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Novemberwind

...auf der Suche nach der wahren Liebe
von

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Liebeskrank

Egal wie sehr Simon es versuchte, er konnte sich einfach nicht auf den Unterricht konzentrieren. Der leere Platz vor ihm machte ihn fast verrückt. Wo blieb Fly? Zu Hause anrufen brachte auch nichts. Entweder war besetzt oder seine Mutter war dran. Und sie servierte ihn immer wieder eiskalt ab. Florian sei eben nicht zu sprechen, basta!

Kopfschüttelnd schloss Simon die Wohnungstür auf. Erstaunt registrierte er die Schuhe seiner Mutter im Eingang. Seltsam, sie war doch sonst nie so früh da …
 

„Simon?“ kam es aus dem Wohnzimmer.

„Was machst du denn schon so früh hier?“ Er zog sich die Jacke aus und hängte sie an den Kleiderständer. Seine Mutter saß auf dem Sofa an der Wand. Sie schien schon eine weile auf ihn gewartet zu haben.

„Ich bin gleich da“, meinte Simon. Er ließ seinen Rucksack fallen und ging zum Telefon. „Ich will nur kurz telefonieren …“

„Das brauchst du nicht, Schatz.“ Simon blinzelte sie an. „Du willst doch bestimmt bei Florian anrufen, oder?“

„Aber, woher …“

„Simon, das sehe ich dir an. Dazu kenn ich dich viel zu gut. Jetzt komm her und setzt dich. Ich muss mit dir über ihn reden.“ Diese wagen Andeutungen, machten Simon unruhig.

„Ist etwas passiert?“ fragte er eine Spur besorgt.

„Setzt dich und ich erzähle es dir.“ Simon schnaubte ungeduldig und ließ sich in den nächsten Sessel fallen.
 

„Gut. Also, du weißt ja, dass dein Vater und ich hier überall in der Gegend umherfahren und arbeiten.“ Simon nickte, wusste aber nicht, was das jetzt mit ihrem Gesprächsthema zu tun hatte.

„So besuchen wir ungefähr vier bis fünf Kliniken pro Tag.“ Wiederum nickte Simon.

„Heute haben wir dabei eine seiner Studienkolleginnen wieder getroffen; hier im städtischen Zentralklinikum.“

„Ja, ja schön, aber was hat das mit Fly zu tun?!“ fragte Simon, denn er hielt dieses Drumherumgerede nicht mehr aus. ’Komm zum Punkt,’ dachte er.

„Immer mit der Ruhe. Diese Kollegin ist hier am Klinikum Ärztin. Wir haben uns eine Weile unterhalten. Aber nicht sehr lange, denn man rief sie dann zu einem Notfall …“
 

„Nein, stopp!“ Simon war aufgesprungen und hielt sich die Ohren zu. Sein Herz überschlug sich fast. Einige Momente versuchte er sich selbst zu beruhigen. Er ließ die Hände sinken.

„Bitte … sag es nicht …“ Die Mutter betrachtete ihren Sohn mit einem mitleidigen Blick.

„Es tut mir ja auch Leid, aber ich denke du solltest es wissen …“ Simon war ein wenig geschockt. Er hätte nie gedacht, dass es so endet; er hatte nicht gewollt, dass es so endet.

„Simon, bitte mach dir keine Vorwürfe. Seine Mutter war da und …“

„Und da soll ich mir keine Vorwürfe machen?! Dieses Mal kannst du es nicht schönreden. Daran bin ich wirklich schuld …“ Mit hängendem Kopf zog er sich in sein Zimmer zurück. Er versuchte es zu begreifen, zu verstehen… Aber der einzige Gedanke der ihm kam war: ‚Ich bin ja so dumm!’ Er hätte es vorher wissen müssen, dass Fly darauf so reagiert…
 

Am Abend hielt Simon es nicht mehr aus. Er schnappte sich seine Sachen und wollte schon aus der Wohnung verschwinden. Doch er ging noch einmal zurück zur Küche.

„Ich bin noch mal kurz weg“, sagte er zu seinen Eltern. Die Mutter lächelte.

„Ist gut, Schatz. Bitte grüß ihn von uns.“ Bei diesen Worten konnte Simon es nicht anders und wurde eine Winzigkeit Rot.

„Ja … mach ich…“
 

Mit dem Fahrrad machte er sich auf zum Zentralklinikum. Die Schwester am Empfang staunte nicht schlecht über sein Anliegen.

„Aber sie wissen schon, dass die Besuchszeit schon seit gut zwei Stunden abgelaufen ist“, sagte sie. Simon spielte nervös an seinem Jackenreißverschluss herum.

„Schon, aber… wäre es denn so schlimm? Bitte, es ist wichtig…“ Die Krankenschwester seufzte kurz.

„Na gut, ich mache mal eine Ausnahme. Aber trotzdem möchte ich wissen, wer sie sind und wie sie zu dem Patienten stehen. Ist leider Vorschrift.“ Simon nickte.

„Simon Petters, und…“ er stockte.

„Ja?“

… ich bin … Florians Freund.“ Die junge Frau sah ihn flüchtig an notierte aber dann ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

„Gut, danke. Sie finden ihn in Zimmer 3.17. Aber bleiben sie bitte nicht zu lange, es ist wichtig, dass die Patienten viel Ruhe und Schlaf bekommen.“

Simon versprach es und ging zum Lift.

Im dritten Stock stieg er aus und sah sich um. Links entdeckte er ein Hinweißschild und folgte dem Pfeil zur Station. In den Gängen war es ruhig. Nur ab und zu begegnete Simon einer Krankenschwester oder einem Pfleger.

Zimmer 3.17 … Simon stand unsicher davor und konnte sich nicht entschließen. Vielleicht wollte Fly ihn gar nicht sehen? Verständlich wäre es… Aber jetzt war Simon hier und zumindest er wollte Fly sehen. Er atmete noch einmal durch und öffnete dann, nach einem höflichen Klopfen, leise die Tür.

Im Zimmer herrschte angenehmes Licht. Und im Gegensatz zu seinen Erwartungen war Fly nicht allein. Eine junge Krankenschwester stand neben dem Bett und verabreichte ihm seine tägliche Injektion. Sie blickte auf, als Simon den Raum betrat.
 

„Verzeihung, wenn es gerade unpassend ist, dann kann ich auch später…“

Lächelnd schüttelte die Frau den Kopf.

„Bleiben sie ruhig. Ich bin gleich fertig, “ sagte sie und deckte den Patienten wieder zu. „So bitte, sie dürfen. Aber erschrecken sie nicht. Entsprechend seinem derzeitigen Zustand sieht Florian nicht besonders gut aus, “ meinte sie mit gedämpfter Stimme. „Leider reagiert er auch nur sehr selten auf andere. Nicht dass sie sich wundern, wenn er nicht antworten sollte.“

Simon nickte und die Krankenschwester verließ das Zimmer.
 


 

‚Sie hat Recht,’ dachte Simon als er einige Zeit neben Fly gesessen, und ihn betrachtet hatte. Er sah wirklich schrecklich aus. Fly war nur noch ein Schatten seiner selbst. ‚Tja, und wer war daran schuld?’ Simon hätte sich selbst ohrfeigen können. Wie vorhergesagt hatte Fly bisher nicht die kleinste Reaktion gezeigt. Er schien es nicht wahrzunehmen, dass Simon da war.
 

Doch irgendwann bekam Simon ein Zeichen von ihm. Fly durchlief immer wieder die Ereignisse mit Simon. Er sah jede Sequenz noch einmal vor sich und fühlte jede Emotion von neuem. Und immer musste Fly weinen, als Simons Ablehnung in seinem Kopf widerhallte. So auch jetzt. Tränen strömten sein bleiches Gesicht herunter und tropften auf die Decke, die er krampfhaft umklammert hielt. Und wie immer folgte fast sogleich dieser unerträglich brennende Schmerz in seiner Brust. Er schien alles auslöschen zu wollen, doch Fly wehrte sich. Er wollte es nicht einfach vergessen!
 

So sehr Simon sich auch bemühte, Fly war nicht zu beruhigen. Seine Worte drangen gar nicht zu ihm durch. Wenn es doch nur die Tränen gewesen wären! Simon hätte ihn einfach in den Arm genommen und seine Tränen mit sanften Worten weggewischt. Doch der Kleine wand sich unter Schmerzen und hielt die Hände an die Brust gepresst.

Etwas panisch war Simon aufgestanden und sah sich um. Irgendwo musste doch… Gerade hatte er den Klingelknopf gefunden, da wurde sehr energisch die Tür geöffnet.
 

„Florian, ich bin es. Ich habe dir …“ Flys Mutter blieb wie erstarrt stehen, als sie Simon entdeckte. Noch mehr erbleichte sie, als sich ihr Blick auf Fly richtete.

„Wieso bist du…?W…was hast du…?“ stammelte sie.

„Frau Uhlig bitte, … es ist nicht so…“ Simon versuchte etwas zu sagen, doch sie stürzte zum Bett ihres Sohnes.

„Florian… Florian?!“ Doch auch ihr gelang es nicht, zu ihm durchzudringen. „Was haben sie mit meinem Sohn angestellt?!!“ tobte die Mutter. Sie wechselte in die förmliche Anrede wechselt. Was ihre große Abneigung gegen Simon nur zu deutlich zeigte.

„Ich… ich habe nichts getan. Er hat einfach angefangen zu weinen…“

„Tun sie nicht so scheinheilig!“ unterbrach die Mutter herrisch Simons Rechtfertigungsversuch. „Es macht ihnen doch Spaß Florian zu traktieren, ihn zu quälen!“

„Aber…,“ Simon begann es zu dämmern. Nicht nur, dass Frau Uhlig glaubte, er hätte Fly hier und jetzt etwas angetan, nein. Sie machte ihn auch noch für all die anderen Katastrophen und Angriffe verantwortlich! Dabei war er doch nur aus Sorge hier bei ihm…

„Ich sage ihnen eines: Wagen sie es nicht noch einmal meinem Sohn etwas Derartiges anzutun! Ich sehe einfach nicht mehr länger mit an, wie er an ihnen und ihren … perversen Intrigen zugrunde geht! Allein wegen ihnen ist er doch jetzt hier!!!“ Frau Uhlig hatte die letzten Worte so laut geschrien, dass nun gleich drei Krankenschwestern und die Stationsärztin in das Zimmer stürmten.

„Frau Uhlig! Vielleicht erklären sie mir mal, was dieser Aufruhr bedeuten soll?“ fragte die Ärztin lautstark.

„Dieser… er… er hat … jetzt sehen sie doch selbst!!!“ vor lauter Aufregung bekam Flys Mutter keinen klaren Satz mehr hervor.

„Jetzt beruhigen sie sich erst einmal. Schwester Hanna, kümmern sie sich bitte darum.“ Eine junge Krankenschwerster nickte und setzte sich zu Fly. Simon erkannte sie wieder. Zuvor hatte sie ihm die Injektion verabreicht… Von ihr ließ Fly sich in die Arme nehmen und trösten. Simon und Frau Uhlig sahen nur erstaunt zu.

„Tja, keiner Anderen gelingt dieses Kunststück. Außer Schwester Hanna lässt er niemanden an sich heran. Was die Behandlung natürlich äußerst kompliziert gestaltet,“ erklärte die Medizinerin.

„Aber das…“ Flys Mutter war das vollkommen unverständlich.

„… ist durchaus kein Wunder,“ beendete Simon ihren begonnenen Satz mit seinen Gedanken. Finster starrte sie ihn an.

„Tut mir ja auch leid, aber im Grunde wissen sie genauso gut wie ich, warum das so ist. Auch ich habe viele Dinge gesagt und vielleicht auch getan, die ihn sich so verschließen ließen,“ sagte er weiter mit sanftem Blick auf den sich allmählich beruhigenden Fly.

„Auch sie sind nicht ganz unschuldig daran… und das wissen sie.“

Nur zu genau hatte Frau Uhlig noch vor Augen, wie Florian völlig am Ende vor ihren Augen zusammenbrach. Und das nur wegen ihrer Worte… Resigniert nickte sie.

„Als leitende Person dieser Station würde mich äußerst geschmeichelt fühlen, wenn sie beide das vielleicht näher erläutern könnten!“ mischte sich die Ärztin etwas missgelaunt ein. „Möglicherweise könnte uns das Aufschluss über den derzeitigen Zustand des Patienten geben.“
 

Ein aufklärendes Gespräch später standen Frau Uhlig und Simon noch einmal gemeinsam an Flys Bett. Der Kleine schlief zwar friedlich, doch sah man ihm sein Leiden an. Simon wollte lieber nicht wissen, wie viel Beruhigungsmittel nötig waren, um diesen so trügerischen Zustand auszulösen. Irgendwie traute er dieser „Ärztin“ alles zu.

Frau Uhlig seufzte.

„Was ist?“

„Ach, ich frage mich nur, warum ich nichts tun konnte; warum ich Florian nicht davor schützen konnte?“ fragte sie leise. Simon sah sie kurz an.

„Wahrscheinlich konnte das niemand von uns. Vielleicht war es einfach alles zu viel,“ meinte er und nahm Flys Hand. Gedankenverloren streichelte er sie.

„Wenn es irgendetwas gibt, was ich tun kann, womit ich helfen kann,“ sagte er an Frau Uhlig gewandt und sah Fly lange ins Gesicht. „Bitte, sagen sie mir bescheid.“

Selbst etwas erleichtert über sein Angebot nickte Frau Uhlig. Sie ahnte nicht, dass sie so schnell darauf zurückgreifen musste.
 


 

~Am Abend, einige wenige Tage danach~
 

Simon saß zusammen mit seinen Eltern im Wohnzimmer und sah Fern. Sein Vater hatte sich einige Filme von einem Kollegen ausgeliehen. Leika lag zu Simons Füßen und döste vor sich hin. Flimmernde Bilder interessierten sie nicht die Bohne. Sie schlief schon fast, doch eine leise Vorahnung ließ sie aufsehen und die Ohren spitzen. Das Telefon klingelte.

„Ich geh schon,“ meinte Simon und erhob sich. Immerhin saß er dem Gerät auch am nächsten, da verstand sich das von selbst.
 

„Petters?“

„Simon? Hier ist Frau Uhlig, Florians Mutter,“ kam es aus dem Hörer.

„Oh, hallo. Was gibt es denn? Kann ich etwas für sie tun?“

„Oh, für mich nicht,“ sie klang äußerst aufgebracht, was Simon sofort in Alarmbereitschaft versetzte. „Aber bitte, Florian ist dabei einen großen Fehler zu begehen!“

„Was ist denn passiert?!“

„Simon, bitte komm her! Florian will sich das Leben nehmen und niemand kann ihn aufhalten!“ sie war nun fast den Tränen nah. Simon ließ den Hörer fallen und rannte durch die Wohnung.

„Schatz, wo willst du denn noch hin?“ fragte seine Mutter, als sie den Schlüssel hörte.

„Ein Leben retten!“ rief Simon zurück und sprintete los. Noch nie war er in seinem Leben so schnell gelaufen. Er hatte Angst, war aber auch unheimlich sauer. Was fiel diesem Kindskopf ein?! Es gab doch keinen Grund so etwas dermaßen Dummes zu tun! Oder doch...?
 

„Halt! Hallo?!“ Die Krankenschwester am Empfang traute ihren Augen nicht. Simon rannte an ihr vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen und nahm die Treppe. Der Lift dauerte ihm viel zu lange!

Kaum jemand war, um diese Zeit, noch in den Gängen zu sehen. Doch die wenigen, auf die Simon traf, warfen ihm empört verwunderte Blicke hinterher. Doch das interessierte Simon überhaupt nicht. Das einzig Wichtige war Fly von seiner Dummheit abzubringen. So betrat er ohne zu klopfen das Zimmer.
 

Drinnen war ein regelrechter Auflauf. Es schien als wäre das gesamte Nachtpersonal der Station hier versammelt.

„Simon, da sind sie ja,“ sprach ihn sogleich die Ärztin an.

„So schnell... es ging,“ keuchte er zurück. Die pausenlose Rennerei von zu Hause bis hier her hatte ihn ganz schön aus der Puste gebracht.

„Frau Uhlig meinte, wenn ihn noch irgendjemand zurückhalten könnte, dann sie. Selbst Schwester Hanns Fähigkeiten, auf die eigentlich Verlass ist, haben versagt.“ Die junge Schwester blickte ihn entschuldigend an.

„Wo ist er denn überhaupt?“ fragte Simon, als er wieder einigermaßen ruhig atmen konnte. Er sah sich im Zimmer um, entdeckte aber keine Spur von Fly - wenn man mal vom zerwühlten Bett, den Glas- und Keramikscherben um den Tisch und den deutlich roten Blutflecken auf dem Boden absah.

„Da draußen,“ sagte Schwester Hanna und deutete schüchtern aus dem Fenster zum Balkon. Simon trat näher und glaubte sein Herz würde für einen Moment aussetzten. Fly stand mit dem Rücken zu ihnen auf dem runden Tisch am Geländer und hielt sich die Ohren zu.
 


 

Sie sollten endlich aufhören!!! Die erdrückenden Gedanken in seinem Kopf und die aufgeregt rufenden Menschen in seinem Zimmer. Das Glas dämpfte ihre Stimmen zwar, aber Fly hörte sie trotzdem, als würden sie neben ihm stehen und ihm lauthals in die Ohren schreien. Warum ließ man ihn nicht in Ruhe und akzeptierte seine Entscheidungen?! Konnte die Welt nicht einmal fair zu ihm sein? Genau deshalb stand er jetzt hier. Niemand da drinnen oder hier draußen sollte ihm vorschreiben, was er jetzt zu tun hatte und was nicht. Doch die Stimmen aus dem Raum ließen einen regelrechten Kampf in ihm ausbrechen. Ein Kampf zwischen zwei Parteien. Die eine hatte sich schon abgefunden und das Leben als nicht mehr lebenswert abgetan. Sie war bereit für den letzten Schritt. Der andere Teil aber, klammerte sich noch verzweifelt an den letzten Halm, an die letzte Blüte auf einer verwelkten Wiese, griff nach jedem Funken Hoffnung und flehte nach Rettung. Etwas sagte ihm, dass es falsch war, was er tun wollte. Diese Auseinandersetzung hielt ihn noch zurück, ließ ihn den finalen Schritt nicht tun...
 


 

Simon fluchte. So was würde er doch niemals tun! Das war unmöglich Fly! Schoss es ihm durch den Kopf. Und auf keinen Fall würde er, Simon Petters, das so einfach zulassen!!!

„Wieso stehen sie denn noch alle hier herum? Warum hat noch niemand etwas unternommen?“ fragte er aufgebracht.

„Wir würden das ja gern, doch Fly hat sich ausgesperrt und uns ebenso. Wir bekommen die Tür nicht auf,“ sagte Frau Uhlig. Tatsächlich hatte er die Tür so zugestellt und verrammelt, dass Simon sie selbst mit größtem Kraftaufwand nicht öffnen konnte. Fieberhaft überlegte er.

„Was ist mit dem Glas?“ wandte er sich an das Personal.

„Was soll damit sein? Das ist normales Fensterglas. Schließlich sind wir ein Krankenhaus und keine Anstalt!“ antwortete die Ärztin zynisch. Diese Kritik hatte Simon nur überdeutlich verstanden und funkelte die Medizinerin finster an.

„Alles klar. Dann müsste man es doch mit einfachsten Methoden kaputt bekommen...“ er sah sich kurz um. So ein Stuhl müsste es tun...

„Gehen sie ein Stück beiseite, schließlich will ich ihnen nicht noch mehr Verletzte bescheren,“ sagte Simon.
 

Zum Erstaunen der Belegschaft reichten einige gezielte Schläge aus, und das große Fenster zersprang in tausende kleine und große Scherben. Dass einige dieser Splitter ihn selbst verletzten, war Simon so ziemlich egal. Fly war alles, was zählte!
 


 

Kaum hatte Fly den letzten Gedanken zu Ende gedacht, erklang ein ungeheures Scheppern hinter ihm. Erschrocken drehte er sich blitzartig um. Das kostete ihn allerdings das letzte bisschen Gleichgewicht. Mit den Armen rudern, versuchte er sich wieder zu fangen. So sollte es doch noch nicht enden!!!

Ziemlich grob wurde Fly nach vorn gezerrt und landete etwas unsanft auf dem Boden. Er versuchte sich aus den Händen zu winden, schaffte es aber nicht mal ansatzweise. Stattdessen fing er sich eine saftige Ohrfeige ein, die ihm die Augen tränen ließen.
 

„Jetzt komm endlich wieder zu dir!!!“ fauchte Simon. Seine Angst, weniger der Ärger über diese Blödheit, trieben ihn zu dieser fast schon brutalen Handlung.

Flys Wange glühte vor Schmerz und brachten ihn tatsächlich zurück in die Realität. Der kühle Wind fuhr ihm in die dünnen Kleider und ließen ihn erschaudern. Er fühlte den harten Boden des Balkons unter sich und sah durch die Schmerzenstränen ein Gesicht über sich. Für den ersten Moment fragte er sich, was das sollte und erkannte nicht, wer ihn da so energisch festhielt. Doch dann klärten sich seine Sinne und er riss die Augen auf.

„Simon?“ fragte er mit leicht zitternder Stimme.
 

„Ja was glaubst du denn?! Du dachtest wohl ich würde dich einfach so im Stich lassen ...“ Simon konnte nur noch schwer weiter sprechen. Seine Sicht trübte sich. Und etwas verstört bemerkte er, wie ihm heiß die Tränen übers Gesicht liefen.

„Aber... Simon,“ Fly sah ihn entgeistert an.

„... ich dachte schon du hättest mich völlig vergessen!“ Simon umfasste den am Boden Liegenden und zog ihn in eine feste Umarmung. Erst jetzt begriff Fly, was er gerade tun wollte. Hatte er eben wirklich vor sich da runter fallen zu lassen?! Von unglaublicher Angst und Verlegenheit erfasst klammerte er sich an Simon. Er war ihm unendlich dankbar, dass er ihn davon zurückgehalten hatte. Eigentlich hing er viel zu sehr an seinem Leben, doch das wurde ihm erst jetzt klar. Fly empfand Verachtung – gegen sich selbst.

„...es... tu mir so Leid... Simon ... es tut mir leid...“ Fly wusste im Moment nichts anderes zu sagen. Zu sehr war er von seiner eigenen Tat geschockt. Simon antwortete nicht, sondern drückte den Kleineren nur noch fester an sich. Minutenlang hielt er Fly so. Er wollte ihn nie wieder loslassen, aus Angst er würde so etwas noch einmal versuchen...
 

„Simon? Wollen sie ihn nicht langsam reinbringen? Er wird da draußen noch erfrieren. Außerdem müssen wir uns um ihn kümmern,“ drang die Stimme der Ärztin an Simons Ohr.

Genervt schnaubte Simon. ‚Gab es denn nichts Wichtigeres als ihnen blöden Job?!’ dachte er. Dennoch ließ er Fly los und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht.

„Ist dir kalt?“ fragt er Fly sanft. Der Kleine nickte. „Okay ...“ So vorsichtig wie möglich trug er Fly nach drinnen. Denn er hatte die neuen Verletzungen an seinen Armen durchaus gesehen. Schließlich wollte er ihm nicht noch mehr weht tun. Außerdem wäre Fly jetzt sowieso nicht dazu fähig allein zu laufen.

„Oh Florian...“ seine Mutter wollte Simon helfen. Doch Fly wandte sich sofort schon fast ängstlich von ihr ab. Was Frau Uhlig ein wenig verstörte.
 

„Lass mal sehen,“ forderte die Ärztin ihn sogleich auf, kaum hatte Simon ihn zurück ins Bett gelegt. Doch Fly schüttelte den Kopf und zog die Arme fest an den Körper. „Na, was soll das denn? Schließlich befindest du dich in einem Krankenhaus. Ich will dir doch nur helfen...“ Erneut schüttelte Fly den Kopf; diesmal sogar noch eine Spur energischer und ablehnender.

„Vielleicht sollten sie es erst mal akzeptieren, wenn er es nicht möchte,“ sagte Schwester Hanna und Simon war dankbar, dass sie die Partei für Fly ergriff.

„So dann möchten sie es wohl übernehmen?“ fragte die Vorgesetzte die Krankenschwester in gebieterischem Tonfall. Hanna schüttelte nur den Kopf.

„Nein, ich glaube kaum, dass Florian mich heranlassen würde.“

„Ah, und wen schlagen sie dann vor?!“

„Simon,“ sagte Frau Uhlig ruhig. Gleich drei, Schwester Hanna, die Stationsärztin und Simon blickten Flys Mutter verwirrt an. Diesen plötzlichen Sympathieumschwung konnte Simon einfach nicht nachvollziehen.

„Na gut,“ erklärte sich die Medizinerin schließlich einverstanden. „Aber nach Vorschrift, wenn ich bitten darf.“

„Kein Thema,“ meinte Simon und zog sich die Handschuhe an. „Mach ich nicht zum ersten Mal.“ Schließlich hatte er Lukas öfter... Nein. Simon lächelte innerlich. Das war Vergangenheit. ‚Ich sollte in der Gegenwart leben und was geschehen ist geschehen sein lassen,’ dachte er. Vielleicht konnte er so alles wieder in seine Bahnen lenken...
 

Das Zimmer leerte sich. Die Schwestern wollten sich um eine neue Unterbringung für Florian kümmern und auch rau Uhlig gab vor noch etwas besprechen zu müssen. Obwohl Simon ihre Anwesenheit nicht gestört hätte. Doch sie ging von sich aus. Vielleicht war es jetzt an der Zeit Fly loszulassen...

„Fly? Darf ich?“ fragte Simon und hielt ihm die behandschuhte Hand entgegen. Fly zögerte. Er hatte Angst. Wovor war ihm selbst nicht richtig klar. Wahrscheinlich davor, dass es nur ein Traum war und Simon ihn gar nicht gerettet hatte.

„Komm, ich bin auch ganz vorsichtig, versprochen,“ sagte Simon geduldig und wartete. Fly nickte und reichte ihm schließlich ein wenig zitternd die Hand. Simon lächelte.
 

„Au!!“ Fly zog den Arm etwas zurück. Das Desinfektionsmittel brannte höllisch.

„Gleich vorbei...“ meinte Simon und hielt seine Hand mit sanftem Druck fest. Wahrlich eine schmerzhafte Prozedur, doch äußerst notwendig.

„So fertig.“ Vorsichtig legte Simon Flys fast gänzlich bandagierte Arme zurück auf die dünne Decke und zog die Handschuhe aus.

„Danke,“ flüsterte Fly und hatte Tränen in den Augen.

„Hm? Was ist denn? Habe ich dir sehr weh getan?“ Simon setzte eine mitleidig entschuldigende Miene auf. Der Kleine schüttelte den Kopf.

„Aber was ist dann?“ Fly schniefte. Es war kein Traum. Simon hatte ihn wirklich gerettet!

„Du... bist hier...“ seine Stimme war ein schwach zitterndes Flüstern. Simon verstand nicht, was war denn daran falsch?

„Ich konnte... konnte es nur ... kaum glauben!“

„Was? Aber Fly...“ Simon setzte sich zu ihm auf das Bett. Fly tat ihm wahnsinnig leid. Immerhin war es ja nicht seine Schuld, dass es soweit kommen musste. Aber anscheinend war das nötig, um ihm selbst einen klaren Kopf zu schaffen. Simon rückte etwas näher und nahm Fly in die Arme. Beruhigend strich er ihm über die hellen Strähnen.

„Es... es... war so ... so hoffnungs...los...“ schluchzte der Kleine. „Ich... hatte...hatte solche Angst... wusste nicht mehr... was ich tun sollte... es... es war... der einzige Weg...“
 

„Nein, das habe ich dir schon einmal gesagt. Es gibt immer einen anderen Weg... du darfst davor nur keine Angst haben. Leider habe ich dir diesen verbaut. Das tut mir ehrlich leid. Ich war wirklich ein Esel. Vieles was ich gesagt habe, hätte ich besser für mich behalten sollen. Das war so dumm von mir... Damit habe ich nur Schaden angerichtet,“ widersprach Simon.

„Als deine Ma bei mir anrief, da dachte ich, ich müsste auf der Stelle tot umfallen. Ich hatte so wahnsinnige Angst um dich Fly,“ er fühlte, dass es genau das war, was Fly jetzt brauchte: wenn er ihm die Wahrheit sagte. Den irgendwie war ihm die Kleine ja doch an Herz gewachsen.

„Ich glaube ich hätte nicht gewusst, was ich tun sollte... hättest du das eben wirklich getan...“
 

Fly lehnte sich an ihn und lauschte Simon. Fast atemlos saß er da und sog jedes Wort auf. Was er da sagte, hätte er sich im Traum nicht vorstellen können jemals von ihm zu hören.

„Ich habe lange über alles nachgedacht und mir ist klar geworden, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Einen sehr Großen. Indem ich sagte, ich könnte dir nicht geben, was du möchtest. Das hätte mich fast alles gekostet... alles, was mir so sehr am Herzen liegt...“

Fly war fassungslos. Er wollte Simons Augen sehen. Nicht ohne Mühe gelang es ihm sein Gesicht zu sich zu drehen. Eine Weile sah Fly ihn einfach nur an; seine Hand ruhte auf Simons Wange.

„Warum sagst du das alles jetzt?“ fragte er Simon. Der lächelte und nahm seine Brille ab. Vorsichtig strich er mit den Fingern über Flys noch immer leicht gerötete Gesichtsseite.

„Das alles tut mir so furchtbar leid,“ antwortet Simon. „Das alles...“ er nahm Flys verbundene Hand in seine und berührte sei leicht mit den Lippen. „... daran bin ich allein schuld“

Fly war sehr überrascht und wurde augenblicklich von seinen roten Flecken regelrecht überfallen.

„Ich wollte dir nicht weh tun...“
 

Ohne weiteres zog Simon den vollkommen irritierten Fly an sich. Der erschrak nun noch mehr, denn plötzlich fühlte er Simons warme Lippen auf seinen. Im ersten Moment überrollten ihn seine Gefühle. Ausgehend von den Lippen breitete sich ein unglaubliches Kribbeln und immense Wärme in seinem gesamten Körper aus. Doch Fly gewöhnte sich langsam an dieses so angenehme Gefühl und verlor sich fast darin. Beinah von allein bewegte er sich dem so zärtlichen Kuss entgegen.

Simon lächelte etwas, als er die noch schüchterne Initiative von Fly bemerkte. Er selbst war überwältigt und ihm wurde schlagartig bewusst, dass er Fly doch mehr liebte, als er bisher glaubte. Diese kleine und doch so intensive Berührung hatte sein Innerstes von jeglichem Zweifel befreit. Jetzt wusste er, dass sein Herz allein für Fly schlug, er es nur nie zugelassen hatte. Endlich fühlte such er sich wie von einer langen Krankheit geheilt. Außerdem, wer konnte diesen unbeschreiblich weichen Lippen schon widerstehen? Wie musste Fly sich erst fühlen? Mit dieser Frage in Hinterkopf löste Simon sich sanft und ein wenig widerwillig von ihm. So berauschend es auch war, wollte er ihm nicht zu viel zumuten. Schließlich war Fly noch immer in einer mehr als schlechten Verfassung.

„Kannst du mir verzeihen?“ fragte Simon, um sicher zu gehen, und sah in Flys etwas verträumte Augen. Sich vollkommen im Klaren, dass er nicht noch roter werden konnte nickte Fly.

„Hab ich doch schon längst...“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  midoriyuki
2008-09-20T17:14:46+00:00 20.09.2008 19:14
Schön schönschönschönschönschönschönschönschön*_*
Hach ich bin hin und weg*_*
Aber als der da fast runtergefallen ist hab ich echt erst ziemlich blöde aus der Wäsche geguckt besonders weil meine Mama reinkam und ich kurz aufhören musste zu lesen;_;
Aber wieder ein unglaublich tolles Kapi*_*


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