldemort jetzt und trat auf den Gang vor Bellatrix' Zimmer hinaus.

Bellatrix folgte ihm.
 

Ginny holte tief Luft. Sie sollte wirklich in ihr Zimmer zurück.

Langsam und sich nach allen Seiten umsehend trat auch sie auf den Gang. Voldemort und Bellatrix waren bereits nicht mehr zu sehen.

Sie zog ihren Zauberstab hervor, legte ihn auf ihre flache Hand und murmelte: "Weise mir die Richtung."

Der Zauberstab wirbelte einmal im Kreis und zeigte dann nach rechts. Ginny folgte ihm und lief nach rechts in den Gang.
 

Eine Weile lief sie alleine durch den breiten Korridor, bog hier und da um die Ecke, doch das einzige, was sie sah, waren verschlossene Türen zu beiden Seiten.

Schließlich bog sie wieder um die Ecke - und lief in jemanden hinein. Sie taumelte und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.

Als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, blickte sie auf - direkt in das eiskalte, blasse Gesicht von Draco Malfoy.
 

Er blickte nicht weniger überrascht als sie sich fühlte, doch sofort schob sich eine Maske über seine Züge und er zog seinen Zauberstab.

"Was zur Hölle machst du hier, Weasley?", zischte er mit zusammengekniffenen Augen.

Ginny widerstand der Versuchung, ihren eigenen Zauberstab zu ziehen und Malfoy zu verfluchen, nur mühsam.

"Willst du eine ehrliche Antwort?"

"Natürlich! Wag es ja nicht, mich anzulügen, sonst hat dein letztes Stündchen geschlagen, Blutsverräterin!"
 

Ginny biss sich auf die Lippe, um ihm keine Beleidigung an den Kopf zu knallen.

Stattdessen antwortete sie so ruhig wie nur möglich: "Das wäre gleichzeitig auch dein letztes Stündchen, Malfoy. Lord Voldemort mag es bestimmt nicht, wenn seine Gäste umgebracht werden."

Draco wich überrascht einen Schritt zurück, hielt jedoch den Zauberstab immer noch auf sie gerichtet.

"Du...du und ein Gast des Dunklen Lords?", schnappte er ungläubig.
 

Ginny nickte nachdrücklich.

"Ja. Ob du es glaubst oder nicht. Würde es dir jetzt was ausmachen, mich durchzulassen? Ich möchte in die Halle zurück."

Von ihrem Zimmer hinter Voldemorts Büro sagte sie nichts. Malfoy brauchte nicht alles wissen.
 

Als sie einen Schritt auf ihn zu machte, wich er einen Schritt zurück, sie immer noch mit dem Zauberstab bedrohend. Ginny seufzte innerlich. Manchmal war er so ein Dummkopf...

"Du kannst gerne mitkommen, Malfoy.", meinte sie.
 

Dann lief sie an ihm vorbei, weiter den langen Gang entlang. Ihr Herz pochte viel zu schnell. Sie erwartete, jeden Augenblick einen Fluch in den Rücken zu bekommen.

Doch es geschah nichts, außer dass Malfoy hinter ihr herlief. Auch ohne sich umzudrehen wusste sie, dass sein Zauberstab immer noch auf sie gerichtet war.

Sie streckte den Rücken durch und lief, wie es schien, zielstrebig weiter den Gang entlang. Er endete an einer einfachen Tür.
 

Ginny hielt einen Moment inne.

War sie hier wirklich richtig? Führte diese Tür in die Halle? Was würde Malfoy mit ihr anstellen, wenn sie es nicht tat?

Doch diese Frage erübrigte sich. Eine Zauberstabspitze bohrte sich in ihren Rücken, und Malfoy zischte: "Worauf wartest du? Geh schon!"
 

Ginny holte tief Luft und öffnete die Tür. Erleichtert trat sie hindurch.

Die Tür führte tatsächlich in die Halle.
 

Sie war noch keine drei Schritte gegangen, da fiel am anderen Ende der Halle eine Person durch die Decke. Und noch eine.

Die Todesser, die verstreut in der Halle herumgestanden hatten, eilten zu den beiden, um sie zu empfangen.

Es fielen noch zwei weitere Leute von der Decke.

Und dann schrie jemand.
 

Malfoy hinter Ginny zuckte zusammen.

Ginny fragte: "Was ist?"

Doch er schüttelte den Kopf.

"Mum", flüsterte er.

"Hat sie geschrien?", wollte Ginny wissen.

Er nickte stumm und ließ den Zauberstab sinken.
 

Sie packte ihn kurzerhand am Handgelenk und zerrte ihn in Richtung des Aufruhrs bei den Neuankömmlingen.

"Komm, schauen wir, was los ist."

Er riss sich schon nach ein paar Schritten los, doch er folgte ihr.
 

Die beiden schlängelten sich zwischen den erwachsenen Todessern hindurch.

Als sie sehen konnten, was los war, stockte Ginny der Atem.
 

Bellatrix, Snape und Lucius Malfoy waren anscheinend gerade mit ihrem Meister zurückgekommen.

Sie sahen alle drei reichlich zerzaust aus.
 

Doch was Ginny noch viel mehr schockte, war Voldemort selbst.

Er lag am Boden, mit geschlossenen Augen, und rührte sich nicht.
 

Sie musste schlucken.

War er etwa-?
 

Snape trat zwischen Voldemort und die Todesser, die jetzt alle mehr oder weniger erschüttert auf ihn herabblickten.

"Er lebt noch", verkündete er. "Er ist in eine Art Koma gefallen. Wir bringen ihn jetzt auf sein Zimmer, dann werde ich versuchen, ihn aufzuwecken."

Eine Diagnose

Kapitel 17: Eine Diagnose
 

Snape blickte Ginny einen Moment durchdringend an. Sie nickte und ging langsam zu der Tür in Voldemorts Büro und öffnete sie.

Dann wandte sie sich um und sah Bellatrix mit Voldemort in den Armen auf sie zukommen. Bellatrix' Gesicht glühte förmlich. Auf der einen Seite konnte Ginny überwältigende Schmerzen erkennen, auf der anderen Seite jedoch etwas wie... Freude? Stolz? Zuneigung?

Dann fiel ihr Blick auf Voldemorts schlaffen Körper, den Bellatrix so vorsichtig trug, als wäre er aus Porzellan, und sie musste unwillkürlich lächeln. Die Todesserin schien für Voldemort mehr als nur Respekt und Verehrung aufzubringen.
 

Doch ein einziger Blick in Voldemorts Gesicht - Toms Gesicht - und das Lächeln war wie weggewischt. Ginny musste schlucken.

Fast sofort schüttelte sie energisch den Kopf und lotste Bellatrix in das kleine Büro, dass sie vor Wochen einmal auseinander genommen hatten. Snape und Malfoy senior redeten draußen lautstark auf die Todesser ein, die jetzt teilweise schon panisch wurden.
 

Sie trat zur Wand, legte ihre Hand darauf und wartete, bis die Steine geschmolzen waren. Dann trat sie in den kurzen Flur, gefolgt von Bellatrix, die die ganze Zeit über stumm geblieben war. Ungewöhnlich. Doch vielleicht brachte sie ihr Herr, leblos in ihren Armen, schon so durcheinander, dass sie es nicht mehr fertig brachte, Ginny anzufauchen.
 

Ginny trat zu der Tür, hinter der Voldemorts Zimmer liegen musste. Sie hatte, immer bedacht auf seine Warnung, dieses Zimmer nie betreten, geschweige denn einen Blick hineingeworfen.

Bellatrix blieb ungeduldig stehen und fuhr Ginny an, die nachdenklich die Tür musterte.

"Was ist los? Mach auf, Weasley! Er gehört ins Bett, und zwar jetzt!"
 

Ginny schluckte erneut, dann wandte sie sich kleinlaut zu der Todesserin um und meinte leise:

"Er hat gesagt, wenn ich in dieses Zimmer gehen will, wird es schmerzhaft werden."

Bellatrix schnaubte nur.

"Schlimmer als sein Cruciatus kann es nicht sein. Jetzt mach schon! Oder... hat er dich nie von seinem süßen Schmerz kosten lassen?"

Ihre Augen blickten verträumt auf das Antlitz ihres Gebieters. Sie schien es immer noch nicht fassen zu können, ihn tragen zu dürfen.
 

Ginny erwiderte das Schnauben.

"Oh doch, er hat. Und ich habe keine Lust, das nochmal zu erleben!"

Bellatrix hob den Blick und feixte.

"Feigling!", zischte sie.
 

Ginny schnappte nach Luft. Und legte eine Hand auf die Türklinge.

Sofort zischte ein brennender Schmerz ihren Arm entlang und fraß sich durch ihren ganzen Körper. Sie schrie auf. Es war nicht so schlimm wie ein Cruciatus von Voldemort persönlich, doch an einen Bellas reichte es durchaus heran.

Ginny kniff die Augen zusammen, während sie mühsam ihre Tränen herunter zu schlucken versuchte. Bellatrix sollte sie nicht weinen sehen. Doch die Tränen kamen - unaufhaltsam.

Ginny kniff die Augen noch fester zusammen und keuchte auf; dann war es plötzlich vorbei.
 

Blinzelnd sah sie auf. Bellatrix steckte gerade ihren Zauberstab wieder ein.

"Ein einfacher Fluchumkehreffekt. Wie langweilig."
 

Ginny holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Noch immer schmerzte ihr ganzer Körper.

"Einer alleine hätte es nicht geschafft. Er hat wohl damit gerechnet, dass außer mir hier niemand herkommen würde."

"Wahrscheinlich."
 

Die beiden sahen sich einen Moment lang an, dann zuckten sie zusammen und sahen rasch woanders hin. Waren sie gerade etwa einer Meinung gewesen?
 

Ginny öffnete die Tür und trat ein. Bellatrix folgte ihr kopfschüttelnd. Sie standen in einem gemütlichen Schlafzimmer, dem Ginnys sehr ähnlich.

Der Boden war mit grünen Teppichen ausgelegt, in einer Ecke brannte in einem grün gekachelten Kamin ein warmes Feuer. Einen Großteil des restlichen Platzes nahm ein gewaltigen Himmelbett aus Ebenholz ein, mit silbernen Intarsien und grünen Seidenvohängen.
 

Bellatrix drängte sich an ihre vorbei und legte Voldemort sanft in die ebenfalls grünen Kissen. Dann richtete sie sich auf.

"Wir brauchen Snape. Wir müssen wissen, was ihm fehlt. Hol ihn!"
 

Ginny nickte ohne nachzudenken und lief zurück in die Halle. Snape und Lucius Malfoy saßen zusammen in der Mitte des langen Tisches, um sie herum eine wild schnatternde Traube schwarz gekleideter Gestalten.

Ginny blieb am Eingang des Büros stehen. Sie hatte absolut keine Lust, dorthin zu gehen.

Rasch schloss sie die Augen und konzentrierte sich.
 

Ein wirrer Haufen fremder, wilder, kühner und entsetzter Gedanken schien auf sie zuzustürmen, doch sie ignorierte ihn, so interessant der eine oder andere Fetzen auch sein mochte. Sie suchte nach einer Person ohne Gedanken. Sie brauchte eine Weile, um Snape zu finden. Die ungestümen Gedanken der anderen schoben sich immer wieder vor ihn, so dass er perfekt in der Menge untertauchte.
 

Doch schließlich schaffte sie es, ihm eine kurze Botschaft zukommen zu lassen.

'Sie können den Lord jetzt untersuchen. Bitte kommen Sie, Professor.'

Snape hob den Kopf und blickte Ginny durch den Trubel aus schwarzen Umhängen fragend an. Sie nickte leicht.
 

Er stand sofort auf, wimmelte ein paar hartnäckige Todesser ab und folgte Ginny durch das Büro in Voldemorts Zimmer. Er untersuchte seinen Meister oberflächlich, fühlte den Puls und die Atmung, prüfte seine Temperatur, blickte in seinen Hals.
 

Dann richtete er sich stirnrunzelnd auf und wandte sich Ginny und Bellatrix zu, die sich auf der anderen Seite des Bettes feindselig anschwiegen.

"Bis jetzt ist alles in Ordnung mit ihm. Ich habe noch nichts gefunden, was die Ohnmacht erklärt. Miss Weasley, darf ich den Brautisch drüben im Arbeitszimmer benutzen? Ich muss sein Blut untersuchen. Vielleicht finde ich da die Lösung."

Ginny nickte rasch. Snape wirbelte auf dem Absatz herum und marschierte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer.
 

Kurz darauf kam er wieder, eine große Spritze in der Hand. Ohne viel Federlesen entnahm er seinem Meister an einer Vene am Handgelenk soviel Blut, bis die Spritze gefüllt war. Es schimmerte stellenweise silbern, war ansonsten jedoch dunkelrot und flüssig, wie es sein sollte.

Er runzelte die Stirn, begutachtete das Blut einen Moment und verließ das Zimmer dann ohne ein weiteres Wort.
 

Bellatrix wanderte um das Bett herum, von Ginny weg, und ließ sich auf der anderen Seite auf dem Bettrand nieder. Als sie Voldemorts bleiches Gesicht betrachtete, schlich sich wieder der träumerische Ausdruck auf ihr Gesicht, und sie fuhr sachte mit einem Finger über die langfingrige, dünne Hand.
 

Ginny ließ sich misstrauisch auf der anderen Bettseite nieder und musterte die Todesserin. Und plötzlich wusste sie, was das alles zu bedeuten hatte.
 

Ihre bedingunslose Verehrung Voldemorts, ihre Hingabe an den dunklen Orden, ihre offenkundliche Feindseligkeit Ginny gegenüber, immer stärker werdend, je mehr Voldemort Ginny schützte, ihre Intrigen, Ginny aus dem Weg zu schaffen... jetzt verstand Ginny, warum Bellatrix das alles tat.

Sie liebte ihn!
 

Ein unerwartetes Stechen durchzuckte Ginnys Körper. Ihr wurde heiß. Irgendwie gefiel ihr die Vorstellung von Bellatrix mit Voldemort nicht. Wieso Bellatrix? Wieso nicht...?

Sie blickte verwirrt zu Bellatrix hinüber. Sie wurde doch nicht etwa eifersüchtig?
 

Rasch schüttelte sie den Kopf und blickte auf Voldemort hinunter. Tom, verbesserte sie sich in Gedanken. Das klang viel netter, fand sie. Er sah aus, als wäre er gerade erst eingeschlafen.

Doch sein Gesicht war so leichenblass... Er würde doch nicht etwa...?
 

Vorsichtig griff Ginny nach seinem Handgelenk und fühlte den Puls. Erleichtert atmete sie aus. Regelmäßig. Langsam zog sie die Hand zurück und betrachtete sein Gesicht. Eigentlich war er schon immer so blass gewesen, dachte sie. Aber warum fiel es ihr dann so auf? Hatte er vielleicht in den letzten Wochen ein wenig Farbe bekommen, so langsam, dass sie es nicht bemerkt hatte?
 

Bevor sie lange darüber rätseln konnte, ging die Tür auf und Snape trat ein. Er schüttelte verwirrt den Kopf, als Ginny und Bellatrix erwartungsvoll zu ihm aufblickten.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in Ginny breit. Es war doch hoffentlich nichts ernstes?
 

Snape holte tief Luft, dann meinte er unbewegt: "Mit seinem Blut ist alles in Ordnung. Es ist, mal abgesehen davon, dass er im Koma liegt, körperlich kerngesund."
 

Ginny und Bellatrix tauschten verwirrte Blicke, und Bellatrix fragte gepresst: "Aber warum liegt er dann im Koma?"

Snape zuckte die Schultern.

"Vielleicht ist seine Seele angegriffen worden, oder sein Gedächtnis. Jedenfalls nichts, was man von außen sehen könnte."
 

"Aber", erwiderte Ginny. "Was können wir dann tun?"

Snape schüttelte müde den Kopf.

"Gar nichts. Wir müssen warten, bis er von selbst wieder zu uns kommt."

Alleine

Kapitel 18: Alleine
 

Ginny blickte ausdruckslos in Voldemorts blasses Gesicht, als Snape wieder sprach.

"Wir müssen ihn so lange bei Kräften halten, bis er wieder aufwacht. Miss Weasley, können Sie Stärkungstränke brauen?"

Ginny reagierte nicht. Immer noch musterte sie Voldemort.
 

Snape zog eine Augenbraue hoch.

Natürlich hatte er bemerkt, dass Ginny neben Nagini zu Voldemorts Augapfel geworden war. Doch dass sie schon so abhängig von ihm war, überraschte ihn schon ein wenig.

Andererseits, so verwunderlich war es gar nicht. Er war der einzige der Todesser, der von sich aus mit Ginny redete, außer Bella.
 

Aber Bella konnte mal nicht gerade als Ginnys Umgang bezeichnen. Die zwei Frauen hatten sich schon ein paar Mal gegenseitig aufs Übelste verhext, Ginny hätte es beinahe das Leben gekostet.

Und er war meistens in Hogwarts, unterrichtete, organisierte, spionierte und unterhielt sich stundenlang mit Dumbledores Portrait. Eine ermüdende Angelegenheit. Dumbledore hatte doch tatsächlich geglaubt, dass er ihn umgebracht hatte, um ihm weitere Qualen zu ersparen. Naiver Trottel.
 

Also blieb Ginny nur Voldemort.

Sie hatte es im Lauf der Wochen sogar geschafft, seinen letzten Rest Menschlichkeit zusammen zu kratzen, bis er auf die eine oder andere Folter verzichtet hatte und sich stattdessen von ihm Veritaserum besorgt hatte. Er musste angenommen haben, dass Snape nicht weiter darüber nachdenken würde, doch er hatte keine Ahnung, dass Snape ihn in den Kerkern gesehen hatte, bei der Vernehmung seiner Gefangenen.
 

Und jetzt saß Ginny neben Voldemort und konnte den Blick nicht von ihm lassen. Sie war blass und biss sich auf die Lippe. In ihren Augen spiegelte sich ein sorgenvoller Ausdruck.
 

Snape seufzte, dann versuchte er es noch einmal, diesmal mit mehr Nachdruck:

"Ginny! Kannst du Stärkungstränke brauen?"

Sie schreckte hoch.

"J-ja", stotterte sie ein wenig aus dem Konzept gebracht. "Aber seit wann duzen Sie mich? Hab ich Ihnen das erlaubt?"
 

Ein freches Funkeln erhellte einen Moment ihre Augen. Snape zuckte zurück. Was zur Hölle bildete die Göre sich ein? Er holte tief Luft, um sie nicht anzuraunzen, wie er es als ihr Lehrer sicher getan hätte. Doch das hier war nicht seine Schülerin. Jedenfalls nicht direkt. Er überlegte fieberhaft, was er sagen sollte.
 

Ginny blickte Snape verängstigt an. Er war kurz vor der Explosion, das sah sie ihm trotz seine Maske an. Eine Ewigkeit schien zu vergehen. Doch dann - Ginny traute ihren Augen kaum - rang es sich eine Grimasse ab, die wohl ein Lächeln darstellen sollte, und streckte ihr die Hand hin.
 

"Gestatten, Severus."

Einen Moment lang blickte Ginny ihn ungläubig an, dann lächelte sie breit und schüttelte die Hand.

"Ginevra, oder Ginny. Ist mir ein Vergnügen."
 

Severus' Gesicht wurde sofort wieder ernst.

"Also, kannst du einen Stärkungstrank sicher brauen?"

"Ja. Aber wieso machen Sie - machst du das nicht selber?"

"Ich bin doch die meiste Zeit in Hogwarts, schon vergessen?"

Ginny begriff.

"Ach so! Ich hab ganz vergessen, dass die Stärkungstränke nur einen Tag haltbar sind!"
 

Er nickte knapp.

"Ansonsten müsste er alleine klar kommen, bis er wach wird. Aber dann müsst ihr aufpassen."

"Wir?"

"Du und Bella. Sie wird nicht von seiner Seite weichen, also werdet ihr ihn zusammen wieder aufpäppeln müssen."
 

"Und wieso müssen wir aufpassen?"

"Du müsstest ihn mittlerweile eigentlich gut genug kennen. Glaubst du, es wird ihm gefallen, wenn er vor Schwäche ans Bett gefesselt ist?"

"Nein."
 

Ginny wurde jetzt erst das Ausmaßes seines Problems bewusst.

"Denkst du, er wird rückfällig, wenn er zu früh aufsteht?"

"Ja. Je länger er schläft, desto schwächer wird er. Er isst ja nichts. Ihr müsst ihn also aufpäppeln, wenn er aufwacht. Das wird ihm gar nicht passen."
 

Sie lächelte schwach.

"Damit werde ich schon fertig."

Er zog missbilligend eine Augenbraue in die Höhe.

"Bist du sicher?"

Sie winkte ab.

"Ich hab bis jetzt noch alle seine Wutanfälle überlebt."

Severus brummelte etwas unverständliches.
 

"Pass auf dich auf", meinte er im Hinausgehen. "Den Trank braucht er zweimal am Tag, abends stärker."

Sie nickte.

Er trat hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.

Ginny sah zu Bellatrix. Sie schien sich keinen Zentimeter gerührt zu haben.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Die folgende Woche über herrschte zwischen Bellatrix und Ginny ein unausgesprochener Waffenstillstand. Sie hielten abwechselnd Wache an Voldemorts Bett, damit sie ihn, wenn er aufwachte, davon abhalten konnten, sofort aufzustehen.

Ginny braute ihm jeden Morgen und jeden Abend einen Stärkungstrank und flößte ihn ihm verdünnt ein - Voldemort brauchte auch Wasser.

Bellatrix hatte die Nachtwachen übernommen und Ginny die tagsüber.
 

Während den langen Stunden an seinem Bett versuchte sie immer wieder, für die Schule zu lernen, doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder wanderte ihr Blick zu Voldemorts leichenblassem Gesicht. Manchmal betrachtete sie es eine Stunde oder länger, bis sie endlich den Blick abwenden konnte.
 

Nach ein paar Tagen machte sie sich nichts mehr vor. Sie vermisste ihn.

Er hatte sie Tag für Tag gegen Bella verteidigt, ihr den ein oder anderen Kniff beim Zaubern beigebracht. Er hatte mit ihr geredet. Er hatte zugehört, als sie sich wieder einmal ihr schlechtes Gewissen gegenüber ihren Freunden von der Seele gejammert hatte. Er hatte ihr ab und zu einen Aufsatz korrigiert und ihr beim Lernen geholfen. Und er hatte ihr erlaubt, mit einem Zauberstab frei durch sein Versteck zu wandern.
 

Er hatte sich wirklich nicht wie der grausame Dunkle Lord verhalten, als den ihn immer alle bezeichneten und den sicher auch die Mehrzahl der Todesser in ihm sah. Nein, zu ihr war er anders.

Nett. So unglaublich das bei einem Lord Voldemort auch klang.
 

Doch halt - rief sie sich in Erinnerung - das war nicht nur Lord Voldemort. Das war Tom.

Ihr Tom. Der Tom, dem sie schon vor Jahren ihr Herz ausgeschüttet hatte. Gut, er hatte sie zwar dazu benutzt, einen Basilisken frei in Hogwarts herumlaufen zu lassen, doch vor allem hatte er ihr zugehört. Sie getröstet.
 

Sie hatte von Harry Jahr für Jahr gesagt bekommen, dass Tom Voldemort war und damit böse, doch sie hatte es nie wirklich glauben können. Und jetzt, wo sie wusste, dass es stimmte, war er auch in seiner jetzigen Gestalt als Voldemort nett zu ihr.
 

Gut, zu Anfang war er noch leicht zu reizen gewesen, doch mit der Zeit hatte sie ihre Angst vor ihm verloren und sich an ihn gewöhnt. Sie hatte sogar begonnen, ihn zu mögen.
 

Und jetzt war er einfach ins Koma gefallen, ohne sich um sie zu kümmern. Er hatte sie alleine gelassen.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Ginny schluckte und ließ sich auf seiner Bettkante nieder. Wieder einmal war sie mit Wache halten an der Reihe.

Bellatrix war gerade gähnend gegangen, die beiden hatten sich kurz zugenickt.
 

Ginny zog eine Flasche mit einer hellroten Flüssigkeit heraus und zog den Korken heraus. Der Stärkungstrank für Voldemort.

Sie beugte sich über ihn, legte eine Hand in seinen Nacken und setzte mit der anderen die Flasche an seine Lippen. Sie zog den Kopf nach hinten, so dass sein Mund aufging. Langsam flößte sie ihm den Trank ein.

Zuerst hatte sie Angst gehabt, ihm den Trank in die Lunge zu kippen, doch zum Glück schien er zumindest noch so weit wach zu sein, dass er automatisch schluckte.
 

Als die Flasche leer war, verharrte Ginny kurz in dieser Position. Sie konnte die Haut an seinem glatten Hinterkopf fühlen. Sie war ungewöhnlich kalt, doch Ginny schob es auf den gedrosselten Blutkreislauf. Nichts ernstes. Vorsichtig strich sie darüber. Wie glatt die Haut war...
 

Im gleichen Augenblick erschrak sie über sich selbst. Was bei Merlins Unterhosen tat sie da?!

Rasch zog sie ihren Arm hervor, ließ seinen Kopf wieder in die Kissen sinken und krabbelte rückwärts von seinem Bett.
 

Noch bevor sie sich wieder beruhigt hatte, leuchtete ihr Zauberstab auf und begann zu summen.

Sie schnappte ihn sich, schwang ihn einmal, um ihn zum Schweigen zu bringen, und trat dann kopfschüttelnd über sich selbst in den Flur, wo sie die Steinmauer wegschmolz.
 

Sie hatte den Alarmzauber von Bellatrix gelernt, die ihn ihr empfohlen hatte, wenn sie gerade verhindert war und trotzdem wissen wollte, ob Voldemort aufgewacht war.

Ginny jedoch hatte ihn auf das kleine vordere Büro angewandt, um zu wissen, wann jemand auf der anderen Seite der Wand stand und etwas von ihr wollte.
 

Als sie durch den Durchgang trat, stand sie Draco gegenüber. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

"Was willst du?"

Sie sah, wie er etwas sicher nicht Nettes erwidern wollte, sich jedoch mit Mühe zurückhielt und nur heraus presste:

"Darf ich den Lord sehen?"
 

Ginnys Gesicht zeigte keine Regung.

"Warum?"

Draco druckste etwas herum, zu leise, das sie es hätte verstehen können. Ein leises Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht.

"Schon okay. Komm mit. Aber rühr nichts an, verstanden?"

Er nickte hastig und schien schon wieder einen frechen Kommentar herunter zu schlucken. Ginny lächelte weiter. Draco war noch ganz der Alte, im Gegensatz zu ihr.
 

Als Draco seinen Meister erblickte, schwankte er und wurde blass.

"Es... es hat sich nichts getan? Er liegt immer noch im Koma?", flüsterte er entsetzt.

Ginny nickte und ließ sich auf einem Stuhl am künstlichen Fenster nieder, an einem kleinen Tisch, auf dem ein Haufen Schulstoff lag. Sie lächelte entschuldigend.

"Ich sitze nur hier für den Fall, dass er aufwacht. Wenn du hier bleiben willst - setz dich irgendwo hin und stör mich nicht."
 

Draco nickte schwach und setzte sich in einen Sessel neben dem großen Himmelbett, auf dem nachts immer Bellatrix Wache hielt. Stille breitete sich aus.

Ginny senkte rasch den Kopf und konzentrierte sich auf ihren angefangenen Aufsatz. Sie wusste, dass Draco sie genauso beobachtete wie Voldemort. Wie würde das denn aussehen, wenn sie stundenlang Voldemort anstarrte?
 

Verbissen arbeitete sie sich durch ein kompliziertes Kapitel von Verwandlungszaubern, mit denen man sich selbst unsichtbar machen konnte. Als sie nach einer Ewigkeit aufblickte, saß Draco immer noch in dem Sessel und blickte nachdenklich ins Leere. Ihr Magen grummelte, sie warf einen Blick auf die Armbanduhr.

"Draco, wir sitzen jetzt schon den ganzen Tag hier. Wir haben doch glatt das Mittagessen vergessen!"

Draco zuckte nur mit den Schultern.
 

Ginny rollte das Pergament zusammen und stand auf. Rasch lief sie ins Nebenzimmer und holte den Rest des Stärkungstranks, den sie heute morgen gebraut und in eine Flasche umgefüllt hatte.

Wieder setzt sie sich auf den Bettrand, stützte Voldemorts Kopf und flößte ihm den Trank ein. Als er ausgetrunken hatte, ließ sie ihn sofort wieder los.
 

Draco schnaubte.

"Wenn er bei Bewusstsein wäre, dann würde er dich dafür umbringen, kleine Blutsverräterin!"

Ginny zuckte zurück. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und ihre Hand tastete nach ihrem Zauberstab.

"Wofür?", wollte sie gefährlich zischend wissen.

"Dafür, dass du ihn angefasst hast", gab Draco naserümpfend zurück.
 

Ginny zog den Zauberstab.

"Raus hier, oder ich sag ihm, wie du mich nennst, solange er dich nicht hören kann."

Ihre Stimme war plötzlich wieder ruhig geworden, doch in ihr brodelte es. Lernte der Bengel es denn nie?

Draco wurde eine Nuance blasser, und er stammelte: "D-das tust d-du nicht."

Ginny lächelte, und dieses Lächeln war einfach nur böse.
 

"Oh doch, das tue ich. Und wenn du nicht auf der Stelle verschwindest, steck ich es auch deinem Vater."

Draco sprang wie von der Tarantel gestochen auf.

"Nein!", rief er und stürmte nach draußen in den Flur.
 

Ginny wartete ab. Nach einer Minute kam er wieder herein, mit hängenden Schultern.

"Mach dir Tür auf, b- bi... bitte."

Sie hörte, wie viel Überwindung es ihn kosten musste, sie um etwas zu bitten. Sie schenkte ihm ein strahlendes, aber immer noch böses Lächeln.

"Aber immer doch."
 

Sie stolzierte zur steinernen Mauer und legte ihre Hand darauf. Sofort verschwanden die Steine unter ihren Fingern. Draco seufzte.

"Bei dir sieht es so einfach aus..."

"Tja, aber die Tür erkennt dich eben nicht. Pech."

Draco suchte das Weite, kaum dass der Weg soweit offen war, dass er durch passte.

Ginny grinste.
 

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Als Ginny in dieser Nacht zu Bett ging, konnte sie lange nicht schlafen. Immer wieder geisterte ihr die Szene von heute morgen vor, als sie Voldemort über den Kopf gestrichen hatte. Was war nur los mit ihr? Ihr Herz schlug schneller, als sie daran zurückdachte, und das Blut stieg ihr in den Kopf. Sie hoffte, wo auch immer Voldemorts Seele gerade steckte, dass er es nicht mitbekommen hatte. Ansonsten hätte sie sicher ein Problem.
 

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Als Ginny Bellatrix am nächsten Morgen von der Wache ablöste und nach draußen brachte, meinte diese müde:

"Es sieht gut aus. Er hat von alleine den Kopf bewegt, als würde er nur schlafen."

"Echt?", rief Ginny aufgeregt. "Soll ich Sie holen, wenn er aufwacht?"

Bellatrix nickte und ging nach draußen.
 

Ginny holte aus dem Arbeitszimmer eine Ladung frisch gebrauten Stärkungstrank, da kam Severus herein.

Er hatte es geschafft, den Zauber der Wand zu entschlüsseln und die Wand dazu gebracht, ihn zu erkennen. Ginny machte sich deswegen keine Sorgen. Severus war so verschwiegen, dass er niemandem etwas davon erzählen würde.

"Morgen, Ginny."

"Guten Morgen!", lächelte sie und betrat mit der Flasche in der Hand Voldemorts Schlafzimmer.
 

Er lag immer noch starr auf dem Rücken, doch sein Kopf war jetzt zur Seite gerutscht. Ginnys Herz schlug unwillkürlich schneller, als sie sich vorstellte, dass er jeden Moment aufwachen konnte.

Hinter ihr betrat Severus den Raum.

Sie ging um das Himmelbett herum, setzte sich auf den Bettrand und entkorkte die Flasche. Dann stützte sie Voldemorts Kopf wie üblich und gab ihm den Stärkungstrank zu trinken.
 

Sie spürte Severus' Blick in ihrem Rücken. Sofort erinnerte sie sich wieder an den gestrigen Morgen und wurde verlegen. Sie hoffte, dass er gerade keine Gedanken lesen würde.

"Doch", erklang seine Stimme hinter ihr.
 

Ginny zuckte fürchterlich zusammen. Zum Glück war der Stärkungstrank schon leer. Sie krabbelte schnell vom Bett und funkelte Severus wütend an.

"Musste das sein?"

Severus zuckte die Schultern.

"Ich will bei jedem, der den dunklen Lord berührt, die Gedanken hören. Diejenigen, die sich ekeln, sind Verräter oder aber nicht mit dem Herzen bei der Sache."
 

Ginny spürte, wie ihr schon wieder das Blut in den Kopf schoss. Um Severus' Mund spielte der Hauch eines Lächelns.

"Pass auf deine Gefühle auf. Du willst doch nicht wie Bella enden, oder?"

Jetzt wurde Ginny wirklich knallrot. Ihr Herz pochte viel zu schnell.

"Raus!", zischte sie gefährlich. "Sofort!"
 

Sie zog ihren Zauberstab. Severus zog nur eine Augenbraue hoch.

"Du willst dich doch nicht ernsthaft mit mir duellieren, oder?"

Ginnys Blick wurde nur noch wilder.

"Wenn es sein muss, ja. Also, verschwinde!"

Er lächelte wissend.

"Mach dir keine Hoffnungen. Wenn er aufwacht, wird er dich nicht mehr in seine Nähe lassen."
 

Ginnys Wut platzte. Mit einem blitzschnellen Schlenker ihres Zauberstabs schoss sie ein paar Flederwichte ab, die um Severus herum flogen und sich in seine Haare krallten und sein Gesicht zerkratzten. Er zischte wütend und verließ den Raum.
 

Ginny ließ sich kraftlos auf den Bettrand zurücksinken. Nachdenklich betrachtete sie Voldemorts blasses, im Schlaf fast friedliches Gesicht.

Stimmte es, was Severus sagte? Würde sie eines Tages wie Bella enden? Für Voldemort morden und foltern, nur um ab und an ein kleines Lob oder ein Lächeln einzuheimsen?
 

Sie schüttelte sich. Nein. Das würde sie garantiert nicht tun. Nichts und niemand konnte sie dazu zwingen, ein blutrünstiger Todesser zu werden.

Sie strich über Voldemorts leblose Finger, die locker auf der Bettdecke lagen. Sie waren wärmer, als sein Kopf es gestern gewesen war.
 

Ginny seufzte. Jetzt lag er schon zehn Tage hier. Sie hatte einmal gelesen, dass ein Mensch höchstens drei Wochen ohne etwas zu essen auskommen konnte. Mit dem Stärkungstrank waren es wahrscheinlich vier, doch er konnte Nahrung nicht wirklich ersetzen. Voldemort musste bereits an seine letzten Energiereserven gegangen sein. Er hatte ja schon vorher nichts zuzusetzen gehabt.
 

Vorsichtig nahm sie seine Hand in ihre. Ein warmes Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus, als er im Schlaf den Händedruck erwiderte und ein Lächeln stahl sich wie von selbst auf Ginnys Gesicht.
 

Lange saß sie so da und blickte ihm einfach nur ins Gesicht. Doch irgendwann ließ Voldemort ihre Hand wieder los, seine Finger hingen wieder leblos in ihren.

Ginny fühlte sich, als hätte sie etwas sehr wichtiges verloren, und sie drückte seine Hand nur um so fester.
 

Sie dachte das erste Mal dran, dass er vielleicht gar nicht mehr aufwachen könnte. Die Vorstellung klammerte sie wie eine eisige Hand um ihr Herz.
 

"Bitte geh nicht wieder", flüsterte sie. "Bleib bei mir, Tom. Ich brauche dich."
 

Ginny beobachtete ihn voller Sorge.

So langsam, dass sie es gar nicht merkte, wurde seine Hand wärmer. Auch sein Gesicht gewann einen Hauch Farbe.

Nach einer Ewigkeit, so schien es ihr, rührte er sich das erste Mal. Seine Finger zuckten in ihrer Hand. Ginnys Herz machte einen Hüpfer. Ihre Finger krallten sich fest um seine.
 

"Bitte, komm zurück", meinte sie leise. "Bitte, Tom! Komm zu mir zurück!"
 

Ein schwaches Stöhnen kam aus seinem Mund. Langsam, sehr langsam, begann er zu blinzeln. Ginny schnappte nach Luft. Ihr Herz pochte schon wieder schmerzhaft gegen ihre Rippen.

"Tom!"
 

Sein Kopf rutschte auf seine Schulter, als er die Augen öffnete und Erkennen in ihnen aufblitzte, während er Ginny musterte.

Ginny schrie auf und fiel ihm um den Hals. "Du bist wieder da!"

Irgendwo im Nirgendwo

Kapitel 19: Irgendwo im Nirgendwo
 

Tom schwebte. Ein helles, warmes Licht umhüllte ihn und strahlte ihn von allen Seiten an, sodass es keine Schatten gab.

Wärme floss durch seinen ausgemergelten Körper und erstickte alle Gefühle und Gedanken.
 

Er seufzte und ließ sich im Licht treiben.

Es war vollkommen still, doch er brauchte keine Geräusche.

Hier fühlte er sich wohl.

Hier wollte er bleiben.
 

Nach einem Moment, oder einer Ewigkeit, er konnte es nicht sagen, wurde sein Kopf von etwas kaltem, hartem aus seiner liegenden Position gehoben.

Oder kam es ihm nur so kalt und hart vor, weil alles um ihn herum weich und warm war?
 

Sein Mund öffnete sich ohne sein Zutun und ein Strom flüssiger Kälte rann ihm die Kehle hinab.

Er erschrak und schluckte unwillkürlich, damit seine Luftwege frei blieben.

Die Eiseskälte breitete sich von seinem Bauch in jeden Winkel seines Körpers aus und ließ ihn schaudern.
 

Plötzlich ertönte ein Schrei und durchbrach die Stille mit brachialer Gewalt.

Tom zuckte zusammen.

Der Schrei klang unmenschlich und gequält, durchdringend wie ein Schwert fuhr er in ihn.
 

Doch gleich darauf wurde er sich bewusst, dass der Schrei von ihm kam.

Er hatte den Mund geschlossen - und dennoch ging das kreischende Wimmern von ihm aus.

Und er konnte es nicht zum Schweigen bringen.
 

Die Kälte hob seinen Körper für eine Weile von der Umgebung ab, hob in heraus aus der Wärme, mit der er so gerne eins gewesen wäre - dann wurde das Licht stärker und wärmte ihn, zog ihn zurück in seinen Bann - und er ließ es geschehen.

Der Schrei verstummte.
 

Er hatte sich gerade wieder soweit aufgewärmt, dass er die selbe Temperatur wie die Umgebung besaß, da stützte ihn erneut das kalte, harte Irgendwas im Hals und flößte ihm die Kälte ein.

Wieder schluckte er das flüssige Eis, ließ es seinen Körper zum Frieren und Schreien bringen, weil ihm nichts anderes übrig blieb.
 

Er hatte sich noch kein einiges Mal gerührt, seit - ja, seit wann eigentlich? Es schien, als wäre er schon ewig hier und bemerkte es erst jetzt.
 

Wieder ließ ihm die kalte Gewalt Zeit, sich aufzuwärmen, bevor sie ihn erneut dieser Qual unterzog.

Doch diesmal spürte Tom einen kleinen Unterschied.

Die Kälte in seinem Nacken hatte nachgelassen, die Flüssigkeit jedoch war noch immer eisig.
 

Durch den Schrei hindurch spürte Tom zum ersten Mal etwas.

Einen schneidenden Schmerz, der überall und nirgendwo herrührte.
 

Er fühlte sich, als habe er etwas sehr wichtiges verloren, fast wie einen Teil seiner Selbst, bevor die Wärme und das Licht es schafften, ihn wieder einzulullen und ihn alles vergessen zu lassen, was er soeben erlebt hatte.
 

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Wieder und wieder riss ihn die Kälte aus der warmen Versenkung, jedes Mal wurde der Schmerz und das Gefühl des Verlustes stärker.
 

Doch die Wärme brachte ihm weiches, helles Vergessen, sodass es für ihn jedes Mal das erste Mal war, dass er die Kälte, den Schrei und den Schmerz spürte.
 

So bemerkte er auch nicht, dass die Wärme langsam, aber sicher, abkühlte und das Licht dunkler wurde, während die flüssige Kälte und das harte Ding in seinem Nacken ebenso langsam auftauten.
 

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Nach einer Ewigkeit waren das Dämmerlicht um ihn herum und die Flüssigkeit, die ihm eingeflößt wurde, gleich warm.
 

Mit einem Schlag konnte er wieder klar denken.

Er erinnerte sich immer noch nicht, wie er hierher gekommen war, doch er konnte sich jetzt an alle Male erinnern, in denen die Kälte ihn aus seiner Versenkung gerissen hatte.
 

Noch immer schwebte er, doch er fand es nicht mehr gemütlich.

Jetzt, wo es immer kälter und dunkler um ihn wurde, schenkten die Flüssigkeit und seine Nackenstütze ihm wertvolle Wärme und Geborgenheit.
 

Wann immer er den überall brennenden Schmerz verspürte, wollte er mit aller Kraft den Mund aufreißen und in den Schrei aus dem Nirgendwo in seinem Inneren mit einstimmen, doch noch hatte das vergessen machende Licht Macht.

Es drückte seinen Mund mit aller Gewalt zu und fesselte ihn so vollkommen in seinen dunklen Strahlen, dass er sich nicht rühren konnte.
 

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Bald war es um Tom herum so kalt und dunkel, dass er sich nach der nächsten Berührung dieses Etwas in seinem Nacken und der nächsten Portion der nun wärmenden Flüssigkeit sehnte.
 

Unterdessen hielten seine Schmerzen an, anstatt mit der Flüssigkeit zu kommen und zu gehen.

Im Gegenteil, die Flüssigkeit milderte die Schmerzen und die warme, weiche Stütze in seinem Nacken spendete ihm Trost.
 

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Nach einer kleinen Ewigkeit - er schien nun in einer eisigen Nacht zu baden - wehte plötzlich ein einziger Gedanke in seinen leeren Kopf, als er sich gegen das warme Etwas an seinem Kopf lehnte.
 

Ginny.
 

Er wusste nicht, wer oder was diese Ginny sein sollte, doch er wusste, dass sie es sein musste, die ihm den Nacken wärmte und ihm mit dieser Flüssigkeit Hoffnung gab.
 

Als schien sie darauf gewartet zu haben, dass ihm dieser Name in den Sinn gekommen war, strich die weiche Wärme in seinem Nacken sanft über seinen Kopf.

Er entspannte sich.

Es war ein willkommenes und schönes Gefühl, hier in diesem Meer aus Eis und Schmerz.
 

Doch ganz plötzlich verschwand die Wärme, verschwand Ginny, und er sank in die Dunkelheit zurück.
 

Wenn er den Mund aufbekommen hätte, hätte er sie angefleht, ihn nicht immer wieder liegen zu lassen, ihn mitzunehmen, ihn aus seinem Gefängnis zu holen.

Er versuchte verzweifelt, auf sich aufmerksam zu machen.
 

Nach einer weiteren Ewigkeit, so schien es ihm, hatte er dem schwarzen Licht seinen Kopf kurz entrissen, doch mehr, als ihn zur Seite zu drehen, erlaubte die Kälte nicht.
 

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Zwei weitere Male kam Ginny noch und brachte ihm die Wärme, die er hier im Nirgendwo so brauchte, doch sie strich nicht wieder über seinen Kopf.

Tatsächlich wich sie vor ihm zurück, sobald er die Flüssigkeit geschluckt hatte.
 

Seine Hoffnung, dass sie ihn hier herausholen würde, schwand und vergrößerte seine Schmerzen nur noch.
 

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Doch dann, als er wieder einmal die Kälte in seinen Körper eindringen spürte, strich die Wärme über seine Finger.

Ginny hatte ihn also doch nicht hier in diesem Eismeer aus undurchdringlicher Schwärze vergessen!
 

Hoffnung durchströmte ihn und betäubte die Schmerzen, als Ginny sich um seine Finger klammerte und Wärme aussandte, durch seinen Arm in seinen ganzen Körper bis in sein Herz.

Er hatte bisher nicht einmal gewusst, dass er ein Herz besaß.
 

Er nahm seine ganze Kraft zusammen und entriss dem Dunkel seine Hand, die Ginny festhielt.

Er umklammerte die glühende Wärme, so fest es ging.
 

Sofort breitete sich eine Zufriedenheit in ihm aus, die er schon sehr lange nicht mehr gespürt hatte.

Die Schmerzen waren verschwunden.
 

Doch die Dunkelheit gab nicht auf.

Sie riss und zog unaufhörlich an ihm, bis er die Wärme loslassen musste und sie seine Hand wieder fesselte.
 

Ginnys Wärme schien sich zu schmälern, doch sie ließ nicht los.
 

Tom spürte, wie die Schmerzen leise wieder kamen.

Schwach zwar nur, doch er hatte mehr Angst als je zuvor, dass Ginny ihn liegen lassen könnte und er wieder in der Verzweiflung ertrank.
 

Doch das tat sie nicht.

Sie hielt ihn fester als zuvor, als wollte sie ihn nicht an das Dunkel verlieren.
 

Plötzlich hörte er, wie durch einen dichten Nebel gedämpft, eine helle, klare Stimme.

Ginny.

Sie klang leise und besorgt.
 

"Bitte geh nicht wieder", flüsterte sie. "Bleib bei mir, Tom. Ich brauche dich."
 

Sie brauchte ihn!

Freude durchströmte Tom wie ein frisch entfachtes Feuer, schmolz seine Schmerzen einfach und drängte das eisige Meer zurück.
 

Er hatte sie so lange gebraucht, und sie war wieder und wieder gekommen.

Und jetzt brauchte sie ihn!
 

Er musste zu ihr.

Unbedingt.

Und zwar jetzt sofort.
 

Er konnte sie nicht alleine lassen, wo sie ihm so lange geholfen hatte.

Er wollte bei ihr sein.
 

Sein Körper strahlte mehr und mehr Hitze ab, trieb das Dunkel zurück, löste seine Fesseln - und er fiel, fiel immer weiter, aus der Welt heraus...
 

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Mit einem Schlag kam er zur Ruhe. Wo zur Hölle war er?

Seine Lider waren so schwer, dass er sie nicht öffnen konnte, doch dahinter musste Helligkeit sein. Sie schien leicht durch.

Er lag mehr, als dass er saß, auf etwas, was Bett hieß, wie ihm einfiel. Sein Gedächtnis schien langsam zu ihm zurückzukehren.
 

Ein schwacher, blumenartiger Geruch stieg ihm in die Nase. Ein schöner Geruch.

Er bemerkte, wie sich eine andere Hand um die seine klammerte, ihre Fingernägel in seine Handfläche grub, dass es wehtat. Seine Finger zuckten unter dem neuen, wenn auch nicht sonderlich starken Schmerz. Ginny?
 

"Bitte, komm zurück", meinte die helle Stimme leise. "Bitte, Tom! Komm zu mir zurück!"

Die Nägel der Hand krallten sich noch stärker in seine Hand, doch der Schmerz machte ihm nichts aus. Er schoss heiß seinen Arm hinauf und machte ihn mit einem Mal wach. Leise seufzte er auf.
 

Langsam, um nicht vor Helligkeit geblendet zu werden, blinzelte er und öffnete die Augen.

Er lag in einem Bett - seinem Bett - und hielt die Hand eines Mädchens. Ihre langen, roten Haare fielen in losen Strähnen über ihre Schultern auf den Rücken.

Ihr Gesicht war unbestreitbar hübsch, in den braunen Augen blitzte ein wildes Funkeln auf, als sie ihn musterte. Ein Funkeln voller Freude und ... Hoffnung?
 

Plötzlich kam die Erkenntnis. Ginny. Sämtliche Erinnerungen strömten mit einem Schlag zurück in Toms Kopf. Jetzt erkannte er Ginny.
 

Doch noch bevor er irgendetwas tun konnte, war Ginny aufgesprungen und umarmte ihn. Tom zuckte zusammen, doch schon einen Moment später glitt der Hauch eines Lächelns über seine dünnen Lippen.

Neue Hoffnung

Kapitel 20: Neue Hoffnung
 

Als Ginny klar wurde, was sie gerade tat - Sie umarmte den Dunklen Lord! - wich sie mit pochendem Herzen zurück und lächelte ihn entschuldigend an.

Zu ihrer Überraschung sah er kein bisschen wütend aus, sie hätte sogar schwören können, dass er für einen kurzen Moment gelächelt hatte.

Ihr Herz pochte noch schneller.
 

Er hob eine Augenbraue und meinte spöttisch: "Harry hat mich nicht getötet, dafür gerade aber beinahe du."

Ginny zuckte zusammen und senkte den Kopf, doch ihr Herz beruhigte sich nicht. Im Gegenteil, sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg.

"Das... wollte ich nicht", flüsterte sie.

Verlegen rutschte sie vom Bett und lief nach draußen.
 

Auf Toms Gesicht erschien ein Lächeln, sobald sie außer Sicht war. "Nicht? Da bin ich aber froh...", murmelte er.
 

Ginny kam mit einem Stärkungstrank zurück und drückte ihn Tom in die Hand. Dabei vermied sie es, ihm in die Augen zu sehen. Einmal rot werden war schon schlimm genug.
 

Tom setzte sich mühsam auf und trank die Flasche aus. Er stellte die leere Flasche auf das Nachtkästchen und wollte sich aufrichten, da meinte Ginny: "Nein."

Er hielt inne. Sie schluckte, hob den Blick und sah ihn entschlossen an.

"Du bist zu schwach. Bleib im Bett."
 

Sofort senkte sie den Blick wieder. Sie war sich sicher, zu weit gegangen zu sein. Niemand duzte den Dunklen Lord ungestraft!

Doch Tom schnaubte bloß leise und fragte dann: "Wer hat dir erlaubt, mich zu duzen?"

Er klang nicht annähernd so scharf, wie sie es erwartet hatte. Sie schob es auf seine momentane Schwäche.
 

Vorsichtig hob sie den Blick und blickte in zwei rot glühende Augen, die sie nachdenklich musterten. Nicht zornig. Das gab ihr den Mut, zu antworten.

"Als du aufgewacht bist, hab ich dich auch schon geduzt und du hast dich nicht beschwert."
 

Sie schluckte, doch sie hielt den Blick. Wenn er vorher nicht auf sie losgegangen war, dann würde er es jetzt auch nicht tun.

Haltlose Überraschung erschien für einen Moment auf Toms Zügen, dann spielte der Hauch eines Lächelns um seine dünnen Lippen.

"Wohl wahr... Na gut, du darfst mich duzen, aber nur, wenn uns niemand hört."

Ginny nickte erleichtert.

"Danke", murmelte sie.
 

Nach eine Weile Stille versuchte Tom wieder, aufzustehen.

Ginny fauchte: "Hab ich dir nicht gesagt, dass du im Bett bleiben sollst?"

Voldemort fauchte mit rot blitzenden Augen zurück: "Seit wann bestimmst du, was ich tue oder nicht tue?"

Ginny antwortete ohne weiter nachzudenken. "Seit du zehn Tage lang im Koma lagst und komplett ausgehungert bist!"

Tom zuckte überrascht zurück.

"Zehn Tage?"
 

Er zog eine Grimasse.

Genau in diesem Moment rumorte sein Magen vernehmlich. Er lächelte einen Moment lang.

"Ginny, da du mir ja gerade Bettruhe verordnet hast, übertrage ich dir hiermit die Ehre, mir etwas zu Essen besorgen zu dürfen."

Ginny rief empört: "Ehre?"

Doch sie stand auf und gehorchte.
 

Als sie wenig später zurück kam, saß Tom mit verschränkten Armen und den Kissen im Rücken am Kopfende seines Bettes.

"Ah, da kommt ja meine Bedienung."

Ginny schnaubte bloß.

"Ich bin nicht deine Bedienung, Tom!"
 

Damit ließ sie den Teller fallen. Tom streckte blitzschnell eine Hand aus - der Teller stoppte im Fall kurz vor dem Boden und schwebte zu ihm aufs Bett.

Er schnalzte missbilligend mit der Zunge.

"Das war nicht sehr nett, Ginny."

Ginny zuckte bloß mit den Schultern.

"Ich bin nicht nett."
 

Sie setzte sich an den Tisch am Fenster, auf dem wieder ein Stapel Schulsachen lag. Sie sah ihm still beim Essen zu.

Als der Teller leer war, fragte sie leise: "Darf ich fragen, wieso du ins Koma gefallen bist?"

Tom zog eine Augenbraue hoch.

"Du darfst fragen. Willst du auch eine Antwort?"

Ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht, bevor es wieder ausdruckslos wurde. Ginny nickte verlegen.
 

Tom seufzte und lehnte sich zurück.

"Wir waren im Forest of Dean. Severus hat dort das Schwert von Gryffindor als Köder in einem Teich versteckt. Und Harry hat angebissen. Er ist aus seiner Deckung gekommen, hinter Severus' Patronus her, der ihn zu dem Teich geführt hat. Aber dann ist dein Bruder aufgetaucht. Ronald, nicht wahr?"

Ginny nickte stumm. Der Name versetzte ihr einen schmerzhaften Stich, doch sie ignorierte es.

"Lucius hat ihn mit einem Imperius belegt und dafür gesorgt, dass er nicht im Weg stand. Ich habe Harry von hinten angegriffen, als er gerade in den Teich springen wollte. Aber..."

Er brach ab.
 

Ginny schluckte.

"Aber was?", fragte sie leise.

"Der Todesfluch hat ihn getroffen, aber im selben Moment bin ich ohnmächtig geworden. Ich weiß nicht, was passiert ist."

Ginny nickte langsam.
 

Eine Weile herrschte Stille, dann ging die Tür zu Voldemorts Schlafzimmer auf und Severus trat ein. Er erstarrte und blieb im Türrahmen stehen.

"Mein Lord! Sie sind wach!"

Er fiel auf die Knie.
 

"Steh auf, Severus", meinte Voldemort. "Das ist nicht nötig, wenn wir unter uns sind."

Severus wirkte etwas verblüfft, gehorchte aber.

"Wann sind Sie aufgewacht?", wollte er wissen.

Voldemort meinte, ohne den Kopf zu drehen: "Ginny?"

Ginny warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

"Vor einer Stunde ungefähr", antwortete sie.
 

Severus warf ihr einen missmutigen Blick zu.

"Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?"

Ginny nickte mit dem Kopf zu Voldemort.

"Tut mir Leid, aber ich musste aufpassen, dass unser Patient im Bett bleibt."
 

Severus nickte besänftigt.

"Nicht so schlimm. Mein Lord, haben Sie schon etwas gegessen?"

"Ja."

"Und ihren Stärkungstrank genommen?"

Voldemort schnaubte.

"Du bist nicht meine Mutter, Severus!", fauchte er ungehalten und wollte aufspringen.
 

Als Severus stocksteif stehen blieb, zückte Ginny den Zauberstab und murmelte etwas. Voldemort wurde langsam in die Kissen zurückgedrängt.

"Verdammt, Ginny, lass den Unsinn!"

Er war jetzt wirklich wütend, woraufhin Ginny den Zauber nur noch verstärkte.
 

Severus nickte Ginny zu.

"Gute Idee. Wir sollten diesen Zauber halten, bis er wieder bei Kräften ist."

Voldemorts rote Augen weiteten sich ungläubig.

"WAS?! Kommt nicht in Frage! Niemals! Ich bin doch kein Invalide!"
 

Ginny spürte, wie etwas gegen ihren Zauber drückte. Sie verstärkte ihn, doch sie schaffte es nicht, ihn zu halten. Mit einer Hitzewelle sprengte Voldemort den Zauber. Ginny fiel rückwärts vom Stuhl und schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Sie schrie auf.
 

Mühsam versuchte sie, sich aufzurichten. Vor ihren Augen verschwamm alles, doch sie erkannte noch, wie Voldemort aus dem Bett krabbelte und auf Severus zuging. Sie blinzelte ein paar Mal, bis sie wieder sehen konnte.
 

Voldemort ging lauernd auf Severus zu - und knickte ein.
 

Sie sprang auf und lief zu ihm. Er lag fluchend am Boden. Sie tauschte einen Blick mit Severus.

Seine Stimme hallte in ihrem Kopf: 'Das war so klar.'

"Hey", zischte Voldemort. "Das hab ich gehört!"
 

Ginny und Severus standen auf, Severus zückte seinen Zauberstab und ließ Voldemort damit wieder auf sein Bett schweben. Der Dunkle Lord stöhnte geschafft.

"Also gut, ihr habt gewonnen. Ich bleib im Bett. Bekomme ich wenigstens meinen Zauberstab?"
 

"Nein!", sagten Ginny und Severus gleichzeitig. Sie sahen sich an und grinsten.

Dann erklärte Severus Voldemort: "Sie wollten sich doch bestimmt einen Stärkungszauber auf den Hals jagen und so tun, als wäre nichts. Kommt nicht in Frage. Wenn Ihre Magie verbraucht ist oder Sie den Zauber unterbrechen, werden Sie rückfällig und fallen im schlimmsten Fall wieder ins Koma. Wollen Sie das?"
 

Voldemort blickte zerknirscht drein.

"Nein. Aber wehe, jemand füttert mich!"

Ginny und Severus blickten sich erneut an. Beide mussten sich das Lachen verkneifen.

Zu wem gehörst du?

Kapitel 21: Zu wem gehörst du?
 

Ginny blieb den restlichen Tag bei Tom.

Severus berichtete Bellatrix vom Erwachen ihres Meisters, woraufhin sie gleich hysterisch kreischend mit Severus im Schlepptau hereingestürzt kam und Tom mit großer Begeisterung vor die Knie fiel.

"Mein Lord, es ist eine solche Freude, Euch wieder unter uns zu wissen, eine solche Freude, wieder bei Euch sein zu können und Euch wieder dienen zu können -"
 

"Dann tu mir einen Gefallen und verzieh dich!", knurrte Tom. "Von deinem Gerede krieg ich Kopfweh!"

Doch sie schien ihn nicht zu hören. Ihre Augen quollen über vor Begeisterung und sie fuhr fort, mit ihren Knien den Boden zu wischen.

"Ich wusste, Ihr würdet es schaffen, wieder zu uns zu kommen, ich wusste es einfach! Ich habe immer an Euch geglaubt, Meister! Ich -"

"Das glaub ich dir aufs Wort", brummte Tom.
 

Doch sie wurde nicht müde, ihm immer wieder ihre Treue zu schwören und ihn dafür zu loben, dass er wieder aufgewacht war. Nach einer guten Viertelstunde blickte Tom leicht verzweifelt zu Ginny. Seine Stimme hallte in ihrem Kopf wider.

'Rette mich!'
 

Ginny widerstand der Versuchung, in Gelächter auszubrechen, nur mühsam.

"Bellatrix?", fragte sie laut.
 

Bellatrix blickte irritiert auf, dann fauchte sie Ginny an: "Lass mich! Ich unterhalte mich gerade mit meinem Meister!"

Ginny zuckte nur mit den Schultern.
 

"Wie man es nimmt. Ich habe nicht den Eindruck, dass er Ihnen sonderlich begeistert zuhört. Sehen Sie sich ihn doch einmal an! Er sieht ziemlich müde und erschöpft aus" - Sie schwenkte unter dem Tisch ihren Zauberstab und schuf eine Illusion, die genau das bewirkte - "und ich bin mir sicher, dass er jetzt lieber schlafen möchte. Wenn Sie seine Gesundheit zu schätzen wissen, dann sollten Sie ihm die Ruhe gönnen. Und du auch, Severus!"
 

Severus lächelte wissend und zwinkerte Ginny zu, während er eine vollkommen perplexe Bellatrix nach draußen schob. Als die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war, seufzte Tom erleichtert auf.
 

"Danke. Bella kann die Hölle sein..."

"Ich weiß. Sie hätte mich ein paar Mal fast umgebracht, weißt du noch?"

Er schnaubte.

"Und wie. Tse... Wie kommt sie dazu, mir zu sagen, dass sie immer daran geglaubt hat, dass ich wieder aufwache? Wenn irgendjemand mir geholfen hat, zurück zu finden, dann bestimmt nicht sie."
 

Ginnys Herz pochte plötzlich viel zu schnell.

"Wer dann?", brachte sie mühsam über die Lippen.

Tom lächelte.

"Weißt du das denn nicht?"
 

Ginny schnappte nach Luft. Meinte er das, von dem sie glaubte, dass er es meinte? Wieder hallte seine Stimme in ihrem Kopf wider.

'Ja, das meine ich.'
 

Ginny riss die Augen auf.

"Du liest meine Gedanken?!", fauchte sie und wurde rot.

Tom wich ihrem Blick aus. "Ähm... ja."

Ginny biss sich auf die Lippe.
 

Verdammt, was er nur gesehen? Sicher würde er sie jetzt als genauso hoffnungslos wahnsinnig abstempeln wie Bellatrix, und das alles nur, weil sie ihn... gern hatte?!

Fluchend sprang sie auf und rannte aus dem Zimmer.

Tom blickte ihr nachdenklich nach.
 

Er hätte wissen müssen, dass sie das nicht wollte. Kein Wunder, bei dem Chaos, das er nicht einmal ansatzweise hatte überblicken können... Er hatte nur gesehen, dass inmitten dieses Durcheinanders er selbst gestanden hatte.

Aber das zusammen mit der Hilfe, die sie ihm im Nirgendwo gegeben hatte, und ihrem Benehmen, nachdem er aufgewacht war, ließen keine Zweifel aufkommen.

Sie hatte ihn gern. Sehr gern sogar.

Ohne dass er es merkte, schlich sich ein leises, vergnügtes Lächeln auf sein Gesicht.
 

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Am nächsten Morgen befahl Ginny Mara, Tom sein Frühstück aufs Zimmer zu bringen.

Als sie wenig später fertig angezogen bei ihm ankam, fand sie ihn missmutig im Bett sitzend vor, die Arme verschränkt und Todesblicke um sich schießend.

Ginny prustete los.
 

Ein Frühstücksteller stieß immer wieder unsanft gegen seine Stirn und verteilte seinen Inhalt über die Bettdecke und seinen schwarzen Seidenschlafanzug.

Er fauchte sie ohne weiteres an: "Was gibt's da zu lachen?!"

Ginny japste.

"Dir auch einen guten Morgen, Tom."
 

Dann zog sie den Zauberstab und beförderte Toms Frühstück wieder zurück auf den Teller, der sanft in seinem Schoß landete und sich nicht mehr rührte.

"Kann es sein, dass ich dir die dämlichste Hauselfe in der ganzen Festung zugeteilt habe?", brummte er und schob den Teller unangetastet von sich.
 

Ginny setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett und schob ihm den Teller wieder hin.

"Ich würde eher sagen, die fürsorglichste. Sie wollte doch nur, dass du dein Frühstück isst und wieder zu Kräften kommst."

Er schnaubte ungehalten.

"Ich will aber nicht."
 

Sofort erhob sich der aberwitzige Teller drohend vor seinem Gesicht in die Luft.

Ginny zog die Augenbrauen hoch.

"Wenn ich du wäre, würde ich essen."
 

Er fluchte, griff dann jedoch nach dem Teller und verschlang sein Frühstück in Rekordzeit. Erst, als der Teller leergeputzt war, sah er auf.

"Was ist mit dir? Keinen Hunger?"

Ginny schüttelte den Kopf.
 

In der Tat hatte sie nichts mehr gegessen, seit Tom aufgewacht war, doch seltsamerweise hatte sie tatsächlich keinen Hunger.

Er blickte sie streng an.

"Wie lange hast du nichts mehr gegessen?"

Ginny zuckte bloß mit den Schultern und betrachtete ihn.
 

Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. "Hast du geglaubt, du könntest mich mühsam wieder aufpäppeln, aber selber nichts essen? Kommt nicht in Frage!"

Ginny zuckte ob dieser scharfen Worte zusammen, doch gleichzeitig schien etwas Warmes durch ihren Bauch zu fließen. Machte Tom sich gerade Sorgen um sie?
 

Sie schluckte und musterte ihn. Der Schlafanzug war ihm viel zu weit, die Hände und der Hals, alles, was sie außer seinem Gesicht erkennen konnte, noch dünner und ausgemergelter als vor dem Koma.

Sie holte noch einmal tief Luft und murmelte dann mit gesenktem Blick: "Du... bist wichtiger."
 

Tom horchte auf. Verwunderung und - ja, so etwas wie Freude - schienen mit einem Mal durch seinen Körper zu jagen. Er bemühte sich, seine eiserne Maske wieder aufzusetzen, als er fragte: "Für wen? Für die Todesser oder für dich?"
 

Ginny hielt den Blick gesenkt. Tom meinte, sie erröten zu sehen, aber er wartete. Das Schweigen lastete schwer zwischen ihnen.

Warum zur Hölle hatte er überhaupt diese Frage gestellt?, fragte er sich im Stillen, als auch nach Minuten noch keine Antwort gekommen war.
 

Er wollte gerade etwas sagen, da hob Ginny den Kopf und blickte ihm genau in die Augen. Und Tom erwiderte den Blick. Er schluckte. In ihren Augen lag Wärme, soviel Wärme, nur für ihn. Er erinnerte sich einen Moment lang an das Nichts - auch dort hatte sie ihm Wärme geschenkt...

Sie schien einen Moment mit sich zu ringen, dann meinte sie leise: "Keine Ahnung... beides."
 

Sie stand auf und verschwand nach draußen.

So bemerkte sie auch nicht das zufriedene Lächeln, welches sich wieder einmal auf Toms Züge geschlichen hatte.
 

Sie mag mich, ganz eindeutig, dachte er. Und... mag ich sie?

Sie ist eine Gryffindor... und eine Weasley, zischte eine kleine, kalte Stimme in seinem Kopf. Wie kommst du überhaupt auf die unsinnige Idee, dir diese Frage zu stellen?
 

Doch Tom überhörte sie. Ja, dachte er. Ich glaube, ich mag sie.
 

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Ginny lag auf ihrem Bett und hing ihren Gedanken hinterher. Ihr pochendes Herz beruhigte sich nur langsam.

Warum interessierte Tom sich so dafür, wie wichtig er für sie war? Entweder, er wollte sie später mit der Nase darauf stoßen und sich über sie lustig machen, was sie nicht glaubte, oder aber - ihr stockte einen Moment lang der Atem - sie war ihm auch wichtig.
 

Nein, wenn er sie nur aufziehen hätte wollen, dann hätte er es beim Gedankenlesen belassen und sie hätte nichts davon gemerkt.

So aber... Ihr Herz pochte wieder schneller. Es musste ihm etwas an ihr liegen!

Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
 

Eine Weile lag sie lächelnd auf ihrem Bett, um sie herum war es still.

Doch irgendwann rumorte ihr Magen vernehmlich. Sie musste lachen. Tom hatte recht gehabt. Sie sollte etwas essen.

"Mara?", rief sie.

Mit einem Krachen erschien die Elfe vor ihr.

"Mara, bring mir doch bitte mein Frühstück auf das Zimmer von Tom."

Die Elfe nickte und verschwand wieder.
 

Ginny fuhr sich mit den Fingern durch die vom Liegen zerzausten Haare, dann ging sie nach drüben. Ihr Frühstück stand schon auf dem kleinen Tisch am Fenster, doch im Gegensatz zu Toms machte es keine Anstalten zu fliegen.

Ginny nickte Tom zu, setzte sich und begann zu essen. Sie konnte seinen Blick in ihrem Rücken spüren.
 

"Ich wusste doch, dass du Hunger hast", meinte er triumphierend. "Aber dein Frühstück ist ja nicht mal flugtauglich. Langweilig."

Ginny musste grinsen und wandte sich zu Tom um.

"Langweilig? Vorhin hättest du alles dafür getan, ein langweiliges Frühstück zu haben", erwiderte sie. Tom grummelte bloß.

Ginny aß lächelnd weiter. Sie genoss es, hier bei ihm zu sein.
 

Als sie fertig war und gerade eine neue Flasche Stärkungstrank herein brachte, schrie Tom plötzlich schrill auf.

Ginny erstarrte.

"W-was ist los?", fragte sie ängstlich.

Tom winkte sie zu sich, packte den Trank und kippte ihn auf einmal hinunter.

Dann sagte er sehr ernst: "Sie kommen. Der Orden des Phönix kommt."
 

Ginny zuckte zusammen und wurde blass.

"Woher-", setzte sie an, doch Tom unterbrach sie: "Keine Zeit. Sie sind an den Schutzzaubern. Die Todesser sind fast alle weg, und ich bin zu schwach zum Kämpfen. Pack alles wichtige zusammen und gib mir meinen Zauberstab wieder. Wir müssen hier weg. Alleine kann ich die Schutzzauber nicht lange halten."
 

Ginny nickte, holte seinen Zauberstab und drückte ihn ihm in die Hand. Dann rannte sie in ihr Zimmer und zerrte eine kleine Umhängetasche aus dem Schrank.

Sie hatte Angst. Angst, hier gesehen zu werden. Angst, von ihren alten Freunden gerettet zu werden. Sie wollte sie nicht anlügen müssen. Lieber wollte sie sie nie wieder sehen.
 

Während sie fieberhaft Unterlagen und Brauutensilien in die verzauberte Tasche stopfte, knallte und rumste es mehrmals irgendwo über ihr. Sie biss sich auf die Lippe und packte mit flatterndem Herzen weiter. Alles zum Tränke brauen, Toms Dokumente, Ihr Schulzeug...

Sie rannte in ihr Zimmer zurück und riss eine Ladung Klamotten aus dem Schrank, sowie eine Dose Krümel und ein versiegeltes Glas Wasser. Dann kam sie zurück in Toms Zimmer und riss auch aus seinem Kleiderschrank wahllos Umhänge, während er, in Bett sitzend, mit geschlossenen Augen einen Zauber murmelte.

Sie dankte im Geist Hermine dafür, dass diese ihr eine ihrer verzauberten Taschen geschenkt hatte. In diese Taschen passte einfach alles. Egal, wie groß und schwer es war, die Tasche blieb klein und leicht, außerdem war der Zauber unaufspürbar.
 

Als ihr nichts mehr einfiel, was sie brauchen könnten, ließ sie sich geschafft neben Tom auf das große Bett fallen. Einen Moment später krachte es wieder irgendwo im Berg, und Tom sackte in sich zusammen.

"Das waren die Schutzschilde", flüsterte er.
 

Ginny schluckte und sah ihn unsicher an. Er sah sehr schwach aus. Sie zögerte einen Moment, dann ergriff sie seine Hand. Er lächelte schwach.

"Einen Vorteil hat es. Jetzt können wir jederzeit apparieren. Das heißt, wir könnten. Ich hab keine Magie mehr dafür übrig."
 

Er klammerte sich an ihren Fingern fest. Der Lärm war näher gekommen. Ginny begann unwillkürlich zu zittern.

"Werden die uns hier finden?", fragte sie ängstlich und drückte nun ihrerseits Toms Hand fest.

"Wenn sie Moody dabei haben... ja."
 

Im selben Moment explodierte die Wand zu der versteckten Wohnung mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Ein Teil der Wand zum Schlafzimmer wurde ebenfalls eingerissen.
 

Ginny flog rücklings vom Bett, rappelte sich hustend wieder auf - und stand Mad-Eye Moody und Neville gegenüber.
 

Beide hatten die Zauberstäbe auf Tom gerichtet, und Neville atmete erleichtert auf, als er Ginny in dem schwarzen Umhang erkannte.

"Ginny!", rief er aus. "Wir haben uns Sorgen gemacht! Komm bloß weg da von dem, wir bringen dich heim!"
 

Tom richtete sich ein wenig auf, den Zauberstab unter der Bettdecke verborgen. Sofort blickten beide wieder zu ihm.

"Keine falsche Bewegung", knurrte Moody.
 

Ginny umklammerte mit der einen Hand ihrem Zauberstab, mit der anderen den Griff der Tasche. Plötzlich wurde der Zauberstab unter ihrem Fingern warm. Sie blickte zu Tom und verstand.
 

Doch noch jemand blickte schlagartig zu Tom. Moodys magisches Auge.

"Expelliarmus!", donnerte er.

Tom warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Zauberstab, doch er konnte ihn nicht halten. Der Zauberstab befreite sich aus dem Bett und flog Moody direkt in die Hand. Tom stöhnte.
 

Für einen Moment verharrte Ginny und schloss die Augen. Jetzt lag es an ihr. Sie konnte zurück in ihr altes Leben. Oder sie konnte Tom retten.

Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie sich entschieden.
 

Sie ging langsam ein Stück in Richtung Moody und Neville, gleichzeitig jedoch auch zum Bettrand. Und sie suchte Toms Geist.

Als sie ihn gefunden hatte, dachte sie: 'Mach dich bereit. Wenn ich jetzt sage, hältst du dich an mir fest.'

'Okay.'
 

Die Verbindung riss ab und Ginny blieb neben dem Bett stehen, keinen Meter von Tom entfernt. Sie hängte sich ruhig die Tasche um.

Moody brummte ungeduldig.

"Verdammt, auf was wartest du, Weasley?"
 

Ginny antwortete nicht. Sie konzentrierte sich.

Schließlich holte sie tief Luft, um ihre Angst zu zügeln, streckte eine Hand nach Tom aus und rief: "Jetzt!"
 

Gleichzeitig drehte sie sich auf der Stelle.

Toms Finger krallten sich um ihr Handgelenk, dann wurde es schwarz um sie.

Kapitel 22
 

Ginny schnappte nach Luft und ging unter Toms Gewicht an ihrem Arm in die Knie. Er war neben ihr auf dem Bauch gelandet. Jetzt ließ er ihr Handgelenk los, wälzte sich auf den Rücken und sah sich um.

"Wo sind wir?", wollte er wissen.
 

Ginny zuckte kurz zusammen. Kein Dankeschön, weil sie ihn aus Moodys Klauen geholt hatte, obwohl sie ihn genauso gut hätte ausliefern können?

Sie biss sich beleidigt auf die Lippe, antwortete jedoch: "Wir sind im Wald von Ottery St. Catchpole."
 

Tom setzte sich mühsam auf und lehnte sich gegen einen Baum. Eine Weile schwiegen beide. Dann stand Ginny wortlos auf, zog ihren Zauberstab und murmelte einen Zauberspruch.

"Ginny?"

Sie drehte sich nicht um, als sie fragte: "Was?"

Eine Pause.

Dann meinte Tom leise: "Ginny, schau mich an."
 

Sie konnte es nicht verhindern, und sie wollte es auch gar nicht. Die Stimme jagte ihr eine Gänsehaut über den Körper und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Langsam drehte sie sich um. Tom sah immer noch kränklich und blass aus, doch er lächelte.

"Danke."

Ginny konnte nicht anders. Sie lächelte zurück.
 

Doch plötzlich weiteten sich Toms Augen, er blickte auf etwas hinter Ginny. Sie runzelte die Stirn, aber bevor sie sich umdrehen konnte, knallte das Etwas mit voller Wucht gegen ihren Hinterkopf. Ginny schrie auf und fiel nach vorne ins Gras. Mit einem Satz war sie wieder auf den Beinen - und begann zu lachen.
 

Vor ihr lagen zwei Bündel am Boden.

Tom jedoch brummte misstrauisch: "Was zur Hölle ist das?"

Ginny kniete sich grinsend neben ihn und packte eins der Bündel aus.

"Das sind die Schlafsäcke, die ich hergerufen habe. Sag bloß, du weißt nicht, was Schlafsäcke sind?"

Tom schnaubte nur.
 

Ginny lächelte schwach. "Das benutzen die Muggel beim Zelten als Betten. Sie können ihre Betten ja nicht schrumpfen, und sie können sich auch über Nacht keine Wärme her zaubern. Also brauchen sie etwas, was sich gut verpacken und transportieren lässt, aber trotzdem warm hält."

Tom nickte langsam.

"Heißt das, du hast vor, hier zu übernachten?"

"Ja. Weißt du etwas besseres?"
 

Tom schüttelte den Kopf. "Nein. Leg aber wenigstens Schutzzauber um uns. Auch gegen schwarze Magie. Man kann nie wissen."

Ginny rappelte sich hoch und zückte den Zauberstab.

"Ich glaube zwar nicht, dass wir sie brauchen werden, aber du hast Recht. Man kann nie wissen."
 

Sie schloss einen Moment die Augen, dann schwang sie ihren Zauberstab mehrmals und murmelte dazu immer etwas. Der Stab leuchtete nacheinander in den verschiedensten Farben auf und jagte jeweils eine Kuppel aus schwachem Licht über die Lichtung, auf der sie sich befanden, die langsam verblasste und durchsichtig wurde.

Tom nickte anerkennend. "Nicht übel. Da käme nicht einmal Moodys verfluchtes Auge durch."

Ginny blickte verlegen zu Boden.
 

"Ginny, wie weit ist das nächste Dorf mit Zauberern entfernt?"

Ginny ließ sich wieder auf den Boden fallen und entzündete mit einem Schnippen ihres Zauberstabs ein kleines, hellblaues Feuer.

"Hier gibt es kein Zaubererdorf. Die Zaubererfamilien leben jede für sich auf dem Land um die Muggeldörfer verstreut. Die nächsten Zaubererfamilien sind die Lovegoods und... meine Familie."
 

Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals und senkte den Blick. Es tat weh, an ihre Familie zu denken. Sie hatte sich für Tom entschieden. Trotzdem war ihr die Entscheidung nur solange leicht gefallen, wie sie nicht an ihre Eltern und Geschwister denken musste.
 

Moody hatte Molly und Arthur garantiert schon erzählt, was geschehen war: Sie hatte den Orden verraten.

Ihre Eltern waren sicherlich wahnsinnig enttäuscht von ihr. Ihre Geschwister wahrscheinlich auch... vielleicht würden Ron und die Zwillinge sie sogar hassen... und Percy würde klipp und klar erklären, dass sie sich auf die Seite des Feindes gestellt hätte und deswegen bekämpft werden müsse...
 

"Ginny?"

Ginny sah auf. Tom kniete vor ihr und hatte sie an einer Schulter gepackt.

"Alles in Ordnung? Du weinst ja!"

Sie blinzelte. Tatsächlich, es kullerten Tränen aus ihren Augen. Sie hatte es nicht einmal bemerkt. Langsam senkte sie den Kopf. Sie wollte nicht, dass Tom sie weinen sah.
 

Wieder schluchzte sie auf. Bill und Charlie würden nie verstehen, warum sie das getan hatte, genauso wie ihre Eltern.

Es tat weh. Sie hatte sie immer noch lieb, und es war sehr schwer, zu wissen, dass sie sie gerade allesamt verraten und enttäuscht hatte. Sie liebten sie doch - und was tat sie? Warum tat sie ihnen das bloß an?
 

Plötzlich strich ein langer, dünner Finger über ihre Wange und wischte vorsichtig die Tränen weg. Ein Schauer lief Ginny über den Rücken. Deswegen. Wegen ihm. Sie würden sie nie verstehen... sie tat es ja nicht einmal selbst... war es das wert?
 

"Warum weinst du? Bereust du, was du getan hast?"

Langsam hob Ginny den Kopf. Ihre Augen fanden fast von alleine die rot glühenden ihres Gegenübers. Sie erwiderte den Blick, ohne zu blinzeln. Die Augen schienen plötzlich heller aufzuleuchten, wie Glut, die im Luftzug brannte. Ihr Herz pochte fast schmerzhaft gegen ihre Rippen.

"Ich weiß nicht... Ich denke, ich würde es wieder tun, aber es tut so weh... meine Familie..."
 

Tom brach den Blickkontakt ab und sah zu Boden. Seine Stimme klang bitter.

"Du hattest wenigstens eine Familie. Ich dachte, ich hätte meine Todesser, aber... du hattest Recht. Sie sind keine wirklichen Freunde, weil sie mir nicht gleichgestellt sind. Sie konnten mir nicht das geben, was ich gesucht hatte."
 

Ein langes Schweigen kehrte ein. Es wurde langsam dunkel über den Baumwipfeln. Schatten krochen durchs Unterholz und umhüllten die beiden. Der Wald schlief langsam ein, während die Geschöpfe der Nacht erwachten. Ein Busch raschelte schwach im Wind. In den Zweigen schuhute eine Eule. Der Mond ging auf und tauchte die Lichtung in einen silbrigen Schimmer, der sich mit den hellblauen Flammen vermischte und ein kaltes Licht verbreitete.
 

Irgendwann gähnte Ginny.

Tom sah es und meinte: "Wir sollten schlafen. Morgen ist noch genügend Zeit zum Nachdenken. Wie funktionieren diese Muggeldinger?"

Ginny musste grinsen, auch wenn ihr überhaupt nicht danach zumute war. Sie zeigte Tom, wie man in einem Schlafsack schlief, kroch in ihren eigenen und schloss ihre Augen.
 

Schon bald wurde der Atem von Tom neben ihr regelmäßiger und tiefer. Er war wohl eingeschlafen.

Ginny jedoch konnte nicht schlafen. Irgendwann öffnete sie die Augen wieder und blickte zum schwarzen Sternenhimmel empor. Sie dachte wieder an ihre Familie.
 

Die Bilder von ihren Eltern, Bill, Charlie, Percy, Fred, George und Ron erschienen nacheinander vor ihrem inneren Auge. Doch diesmal schob sie diese Bilder eins nach dem anderen beiseite, mitsamt den Gefühlen, die sie immer noch bei jedem Bild zu überwältigen drohten.
 

Schließlich erschien ein anderes Bild. Ginnys Herz pochte schneller. Es war Tom. Ein Tom, der nicht so blass war wie Voldemort, mit einem warmen Funkeln in den Augen und einem dünnen, aber herzlichen Lächeln.
 

Ginny drehte sich mitsamt ihrem Schlafsack auf die Seite und betrachtete den echten, schlafenden Tom, der im Mondschein wieder fast weiße Haut zu haben schien. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Er sah so friedlich aus, wenn er schlief. Fast... nun ja, glücklich.
 

Es kostete sie viel Überwindung, doch schließlich zog sie ihren Arm aus dem Schlafsack und strich vorsichtig mit den Fingerspitzen über seine Wange. Ginny wusste nicht recht, ob sie es sich einbildete, aber es sah so aus, als würde er im Schlaf lächeln.

Ein warmes Kribbeln strömte durch ihren Bauch.
 

Jetzt oder nie, zischte eine leise Stimme in ihrem Kopf.
 

Sie schluckte, um ihr pochendes Herz zu beruhigen und holte tief Luft. Dann beugte sie sich vorsichtig zu ihm hinunter und küsste ihn.

Pläne

Kapitel 23: Pläne
 

Harry träumte. Er lag in einem Schlafsack auf einer Waldlichtung, hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig und gleichmäßig.

Plötzlich strich ihm eine warme Hand über die Wange. Er musste unwillkürlich lächeln und öffnete die Augen einen winzigen Spalt weit.
 

Die Hand gehörte Ginny. Sie lag neben ihm in einem zweiten Schlafsack und hatte sich über ihn gebeugt. Zuckende Schatten huschten über ihr Gesicht, die offenbar von einem Feuer herrührten. Sie sah nervös aus.
 

Sein Herz schlug schneller. Immer noch lag ihre Hand auf seiner Wange und streichelte sie sanft. Wieso konnte sie ihn nur so gern haben? Das hatte er doch gar nicht verdient...

Doch er wollte nicht darauf verzichten. Es fühlte sich einfach viel zu gut an. Ginny hatte recht gehabt - er brauchte jemanden, der ihn gern hatte, der ihm vertraute und dem er vertrauen konnte.
 

Nach einem endlosen Moment, in dem er sich schlafend stellte, beugte sie sich zu ihm herunter und küsste ihn.
 

Alles, was er gerade gedacht hatte, erlosch mit einem Schlag, als sein Herz sich überschlug und heiß in seiner Brust zu brennen begann. Er kannte dieses Gefühl nicht, doch es war einfach - atemberaubend. Es fühlte sich so richtig an.
 

Er zog ohne darüber nachzudenken seine Arme aus dem Schlafsack und schlang sie um Ginny, strich ihr mit seiner blassen, langfingrigen Hand über den Kopf und erwiderte den Kuss...
 

Harry schrie und wachte auf.
 

Seine Narbe brannte stärker, als er es je erlebt hatte. Immer noch schreiend wälzte er sich in seinem Bett herum, eine Hand auf die Stirn gepresst.
 

Es tat furchtbar weh, und doch spürte er gleichzeitig auch eine gewaltige Welle des Glücks und der Zuneigung - und zwar Ginny gegenüber.
 

Er schlug sich mit der Faust gegen den Kopf, wieder und wieder, bis der unerträgliche Schmerz nach scheinbar einer Ewigkeit abgeflaut war. Doch das Glück, das nicht sein eigenes war, blieb und lieferte sich einen Kampf mit seinem immer größer werdenden Entsetzen. Das Entsetzen gewann.
 

Er öffnete langsam, als ob er Angst vor dem hatte, was ihn erwartete, die Augen. Eine besorgte Hermine saß an seinem Bett, mit zerzausten Haaren und tiefen Ringen unter den Augen.

"Harry, was ist los? Was hast du gesehen?"
 

Harrys Blick irrte einen Moment ziellos umher, bis er Hermine fand. Er konnte es immer noch nicht fassen. Langsam stemmte er sich hoch, bis er neben Hermine auf dem Bett saß.

"Vol-... Volde..."

Er brach ab und fuhr sich mit den Fingern durch Gesicht. Sein Kopf pochte immer noch.
 

"Was?", fragte Hermine leise. "Was hat er gemacht? Was fühlt er?"

"Er... er ist glücklich. Verdammt glücklich."

Hermine schnappte nach Luft. "Was - Wieso? Was ist passiert?"

Harry holte tief Luft. "Ginny hat ihn geküsst."
 

Hermines Gesichtsausdruck wechselte von überrascht über fassungslos zu ungläubig, sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und meinte dann: "Harry, das kann nicht sein. Das weißt du."

Harry jedoch schüttelte den Kopf. "Doch, es könnte durchaus sein. Er war so glücklich... so hab ich ihn noch nie erlebt... Es war fast, als... als wäre er wirklich verliebt."
 

Hermines Stirn legte sich in Falten, wie immer, wenn sie über einem Problem brütete. Nach einer kurzen Stille meinte sie: "Harry, wie sollte Ginny denn zu ihm kommen? Sie ist doch in Hogwarts."

Harry schnaubte nur. "Und Hogwarts wird von einer fettigen, hakennasigen Fledermaus geführt, die ganz zufällig Dumbledore umgebracht hat und seine rechte Hand ist. Da ist es natürlich für ihn absolut unmöglich, zu Ginny zu kommen."

Seine Stimme troff vor Sarkasmus.
 

Hermine rang verzweifelt die Hände. "Aber, Harry... wieso sollte er das tun?"

"Vielleicht will er mich mit ihr ködern. Ich hab meinen Geist nie verschlossen, es kann gut sein, dass er weiß, was ich für sie empfinde."

Jetzt stöhnte Hermine auf. "Dann kann es aber genauso gut sein, dass er dir eine falsche Vision geschickt hat, wie damals mit Sirius. Das wäre für ihn viel weniger Aufwand."
 

Harry ließ sich wieder in die Kissen fallen und schnitt eine Grimasse.

"Erinner mich bloß nicht daran. Ich hab immer noch eine Stinkwut auf Bellatrix Lestrange. Sirius war halb tot, als sie mit ihm fertig war." Er schüttelte sich. "Aber, Hermine, er kann Ginny auch wirklich entführt haben, um mich zu ködern, wie damals, in der Kammer des Schreckens."
 

Hermine sah aus, als würde sie soviel Dummheit auf einem Haufen nicht verkraften.

"Da hat er Ginny aber als Körper benutzt, um den Basilisken zu kontrollieren, weil er selber keinen Körper hatte. Wieso sollte er es jetzt tun? Und außerdem, wie sollte er dich damit ködern können, wenn du nicht weißt, wo du hinsollst? Oder waren die zwei an einem Ort, den du kennst?"

Harry schüttelte, jetzt frustriert, den Kopf.

"Ne, sie waren irgendwo in einem Wald. Ich hab keine Ahnung, wo sie sein könnten."
 

"Na also. Mach dir mal keine Sorgen deswegen. Vielleicht hat er einfach nur - schlechte Laune und will dich ärgern?"

Harry sah sie vorwurfsvoll an.

"Hermine, da wäre es sogar wahrscheinlicher, dass Ginny ihn freiwillig geküsst hat."
 

Hermine zuckte hilflos mit den Schultern. "Ich weiß einfach nicht, was es zu bedeuten hat. Vielleicht sollten wir Ginny einfach fragen."

Harry brummte. "Aber wenn er sie entführt hat, dann bringt das nichts."

Hermine stöhnte auf. "Harry, dann kommt keine Antwort zurück und wir wissen, dass etwas passiert ist. Natürlich bringt das was."

"Oh. Stimmt."
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Etwas stach in Toms Wange. Er drehte sich murmelnd auf die andere Seite und schlief weiter. Dieses Mal stach es in seine andere Wange. Er brummte unwillig und schlug ein Auge auf.

Eine Eule saß neben seinem Kopf und pickte ihn ins Gesicht.

"Au", rief er, als sie es noch einmal versuchte, wedelte mit dem Arm und warf die Eule um. Sie rappelte sich auf und hopste beleidigt ein paar Schritte davon.
 

Tom setzte sich verschlafen auf. Neben ihm lag ein Brief, auf dem in grüner Tinte geschrieben stand: "Für, und NUR für Ginny Weasley."
 

Er zog eine Augenbraue hoch und blickte auf seine andere Seite. Ginny hatte sich tief in ihren Schlafsack gekuschelt und schlief selig. Sie hatte jedoch genau wie er rote Punkte im Gesicht, wo die Eule sie gepickt hatte.

Tom musste lächeln, als er sie ansah. Sie sah so süß aus, wenn sie schlief...
 

Er beugte sich zu ihr hinunter und zischte mit eiskalter Stimme in ihr Ohr: "Wie kannst du es wagen, länger zu schlafen als ich?"

Ginny schreckte urplötzlich hoch und blickte wild umher. Dann fand ihr Blick den Toms, und ihre Augen verengten sich.

"Wie kannst du es wagen, mich aufzuwecken?", fauchte sie zornfunkelnd.
 

Die beiden sahen sich einen Moment stumm an, dann begann Ginny zu grinsen. Auch auf Toms Gesicht erschien ein Lächeln.

"Guten Morgen, Ginny."

"Morgen, Tom." Sie gähnte. "Warum konntest du mich nicht schlafen lassen?"
 

Er drückte ihr den Brief in die Hand.

"Die Eule, die ihn gebracht hat, hat uns beiden ganz schön die Gesichter zerpickt. Nur du hast davon nichts mitbekommen, Schlafmütze."

Ginny musste lachen. Es war irgendwie seltsam, wenn Tom - Voldemort! - sie mit 'Schlafmütze' anredete.

Sie blickte auf den Addressaten - und wurde blass.
 

Tom runzelte besorgt die Stirn. "Was ist los? Von wem ist der Brief?"

Ginny holte einmal tief Luft, um sich zu beruhigen.

"Das ist die Schrift von Harry", meinte sie sehr leise.
 

Tom riss die Augen auf. "Potter? Was will der denn von dir?"

Ginny zuckte mit den Schultern und riss den Umschlag auf. Sie zog ein kleines Stück Pergament heraus und las laut vor:
 

"Liebe Ginny!

Du wunderst dich sicher, dass ausgerechnet ich dir schreibe. Die Sache ist die: Ich hatte eine Vision, in der ich ER war, du weißt, wen ich meine, und in der du vorkamst. Ich habe Angst, dass ER sich dich wirklich geschnappt hat. Bitte, fallst du das liest, kannst du dich mit mir nächstes Wochenende in Hogsmeade treffen? Ich muss dich einfach sehen, damit ich weiß, dass alles in Ordnung ist. Ich werde dort warten, wo der Vollmond heult.
 

Liebe Grüße von mir und unserer Freundin"
 

Ginny schluckte und sah auf.

Tom fluchte. "Ich habe gestern Abend meinen Geist nicht verschlossen. Er muss es mitbekommen haben."

Ginny biss sich auf die Lippe. "Aber anscheinend glaubt er, ich hätte dich nie freiwillig ... geküsst", flüsterte sie. "Was machen wir jetzt?"
 

Tom seufzte, krabbelte aus seinem Schlafsack und setzte sich an einen Baumstamm. "Wirst du hingehen?", wollte er wissen.

Ginny schluckte und warf ihm einen hilflosen Blick zu. "Ich weiß nicht. Auf der einen Seite will ich nicht, dass sie sich Sorgen machen, aber... Wenn sie die Wahrheit erfahren... sie werden mich hassen."
 

Sie biss sich auf die Lippe und senkte den Blick. Plötzlich hatte sie wieder einen Kloß im Hals.

"Komm her", meinte Tom sanft.

Ginny schlüpfte aus ihrem Schlafsack und setzte sich neben ihn. Er legte ihr vorsichtig einen Arm um die Schultern. Ginny lehnte sich an ihn und schloss die Augen.

"Mit allem könnte ich leben, aber nicht damit, dass sie mich hassen", murmelte sie.

Tom antwortete nicht.
 

Er dachte nach. Es musste eine Möglichkeit geben, dass Ginny dorthin gehen konnte, wo auch immer "Wo der Vollmond heult" denn war, und sich mit Harry und ihrer Freundin - höchstwahrscheinlich dieser Hermine - traf, ohne dass die Gefahr bestand, aufzufliegen.

Moment mal, dachte er. Wenn Ginny sich mit Harry traf, dann konnte er doch die Gelegenheit nutzen und sich Harry schnappen!
 

"Ginny?"

"Hm?"

"Ich werde mitkommen. Unsichtbar. Und ich werde mir Harry schnappen. Hermine gebe ich die Möglichkeit, zu fliehen. In Ordnung?"

Ginny seufzte.

"Es ist also soweit", sagte sie leise, den Blick in die Ferne gerichtet.
 

"Ja", meinte Tom. "Und ich brauche deine Hilfe dazu. Kann ich auf dich zählen?"

Ginny sah auf. Wieder musste sie schlucken, doch ihr Blick war entschlossen.
 

"Ich habe es dir versprochen. Du kannst auf mich zählen. Eine Bedingung hab ich aber: Hermine soll die Wahrheit nicht erfahren."

Tom nickte. "Wenn du mitspielst, wird sie das auch nicht."

"Gut."
 

Ginny blickte wieder ins Leere. Harry würde also in einer Woche sterben.

Eine seltsame Kälte schien sich über ihr Gemüt zu legen, die nichts mit den winterlichen Temperaturen zu tun hatte.

Harry Potter

Kapitel 24: Harry Potter
 

Ginny erwachte schon früh an diesem Morgen. Es war noch dämmrig, Nebel kroch in dichten Schwaden über den Boden und Raureif glitzerte auf den Blättern.

Sie fröstelte. Es war immer noch Winter, und nur ein in die Schutzschilde eingewebter Wärmezauber verhinderte, dass sie hier draußen im nächtlichen Wald erfroren.
 

Mit einem Schaudern stellte Ginny fest, dass die Wärmezauber nachgelassen hatten und sich auch in ihren Haaren Raureif gebildet hatte. Sie schüttelte sich, zückte den Zauberstab und erneuerte den Wärmezauber.
 

Dann warf sie einen Blick hinüber zu Tom, der immer noch friedlich schlief. Es war ihr ein Rätsel, warum er nicht fror. Er hatte die ganze Woche über, die sie nun auf dieser Lichtung verbracht hatten, nicht ein einziges Mal sichtlich gefroren.

Doch wahrscheinlich hielt er sich mit einem eigenen Wärmezauber zusätzlich warm, ohne es Ginny zu sagen. Das sähe ihm ähnlich.
 

Sie schüttelte lächelnd den Kopf, kroch aus dem Schlafsack und entfachte ein hellblaues Feuer.

Der Schein der Flammen brachte den Nebel zum Leuchten und gab dem Wald einen unheimlichen Schimmer, doch Ginny fürchtete sich nicht. Sie hatte sich daran gewöhnt.
 

Heute war es genau eine Woche her, dass Harrys Eule sie aufgeweckt hatte mit der Bitte, sie möge ihn doch dieses Wochenende, also heute, am Samstag, in Hogsmeade treffen. Ginny fürchtete und ersehnte dieses Treffen.
 

Zum einen freute sie sich, Harry und Hermine wiederzusehen, doch zum anderen fürchtete sie sich trotz allen Vorbereitungen ein wenig davor, Harry sterben zu sehen. Es würde trotz allem, was er ihr angetan hatte, ein Schock sein, das wusste sie.
 

Außerdem hatte sie Angst, trotz ihren und Toms Plan, dass Hermine die Wahrheit erraten würde.

Sie hatte sie kaltblütig verraten, geholfen, Harrys Mord zu planen und sich anschießend sogar in Tom, sprich Voldemort, verliebt.
 

Wenn Hermine das je erfahren würde, dann würde sie Ginny – nun ja, vielleicht nicht hassen, aber sie würde zutiefst enttäuscht von ihr sein und sich von ihr abwenden.
 

Ja, Ginny hatte sie verraten, doch sie nahm lieber in Kauf, dass Hermine sich unglaubliche Sorgen um sie machte und nicht wusste, wie es ihr ging, als dass sie die Wahrheit erfuhr und sich von Ginny abwendete.

Genauso wie ihre Familie. Ginny wollte sie lieber für den Rest ihres Lebens nicht mehr sehen, als mit ansehen zu müssen, wie sie die Wahrheit erfuhren und sie alle verließen.
 

Ginny atmete tief durch und zog aus ihrer Tasche zwei Dosen heraus. Die eine enthielt schlicht und einfach Wasser, die andere war mit Brotkrümeln gefüllt. Ginny zog noch zwei Trinkbecher aus der Tasche und öffnete die Wasserdose.
 

Sie zückte den Zauberstab und murmelte: „Engorgio!“

Der Wasserpegel schien anzuschwellen und wölbte sich bald über den Dosenrand. Ginny dirigierte mit dem Zauberstab einen Teil des Wassers durch die Luft in einen der Trinkbecher. Dann wiederholte sie das Ganze, bis auch der zweite Becher gefüllt war. Anschließend verschloss sie die Wasserdose wieder, die immer noch bis oben gefüllt war, und verstaute sie wieder in ihrer Tasche.
 

Sie öffnete die Dose mit Brotkrümeln, fischte zwei Krümel heraus und räumte die Dose ebenfalls wieder in ihre alles fassende Tasche. Dann vergrößerte sie die Brotkrümel, bis sie zwei große Brotstücke vor sich liegen hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie Hunger hatte, und biss in das eine Brot.
 

Anschließend setzte sie sich neben Tom und gab ihm einen Kuss.

„Aufwachen, du Schlafmütze!“

Tom brummelte etwas unverständliches, schlug aber die Augen auf.

„Bin keine Schlafmütze“, murmelte er, drehte sich um und schlief weiter.
 

Ginny musste lachen und verpasste ihm einen leichten Schlag gegen den Hinterkopf.

„Heute treffe ich Harry. Willst du das wirklich verschlafen?“

Mit einem Ruck saß er senkrecht. Seine roten Augen loderten hellwach.

„Nein, niemals.“
 

„Na also“, meinte Ginny und drückte ihm das zweite Brot in die Hand. „Aufessen!“

Tom schnaubte.

„Du bist nicht meine Mutter!“

„Trotzdem aufessen!“

Er verdrehte die Augen und biss ab. „Ist ja gut, ist ja gut.“
 

Nach dem Frühstück rollten sie die Schlafsäcke zusammen, verstauten sie in Ginnys Tasche und löschten das Feuer. Ginny löste die Schutzbanne.

Tom griff nach ihrer Hand, um Seit-an-Seit zu apparieren, doch Ginny rührte sich nicht.
 

Ihre Augen waren geschlossen und sie atmete ruhig und gleichmäßig. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Ihr Herz pochte viel zu schnell.

Verdammt, sie freute sich doch tatsächlich, Harry wieder zu sehen! Das durfte nicht sein!
 

„Was ist los?“, wollte Tom wissen.

Er klang besorgt. Ginny atmete tief durch.

„Ich freue mich, Harry zu sehen, aber ich will mich nicht freuen.“
 

Tom seufzte und umarmte sie kurz.

„Du schaffst das schon. Hauptsache, du machst, was wir besprochen haben, okay? Wenn du die Freude, sie wiederzusehen, nicht spielen musst, dann wird es noch glaubwürdiger.“

„Hmm...“
 

Ginny lehnte sich einen Moment an seine Brust, dann holte sie tief Luft und straffte die Schultern.

„Gut, wir können los.“
 

Sie verdrängte sämtliche Gefühle und konzentrierte sich. Dann drehte sie sich auf der Stelle und zog Tom mit sich in die Dunkelheit.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Harry blickte mit einer Grimasse auf den Becher mit dem dunkelgrauen, blubbernden Trank in seiner Hand.

"Ich hasse das."
 

Hermine seufzte.

"Ich doch auch. Aber ohne Vielsafttrank lass ich dich nicht nach Hogmeade. Es muss dich nur jemand anrempeln und dein Umhang herunterfallen, und alle erkennen dich. So ist es besser."
 

Harry starrte den Trank einen Moment lang an, dann setzte er den Becher an die Lippen. Doch er hielt inne.

"Hermine, sollten wir vielleicht nicht doch jemandem vom Orden Bescheid geben?"
 

Hermine verdrehte die Augen.

"Nein, wie oft denn noch? Was meinst du, was Ginny blühen würde, wenn Snape und die anderen Todesser-Lehrer erfahren, dass sie sich mit Ordensleuten getroffen hat?"

"Es könnten doch die Weasleys sein. Das würde nicht auffallen."

"Harry, du weißt, was Molly für einen Aufstand machen würde, wenn sie erfährt, dass du eine Vision von Voldemort und Ginny hattest. Außerdem weiß Snape, dass die Weasleys fast alle im Orden sind."

Harry seufzte.

"Du hast Recht. Lass uns gehen."
 

Er kippte den Trank in einem Zug hinunter. Hermine tat es ihm nach. Dann nahmen sie sich noch während ihrer Verwandlung an den Händen, warfen sich den Tarnumhang über und apparierten.
 

Keiner von beiden sah die dunklen Gestalten, die im selben Moment nur ein paar Meter von ihnen entfernt erschienen und zu fluchen begannen, als sie ihre Beute entwischen sahen...
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Als die Welt um sie herum wieder Gestalt annahm, sah Voldemort sich um.

Sie standen nicht weit von Hogsmeade entfernt neben einem großen Felsbrocken. Die Sonne schien und die Luft war kalt und klar.

Genau der richtige Tag, um jemanden umzubringen, dachte er.
 

„Ginny, verrätst du mir jetzt endlich, wo 'wo der Vollmond heult' ist?“

Ginny ließ seine Hand los und schüttelte den Kopf.

"Nein. Du brauchst es nicht zu wissen. Also werde ich es dir auch nicht sagen. Komm einfach hinter mir her. Das hattest du doch vor."
 

Voldemort nickte langsam.

"Du kannst immer noch nicht alles verraten."

"Nein. Beschwer dich nicht. Wegen mir bekommst du Harry, das ist für mich schon Verrat genug. Du musst nicht alles wissen."
 

Voldemort schwieg und betrachtete Ginnys Miene. Sie sah sehr beherrscht aus. Angst und Trauer, aber auch Freude, wahrscheinlich über das baldige Wiedersehen mit Harry, waren zwar versteckt, doch sie schimmerten immer noch durch Ginnys kalte Maske.

Voldemort nahm ihre Hand und drückte sie kurz. Ginny atmete tief durch, ihre Maske versteifte sich und verbarg ihre Gefühle.

"Gehen wir?"
 

Sie nickte, ließ seine Hand los und zückte den Zauberstab.

"Moment noch."

Sie schwang ihn und richtete ihn dann auf sich. Einen Moment lang flatterte ihr langer, schwarzer Kapuzenumhang in der Luft und hüllte sie ein, dann fiel er wieder herunter - als braver Schulumhang mit Gryffindorwappen, über einer nagelneuen Schuluniform.
 

Voldemort nickte anerkennend.

"Das hatte ich ganz vergessen. Gut, dass du dran gedacht hast."

Er hob die Hände in einer weiten Geste - und verschwand.

"Ich bin soweit. Führ mich zu Harry."
 

Ginny starrte einen Moment lang durch ihn hindurch, dann biss sie sich auf die Lippe, drehte sich um und ging los.

Voldemort folgte stumm.
 

Am liebsten wäre er gerannt, seinem vor Aufregung viel zu schnell schlagendem Herzen nachgerannt, sich Harry endlich geschnappt, nach all den Jahren, und sich gerächt.

Gerächt für den Schmerz von damals, hätte ihn bezahlen lassen, hätte ihn leiden lassen, bis er um den Tod winseln würde...
 

Doch Ginny hatte ihm klipp und klar erklärt, dass sie das nicht ertragen würde. Sie hatte ihm gesagt, wenn ihm etwas an ihr läge, dann sollte er Harry zumindest ohne Schmerzen umbringen - ansonsten würde sie mit Hermine gehen und ihn alleine lassen.
 

Voldemort zügelte seine Aufregung und ließ den Blick schweifen. Sie gingen jetzt direkt auf die Hauptstraße von Hogsmeade zu. Harry und Hermine hatten recht gehabt - es war Hogsmeade-Wochenende. Die ersten Schüler wuselten schon durch die Straßen und drängten sich in die kleinen Läden. Er straffte die Schultern und schlängelte sich an den Schülern vorbei, immer darauf bedacht, niemanden zu berühren.
 

Ginny war am anderen Ende von Hogsmeade angekommen, blieb einen Moment stehen und sah sich um. Noch war sie außer Sichtweite der Heulenden Hütte. Noch konnte sie zurück...

Nein, konnte sie nicht. Sie hatte Harrys Schicksal besiegelt, als sie mit Voldemort das Abkommen beschlossen hatte. Er hatte bis jetzt seinen Teil erfüllt, es war jetzt an ihr, ihren zu erfüllen...
 

Wenn es doch nur so einfach wäre. Es tat so weh... Ginny holte tief Luft und zwang sich dann, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Jetzt war es sowieso zu spät.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Harry und Hermine hatten sich, immer noch unter dem Umhang, auf das klapprige Gatter in der alten Umzäunung der Heulenden Hütte gesetzt und warteten. Harry blickte stur auf den Boden, während Hermine immer wieder den Blick über den Ortsausgang schweifen ließ.
 

Irgendwann blickte sie auf die Uhr.

"Harry, wenn wir noch eine Weile warten müssen, hört der Vielsafttrank auf zu wirken. Lange können wir nicht mehr bleiben."

"Hast du keine zweite Portion auf Reserve gebraut?", wollte er überrascht wissen. Hermine blickte ihn entschuldigend an.

"Nein, das war schon der Rest von Weihnachten. Für einen Neuen hat die Zeit nicht gereicht. Du weißt doch, er braucht einen Monat, bis er fertig ist."
 

Harry fluchte und ließ den Blick schweifen.

"Hey!", rief er plötzlich. "Das muss sie sein! Schau mal!"
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Ein Kloß machte sich in Ginnys Hals breit, als sie auf die Heulende Hütte zuging. Noch war nichts zu sehen. Kein Wunder. Harry und Hermine würden sich sicher unter ihrem Umhang verstecken. Und tatsächlich, als sie näher kam, schien die Luft auf dem Gatter zu flattern und entblößte zwei Personen. Doch es waren nicht die beiden, auf die so lange gewartet hatte.
 

Argwöhnisch ging Ginny weiter auf die Hütte zu, immer eine Hand im Umhang am Zauberstab. Als sie in Hörweite war, fragte sie kalt: "Wer sind Sie?"

Die beiden sahen recht unscheinbar aus. Es waren eine ältere Frau und ein fast ebenso alter Mann. Beide hatten angegraute Haare und waren in ausgeblichene Muggelklamotten gekleidet.
 

Die Frau stand nun auf und ging mit ausgebreiteten Armen auf Ginny zu, ein Zeichen von friedlicher Absicht. Ginny wich dennoch einige Schritte zurück. Die Frau blieb bekümmert stehen und senkte die Arme.

Dann meinte sie leise: "Wir werden dort warten, wo der Vollmond heult, denn der Vollmond ist unser Freund, auch wenn er von vielen gehasst wird."
 

Ginnys Augen weiteten sich und ihr Herz begann zu pochen. Das waren keine Fremden! Das waren Harry und Hermine in Verkleidung! Ihr wurde warm. Endlich sah sie sie wieder! Sie hatte gar nicht gewusst, wie sehr sie die beiden vermisst hatte.
 

Die Frau blickte jetzt jedoch misstrauisch. "Du könntest genauso Fassade sein. Sag mir, wer sind die Freunde des Vollmondes?"

Ginny musste lächeln. "Der Hund und die Krone", meinte sie.
 

Der Mann trat jetzt vor sie und lächelte sie traurig an. "Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ist vor einer Woche irgendetwas passiert? Irgendetwas, was mit meiner Vision zusammenhängen könnte?"
 

Ein eisiger Stein schien in Ginnys Magen zu fallen und die Wärme, die sich gerade darin ausgebreitet hatte, zu ersticken.

"Ich - ich war... Harry, ich kann es nicht sagen..."

"Warum nicht?", wollte er besorgt wissen und griff nach ihren Händen.
 

"Deswegen", ertönte plötzlich hinter Ginny eine eiskalte Stimme. Harry wurde blass und Hermine schrie auf. Ginny wirbelte herum.
 

Voldemort stand hinter ihr, mit gezücktem Zauberstab, rot lodernden Augen und einer hassverzerrten Fratze statt einem Gesicht. Ginny konnte die Kälte spüren, die von ihm ausging.

Sie musste schlucken. Es war gruselig, wie Voldemort sich verändern konnte.
 

Er packte sie ohne viel Federlesen am Arm und zerrte sie von Harry weg. Er packte so fest zu, dass sie aufschrie.

Im selben Moment donnerte er: "Expelliarmus!"

Ein einziger Zauberstab kam angeflogen. Er zog eine Augenbraue hoch, schwang kurz seinen Zauberstab und meinte dann höhnisch: "Nur einen Zauberstab für zwei? Erbärmlich!"
 

Harry und Hermine standen einen Moment geschockt da, dann wollte Harry sich bewegen - und fiel zu Boden.

"Beinklammerfluch, Potter. An deiner Stelle würde ich schön brav da bleiben."
 

Hermine biss sich währenddessen die Lippe blutig und blickte auf ihre Armbanduhr, schwieg jedoch.

Doch schon im selben Moment begannen sie sich zu verändern. Vor Ginnys Augen wurden sie wieder zu den beiden Freunden, die sie kannte. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Das würde das letzte Mal sein, dass sie Harry sah. Wahrscheinlich auch das letzte Mal, dass sie Hermine sah.
 

Voldemort schwang wieder seinen Zauberstab. Harry wurde zurück auf die Füße gehoben, die Beine jedoch immer noch zusammen gehext.

"Kleine Schlammblüterin, willst du mit ansehen, wie dein Freund stirbt?"

Hermine schüttelte stumm und käsebleich den Kopf.

"Das wirst du aber. Und dann werde ich dich gehen lassen, damit du all deinen kleinen Blutsverräterfreunden erzählen kannst, wie euer Held gestorben ist."
 

Hermine wurde noch blasser, biss sich jedoch immer noch auf die Lippe, um stumm zu bleiben. Sie blutete schon.

Ginnys Herz pochte gegen ihre Rippen wie ein gefangener Vogel. Sie wusste, was jetzt kommen würde. Und sie wusste auch, was sie noch tun musste. Warum war es nur so schwer, den Mund zu öffnen?
 

"Hermine - mach dir um mich kein Sorgen", sagte sie zittrig. "Tu, was er sagt. Wenigstens du sollst nicht sterben müssen."

"Halt den Mund!", fauchte Voldemort sie an und schüttelte sie. Wieder musste sie schreien, weil er sie so fest gepackt hatte.

"Silencio!", zischte er. Ginny schnappte, stumm geschlagen, nach Luft und sah Hermine flehentlich an.

Hermine blickte verzweifelt drein, nickte aber.
 

Voldemort richtete den Zauberstab auf Harry. "Nun, Potter. Es wird Zeit, dass ich mich für den Todesfluch revanchiere, den du mir vor sechzehn Jahren verpasst hast. Willst du noch irgendetwas loswerden?"

Harry blickte leichenblass von einem zum anderen. Sein Blick blieb bei Ginny hängen.
 

"Ich liebe dich, Ginny."
 

"Avada Kedavra!!"

Epilog

Kapitel 25: Epilog
 

Harry blickte leichenblass von einem zum anderen. Sein Blick blieb bei Ginny hängen.
 

"Ich liebe dich, Ginny."
 

"Avada Kedavra!!"
 

Der grüne Strahl sauste binnen einer Sekunde durch die Luft und traf Harry mitten in die Brust.
 

Hermine schrie gellend auf.

Auch Ginny hätte geschrien, hätte sie nicht unter einem Schweigezauber gestanden. Sie schien in ein unendlich tiefes Loch zu fallen, in ein Loch, welches sie sich selbst gegraben hatte.
 

Er liebte - nein, hatte sie immer noch geliebt. Ihr schossen die Tränen in die Augen.

Und was hatte sie undankbare Gans getan? Sie hatte Voldemort geholfen, ihn umzubringen! Den Jungen, den sie solange geliebt hatte!

Warum musste er ihr auch ausgerechnet jetzt noch sagen, dass er sie liebte? Verdammt, warum musste er alles nur so kompliziert machen?
 

Durch einen Tränenschleier nahm sie Hermine wahr, die rückwärts stolperte. Sie wischte sich mit der freien Hand über die Augen und blinzelte.

Auch über Hermines Gesicht liefen Tränen. Sie meinte leise: "Leb wohl, Ginny. Ich werde dir helfen, keine Sorge. Ich befreie dich."

Sie warf Harrys Körper, der leblos auf dem Boden lag, einen langen Blick zu und schluchzte erneut auf. Dann funkelte sie Voldemort einen Moment hasserfüllt an, wirbelte herum und rannte.
 

Voldemort hatte sich seit dem Todesfluch nicht mehr gerührt. Immer noch hatte er den Zauberstab auf die Stelle gerichtet, an der zuvor Harry gestanden hatte. Er murmelte etwas Unverständliches. Für Ginny hörte es sich an wie eine Beschwörungsformel.
 

Sie kümmerte sich nicht darum, entriss ihm ihren Arm und sank neben Harry auf die Knie. Wieder kamen ihr die Tränen.

Sie war schuld.

Sie ganz allein.

Sie hatte Harry umgebracht.

Sie.

Sie!

Die Worte hämmerten ihr von innen gegen den Schädel. Es tat so furchtbar weh... Wieder schluchzte sie auf. Die Welt begann sich zu drehen. Wie hatte sie nur jemals glauben können, es wäre leichter, Harry umzubringen, als selbst zu sterben?
 

Plötzlich sprach Voldemort lauter. Die Beschwörung klang ziemlich düster, auch wenn Ginny kein Wort verstand.

Mühsam riss sie den Blick von Harrys bleichem Gesicht los und blickte zu Voldemort auf. Und sprang entsetzt auf die Füße.
 

Voldemort leuchtete in einem seltsamen roten Licht, und sein Zauberstab - war auf Ginny gerichtet!
 

Sie wollte protestieren, doch noch immer kam kein Laut über ihre Lippen. Sie stolperte rückwärts, fiel über Harrys Körper und landete auf dem Hintern.
 

Fassungslos starrte sie Voldemort an, der mit einem fast euphorischen Lächeln auf dem Lippen die Beschwörung vollendete und ein nachtschwarzer Lichtblitz auf Ginny zuschoss.
 

Ihre Augen weiteten sich. Es war keine Zeit mehr, auszuweichen.
 

Einen Moment vor dem Zusammenstoß glaubte Ginny, zwei Voldemorts zu sehen - einer davon lichtdurchlässig und schemenhaft - dann traf der Strahl sie ins Gesicht und sie fiel ins Dunkel.
 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^
 

Das erste, was Ginny wahrnahm, als ihr Bewusstsein zurückkehrte, war Toms Anwesenheit in ihrem Kopf. Als nächstes kamen die Kopfschmerzen zurück. Und dann die Erinnerungen.
 

Ginny spürte, wie sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Harry war tot. Nur mühsam konnte sie die Tränen stoppen, die ihr schon wieder aus den Augen quollen.
 

Nach einer Weile konzentrierte sie sich, immer noch mit geschlossenen Augen, auf Tom, der immer noch in ihrem Geist zu spüren war, und dachte: 'Was machst du in meinem Kopf? Was hast du überhaupt mit mir angestellt?'
 

'Mach die Augen auf, Ginny. Da ist jemand, der mit dir reden möchte.'

'Das war keine Antwort!'

'Mach erst die Augen auf!'
 

Ginny seufzte und öffnete mühsam die Augen. Und zuckte zurück. Direkt vor ihrer Nase schwebte ein großer Schlangenkopf. Die Schlange musterte sie mit stechenden, gelben Augen und legte leicht den Kopf schief.
 

Plötzlich öffnete sie leicht ihr Maul und zischte etwas. Ginny hörte jedoch durch das Zischen hindurch deutlich Worte: "Ichhhh bin Nagini. Ssschön, dasssss wir unssss endlichhhh kennen lernen, Ginny."
 

Ginny schrie auf und krabbelte rückwärts.

Doch die Schlange redete ruhig weiter. "Ichhhh weissss, dassss dassss für dichhhh komissssch ssssein mussss. Wunder dich nicht - der Meisssster hat sssseine Fähigkeiten mit dir geteilt. Alsssso auchhhh Parssssel. Du bisssst nicht verrückt."
 

"Was?", fragte Ginny verdattert. Und schlug gleich darauf entsetzt die Hand vor den Mund. Daraus waren keine Worte gekommen, sondern ein lautes Zischen. Doch Nagini schien zu verstehen.
 

"Ja, hat er. Weisssst du noch, alssss wir in Godric'ssss Hollow waren? Damalssss hat der Meisssster dich gefragt, ob du gerne mit mir reden möchtesssst. Du hasssst ja gessssagt."
 

Nur langsam sickerte die Bedeutung der Worte in Ginnys Bewusstsein. "Aber-", setzte sie an, hielt jedoch angesichts des Zischens, das erneut aus ihrem Mund kam, irritiert inne.
 

"Keine Angst", ertönte plötzlich Toms Stimme. "Das ist vielleicht am Anfang etwas komisch, aber es ist genauso wie normales Sprechen. Du musst dich nur daran gewöhnen."
 

Ginny sah auf. Sie saß auf der Waldlichtung, auf der sie die vorige Woche verbracht hatten. Tom hatte sich nicht weit von ihr an einen Baum gelehnt und beobachtete sie lächelnd.
 

Sie funkelte ihn an. "Was soll das heißen, deine Fähigkeiten mit mir geteilt? Was war das für ein Fluch? Und warum hab ich dich doppelt gesehen, bevor ich umgekippt bin?"
 

Tom seufzte, kam zu ihr herüber und setzte sich auf den harten Waldboden. Nagini kroch zu ihm und legte den Kopf auf seinen Schoß.
 

Er streichelte sie abwesend, als er sagte: "Das war ein seltener schwarzmagischer Zauber. Mit diesem Zauber kann man seine Seele spalten und einen Teil davon jemand anderem geben."
 

Ginny brauchte eine Weile, um diese Ungeheuerlichkeit zu verdauen.
 

Dann meinte sie langsam: "Also... deine Anwesenheit in meinem Kopf... ist das dieser Seelenteil?"

Tom nickte.
 

"Ich hoffe natürlich, du hält ihn in Ehren", meinte er mit einem Zwinkern und streckte eine Hand nach ihr aus.

Ginny musste lächeln und ergriff die Hand.

"Das werde ich, Tom."
 


 

^^°°***°°***^^***°°***°°^^ Ende ^^°°***°°***^^***°°***°°^^



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Kommentare zu dieser Fanfic (32)
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Von: abgemeldet
2013-05-02T20:56:05+00:00 02.05.2013 22:56
Ein sehr spannendes erstes Kapitel, das Lust auf mehr macht. :)

Sheena93 kann ich michda nur anschließen: Ginnys Gefühlswelt beschreibst du wirklich sehr interessant und man kann nachvollziehen, warum sie so fühlt.


Ich finde es sehr schön, dass du Zaubersprüche (vor allem tatsächlich in den Büchern/Filmen vorkommende) benutzt, denn ich habe schon viele FFs gelesen, wo in über 20 Kappis kein einziger vorkam und ich meine...hey, es ist HARRY POTTER, da gehört das doch schon dazu. :D

Wie gesagt: Gut geschrieben, MrsJohnlock wird sihc da in nächster Zeit mal weiter durcharbeiten. ;)
Antwort von:  Kiajira
04.05.2013 00:18
Uh, danke für den lieben Kommi!

Schön, dass es dir trotz Warnung gefällt - noch xD
Ich hoffe, Ginny bleibt so nachvollziehbar.

Whut? Was für Blödsinn ist das denn? Ab und zu gehört nun mal gezaubert... Manchmal ist es zwar auch eine längere Strecke ohne einen namentlich erwähnten Zauber, aber in der Handlung will ich eigentlich schon Zauber drin haben, auch wenn ich es nicht erzwinge. Wozu hab ich sie denn sonst?

Alles klar, viel Spaß ^^
Von:  Sheena93
2010-02-06T17:10:03+00:00 06.02.2010 18:10
So, ich hab jetzt mal das erste kapitel gelesen. Ich finds sehr interesant,wie du Ginnys Gefühlswelt darstellst. Ich hab da nie so drüber nachgedacht,aber man ihre Gedanken gut nachvollziehen.
Der Cliffhanger am Ende des Kapitels macht Lust das nächste zu lesen.
Nur,eine Kleinigkeit: diese Trennungszeichen (^^**~~ etc.) sind etwas irritierend besonders, weil ich dabei "^^", immer an etwas lustiges denken muss,was hier ja gar nciht passt.
Insgesamt aber ein guter Anfang. :)
Von:  Lesemaus
2009-04-28T12:30:30+00:00 28.04.2009 14:30
Na du^^
Ich kenne deine FF von Faction schon, da ich mich da aber von meinen Eltern nicht anmelden darf, aus welchen Gründen auch immer, hatte ich gehofft deine FF hier anzutreffen^^
Ich muss dir wirklich sagen, dass sie einfach genial geworden ist^^ Bei der Pairingwahl war ich als erstes skeptisch, doch je weiter die Geschichte lief, desto besser fand ichs und bin momentan schon an deiner Fortsetzung^^
Ich kann an dieser FF wirklich nichts aussetzen und ich hoffe du schreibst weiter so fleißig wie bisher^^
Würde mich über eine Benachrichtigung per ENS von deiner Seite sehr freuen^^
Weiterhin viel Erfolg bei Mexx
Lesemaus
Von:  Lilly-san
2009-04-17T18:11:50+00:00 17.04.2009 20:11
Habe es nun endlich mal geschafft dein FF zu lesen^^

Das ist mal ein sehr ungewöhnliches Pairing. Aber gut^^

Dass es ein offenes Ende gibt, lässt hoffen, dass es vielleicht weiter geht?!^^
Mich würde es nämlich auch sehr interessieren, was mit Hermine und ihrer Aussage ist.^^ Oder mit Neville und Luna...^^

Eine wirklich schöne Story!
Bin begeistert^^

Lg^^
Von:  Voldemort
2009-04-17T17:00:34+00:00 17.04.2009 19:00
ein offenes ende :D
ich bedauere auch das es schon vorbei ist, mir wird jetzt sicher was auf animexx fehlen :) :)
irgendwie wusste ich sofort, dass er sie zu einem horkrux gemacht hat, eine wirklich gute idee! so ist sie stärker an ihn gebunden. ginny wird noch eine weile zu kämpfen haben, und ich wäre gespannt gewesen wie tom sich entwickelt hätte, jetzt, da sein unglaublicher hass auf harry ja beseitigt ist. und wie es mit den beiden weiter gehen würde, sie können ja nicht ewig auf der lichtung bleiben und voldemort hat sicher noch andere pläne. besonders interessant wäre, was aus seinen todessern geworden ist, aus bella, oder aus ihrer familie und inwiefern hermine ihr noch helfen wollte^^
fazit: eine wirklich schöne geschichte, viele überraschende wendungen, logische charakterentwicklung und genügend platz für eigeninterpretationen ^_____________^
daumen hoch, und danke für die gute unterhaltung :)
Von:  SnoopFroggyFrog
2009-04-17T14:54:44+00:00 17.04.2009 16:54
hmmm...na ja, ich habe immer gefunden das síe besser zu Tom passt^^
Aber das Ende ist gut, ich hatte ja eigentlich nicht erwartet das er noch auf sie achten würde^-^
so kommt er mir richtig süß vor, schade das es schon vorbei ist T-T
Von:  SnoopFroggyFrog
2009-04-14T20:13:29+00:00 14.04.2009 22:13
hammer!!! ^^ ich liebe diese geschichte, ich hab mich schon gefragt wann voldemort wieder zu dem bösen Mistkerl wird^.-
ich freu mich so aufs nächste Kapitel *quietsch*^-^

Von:  Voldemort
2009-04-14T19:30:29+00:00 14.04.2009 21:30
huhuhuhu^^ da ist voldemort wieder wie wir ihn alle kennen :D
wie blind ihn sein hass auf harry macht, das ist wirklich erstaunlich. ohne rücksicht auf verluste und nur ein ziel im kopf, die arme ginny!
mal wieder ein ganz gemeines ende >< man weiß nicht ob wieder was dazwischen gekommen ist und besonders, wie ginny reagiert! und ob voldemort sich wieder einkriegt und sich vielleicht sogar dazu herab lässt sich zu entschuldigen, wirklich, ganz gemein :) :)
ich freue mich aufs nächste kapitel ^_____^
Von:  Beere
2009-04-11T13:14:39+00:00 11.04.2009 15:14
Ob Harry wirklich stirbt und niemand(hermine) 'es' rausfindet?
Ich mag die Entwicklung, wurde aber auch mal Zeit, dass Ginny sich überwindet und er richtig reagiert ^-^
Freu mich aufs nächste Kapitel x3
Von:  DarkEye
2009-04-11T11:55:06+00:00 11.04.2009 13:55
:D
total krass
nur weiter so
dark


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