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Nicht jede große Liebe, braucht auch ein Happy End

von

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Das Nussbraun

5. Kapitel
 

Das Nussbraun
 

In einer kalten, leeren und einsamen Straße lag er. Er, der sich nicht erinnern konnte, wie er hierher kam oder was mit ihm geschehen ist, als er aufhörte, nach seinen Gefühlen zu streben. Er hieß Tai, Taichi Yagami und ihm war es, als wolle der Tod sich einen Spaß draus machen, ihn warten zu lassen. In dieser Nacht hatte er ihn nicht geholt, nicht von seinem Leid und seinem Herzen, das so weit entfernt von ihm lag befreit. Nein, der Tod wollte ihn noch nicht aufnehmen. Noch nicht in das Reich kommen lassen, von dem man berichtet, dass einem dort nichts mehr geschehen konnte, dass Leid und Trauer fremd waren in dieser Welt.

Tai fühlte, wie sehr er fror. Die ganze Nacht hatte er in dieser Straße verbracht. Wo er war, konnte er nicht sagen, aber ihm war es, als wäre er schon immer dort gewesen. Nur seine Kleider sprachen eine andere Sprache. Sie waren durchnässt und fühlten sich kalt auf seiner Haut an. In dieser Nacht hatte es nicht geschneit und seinen leblosen Köper unter der Last des Schnees begraben, sodass niemand ihn hätte mehr finden können. Die Luft war noch nicht bereit gewesen. Nur ein eisiger Regen prasselte noch immer auf Tai und auf die Gebäude um ihn herum nieder. Die Sonne bahnte sich langsam ihren Weg um die Nacht zu vertreiben und allen Lebewesen anzukündigen, dass es Zeit wäre wieder ihre Sorgen aufzunehmen. Zumindest war Tai davon überzeugt, dass die Sonne nur deswegen schien um alle lebenden Kreaturen und ganz besonders ihn, daran zu erinnern, dass sie noch nicht tot waren. Wie sehr wünschte er sich genau diesen Zustand. Aber nein, er musste sein Leben weiter führen, mit allem Leid und aller Trauer, die ihn in letzter Zeit immer häufiger und schmerzvoller begleiteten.

Tai hatte nach dem Gespräch mit Matt kein Gespür mehr, wo er sich befand. Eine zeitlang stand er noch an dem Punkt, wo Matt ihn verlassen hatte. Er ging an diesem Abend nicht nach Hause. Er wollte bleiben, seine Gefühle in den Griff bekommen, doch das letzte an das er sich erinnern konnte, war, dass Tai sich in einer Bar wieder fand, auf dem Boden, in seinem eigenen Erbrochenen. Kurz darauf wurde er vom Besitzer der Bar herausgeschmissen, nachdem er seiner Anweisung, freiwillig zu gehen, nicht Folge geleistet hatte. Danach wusste Tai nicht mehr, was er getan und gesagt hatte, mit welchen Leuten er noch zusammen war, bevor er sich in dieser Gasse zur Ruhe legte. Zur letzten Ruhe, wie Tai gehofft hatte.

Er stand auf. Jedes seiner Glieder schmerzte und sein Kater, den er hatte, war von einem anderen Stern. Doch das spielte für Tai keine Rolle, denn selbst dieser Schmerz, der beinahe unerträglich war, erschien im Gegensatz zu den Qualen seines Herzens gering. Seine Jeans schmiegte sich eng an seine Beine und seine Jacke roch nach vielem, nur nicht mehr nach ihm selbst. >Das passt ja hervorragend. Selbst meine Jacke scheint mich nicht mehr zu kennen … < Tai registrierte zum ersten Mal, dass seine Beine an Kraft und Muskeln verloren hatten. Er war in letzter Zeit furchtbar abgemagert, fast wie ein Junkie, der nach mehreren Jahren exzessiven Heroinkonsums nur noch aus Haut und Knochen bestand. Schnell schaute Tai sich um, damit er diesen Anblick nicht länger ertragen musste. Ihm war elend. Diese Seite New Yorks kannte er nicht. New York war für ihn ein Paradies. Nichts an dieser Stadt war ihm zu wider. Er liebte sie. Die ruhigen und hektischen Orte, die Plätze, an denen man stundenlang im Gras liegen konnte, ohne, dass einen jemand vermisst und die Gebiete, in denen man sich besser nicht aufhielt, wenn man noch nicht mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Doch heute sah er New York zum ersten Mal so, wie viele Besucher diese Stadt sahen: Laut, dreckig, überfühlt und vor allem: Sehr, sehr unfamiliär. Obwohl das Fest der Liebe, Weihnachten vor der Tür stand, empfand er nichts an dieser Stadt als liebenswert. Am allerwenigstens sich selbst. Mit Schrecken dachte Tai daran, dass Matt höchstwahrscheinlich die Ferien über bei seiner Familie sein würde und auch Mimi, die sonst nicht viel von Gefühlen oder Feiertagen hielt, verbrachte das Fest jedes Jahr im Kreise ihrer Liebsten. Und Tai? Nein, er wollte nicht zurück. Er hatte mit seinem Leben bevor er von zu Hause auszog abgeschlossen. Nur dunkel konnte er sich an die Zeit erinnern, als er noch ein wirkliches zu Hause hatte, in das er gerne ein- und ausging. Ihm fiel es schwer, überhaupt sagen zu können, warum er damals, vor einem halben Jahr von dort verschwand ohne sich einmal umzudrehen.

Und plötzlich sah er es. Tai begriff, wo er war. Er stand vor seinem alten zu Hause. Vor dem Block, der von außen jämmerlich und kalt aussah, aber wenn man hinein ging, seine liebevolle Seite nicht vor einem verbarg. Sollte er klingeln, einfach mal kurz hereinwehen, wie der Wind, der durch das Fenster strömt, bevor er sich verabschiedet. Nein! Das war unmöglich. Irgendetwas tief in ihm hielt in davor zurück. >Das kann ich nicht! Nein, das will ich nicht! Ich will nie mehr zurück! Ich will nichts mehr von meinem alten Leben wissen. Ich habe damit abgeschlossen. Ich bin zufrieden mit meinem neuen Leben! < Doch war er es wirklich? Eine zeitlang erschien es ihm so, doch nun war sich Tai nicht mehr sicher. Etwas hatte sich verändert. Irgendetwas in seiner Seele brannte darauf, freigelassen zu werden. Etwas, von dem Tai glaubte, er hätte es gut eingeschlossen und verborgen. Doch es meldete sich wieder. Mit jedem Atemzug, den er nahm, verbrannte ihn dieses Gefühl von innen, schien ihn auslöschen zu wollen und ihn doch zugleich auch an jenes zu erinnern, was er sich immer geschworen hatte und von dem er ausging, dass es sich lohnen würde, dafür zu kämpfen: Seine Träume, seine Ideale, alles, was ihm lieb und teuer gewesen ist.

>Nein, Tai! Du bist stärker geworden. Sieh doch! Sie haben sich niemals gemeldet. Du warst ihnen egal, und nun sind sie dir egal! Sie brauchen deine Liebe nicht, so wie du die ihre nicht brauchst! < Noch bevor er richtig begriff, was er tat, rannte er bereits. Er rannte, als würde es um sein Leben gehen. Aber ging es nicht eigentlich auch darum? Doch wo immer Tai auch hinrannte, es war die falsche Richtung. Sein Glück würde er nur wieder finden können, wenn er sich seinen Gefühlen und seinem alten Leben stellen würde. Aber Tai und die Zeit, die so unerbitterlich und qualvoll in seinen Ohren dröhnte waren noch nicht dazu bereit.

„Hey! Bleib mal stehen! Du, warte!“ Die Stimme kannte Tai und es jagte ihm einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken. Er zwang seine Beine schneller zu laufen, doch wie durch eine andere Macht gelenkt, blieb er stehen und drehte sich um. Kein Zweifel, er kannte den Mann, der da auf Tai zu kam und er wäre froh gewesen, wenn er es nicht getan hätte. „Was machst du hier? Hab ich damals nicht gesagt, dass du dich von hier fernhalten sollst? Du bist ein elender Versager! Nichts kannst du richtig machen, noch nicht mal von zu Hause weggehen gelingt dir!“ Vor ihm stand der Mann, der Tai dazu zwang, unglücklich zu werden. Er hatte nie begriffen, was seine Mutter damals in jenem großen, dicken Mann gesehen hatte. Er war so anders, als sein leiblicher Vater. Keine lieben Worte drangen über seine Lippe, kein zärtliches Wuscheln durch Tais braune Haare. Nichts von alldem, was Tai in der schlimmsten Zeit seines Lebens gebraucht hatte. In der Zeit, in der er einen einzigen Alptraum zu leben schien. Und dann verschwamm das Bild seines früheren Lebens wieder, wurde undeutlich und entfernte sich zusehends von ihm.

Kalt waren die Augen dieses Mannes, so kalt und leer wie die seinigen. Nie wollte er so sein, wie dieser Mann und nun war er drauf und dran es zu werden. Tai konnte nichts sagen, er konnte diesem Mann keine Antwort auf seine Frage geben. Viel zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, die sich in ihm emporhoben und sich sofort seinem Griff entwanden, wenn Tai versuchte sie zu fassen.

„Ich hab dich was gefragt, du Weichei!“ Ungeduldig tippelte er von einem Bein auf das andere, hin und her. Dieser Mann war gut 2 Köpfe größer als Tai und besaß eine Aura, der jeden in seiner Nähe einlullte und gefügig machte. Tai war noch immer gefangen in seiner Trance. Alles um ihn herum spielte für ihn keine Rolle mehr, entzog sich Raum und Zeit.

„Ich. Ich … Ich war halt einfach hier! Was geht dich das überhaupt an?! Ich kann mich aufhalten, wo immer ich will! Dir gehört dieser Bezirk nicht! Dir gehört nichts, von all dem, was du siehst!“ Wut flackerte in Tais Augen auf. Er konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen, doch die Trauer und Einsamkeit, die er nun empfand, war alleine die Schuld dieses Mannes, der nun vor ihm stand, da war sich Tai sicher. „Diesen Ausdruck in deinen Augen! Ich habe ihn schon einmal gesehen. Als ich zum ersten Mal in euer Apartment herein getreten war, da hast du mich mit denselben Augen angeschaut. Du warst so wütend und so verzweifelt. Aber ihn dir loderte eine Flamme, die stärker war als der Tod. Und ich wusste, dass ich dich irgendwie aus dem Leben deiner Familie hinaus bekommen müsste, da du ein einziges Problem darstellst! Du und dein verdammter Wille, deine Familie und vor allem deine Schwester zu verteidigen, wenn es sein müsste, sogar mit deinem Leben! Aber es ist mir ja auch gelungen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Flamme in dir, doch so leicht zu ersticken war.“ Lachend stand der Mann vor ihm. Tai fühlte sich klein, bedeutungslos und schmächtig. Er konnte diesen durchbohrenden Blicken seines Stiefvaters nicht mehr standhalten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren rannte er davon. Weiter als je zuvor in seinem Leben. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht und die Tränen, die über sein Gesicht rannen klebten auf seiner Haut und machten sein Gesicht kälter und lebloser als je zuvor.

Endlich war er in seinem Apartment angekommen und schloss die Tür. Er fühlte sich so elend. Doch plötzlich überkam ihn ein Gefühl der grenzenlosen, alles zerstörenden Wut. Er war so voller Hass und Zorn als er in sein Zimmer kam. Auf seinem Bett lag Mimi, noch immer in einen tiefen Schlaf gehüllt. >Diese Mimi. Diese kleine, verwöhnte, sich um alles einen Dreck scherende Mimi! < Langsam kam er ihr näher. Sie sah so friedlich aus. Einen Frieden, den er schon lange verloren hatte. „Hey, wach auf! Los, wach auf!“ Tais Stimme hatte nichts Zärtliches, nichts Liebesvolles. Sie zeugte davon, dass er irgendjemanden wehtun wollte. Behutsam drehte sich Mimi um und blinzelte ihn verschlafen an. Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. „Tai, schön dich zu sehen. Wo warst du die Nacht über? Du siehst müde aus. Heute ist Samstag, wir können noch ein bisschen schlafen.“ Vorsichtig nahm sie seine Hand und dann erschrak sie plötzlich. Tais Gesichtsausdruck war ihr so fremd. Er schaute sie nicht verständnisvoll an, sondern in seinen Augen spiegelte sich das blanke Entsetzen wieder. „Du scherst dich doch einen Haufen Dreck um mich, Mimi! Hauptsache ist doch, dass ich dich befriedige und dich nicht dumm da stehen lasse! Das ist das Einzige, was dir wichtig ist! Ich bin dir vollkommen egal! Wie es mir geht, das kümmert dich nicht! Dass ich die Hölle auf Erden durchwandere, davon willst du nichts wissen! Aber ich werde dir jetzt mal zeigen, wie sich das anfühlt, wenn dein Gegenüber nur an sich selbst denkt!“ Tai setze sich auf sie und riss ihr unsanft ihre Pyjamahose runter, bevor er seine Jeans auszog. Mimi war voller Angst. Sie erkannte Tai nicht wieder. Sein Verhalten war ihr völlig fremd. Auch wenn er nie zärtlich war, wenn sich ihre beiden Körper vereinigten, so war er doch immer darauf bedacht, ihr nicht weh zu tun. Doch das war heute alles anders. Ohne auf ihre Gefühle oder ihren Körper zu achten, drang er ein. Ein kurzer Schmerzeslaut huschte über ihre Lippen und ihr schönes Gesicht war völlig verzerrt von Angst, Leid und Wut. Mimi wollte nicht, dass Tai dies mit ihr tut. Doch egal wie sehr sie sich wehrte, selbst Tais ausgezehrter Körper besaß noch genug Kraft, sie ruhig zu halten. Immer heftiger wurden seine Stöße. Mimi gab schließlich auf, als sie begriff, dass Tai nicht aufhören würde. Sie ließ es über sich ergehen und ekelte sich vor ihm und seinem lustvollen Gestöhne. Endlich war es vorbei und Tais Körper zuckte noch von den letzen Wellen seines Orgasmus. Ohne ein Wort oder eines Blickes stieg er von ihr ab. Eigentlich war Sex für ihn immer die Möglichkeit gewesen, seine Probleme zu vergessen, doch heute gelang es ihm nicht. Sie waren noch da: Seine Gefühle, seine Gedanken und vor allem konnte er sich noch sehr genau an die Worte seines Stiefvaters erinnern, die ihn so wütend gemacht hatten.

Mimi lag noch immer völlig verstört auf dem Bett. Sie begriff nicht, was ihr eben wieder fahren war. Und plötzlich sah sie es klar vor sich: Sie wurde vergewaltigt. Von jemanden, der sie nur hätte fragen brauchen, ob sie mit ihm schlief und sie hätte es ohne zu zögern getan.

„Tai! Sag mal spinnst du?!! Hast du noch alle Tassen beisammen?! Was fällt dir ein?!!!“ Mimis Stimme zitterte vor Wut und Angst. Tai hatte sich bereits die Hose wieder angezogen und stand nun mit dem Rücken zu ihr. „Was mir einfällt?“ Tai begann grausam zu lachen. „Was mir einfällt? Ich kann dazu nur eins sagen …“ Tai holte zum Schlag aus und verpasste ihr eine. Er hatte sich immer geschworen, nie ein Mädchen oder eine Frau zu schlagen, doch genau in diesem Moment brach er sein Versprechen, das er sich einst selbst gegeben hatte. „Das fällt mir dazu ein, Hure!“

Mimi fing an zu weinen. Der Schmerz in ihrer linken Gesichtshälfte pochte unaufhörlich, doch die Qualen in ihrer Seele waren heftiger, als die in ihrem Gesicht. Tai drehte sich um. Das Mimi weinte, interessierte ihn nicht. Viel zu oft hatte auch er schon geweint, ohne dass es jemanden gekümmert hätte. „Verschwinde, Mimi! Hau einfach ab! Ich will dich hier nie wieder sehen!“ Ein stechender Schlag durchfuhr seinen Körper. Er begriff, was er eben zu ihr gesagt hatte. Tai erkannte die Worte. Sie waren ihm so vertraut, als ob er sie schon einmal selbst zu Ohren bekommen hatte. Und da fiel es ihm wieder ein: Diese Worte vernahm er, an seinem 18.Geburtstag aus dem Mund seines Stiefvaters.
 

*Flashback*
 

„Na mein Sohn. Aufwachen. Heute ist doch dein Geburtstag. Es ist schon alles vorbereitet.“ Tai blinzelte sie träge an. Obwohl er sich so auf seinen großen Tag gefreut hatte, wäre es für ihn ein leichtes gewesen auch diesen einen besonderen Tag zu verschlafen. Tai war immer schon ein Langschläfer, da änderte auch der Umstand nichts dran, dass er heute 18 Jahre alt werden würde. „Guten Morgen, Mum. Was ist denn schon alles vorbereitet?“ Nicht ohne Grund tränkte sich diese Frage in Tais Kopf auf. Seine Mutter war nicht die beste Köchin. Er hatte sie wirklich sehr, sehr lieb, aber auf ihre Kochkünste konnte er durchaus verzichten. „Nein, keine Sorge, mein Junge. Der Kuchen, der draußen auf dem Küchentisch steht, hab nicht ich gebacken, sondern deine Großmutter. Sie ist übrigens schon da. Also zieh dich an und komm raus.“ Tai verstand nicht, dass seine Großmutter eine so hervorragende Köchin war, aber sie ihrer Tochter dies nicht vermittelt hatte.

Müde schlug er die Decke zur Seite. Es war eindeutig nicht seine Zeit zum Aufstehen. Der Wecker auf seinem kleinen, aus Kirschbaumholz gezimmerten Schreibtisch verriet ihm, dass es 11:00 Uhr am Vormittag war. Unter normalen Umständen hätte er garantiert bis 15 oder 16 Uhr weitergeschlafen, bis er sich angeschickt hätte in den Park zu gehen um Fußball zu spielen. Aber der Tag sollte alles andere als normal verlaufen, nur wusste er es bis jetzt noch nicht. Seine Haare waren total zerzaust, als er das Wohnzimmer betrat. Tai schaute sich schnell um. „ER“ schien nicht da zu sein. > Zum Glück, auf „den“ kann ich gut verzichten. < „Hey Tai!“. Seine Schwester rannte freudig auf ihn zu und gab ihm einen dicken Schmatzer auf seine Wange. „Nicht so stürmisch. Ich bin doch grade erst aufgestanden.“ Freundlich sah er Kari an. „Schau mal Tai! Hier! Dein Geschenk!“ Am liebsten hätte Kari ihm es schon gegeben, als sie es erstanden hatte. Sie gab für sein Geschenk ihr gesamtes Taschengeld aus, aber das war es ihr wert. „Los, komm schon!“ Fest umklammerte sie Tais Arm und zog ihm zu dem Tisch, an dem seine Geschenke lagen. „Das da ist meins! Los, mach es auf! Es wird dir gefallen!“ Voller Erwartung sah sie Tai dabei zu, wie er langsam sein Geschenk öffnete. Er wusste, dass Kari immer aufgeregter werden würde, je langsamer er es auf machte.

Kari strahlte über das gesamte Gesicht, als wäre es ihr Geschenk gewesen, als sie Tai musterte und erkannte, dass es ihm die Sprache verschlagen hatte. Sie wusste, dass es etwas sehr gutes bedeutete, wenn es ihrem Bruder mal die Sprache verschlug.

„Aber Kari! Das hättest du doch nicht machen brauchen! Ich weiß doch, wie teuer das gewesen sein muss! … Aber trotzdem danke, Kari.“ In seinen Händen hielt Tai das neuste Trikot seines Lieblingsspielers. Er war sich sicher, dass Kari irgendwann mal gehört hatte, wie er darüber mit seiner Mutter sprach, dass sie ihm bitte Geld geben solle, damit er es sich kaufen könne. Tai war kein Typ für langes Sparen. Was ihm gefiel, musste er sofort haben und was er an Geld besaß, musste er unter das Volk werfen „zum Wirtschaft ankurbeln“ wie er es nannte.

Als Tai nun auch die anderen Geschenke öffnete, war er sich sicher, dass diesen Tag niemand mehr zu Nichte machen konnte. Es vergingen ein paar Stunden mit dem üblichen Gerede, was einem Mutter und Großmutter, wenn sie an einem Geburtstag zusammen saßen, unter die Nase hielten. „Du bist aber auch groß geworden, mein kleiner Junge!“ hörte Tai immer wieder von seiner Großmutter, währenddessen sie ihn eingängig musterte. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich dich zum ersten Mal in den Armen halten durfte. Da warst du richtig bummelig und schwer.“ Und sie machte eine große Kreisbewegung in der Luft um auch den anderen zu zeigen, wie seine damalige Körperstatur aussah. „Ich hätte nie gedacht, dass du einmal so durchtrainiert und hübsch aussehen würdest. Es wundert mich wirklich, dass du noch keine junge Dame ausgeführt hast. Willst du mich etwa nicht zu einer Ur-Großmutter machen?“ „Oma! Ich bin 18 Jahre alt geworden. Ich würde mir mit dem Vaterwerden gerne noch etwas Zeit lassen.“ Alle brachen in heftiges Gelächter aus, alle, bis auf Tai. Denn dieser hatte bereits die Stunden auf der Wanduhr gezählt. Es war 15:30 Uhr und er wusste, dass sein Stiefvater gleich vor der Tür stehen würde. Gott, wie er diesen Mann verabscheute. Wie er alles an ihm hasste: Sein Lächeln, seine Augen, die so ungemein böse waren, immer wenn er Tai anschaute und am aller meisten hasste er seine, dicken wuchtigen Finger. Sie erinnerten ihn immer wieder, an kleine, verkümmerte Würstchen, die zu lange im Kühlschrank lagen, wenn sie bereits ausgepackt waren, aber sich niemand mehr fand, um sie zu essen. Ihn ekelte der Gedanke, dass diese Hände seine Mutter berührten. Tais Hände waren von weniger wuchtiger Statur, sie waren sanft und feingliedrig. „Die Hände eines sensiblen Künstlers“, wie seine Mutter sie nannte. Tai wollte zwar kein Künstler werden und war auch nicht sonderlich kreativ, aber was er mit dem Ball machen konnte, dass erinnerte doch schon sehr an einen Künstler, an einen Ballkünstler.

Die Haustür öffnete sich mit einem widerlichen Quietschen und Tais Blick wurde finster. Seine Großmutter, die eben noch vergnügt von dem kleinen Tai erzählte, sprang auf und verabschiedete sich. „Ich werde dann mal wieder gehen.“ Waren ihre letzen Worte, bevor sie sich still und leise an dem großen Mann, der nun im Rahmen der Küchentür stand, vorbeidrängelte und verschwand. „Stimmt. Der kleine Tai hat ja heute Geburtstag. Wird er heute also endlich zum Mann.“ Die Stimme seines Stiefvaters war kalt und herzlos. Genau wie die Stimmung in dem Raum, der eben noch gefüllt von Wärme und Geborgenheit war, nun eisig zu werden schien. „Wir werden euch beide nun mal alleine lassen. Komm, Kari. Lassen wir die beiden Männer alleine.“ Tais Mutter und seine kleine Schwester standen auf und hätte man nicht gewusst, dass seine Mutter mit diesem Mann zusammen war, der unbeweglich wie eine Statur noch immer im Türrahmen stand, man hätte vermutet, dass es ein Fremder gewesen wäre, der soeben in die Wohnung eintrat und sie mit einer Waffe bedrohte. Nur Tai war noch immer genauso unbeweglich, wie dieser Mann, der sich als sein Stiefvater ausgab. „Und? Wie fühlt es sich an? So als Mann?“ Mit großen, bedrohlichen Schritten bewegte er sich auf Tai zu, bis er sich auf einen Stuhl neben ihn setzte. „So, wie immer.“ Tai versuchte so mutig und stark zu klingen, wie es ihm sein Gefühl in diesem Moment erlaubte. „So? Seltsam. Normalerweise müsstest du dich doch jetzt viel erwachsener fühlen, als gestern? Ich meine, du müsstest dich doch jetzt so erwachsen und sicher fühlen, um endlich auszuziehen!“ „Was? Was willst du mir damit sagen?“ Fragend schaute er diesen Mann an, der vor ihm wie eine überdimensionale Schlange saß. Genau so empfand er momentan: Er war das Kaninchen, dass die Gefahr riechen, aber sie nicht mehr bewegen konnte und dem nahen Tod ins Auge sah. „Ich habe es genauso gemeint, wie ich es eben gesagt habe. Du bist alt genug, um deiner Mutter nicht mehr auf der Tasche zu liegen. Du ziehst noch heute aus!“ Mit diesem letzen Satz, stand er auf und verschwand im Schlafzimmer. Völlig verwirrt, traurig und wütend hatte er Tai auf seinem Stuhl sitzen lassen. Und dann kamen die Worte, die er nie mehr vergessen konnte: „Verschwinde, Tai! Hau einfach ab! Ich will dich hier nie wieder sehen!“. In dieser Nacht verschwand Tai aus dem Leben seiner Familie. Er ließ alles zurück. Seine Familie, seine Schwester, die er zu beschützen geschworen hatte und sich selbst.
 

*Flashback Ende*
 

Und nun war er alleine. Mimi tat, was er gesagt hatte und verschwand, zuerst aus dem Zimmer, dann aus der Wohnung und schließlich aus seinem Leben. Matt war Anfang der Woche zu seiner Familie gefahren und wollte dort bis kurz nach Silvester bleiben. Bis Weihnachten waren es noch 9 Tage. 9 Tage, die Tai hauptsächlich damit verbringen wollte, Marihuana zu kaufen, sich in irgendwelchen Bars in Alkohol zu baden, Mädchen anzubaggern und nach Möglichkeit auch ins Bett zu bekommen. Doch egal, mit welchen Mitteln er auch versuchte, sich abzulenken, es gelang ihm nicht. Er konnte mit zahlreichen Personen zusammen sein, sich mit ihnen über belanglose Themen austauschen und doch empfand er alles als sinnlos. Tai war sozusagen, alleine unter vielen.

Wenn er nachts in sein Bett fiel, quälte ihn jedes Mal eine unendliche Müdigkeit, die ihn schlafen lassen wollte und ihn dennoch wach hielt. Bis zu den ersten Sonnenstrahlen quälte er sich, drehte sich von der einen, zur anderen Seite um das Schauspiel dann von vorne wieder zu beginnen.

Es half nichts. Egal wie müde er war, Tai musste aufstehen. Er wollte mal wieder den Tag sehen. Die Sonnenstrahlen auf seiner Haut spüren und Menschen sehen, die nicht zu den gescheiterten Persönlichkeiten, des Nachtlebens zählten. Tai wusste, wohin er wollte. Er wollte auf den Bolzplatz, nur ein paar Bälle hin und her kicken.

Er musterte sich im Spiegel, nachdem er sein Trikot und seine Short angezogen hatte. Tai wich einen Schritt zurück, als er sich selbst sah. Die Person, die ihn dort anblickte, konnte unmöglich er sein. Das musste eine Verwechslung sein, ein Fehler im System namens Leben. Das war nicht der Tai, der einst so toll in seinen Sportklamotten aussah. Der durchtrainiert und stark wirkte. Vor ihm stand nun ein Junge, dessen Namen er nicht kannte, aber dem anzusehen war, dass es ihm schon lange sehr schlecht gehen musste.
 

Dein Leben war nicht grade leicht
 

In deinen Augen steht geschrieben
 

Das es dir schon lange reicht
 

Ich weiß, dass du im Nebel stehst
 

Dass dich Stimmen rufen
 

Und du dich um dich selber drehst
 

Unsere Kindheit ist vorbei
 

Es weht ein rauer Wind
 


 

Schnell wandte er seinen Blick von dieser schrecklichen Karikatur seines Selbst ab. Er rannte durch die Straßen, ohne einmal Pause zu machen. Nichts konnte ihn mehr halten, am aller wenigstens seine Träume, die ihm eins so wichtig waren.

Tai wäre beinahe am Bolzplatz vorbei geschliddert, hätte er nicht ein Geräusch vernommen, dass sich anhörte, als wäre bereits jemand damit beschäftigt, mit voller Kraft und mit der tiefsten Inbrunst der eigenen Seele Bälle gegen die Absperrung aus Gittern zu schmettern. Tai erschrak als er sah, wer es war: Sora. Sie spielte Fußball, oder zumindest kickte sie einen Ball hin und her. In ihren Augen konnte Tai erkennen, dass sie Freude an dem hatte, was sie da gerade tat. Und als er sah, wie verbissen Sora immer wieder einen Trick übte, der ihr aber augenscheinlich nicht gelang, musste er lachen. Er hatte damals genauso lang und verbissen die Zeit damit verbracht, diesen einen Trick zu üben, bis es ihm schließlich gelang, den Ball unter Kontrolle zu bringen und ihn das machen zu lassen, was Tai wollte. Er hätte Sora wohl ewig beobachtet, wenn sie nicht bemerkt hätte, dass sie angestarrt wurde.

„Oh.“ War das einzige, was sie herausbekam, als sie Tai am Zaun des Bolzplatzes stehen sah. Sora hatte Tai schon seit einer geraumen Ewigkeit nicht mehr zu Gesicht bekommen, da er anscheinend die Schule geschwänzt hatte. Und als sie bemerkte, dass sie ihn schon viel zu lange angestarrte, war alles, was sie sagen konnte: „Oh“ und damit beendete Sora den Augenkontakt und versuchte sich auf einen schwarzen Fleck ihres Balls zu konzentrieren. Sie war sich sicher, dass Tai sie nun wieder darüber aufklären würde, dass man jemanden, der so cool, wie er es war nicht ansehen durfte. Deswegen war Sora umso überraschter als er nur lachend erwiderte: „Oh“ ist wohl das einzige, was du sagen kannst, was? Aber mal ehrlich, ich weiß ja, dass ich schlimm aussehe, aber so schlimm, doch auch wieder nicht, oder?“ Er durchquerte das Gittertor und bewegte sich langsam, aber festen Fußens auf sie zu. Sora musste heftig schlucken, als Tai ganz nah vor ihr stand. Jedes einzelne Glied ihres Körpers befand sich unter extremer Anspannung, bereit, jeder Zeit die Beine in die Hand zu nehmen und zu flüchten. „Ich könnte dir den Trick beibringen, wenn du magst.“ Freundlich lächelte Tai sie an. Seine Augen funkelten vor Vorfreude. Zum ersten Mal zeigten sie ein anderes Gefühl als Trauer und Wut. „Ähm…ich weiß nicht. Ich mein, du bist … na ja … du bist …“ „Du willst mir sagen, dass ich zu cool dafür bin, was? Sag doch nur, was du sagen willst, Sora. Du musst doch keine Rücksicht darauf nehmen, ob es dem Gegenüber gefällt zu hören, was du denkst.“ Noch immer war sie fassungslos. Sora stand Tai zum ersten Mal ganz nah gegenüber, konnte beinahe seinen Atem auf ihrer Haut fühlen, der gleichmäßig und ruhig zu sein schien. Und, was sie am meisten verwunderte, war, dass Tai sich ihren Namen gemerkt hatte. Nie hätte sie zu träumen gewagt, dass er, der Typ, für den jedes Mädchen seine Seele an den Teufel verkauft hätte vor ihr stand, in Erwartung, dass sie ihm antwortete. „Also, ich könnte wirklich etwas Hilfe dabei gebrauchen.“ Auch wenn sich Sora am Anfang ihrer Begegnung auf dem Bolzplatz etwas unwohl fühlte, so genoss sie doch die Souveränität und Geborgenheit, die sie nun in seiner Nähe empfand. „Na gut, ich will ihn dir beibringen, aber nur unter einer Bedingung: Du musst zuerst gegen mich spielen. Ich will sehen, ob du überhaupt das nötige Können und Talent mitbringst, um diesen Trick zu lernen.“ Über sein Gesicht huschte eine gewisse Freude und seine Mundwinkel konnten ein verschmitztes Lächeln nicht verbergen. Für einen Moment war Sora am Überlegen, ob sie dieses Wagnis eingehen sollte, doch dann entschied sie sich dafür. Schon lange suchte sie nach jemand, mit dem sie endlich mal wieder richtig Fußball spielen konnte. „OK. Aber ich habe auch eine Bedingung an dich und nur unter der, werde ich spielen. Ich möchte, dass du keine Rücksicht auf mich nimmst, nur weil ich ein Mädchen bin. Du kannst mich genauso raus fordern, wie als würdest du mit deinen Jungs spielen. OK?“ Tai traute seinen Ohren nicht. Das Mädchen, was er als total nichts - sagend eingestuft hatte, wollte, dass er mit derselben Härte spielte, wie gegen seine Gegenspieler. „Also gut. Aber mach dich auf was gefasst und sag mir nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Schnell wurde eine Münze, die Sora aus ihrem Portomanie kramte geworfen und so entschied sich, dass Tai zuerst auf der unteren Hälfte des Feldes begann. Beide einigten sich, die reguläre Spielzeit von zweimal 45 Minuten auf zweimal 15 Minuten zu verkürzen. Mit einem lauten Pfiff, den Tai durch zwei Finger, die er sich in seinen Mund schob, erzeugte, begann das Spiel. Tai konnte Sora sofort austricksen und der Ball flatterte nach weniger als 10 Sekunden im Tor von Sora. „Tut mir Leid. Aber du wolltest ja …“ In der Zeit die Tai mit einem halbherzigen Entschuldigungsversuch verbrachte, hatte sie ihm schon den Ball unter seinen Füßen geklaut und rannte auf sein Tor zu. „Du solltest nicht so viel Zeit mit Reden verbringen, Tai! Im Fußball zählen Taten, keine Erklärungen!“ Und so erzielte sie bereits einen Ausgleich. Nun stand es 1:1 in einem Spiel, dass weniger als 20 Sekunden gedauert hatte.

Ab jetzt schenkten sich die beiden nichts mehr. Kaum einer kam mal an die Grenze des 16 Meterraumes und wenn, dann nur um den Ball im selben Augenblick, als das Tor in greifbare Nähe rückte, ihn wieder zu verlieren. Nach 30 Minuten waren Tai und Sora völlig erschöpft. Das Spiel hatte ihre Kräfte gefordert. Allerdings stand es immer noch 1:1. Keiner der beiden konnte ein weiteres Tor erzielen, um das Spiel für sich zu entscheiden. Aber sie waren glücklich. „Du bist echt gut, Sora! Wirklich, das hätte ich dir nie zu getraut. Wo hast du so spielen gelernt?“ „Nun, in Seattle. Da war ich der Kapitän der Mädchenmannschaft unserer Schule. Aber du bist auch gut. Bringst du mir jetzt den Trick bei?“ „Gewonnen hast du nicht. Aber na gut, ich kenne nun deine spielerische Klasse, die du ganz offensichtlich besitzt. Da will ich mal nicht so sein. Aber eine Revanche gibt es doch, oder?“ „Klar doch!“

Sora war überglücklich. Sie lernte nun den Trick, den sie solange verzweifelt geübt hatte von jemandem, den sie so bewunderte. Und so verstrichen die Stunden, in denen viel gelacht und rumgealbert wurde bis die Sonne am Horizont versank. „Ich geh jetzt nach Hause, Tai. Vielen Dank, dass du mir den Trick beigebracht hast.“ „Ich muss dir danken, Sora. Ich hatte seit langem nicht mehr so viel Spaß.“ Tai hatte Recht, in seinen Augen spiegelte sich zwar Müdigkeit, aber eine gesunde, glückliche Müdigkeit. Zum ersten Mal sah Sora seine nussbraune Iris und empfand sie als das schönste Braun, was sie je gesehen hatte.



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