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XLI. Wenn der Himmel zum Greifen nahe ist

Der Jubel der Dortmunder ist grenzenlos, während die meisten Bayern-Spieler geschlagen zu Boden sinken.

Alejandro ist Raphael bei Abpfiff am nächsten und drückt ihren Mittelfeldregisseur an sich. Raphael erwidert die Umarmung lächelnd und blickt dann über Ales Schulter. Was er sieht, lässt seine Gesichtszüge entgleisen. Sämtliche Dortmunder Spieler sowie die komplette Bank stürmen auf sie zu. Auf ihn. Unfassbar. Das ist das letzte, was er am Tag seiner Rückkehr im Dezember des letzten Jahres erwartet hatte. Das allerletzte.

Fassungslos und zu Tränen gerührt herzt und umarmt er in dieser Menschentraube diejenigen, die aller Zweifel zum Trotz irgendwann begonnen haben, an ihn zu glauben und auf ihn zu vertrauen.

Irgendwann fließen die Tränen doch, die er zu unterdrücken versucht, und der Killer und Julian – der auf Krücken angehumpelt gekommen ist – wischen sie ihm gleichzeitig weg. Er lächelt die beiden an und findet sich nur einen Wimpernschlag später in einer innigen Umarmung wieder. Sein Gesicht ist in Julians Haaren vergraben, seine Arme liegen um Julian und Dariusz, ihrer beider Hände umfassen seinen Rücken und einer streicht durch sein Haar. Wärme und das Gefühl von Geborgenheit überfluten ihn. Er fühlt sich zu Hause. Als wenn er endlich zu Hause angekommen ist. Ein verlorener Sohn und Freund, der den Weg wieder zurückgefunden hat.
 

Eine klebrig-kalte Dusche guten Dortmunder Biers beendet die innige Umarmung. Prustend fahren sie auseinander. Puck, der Greif und Augustin können sich vor Lachen kaum noch halten, während Acun mit einer leeren Riesenbierflasche – extra gesponsort von der lokalen Dortmunder Brauerei – davonsprintet.

„Boah, den krall ich mir!“ Damit jagt der Killer ihrem türkischen Stürmer hinterher. Raphael streicht sich die biernassen Haare aus dem Gesicht und schüttelt den Kopf. Wie bekloppt!

Julian grinst. „Ich will nicht in Acuns Haut stecken, wenn der Killer ihn erwischt...“

„Ich auch nicht!“ Raphael bricht in schallendes Gelächter aus. Julian stimmt ein und legt ihm den Arm um die Schultern, als wenn es nie irgendeinen Abstand zwischen ihnen gegeben hätte. Ihre Blicke treffen sich und das, was Raphael in diesen herrlichen grünen Augen sieht, lässt eine wahre Horde von Schmetterlingen in seinem Bauch vollkommen durchdrehen.

Dann bemerkt er, wie die ersten Bayern-Spieler langsam vom Platz schleichen. Er macht sich aus Julians Arm frei und deutet kurz an, was er vorhat. Zielstrebig geht er auf den Bayerischen Kapitän van Bommel zu und streckt die Hand aus.

„War ein gutes Spiel“, sagt er und lächelt den Holländer an.

„Von euch. Von uns nicht unbedingt. Wir hätten treffen müssen.“ Van Bommel verzieht das Gesicht.

„Wir hatten Glück.“ Raphael zieht sein Trikot über den Kopf. „Ich hoffe, Biergeruch macht dir nichts.“

Der Bayern-Kapitän muss lachen. „Nee, keine Sorge.“ Er streift sein Trikot ebenfalls ab und sie tauschen.

„Ich bin überzeugt, ihr holt am Mittwoch die Champions League.“ Raphael umarmt van Bommel.

„Danke.“

Damit trennen sich ihre Wege und in das Bayerntrikot gehüllt, stößt Raphael wieder zu dem Team, das nun die Feier-T-Shirts mit der Aufschrift „Erste Bundesliga 2010/2011“ trägt und den Dortmunder Fans auf der Tribüne zujubelt und mit ihnen gemeinsam feiert.
 

Irgendwann kommen sie auch in der Kabine an und dort geht die Feier munter weiter. „We are the champions“ schallt bierselig und äußerst schief durch die Räumlichkeiten. Halbnackt hopsen sie durcheinander und trinken Bier und Champagner vermischt und feiern. Denn Glück kennt man heutigen Tag keine Grenzen. Sie werden nachher mit dem Bus zum Flughafen fahren und dann nach Dortmund zurückfliegen. Und sie werden dort noch ausgiebig feiern. Das ist jetzt schon klar.

Die große Party findet da garantiert schon in ihrem Stadion beim Public Viewing statt, bei dem auch ihre restlichen Spieler dabei waren – und auch Paolo, der Neu-Kölner.

In dem Durcheinander in der Kabine sieht Raphael sich wieder Julian gegenüber. Blaue Augen treffen auf grüne und sie strahlen sich gegenseitig an. Dann überbrückt Julian die Entfernung zwischen ihnen und Raphael rechnet mit einer Umarmung, doch stattdessen spürt er Julians Lippen auf seinen. Im ersten Augenblick ist er vollkommen überrascht und kann Julian belustigt gegen seine Lippen lächeln fühlen. Doch dann schlingt er einen Arm um Julians Rücken und vergräbt seine Hand in dem blonden Schopf, um ihn näher an sich zu ziehen und den Kuss verlangend zu erwidern. Das hat er sich doch so sehr gewünscht. Danach hat er sich doch so unglaublich gesehnt. Nach Julian.

Die nicht weniger ungestüme und leidenschaftliche Erwiderung lässt sein Herz noch höher schlagen.

Nur am Rande bekommt er mit, wie Alejandro durch die Zähne pfeift und die anderen – allen voran der Killer – lautstark johlen. Damit werden sie wohl noch eine ganze Weile aufgezogen werden und Reine wird sicher deutlich machen, dass sie sich bei Training & Co zusammenreißen sollen. Aber das ist ihm jetzt auch scheißegal. Denn Julian küsst ihn. Er küsst ihn wirklich! Und das ist das einzige, was zählt.
 

Im Bus sitzen sie nebeneinander. Raphael an das Fenster gepresst und Julian mit dem Rücken an seine Brust gelehnt. Raphael braucht nur den Kopf etwas zu senken, um mit der Nase durch den blonden Schopf streichen zu können. Julians Wärme überflutet ihn beinahe vollkommen. So fühlt es sich an, vor Glück überzuschäumen.

„Bleibst du diesmal bei mir?“, fragt Julian schließlich leise und dreht den Kopf ein wenig, um Raphael von unten heraus anblinzeln zu können. Aus den Boxen dringt „Oh, wie ist das schön“ und die halbe Mannschaft grölt mit.

„Um nichts in der Welt will ich jemals wieder weg von dir“, antwortet er und drückt Julian besitzergreifend an sich. „Ohne Fußball kann ich irgendwie leben, auch wenn’s weh tut. Aber niemals ohne dich.“ Und damit ist auch indirekt gesagt, dass es nie wieder irgendwelche Alibifrauen geben wird. Dass er nie wieder Angst haben wird, aufzufliegen. Weil es etwas gibt, was viel wichtiger ist. Seine Worte kommen ihm unglaublich kitschig und dämlich vor, doch Julian lächelt ihn an. Lächelt ein Lächeln, für das die Welt stehen bleiben könnte.

„Wichtig is nich aufm Platz?“

„Doch. Aber nur für 90 Minuten und nich für das ganze Leben.“



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