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XXXVIII. Wenn der Wind alles ändert

Die letzten beiden Bundesligaspiele sind beides Endspiele und nichts anderes. In Sachen Abstieg ist noch nichts klar und in Sachen Meisterschaft auch nicht.

An diesem Samstag ist die Hertha zu Gast in Dortmund. Die Berliner spielen keine besonders berauschende Saison. Sie sind Mittelfeld, nichts anderes. Das macht sie nicht zufrieden, aber sie zugleich auch für einen akzeptablen Gegner der Dortmunder. Die Spiele gegen die Duellanten der Meisterschaft – Bayer Leverkusen und Bayern München – oder gegen die Abstiegskandidaten, die um ihre nackte Existenz kämpfen, wie Hansa Rostock, Energie Cottbus, der 1. FC Nürnberg und der 1. FC Köln, die haben eine ganz andere Brisanz, weil es da noch um etwas geht. Die müssen alle kämpfen und noch etwas leisten, während sich die anderen beinahe schon zurücklehnen können.

Die Dortmunder sind vor Einlauf ins Stadion nervös. Es ist ihr Abschlussspiel hier zu Hause. Das letzte Saisonspiel werden sie in München haben – gegen die Bayern.

Aber das ist noch weit weg. Jetzt geht es gegen die Hertha – und jetzt müssen sie gewinnen. So einfach ist das.
 

Raphael marschiert wieder einmal direkt hinter Julian ein, den Blick auf seine blonden Haare gerichtet, die dieser mittlerweile ein wenig hat kürzen lassen. Nichtsdestotrotz sind sie noch immer relativ lang und schreien geradezu, dass Finger hindurchstreichen sollen.

Sie haben kein Wort über das gesprochen, was er beim DFB-Pokalfinale gesagt hat. Kein einziges Wort.

Aber die Stimmung zwischen ihnen hat sich geändert. Sie ist sanfter geworden, friedlicher, harmonischer. Wie ein langsamer Sonnenaufgang an einem Frühlingstag, an dem man weiß, dass es der erste richtig warme Tag des Jahres sein wird.

Er weiß nicht genau, was er tun soll. Ob er Julian weiter entgegenkommen soll oder ob es richtiger wäre, auf einen Schritt von ihm zu warten. Er weiß es einfach nicht. Und er hat unglaubliche Angst, dieses kleine Etwas zwischen ihnen zu zerstören.

Aber daran darf er jetzt nicht denken. Wenn er sich in den Gedanken daran verliert, dann wird dieses Spiel nichts. Und auf dieses Spiel kommt es an.

Sie sollten gewinnen, denn das würde ihnen das letzte Spiel gegen die Bayern unglaublich erleichtern. Sollten sie verlieren oder unentschieden spielen, wird kein Weg an einem Sieg gegen die Bayern vorbeiführen. Und die Bayern in München, die hat diese Saison nur Schalke geschlagen, sonst keiner.

Doch daran darf er auch nicht denken.

Der Druck ist so schon groß genug. Knie hat es so treffend formuliert: „Spielt einfach, als wenn es kein Morgen mehr gibt. Spielt. Und denkt nicht.“

Das ist wohl das beste, was sie tun können.

Raphael nimmt die Schultern zurück und folgt Julian auf dem Spielfeld zu seinem Platz in der Nähe des Mittelkreises.

Berlin hat Anstoß.
 

Es herrscht Gewitterstimmung über Dortmund. Die Wolken sind pechschwarz und ziehen sich drohend immer dichter zusammen. Am Horizont zeigt sich erstes Wetterleuchten und leises Grummeln ist bereits zu hören. Mit etwas Glück wird es aber nur einen dicken Regenguss geben.

Doch genauso, wie das Wetter dunkler wird, wird das Spiel der Dortmunder düsterer, schlechter. Klar, sie wissen alle, worum es geht, aber irgendwie ist bei der Abwehr der Hertha kein Durchkommen. Ihre eigene Abwehr um Mürre, den Killer, den Greif und René steht zwar sicher, aber wenn sie keine Tore machen, hilft das auch nichts.

Sie brauchen diese verdammten drei Punkte. Etwas anderes geht gar nicht.

Irgendwie schafft es Gabriel, Friedrich den Ball abzuluchsen und wirbelt nach vorne. Zwei, drei Dortmunder gehen mit, die anderen sichern nach hinten ab, ist die Angst vor einem Gegentor doch viel zu groß.

Verdammt, das ist es! Der Gedanke durchzischt Raphael wie ein Geistesblitz, während er neben Acun nach vorne sprintet. Angst vor dem Gegentor.

Wenn die anderen die nicht ablegen, wird das mit einem Sieg hier nichts. Offensives Spiel ist nun einmal so nicht möglich. Das geht schlichtweg nicht.

Zu viert versuchen sie, den Angriff auf die Beine zu bekommen. Aber das Problem ist, dass sie zu wenige gegen den Haufen Berliner sind.

Der Ball verschwindet irgendwann in der Hertha-Abwehrmauer und saust ihnen dann entgegen. Und die Berliner können im Gegensatz zu ihnen vernünftig umschalten.

„Scheiße“, flucht Raphael und hetzt Friedrich hinterher. Seit wann ist der denn bitte so verdammt schnell?

Er stürzt zurück in ihre Hälfte, Julian auch, doch er weiß, dass sie zu spät sind. Die Berliner spielen schnell und eiskalt.

Er kann das Desaster kommen sehen. Er weiß, dass dieser Angriff ein böses Ende nehmen wird. Und so ist es auch. Der Ball schlägt ins Netz, Reine ist chancenlos.

Pantelics Schuss ist einfach genial gewesen. Eiskalt ist er vor dem Tor geblieben, hat Mürre und den Greif genarrt und die Kugel dann geschickt versenkt.

Zum Kotzen.

Denn jetzt ist genau das passiert, was nicht hätte passieren dürfen.

Sie haben dieses verdammte Tor kassiert und müssen damit jetzt irgendwie klar kommen.

Im ersten Moment glaubt Raphael noch, dass dadurch ihr Spiel besser werden wird, doch dann wird er eines besseren belehrt.

Da geht nichts mehr. Gar nichts.

Er ist nur froh, als endlich Halbzeit ist und sie auch nur dieses eine Tor bis dahin kassiert haben. Das hätte anders aussehen können.
 

„Verdammt, reißt euch am Riemen!“ Alejandro ist es, der das Team in der Kabine zusammenfaltet. Knie braucht gar nichts zu sagen. „Es geht gegen den verdammten Abstieg. Wir liegen zurück – und? Wir können das schaffen! Wir müssen nur so spielen, wie wir es können! Verdammt, wir gehören in diese Liga! Wir haben den verdammten DFB-Pokal geholt! Also bewegt euch auf dem Rasen! Bietet euch an! Ihr seid der FC – lasst ihn nicht hängen!“

Die Mannschaft, die danach auf den Platz zurückkommt, ist wie ausgewechselt. Als wenn man sie alle komplett ausgetauscht hätte.

Auf einmal sind Biss und Feuer wieder da.

Verdammt, sie werden in diesen letzten Tagen nicht auf einmal alles verspielen, wofür sie so hart gearbeitet haben! Sie gehören hierhin. Hierhin, in die verdammte Erste Bundesliga!

Sturmwind peitscht über den Rasen und sorgt dafür, dass der Ball nicht so fliegt, wie sie es gewohnt sind. Regen klatscht vom Himmel und bewirkt, dass ihre Trikots innerhalb von Sekunden eng an ihren Körpern kleben.

Aber das Gewitter bricht noch nicht los.

Die Dortmunder spielen nach vorne. Hart, energisch.

Und sie werden belohnt. In der 52. Minute hämmert Alejandro einen tollen Weitschuss in das Berliner Netz. Damit ist wieder alles offen!

Aber die Hertha schläft nicht. Absolut nicht.

Hin und her geht das Spiel, bis schließlich Friedrich, Grahn und Lima eine Weltklassekombination abliefern, die mit dem unvermeidlichen Tor enden.

Und wieder rennen sie dem Rückstand hinterher. Wieder.

Aber der FC gibt nicht auf.

Durch Regen und Wind stürmen sie auf das Berliner Tor. Wieder und wieder.

Und tatsächlich gelingt es Gabriel, sie wieder ins Spiel zu bringen. Der Brasilianer freut sich unglaublich über das Tor. Weil es solch ein unglaublich wichtiges Tor für die Karos ist.

Doch noch ist das Spiel nicht vorbei. Und die Hertha kommt erneut. So, als wenn es ein Endspiel wäre. Selbst, wenn es bei den Berlinern nur um die Beschönigung der Saison geht. Um nichts anderes.

Und das, was nicht passieren darf, passiert. Lustenberger, der junge Schweizer Mittelfeldspieler, macht das Tor. 3:2.

In der 93. Minute, in der Nachspielzeit. Der Schiedsrichtiger pfeift noch nicht einmal wieder an.

Und damit haben sie am nächsten Samstag gegen die Bayern ein echtes Endspiel vor sich.



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