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Drei Jahre.

Oder: Eine Geschichte von einem sexuell unterbeschäftigen und viel zu kleinen Schiffsmechaniker mit einem komischen Namen und einem Fremdwörterlexikon in der Kehle. Und ähnlich wirren Typen.
von

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1. Oder: Was Havok hat.

„Logbuch zweizweinullacht...“

Ein hektischer Wirbel aus schwankenden, soliden Barrieren und Übelkeit erzeugenden Lichblitzen.

„... Quadrant, also, beim besten Willen... He!“

Rhythmisches Getacker über dem gleichmäßig dünnen Rauschen der Belüftungsanlage, dekoriert mit eingestreuten Satzfetzchen banaler Natur. Die Luft dünn und doch zum Schneiden dick, feucht durch Atem, Schweiß und sonstige Ausdünstungen menschlicher Organismen, die tippten, lasen, existierten.

„Wie war nochmal... irgendwas mit Jot...“

Metallgerippe unter den brennenden Füßen, den schmerzenden Knien; die Luft pfiff in den Ohren und im Rachen, im Hals und in der Lunge, und der Blick schwamm ziellos über das flackernde, spontane, sich unberechenbar vor ihm windende Leben.

„Jot... Jot, Jä... Jänne! Lang nicht mehr gesehen, Jänne! Alles in Ordnung bei dir?“

Ein freundschaftlicher, aber leider viel zu heftiger Klaps traf ihn, und er ging zu Boden, blieb mit dem Gesicht nach unten liegen auf rostfreiem, ansonsten aber etwas schmuddligem Edelstahl. Das Gesicht mit letzter Kraft gegen dessen kalte Rillen zu pressen, bot in dieser prekären Situation eine plötzliche, unerwartete Geborgenheit, so dass er einige Sekunden lang reglos so liegen blieb, um seinen Kopf wieder klar zu bekommen.

Dann streckte er vorsichtig die Fingerspitzen, und dann sich selbst hinterher. Linste scheu hoch zu dem munter plaudernden Blondschopf, der ihn überragte wie das Raumschiff den Ingenieur.

„Wo hast du eigentlich gesteckt, Jänne? Ich dachte schon, wir hätten unseren Bordmechaniker an die Bordkakerlaken verloren.“

Mit einem fahlen Räuspern fand er auf seine Beine zurück; es war nicht der erste Fall von Ungrazilität in seinen Reihen gewesen.

Und er sah seinem Kapitän ins Gesicht, Havok Asperund, sehr angenehm - nicht wirklich, und kehrte minutiös in den Präsens zurück, in seinen Status als Jänne Svällkvist, Bordmechaniker mit Goethe-Komplex; in die sozial geprägte Welt der ständigen, unausweichlichen Kommunikation. Mit Regeln, die man nicht vergaß. Sondern höchstens verdrängte.

„Äh... ja. Ich hab viel zu tun gehabt“, nuschelte er sachlich, „unser interdimensionales Raum-Zeit-Kohärenz-Gefährt ist ja nicht erst vor Kurzem ausgelaufen.“

Genug zu tun, um neunhundertfünfundneunzig Tage in den Wartungsschächten zu verbringen, oh ja. Jänne war sich soweithin darüber im Klaren, dass er soeben völligen Unsinn geredet hatte. Sein Kapitän allerdings - der ihn immer noch überragte wie das Raumschiff den Ingenieur - zog nur mitfühlend die Stirn kraus. Er hatte im Grunde schon immer Wert auf eine harmonische Arbeitsatmosphäre gelegt. Sofern möglich.

„Jetzt, wo du es sagst... Du scheinst mir wirklich etwas überarbeitet.“ Als Sympathiebekundung nickte er andächtig und sah Jänne einen Moment lang in die roten Spuren seines Gesichts, die leicht an einen gegrillten Toast erinnerten. Dann kehrte er gemessenen Schrittes zurück zu seinem Kommandantensessel und ließ sich mit Schwung auf das Polster fallen.
 

Nach einem unschlüssigen Moment schlurfte Jänne hinterher. Er erinnerte sich nur zu gut an die Links-Butter-Sache, doch fühlte er sich nicht dazu berufen, seinem Kapitän diese Sache ins Gedächtnis zurückzurufen, hatte er sie doch offenbar unlängst aus gerade jenem gestrichen. Und immerhin war er es gewesen, der ihn öffentlich herabgesetzt hatte, soweit man „öffentlich“ sagen durfte, wenn es vor nicht einmal drei Dutzend Menschen geschehen war. Doch jede Harmonielehre stieß offenbar irgendwann an ihre Grenzen.

„Also, ja...“ Ungemütlich verlagerte Jänne sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, während er die Hände hinter seinem Rücken verschränkte. Die Brücke bereitete ihm sichtliches Unbehagen, denn sie war - vor allem im Vergleich zu den Wartungsschächten - laut, hell, übervölkert und unübersichtlich. Gründe, weshalb er schon die Erde nicht gemocht hatte.

Aber sobald er sich an sein ursprüngliches Anliegen erinnerte, war ihm das alles egal.

„Was, äh, was existiert denn da-- so-- direkt vor unserer Nase?“

„Das ist ja der Wummer“, verkündete der Kapitän stolz und hielt inne, um die Spannung zu steigern, bevor er fortfuhr: „Es ist...“(ein leiser Trommelwirbel ertönte aus den Lautsprechern, der auf ein genervtes Handsignal des Kapitäns hin wieder abgestellt wurde)„--- Ein Schiff!“

Bevor Jänne sich selbst Einhalt gebieten konnte, hatte er schon aufgeschrien, mit einem dünnen, etwas atemlosen Falsettostimmchen.

„Verzeihung, wie meinen?!“

„Ein Schiff, Jänne, wir haben ein Schiff gefunden.“

„Wie im Namen von Roben Talsyss kommt ein... anderes Schiff dazu, sich hier aufzuhalten?“

Die Mundwinkel des Brückendirigenten hoben sich wie zwei seiner Taktstöcke, und ein stolzes Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus.

„Tja, wie du sicher gemerkt hast, Jänne, haben wir vorhin etwas mit den Zeitaksela... accela... achsela...“(Akzelerator, dachte Jänne, hielt aber den Mund.)„--Mit dem Zeitantrieb jedenfalls, wir haben damit herumprobiert.“

Der Angesprochene besann sich zurück auf das unangenehme Rumpeln, das sich vor einiger, ewig lang scheinender Zeit durch das Schiff gezogen hatte, sowie auf die heftige Geräuschentwicklung der Verkabelungen in den Schächten und bejahte, das habe er in der Tat registriert.

„Tja. Wir sind zwar nicht viel weiter aus dem Schlamm des Nichts“(eine der Lieblingsmetaphern des Kapitäns, und obendrein eine der wenigen, deren Bedeutung er kannte)“gekommen, doch dafür war plötzlich so ein offenbar besatzungslos herumdümpelndes Minischiff da.“

„Ja... Nun... An welchem Ort denn explizit?“

„Direkt vor unserer Nase. Oder der des Schiffs eben. Wir schleusen es grade in unsere Dock. Du bist doch der Techniker, nicht wahr?“(Jänne bejahte erneut, diesmal mühsam kontrolliert.)“Du könntest das Ding doch... ausschlachten. Ich weiß ja nicht, was wir so an Ersatzteilen brauchen, aber zu viele sind immer besser als zu wenige, nicht wahr? Ha, ha!“

Unumwunden gesagt, mochte Jänne solche Menschen nicht. Immer noch nicht. Ihnen gegenüber würde es nie zugeben, doch Menschen, die sich ständig der Zustimmung des Zuhörers versicherten und dann auch noch in übertriebenes Lachen über ihre eigenen Anmerkungen (oder auch überhaupt) ausbrachen, waren ihm zuwider. In seiner einsamen Zeit als Ausgestoßener hatte er dies erfolgreich verdrängt gehabt, doch binnen Minuten in Gesellschaft besann er sich wieder darauf, was er an Menschen alles nicht leiden konnte.

„Äh... Sicher, ja“, sagte er bloß. Denn erstens war dieser Mann sein Kapitän. Und zweitens war dessen Angebot eine willkommene Gelegenheit, mal etwas anderes zu sehen, und wenn es bloß ein anderes Schiff war. Alles war besser als die ewig gleichversiegelten Wände der Schächte.

„Corentin soll dich begleiten, falls da noch etwas lebt. Zwar zeigen unsere Sensoren nichts an, doch die sind vermutlich auch nicht mehr ganz, was sie mal waren. Am besten, ihr nehmt eine D52R mit. Oder gleich zwei.“

Zwar fühlte er sich durch „Begleitschutz“ leicht in seiner sogenannten Männlichkeit verletzt, oder zumindest fühlte Jänne sich so ähnlich, jedoch erleichterte ihn der Gedanke, dass er, falls dort doch noch etwas leben sollte, jemanden hatte, der für ihn schießen würde. Denn wenn es eines gab, was Jänne nicht konnte, dann war es das Erschießen, neben der Zubereitung von Crêpes Suzette oder der Namensgebung.
 

Am Ende der Brücke begann einer der Hauptflure, die in ihrer Gesamtheit das Schiff mehrmals umrundeten. Dort stieß er schließlich auf besagten Corentin, einen etwas schlaksigen Sonderling mit rostroten Haaren, einer antiken Brille und dunklen Augen, die oft den Eindruck machten, als blinzelten sie zu selten.

Möglicherweise hing das mit der Ruhe zusammen, die in ihm allgegenwärtig war und so manches Crewmitglied schlimmer verwirrt hatte als das schadhaft kalibrierte Navigationssystem. Denn Corentin behielt immerzu einen kühlen Kopf, vor allem dann, wenn andere in Panik ausbrachen. Je mehr Leute verzweifelt durcheinander schrien, dass sie doch noch zu jung waren, um zu sterben, und noch so viel zu erleben hatten (und noch gar keine Freundin hatten, um eine Familie zu gründen), desto besser schien sich Corentin konzentrieren zu können, desto ruhiger hielt er seine Hand und desto friedlicher wirkte sein Gesamtbild. Er sei eine Art Oase des vorwurfslosen Schweigens in der Wüste der ganzen, jammernden, verweichlichten Crew, hatte der Sanitäter damals gesagt, und das stimmte wohl jetzt noch.

Allerdings schien Corentins Loyalität zu seinem Kapitän stärker ausgeprägt zu sein als sein Sinn für Moral, weswegen Jänne es bevorzugt hatte, auch ihm aus dem Weg zu gehen. Vielleicht hatte jener ihn zwar nicht für schuldig befunden, in jedem Falle hätte er ihn wohl doch ignoriert, was Jänne letztendlich unerwarteter Weise auf die Nerven gegangen war, hatte er es am Anfang doch noch genossen.

Doch jetzt, wo er anscheinend wieder gern gesehen, oder zumindest wieder beachtet wurde, konnte er behelligt neben Corentin her den breiten Gang entlang trotten, auf dem Weg zur Dock, wo das fremde Schiff hoffentlich schon auf sie wartete.
 

Hmmm. Behelligt.

Warum eigentlich?
 

„Verzeih, mein Kompagnon, dass ich so mich dazu erdreiste, doch eine Frage brennt mir auf der Seele“, sprach er zaghaft, woraufhin Corentin die Brauen zusammenzog und ihn anstarrte. Jännes Redegewohnheiten waren dessen provisorischem (und obendrein recht verschwiegenem) Leibwächter suspekt. Womit er zweifellos nicht der einzige war.

„Schieß los“, brummte er dennoch.

„Auf welch einer mir unbekannten Begebenheit beruht es nun, dass eure Aufmerksamkeit sich fortan, im Gegenteil zum direkten Zeitraum nach einem gewissen Vorfall, wieder kommunikativ ersichtlich und vorbehaltslos mir zuwendet, statt ausschließlich der restlichen Szenerie?“

Man sah förmlich die Rädchen im Kopf des anderen arbeiten, bis er Jännes Worte vollständig in sich aufgenommen, verstanden und für normale Menschen transkribiert hatte. Jene fast-poetischen, verschnörkelten Ergüsse, die sich der Ingenieur dann und wann und eigentlich ständig erlaubte, waren für den Großteil der Crew teilweise schwerer zu verstehen als Blavpnngrwjsch, und diese Sprache bestand im Großen und Ganzen aus den Geräuschen eines zusammenhanglos erbrechenden Hundes. Allerdings war Corentin davon überzeugt, dass der Urheber dieser Sätze seinem Gesichtsausdruck beim Sprechen eindeutig auch selbst den Faden verloren hatte.

Für einen Moment musste noch formuliert, ausgeschliffen und die Zunge gesattelt werden.

„Wir dachten“, begann Corentin dann und ließ sich durch keinerlei Stimmregung anmerken, dass ihm war, als kommunizierte er mit einer Lebensform, die ihrerseits durch Laute des Erbrechens kommunizierte, „dass die Bordkakerlaken dich gefressen hätten. Das dachten wir wirklich. Die Bordkakerlaken sind verdammt groß, und die meisten von uns sind einfach froh, dass unser Mechaniker noch lebt.“

Dies schien Jännes Wissensdurst halbwegs befriedigt zu haben, so dass er Corentins Worte in den komplizierteren Jänne-Jargon übersetzte und schließlich zu den imaginären Akten legte.

In der folgenden Episode des Schweigens zog Corentin eine Handfeuerwaffe aus dem Halfter, das er trug; er lud sie durch, ohne die Stille zu brechen. Als ihn neuerlich ein fragender Blick Jännes streifte, fragte Corentin jedoch - damit der andere keine Gelegenheit hatte, noch mehr seines gestelzten Kauderwelsches von sich zu geben - mit derselben ruhigen Stimme wie sonst auch:

„Willst du auch eine? Zu deiner Sicherheit.“

„Lieber nicht“, antwortetet Jänne. „Zu deiner Sicherheit.“
 

Als sie den Dock betraten, blieben sie stehen. Jänne blieb zuerst stehen, Corentin verweilte daraufhin, und seine Augenbrauen punktierten sein Gesicht wie ein Fragezeichen.

„Was ist?“

„Das... Das ist-- das ist... unermesslich...“

Das Schiff erschien winzig in der Dockhalle, deren Decke fern und deren Beleuchtung sparsam und stimmig war. Seine Panzerung war dunkel, die Röhren matt und mit dunklem Staub verrußt. Es schien ein Gleiter zu sein, doch dies sah man erst auf den zweiten Blick, denn beide Flügel waren genügend demoliert, um das Gegenteil zu suggerieren. Aus den klaffenden Löchern in den Seiten ragten wirr Kabel heraus, die leise zischend Funken sprühten, und auch in der Versiegelung der Frontscheibe befand sich ein Riss, der sich bis unter die Fixierung zu ziehen schien.

„Das ist unermesslich kaputt“, sagte Corentin schließlich, und er sagte es in demselben Tonfall, in dem er auch „Heute wird’s regnen“ oder „Wir werden alle qualvoll verglühen“ gesagt hätte. Jänne zog für einen Moment in Erwägung, dass Corentin vielleicht tiefgreifende Kehlkopfprobleme hatte.

„Es ist ein Stück Schrott“, setzte er nach Sekunden trocken hinzu.

„In der Tat, aber... Was für eins!“
 

Nach einigen Sekunden, die Jänne den kleinen Gleiter einfach nur angestarrt, mit den Augen die löchrigen Panzerungsröhren abgetastet und die ungewohnten Formen förmlich eingesogen hatte, besann er sich auf seine Beine und ging hektisch auf jenes Schiff zu, um nach seiner viel zu langen-- und dennoch entschieden zu kurzen Reise andächtig über den ungewohnten Wall zu streichen und am Ruß an seinen Fingern zu schnüffeln.

Befremdlich. Irgendwie... verbrannt, wie der Rest des Schiffes. Jänne meinte, sich nicht an ein Schiff erinnern zu können, das so aussah wie jenes, und er meinte, sich an einige andere Schiffe zu erinnern, die er damals auf der Erde gesehen hatte. Dennoch ließ ihn nicht los, dass es ihm unheimlich bekannt vorkam.

„Haben deine Sinneszellen jemals Signal eines ähnlichen Fortbewegungsmittels geleitet?“, fragte er schließlich.

„Nun... Ich bin mir nicht sicher.“

Corentin kratzte sich mit der Kanone am Kopf, obgleich sein Finger am Abzug war. In Jänne flackerte für den Moment unermesslicher Neid auf diese Gelassenheit auf.

„Rege deine Hirnzellen noch einmal an“, bat er und tastete die Fassade förmlich mit seinen Augen ab, um den Eingang dieses verkommen Prachtexemplars zu suchen. Seine Beine setzten sich in Bewegung und trugen ihn einmal um das Schiff herum, abermals, abermals. Doch alles, was er sehen konnte, waren Ruß und lose Teile, Röhren und beinahe zerborstene Scheiben.

„Er entzieht sich einfach meiner Aufmerksamkeit!“

„Was, der Eingang? Der ist hier drüben.“
 

Staub klebte an seinen Stiefeln, sobald Jänne den schummrigen Innenteil des Schiffes betreten hatte. Vor ihm stand Corentin, die Waffe und Kinn gen Boden geneigt. Er blinzelte um die Ecke des schmalen Korridors, in dem er gebückt stehen musste, um sich nicht den Kopf an einem der zahlreichen Rohre zu stoßen, die lose hinunterhingen. Dann gab er sich in einer wohlkoordinierten Bewegung dem vermeintlichen Feind zu erkennen und richtete die Waffe den Korridor hinunter.

Nach zwei Sekunden sah er zu Jänne und nickte.

„Komm“, formten seine Lippen stumm, bevor er in das Halbdunkle wich.

Den herumfliegenden, dunklen Staub einatmend folgte Jänne den Geräuschen, die das Schuhwerk des anderen auf dem metallenen Boden produzierten. Seine waches Augenmerk glitt über die Wände, an denen sich die Spuren eines Brandes abzeichneten, über die Decke, in der die Klappen zu den Wartungsschächten sperrangelweit offen waren und aus denen wirr halbe Kabel heraushingen.

Die Inhaber konnten sich anscheinend nicht an einem guten Techniker erfreuen, dachte Jänne im Stillen.

Aber dafür war er wenigstens kreativ, dachte Jänne dann, als sein wacher Blick über ein paar zu einem französischen Zopf geflochtene Schläuche glitt.

Eine der rostigen Schiebetüren war teilweise durchlöchert, so dass er durch die kleinen Lücken im Metall blinzeln konnte. Doch alles, was er sah, war alt wirkende, leicht fremdartige Elektronik, kaputte Monitore und mitgenommene Schaltpulte.

Aus einer anderen Schiebetür war gleich ein ganzes Stück herausgerissen worden, so dass Jänne bequem seinen Kopf durchstecken hätte können, was er dann aber doch unterließ. In dem Raum befand sich nämlich nichts interessantes, zwei Pritschen, auch von jenem schwarzen Staub belegt, ein halbzerstörter Schrank und zerfledderte, vergilbte Seiten eines ehemaligen Buches.

Dann vernahm er ein Zischen, das eindeutige Antonym zu dem Geräusch, welches funktionsfähige Elektronik von sich zu geben pflegte, so dass er ein Auge zukniff und den Kopf ein Stück weit einzog.

Schließlich sah er das Ende des Ganges vor sich, die letzte Schiebetür, und eine, die nicht zerstört, sondern nur verschlossen und leicht angerostet war. Corentin stand vor ihr und beschäftigte sich durch das schummerige Licht und die schwarzen Wolken hindurch eingehend mit etwas, was Jänne nach einigem Blinzeln und Stirnrunzeln als faulig wirkende Türkontrolleinheit identifizieren konnte.

„Ich mutmaße, dass dies in solch einer Manier angerührt nicht funktionsfähig sein wird“, sagte er dann nach einigem Husten, das ihm der Staub eingebracht hatte. „Dürfte ich Hand anlegen?“

„Klar, immer doch.“

Vor Jännes Augen breiteten sich Schriftzeichen einer befremdlichen Sprache aus, die er nach einigem weiteren Stirnrunzeln als eine Abwandlung von Altgriechisch erkennen zu meinte. Das Display war schon zerborsten, und die geronnene Spur der Leitflüssigkeit hatte sich als hellroter Schemen an der Wand abgezeichnet. Die Finger folgten ihr hinauf zum Riss im Display, scharrten daran herum und bekamen dann den Befehl, die kürzlich entdeckte Mechanik zur Öffnung der Sensorenklappe zu aktivieren.

Mit einem Quietschen fiel die Klappe hinunter, nur von einem einsamen Scharnier gehalten, und gab erneut eine Menge des schwarzen Staubes preis, den die Finger vorsichtig von der Mechanik im Inneren der Einsenkung wischten.

Dann, nach einigen Sekunden der beständigen Reinigung, erstarrten die Finger.

„In dieser Konsole ist keine Kanalmöglichkeit für eine neurotechnische Transformschnittstelle vorhanden“, stellte Jänne ungläubig fest, die neurotechnische Schnittstelle an seiner linken Schläfe dabei fast schon ängstlich tätschelnd.

„Was soll’s“, antwortete Corentin und trat die Tür ein.
 

Aufgrund ihres maroden Zustandes hatte die Schiebetür in ihrer Mitte nachgegeben, so dass ein großes Loch entstanden war, durch das Corentin nun gebückt stieg. Jänne folgte, indem er über den kleinen, scharf nach oben zeigenden Teil hinwegstakste, der nicht weggebrochen war. Nur bücken musste er sich nicht.

Offenbar war dies die Steuerzentrale; doch auch hier säumten schwarze Flecken die Instrumente, dunkle Partikel belegten den Steuerungssessel, der in dieser Verpackung eher wirkte wie eine gesundheitlich bedenkliche Kakaopraline.

Der enge Raum lag ebenso im Halbdunkel wie der Rest des Schiffs, nur erhellt von den gelegentlichen Funkenschlägen der Kabel, die hier nicht nur aus der Decke, sondern auch aus den Wänden ragten. Und als Jänne die Klappe öffnete, die in die Wand eingelassen war, sah er darin etwas, was er mit einiger Aufwendung seiner geistigen Kapazitäten als einen zerfledderten Gegenstand identifizierte, der den Schriftzug „Raider“ trug.

„Was zum Henker ist ein Raider?“, fragte Corentin irritiert, als er Jänne über die Schulter sah.

„Ein Nahrungsmittelerzeugnis..?“, schlug Jänne spontan vor, den Kakaopralinensessel noch im Hinterkopf, und wandte sich um, den Rest der relativ engen Kabine ins Auge fassend. Um irgendetwas zu finden, was sein Interesse wecken und seinen Lebenswillen aufglimmen lassen könnte. Etwas, was sein Leben verändern würde.

Was er nach ungefähr zehn Sekunden erreicht hatte.

„C-C-Corentin... ?“

„Ja?“

„Ich mutmaße jetzt einmal ganz unverschämt und ohnehin leicht realitätsentrückt, dass der Körper dessen, was hier verweilt, noch alle vitalessentiellen Funktionen erbringen kann...“

„Das heißt... was?“

„Hier lebt etwas.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Technomage
2008-07-23T16:13:55+00:00 23.07.2008 18:13
Der Kerl aus Firefly heißt Jayne! Jayne ;_;! Nicht hauen, Kae (falls du das stalkst.)
Von:  Technomage
2008-07-23T16:12:45+00:00 23.07.2008 18:12
Auch vom ersten Kapitel bin ich ebenso begeistert, wie vom Prolog. Natürlich ist der Schritt von Prolog zur eigentlichen Geschichte immer ein Unterschied in Ausdruck und Inhalt, aber ich finde du hast dich sehr gut gehalten und führst das weiter, was der Anfang verspricht; würde sogar soweit gehen, dass es noch besser geworden ist.
Jänne (hieß er so? Schwedisch irritiert mich ..) gefällt mir als Hauptfigur wirklich gut, sowohl innerlich, was es seine gelegentlich durchscheinenden Gedanken und Meinungen angeht, als auch von der sehr individuellen Ausdrucksweise. Ich musste sehr an die beiden Fahrer aus SinCity denken und dann hatte ich das Gefühl, dass sich 5 Semester Philosophie doch irgendwie gelohnt haben, weil ich drüberlesen konnte, ohne nachdenken zu müssen.
Und Corentin (Karotte?) ist ... wunderbar. Sehr "in-character" als das, was am Anfang von ihm versprochen wird. Musste an Jhared aus Firefly denken ... ein wenig zumindest.
Rein vom Humor / Zusammenspiel zwischen Jänne und Corentin hat mir die Szene mit der Tür an Bord des fremden Schiffs gefallen. Sehr toll geschrieben. Hab sehr gelacht ^^.

Würde mich freuen, wenn du es weiterschreibst, da ich wirklich gerne mehr davon lesen will ^^.


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