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Mosaik

von

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Ehrlich

Hallo Ihr Lieben :)!

Hier ist das neue Kapitel, auf das Ihr leider Gottes mal wieder ziemlich lange warten musstet. Tut mir Leid deswegen...*drop*...

Aber einen Lichtblick gibt es: Da ich das nächste Kapitel jetzt schon fertig habe, werdet Ihr wohl nicht nochmal so ewig warten müssen. Hurra :)!

So. Ich hoffe, es gefällt Euch und Ihr verabscheut David hinterher nicht allzu sehr. Wir gelangen langsam in die entscheidende Phase, sodass jetzt sämtliche Tiefen erschlossen werden, wenn Ihr versteht, was ich meine^^.

Drückt Sascha von mir, wenn Ihr ihn seht!

Liebste Grüße von Eurer

Lung

____________________________________________________________________
 

Das Zentrum empfing David und Sascha am Nachmittag mit dem üblichen Geräuschpegel, der alltäglichen Geruchspalette und dem gewöhnlichen Panorama. In den Gehegen zwitscherten, krähten, schrien und plapperten die Vögel, die Luft roch nach kaltem Regen, feuchtem Gras und zusammen gepferchten Tieren, die sich in ihren beengten Boxen tummelten. Fast war es malerisch, wie sich die dunklen Äste der inzwischen nahezu ganz und gar blattlosen Bäume in den mattgrauen Himmel bohrten. Aber nur fast.

Während David neben Sascha über den gepflasterten Hof seines zweiten Zuhauses schritt, klopfte sein Herz immer noch laut und heftig in seiner Brust. Er und Dings hatten vor zwei Minuten die letzte Chance und die vorübergehende Abwesenheit anderer humanoider Lebensformen genutzt, um hinter einem Baum noch ein paar Intimitäten auszutauschen, bevor sie erneut – wie vorher im Zug und im Bus – von Menschen umringt sein würden.

Eigentlich eine ziemlich blöde Idee. Denn nun war ihm furchtbar heiß und sein Kopf voll von anzüglichen Erinnerungen. Wie sollte er sich da auf freundlichen Smalltalk unter Kollegen konzentrieren?
 

„Warte noch nen Moment,“ murmelte er also, nachdem sie die Betreten verboten-Tür zum Zivi-Bereich erreicht hatten und blieb stehen.

Sascha, der bereits seinen Schlüssel gezückt hatte, hielt ebenfalls inne und sah ihn fragend an.

„Ich will nur...kurz abkühlen...,“ fügte David peinlich berührt hinzu, „Falls jemand...drin ist.“

„Ach so...,“ erwiderte Mr. Feuerstein und lächelte schief, wobei er zwischen echter und falscher Belustigung zu schwanken schien, „In Ordnung...,“

Sie lehnten sich neben die Tür an die dunkelrote Backsteinmauer und schwiegen, während David sich die frische Luft zufächelte, um sein erhitztes Gesicht zu kühlen. Er schluckte.

Dies wäre der richtige Moment, um Plan Nr. Drei noch einmal zu aktivieren und Dings zu fragen... Sie waren allein und die Stimmung war schon wieder ein wenig gespannt, dass sämtliche Organe in Davids Innerem mit Warnschildern wedelten. Außerdem würde diesmal mit Sicherheit keine Schwester zur Tür hereinplatzen und stören.

David nahm all seinen Mut zusammen und holte Luft. Doch bevor er den Mund aufmachen konnte, kam ihm Sascha zuvor.
 

„Übrigens, ich wollte...,“ fing Dings drucksend an und räusperte sich, „...ich wollte mich noch dafür bedanken, dass du...mich mitgenommen hast...,“ er erwiderte Davids verdutzten Blick ziemlich verlegen, „Das...war wirklich schön. Deine Familie ist...echt großartig.“

„Danke...,“ lächelte David und sein Herz hüpfte freudig.

„Aber...,“ fuhr Dings mit schwerer Stimme fort und Davids Herz versteinerte, „Du...musst mich nicht noch einmal mitnehmen, wenn...es dir unangenehm ist...,“

David starrte ihn an.

„Unangenehm?“, wiederholte er irritiert, während Sascha konzentriert in den bewölkten Himmel blickte, als kreise dort ein Drache, „Wieso...sollte es mir denn unangenehm sein? Red doch nicht son Scheiß!“

Sascha zuckte tatsächlich leicht zusammen. Dann wandte er das Gesicht wieder David zu. Seine Miene war unergründlich. Irgendwie...hoffnungsvoll und zärtlich und...misstrauisch zugleich. Davids Herz machte einen nervösen Purzelbaum.
 

„Wirklich nicht,“ sagte er ernst, um Sascha diese dämlichen Flausen endgültig aus dem Kopf zu vertreiben, „Ehrlich gesagt...,“ er zögerte kurz, „Ehrlich gesagt, fand ich es... sehr...nett..., dass du...mitgekommen bist. Ich glaub, ohne dich...wär ich nicht gefahren...,“

Er verstummte eilig und senkte den Blick.

Super. Jetzt brannte sein Gesicht schon wieder so. Hatte ja wunderbar geklappt, mit dem Abkühlen. Überhaupt, wieso sagte er Dings sowas? Okay, es stimmte zwar, aber der Depp bildete sich darauf bestimmt etwas ein und machte irgendwelche unpassenden Bemerkungen.

Hastig begann David wieder damit, sich Luft zu zufächeln.

„Ehrlich...?“, hörte er Sascha dann jedoch wispern und sein Herz stockte.

Vorsichtig hob er den Kopf und schaute Mr. Offenbar-Fast-Zu-Tränen-Gerührt wieder an. Dessen ganzes Gesicht strahlte so hingerissen, dass David bei dem Anblick beinahe vergaß, was er eben gesagt hatte.

„Mhm...,“ machte er schwach.
 

„Gott, David...,“ hauchte Sascha und leuchtende Sternchen traten in seine Augen, „Du bist sooo toll! Ich bin so v–,“

Seine Stimme erstarb mit einem Schlag und ein gequälter Ausdruck ersetzte die schimmernden Sternschnuppen. Jedoch nur für einen einzigen Wimpernschlag und bevor David auch nur im Geringsten reagieren konnte. Sofort war das Leuchten wieder da, allerdings...ein kleines bisschen vermindert.

Sascha lächelte sanft. Dann streckte er die Hand aus und ergriff die Davids. Ganz behutsam und vorsichtig, als wäre Händchenhalten in der Öffentlichkeit etwas unerhört Verbotenes und Anrüchiges. Und tatsächlich: Davids gesamter Bauchbereich schien vor Schreck in die Höhe zu springen. Er zuckte zusammen und schnappte unwillkürlich nach Luft. Und entzog Sascha seine Hand auf der Stelle.

„Bist du bescheuert?!“, zischte er entsetzt, „Wenn uns jemand sieht! Die Zivi-Küche hat ein Fenster, du Idiot!“

Saschas Gesicht fiel prompt in sich zusammen.

„Aber...hier ist absolut niemand außer uns...!“, flüsterte er erschrocken.
 

Wie um Dings’ Worte Lügen zu strafen, erklang in diesem Moment ein schicksalhaftes Rumpeln aus der Scheune, das David abermals zusammen fahren ließ. Als er sich hektisch umdrehte, um durch die Fenster der geschlossenen Doppeltür zu spähen, erkannte er eine breite Gestalt, die bei der Tierannahme herum hantierte. Könnte Eric sein.

Sein Magen verkrampfte sich.

„Und ob hier jemand ist!“, fauchte er gedämpft und funkelte Mr. Unerträglich-Leichtsinnig ungehalten an, „Wir werden hier nie allein sein, verdammt!“

Er atmete einige Male tief durch.

„Entschuldige...,“ murmelte Dings tonlos.

„Schon gut...,“ brummte David und rieb seine Hände an seiner Jeans, als hätte Sascha auf ihnen ein verräterisches Sekret hinterlassen, „Lass uns jetzt reingehen. Bevor noch wer rauskommt...,“

Dings nickte stumm. Kommentarlos trat er zur Betreten verboten-Tür, schloss sie auf und ging hindurch. David folgte ihm mit etwas Abstand.
 

Kaum hatten sie den Flur betreten, hörten sie die Stimmen aus der Zivi-Küche. Es waren Linda und Miriam. Sie saßen am Esstisch und unterhielten sich gedämpft.

„–echt krass,“ meinte Linda gerade, „Ich meine, er war ja schon immer etwas... schwierig, aber das...,“

David machte Anstalten die Treppe zu seinem und Saschas Zimmer hinaufzusteigen, um seinen Rucksack erst mal abzulegen (und eventuell noch ein wenig...nun ja). Doch statt es ihm gleichzutun, stürmte Dings zielstrebig am Heizungskeller vorbei und in die Küche hinein, seine Reisetasche nach wie vor über der Schulter und ohne auch nur im Mindesten auf David zu achten. Der starrte ihm völlig verblüfft hinterher.

„Wer ist schwierig?“, hörte David ihn einen Moment später sehr interessiert fragen und kurz darauf, wie er von den Mädchen erfreut begrüßt wurde.
 

Er runzelte die Stirn. Sein Magen zog sich wiederholt schmerzhaft und verwirrt zusammen. Irgendwas stimmte hier schon wieder nicht. Das war doch sonst nicht Saschas Art. Einfach so an ihm vorbeizurennen... Beunruhigt wandte er sich wieder von der Treppe ab und ging Mr. Hide hinterher in die Küche.

„Hallo, David!“, strahlte Linda ihm zu, sobald er im Türrahmen erschien.

David zwang sich zu einem unbekümmerten Lächeln und einem lässigen Hi!, das selbst in seinen Ohren mehr als nur beknackt klang. Doch er war zu abgelenkt, um sich lange damit zu beschäftigen. Seine Augen huschten sofort zu Sascha hinüber, der sich, seine Jacke und seine Reisetasche bereits auf das leere Sofa gesetzt hatte und Davids Anwesenheit so vollkommen ignorierte, als hätte Linda lediglich eine hereinschwirrende Fliege begrüßt.

„Wer ist schwierig?“, wiederholte er seine Frage soeben, seinen Blick starr auf Miri gerichtet.

„Freddy,“ entgegnete Linda und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
 

„Wieso? Was hat er denn gemacht?“, mischte sich David laut ein, um Sascha daran zu erinnern, dass er sich ebenfalls im Raum befand. Doch offenbar war Dings vorübergehend sowohl erblindet als auch ertaubt. Jedenfalls...was David anging.

„Ben hat ihn so genervt, dass er ziemlich ausgerastet ist,“ erzählte Miri betroffen, „Er hat durch die ganze hintere Scheune gebrüllt und seine Faust in die Wand gerammt. Ihr solltet sie sehen. Sie ist ganz blau und geschwollen.“

„Gott o Gott...,“ flüsterte Dings mit großen Augen und auch David schluckte. Allerdings weniger aufgrund von Freddys Verhalten. Das der leicht reizbar und ziemlich ungeduldig sein konnte, wusste er schon lange. Spätestens seit Nick, sein eigener Vorgänger, wegen einer Auseinandersetzung mit Freddy in Tränen ausgebrochen war und seinen Zivildienst daraufhin zwei Monate früher beendet hatte. Nein, mit Freddys Unberechenbarkeit konnte er umgehen. Aber mit Saschas nicht.
 

Was, zum Teufel, war nur wieder los? Es war ja schön und gut, dass Mr. Normalerweise-Keine-Hemmungen-Und-Jetzt-Das sich vor den Mädchen zusammen riss und ihn nicht ansprang, aber...ansehen...das konnte er ihn jawohl. Oder mit ihm sprechen. Das war jetzt schon das zweite Mal an diesem verfluchten Tag, dass er David wie ein Möbelstück behandelte. Was hatte er jetzt wieder falsch gemacht? Okay, er hätte ihn nicht so anblaffen müssen, als er draußen seine Hand genommen hatte. Aber mal ehrlich: Das war einfach viel zu auffällig gewesen, das müsste ihm doch klar sein!

Den Rest des Gespräches bekam David nicht mit. Er schwieg und bemühte sich, nur alle vier Sekunden zu Sascha hinüber zu blicken, während er ein endloses Mantra in seinem Kopf hin und her rollen ließ: Sieh mich an! Sieh mich an! Sieh mich an! Doch es war vergeblich. Dings nahm seine telepathische Nachricht einfach nicht wahr. Er sah Linda und Miriam abwechselnd an und redete und lachte. Aber David war Luft für ihn.
 

Der unsichtbare Mensch namens David kam erst wieder zu sich, als er eilige Schritte auf der kleinen Treppe zu den Büroräumen vernahm. Einen Augenblick später stieß Bettina die Tür zwischen Seminarraum und Zivi-Küche auf.

„Oh, hallo,“ sagte sie und lächelte David und Sascha an, „Da seid ihr ja wieder. Schöne freie Tage gehabt?,“ bevor einer von ihnen antworten konnte, fuhr sie fort, „Übrigens, Sascha, ich soll dich von deiner Mutter grüßen.“

Einen Moment herrschte Grabesstille.

David drehte den Kopf, um den schweigenden Sascha anzuschauen und erschrak tatsächlich ein wenig: Dings war blass geworden. Er wirkte geradezu paralysiert und musste sich einmal räuspern, bevor seine Stimme wieder funktionierte.

„Ähm... D...Danke...,“ stammelte er und David sah aus den Augenwinkeln, wie Linda und Miriam verwunderte Blicke tauschten, „Aber....wieso? Hattest du etwa Kontakt...mit ihr?“
 

„Ja, allerdings,“ erwiderte seine Chefin gleichmütig und David erinnerte sich jäh daran, dass Bettina ja Saschas Tante und somit auch die Schwester seiner Mutter war, „Sie hat mich angerufen und sich nach dir erkundigt. Ich hab ihr gesagt, dass du ausgezeichnete Arbeit leistest,“ sie schenkte dem absolut perplexen Sascha ein weiteres Lächeln und wandte sich dann ohne Umschweife David zu, „Da fällt mir ein: David, kann ich kurz in meinem Büro mit dir sprechen?“

David sackte das Herz in die Hose. Wenn die Chefin jemanden allein im Büro sprechen wollte, war das normalerweise kein gutes Zeichen. Hastig durchwühlte er sein Hirn nach irgendwelchen Verbrechen, die er begangen und vergessen hatte. Doch ihm fiel nichts ein.

„Äh... Sicher...,“ antwortete er unruhig, ließ seinen Rucksack von seiner Schulter gleiten und folgte Bettina aus der Zivi-Küche. Als er sich noch einmal zu seinen drei Kollegen umdrehte, erwiderten nur Linda und Miri seinen Blick. Sascha fixierte unverwandt seine Reisetasche, schien sie jedoch nicht zu sehen. Vielleicht verweilte er das erste Mal seit langer Zeit wieder in Hamburg.
 

Im Büro seiner Chefin angekommen, setzte sich Bettina auf den Stuhl hinter ihrem Schreibtisch, während David stehen blieb und sich mit klopfendem Herzen umsah. Er war schon seit einer Weile nicht mehr in diesem Raum gewesen und leicht schockiert angesichts der herrschenden Unordnung: Auf dem Tisch türmten sich die Papiere und Unterlagen, jedes Regal fasste zahllose Aktenordner und Kartons. Der Boden war bedeckt von Kisten und irgendwelchem Krimskrams, der offenbar nirgendwo mehr Platz gefunden hatte – unter Anderem der Hundekorb von Cindy, Bettinas braunweißgefleckter Promenadenmischung. Dort, wo Mark, der Vize-Chef üblicherweise saß, stapelten sich außerdem mehrere benutzte Kaffeetassen und Teller mit Kuchenkrümeln.

„David...,“ begann Bettina schließlich und der Angesprochene schluckte schwer.

„Ja...?“

„Ich...möchte dir danken.“

David blinzelte.

„Äh...,“ machte er verständnislos, „Danken...? Wofür...denn das...?“

„Dafür, dass du Sascha unter deine Fittiche genommen hast.“
 

Fast wäre David die Kinnlade auf die Brust gesackt.

Wie bitte?! Fittiche? Er? Sascha? Was meinte sie bloß damit? Grundgütiger! Hatte Bettina etwa Verdacht geschöpft?! Nein, nein, bitte nicht! Das konnte doch nicht sein! Oder...?!

Mit Müh und Not hielt David seinen entsetzten Körper davon ab, erst in Flammen aufzugehen und dann schnellstens das Weite zu suchen. Als er sprach, zwang er sich zu einer einigermaßen ruhigen Tonlage.

„Ich...fürchte, ich...verstehe nicht ganz...,“

Seine Chefin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und musterte ihn scharf.

„Nun ja. Zu Beginn seines Zivildienstes fiel Sascha die Anpassung sichtlich schwer. Er kam ständig zu spät und Freddy hat sich mehrmals über seine fehlende Arbeitsmoral beklagt. Aber seit ihr zwei so viel Zeit miteinander verbringt, hat sich das von Grund auf geändert. Ich dachte, du hättest ihm ins Gewissen geredet?“
 

David konnte es kaum glauben. Gleichzeitig durchströmte ihn herrliche Erleichterung bis in die Zehenspitzen.

Gott sei Dank. Sie ahnte nichts. GOTT SEI DANK!

Dennoch... Dies war irgendwie auch zuviel der Ehre. Schließlich hatte David Mr. 180-Grad-Drehung nie direkt ins Gewissen geredet. Eigentlich hatte er ihn die erste Zeit über nur zusammen geschissen. Ob das den gleichen Effekt gehabt hatte?

„Ich...ich glaub nicht, dass ich...,“ antwortete er vage, aber ehrlich und räusperte sich ratlos, „Ich hab eigentlich nie...,“

„Wie auch immer,“ unterbrach Bettina sein Gebrabbel und presste einen Finger auf die Tastatur ihres uralten und summenden Computers, worauf der Bildschirm sich erhellte, „Auf jeden Fall scheinst du einen guten Einfluss auf ihn zu haben,“ sie hob ein letztes Mal den Kopf und lächelte ihn an, „Ich freue mich, dass ihr so gute Freunde geworden seid.“
 

David lächelte zum Abschied dümmlich und machte ein quakendes Geräusch, das man sowohl als Danke als auch als Tschüss interpretieren konnte. Anschließend verließ er hastig das Büro seiner Chefin und begann dann sehr langsam die paar Stufen zum Seminarraum hinabzusteigen.

Sein Herz hatte bei Bettinas letztem Satz einen sonderbar verqueren Hüpfer gemacht, als wüsste es nicht direkt, was es von dieser Sicht der Dinge halten sollte.

Guter Freund. Nein, so würde er Dings nicht beschreiben. Kenji war sein Freund, seit ewigen Zeiten. Mit Linda und Miriam war er befreundet. Aber mit Sascha?

Okay, sie lachten und redeten viel. So, wie man es mit guten Freunden machte. Doch wenn er an Kenji oder Linda dachte, dann erinnerte er sich an eine witzige Gegebenheit oder fragte sich, was sie wohl gerade taten oder wie es ihnen ging.
 

Wenn er dagegen an Sascha dachte, dann...wurde ihm heiß und kalt und das Verlangen stieg in ihm hoch wie frisch eingeschüttetes Warsteiner in einem Bierglas.

Mit Kenji wollte er rumhängen, um sich mäßig tiefgründig zu unterhalten oder Musik zu hören oder Fußball zu spielen. Mit Sascha wollte er rumhängen, um...ihn zu küssen und seine nackten Schulterblätter zu streicheln und...ihn einfach nur mal anzuschauen, wenn er...kochte oder sich die Zähne putzte oder sich das dunkle Haar aus der Stirn strich...

Nein, Sascha und er waren keine guten Freunde. Jedenfalls nicht im engeren Sinne. Sie waren... Ja, was eigentlich? Gab es ein Wort für ansatzweise befreundete Kollegen, die knutschten und in einem Bett schliefen und...gemeinsam die Familie des einen besuchten, um sich nicht voneinander trennen zu müssen?
 

Bevor David auf diese Frage eine befriedigende Antwort gefunden hatte, hatte er die Tür zur Zivi-Küche erreicht und aufgestoßen. Miriam und Linda waren inzwischen fort und vermutlich wieder an die Arbeit gegangen. Doch Mr. Freund-Oder-Nicht- Freund-Das-Ist-Hier-Die-Frage...war noch da.

Er kniete auf dem Sofa, mit dem Rücken zu David, und prüfte den Dienstplan für die kommende Woche, der hinter dem Sofa an einer Pinnwand befestigt war. Als David jedoch eintrat, fuhr er zusammen und wirbelte herum. Ihre Blicke trafen sich und sofort schlug Davids Magen ein paar so energische Loopings, dass er beinahe die Balance verlor.

„Was wollte sie?“, erkundigte sich Sascha atemlos.

David starrte ihn grimmig an.

Aha, jetzt beachtete ihn der Herr also wieder, ja? War er ihm als Gesprächspartner jetzt wieder gut genug? War sein Anblick jetzt wieder zu ertragen?

„Nichts Besonderes,“ knurrte er und griff nach seinem Rucksack am Boden.

„Ging...es um meine Mutter?“
 

David verharrte mitten in der Bewegung und stand dann wieder auf. Überrascht betrachtete er sein Gegenüber. Sascha wirkte angespannt.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte er.

Dings ächzte leise und stieß die Luft aus, die er scheinbar angehalten hatte.

„Das...heißt nein, oder...?“

David nickte und beobachtete Dings dabei, wie er sich mit einem Seufzer zurück auf die Couch sinken ließ und sich erschöpft über das Gesicht strich. Davids kurzweilige Empörung verpuffte in Sekundenschnelle.

„Alles okay?“, fragte er besorgt und machte einen Schritt auf ihn zu.

„Ja...,“ murmelte Sascha und hob den Kopf, um David anzusehen, „Schon gut. Alles in Ordnung...,“ er schaffte den Anflug eines Lächelns, „Bettina hat mich nur ziemlich kalt erwischt mit dem...Gruß...,“

David dachte an die komplizierte Beziehung, die Sascha zu seiner Mutter hatte und von der er immer noch nicht besonders viel wusste, und nickte abermals.
 

„Hättest du...es lieber gehabt, wenn...sie dich angerufen hätte?“, fragte er behutsam.

Dings musterte ihn immer noch. Dann zuckte er die Schultern und wandte den Blick ab.

„Jein...,“ antwortete er matt, „Ich...weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Bei mir meldet sie sich nie, stattdessen ruft sie ihre Schwester – meine Chefin – an und erkundigt sich bei ihr, wie es mir geht...,“ er schnaubte angewidert.

David schluckte. Sascha so deprimiert zu sehen, deprimierte ihn ebenfalls. Er kannte sonst niemanden, der Dings mit seinen Worten und Handlungen so aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Was für eine Mutter war das eigentlich?

Er wollte Frau Locon grad mit einem als unklug geltenden Wiederkäuer betiteln, als ihm etwas an Saschas letzter Äußerung auffiel.

„Was soll das heißen, sie meldet sich nie bei dir? Wann hattet ihr denn zum letzten Mal Kontakt?“

Dings’ braune Hundeaugen richteten sich wieder auf Davids Gesicht.

„Als ich damals angeblich krank war, erinnerst du dich? Irgendwann Mitte Oktob–,“
 

„Aber das ist schon fast nen ganzen Monat her!“, schnitt David ihm ungläubig das Wort ab, während sein Hirn die Vorgeschichte zu Saschas damaliger „Krankheit“ aus naheliegenden Gründen nur streifte – an Jessika und diese Sache wollte er jetzt nicht denken.

Mr. Offenbar-Nicht-Nach-Hause-Telefonieren nickte.

„Richtig. Das war das letzte Mal, das wir voneinander gehört haben. Seitdem...herrscht Schweigen zwischen uns...,“ er verstummte und beäugte seine Hände, „Ehrlich gesagt...hab ich schon ziemlich lange nicht mehr an sie gedacht...,“

Davids Herz schmerzte ein wenig. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, um Sascha zu trösten. Absolut hirnrissig, dass er gerade noch böse auf ihn gewesen war.

„Wie auch immer,“ kam Dings einen Moment später jedoch jedem möglichen Tröstversuch zuvor und lächelte David an, als hätten sie die ganze Zeit über Butterblumen philosophiert, „Worum ging es denn jetzt bei Bettina? Sie hat dich doch nicht ausgeschimpft?“
 

„Oh nein...,“ entgegnete David und erinnerte sich plötzlich an das Gespräch zwischen ihm und der Chefin, „Im Gegenteil. Sie hat sich bei mir bedankt!“

„Wofür?“, fragte Sascha neugierig.

David gluckste und zog sich endlich die Jacke aus, die er noch immer trug.

„Für dich!“, Dings’ konfuser Gesichtsausdruck brachte ihn zum Lachen, „Keine Ahnung, wie sie darauf kommt. Aber sie meinte, dass es mir zu verdanken sei, dass du jetzt so gute Arbeit leistest, weil du ja am Anfang so schwierig warst. Als ob ich dich rehabilitiert hätte oder so...,“ er grinste Sascha an und zog die Augenbrauen hoch, „Schwachsinn.“

Sascha lachte leise. Doch als er David ansah, leuchteten seine Augen wieder und sein Lächeln war ehrlich und warm wie die erste Sommerbrise im Mai.

„Nein...,“ sagte er zärtlich, „Das ist kein Schwachsinn...,“

Unvermittelt füllte sich Davids Bauch mit Luftblasen. Etwas zittrig atmete er aus.

„Ist es...nicht...?“, flüsterte er.

Sascha schüttelte den Kopf.
 

„Nein. Ganz und gar nicht...,“ er schaute David unverwandt ins Gesicht, „Als ich hier ankam..., konnte ich nur daran denken, dass meine Mutter mich bestrafen will. Ich wollte nur wieder weg und dachte, wenn...ich mich möglichst schlecht benehme, wirft Bettina mich direkt wieder raus und ich kann zurück nach Hause. Aber dann...kamst du. Und du...warst...,“ er schluckte und wandte den Blick ab, „...du warst so ehrlich. Und so engagiert und begeistert. Ich hab gesehen, wie sanft und geduldig du mit den Tieren umgehst, wie...ehrlich du ihnen helfen willst. Das...hat mich unglaublich beeindruckt. Und bevor ich mich versah, war ich vollkommen...,“ er stockte, räusperte sich und fuhr fort, „Na ja, plötzlich war dies hier mein Zuhause. Und die Leute meine Familie. Und du...,“

Seine Stimme erstarb erneut und diesmal kam sie auch nicht zurück. Ganz vorsichtig hob er den Kopf und begegnete Davids Augen, so bedächtig, dass dem beinahe die Beine wegknickten. Er fühlte sich unendlich schwach und leicht und sein Herz war so voller Wärme, dass sein Brustkorb es kaum mehr halten konnte.
 

Er wollte zu Sascha hin und sich in seine Arme werfen, auch wenn Bettina in ihrem Büro saß und die Gefahr bestand, dass irgendein Mitarbeiter urplötzlich die Betreten verboten-Tür aufschloss und durch den Flur rauschte, wie Heiko es einmal getan hatte. Er wollte sich an ihm festklammern und ihn riechen und ihm sagen, dass es ihm ehrlich Leid tat, dass er ihn vorhin so grob angefahren hatte. Er wollte ihm sagen, dass er gern seine Hand hielt und dass er heilfroh war, dass seine Mutter ihn damals ins Zentrum gezwungen hatte.

„Sascha, ich–,“ begann er.

Doch in dieser Sekunde klingelte das Telefon und schnitt ihm den Satz ab.

Sie fuhren beide zusammen und Sascha lehnte sich kurzerhand zu dem Regal hinüber, auf dem das Telefon stand, und nahm ab. Als hätte er es sehr eilig und obwohl er doch eigentlich gar nicht im Dienst war. Und so schnell wie er gekommen war, verschwand der Drang, ehrlich zu Sascha zu sein, wieder aus David.



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Kommentare zu diesem Kapitel (10)

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Von:  Laniechan
2011-09-14T12:49:43+00:00 14.09.2011 14:49
Ich könnt mir die Haare raufen! Das ist bösartig, was du da machst! Jawohl, immer denkt man: jetzt sagt er es und dann WUMMS! wieder was dazwischen gekommen. auch wenn du meinen stresspegel damit gefährlich in die höhe treibst, die spannung ist immer noch da, OBWOHL DAS JETZT SCHON SEIT MEHREREN KAPITELN SO GEHT! *wieder beruhigt* ich hab übrigens gestern dank dir die halbe nacht gelesen und kam heute morgen kaum aus dem bett... *grummel* und jetzt les ich schon wieder...*süchtig*
Von: abgemeldet
2011-05-16T22:42:55+00:00 17.05.2011 00:42
ich hoffe es ergibt dich demnächst mal eine gelegenheit, die so viel zeit lässt die wirklich wichtigen sätze auszusprechen!! :)
ich glaube, wenn sascha endlich mit seinem "problem" rausrückt, ändert sich die beziehung zum positiven...david ist blöd und checkt nix!!aaah!!
LG
Von:  Novaeanglia
2011-05-16T21:33:19+00:00 16.05.2011 23:33
Juchu, neues Chap! Awsome!

Bin nur grad sehr betrübt, weil die beiden mir so Leid tun... Sascha, weil David ihn mit seinem Verhalten so sehr verletzt und David, weil er so Angst vor'm Outen hat. Und das finde ich ja prinzipiell schon so unfair... Das Homosexuelle Angst davor haben (müssen), in aller Öffentlichkeit Zuneigung zu zeigen. Das macht mich traurig, aber ich kann's leider auch irgendwo verstehen, weil immer noch so viele Menschen mit krassen Unverständnis reagieren... oder schlimmer halt *sigh*
Von:  RockFee
2011-05-16T20:26:47+00:00 16.05.2011 22:26
David nervt ganz tierisch. Diese übertriebene Vorsicht verletzt Sascha, doch der Vollidiot merkt es nicht. Im Gegenteil, er ist noch sauer auf Sascha. Die Gelegenheit, mal etwas Liebevolles zu sagen, verpasst er. Nee, so wird das nix.
Blöder David, armer Sascha.

lg
Von:  Deedochan
2011-05-16T20:07:35+00:00 16.05.2011 22:07
wuhu :P
Danke für die ENS - hab sofort gelesen, als ich die msg entdeckt hatte :D

Also du hast selbst nicht sehr begeistert von dem Kapitel geklungen - so, als würde wirklich nichts passieren, als dass ein Heuballen über eine Wiese rollt und Grillen zirpen und Ameisen sterben... XD Ich fand's supi und ich hoffe, wir armen, kranken, süchtigen, krüppeligen Lesetiere müssen nicht allzu lange auf das nächste Kapitel warten :D

glg
Deedochan
Von:  Ur
2011-05-16T16:08:52+00:00 16.05.2011 18:08
Von mir nur ganz kurz heute, dann gehe ich Staub saugen :D

David ist ein Idiot, aber das hast du ja schon live miterlebt, als ich das Kapitel gelesen hab xD' Ich finde es erstauntlich, wie er es gleichsam schafft blöd zu sein und dann Sascha all die Schuld für seine eigenen Fehler zu geben :'D Ein Meisterwerk, David. Ehrlich.

Ich freu mich aufs nächste Kapitel und auf das danach undundund ;)

ICH LIEBE DICH! <3
Von:  chaos-kao
2011-05-16T15:52:20+00:00 16.05.2011 17:52
Das wird immer ominöser! Und David sollte sich mal nicht so haben ... er stößt Dings damit nur vor den Kopf ... und ich find's toll, dass Sascha sich fast verraten hätte, dass er in ihn verliebt ist <3

Freu mich schon auf das nächste Kapitel! ^^
Lg
KaNi
Von:  _haiiro_
2011-05-16T15:49:39+00:00 16.05.2011 17:49
ojee die zwei reden immer an sich vorbei :DD ich würd mir wünschen das sies endlich ma auf die reihe kriegen :DD
Von: abgemeldet
2011-05-16T15:24:25+00:00 16.05.2011 17:24
hallöchen!
während ich das kapitel gelesen hab lief in meinem kopf die ganze zeit "der depp", "der depp", "der depp" ab - ähnlich wie davids mantra "sieh mich an!", fand ich witzig als es dann zu genau so einer szene kam :D
ansonsten bleibt mir nicht viel anderes zu sagen als beim letzten mal - das brett vor davids kopf ist immer noch meterdick (vielleicht sollte es ihm mal jemand ein bisschen gegen die stirn klopfen) und ich hoffe, du wirst bald weiter bohren und sägen, auf dass es irgendwann weg ist und sascha durch lässt und mit ihm noch ein paar erleuchtende gedanken ^.^
dann warte ich mal weiter auf den großen knall... dir schonmal vielen dank und bis zum nächsten kapitel eine kreative zeit =)
liebe grüße!
Von:  Kei-hime
2011-05-16T14:49:06+00:00 16.05.2011 16:49
Ooh, ein neues Kapitel! *__* Aber mann, die armen Jungs... D: Da fällt es ihnen eh schon schwer, auszusprechen, was sie denken und vor allem fühlen, und dann funkt auch noch ständig jemand dazwischen. ~__~ Ich wünsche ihnen mal ein wenig mehr Zweisamkeit. :3


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