Zum Inhalt der Seite

Laäros - Die Stadt der Türme

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Laäros
 

Aus der Wolkendecke ragten sie hervor und durchbohrten das dichte Weiß Pfeilen gleich. Dunkle, steile Gebilde, senkrecht stehende Pfähle mit Zinnen, die sich der Höhe entgegenstreckten.

Die Stadt umfasste 49 Türme, die alle in quadratischer Ordnung mit Brücken verbunden waren, welche die Atmosphäre der stumpfen Steinblöcke wunderbar ergänzten. Sie glichen dunklen, horizontalen Linien, deren einzige Unebenheit kleine Statuen waren, die auf je einem Geländer jeder Brücke saßen.

Von einem Ende zum anderen zog sich eine Reihe mittlerweile nicht mehr weißer Steine durch sie hindurch.

Weiß war für Laäros generell die falsche Farbe und passte auch nicht zu den Brücken, wenn man ihre Bedeutung kannte, denn die Steine waren Wegweiser zum Tod.

Unter den Brücken hingen sie, verweste Körper, Skelette, grausige Gestalten: Leichen.

Den Schreck in ihre Gesichter gebrannt, baumelten sie im Wind, den rauhen Strick um den Hals.
 

„Gehst du zur Urteilssprechung von Louis?“ Evangelos blickte mich fragend an.
 

Ich nickte leicht. „Ich bin als Zeuge eingeteilt.“
 

Evangelos war ein leicht hagerer Junge griechischer Abstammung, welche an seinem Aussehen und speziell an der dunklen Hautfarbe schnell auszumachen war. Er war 15, hatte schmale Lippen, kurze braune Haare und Augen gleicher Farbe. Er trug eine schwarze Hose, einen schwarzen Pulli und darüber eine ebenso schwarze Jacke, deren Ärmel so lang waren, dass sie seine Hände verdeckten.

Ich selbst trug einen langen Mantel mit Stehkragen der gleichen Farbe. Ich war 36, verhältnismäßig groß, hatte breite Schulter und meiner Meinung nach eine akzeptable Figur. Ich hatte ein eckiges Kinn, welches von einem feinen Bart geziert wurde, eine leicht buckelige Nase und blaugraue Augen. Das einzige, was mich an mir störte, waren meine Haare. Ich hatte keine.

Man gewöhnte sich an die kahle Kopfhaut, auf der man jeden noch so kleinen Windhauch spüren konnte, doch war auch die Zeit, als ich noch etwas auf dem Kopf gehabt hatte, sehr nett gewesen.
 

Schon kurze Zeit später stand ich im Turm des Gerichts vor einer großen hölzernen Flügeltür, deren Mitte ein Galgen zierte. Ich schüttelte den Kopf über diese Geschmacklosigkeit und öffnete leise die rechte Seite, um den großen Saal zu betreten. Mit einem kaum vernehmbaren Klicken schloss sich die Tür wieder hinter mir.

Die Anwesenden nahmen keinerlei Notiz von meinem Eintreffen, sondern unterhielten sich weiter flüsternd, wobei manchen doch einige lautere Worte entwichen.

Der Saal war sehr einfach und doch beeindruckend eingerichtet. An der Stirnseite thronte unübersehbar das Richterpult und links und rechts stand jeweils eine Tischreihe, hinter denen sich schon einige wichtigere und unwichtigere Anwohner eingefunden hatten.
 

In der Mitte stand ein einzelner Stuhl, auf dem ein zirka 16 Jahre alter, zitternder Junge saß, den Blick starr auf den Boden gerichtet, sodass sich einige seiner Haarsträhnen von den anderen gelöst hatten und nun sein Gesicht verdeckten. Kein Ton war von ihm zu hören, doch konnte man ihm die Angst deutlich ansehen. Er wurde von einigen Männern bewacht, die mit ausdruckslosen Minen um ihn herumstanden.
 

Hinten, nahe der Tür, durch die ich eingetreten war, fand sich Platz für gute Bekannte des Jungen oder Schaulustige, die sich über den Urteilsspruch amüsieren würden. Gegen ihr Verhalten sagte ich nichts. Es brachte nichts, gegen deren Geschmack zu demonstrieren, wollte man keinen vorzeitigen Tod sterben.
 

Ich ließ mich auf dem einzigen noch leeren Platz der linken Seite nieder und wartete. Als Zeuge hatte ich nicht viel zu tun außer aufzupassen und den rechtmäßigen Ablauf der ‚Verhandlung‘ zu bestätigen.
 

Es dauerte nicht lange, und die Tür wurde mit einem lauten Krachen gegen die Wand geschlagen. Kler, der Richter, war angekommen und mit ihm Saron, der Henker. Der Saal verstummte augenblicklich.

Kler war ein ernst dreinblickender Mann mit zusammengekniffenen Augen, der selbst kleinste Scherze missbilligte. Saron hingegen hatte Ähnlichkeit mit einem Schrank, war groß und bullig und hatte seine Haare fein säuberlich an den Kopf geklatscht.
 

Sie schritten durch den Raum auf das Pult zu und ließen sich nieder.

Ein unnötiges Räuspern, dann begann Kler.
 

„Louis, richtig?“, sagte er mit kalter Stimme.
 

„Ja“, war die zitternde Antwort.
 

„Gefangenennummer 8776?“
 

„Ja.“
 

Die Gefangenennummer war so etwas wie ein Personalausweis in Laäros. In der Stadt selbst lebten nur zwei Arten von Menschen. Die Regierungsvertreter, welche die Leitung und das Gericht inne hatten, und die Sträflinge, der übergroße Rest aller Menschen, die hier wohnten. Fast jeder hatte etwas verbrochen und war dafür in die Stadt der Türme gekommen.
 

Kler notierte etwas auf einem Klemmbrett, bevor er einem der Anwesenden zunickte. „Bitte, Mess.“
 

Mess, ein runzeliger, alter Mann mit Schnauzer und Zylinder, erhob sich schwerfällig. Er trug einen schwarzen Anzug und eine zu große Fliege um den Hals, sein Gehstock, ein krüppeliger alter Stab, lag quer über seinem Tisch, und um stehen zu bleiben, musste er sich auf eben dieser Holzplatte abstützen.
 

„Ah ja. Ich denke für alle Anwesenden, die ihn kennen, wird es keinen Zweifel daran geben, dass er krank ist, denn vor einigen Wochen war Louis noch ein aufmüpfiges Gör, im Gegensatz zu seinem jetzigen Zustand, der“, er grinste schief, „Angst und Unterwürfigkeit ausdrückt.“
 

Trotz des jungen Alters von Louis konnte ich Mess, der sich mittlerweile wieder niedergelassen hatte, nur zustimmen. Nicht was die Bezeichnung als Gör anging, oder auch die Häme in der Stimme, aber die Verhaltensänderungen des Jungen bewiesen eindeutig, dass er krank war.

In Anbetracht dessen, dass alle Anwesenden entweder meine oder Mess‘ Meinung teilten, war Louis‘ Schicksal besiegelt.
 

Kler ergriff erneut das Wort: „Irgendwelche Einwände? Nicht? Dann ist somit entschieden. Bringt ihn raus!“
 

Ich blieb sitzen, während die meisten Besucher durch die große Tür aus dem Saal traten, ihnen folgten der von Wachen umringte Junge, dessen Blick immer noch zu Boden gerichtet war, und schließlich Kler und Saron. Nur wenige schlossen sich mir an und bewegten sich nicht.

Ich selbst war mehr als nur abgeneigt, dieses grausame Spektakel mitanzusehen, und zudem wusste jeder, der einmal an einem ‚Prozess‘ teilgenommen hatte, was nun folgen würde:

Louis‘ Tod.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück