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XIV. Wenn die Dinge anders laufen als gedacht

Der Einzug ins Viertelfinale des DFB-Pokals hat der Mannschaft so viel Selbstvertrauen gegeben, dass sie den VFL Bochum im nächsten Liga-Spiel einfach weghauen. Mit 5:1. Das ist der höchste Bundesliga-Sieg in der Geschichte des FC.

Natürlich gibt so etwas auch Energie und Selbstvertrauen für die nächsten Spiele. Wie gegen den HSV. In Hamburg spielen sie gegen eine wirklich starke Elf – den zweiten Bayern-Jäger nach Leverkusen – tapfer mit. Das Spiel endet letztlich 1:1, aber darauf können sie wirklich stolz sein.

Als sie den Flughafen Dortmund verlassen, sind sie alle in Hochstimmung, selbst Raphael, der einfach keine Lust hat, sich allein durch Julians Anwesenheit und den noch immer zwischen ihnen herrschenden Mangel an Kontakt herunterziehen zu lassen. Auch wenn es ihm wirklich schwer fällt und ihn diese ganze Situation noch innerlich zu zerreißen droht.

Wenn Julian nicht so unglaublich ablehnenden wirken würde, würde er sich ja vielleicht dazu durchringen, auf ihn zuzugehen, aber so... So bringt er es einfach nicht fertig.

„Raphael!“

Im ersten Moment reagiert er nicht auf die Stimme, die seinen Namen ruft. Er hört ihn zu oft von irgendwelchen Fans. Doch dann knufft ihn der Killer in die Seite und sorgt dafür, dass er der weiblichen Quelle dieses Ausrufs doch Aufmerksamkeit schenkt.

„Chantal?“ Verwirrt zieht er eine Augenbraue hoch. Hat er denn nicht deutlich genug gemacht, dass die Sache einmalig war?

Sie lacht, fällt ihm zur Begrüßung um den Hals und küsst ihn einfach vor der gesammelten Mannschaft. Und das äußerst hingebungsvoll.

„Du...“ Sachte schiebt Raphael sie von sich fort, nur, damit sie ihn wieder umarmt. Er fühlt sich hilflos, während seine Teamkollegen breit grinsen. Er wirft einen kurzen Blick über die Schulter und sieht, wie Julian zusammen mit Puck und Daniel abzieht. Er hat als einziges nicht gelacht.

Raphael zieht sich sein Magen schmerzhaft zusammen, als er Chantal den Arm um die Schulter legt und seine Reisetasche schultert. Der Trainer lässt ihn ziehen. Schließlich sind sie sowieso alle getrennt hier am Flughafen angereist.
 

Chantal ist einfach da. Wenn sie kann beim Training, bei den nächsten beiden Liga-Spielen. Sie fährt sogar nach Bremen hinterher, um bei ihm zu sein. So wirklich begreift Raphael nicht, was da geschieht. Er weiß nur eins: Er mag sie. Er mag sie wirklich und deswegen kann er sich nicht einfach so vor den Kopf stoßen, wie er es vielleicht tun sollte. Er kann ihn ja nicht die Wahrheit sagen. Dazu fehlt ihm jegliches Vertrauen. Sie könnte diese Information nutzen und in die Presse bringen... Und dann wäre er erledigt. Dann hätte er vieles nicht tun müssen, was er getan hat. Also schweigt er und nimmt ihre Nähe hin.

Sie ist ihm ja auch nicht vollkommen unangenehm. Sie ähnelt Julian so sehr. Und das ist gleichzeitig Balsam und Salz für seine Wunden. Es lindert den Schmerz und lässt ihn manchmal noch stärker brennen.

Der Killer hat einige Male mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob er weiß, was er tut. Er weiß es zu schätzen, dass Dariusz sich Sorgen macht, denn er ist der einzige Freund, den er hier hat, der Bescheid weiß. Der einzige, der seine Situation begreift.

Außer Julian. Und der bringt dafür keinerlei Verständnis auf. Natürlich nicht. Denn genauso diese Show, diese Spielchen, dieses Theater hasst er wie die Pest. So ist es doch. Und das wird sich nicht ändern. Niemals. Denn das ist einer der großen Abgründe zwischen ihnen.

Und seit Chantal ihn am Flughafen abgeholt hat, spricht er überhaupt nicht mehr mit Raphael. Nur noch das aller Notwendigste im Training. Er geht vollkommen auf Abstand, schafft es sogar, ihm bei den Trainingsspielen aus dem Weg zu gehen, obwohl Raphael die unglaubliche Wut in ihm spüren kann. Aber diese Wut versteht er nicht. Warum ist Julian wütend? Zwischen ihnen ist doch nichts mehr, oder?

„Verdammt, Julian, jetzt geh endlich mit Raffe in den Zweikampf!“, brüllt Knie schließlich vollkommen entnervt, als die Nummer elf es wieder schafft, den Kontakt zu vermeiden.

„Beweg dich, Treschke!“, faucht auch Alejandro los, der eigentlich nur Nachnamen verwendet, wenn er auf 180 ist.

Julian presst die Lippen zusammen und Raphael kann sehen, wie widerwillig er ihm entgegenkommt. Doch sobald sie aufeinander prallen, ist das absolut keine Zurückhaltung mehr. Da steckt so viel Wut in Julians Bewegungen, dass Raphael der Atem zu stocken droht. Aber er lässt sich nicht unterkriegen. Er will keine Schwäche zeigen. Nicht vor den anderen, nicht vor dem Killer, der sie mit Argusaugen beobachtet, und am allerwenigstens vor Julian. Sie wickeln die Beine regelrecht umeinander, zerren am Trikot des Gegenspielers und irgendwann passiert genau das, was passieren muss: Ihre Beine verhaken sich, sie kugeln übereinander und fallen. Raphael keucht leise, als Julian auf ihm landet und ihm die Luft aus den Lungen presst. Benommen bleibt er liegen und schaut den blonden Mittelfeldspieler an.

Kurz treffen sich ihre Blicke. Sturmbrodelndes Grün bohrt sich in unruhiges Blau. Irgendetwas ist da in dem Grün. Dessen ist sich Raphael auf einmal sicher. Vielleicht...

„Ich...“, setzte Raphael an.

„Lass es!“, faucht Julian jedoch augenblicklich zurück und ist mit einem Satz auf den Beinen.

Es ist wohl eine absolute Illusion zu glauben, dass Julian ihm überhaupt zuhören würde.
 

Der Trainingstag hat es damit in sich. Nicht nur, dass Julian ihn danach in jedem Zweikampf mit unverminderter Härte angegangen ist, nein, der Killer hat natürlich in der Kabine nachgefragt und seine Sorge zum Ausdruck gebracht – und das ist einfach das letzte, was er jetzt gebrauchen kann. Er will nicht über Julian nachdenken, weil dieser ganze Mist so unglaublich verfahren ist – und ihm so beschissen weh tut.

Und jetzt liegt er hier im Bett, Chantal schmiegt sich an ihn und ihre blonden Haare kitzeln seine Wange. Er wünscht, es wären die Haare jemand anderes. Es wäre der Atem jemand anderes, der über seine bloße Haut streicht und ihm eine Gänsehaut beschert. Und er wünscht, es wäre jemand anderes, der seine Nähe so genießt.

„Ich liebe dich...“ Ihre Worte sind leise und im Halbschlaf gemurmelt, während sie sich noch etwas enger an ihn schmiegt, doch sie gehen Raphael durch und durch. Sein Herz scheint einen Augenblick lang auszusetzen und in seinem Magen zieht sich ein eisiger Klumpen zusammen.

Wie sehr wünscht er sich, dass diese Worte von jemand anderes kommen würde. Und dass er sie nicht gehört hätte. Nicht von ihr.

Denn das macht alles noch komplizierter und lässt seine eigene Sehnsucht noch viel, viel heißer brennen.



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