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Scramble

von

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shrimp

Der appetitliche Geruch von mitgebrachten Leckereien hing in der Luft. Überall munteres Geschwätz, Diskussionen über die Spielzüge, Anfeuerungsrufe. Jedes Spiel hatte seine eigene Atmosphäre, die Schauer aus Freude und Stolz über die Haut laufen ließ. Zumindest war es in der Vergangenheit so gewesen.

Mamori hatte es sich auf der Tribüne bequem gemacht und eine Bentobox zwischen sich und ihren Begleiter gestellt. Zum Essen kam sie jedoch nicht.

„Suzuna-chan wirkt angespannt“, bemerkte Yukimitsu neben ihr.

Er hätte es nicht extra erwähnen müssen. Die Tatsache, dass der Cheerleader-Captain kalkweiß auf das Spielfeld starrte und bisher nicht einen Anfeuerungsruf ausgestoßen hatte, konnte man tatsächlich als angespannt bezeichnen.

Die Mädchen tanzten dennoch, wedelten mit ihren Plastikfledermausflügeln, bauten Pyramiden und jubelten, wo es nichts mehr zu jubeln gab. Tapfer und unerschütterlich versuchten sie dem Publikum etwas vorzumachen, während das Szenario auf dem Feld ihre Worte als Lügen bloßstellte.
 

Es dauerte etwas, bis Sena seine Orientierung wieder gewann. Etwas unbeholfen tastete er nach seinem Helm. Sein Kopf brummte und die Sicht war verschwommen. Schlimmer als das, war jedoch das drückende Gefühl auf seinem Brustkorb. Erinnerungen an seinen ersten Zusammenstoß mit Shin Seijuuro stoben auf. Man fühlte sich, als würde einem das Leben für einen kurzen Moment herausgepresst werden. Eine Schraubklammer, die sich um den Oberkörper legte und immer enger gedreht wurde. Der erste tiefe Atemzug war schmerzhaft und ließ Tränen in die Augen steigen.

„Kannst du spielen?“

Sena registrierte, dass die Frage nicht, wie üblich, von einem Schiedsrichter stammte, sondern von dem Gegner, der ihn eben zu Boden gestreckt hatte. Uemura Naoki, wenn er sich recht erinnerte.

Langsam und schwerfällig erhob er sich. Sein Körper schien noch immer zu beben, aber er konnte stehen und somit auch spielen.

„Ja, danke“, antwortete er höflich und wäre fast in die Knie gegangen, als Oujos Right End, Uemura, ihm freundschaftlich auf den Rücken klopfte.

„Dann solltest du schnell eingreifen, bevor du nicht mehr spielen darfst.“

Sena war verwirrt und folgte einfach nur Uemuras Blick. Wäre er weniger zurückhaltend, hätte er bei dem, was er zu sehen bekam, einen lauten Fluch ausgestoßen, so brachte er seine wackeligen Beine nur dazu ihn so schnell wie möglich vorwärts zu bewegen.
 

„Was hast du dir dabei gedacht?“

Juumonji nahm seinen Helm ab und fuhr sich fahrig über die kurzen Haare. Sein Gegenüber strapazierte seine Geduld. Noch viel mehr, als er einfach mit den Schultern zuckte und „Hab nicht aufgepasst“, antwortete.

„Du hast nicht aufgepasst?“, wiederholte der derzeitige Center und versuchte verbissen sich ruhig zu halten. Sein Blut rauschte laut in seinen Ohren und er spürte den Drang einfach zuzuschlagen.

„Es ist deine verfickte Aufgabe den Quarterback zu schützen“, presste er zwischen seinen Zähnen hervor. „Du hast Oujo damit direkt in die Hände gespielt.“

Der Schwarzhaarige zuckte erneut mit den Schultern. Seine Augen wanderten gelangweilt über das Spielfeld. War doch nicht seine Schuld, dass der berühmte Eyeshield 21 nicht so schnell war, wie alle glaubten und der Typ, den er blocken sollte nicht zu der Sorte Mensch gehörte, die man länger im Dunstkreis haben wollte. Der Mundgeruch war mörderisch gewesen. Überhaupt, war er als Lineman mehr als überqualifiziert und hatte eine diffizilere Position verdient, aber anscheinend musste man ein Hasenherz, Affe oder König der Idioten sein, um in dieser Mannschaft ernst genommen zu werden.

Ein Rempler riss ihn aus seinen Gedanken. Ein weiterer folgte gegen seine Schulter. Kaum neugierig geworden, blickte er den Arm entlang und schaute schließlich in das wutverzerrte Gesicht Kurokis. Dessen ungewöhnlich große Lippen kräuselten sich angewidert und Zorn glomm in den wässrig-braunen Augen.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass du für den Gegner arbeitest.“

Yamanaka Masao antwortete nicht. Lediglich mit einem flüchtigen Blick versuchte er fest zu stellen, ob die anderen Neulinge in der Mannschaft sich hinter ihn stellten und eingreifen würden.

„Erst die ständigen Shifts im Trainingsspiel und heute weichst du absichtlich dem Gegner aus. Der Zwerg hätte ernsthaft verletzt werden können.“

Kuroki tobte innerlich und würde liebend gerne die Fähigkeiten demonstrieren, wegen derer er als Nichtsnutz und Yankee galt. Sicherheit bekam er, als sich die Devil Bats, mit denen er gekämpft, gesiegt und auch verloren hatte, sich an seine Seite stellten. Von einem Emporkömmling, der gerade sein erstes offizielles Spiel hatte, würden sie sich das Turnier nicht ruinieren lassen.

Als Masao eine unüberlegte, überhebliche Äußerung von sich gab, ging alles ganz schnell. Zu schnell für Sena, der glaubte den Schlag in Zeitlupe zu sehen. Es war nicht Kuroki der seine Faust erhoben hatte, sondern Togano. Es war fast zu lächerlich um es zu glauben. Normalerweise hatte der Brillenträger seinen Kopf entweder in einem Manga oder befolgte seine Aufgaben in der Line. Man vergaß fast, dass er einer der berüchtigten Ha-Ha Brüder war. Dennoch löste sein Schlag eine Kettenreaktion aus und Sena musste hilflos zusehen, wie sein eigenes Team sich gegenseitig malträtierte, schlug, trat und lächerlich machte.

Er wollte laut seine Wut herausschreien und sie dazu bringen endlich aufzuhören, doch seine Stimme versagte. Er konnte nur voller Entsetzen zu sehen, wie jegliche Kontrolle verloren ging.

Etwas in ihm fragte, ob es nicht besser gewesen wäre, niemals mit Football anzufangen. Es hätte ihn vor diesem hier bewahrt, vor dem Eingestehen, dass er ein noch viel größerer Versager war, als man ihn bisher glauben gemacht hatte.
 

„Ich habe mehr von Deimon erwartet.“

Sena schreckte quickend auf. Diese Stimme neben ihm, weckte mehr als Erinnerungen. Sie war ein Teil des roten Fadens, der ihn durch die Welt dieses Sports geführt hatte. Er schluckte den bitteren Geschmack der Niederlage herunter und versuchte zu vergessen, dass er gerade wieder ein rückgratloser, unbedeutender Einzeller war. Flüchtig jagte der Gedanke durch seinen Kopf, ob jemand wie ER, jemand wie Shin Seijuuro, jemals den Glauben an sich und sein Team verlieren könnte.

Fast ängstlich schaute er hoch und stellte fest, dass die Differenz zwischen ihnen nicht mehr so groß wie bei ihrem ersten Zusammentreffen war, damals, als der Linebacker von Oujo ihm zeigte, was wirklicher Schmerz ist und was es bedeutet ein Ziel zu jagen.

„Ich auch“, gab er schließlich offen zu.

Es gab keinen Grund etwas vor Shin zu verbergen.

„Wirst du es hinbekommen?“

Sena presste die Lippen aufeinander, blickte vorsichtig zu seinem Team, das sich auf dem Boden raufte und nickte knapp und verlogen.

„Ja“, antwortete er, ohne Zittern, Herzflattern oder Unsicherheit. „Irgendwie. Hoffe ich doch.“
 

Das erste offizielle Spiel der Devil Bats in diesem Jahr. Mamori hatte sich extra eine Auszeit gegönnt. Sie hatte sogar den Mut gehabt Yukimitsu anzurufen und ihn zu bitten sie zum Spiel zu begleiten. Wenn sie ehrlich war, hatte sie den Jungen nur gebeten, weil er keine Fragen stellen würde - warum sie Sena nicht herzlicher begrüßte oder enthusiastischer wirkte. Er würde ihre ruhige Miene hinnehmen, nicht nachfragen, ob sie die alten Zeiten vermisste, sondern einfach nur da sitzen und das Spiel aufgeregt beobachten. Dass es so enden würde, hatte keiner von beiden geahnt. Für Mamori war es ein Schock gewesen zu sehen, wie das Team versuchte sich gegenseitig zu zerfleischen, wie Sena hilflos auf den Schiedsrichter einredete und dieser nur immer wütender und ungehaltener wurde.

„Anezaki-san?“

„Hm?“

Yukimitsu Manabus zurückhaltende, höfliche Stimme klang noch zaghafter als sonst, wenn er sie ansprach. Das Spiel oder was davon geblieben war, war bis in sein Mark gedrungen. Er fühlte sich betrogen und um seine, ihm mehr als wichtigen, Erlebnisse als Teil des Teams gebracht. Dennoch wagte er es, wenn auch unbewusst, die Erwartungen seiner Begleiterin zu enttäuschen.

„Warum hast du Sena-kun nicht beigestanden?“

Die Frage kam unerwartet und das Mädchen brauchte einen Moment eine glaubwürdige Antwort zu finden. Die Wahrheit war, dass sie sich vor dem Spiel nicht traute. Allein die Erinnerungen waren schmerzhaft und die ersten Risse zu sehen, die entstanden waren, weil Hiruma nicht mehr Teil der Mannschaft war und alles, was sie mühevoll mit aufgebaut hatte, langsam zerbrach, konnte sie nicht über sich bringen. Nach dem Spiel war der Tumult zu groß gewesen. Es war, als würden alle wild durcheinander laufen und ihr immer wieder den Weg versperren. Vielleicht war es auch nur Einbildung und der Anblick ihrer gebrochenen Freunde, die entsetzt, enttäuscht und verwirrt vom Platz schlichen, hatte das bisschen Mut in ihr gänzlich zerbrechen lassen. Sie konnte sich einreden, dass es verboten war in der Mannschaft zu sein und sie Ärger bekommen würde, wenn sie ihnen half, doch die Wahrheit war schlichte Feigheit, gepaart mit etwas, das sie nicht einmal benennen konnte. Die Scham ließ sich kaum noch unterdrücken.

„Ich denke, er wird erst einmal allein sein wollen“, antwortete die Oberschülerin schließlich ausweichend.

Yukimitsu nahm es mit einem knappen Nicken hin. Es war nicht seine Aufgabe sich in die Beziehung zwischen ihr und Sena einzumischen, auch wenn ihm die Antwort unzureichend erschien.

Mamori war stehen geblieben und erlaubte sich einen Blick auf das Flussbett. Ein kühler Frühlingswind fand in ihr, die einzige Erhabenheit auf dem flachen Damm, eine günstige Angriffsfläche. Ihre Hand wanderte zum Gesicht und versuchte die wehenden Haare zurückzuhalten.

Schießpulver. Ein stechender Geruch, der sie immer wieder in der Nase kitzelte und diesmal irritiert um die eigene Achse drehen ließ. Ihre blauen Augen suchten hastig die Umgebung ab. Das Wasser hatte fast Höchststand. Es war unmöglich sich am Ufer zu verstecken und auf der Straße, die sich neben dem Damm dahinzog, konnte sie auch niemanden sehen. Vielleicht war es einfach nur ein Wind aus der Vergangenheit. Sie konnte gar nicht mehr zählen, wie oft sie auf dem Fahrrad diesen Weg gefahren war, immer der Mannschaft hinterher. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr Begleiter erzählte irgend etwas, das sie nicht mehr wahrnahm. Ihr Verstand glaubte am Horizont rote Punkte auszumachen, die im Gleichschritt joggten.
 

Nachdenklich starrte Sena auf die Delle im Spint. Er ignorierte, dass er nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen hatte, dass es kühl in der Kabine war und das unablässig Wasser aus seinen Haaren auf den Boden tropfte. Alles was in seinem Kopf Platz fand, war der Schaden, den ein wütender Juumonji hinterlassen hatte.

Benutzte Handtücher lagen verteilt auf dem Fliesenboden und Monta begann sie langsam aufzuheben und zu einem Haufen zusammen zu sammeln. Die Stille in dem Raum war erdrückend und erst jetzt wurde dem Wide Receiver bewusst, dass alles zu zerfallen drohte. Auf die Neulinge konnten sie nicht zählen. Masao hatte seine Leute um sich gescharrt, die einfach gegangen waren, jetzt wo das Team zusammenhalten musste. Die anderen waren entweder aus Wut oder Verlegenheit gefolgt.

Das leise Quietschen der Tür ließ ihn herumfahren und verwundert inne halten. Vorsichtig blickte Suzuna herein.

„Mein Bruder und Komusubi wollen noch zu Star Burgers, wollt ihr mi-“

Sie hielt inne, als sie Sena erblickte. Röte färbte ihre Wangen und einen flüchtigen Moment war sie gewillt die Tür wieder zuzuziehen, bis sie seine Augen sah.

Monta zögerte einen Moment, blickte von dem Mädchen zu seinem Freund und wieder zurück. Wenn er sich anstrengte, wenn er ihn schüttelte und anschrie, würde Sena bestimmt wieder normal werden. Allerdings fehlte ihm die Kraft dazu. Er war müde, ausgezerrt und ihm fehlten die richtigen Worte Sena wirkungsvoll zu erreichen.

„Ich komme mit“, erklärte er gekünstelt grinsend und schultere seine Sporttasche.

Für Suzuna hatte er nur ein aufmunterndes Schulterklopfen, als er sie passierte und beide allein ließ.
 

Die Rippe schmerzte und seine Erfahrung sagte Sena, dass der Tackle später deutlich als Hämatom zu sehen sein würde. Etwas legte sich über seinen Kopf und riss ihn aus seinen Gedanken. Endlich konnte er den Blick von Juumonjis Anklage an ihn als Teamführer wenden und starrte stattdessen in zwei blaue Augen, die ihn besorgt musterten. Für einen Moment glaubte er wieder der kleine Junge zu sein, der nur vorwärts kam, weil Mamori ihm den Weg zeigte und ihm sagte, was er zu tun und besser zu lassen hatte. Doch es waren nicht Mamoris Augen. Das Blau war intensiver, dunkler, fast ins Schwarz gehend und mit violettem Schimmer um die Iris. Auch war der Ausdruck anders. Diese Augen blickten ihn nicht wie ein kleines Kind an, dem man helfen musste, sondern sahen in ihm einen Mann. Gerader dieser Aspekt erschreckte ihn zutiefst. Sie würde ihm nicht helfen, indem sie ihm seine Tränen trocknete und ihm erklärte, dass er eben etwas machen sollte, was besser zu ihm passen würde. Ihre Hilfe bestand darin, immer da zu sein, wenn er sich den Hürden stellen würde, ihn immer wieder hochzuziehen und anzustiften weiter zu machen, egal wie schwer es sein würde.
 

Suzuna musste sich strecken, um seinen Kopf erreichen zu können. Langsam aber stetig, war Sena gewachsen und sie bemerkte erst jetzt wie groß er wirklich geworden war.

„War Hiruma-senpai da?“

Das Mädchen blinzelte verwirrt. Senas Stimme hörte sich müde und verbraucht an.

„Nein.“

Sie erwartete Enttäuschung in seinem Gesicht, aber alles was sie dort sehen konnte, war Erschöpfung und Scham. Sofort wand sie ihren Blick ab und rubbelte nur noch nahezu mechanisch seine Haare trocken. Es gab auch nichts mehr zu bereden, keine Worte die ihn hätten trösten können. Sie alle waren müde, erschöpft und enttäuscht von sich selbst.

„Ich weiß nicht, wie ich ihm gegenübertreten soll.“

Es war Sena, dessen heiseres Flüstern die Stille unterbrach. Noch vor Kurzem reichte es ihm zu versichern, dass die Neulinge sich erst einleben mussten, dass sich alles legen würde, sobald sie erst einmal an einem richtigen Spiel teilgenommen hatten, um ihn wieder aufzurichten. Diesmal wussten beiden, dass das nur Augenwischerei wäre und alles so unendlich kompliziert war. Sie hätte ihm gern gesagt, dass er Hiruma nicht brauchte, dass er auch allein ein guter Captain war, aber mittlerweile sah sie ein, dass der Junge überfordert war. Sein ganzes Denken war darauf ausgerichtet gewesen die Befehle des Quarterbacks zu befolgen. Er musste sich nicht um Mannschaftsaufstellungen, Spielzüge, Trainingspläne und Besorgungen kümmern, dafür waren Hiruma, Mamori und wenn er nüchtern war, auch Doburoku da gewesen.

Suzuna wusste ihm nicht anders zu helfen, als einfach weiter seine Haare zu trocknen und ihm mit einer beiläufigen Geste eine nasse Strähne aus der Stirn zu streichen. Es war nichts romantisches daran, also war es unwichtig, dass er halb nackt war und beide eigentlich vor Scham sterben müssten, dass sie ganz allein waren, sie es gewagt hatte ihn bewusst zu berühren und er es morgen ohnehin vergessen, verdrängen oder erst gar nicht glauben würde. Wichtig war nur dieses Gefühl, dass alles gut werden würde und die Rettung schon unterwegs war, dass er diese schwere Bürde nicht allein tragen musste und er nicht fallen gelassen wurde, obwohl er es vielleicht verdiente.



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