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Übernatürlich...

Wenn man das zweite Gesicht hat...
von

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Eine seltsame Vision

Der nächste Donnerstag war ein sehr merkwürdiger Tag.

Ich wusste es schon, als ich am Morgen die Augen aufschlug, heute würde etwas passieren.

Ich stieg aus dem Bett, ging ins Bad und machte mich fertig.
 

„Hey Leute, merkt ihr das auch?“, fragte ich Amina und Bengee und knuddelte die Beiden zur Begrüßung.

Amina sah mich an und schüttelte den Kopf.

„Nein, was?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht…“, sagte ich nachdenklich, „die Atmosphäre heute ist irgendwie anders, findet ihr nicht?“

Ich sah sie an.

Doch sie schüttelten den Kopf. Ich zuckte wieder mit den Schultern.

„Na ja, egal… wird schon nichts sein…“, meinte ich und wir gingen zu meinem Platz. Amina zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mir gegenüber, während Bengee sich auf Bengees Platz setzte.

Auf einmal grinste Amina.

„Übrigens habe ich eine freudige Nachricht zu verkünden!“, sagte sie strahlend.

Ich lächelte.

„Was denn?“

Amina atmete tief durch.

„Also…“, sagte sie und begann, sich Luft zuzuwedeln, als sei sie so aufgewühlt von der Wichtigkeit dieses Moments.

Ich sah sie an und sagte: „Jetzt sag schon!“

„Ich und Paul sind seit gestern offiziell zusammen!“, verkündete Amina und strahlte.

Ich strahlte ebenfalls und rief: „Wirklich?! Das ist ja wundervoll! Komm her du!“ Ich umarmte sie freudig.

Amina lächelte. „Ja, ich kann es auch kaum glauben…“, meinte sie.

Ich ließ von ihr ab.

„Erzähl!“, befahl ich bestimmt und sah sie mit einem Du-hast-ja-sowieso-keine-andere-Wahl-Blick an.

„Also…“, begann sie mit einem verliebten Lächeln auf den Lippen, „du weißt ja, wir hatten vor ein paar Tagen unser erstes Date… also ohne deine Unterstützung“

Ich nickte und erinnerte mich an diesen Tag.

Paul hatte ein Picknick für Amina hergerichtet und anschließend hatte sie noch bei ihm übernachtet. Amina hatte mir jede Einzelheit hinterher am Telefon erzählt.

„Ja, und gestern waren wir zwei wieder weg!“, fuhr sie fort. Ich nickte wieder. „Und?“, fragte ich gespannt.

„Na ja, er hat mir gesagt, dass er sich in mich verliebt hat…“, meinte sie lächelnd und spielte mit einer Haarsträhne, „dann hab ich gesagt, dass ich mich auch in ihn verliebt habe… hach es war so romantisch…“

Sie sah verträumt in die Klasse.

Ich lächelte.

„Freut mich für dich…“, sagte Bengee. Amina und ich sahen ihn an. Er hatte heute noch kaum ein Wort gesagt.

„Ach! Bengee! Bist ja auch noch da!“, sagte ich fröhlich und gab ihm einen kleinen Knuff an die Schulter. Er sah mich mit demselben sarkastischen Blick an, den er letztens Amina zugeworfen hatte.

Mr. Pitscher betrat die Klasse. Er war unser Mathelehrer und sah auch dementsprechend aus. Er war etwa 55 Jahre alt und sah ziemlich klein und stämmig aus, was er aber eigentlich gar nicht war. Sein Haar war weiß-grau, er hatte eine Halbglatze. Er hatte einen buschigen Schnurrbart und ebenso buschige Augenbrauen. Er trug fast immer einen gemusterten Polunder und eine besche Hose mit Bügelfalte, auch heute war es nicht anders.

„Guten Morgen!“, sagte er mit einer rauen Stimme, ließ den Blick über die Klasse schweifen und wandte sich dann zur Tafel. Er schrieb ein Datum an die Tafel und drehte sich wieder zu der Klasse um. Mit dem Finger zeigte er auf das Geschriebene. „Schreibt’s euch auf!“, dröhnte er, „an diesem Tag schreiben wir unsere Matheklausur!“

„Was?!“, rief Amina entsetzt, „das ist ja schon in zwei Wochen!“

Mr. Pitscher sah zu Amina. „Gibt es ein Problem?“, fragte er. Amina seufzte. „Nein…“

Mr. Pitscher strich sich mit dem Daumen über sein Kinn und nickte.

Ich seufzte leise und notierte mir das Datum in einem kleinen Heftchen.

Greg meldete sich.

„Könnten Sie bitte noch mal an die Tafel schreiben, was genau in der Arbeit drankommt?“, fragte er. Mr. Pitscher tippte sich mit dem Daumen an das Kinn und meinte: „Sollte ich das, ja?“ Greg nickte.

„Eigentlich müsstet ihr das alle bereits in euren Notizen unterzeichnet haben!“, meinte Mr. Pitscher vorwurfsvoll. Greg nickte erneut.

„Selbstverständlich, Sir, aber könnten Sie es nicht noch einmal anschreiben, damit wir nachsehen können, ob uns noch etwas fehlt? Nicht, dass alle hier das Falsche lernen…“

Ich musste lächeln. Ja, Greg wusste, wie man Leute am Besten überzeugen konnte. Mr. Pitscher lächelte ebenfalls. „Na gut!“, meinte er und begann, all den Stoff, der in der Arbeit dran kam, an die Tafel zu schreiben.

Ich war froh, dass Mr. Pitscher nachgegeben hatte, denn, wie die meisten hier, hatte ich mir keine Notizen gemacht.

Fein säuberlich schrieb ich mir alles ab.

Danach begann Mr. Pitscher mit der Wiederholung des Stoffs.

Nach der Doppelstunde Mathe trat ich zu Aminas Platz und ließ mich auf den freien Platz neben ihr fallen.

„In zwei Wochen eine Mathearbeit…“, murmelte ich. Ich sah sie an.

„Hast du heute vielleicht etwas Zeit?“, fragte ich, „ich will lernen…“

Sie nickte.

„Natürlich!“

Bengee kam zu uns. „Hey Bengee! Hast du heute Zeit zum Mathe lernen?“, fragte ich ihn, bevor er etwas sagen konnte. Er nickte.

„Sicher, wann denn?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung… heute eben!“, ich lachte kurz.

„Direkt nach der Schule?“, warf Amina ein.

Bengee nickte. „Von mir aus schon“

Beide sahen nun mich an. Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss wenn vorher noch mit Tequila raus…“, meinte ich. „Kein Problem, wir kommen mit“, sagte Amina gleichgültig. Auch Bengee hatte nichts dagegen.

„Okay, cool. Und bei wem?“, fragte ich.

Amina zuckte mit den Schultern.

„Bei mir?“

Bengee und ich stimmten zu. „Aber dann muss ich heute nach der Schule noch meine Mutter anrufen und Bescheid sagen…“, meinte Bengee. Ich winkte ab. „Kein Thema, du kannst mein Handy nehmen“

Bengee nickte.

„Okay, danke“
 

Nach weiteren vier elenden Schulstunden und einer, meiner Meinung nach viel zu kurzen, großen Pause, gingen wir also zu mir.

„Ach ja…“, sagte ich und gab Bengee mein Handy, „hier, ruf deine Mom an, aber mach’s bitte kurz… es ist teuer…“ Ich rümpfte die Nase. Bengee nickte und wählte die Nummer.

Wir waren mittlerweile bei mir zu Hause angekommen. Ich schloss die Türen auf und Tequila sprang uns freudig mit dem Schwanz wedelnd entgegen.

„Hey Süße!“, rief ich und streichelte sie am Kopf. Tequila ließ sich ein paar Sekunden lang von mir streicheln und sprang dann auf Amina zu. Diese begrüßte sie strahlend.

Ich zog meine Tasche ab und legte sie auf den Boden. Bengee war fertig mit telefonieren und gab mir mein Handy zurück. Ich steckte es zurück in die Tasche und ging ins Wohnzimmer.

Ich blickte auf das Sofa zu meiner Rechten und scharrte zusammen, als ich sah, dass meine Mutter darauf saß.

„Mama! Was machst du denn hier?“, fragte ich sie, „ich hab dich gar nicht bemerkt“ Sie richtete sich auf.

„Ich hatte früher Schluss…“, sagte sie und rieb sich das linke Auge. Ich bemerkte, dass sie dunkle Augenringe unter den Augen hatte, doch dann wandte ich meinen Blick von ihrem Gesicht. „Ist jemand bei dir?“, fragte meine Mutter.

Ich nickte.

„Ja, ich habe Amina und Bengee mitgenommen…“, antwortete ich.

Wie bestellt traten Amina und Bengee aus dem Flur ins Wohnzimmer. „Hallo, Mrs. Josephs“, sagte Bengee freundlich.

„Hallo Bengee“, erwiderte meine Mutter und lächelte. Es war ein trauriges Lächeln. Anders, als früher. Damals hatte sie noch ein fröhliches Lächeln gehabt, doch dieses war traurig und freudlos und wirkte etwas aufgesetzt.

Es brach mir das Herz, meine Mutter so zu sehen, denn ich wusste genau, ich war daran Schuld.

Amina nickte meiner Mutter freundlich entgegen, zur Begrüßung. Schweigen trat ein.

„Ähm, Mom, wir wollten, gleich, nachdem wir mit dem Hund draußen waren, zu Amina und ein bisschen lernen“, erklärte ich dem Bild, das hinter dem Sofa an der Wand hing. Meine Mutter nickte.

„Ist okay… wenn ihr wollt, könnt ihr den Hund auch hier lassen… ich gehe nachher mit ihr…“, meinte meine Mutter. Ich lächelte.

„Okay, danke, Mama“, meinte ich und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange. Dann ging ich zur Tür.

„Wir sind dann jetzt weg!“, rief ich und öffnete die Tür, „ich hab mein Handy dabei, falls was ist!“

Bringt bei Amina zwar nichts, weil wir da im Funkloch sind, aber egal…, dachte ich und ging mit meinen Freunden zur Tür hinaus.
 

Bei Amina zu Hause angekommen, setzten wir uns ins Wohnzimmer. Bengee und Amina saßen mir gegenüber. Zwischendurch kam Aminas Mutter herein und fragte, ob wir vielleicht etwas brauchten, doch sonst wurden wir nicht weiter gestört.

Aminas Mutter war eine große Frau mit langem, blondem Haar und blauen Augen. Sie waren mandelförmig, genau wie Aminas, wie ich feststellte.

„Mathe ist langweilig…“, seufzte ich, als sie wieder weg war und sah Amina an.

Es rummste.

Bengees Mathebuch war runter gefallen.

„Mist“, sagte er und bückte sich, um es aufzuheben. Ich ignorierte es.

„Ami, erzähl…“, Bengee streifte leicht meinen Arm. In diesem Moment passierte es.
 

Es wurde schwarz um mich.

Jetzt nahmen die Formen und Farben um mich herum langsam Gestalt an. Ich befand mich in einem großen Raum, ein Wohnzimmer, wie es schien.

In der einen Ecke stand eine große Couch und in der anderen Ecke ein Fernseher. Ich spürte, dass es dasselbe Haus war, in dem ich das kleine Kind in Bengees Vision hatte sterben sehen.

Hinter mir hörte ich Stimmen. Ich drehte mich um.

Dort stand eine Frau mit schulterlangem, blonden Haaren und blauen Augen. Sie war groß und schlank. Mir fiel auf, dass sie der Mutter des toten Kindes aus Bengees Vision ziemlich ähnlich sah. Ich schätzte, dass es die Schwester der Mutter sein musste.

Sie warf einen kurzen Blick in meine Richtung und da fiel es mir auf.

Es war Aminas Mutter!

Jünger, aber sie war es, eindeutig!

Plötzlich fiel mir auf, dass sie weinte. Kleine Tränen kullerten ihre Wangen hinab. Sie wischte sich die Augen und sah wieder zu dem Mann, mit dem sie sich unterhalten hatte. Er war groß, hatte braunes, dichtes Haar und smaragdgrüne Augen, es war dieselbe Farbe, wie die in Aminas Augen. Ich nahm an, dass es Aminas Vater war, den ich nie kennen gelernt hatte. Aber was machten die Beiden eigentlich hier, in dieser Vision? Oder besser gesagt, warum hatte ich überhaupt eine Vision?

Doch ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sie begannen zu reden.

„Jetzt ist es schon fast zwei Jahre her, dass… es passiert ist…“, meinte der Mann eindringlich, „und du willst das Haus immer noch nicht verkaufen. Meinst du nicht, dass es langsam Zeit wird, die Vergangenheit hinter sich zu lassen?“

„Du verstehst das nicht…“, sagte die Frau leise, „ich habe meine Schwester geliebt! Und Ethan auch, wie einen Bruder!“

Der Mann ging auf die Frau zu und umarmte sie. „Natürlich, das weiß ich, es ist schwer…“, flüsterte der Mann, „aber du musst verstehen… wir brauchen Geld! Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, dieses Haus hier mit zu versorgen…“

Die Frau schluchzte. „Ich weiß, aber…“, sie brach ab. Ein Mädchen von etwa vier oder fünf Jahren hatte das Zimmer betreten. Es hatte langes, braunes Haar und grüne, mandelförmige Augen. Sie trug eine grüne Leggins und ein gelbes T-Shirt.

Amina!

„Mama, warum weinst du denn?“, fragte sie und ging zu ihrer Mutter. Die Frau wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie lächelte.

„Amina, Häschen, was machst du denn hier?“, fragte die Mutter und sah auf ihre Tochter herab. „Ist es wegen der Sache mit Onkel Bruce und Tante Jem vor zwei Jahren…?“, sie sah ihre Mutter an.

Ziemlich klug, für ein so kleines Kind…, dachte ich. Die Mutter schwieg. „…Und mit Cousin Blake natürlich…“, fügte das kleine Kind leise hinzu.

Die Mutter fing wieder an zu weinen.

Dann wurde es wieder schwarz um mich. Die Frau, der Mann und das Kind verschwammen. Auch das Zimmer verschwand in einem Wirbel aus Farben, Formen und Schatten, bis die vollkommene Schwärze eintrat.
 

Im einen Moment stand ich noch im Zimmer mit den Leuten und im nächsten Moment saß ich wieder in Aminas Wohnzimmer.

Mein Blick war gesenkt und starrte auf den Tisch ins Leere. Ich blinzelte.

„Minty?“, hörte ich Aminas Stimme, sie klang erwachsen und nicht mehr so kindlich wie eben noch in der Vision.

Ich sah auf. Amina sah mich besorgt an. „Was ist los?“

„Wie… wie lange war ich weg…?“, stammelte ich. Amina hob die Augenbrauen. „Weg?“

„Was ist gerade passiert?“, fragte ich und sah zu Bengee. Dieser hatte sein Buch aufgehoben und schon wieder aufgeschlagen. Er sah mich ebenso erstaunt an, wie Amina. Mein Blick wanderte wieder zu Amina.

„Na ja… du hast mitten im Satz aufgehört zu reden… du hast den Kopf gesenkt und für ein paar Sekunden auf den Tisch gestarrt… na ja und dann hast du mich angesehen und gefragt, was los war…“, erklärte Amina.

Ich sah sie entgeistert an.

„Was?! Nur ein paar Sekunden?! Mir kam es, wie eine Ewigkeit vor…“, meinte ich.

Ich schwieg.

„Minty?“, hörte ich Aminas Stimme, wie aus weiter Ferne, ich antwortete nicht, „Mint, was ist los? Was ist passiert?“

Meine Gedanken waren völlig durcheinander. Es dauerte etwas, bis ich sagte: „Ich… ich hatte gerade eine Vision…“

Amina sah mich erstaunt an. „Was? Eine Vision? Aber du hast doch-“, ich unterbrach sie. „Ich weiß, dass ich niemanden angesehen habe!“, meinte ich, „es ist auch niemand gestorben…“

Ich sah sie an.

„Aber… du bist drin vorgekommen…“

Ich sah zu Bengee.

„Du Bengee… sag mal, wie hießen deine Eltern… weißt du das noch?“, fragte ich, wobei ich mir irgendwie taktlos vorkam, doch das war mir in diesem Moment egal.

Bengee nickte stumm und sah auf den Tisch.

„Jem und Bruce…“, sagte er leise, „meine Pflegeeltern haben es mir erzählt…“

Mein Herz begann zu pochen.

Ich wandte mich wieder an Amina.

„A-Amina… hast du einen verstorbenen Cousin? Beziehungsweise einen Onkel oder eine Tante?“, stotterte ich.

Amina dachte kurz nach, dann nickte sie. „Ja, mein Cousin Blake ist glaube ich gestorben, als ich vier war… seine Eltern auch, glaube ich… aber ich weiß nicht mehr, wie sie hießen…“, sie versuchte sich zu erinnern, „und ich weiß auch gar nicht, woran sie gestorben sind…“

Ich zitterte am ganzen Körper.

Was hat das alles nur zu bedeuteten...?

Leer sah ich zum Fenster raus.

Es hatte begonnen zu regnen.



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